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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 60 = Leerseite ] Rainer Brückers
Wenn ich als Rheinländer die finanziellen Rahmenbedingungen Freier Wohlfahrtspflege beschreiben müßte, würde ich sagen: Die Lage war noch nie so ernst, und ich würde hinzufügen: aber es ist noch immer gut gegangen. In der Tat haben sich die Rahmenbedingungen freigemeinnütziger Träger stetig verschlechtert. Ich muß genauer sagen: Sie wurden und werden stetig verschlechtert in dem Sinne, daß sie die Handlungsspielräume einengen und damit zunehmend das Proprium Freier Wohlfahrtspflege als eigenständige, selbstorganisierte und autonome Verbünde mehr und mehr in Frage stellen. Es gibt deshalb Veränderungsbedarf, wobei es die spannende Frage zu beantworten gilt, wer sich verändern sollte: diejenigen, die die Rahmenbedingungen zur Entwicklung Freier Wohlfahrtspflege setzen, oder die Wohlfahrtsverbände selbst, um sich der zunehmenden Quadratur des Kreises in der Erfüllung bürokratischer Auflagen zu entziehen? Schließlich stellt sich die Frage, ob diese Gesellschaft auch in Zukunft ein Trägersystem sozialer Dienste und Einrichtungen erhalten will, was den derzeitigen Stand an Quantität und Qualität der Aufgabenwahrnehmung in der Gesundheits-, Sozial- und Jugendhilfe geprägt hat. Um sich der Beantwortung dieser Frage aus finanzwirtschaftlicher Sicht zu nähern, möchte ich zuerst kurz die Ausgangsbasis und die Finanzierungsquellen freigemeinnütziger Arbeit schildern, um sie dann unter den Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln der Träger zu beleuchten. Im weiteren werde ich auf die sich daraus ergebenden Arbeitsstrukturen eingehen und in die Betrachtung der Frage münden, inwieweit Veränderungsprozesse die Freie Wohlfahrtspflege als eigenständigen intermediären Sektor zwischen Markt und Staat gefährden. [Seite der Druckausg.: 62 ] Bedingt durch die Dynamik der eigenen Interessen der Verbände Freier Wohlfahrtspflege - insbesondere in der unmittelbaren (partnerschaftlichen) Auseinandersetzung mit öffentlichen Trägern der sozialen Sicherungssysteme - konnten zweifellos Ressourcen zum Auf- und Ausbau sozialer Dienste und Einrichtungen eröffnet werden, die weit über das hinausgehen, was kommunale und staatliche Daseinsvorsorge von sich heraus im investiven Bereich hätte schaffen können. Mit der Übernahme solcher Investitionen und der damit verbundenen Professionalisierung der Einrichtungen und Dienste haben sich mithin die Strukturen freigemeinnütziger Tätigkeit erheblich verändert. Kennzeichnend dafür ist ein Gesamtumsatzvolumen von ca. 50 Mrd. DM pro Jahr und eine Beschäftigtenzahl von ca. 960.000 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der tägliche Umgang mit wirtschaftlichen Daten in dieser kumulierten Höhe zwingt diejenigen Verbände, die aus einer humanistischen, religiösen oder sozialpolitischen Tradition heraus agieren, zu einer Neubestimmung ihres Selbstverständnisses. Davon zeugen die vielen Diskussionen um ein Leitbild und den auch damit verbundenen schwierigen Versuch, das Unternehmen Soziale Dienstleistung" in der Organisation des ehrenamtlichen Engagements integriert zu halten. Dies ist eine notwendige, aber ungleich schwierigere Debatte als in jedem anderen Verein oder Unternehmen, da es
In dieser Diskussion spielt auch sicherlich die Frage nach den Finanzierungsquellen der Leistungen eine nicht unbedeutende Rolle. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen drei Säulen der Finanzierung freigemeinnütziger Tätigkeit:
Als vierte, wenngleich indirekte Form, muß die steuerliche Subventionierung der Förderer und Spender genannt werden, die nach Berechnungen [Seite der Druckausg.: 63 ] von Franz Spiegelhalter ca. 10% des Aufkommens an Eigenmitteln ausmachen dürfte. Im wesentlichen setzen sich die Eigenmittel aus Mitglieds- und Förderbeiträgen, Spenden, Wohlfahrtsbriefmarken und Lotterien, Sammlungen, Stiftungen, Kirchensteuer, Kollekten sowie Erträgen aus Nebenbetrieben und der Vermögensverwaltung zusammen. Der Einsatz dieser Eigenmittel für die soziale Arbeit liegt immerhin jährlich um 5,5 Mrd. DM, die damit eine Entlastung öffentlicher Haushalte darstellen. Die öffentliche Zuwendung, die grundsätzlich institutionell oder projektbezogen gewährt wird, stellt wohl den geringsten Finanzierungsanteil, allerdings - wie ich gleich zeigen werde - mit der nachhaltigsten Wirkung, was die Arbeitsbedingungen anbelangt, dar. Für einen eigenständigen und freien Verband verbietet sich gleichsam die institutionelle Förderung, selbst wenn dies auch immer wieder von Rechnungshöfen gefordert wird. Aber selbst die Teilfinanzierung im Rahmen der Projektförderung bietet Ansatzpunkte genug, um den staatlichen Einfluß überproportional zum finanziellen Anteil werden zu lassen. Dabei ist es völlig unerheblich, wie hoch der Anteil dieser Förderung ist: Selbst mit einem 10% Anteil unterliegt die gesamte Arbeit den Vorgaben der öffentlichen Verwaltung. Der weitaus überwiegende Finanzierungsanteil besteht aus Leistungsentgelten für die Inanspruchnahme sozialer Dienste und Einrichtungen. Während es sich bei der öffentlichen Zuwendung um ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen Staat bzw. Kommune und dem freigemeinnützigen Träger handelt, basiert der Leistungsentgeltaustausch auf der Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Inanspruchnehmer einer Dienstleistung und dem Leistungserbringer. Dies ist zumindest die reine Lehre, die in der Praxis dadurch eine Modifizierung erfahren hat, daß der Staat zunehmend Leistungsansprüche der Bürger geregelt hat, für deren Erfüllung die Freie Wohlfahrtspflege die erforderlichen sozialen Einrichtungen und Dienste unter ihrer planenden Kontrolle bereitstellt. Um die Leistungsansprüche seiner Bürger zu befriedigen, tritt der Staat nun unmittelbar in vertragliche Beziehungen zum Leistungserbringer und überstülpt ihn damit auch mit seinen bürokratischen Regulierungsmechanismen. Garniert mit der Verrechnung von staatlichen Fördermitteln mit entsprechenden Pflegesatzerstattungen ist die Grundlage gelegt für eine [Seite der Druckausg.: 64 ] Mischfinanzierung, die in der Öffentlichkeit - sogar in der Fachöffentlichkeit - den Eindruck der hohen Subventionsleistungen zugunsten Dritter erweckt. Da der öffentliche Kostenträger sich auch nicht scheut, in seinen Haushaltsplänen derartige Leistungen als Subvention darzustellen, erweckt er damit den falschen Eindruck, daß alles das, was aus öffentlichen Kassen kommt, auch eine öffentliche Zuwendung ist. Bei der Verwaltung und Verausgabung all dieser Mittel haben die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege folgende Rahmenbedingungen zu beachten:
In groben Zügen können diese rechtlichen Rahmenbedingungen den Finanzierungsquellen insoweit zugeordnet werden, als insbesondere die Verwendung der Eigenmittel den besonderen Vorgaben der Finanzverwaltung aus der Abgabenordnung unterliegen, die öffentlichen Zuwendungen den Bestimmungen des Haushaltsrechtes und die Leistungsentgelte den Bestimmungen der jeweiligen pflegesatzrelevanten Verordnungen. Dies wäre für sich genommen nicht ganz so dramatisch, wenn nicht die zwangsläufige Inanspruchnahme aller drei Finanzierungsarten die Beachtung aller Vorgaben dieser Rahmenbedingungen bewirkt, bei der man sich staunend fragt, warum es noch immer gut gegangen ist. Denn diesem Gebräu aus betriebswirtschaftlichen Anforderungen, bürokratischer Regelungsdichte, Restriktionen finanzwirtschaftlicher Entscheidungsspielräume und wirtschaftliches Handeln konterkarierenden Vorgaben ist kein anderer Träger des Wirtschaftslebens ausgesetzt - selbst staatliches Handeln nicht. Um die Widersprüchlichkeit und Brisanz der unterschiedlichen Bestimmungen deutlich zu machen, gestatten Sie mir, einige Beispiele zu nennen: Das sich aus dem Gemeinnützigkeitsrecht ergebende Gebot der zeitnahen Verwendung der Mittel steht im eklatanten Widerspruch zu der öffentlichen Zuwendungspraxis. Denn der jährliche Haushaltsvorbehalt zwingt [Seite der Druckausg.: 65 ] jeden Träger, aufgrund seiner eingegangenen Verpflichtungen hohe Rückstellungen zu machen und aufgrund der äußerst schleppenden Zahlungsmoral der öffentlichen Hand erhebliche Vorfinanzierungskosten aufzubringen. Dies aber gerade verbietet die Finanzverwaltung und der Zuwendungsgeber. Eine ständige Auseinandersetzung mit der Steuerprüfung und den Rechnungshöfen ist vorprogrammiert. Mit der detaillierten Aufführung von Kostenbestandteilen zur Bestimmung eines Pflegesatzes versucht der öffentliche Kostenträger, die Aufwendungen für soziale Leistungen gering zu halten mit der Folge, daß sich der Leistungserbringer mehr an diese Vorgaben hält als an betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen. So scheiterte jahrelang die Erneuerung von unwirtschaftlichen Heizungsanlagen daran, daß zwar die Energiekosten in der tatsächlichen Höhe im Pflegesatz anerkannt, Investitionskosten und deren Refinanzierung jedoch unberücksichtigt blieben. Ein Einrichtungsträger verbrauchte logischerweise lieber mehr Energie, als daß er nur eine DM für die Senkung der Energiekosten ausgab. Daß ohnehin das duale Investitionsfinanzierungssystem betriebswirtschaftlich letztlich zu ähnlichen Effekten führt, ist gesicherte Erkenntnis. Gleichwohl wird die bisher für den stationären Altenhilfebereich geltende monistische Finanzierung mit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes auf ein duales System umgestellt. Und dies, obwohl man im Krankenhausbereich aufgrund der schlechten Erfahrung mit der dualen Finanzierung diese versucht, auf eine monistische umzustellen. Gerade im Krankenhausbereich hat man erkannt, daß Investitionen bei dualer Finanzierung nicht dann erfolgen, wenn sie notwendig sind und damit erhebliche Mehrbelastungen für den Einrichtungsbetrieb verursachen. Darüber hinaus führt staatliche Finanzierungsart zu einem Zuständigkeitsgerangel mit der Folge, daß derzeit für Investitionen im Krankenhaussektor weder die Länder (nach dualem System) noch die Krankenkassen (nach monistischem System) zuständig sein wollen, und damit jegliche Investition unterbleibt. Wie lange kann ein Wirtschaftsbetrieb diesen Zustand aushalten? Die Regelungsdichte, die mit der Einführung der Pflegeversicherung einhergeht, konterkariert jeden Anspruch auf ein modernes Leistungserbringungsgesetz. Wollte man mit der Pflegeversicherung mehr Markt, Flexibilität und Abbau unnötiger Verwaltungsstrukturen, so wird der Träger [Seite der Druckausg.: 66 ] eines Pflegedienstes mit den Anforderungen der PflegebuchführungsVO (Verordnung), AbgrenzungsVO, StatistikVO und unzähligen Vergütungsregelungen überzogen. Ein nicht unerheblicher Teil seiner Leistungsfähigkeit wird er damit auf nicht gerade das Produkt fördernde Tätigkeiten richten. Mit der öffentlichen Zuwendung ist größtenteils de facto die Anwendung des öffentlichen Tarifsystems verbunden, das aber im krassen Widerspruch zu den Vorgaben steht, die sich aus dem Pflegeversicherungsgesetz ergeben, und bei der Preisfindung von Leistungsentgelten kaum noch berücksichtigt werden können. Wie soll ein Verband der Freien Wohlfahrtspflege unter diesen Bedingungen reagieren, der sowohl öffentlich geförderte Einrichtungen und Dienste unterhält und damit Zuwendungsrecht einschließlich Tarifrecht zu beachten hat, und gleichzeitig Pflegedienste unter einem Preisdiktat zu organisieren hat? Der derzeitige Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium - sicherlich einer der Mitgestalter der Pflegeversicherung - stellt dazu fest: Wer BAT zahlt, hat Pech gehabt". Diese Beispiele mögen genügen. Denn zu allem Überfluß stehen Träger der Freien Wohlfahrtspflege mit diesen widersprüchlichen Vorgaben, die die finanziellen Rahmenbedingungen prägen, in einem Wettbewerb ihrer Aufgabenerfüllung. Und auch dies in doppelter Hinsicht: Es ist unbestritten, daß die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege untereinander und auch gegenüber den Trägern der Öffentlichen Wohlfahrtspflege in einem Qualitätswettbewerb der Ideen und der praktischen Umsetzung organisierter Hilfe standen und stehen. Zunehmend mehr geraten sie in Teilbereichen in einen Wettbewerb mit gewerblichen Anbietern, der von Preisen und Kosten bestimmt ist. Im übrigen scheint es so, daß sich öffentliche Träger aus diesem Wettbewerb stillschweigend verabschiedet haben, daß sie kaum noch eigene Einrichtungen schaffen, sich von bestehenden trennen und über Qualitätsforderungen nicht mehr reden. Allerdings werfen sie - direkt oder indirekt - den freien Trägern unwirtschaftliches Verhalten vor und verweisen darauf, wie ungleich preiswerter gewerbliche Anbieter sozialer Dienstleistungen sind. Es ist schon erstaunlich, daß diejenigen, die unbestritten bei der eigenen Trägerschaft sozialer Dienste und Einrichtungen die teuersten sind bzw. waren, nunmehr der Freien Wohlfahrtspflege vorwerfen, mit ihren Angeboten zu teuer zu sein, und dabei auf Überbürokratisierung und Inflexi- [Seite der Druckausg.: 67 ] bilität der freien Träger hinweisen. Wer selbst jahrzehntelang nicht in der Lage war, unbürokratisch und wirtschaftlich zu handeln, sollte sich mit derartigen Ratschlägen zurückhalten. Gleichwohl bleibt die Frage, welches Änderungspotential Verbände der Freien Wohlfahrtspflege aufbringen können, um dem Qualitäts- und Preiswettbewerb standzuhalten. Aber auch für Wettbewerb müssen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Niemand bestreitet, daß selbst für den freien Markt ein staatlicher Rahmen vorgegeben ist, innerhalb dessen sich die Akteure zu bewegen haben. Dies gilt um so mehr, als es sich bei sozialen Diensten und Einrichtungen um einen bedingten Markt handelt, der geprägt ist von staatlichen Steuerungsvorgaben und einer Kundschaft, die in ihrer Willensentscheidung zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung unter mehreren Aspekten eingeschränkt ist: Sie kennt fachlich nicht den Umfang und die Qualität der Hilfeleistung, sie ist in einer Hilfssituation und damit nicht im vollen Umfang souveräner Partner des Marktes und sie besitzt oft nicht die notwendigen Mittel zum Kauf einer Dienstleistung. Mit der Veränderung der Rahmenbedingungen für die Akteure werden auch gleichzeitig Veränderungen für die Qualität der Dienstleistung selbst verursacht. Über den Qualitätsstandard gab es bislang Konsens und er bildete die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, in der es in Ergänzung der Erfüllung kommunaler und staatlicher Daseinsfürsorge um die konkrete Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Anspruchs nach menschenwürdigem Leben geht. Dieser Konsens hat einen Preis, den nur derjenige als zu teuer bezeichnen kann, der diesen Konsens in Frage stellt. Bei aller Übung im Umgang mit schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen wird kein Träger der Freien Wohlfahrtspflege den Spagat zwischen Qualitätswettbewerb und Preiswettbewerb auf Dauer aushalten. Er wird sich entscheiden müssen, ob er unter Außerachtlassung des Preiswettbewerbes nicht unter einen von ihm definierten Qualitätsstandard gehen will, oder ob er sich unter Aufgabe bestimmter Qualitätsansprüche den Marktbedingungen unterwirft und damit sich auch den finanziellen Rahmenbedingungen des intermediären Sektors entzieht. Da auch damit gegebenenfalls über den Bestand einer sozialen Einrichtung entschieden wird oder zumindest über deren hochgradige Existenzgefährdung, werden sich freigemeinnützige Träger zunehmend dem Preiswettbewerb stellen [Seite der Druckausg.: 68 ] und sich den gewerblichen Arbeitsstrukturen angleichen. Eine solche Angleichung kann man jedoch nur dauerhaft sinnvoll vornehmen, wenn die wirtschaftliche Handlungsorientierung auch in der Erwirtschaftung eines Gewinnes liegen wird, und damit stellt sich zwangsläufig auch die Frage, ob zur Erreichung dieses Zieles nicht die gemeinnützigkeitsrechtlichen Bestimmungen eher hinderlich als förderlich sind. Schon heute ist klar, daß in weiten Teilen die steuerliche Privilegierung der gemeinnützigen Träger durch den Verzicht auf die Inanspruchnahme von Steuervorteilen bei gewerblichen Trägern annähernd kompensiert wird. Sollte das Postulat der Gemeinnützigkeit als eine wesentliche Orientierung des wirtschaftlichen Handelns an Bedeutung verlieren, werden mit Sicherheit Teile des intermediären Sektors in den Markt abbrechen und damit auch erhebliche Mittel der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege für die Finanzierung allgemeiner sozialer Aufgaben wegfallen. Deshalb bedarf es eines deutlichen Zeichens der Politik, die für die Rahmenbedingungen wohlfahrtspflegerischer Arbeit verantwortlich ist, ob soziale Aufgaben nach wie vor in der Sonderform zwischen Staat und Markt verantwortlich organisiert werden sollen, und damit weiterhin auf die ungeheuren ideellen und materiellen Ressourcen bürgerschaftlichen Engagements zurückgegriffen werden kann. Falls dies politisch gewollt ist, müssen sich die dargestellten Rahmenbedingungen ändern, um gerade den freigemeinnützigen Trägern den notwendigen Handlungsspielraum zu geben, den Qualitäts- und Preiswettbewerb möglichst in Einklang bringen zu können. Öffentliche Haushaltsrechtsbestimmungen sowie staatliche Verordnungen zur Organisation und finanztechnischer Abwicklung hindern jeden Freien Wohlfahrtsverband daran, sich auf diesen Wettbewerb einzustellen. Neben dem Abbau bürokratischer Reglementierung benötigt die Freie Wohlfahrtspflege eine verbindliche Sozialplanung, feste Finanzierungsstrukturen und eine steuerliche Gleichbehandlung mit anderen Akteuren im wirtschaftlichen und gemeinnützigen Bereich. Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Blick auf die Frage werfen, ob diese Forderungen angesichts der Entwicklungen, die sich aus der stärkeren europäischen Verflechtung ergeben, überhaupt zukunftsweisend sind. Andere europäische Länder kennen in unterschiedlicher Ausprägung - vor allem auch in unterschiedlicher Quantität - freie Träger sozialer Dienste und Einrichtungen. In keinem europäischen Land hat dies jedoch die Aus- [Seite der Druckausg.: 69 ] prägung wie in Deutschland - vor allen Dingen nicht mit der rechtlichen Privilegierung. Gleichwohl ist in allen anderen europäischen Ländern ein deutlicher Trend zur Entstaatlichung sozialer Dienste und Einrichtungen erkennbar mit der Folge, daß das System Freier Wohlfahrtspflege auch für andere europäische Länder eine interessante Alternative zu ihrer bisherigen Sozialleistungsstruktur bietet. Auch unter diesem Aspekt ist es wichtig, zum jetzigen Zeitpunkt nicht die falschen Signale zu setzen. Was umgekehrt die Einflußnahme auf die bundesrepublikanische Entwicklung durch die Freizügigkeit des Waren- und Dienstleistungsaustausches angeht, kann derzeit davon ausgegangen werden, daß aufgrund der wesentlich geringeren Ausprägung freigemeinnütziger und privatgewerblicher Leistungsanbieter in den anderen europäischen Ländern kaum mit einer Wanderungsbewegung - und damit zusätzlichen Konkurrenz - zu rechnen ist, die die besondere Stellung der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland tangieren könnte. Dies ist nicht nur die fromme Hoffnung der Wohlfahrtsverbände selbst, sondern wird durch Studien belegt. Die mit dem EG-Binnenmarkt verbesserte Möglichkeit der internationalen Kooperation im Bereich der Wohlfahrtspflege schafft jedoch - und dies ist mit Sicherheit begrüßenswert - Impulse für Veränderungen sowohl inhaltlicher wie organisatorischer Art. Ich bin sicher, die Verbünde der Freien Wohlfahrtspflege werden auf solche Prozesse flexibel reagieren und würde mir sehr wünschen, wenn im gleichen Umfange und mit gleicher Schnelligkeit sich die Rahmenbedingungen für ihr finanzwirtschaftliches Handeln verändern würden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |