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Ruth Brandherm
Zusammenfassung


Die Expansion der sozialen Dienste hat nach Ansicht von Helga Korthaase zu einem Professionalisierungsprozeß in dieser traditionellen Frauendomäne beigetragen. Allerdings sind mit dem Versuch, die Kosten im gesundheits- und sozialpflegerischen Bereich zu verringern, Rationalisierungsmaßnahmen verbunden, die zum Abbau von arbeits- und sozialrechtlich abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen führen und damit auch die Anerkennung dieser Berufe in der Gesellschaft beeinträchtigen. Die Erwartungen, daß mit der Einführung der Pflegeversicherung eine Million neuer Arbeitsplätze entstehen, haben sich bisher - auch für Berlin - nicht erfüllt. Bei den ambulanten Pflegediensten und Sozialstationen, bei denen in erheblichem Umfang die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Existenzgründungen erwartet wurden, zeigt sich bisher vor allem eine Zunahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse. Dringender politischer Handlungsbedarf besteht angesichts der unterschiedlichen spezifischen Regelungen in der Ausbildung der Altenpflegerinnen. Ziel muß es sein, für die Auszubildenden vergleichbare Rahmenbedingungen herzustellen und die Ausbildung schrittweise in den Regelungsbereich des Berufsbildungsgesetzes einzugliedern.

Gerald Wagner weist darauf hin, daß die gesamtwirtschaftliche Bedeutung und die Funktion sozialer Dienste für den Sozialstaat bisher zu wenig beachtet werden. In der aktuellen Diskussion werden soziale Dienste vor allem als Kostenfaktoren angesehen; ihr gesellschaftlicher Nutzen und ihre ökonomische Bedeutung bleiben vielfach unberücksichtigt und sind schwierig zu beziffern. Nach einer kräftigen Expansion der sozialen Dienstleistungen in den letzten 20 Jahren scheint nun, insbesondere aufgrund der Sparanstrengungen der öffentlichen Haushalte, diese Entwicklung zum Stillstand zu kommen. Die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen wird vor allem von staatlichen Transferzahlungen beeinflußt. An ausgewählten Politikvorhaben im Bereich der sozialen Dienstleistungen - Reha-Kuren, Arbeitsförderungsmaßnahmen, Haushaltsscheck - werden die Wirkungen politischer Maßnahmen exemplarisch dargestellt. Der Autor plädiert dafür, die Planungssicherheit und Berechenbarkeit für Institutionen und Klienten durch

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ein gewisses Maß an Kontinuität bei den öffentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen zu erhalten sowie den Ausbau in den neuen Bundesländern fortzusetzen.

Mit den politischen Zielen der Pflegeversicherung und ihren beschäftigungspolitischen Wirkungen beschäftigt sich der Beitrag von Reinhard Hauschild. Die Pflegeversicherung hat zu einer deutlichen Ausweitung der Pflegeinfrastruktur geführt. Die Zahl der Pflegeeinrichtungen im ambulanten und stationären Bereich hat erheblich zugenommen. Die Pflegesachleistungen weisen eine steigende Tendenz auf. Dies führt zu erhöhten Kosten für die Pflegeversicherung, wirkt sich aber auch auf die Beschäftigung von Fachkräften aus. Die Beschäftigungswirkungen der Pflegeversicherung für die Pflegeberufe lassen sich derzeit noch nicht genau beziffern. Eine Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung belegt, daß die Einführung der ersten Stufe der Pflegeversicherung zu einer erhöhten Nachfrage nach Pflegekräften geführt hat, die meist jedoch durch freigesetzte Fachkräfte aus anderen Bereichen befriedigt werden konnte. Nach Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung haben die Arbeitsämter bisher eine höhere Nachfrage nach Fachkräften nicht registriert. Andere Erhebungen stellen seit Einführung der Pflegeversicherung bei den Pflegekräften insgesamt Beschäftigungszuwächse fest. Daneben wirken sich die Vergütungsregelungen der Pflegeversicherung und die bisher in den Ländern unterschiedlich geregelte Finanzierung der Ausbildungsvergütung der Altenpflege auf die Beschäftigung aus. Reinhard Hauschild betrachtet abschließend auch das Verhältnis von Heimpersonalverordnung und Pflegeversicherung und deren Bedeutung für die Pflegeberufe und konstatiert sowohl hinsichtlich der Fachkraftquote als auch der Stellung der Helferkräfte einen Veränderungsbedarf.

Pflegeorganisationen befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel, der durch veränderte sozialstrukturelle und gesetzliche Rahmenbedingungen ausgelöst wird. Dabei bringen die gesetzlichen Neuregelungen durch die Pflegeversicherung und die Gesundheitsstrukturreform und die damit verbundene Einführung von Markt und Wettbewerb für ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen - so die These von Margarete Landenberger - Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für die Pflegeorganisationen, die Träger und die Beschäftigten. Pflegeeinrichtungen entwickeln sich zu Sozialunternehmen, die ihr Produktprofil schärfen, Konzep-

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te des Pesonalmanagements entwickeln und ihre wirtschaftliche Effizienz erhöhen müssen. Pflegefachkräfte befinden sich in einem Professionalisierungsprozeß, in dem die Pflege als autonomes Tätigkeitsfeld mit eigenständigen theoretischen Grundlagen und fachlichen Kompetenzen sowie wissenschaftlich erprobten Pflegemethoden profiliert wird. Die Pflegeversicherung bietet für das Ausbalancieren zwischen den fachlichen Anforderungen und Wirtschaftlichkeitsaspekten eine Reihe von „Hebeln" für die Pflegeprofessionen an, die beispielsweise für die Aushandlung eines angemessenen Personalbudgets oder zur Gestaltung eines regionalen Versorgungsnetzwerks genutzt werden können.

Barbara Meifort geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob das in unserer Gesellschaft vorherrschende Negativimage der sogenannten „Frauenberufe" auch für die Pflegeberufe zutrifft. Dazu werden empirische Befunde zu den Qualifikationen, Löhnen und Arbeitsbedingungen vorgestellt und auf eventuelle geschlechtsspezifische Besonderheiten überprüft. Die Qualität der Lernorte und die Ausbildung des Lehrpersonals unterliegen Sonderregelungen, die den Mindestgrundsätzen zur Qualitätssicherung, wie sie in anderen Berufen gelten, nicht entsprechen. Auch hinsichtlich der Breite und Tiefe der vermittelten Qualifikation zeigen sich Defizite und eine Orientierung an überkommenen Strukturen und falschen Leitbildern, die eine Überfrachtung des Berufsbildes und eine Vermischung von Beruflichem und Privatem fördern. Die Einkommenssituation der Pflegekräfte hat sich seit Ende der achtziger Jahre zwar verbessert, dies trifft jedoch nur für die tariflich bezahlten Fachkräfte zu, nicht für die steigende Zahl von Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen werden insbesondere in der Altenpflege als besonders belastend wahrgenommen. Kritisiert werden insbesondere die hohen physischen und psychischen Anforderungen, das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis und die geltenden Arbeitszeitregelungen. Seit Einführung der Pflegeversicherung sind die Möglichkeiten, verantwortungsvoll pflegen zu können, aufgrund engerer Zeitbudgets zumindest in der Altenpflege eher gesunken. Vordringliche Maßnahmen zur Verbesserung der Berufs- und Beschäftigungssituation in den Pflegeberufen sind die Aufhebung des Sonderstatuses der Ausbildung und die Einordnung in das System der Berufsbildung der Bundesrepublik. Barbara Meifort warnt davor, aus der bisherigen Entwicklung und der prognostizierten zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors auf eine automatische Verbesserung zukünftiger Berufschan-

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cen von Frauen in Pflegeberufen zu schließen. Vielmehr sieht sie Anzeichen dafür, daß zukünftig verstärkt Rationalisierungsreserven der Pflege ins Blickfeld rücken.

In den Statements der Expertinnen und Experten zur Gesprächsrunde „Perspektiven für die Pflege und die Pflegeberufe" werden kontroverse Standpunkte und Problemsichten zur beruflichen Situation der Pflegekräfte und zur Umsetzung der Pflegeversicherung vorgestellt und Handlungsbedarf sowie Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Pflegeberufe genannt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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