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TEILDOKUMENT:

Arbeitsgruppe 2:
Partizipation von Migranten(-organisationen) an kommunalen Entscheidungsprozessen


[Seite der Druckausg.: 84 = Leerseite ]
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Helmut Schmitt
Aufgaben und Funktionen des Ausländerbeauftragten


Migrationsfragen sind vor allem ein Thema und eine Aufgabe der großen Städte. In den Landkreisen leben zwischen 5% und 10% Ausländer - in den Großstädten dagegen zwischen 15% und 25% mit weiter steigender Tendenz. Die Situation hat sich in den letzten fünf Jahren erheblich verändert: Neue Gruppen sind zugewandert, die Problemschwerpunkte haben sich verschoben, die Integrationsentwicklung stagniert, die soziale Lage der Immigranten verschlechtert sich und die Konflikte innerhalb der ausländischen Familien und zwischen Einheimischen und Zuwanderern nimmt zu. Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Aufgabenfelder des Ausländerbeauftragten (siehe Schaubilder 1 und 2).

Schaubild 1:
Aufgabendiagramm des Ausländerbeauftragten

[Seite der Druckausg.: 86 ]

Schaubild 2: Aufgabenbereiche

[Seite der Druckausg.: 87 ]

In den vergangenen Jahren wurden in den Kommunen viele Integrationsfortschritte in einzelnen Bereichen, wie z.B. Kindergarten, Schule, Stadtteilzentren, Nachbarschaften und in der Kulturarbeit, erreicht. Das in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaute kommunale Netz der Integrationsförderung hat in der Praxis vor Ort beachtliche Erfolge erzielt. Beispielhaft sei die Hausaufgabenhilfe für ausländische Kinder erwähnt: Hier entstehen neben der eigentlichen Bildungsförderung, die für sich schon wichtig ist, unschätzbare zwischenmenschliche Kontakte, die weit über die eigentliche Aufgabe hinaus von erheblicher Bedeutung sind. In diesem Bereich ist auch ein großes ehrenamtliches Engagement zu finden.

Aber an den strukturellen Bedingungen hat sich nicht viel geändert und verbessert. Das liegt vor allem an der fehlenden Konzeption für die Institution „Ausländerbeauftragte" auf Bundes- bzw. Landesebene. Auf kommunaler Ebene hat jede Stadt ihre eigenen Integrationsmethoden entwickelt. Am Beispiel Mannheim läßt sich zeigen, wie die Funktion des „Ausländerbeauftragten" in kommunale Strukturen einbezogen werden kann (siehe Schaubilder 3 und 4). Besondere Merkmale des Beispiels Mannheims sind:

  • Der Ausländerbeauftragte ist als Stabsstelle direkt dem Oberbürgermeister zugeordnet; er übernimmt dezernat- und ämterübergreifende Querschnittsaufgaben;

  • es gibt einen Ausschuß für Ausländerfragen (Koordinierungsausschuß, berufene Mitglieder, kein Vertretungsorgan im engeren Sinne; eine neue Ausschußform wird derzeit beraten, Geschäftsführung beim AB);

  • es gibt einen spezifischen Etat des Ausländerbeauftragten für eine gezielte Integrationsförderung;

  • seit 1989 übernimmt der Ausländerbeauftragte Koordinationsfunktionen in Asylfragen;

  • und seit 1993 Koordinationsfunktionen für Bürgerkriegsflüchtlinge.

Die Anforderungen an eine erfolgversprechende kommunale Integrationspolitik sind erheblich gestiegen. Zwei strukturelle Voraussetzungen sind vor allem sicherzustellen, um den neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen:

[Seite der Druckausg.: 88 ]

Schaubild 3:
Struktur der Ausländerbeauftragten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene

[Seite der Druckausg.: 89 ]

Schaubild 4:
Konzept der kommunalen Ausländerarbeit in Mannheim

[Seite der Druckausg.: 90 ]

  1. Politische Mitwirkungsformen analog des EU-Wahlrechts sind für alle ausländischen Einwohner mit Daueraufenthalt zu schaffen. Langfristig ist ein „Wahlrecht auf allen Ebenen" zu verwirklichen.

  2. Es ist eine Pflichtaufgabe, gesicherte Etats zur gezielten Integrationsförderung bereitzustellen, da ansonsten bei schwierigen Finanzlagen die Fördermittel für diesen Bereich von Kürzungen bedroht sind.

Heute macht sich die nach wie vor fehlende staatliche Konzeption als besonderes Hemmnis für eine zukunftsorientierte „Integrationspolitik" nachteilig bemerkbar. Ergänzt werden sollte sie allerdings durch eine EU-Konzeption. Die Europäische Union als supranationales Gebilde ist prädestiniert für eine solche Initiative. Mit gezielten Integrationsmitteln der Europäischen Union wären enorme Impulse möglich. Vor allem Großstädte mit einem Ausländeranteil ab 20% sollten vorrangig berücksichtigt werden, da hier von einem erhöhten Konfliktpotential auszugehen ist. Wenn nur 1% der Kosten für den „Rinderwahnsinn" in diesen Bereich fließen würden, wäre dies ein großer Erfolg. Es ist erstaunlich, wie wenig konstruktiv sich die bisherige Politik der Europäischen Union in diesem wichtigen Bereich entwickelt hat. Die bestehenden Förderprogramme sind zu kompliziert, ineffektiv und kurzfristig angelegt.

Vorerst müssen sich also die Kommunen auf ihre eigenen Kräfte beschränken. Das bedeutet aber bei den noch zu erwartenden Finanzproblemen der Kommunen eine von Stadt zu Stadt unterschiedliche Entwicklung und Förderung dieses Aufgabenbereichs - abhängig von den jeweils noch verbleibenden Finanzmitteln und den örtlichen politischen Kräfteverhältnissen. Eine langfristig angelegte EU-Förderung nach dem erwähnten „Großstadtprinzip" könnte eine nachhaltige Initialwirkung entfalten.

Die Zunahme von religiösen, intra- bzw. interethnischen Konflikten ist ein Hinweis auf die anfangs erwähnten zunehmenden Schwierigkeiten in diesem gesellschaftspolitischen Feld. Eine solche Entwicklung war allerdings bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar. Zuwanderung kann in der Regel nicht konfliktfrei abgewickelt werden. Konflikte können aber durch vernünftige Steuerung in wichtigen Bereichen, wie z.B. Wohnen, Arbeit, Schule und Kultur, minimiert werden.

[Seite der Druckausg.: 91 ]

In Mannheim gibt es dafür zwei aktuelle Beispiele:

  1. Der Bau einer neuen Moschee mit den damit verbundenen Reaktionen aus dem unmittelbaren Umfeld und den zur Lösung der Konflikte entwickelten Konzepten: Christlich-Islamische-Gesellschaft als Forum und Flankierung durch ein „Deutsch-Türkisches Institut für Integrationsstudien" (vgl. Dokumentation „Die neue Moschee", 1995);

  2. Modellprojekt „JUST" - Jugend im Stadtteil - ein suchtpräventives, interkulturell konzipiertes Projekt in zwei Stadtteilen mit besonders hohem Ausländeranteil (50 und 60%). Vgl. Zwischenbericht „JUST", 1996.

Diese Beispiele befassen sich mit typischen Bereichen der kommunalen Ausländerarbeit, die den bisher nicht ausreichend bearbeiteten Aspekt der ethnisch-kulturell bzw. ethnisch-religiös begründeten Konflikte betreffen. Beim Bau einer Moschee kommt es bereits im Vorfeld auf eine Vielzahl von Faktoren an, deren Beachtung oder Nichtbeachtung die weitere Entwicklung entscheidend bestimmt.

Problem:

Antwort:

- Kenntnisstand/Defizite:

Die Wissensdefizite über den jeweils anderen bzw. sein Wertekonzept sind enorm. Entsprechend hoch ist das Mißtrauen bis hin zu offener Feindseligkeit.

Das Projekt scheitert dann an den verschiedenen Widerständen.

- Gesprächskreis:

Die Lösung besteht in der frühzeitigen Bildung eines Gesprächskreises, an dem die relevanten Akteure beteiligt sind. Durch Informationsaustausch können Wissensdefizite und Mißtrauen abgebaut werden.

Dadurch entsteht eine Vertrauensbasis, die eine Voraussetzung für das Gelingen des Projektes ist.

- Asymmetrie:

Der bisherige Zustand der üblichen „Hinterhofmoscheen" verfestigt den diskriminierenden Charakter und verstärkt die soziale Trennung und Isolation.

- Symmetrie:

Der Bau der neuen Moschee und die damit verbundene längerfristige Zusammenarbeit, Diskussion und Beratung stärkt das Vertrauen der Minderheit.

Es entsteht tendenziell ein symmetrisches Verhältnis. (Das Gebäude erhält einen symbolischen Wert, man kann stolz sein, man kann Gäste einladen usw.).

[Seite der Druckausg.: 92 ]

Qualifizierung

Um darüber hinaus eine längerfristige Qualifizierung bei Akteuren beider Seiten zu erreichen, wird ein „Institut" eingerichtet (in Mannheim ein „Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien"), das von einem deutsch-türkischen Team geleitet wird. Über einen Besucherdienst und über Bildungs- und Informationsangebote wird eine große Zahl von deutschen und türkischen Interessierten erreicht. Dies trägt zu einer nachhaltigen Verbesserung des Klimas im kommunalen Umfeld bei.

Fazit

Beide Projekte sind entsprechend ihrer Zielsetzung langfristig angelegt. Sie befassen sich mit extrem schwierigen Aufgaben innerhalb der kommunalen Migrationsarbeiten und sind mit erheblichen Risiken hinsichtlich ihres Erfolges verbunden. Die Beteiligten, Initiatoren, Mitwirkende und die Zielgruppen selbst unterliegen unterschiedlichen Rahmenbedingungen, die den Verlauf der Maßnahme beeinflussen. Deshalb ist bereits im Vorfeld und im Projektverlauf ein umsichtiges Management erforderlich. In beiden Projekten lassen sich nach einer rund zweijährigen Praxisphase erstaunliche Erfolge feststellen, die über die ursprünglichen Projekterwartungen hinausreichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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