FES | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|
TEILDOKUMENT:
Leben und Arbeiten in Deutschland: Soziale Situation polnischer Werkvertragsarbeitnehmer [Seite der Druckausg.: 11 ] Ursula Mehrländer
1. Methodische Vorbemerkungen Im September 1993 waren rund 11.500 polnische Arbeitnehmer in Deutschland tätig. Sie arbeiteten insbesondere im Baugewerbe und in der Eisen-, Stahlerzeugung und -verarbeitung, dem Kfz-, Schiffs- und Luftfahrzeugbau. Im Rahmen der Repräsentativuntersuchung '95 [Fn.1: Vgl. U. Mehrländer, C. Ascheberg, J. Ueltzhöffer, Repräsentativuntersuchung '95: Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Reihe Sozialforschung Nr. 263, Bonn 1997.] wurden 500 Polen, davon 208 polnische Werkvertragsarbeitnehmer im gesamten Bundesgebiet zu ihrer beruflichen und sozialen Situation in Deutschland befragt. Anhand von Monatsstatistiken des Arbeitsamtes Duisburg wurden für die Interviewer von Marplan Quotenvorgaben für Region und Wirtschaftsbranche formuliert. Die Befragung fand in Form mündlicher, vollstrukturierter Interviews statt. Die Fragebögen lagen in deutscher und polnischer Fassung vor. Der Erhebungszeitraum war September bis November 1995. 2. Soziostrukturelle Grunddaten Der Anteil der Männer bei den Werkvertragsarbeitnehmern beträgt 94%. 75% von ihnen sind unter 40 Jahre alt. Fast alle sind in Polen geboren. 75% der Werkvertragsarbeitnehmer sind verheiratet. 3. Aufenthalts- und arbeitsrechtlicher Status, Erfahrungen mit dem Ausländerrecht Durch die veränderte politische Situation in Mitteleuropa ist es seit Anfang der neunziger Jahre möglich geworden, daß Polen in größerer Zahl Arbeit [Seite der Druckausg.: 12 ] in Deutschland aufnehmen können. Polen sind z.B. im Rahmen von Werkvertragsabkommen (Kontingent 25.000 Personen) im Bundesgebiet tätig. Der aufenthalts- und arbeitsrechtliche Status der befragten Polen ist im Rahmen ihrer Zulassung zum deutschen Arbeitsmarkt genau festgelegt. Werkvertragsarbeitnehmer werden zur Ausführung eines zwischen einem deutschen und ausländischen Unternehmen geschlossenen Werkvertrages vorübergehend (2 Jahre, maximal 3 Jahre) in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Der Aufenthalt von ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland und die damit zusammenhängenden Fragen werden durch das Ausländergesetz geregelt. Die Polen sind nach ihren persönlichen Problemlagen und Erfahrungen mit dem Ausländerrecht gefragt worden. Ihre Antworten ergeben sich aus Tabelle 1. Erstaunlich ist, daß 47% der Werkvertragsarbeitnehmer hierzu keine Angabe machen. Ein sehr großer Teil von ihnen berichtet, daß sie Angst hätten, etwas falsch zu machen. Ebenso erklären viele, daß sie über ihre Rechte und Pflichten als ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland nur unzureichend informiert seien. 4. Motive der Arbeitsaufnahme in Deutschland und Art der Vermittlung 60% der Werkvertragsarbeitnehmer sind 1994 bzw. 1995 zum erstenmal in Deutschland berufstätig geworden. Der geringe Verdienst in Polen sowie der Wunsch nach Aufbesserung des Familienbudgets stellen die Hauptgründe für die Arbeitsaufnahme in Deutschland dar. Die allgemeine wirtschaftliche Lage in Polen wurde rund von einem Fünftel der Befragten hervorgehoben. Etwas mehr als ein Fünftel der Werkvertragsarbeitnehmer war in Polen arbeitslos. Allerdings geben 46% der Werkvertragsarbeitnehmer an, daß sie von der Firma entsandt worden sind (vgl. Tabelle 2), Mehrfachnennungen waren zugelassen. [Seite der Druckausg.: 13 ] Tabelle 1: Erfahrungen der Befragten mit dem Ausländerrecht
[Seite der Druckausg.: 14 ]
Tabelle 2: Motive der Arbeitsaufnahme in Deutschland
Für rund 60% der Werkvertragsarbeitnehmer ist das ihr erstes Arbeitsverhältnis in Deutschland. Die durchschnittliche Dauer liegt dementsprechend bei 21 Monaten. 5. Branchen und berufliche Position Fast zwei Drittel der befragten Werkvertragsarbeitnehmer sind im Baugewerbe tätig, weitere 25% von ihnen arbeiten im Verarbeitenden Gewerbe (vgl. Tabelle 3). [Seite der Druckausg.: 15 ] Tabelle 3: Berufstätigkeit in Deutschland nach Branchen
Anhand der Einstufung der jetzigen Arbeit ergibt sich die hohe Qualifikation der polnischen Werkvertragsarbeitnehmer. Rund zwei Drittel sind als Facharbeiter, 9% als Vorarbeiter und 3% als Meister einzuordnen. Etwa 6% von ihnen werden als Angestellte beschäftigt. Nur 3% sind als ungelernte und 15% als angelernte Arbeiter in Deutschland tätig (vgl. Tabelle 4). [Seite der Druckausg.: 16 ] Tabelle 4: Berufliche Einstufung in Deutschland
6. Anzahl der Wochenstunden / Akkord- und Schichtarbeit Mehr als ein Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer arbeiten im Akkord, etwa ein Fünftel von ihnen leistet Schichtarbeit. Die durchschnittliche Arbeitszeit der Werkvertragsarbeitnehmer pro Woche ist hoch. 43% von ihnen arbeiten 50 Stunden und mehr (vgl. Tabelle 5). [Seite der Druckausg.: 17 ] Tabelle 5: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit
[Seite der Druckausg.: 18 ] 7. Einkommen und Sparverhalten Tabelle 6: Monatlicher Nettoverdienst
[Seite der Druckausg.: 19 ] Tabelle 7: Sparziele
[Seite der Druckausg.: 20 ] 8. Einschätzung der beruflichen und sozialen Sicherheit in Deutschland Die Mehrzahl der polnischen Werkvertragsarbeitnehmer schätzt ihre berufliche und soziale Sicherheit in Deutschland als gut ein. Lediglich etwa rund 30% von ihnen halten es für sehr wahrscheinlich bzw. wahrscheinlich, daß sie vor Vertragsablauf den Arbeitsplatz verlieren bzw. daß sie weniger Lohn erhalten als zugesagt. Daß sie keinen Lohn erhalten, befürchten nur rund 6%. Dagegen erklären weitere 30%, daß es vorkommen könnte, daß sie vertraglich nicht vereinbarte Arbeiten erledigen müssen. Bedenklich stimmt, daß 30% der Werkvertragsarbeitnehmer es als sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich" ansehen, daß sie einen Arbeitsunfall erleiden. Diese Aussage deutet auf die Gefährlichkeit ihrer Tätigkeit, aber auch auf möglicherweise unzureichende Sicherheitsmaßnahmen hin. Allerdings glauben nur rund 15% von ihnen, daß es wahrscheinlich ist, daß sie im Falle von Krankheit oder Unfall nicht versichert seien. 9. Reaktionen der Polen: Anpassungsprozesse oder Selbstisolierung 9.1 Deutschkenntnisse Fast zwei Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer sagen aus, daß sie deutsche Sprachkenntnisse haben (vgl. Tabelle 8). Tabelle 8: Deutschkenntnisse
[Seite der Druckausg.: 21 ] Bei den Antworten auf die Frage, wo sie Deutsch gelernt haben, gibt jeweils ein Viertel der Befragten an, daß sie bereits in Polen deutsche Sprachkenntnisse erworben haben. Bei den Werkvertragsarbeitnehmern dominiert dann jedoch die Aussage am Arbeitsplatz" (67%). Jeweils mehr als 90% der Werkvertragsarbeitnehmer erklären, daß ihre Deutschkenntnisse so gut sind, daß sie den Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz gerecht werden können. Deutschkurse haben lediglich ein Zehntel der Werkvertragsarbeitnehmer besucht (vgl. Tabellen 9 und 10). Tabelle 9: Wege der Aneignung der deutschen Sprache
[Seite der Druckausg.: 22 ] Tabelle 10: Charakterisierung der Deutschkenntnisse
Die Befragten sind gebeten worden, ihre Deutschkenntnisse selbst einzustufen. 4% der Werkvertragsarbeitnehmer bezeichnen ihre deutschen Sprachkenntnisse als sehr gut bzw. gut. 30% der Werkvertragsarbeitnehmer geben ihre Deutschkenntnisse als mittelmäßig an. Ein Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer schätzen ihre Deutschkenntnisse als schlecht ein. 15% von ihnen haben gar keine Deutschkenntnisse (vgl. Tabelle 11). [Seite der Druckausg.: 23 ] Tabelle 11: Subjektive Einschätzung der Deutschkenntnisse
Interessant ist an dieser Stelle der Vergleich der Selbsteinschätzung mit der Interviewerfeststellung über die Kenntnisse der deutschen Sprache der Befragten. Die Interviewer kommen bei allen drei Gruppen zu etwas höheren Anteilen derjenigen, die sehr gut" und gut" Deutsch sprechen. Bei der Beurteilung der Interviewer als mittel" decken sich die Prozentzahlen für Werkvertragsarbeitnehmer mit der Selbsteinschätzung. 9.2 Mitgliedschaft in Vereinen, Kontakten zu Landsleuten Nur 1 % der Werkvertragsarbeitnehmer sind Mitglied in einem deutschen Verein oder Club. 5% von ihnen sind dagegen in Deutschland Mitglied eines polnischen Vereins oder Clubs. Andererseits gilt, daß bei allen drei Befragtengruppen die Freizeitkontakte mit Landsleuten sehr ausgeprägt sind. Etwa 80% der Werkvertragsarbeitnehmer treffen sich täglich in der Freizeit mit Landsleuten. [Seite der Druckausg.: 24 ] 9.3 Kontakte zu Deutschen Fast die Hälfte der Werkvertragsarbeitnehmer hat in der Freizeit gar keinen Kontakt zu Deutschen. Es zeigt sich ebenfalls, daß ein großer Anteil der Werkvertragsarbeitnehmer (30%) nur selten Freizeitkontakte mit Deutschen haben. Bei der Frage, ob Deutsche Kontakt zu ihnen wünschen, zeigt sich eine hohe Unsicherheit: Mehr als die Hälfte der Werkvertragsarbeitnehmer sind hier unentschlossen. Ein Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer teilen die Auffassung, daß Deutsche keinen Freizeitkontakt mit ihnen haben möchten. Als Gründe dafür betonen zwei Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer, daß die Deutschen glauben, daß sie ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Ein weiteres Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer geht davon aus, daß Deutsche wenig Interesse an Kontakten mit ihnen hätten. Mehrfachnennungen waren hier zugelassen. 9.4 Erfahrungen mit Diskriminierungen und ausländerfeindlichen Handlungen Die Polen sind gefragt worden, ob sie in den letzten 12 Monaten persönlich schlechter behandelt worden sind als Deutsche. 16% der Werkvertragsarbeiter haben bereits diskriminierende Situationen von Seiten der Deutschen erlebt. Insbesondere wird genannt, daß ihnen der Einlaß in eine Gaststätte/Diskothek verwehrt worden ist oder daß sie in einem Geschäft nicht bedient worden sind. Bei der Fortbildung bzw. bei der Beförderung im Betrieb wurden deutsche Kollegen bevorzugt. Weitere Diskriminierungserfahrungen erstrecken sich auf die Arbeitsplatz- und Wohnungssuche bzw. das Verhalten von Versicherungen (vgl. Tabelle 12). [Seite der Druckausg.: 25 ] Tabelle 12: Diskriminierungserfahrungen der Polen in Deutschland
Ausländerfeindlichen Handlungen sind die polnischen Befragten in den letzten 12 Monaten ebenfalls ausgesetzt gewesen. Ein Fünftel der Werkvertragsarbeitnehmer sind beleidigt worden, weil sie Ausländer sind. Ein Viertel der Werkvertragsarbeitnehmer sind angepöbelt worden. Ein Zehntel der Werkvertragsarbeitnehmer sind als Ausländer bedroht worden. Ein Prozent der Befragten sind geschlagen worden und 1-2 % von ihnen sind verletzt worden (vgl. Tabelle 13). [Seite der Druckausg.: 26 ] Tabelle 13: Ausländerfeindliche Handlungen gegenüber den polnischen Befragten
Diese Aussagen weisen nach, daß in gewissem Umfang eine ausländerfeindliche Stimmung zu verzeichnen ist, die - wie oben erwähnt - zu Diskriminierungen und auch in selteneren Fällen zu Gewaltausübung führt. 9.5 Ansprechpartner in Deutschland Über das Vorhandensein eines Ausländerbeirats oder eines Ausländerausschusses an ihrem Wohnort sind die meisten polnischen Befragten nicht informiert: Jeweils 70% der Werkvertragsarbeitnehmer machen diese Angabe. Wohlfahrtsverbände wie z.B. Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband oder Diakonisches Werk sind dagegen vielen polnischen Befragten bekannt: 27% der Werkvertragsarbeitnehmer machen diese Aussage. 10. Zukunftspläne Nur etwa 14% der Werkvertragsarbeitnehmer beabsichtigen, auf ihre bisherige Stelle in Polen zurückzukehren. Sehr viele möchten später in Polen mehr Geld verdienen als vorher, suchen bessere Arbeitsbedingungen, wol- l[Seite der Druckausg.: 27 ] en in der Firma bzw. allgemein beruflich vorankommen. Ein Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer planen, sich in Zukunft in Polen selbständig zu machen (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14: Berufliche Pläne bezüglich der späteren Arbeit in Polen
Etwa jeweils 60% der Werkvertragsarbeitnehmer - jeweils bezogen auf diejenigen, die sich in Polen selbständig machen wollen - beabsichtigen, das im Handwerk zu tun. Die Mehrzahl aller Werkvertragsarbeitnehmer geht davon aus, daß sie die in Deutschland erworbenen Kenntnisse später zumindest in Polen teilweise nutzen können. Mehr als ein Drittel der Werkvertragsarbeitnehmer erklärt sogar, das Know-how in einer zukünftigen Arbeit in Polen in vollem Umfang nutzen zu können. [Seite der Druckausg.: 28 = Leerseite ] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |