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TEILDOKUMENT:
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Lothar Abicht
1. Wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern im Aufwind - Wunsch oder Realität? Verfolgt man die Berichterstattung der letzten Monate zur wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern, so zeichnet sich im Gegensatz zur Situation vor einem oder zwei Jahren ein durchaus positiver Entwicklungstrend ab. Glich die Entwicklung der Nettoproduktion und des Umsatzes in den letzten Jahren eher einer Fieberkurve auf niedrigem Niveau, so ist seit Anfang 1994 eine deutliche Aufwärtsentwicklung zu registrieren. Setzt man die Nettoproduktion im zweiten Halbjahr 1990 gleich 100%, so sind nach einem Tiefstand von etwa 60% im zweiten Quartal 1992 inzwischen wieder (Oktober 1994) etwa 80% des Ausgangswertes erreicht (Mitteldeutsche Wirtschaft 1995, S. 14). Differenziert stellt sich vor allem die Industriekonjunktur dar. Nach Einschätzungen des DIW liegt die Investitionsgüterproduktion noch um ein Viertel unter dem letzten DDR-Niveau, während alle anderen Industriezweige mehr produzieren als zum Zeitpunkt der Vereinigung. Anzumerken ist noch, daß auch die Auftragseingänge des verarbeitenden Gewerbes eine Fortsetzung der positiven Entwicklung erwarten lassen. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 340,6 Mrd. DM erreichen die neuen Länder etwa 48% des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Bevölkerung, während sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1990 noch bei 30% lagen. Auch die Produktivität pro Erwerbstätigen zeigt eine ähnliche Tendenz. Sie stieg - wiederum verglichen mit den alten Bundesländern - von 27% im vierten Quartal 1990 auf 46% zum Jahresende 1994. Das wohl positivste Signal geht von den Investitionen aus. Pro Kopf der Bevölkerung sollen 1995 die Bauinvestitionen um 80% und die Ausrüstungsinvestitionen um 30% über dem westdeutschen Niveau liegen (IWd 1995). In den viereinhalb Jahren seit der wirtschaftlichen Vereinigung [Seite der Druckausg.: 12] wurden in den ostdeutschen Bundesländern rund 500 Mrd. DM investiert - in die Modernisierung der Betriebe, in den Ausbau der Verkehrswege und Kommunikationsnetze sowie in die Sanierung des Wohnungsbestandes. Inzwischen sind - nicht zuletzt durch den hohen Aussonderungsgrad - im verarbeitenden Gewerbe nur noch ein Viertel der Altanlagen in Gebrauch (Kieler Kurzberichte 1995). Positive Signale gibt es auch bei der Anpassung der sektoralen Wirtschaftsstruktur an die Bedingungen in den alten Bundesländern und anderen Industriestaaten, obwohl gerade hier noch keineswegs eine Konsolidierung erreicht ist. Bestand in der DDR ein deutliches Übergewicht des produzierenden Gewerbes, so liegen heute die Anteile von produzierendem Gewerbe, Handel und Verkehr sowie Land- und Forstwirtschaft an der Bruttowertschöpfung fast gleich mit den Angaben in den alten Bundesländern. Deutliche Verwerfungen gibt es noch bei den Dienstleistungen, wo in den neuen Bundesländern der Anteil des Staates überproportional hoch und der der privaten Dienstleistungen unterproportional niedrig liegt. Abweichungen vom Normalstandard gibt es auch innerhalb des produzierenden Gewerbes, wo der Anteil der Bauwirtschaft fast doppelt so hoch liegt wie in den alten Ländern. Als letzter positiver Indikator der Wirtschaftsentwicklung sei noch die Anzahl der Patentanmeldungen genannt, die nach einem dramatischen Einbruch 1993 wieder um etwa 40% angestiegen sind, obwohl die Gesamtzahl der ostdeutschen Industrieforscher seit der Wende auf etwa ein Sechstel geschrumpft ist. Die Vielzahl positiver Signale soll aber auf keinen Fall den Blick dafür verdecken, daß der Anpassungsprozeß keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden kann. So kehrt sich bei näherer Betrachtung manch positive Meldung in ihr Gegenteil um und zeigt die Schwere der noch zu bewältigenden Wegstrecke. Ein Beispiel für eine solche Relativierung ist der Transformationsprozeß der Sektoralstruktur, der in außerordentlich kurzer Zeit das nachholte, was in den alten Ländern etwa 30 Jahre dauerte. Er war verbunden mit einer erheblichen Reduzierung der Gesamtbeschäftigung (1989: 9,7 Mio., 1993: 6,1 Mio.) und damit der Erwerbsquote und [Seite der Druckausg.: 13 ] mit einem drastischen Einbruch beim Industriebesatz, d.h. der Zahl der im Bergbau und dem verarbeitenden Gewerbe beschäftigten Personen je 1.000 Erwerbstätigen. Dieser lag Anfang 1994 in den neuen Ländern mit 56 je 1.000 um mehr als 60% unter dem Niveau der alten Länder und unterschritt damit in vielen Regionen einen kritischen Wert für die weitere wirtschaftliche Entwicklung (Maretzke 1994). Wenn auch nicht so dramatisch, doch ebenfalls erwähnenswert ist der Rückgang der durchschnittlichen Betriebsgröße, die beispielsweise in der Region Halle-Leipzig-Dessau allein zwischen 1992 und 1993 von 171 auf 113 Beschäftigte zurückging und damit deutlich unter dem Wert der alten Bundesländer liegt. Selbst zu den auf jeden Fall beachtlichen Investitionen ist anzumerken, daß wesentliche Teile davon in Wirtschaftsbereiche mit enorm hoher Kapitalintensität gingen, wodurch die Auswirkungen auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze von vornherein begrenzt werden. Zur Summe der eher problematisch zu sehenden Bedingungen zählen auch solche Faktoren wie die geringe Eigenkapitalausstattung der Unternehmen (die Eigenkapitalquote bei der Gründung technologieorientierter Unternehmen liegt in den neuen Bundesländern bei etwa 8%, in den alten Bundesländern bei 18% bis 20%) (Bratzke 1994), mangelnde Patentaktivitäten in Hochtechnologiebereichen, das anstehende Auslaufen der tilgungsfreien Jahre für geförderte Kredite und die noch immer bestehenden Nachteile bei der Entwicklung bestimmter Standortfaktoren, wobei mit der angezielten Angleichung der harten Faktoren (z.B. Verkehr, Kommunikation, Industriedichte, Nähe zu Forschungseinrichtungen) ein Bedeutungszuwachs bei solchen weichen Faktoren wie Wohnwert, Image als Wirtschaftsstandort, Freizeitwert usw. zu verzeichnen ist. Ohne ausführliche Erläuterungen vorzunehmen, seien an dieser Stelle noch kurz die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt skizziert. Auch hier ist die Situation durchaus widersprüchlich. So ist zunächst positiv zu vermerken, daß beispielsweise zwischen Herbst 1993 und Herbst 1994 in Sachsen-Anhalt 36.000 Personen mehr beschäftigt wurden, wobei etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt entstanden (isw 1995, S. 3); ein Trend, der in ähnlicher Form auch in den anderen neuen Bundesländern zu verzeichnen war. Gleichzeitig ging die in den früheren Jahren beobachtete hohe Dynamik der personellen Bewegungen am Arbeitsmarkt spürbar zurück. Dennoch bleibt die Arbeitslosenquote in [Seite der Druckausg.: 14 ] den neuen Ländern insgesamt hoch und erreicht mit 17,6% in Sachsen-Anhalt einen Spitzenwert. Auch kam es zu weiteren Ausleseprozessen zugunsten jüngerer Erwerbspersonen und zur deutlichen Erhöhung des Anteils Langzeitarbeitsloser. Die bereits 1993 sehr hohe Differenzierung der Arbeitsplatzrisiken nach Qualifikation und Geschlecht hat sich allerdings im Zeitraum zwischen 1993 und 1994 nicht weiter verschärft, wobei unklar ist, ob es sich dabei um eine eher kurzfristige Abweichung vom langfristigen Entwicklungstrend handelt. 2. Situation in den Unternehmen im Vergleich zu den mittelfristigen Anforderungen an die Wirtschaft Analysiert man die Situation in den Unternehmen, so läßt sie sich in grober Näherung wie folgt zusammenfassen:
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Wenn auch die gesamtwirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern noch eine Reihe wesentlicher Besonderheiten aufweist, stellt sich die Lage vieler Unternehmen inzwischen fast schon als europäische Normalität dar. Mit anderen Worten: fünf Jahre nach der Wende sind es nicht mehr die Anforderungen des Transformationsprozesses, die die größten Schwierigkeiten bereiten. Immer mehr dominieren in ganz Europa anzutreffende Probleme, die in einer vergleichenden Untersuchung zur Situation europäischer Unternehmen wie folgt beschrieben werden (vgl. Stephanson 1995):
[Seite der Druckausg.: 16 ] Die Ergebnisse der Studie spiegeln adäquat die Empfindungen und die Reaktionen vieler Unternehmen aus den europäischen Ländern wider. Gewissermaßen als Hintergrund für diese Verhaltensmuster gibt es eine Reihe internationaler Entwicklungstrends, denen sich auch die ostdeutschen Unternehmen verstärkt ausgesetzt sehen. Zu diesen Trends gehören:
Nicht zuletzt ist es auch die manchmal als Vision belächelte postindustrielle Gesellschaft, die ihre Schatten vorauswirft und gerade in die - langfristig anzulegende - Diskussion um die Gestaltung von Bildungsprozessen einzubeziehen ist. Diese postindustrielle Gesellschaft wird bei aller Unsicherheit in Einzelfragen geprägt werden durch die Ausweitung des Dienstleistungssektors, gravierende Fortschritte in Wissenschaft und Technik sowie einen weiter voranschreitenden Wertewandel, der Selbst- [Seite der Druckausg.: 17 ] verwirklichungswerte und kreative Leistungen gegenüber den bisher dominierenden Pflichtwerten in den Vordergrund treten lassen wird. Die weitere Erhöhung der Produktivität durch moderne Problemlösungs-, Steuerungs- und Produktionssysteme wird bei gleichzeitiger internationaler Vernetzung und zunehmendem Konkurrenzdruck die Bedeutung geistiger Produkte bzw. Fähigkeiten immens anwachsen lassen. Diese - zugegebenermaßen noch etwas fernere - Zukunft wird in manchen Wirtschaftsbereichen schon heute vorweggenommen. Alle auf den Fernabsatz orientierten Wirtschaftszweige (die als wesentliche Basis für die wirtschaftliche Stabilität eines Landes in den neuen Bundesländern einen noch völlig unzureichenden Entwicklungsstand aufweisen) sehen sich heute mit der Tatsache konfrontiert, daß Technologien, Materialien und Produkte unterdessen weltweit verfüg- und austauschbar sind. Das einzige originäre und nicht kopierbare Element eines Unternehmens stellt unter solchen Bedingungen das angesammelte Humankapital in Form des Wissens und Könnens, der Werte und Normen seiner Mitarbeiter dar. Diese Potentiale zu entwickeln und zu nutzen stellt insbesondere am Wirtschaftsstandort Deutschland, der im internationalen Vergleich erhebliche Wettbewerbsnachteile im Bereich der Lohnstückkosten aufweist, eine zwingende Notwendigkeit - aber auch eine aussichtsreiche Chance dar. 3. Der Bedarf an Qualifikationen als Grundlage für die quantitative Gestaltung von Bildungsprozessen Obwohl Bildung zweifellos einen eigenen Stellenwert hat, indem sie zur Entfaltung der Persönlichkeit beiträgt, ist sie hier doch vor allem im Kontext ihrer Verwertbarkeit im Arbeitsleben zu sehen. Mißt man dies in Zahlen, so erreichen die das Humankapital ausbildenden Ausgaben für Bildung und Ausbildung in den alten Bundesländern fast die Hälfte des gesamten Sachkapitals, worunter Ausrüstungen, Bauten- und Verkehrswege subsumiert werden. Die mit viel individuellem und gesellschaftlichem Aufwand herausgebildeten Fähigkeiten und Kenntnisse können aber nur dann wirksam werden, wenn Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage weitgehend übereinstimmen. Ist das nicht der Fall, setzt eine massenhafte Entwertung des Wissens und Könnens ein, wie dies in den neuen Bundesländern zu beobachten war, wo im Verlauf des sozio- [Seite der Druckausg.: 18 ] ökonomischen Transfonnationsprozesses nur etwa ein Drittel der Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz beibehalten konnten, wobei auch dieser Personenkreis von massiven Veränderungen des Anforderungsspektrums betroffen war und ist. Aussagen zum zukünftigen Qualifikationsbedarf beziehen sich gleichermaßen auf die Sektoralstruktur der Wirtschaft, den Bedarf an bestimmten Berufen und Tätigkeiten sowie den Bedarf nach Qualifikationsstufen. Interessant sind vor allem solche Untersuchungen, die das voraussichtliche Angebot und den Bedarf vergleichend gegenüberstellen. Derartige Angaben stoßen allerdings in den neuen Ländern auf erhebliche methodische Schwierigkeiten, die noch immer aus der mangelnden Verfügbarkeit bestimmter Daten und Zeitreihen sowie den Problemen bei der Abschätzung zukünftiger Trends der Wirtschaftsentwicklung resultieren. So verzichteten IAB und Prognos aus diesen Gründen bei der Ende 1993 angefertigten Weiterschreibung der gemeinsamen Prognose zum Arbeitskräftebedarf auf detaillierte Aussagen zu den neuen Bundesländern. Da diese Untersuchung eine bedeutende Rolle in der öffentlichen Diskussion zur Entwicklung des Arbeitsmarktes spielt, sollten trotzdem einige wesentliche Schlußfolgerungen daraus genannt werden (vgl. Tessaring 1994). Die Studie kommt für die alten Bundesländer zu folgenden Schlußfolgerungen:
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Speziell auf die Situation in den neuen Bundesländern wird in einem Bericht der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (1994) eingegangen, der sich auf zwei Gutachten stützt. Auch hieraus sollen wiederum wesentliche Schlußfolgerungen genannt werden:
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risiko tragen, da höherqualifizierte Personengruppen einen massiven Verdrängungsprozeß auslösen werden. Die dargestellten Trends decken sich nach unseren Erfahrungen mit den Ergebnissen einer Vielzahl von Einzeluntersuchungen, die wir in Regionen und Branchen Sachsen-Anhalts durchgeführt haben. Danach suchen die Unternehmen vor allem qualifizierte Facharbeiter (Bau, Dienstleistungen) und verweisen auf die steigende Bedeutung solcher Tätigkeiten wie Akquirieren, Beraten, Kaufen, Verkaufen, Kalkulieren und Berechnen (vgl. Abicht 1994; Schädlich/Abicht 1994). 4. Qualitative Anforderungen im Bildungsbereich und ihre Umsetzung in den verschiedenen Ableitungen der Bildungssysteme Wie bereits angemerkt, stehen die Unternehmen der neuen Bundesländer genau wie ihre Konkurrenten in anderen Ländern vor Herausforderungen, die durch herkömmliche Interventionsmuster nicht mehr zu beherrschen sind. Nur wenn es gelingt, die Mitarbeiterpotentiale gezielt zu entwickeln und auszuschöpfen, ist auf Dauer internationale Konkurrenzfähigkeit zu erreichen. Daraus ergeben sich u.a. folgende Konsequenzen:
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hervorzubringen und bei freizügiger Arbeitsgestaltung eine optimale Ausschöpfung des Leistungsvermögens zu erreichen. Damit muß die Entwicklung von Sozial-, Kommunikations- und Sachkompetenz zum übergeordneten Ziel aller Bildungsprozesse werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß vorberufliche Sozialisationserfahrungen einen wesentlichen Einfluß auf das Leistungsbedürfnis haben und vor allem dann die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, wenn die didaktischen Prozesse auf eine altersgerechte Selbständigkeit ausgerichtet sind. Die Reihe der Schlußfolgerungen ließe sich fortsetzen. Ihnen gemeinsam ist der Grundsatz, die Lernprozesse auf ein Menschenbild auszurichten, dessen Handlungen durch innere Motivationsstrukturen und die Fähigkeit zum Verarbeiten der rasanten Wandlungen in Wirtschaft und Gesellschaft gekennzeichnet sind. Nur auf diese Weise sind die oft genannten Innovationsschwächen der deutschen Wirtschaft abzubauen. Nach Ansicht der [Seite der Druckausg.: 22 ] Expertengruppe Innovation und Wissensbildung" des Beraterkreises Strategien für die Produktion des 21. Jahrhunderts'' beim BMBF sind es vor allem Wissensdefizite, die den Anteil Deutschlands an den international bedeutsamen Forschungen auf weniger als 10% beschränken. Nach Ansicht dieser Experten liegen die Begrenzungen in den individuellen Kompetenzen und der Aufnahmefähigkeit der Adressaten, weniger im generell verfügbaren Know-how. Es wäre aber völlig falsch zu glauben, diese Defizite ließen sich durch die Vermittlung von mehr Wissen" ausgleichen. Notwendig ist vielmehr eine kritische Bestandsaufnahme bei verwendeten methodisch-didaktischen Prinzipien, den Organisationsformen des Lernens und den Rahmenbedingungen. Generelles Problem unseres Bildungssystems ist die äußerst einseitige Ausrichtung aller Stufen auf die Wissensvermittlung. Die gegenwärtig dominierenden Lernformen bremsen und verschütten Kreativität eher als daß sie diese anregen. Typisch ist die Konzentration auf die Vergangenheit und das Nachvollziehen anstelle des Neuschaffens bzw. Vorausdenkens. Diese traditionelle Orientierung ist um so bedenklicher, als zu Beginn des Beitrags deutlich wurde, daß nur die Hinwendung zu innovativen Leistungen die dauerhafte Chance zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland bietet. Innovative Leistungen reichen dabei von der Verbesserung bestehender Lösungen bis hin zu umwälzenden Basisinnovationen. Da die Erzielung von Innovationen immer gegen innere Widerstände (Überwinden eigener Standpunkte und Erfahrungswerte) und gruppendynamische Hindernisse (der Innovator setzt den informellen Konsens innerhalb bestimmter Personengruppen außer Kraft) erreicht werden muß, ist hier eine frühzeitige Verankerung im Bildungsprozeß dringend notwendig. In Anlehnung an Schumpeters (1964) Theorie vom innovativen Unternehmen müssen gleichermaßen
ausgeprägt werden, um kreative und innovative Leistungen hervorzurufen. In diesem Zusammenhang sei jedoch auf die Notwendigkeit verwiesen, den Willen zur Existenzgründung auszuprägen, da gerade auf diesem Wege innovative Ideen in die Praxis umgesetzt werden können und die vielzitierte Beschäftigungswirkung der KMU erreicht wird. Hier hat [Seite der Druckausg.: 23 ] Deutschland beispielsweise gegenüber den USA deutliche Nachteile, was sich etwa im fast zehn Jahre höheren Durchschnittsalter technologieorientierter Existenzgründungen widerspiegelt. Für die unbedingt anzustrebende Neuorientierung auf die Erhöhung der Sozialkompetenz und die Ausprägung von Kreativität und Leistungswillen gibt es keine Patentlösungen. Dennoch sollten wir uns noch stärker den Ansätzen des neuen Lernens zuwenden, die ein ganzheitliches Lernen unter Einsatz beider Hirnhälften implizieren. Das neue Lernen ermöglicht in der immer ganzheitlich wirkenden Welt die Kombination der formal-logischen mit der assoziativ-intuitiven Denkweise und gestattet dadurch gleichermaßen, die Welt zu verstehen und zu erfühlen sowie miteinander zu kommunizieren. Die gezielte Umsetzung entsprechender didaktischer Prinzipien wird es ermöglichen, ganzheitliche und vernetzte Denkweisen herauszubilden, zu denen auch im Computerzeitalter einzig der Mensch in der Lage sein wird. Dieses neue Lernen kann naturgemäß in den verschiedenen Ebenen des Bildungswesens unterschiedliche Erscheinungsformen aufweisen. In der allgemeinbildenden Schule ist es ein handlungsorientiertes Lernen, das Erkenntnisse bei den tätigen Auseinandersetzungen mit bestimmten Objekten und der Lösung praktischer Aufgaben gewinnt, wobei Fächergrenzen überwunden und soziale Verhaltensweisen eingeübt werden. Ansätze zur Ausbildung von Kreativität können hier durch schöpferische Prozesse in den verschiedensten Unterrichtsfächern erreicht werden. In der Berufsausbildung könnte die Anwendung moderner Lehrformen wie der Leittextmethode oder der Projektarbeit erste Ansätze in diese Richtung leisten. Die wohl tiefgehendsten Änderungen würde die Hinwendung zum neuen Lernen an den Universitäten und Hochschulen verlangen, wo trotz aller anders gearteten Versuche noch immer traditionell frontale Lehrmethoden dominieren und kaum Möglichkeiten zum Erwerben sozialer Kompetenzen bestehen. Daß die Studienbedingungen in der Massenuniversität hierzu kaum die geeigneten Voraussetzungen für Trainingsphasen bieten, ist unbestritten. Aber auch die oftmals weitaus weniger frequentierten Universitäten in den neuen Bundesländern haben hierzu nur wenige Ansätze entwickelt. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang auch eine stärkere fächerübergreifende Integration von Lehrinhalten, was vor allem der Vor- [Seite der Druckausg.: 24 ] bereitung auf die Tätigkeit in kleinen und mittleren Unternehmen dienen würde. In der beruflichen Weiterbildung sind die Ansätze des neuen Lernens schon am deutlichsten zu erkennen. Besonders bei der Qualifizierung von Führungskräften dominieren heute interaktions- und handlungsorientierte Konzepte, hat sich der traditionelle Dozent als Trainer und Moderator weiterentwickelt. Die Ausbildung von Sozialkompetenz und die Ausprägung der Fähigkeit zur Kommunikation durch ganzheitliches Lernen unter Kombination sequentiellen Ursache-Wirkungsdenkens mit bildhaft-emotionalem Denken ist hier streckenweise bereits Wirklichkeit. Es stellt sich die Frage, in welchem Maße Erfahrungen aus der beruflichen Weiterbildung auf andere Bildungsbereiche übertragen werden können. In den Darlegungen wurde aus Gründen des begrenzten Umfanges bewußt darauf verzichtet, Probleme zu thematisieren, die gegenwärtig die öffentliche Diskussion beherrschen. So wichtig solche Fragen wie die Öffnung der beruflichen Bildung, die Einführung des 13. Schuljahres oder die erneute Erprobung doppeltqualifizierender Bildungsgänge sind, stellen sie m.E. doch nur äußerliche Merkmale für die Reformbedürftigkeit des Bildungswesens insgesamt dar. Bei aller Anerkennung der Leistungsfähigkeit der gewachsenen Strukturen scheint es dennoch dringend angeraten, das Selbstverständnis und die pädagogische Orientierung unseres Bildungssystems auf den Prüfstand zu stellen. Dabei dürfen weder reformatorischer Eifer noch das Verharren in liebgewordenen Strukturen dominieren. Verbleiben wir ungerührt in den alten Fahrwassern, könnte es bald geschehen, daß unser wichtigstes Potential, das Wissen und Können der Menschen, an Wert verliert, womit ein dramatischer Einbruch der internationalen Wettbewerbsfähigkeit verbunden wäre. Literatur Abicht, L. u.a.: Bedarf an innerbetrieblicher Weiterbildung in den Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes (Industrie) im Regierungsbezirk Halle und Möglichkeiten seiner Abdeckung auf der Grundlage des Weiterbildungsangebotes in der Region. Studie des Instituts für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung e.V. Halle (isw) im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, Halle 1993. [Seite der Druckausg.: 25 ] Aufwärtsgerichtete Konjunkturentwicklung in Deutschland, Mitteldeutsche Wirtschaft 3 (1995), S. 14. Bratzke, G. u.a.: Strategisches Konzept für die innovative Entwicklung der Region Halle-Leipzig-Dessau, Halle/Leipzig 1994. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsforderung: Be schäfligungsperspektiven der Absolventen des Bildungswesens. Analysen und Projektionen bis 2010 und Folgerungen für die Bildungspolitik, o.O. 1994. Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsforderung e.V. Halle (isw): Arbeitsmarkt-Monitor Sachsen-Anhalt, 4. Umfragewelle: Herbst 1994. Forschungsprojekt im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Sachsen-Anhalt, Halle 1995, S.3. Investitionstätigkeit in Ostdeutschland gewinnt an Breite. Kieler Kurzberichte aus dem Institut für Weltwirtschaft, Januar 01/95. IWd - Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, Jahrgang 21/26, Januar 1995. Maretzke, H.: Deindustrialisierung ostdeutscher Regionen - eine bittere Realität!, in: BfLR-Mitteilungen, H. 3 (1994). Schädlich, M./Abicht, L. u.a.: Auswertung einer Unternehmensbefragung zur Ermittlung regionaler Qualifizierungsbedarfe im Arbeitsamtbezirk Dessau - April 1994. Arbeitsmaterial des Instituts für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung e.V. Halle (isw), Halle 1994. Schumpeter, J.A.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1964. Stephanson, A.: Menschliches Arbeitsvermögen in Europa. Vortrag (unveröffentlicht) auf dem Europäischen Workshop Transnationale Regionalprojekte zur Bewältigung des wirtschaftlichen Wandels", Neubrandenburg, März 1995. Tessaring, M.: Langfristige Tendenzen des Arbeitskräftebedarfs nach Tätigkeiten und Qualifikationen in den alten Bundesländern bis zum Jahre 2010. Eine erste Aktualisierung der lAB/Prognos-Projektionen 1989/91, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 27. Jg./1994, Hf. 1/94, S. 5-19. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |