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Günther Schultze
Zusammenfassung


Pluralismus hat sich als Leitmotiv moderner demokratischer Gesellschaften durchgesetzt. Für Dietrich Thränhardt ist die Integration von Einzelpersonen und Gruppen unterschiedlicher Herkunft und kultureller Formen möglich, wenn gemeinsame Basisüberzeugungen und Grundwerte geachtet werden. Die Eingliederung von Migranten orientiert sich in Frankreich am Begriff der „Assimilation" und in Großbritannien am Begriff des „Multikulturalismus". Der in Deutschland verwendete Begriff der „Integration" ist weniger klar definiert. Die Integrationserfolge bei uns sind jedoch besser, als die Wahrnehmung und öffentliche Diskussion dies vermuten lassen. Die Integrationsprozesse der verschiedenen Zuwanderergruppen sind sehr differenziert. Gemessen am Bildungserfolg, Arbeitslosigkeit und Heiratsverhalten zeigen Spanier die besten Ergebnisse, Italiener und Türken rangieren am unteren Ende der Skala. Griechen sind in Schule und Beruf relativ gut integriert, heiraten aber überwiegend in der ethnischen Gemeinde. Kulturunterschiede können diese Ergebnisse nicht erklären. Thränhardt macht zum einen die unterschiedliche Schulpolitik der verschiedenen Bundesländer verantwortlich. Die schlechten Schulergebnisse der Italiener führt er auf eine segregationistische Schulpolitik in Baden-Württemberg und Bayern zurück. Einen weiteren Erklärungsfaktor sieht er in den unterschiedlichen Qualitäten der Selbstorganisationen. Sie zeigen Formierungsmuster, Elitenkonfigurationen und Organisationsziele, die mit den unterschiedlichen Integra-
tionserfolgen in einem systematischen Zusammenhang stehen.

Die niederländische Integrationspolitik beruht auf der Anerkennung der Tatsache, daß die Migranten nicht mehr zurückkehren werden. Für Ben Koolen sind die Niederlande faktisch zu einem Einwanderungsland geworden. Um dies zu verdeutlichen, spricht man in den Niederlanden von ethnischen Minderheiten, die integraler Bestandteil der Gesellschaft sind. Zu ihnen zählen ausländische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörige, Zuwanderer aus den niederländischen Gebieten in Übersee und verstärkt seit Beginn der 90er Jahre Flüchtlinge. Die Integrationserfolge zeigen ein differenziertes Bild. In der Schule sind türkische und marokkanische Kinder mit

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stärkeren Problemen konfrontiert als die Surinamer. Angesichts der guten Wirtschaftskonjunktur ist in den letzten Jahren auch die Arbeitslosigkeit der ethnischen Minderheiten gesunken. Probleme gibt es jedoch bei Jugendlichen, die nur teilweise das niederländische Schulwesen besucht haben. Die niederländische Integrationspolitik ist durch einen breiten Konsens aller politischen Strömungen gekennzeichnet. Die „autochtone" Mehrheit ist aufgerufen, Vorurteile abzubauen und jede Form von Diskriminierung zu bekämpfen. Sie wird unterstützt durch die Initiativen der Kommunen und von anderen gesellschaftlichen Gruppen und den Selbstorganisationen der ethnischen Minderheiten selbst. Auch in den Niederlanden ist Integrationspolitik in hohem Maße Großstadtpolitik. Seit September 1998 ist ein Gesetz zur Eingliederung von Neuankömmlingen in Kraft getreten. Neuzuwanderer von Staaten außerhalb der EU und der EFTA besuchen einen einjährigen Kurs, in dem sie die niederländische Sprache erlernen und auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Außerdem haben mehrere Ministerien und sieben Kommunen ein Projekt zur Unterstützung von marokkanischen und niederländisch-antilianischen Jugendlichen entwickelt, die in der Vergangenheit vermehrt straffällig und auffällig geworden sind. Die Eltern der
Jugendlichen und ihre Migrantenorganisationen sind einbezogen. Sieben Dachverbände der ethnischen Minderheitengruppen werden mehrmals jährlich von der Regierung zu Konsultationsgesprächen über wichtige Integrationsfragen eingeladen. Die Politik kann zwar die Bedingungen für Integrationsprozesse schaffen. Die Entscheidung, diese angebotenen Chancen zu ergreifen, liegt aber bei den Einwanderern selbst.

Für Gerhard Fiedler sind die Kenntnisse der deutschen Sprache der Schlüssel zur Integration. Der Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer wurde 1974 gegründet. Er fördert Sprachkurse für die Zielgruppe der ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aus den Mitgliedsländern der Europäischen Union sowie aus den ehemaligen Anwerbeländern. Die Kurse selbst werden von vielfältigen Trägern durchgeführt. Neben allgemeinen Sprachkursen gibt es Intensivsprachkurse und Sprachkurse mit Alphabetisierung. Alle Sprachkurse können auch speziell für Frauen angeboten werden. Die Teilnehmerstruktur ist sehr heterogen und reicht von älteren Fabrikarbeitern der ersten Generation über Hausfrauen bis hin zu nachziehenden Familienangehörigen. Ein Problem ist, daß

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heute viele Zuwanderer nicht mehr vom Sprachverband gefördert werden dürfen.

Franz Dormann und Martina Schlebusch beschreiben in ihrem Beitrag die vielfältige Organisationsstruktur der Sprachförderung in Deutschland. Neben der Zielgruppe des Sprachverbandes gibt es spezielle Kurse für Spätaussiedler, Kontingentflüchtlinge und Asylberechtigte. Je nach Zielgruppe und Vorbildung gibt es Förderprogramme des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung. Die Zugangsberechtigung zu unterschiedlich ausgestatteten Sprachkursangeboten wird durch den rechtlichen Status der Zielgruppen bestimmt. Dies führt dazu, daß die Förderstruktur nur zum Teil am tatsächlich gegebenen Bedarf orientiert ist. Segmentierung der Sprachförderung nach Rechtsstatus erschwert auch die Organisation eines stringenten und lernzielorientierten Kurssystems. Deshalb ist es wichtig, daß in Zukunft die Sprachförderung ausschließlich am Spracherwerbsbedarf der Migranten ausgerichtet wird. Außerdem gilt es zu einer weitgehenden Vereinheitlichung und Konkretisierung von Lernzielen sowie einer langfristigen Qualitätssicherung des Sprachunterrichtes zu gelangen.

Die Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund haben immer noch einen schwierigen Weg in eine berufliche Ausbildung. Ursula Boos-Nünning weist nach, daß sie selbst bei gleicher Qualifikation häufig bei der Suche nach Ausbildungsstellen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Ein Grund ist die Diskriminierung aufgrund von negativen Zuschreibungen. Man erwartet, daß Jugendliche ausländischer, insbesonders türkischer Herkunft, störende Sozialisationsfaktoren haben. Auch vermutete negative Kundeneinstellungen spielen als Ablehnungsgründe eine Rolle. In vielen Großbetrieben erhalten Jugendliche mit ausländischer Herkunft keinen Zugang, weil sie nicht über die informellen Kontakte verfügen. Es handelt sich hier um geschlossene Arbeitsmärkte. Aufgrund bestehender Netzwerke und bestimmter Traditionen bleiben ausländische Jugendliche ausgeschlossen. Eine institutionelle Diskriminierung ist vor allem im sozialen Dienstleistungsbereich zu beobachten. So haben z.B. Erzieherinnen und Erzieher muslimischen Glaubens kaum Chancen, bei christlich geprägten freien Trägern eingestellt zu werden. Diese dominieren jedoch einen großen Teil der sozialen Angebote. Diese Ausgrenzungsprozesse führen dazu, daß Migran-

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ten selten in der mittleren Führungsebene der Gesellschaft und in Spitzenpositionen vertreten sind. Boos-Nünning sieht in einem Diskriminierungsschutz von Ausländern und von ethnischen Minderheiten eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Chancengleichheit dieser Jugendlichen. Ergänzt werden muß sie durch Quotierungsvorschriften bei der Besetzung von Stellen. Hierbei sind vor allem der Öffentliche Dienst und die freien Träger der sozialen Arbeit angesprochen.

Entscheidende Kriterien für die berufliche Eingliederung von Zuwanderern sind die Rekrutierungsstrukturen der Betriebe. Für Michael Bommes waren die Migranten in den 60er und 70er Jahren deshalb relativ erfolgreich, weil sie ein relativ niedriges Anspruchsniveau und keine Karriereambitionen hatten. Die Voraussetzung für ihre Eingliederung war die Hinnahme ihrer „Ungleichheit" im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern. Heute sind die Migranten Bestandteil der „wohlfahrtsstaatlichen Integrationsprogrammatik", und es zeigen sich erhebliche Mobilitätsbarrieren und vor allem für die zweite und dritte Generation Schwellen des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Trotz steigender Arbeitslosenzahlen kann bei einem bedeutenden Teil davon ausgegangen werden, daß sie ihre innerbetrieblichen beruflichen Positionen abgesichert haben. Eine berufliche Aufwärtsmobilität ist ihnen jedoch selten möglich. In der Automobilindustrie konnte jedoch gezeigt werden, daß bei der Rekrutierung von Auszubildenden und neu Einzustellenden Verwandtschaftsbeziehungen ein zentrales Kriterium darstellen. Migrantenjugendliche „beerben" in diesem Sinne ihre Väter: Sie nehmen die unteren Positionen in der betrieblichen Hierarchie ein und besetzen die weniger attraktiven Arbeitsplätze. Für die Stellung von Migranten auf Arbeitsmärkten und in Betrieben ist es deshalb wichtig, die betrieblichen Organisationen und ihre Auswahl- und Rekrutierungsstrategien zu beeinflussen.

Die Weiterentwicklung der bisherigen „Ausländerpolitik" zu einer „Gleichstellungspolitik" fordert Kenan Kolat. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein ethnisch homogener Nationalstaat mehr. Sie hat sich zu einer ethnisch-pluralistischen Zivilgesellschaft weiterentwickelt. Die Anwesenheit ethnischer Minderheiten muß als Chance und nicht als Bedrohung begriffen werden. Die Bundesrepublik Deutschland muß die Realität, ein Einwanderungsland und eine multikulturelle Gesellschaft geworden zu sein, anerkennen. Auch in Zukunft wird es Zuwanderungen von Familienangehörigen, Flüchtlingen und sonsti-

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ger Einwanderer geben. Für die letzte Gruppe soll es ein Einwanderungsgesetz geben, das die Kriterien für die Aufnahme festlegt. Begleitet werden muß es durch neue Strukturen der Integrationspolitik. Sie muß eine staatliche Regelaufgabe werden. Auch die Kompetenzen der Ausländerbeauftragten sollten erweitert werden.

Die Selbstorganisationen der Migranten können den Integrationsprozeß unterstützen. Vincente Riesgo schildert dies am Beispiel der Spanier in Deutschland. 1973 wurde der Bund der spanischen Elternvereine gegründet. Kristallisationspunkt waren die Integrationsprobleme spanischer Schüler. Man unterstützte die Eingliederung der Kinder in deutsche Regelklassen und setzte sich gleichzeitig für eine Intensivierung des muttersprachlichen Unterrichtes ein. Die Vereinnahmungsversuche des Vereins durch politische Parteien konnte in den 80er Jahren verhindert werden. 1984 wurde die Spanische Weiterbildungsakademie gegründet, die, ausgehend von einem emanzipatorischen pädagogischen Konzept, das Ziel hatte, die Lebensqualität der Migranten und ihre Beteiligung am gesellschaftlichen Leben zu verbessern. Hierzu wurden zahlreiche Qualifizierungsangebote entwickelt. Seit 1994 gibt es nun das Modellprojekt ¡Adentro!®, das sich zum Ziel setzt, ältere Migranten für die Gemeinwesenarbeit zu qualifizieren und ihrer Vereinsamung entgegenzuwirken. Entscheidend für den Erfolg der spanischen Selbstorganisationen war die Ergänzung der ehrenamtlichen Tätigkeiten durch professionelle fachliche Beratung und Begleitung. Eine parteiunabhängige Arbeit ermöglicht, pluralistische Ansätze zu verwirklichen. Es sollten mobilisierende Ideen und Themen gefunden werden, die auf eine konsequente Integration in der Aufnahmegesellschaft hinzielen.

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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