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[Seite der Druckausgabe: 24 / Fortsetzung] 4. Erklärungsansätze Im folgenden wird die geschlechtshierarchische Verdienstdifferenz als Ausdruck und Verstärkung der Ernährerrolle des Mannes und der Zuverdienerrolle der Frau interpretiert und andere Erklärungsansätze mit dieser Sichtweise konfrontiert. Der Artikel 24 II der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (vom 18.6.1950) sagt es noch deutlich: "Der Lohn muß der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken." Damit ist in der Verfassung festgelegt, daß der Lohn für die männliche Arbeitskraft sowohl die eigene materielle Reproduktion sowie die der Kinder als auch den Erhalt der Arbeitskraft einer Frau für die Reproduktionsarbeit decken soll. Der Lohn für die weibliche Arbeitskraft hat demgegenüber nur die Kosten für die eigene materielle Reproduktion abzudecken, denn von Frauen wird erwartet, daß sie die Hausarbeit immer umsonst leisten, erst recht, wenn sie sie nur für sich selber tun. Die in diesem Verfassungsartikel so deutlich ausgedrückte Geschlechterdifferenz läßt sich historisch bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Frauen wurden zu dieser Zeit bereits gesellschaftlich als schutzbedürftig definiert und deshalb der Vorherrschaft des Mannes unterstellt, womit sie gleichzeitig zu politischer Ohnmacht und Eigentumslosigkeit verurteilt waren. Zunehmend wurde die Geschlechterhierarchie auch rechtlich kodifiziert und durch Labilisierung der Frauenerwerbsarbeit sowie durch niedrigeres Entgelt vollzogen. Insbesondere in den Manufakturen des 18. und 19. Jahrhunderts wurden die Frauen mit Hungerlöhnen entgolten. Als dieser niedrige Lohn den Frauen später einen Konkurrenzvorteil gegenüber den teurer zu bezahlenden Männern bezüglich der Arbeitsplatzchancen brachte, wurde ihnen über das Familienrecht der Zugang zur Erwerbsarbeit beschnitten (Zachmann 1992). Durch die Eheschließung begab sich die Frau rechtlich in die "Obhut" des Mannes, gegenüber dem sie zwar einen Unter- [Seite der Druckausgabe: 25] haltsanspruch erhielt, für den sie aber auch die gesamte privat organisierte und unbezahlte Haus- und Familienarbeit leisten mußte. Je nach Schichtzugehörigkeit hieß dies für die Ehefrauen, das tägliche Überleben unter harten Bedingungen zu sichern oder die Aufsicht über eine Gruppe von Bediensteten zu führen. Eine funktionalistische Auffassung von Gleichberechtigung begründete dieses Geschlechterverhältnis. Danach bedeutet Gleichberechtigung nicht etwa Gleichheit in der Lebensform und den Lebensbedingungen, sondern Funktionsgleichheit: ausgehend von einer als natürlich vorgegebenen Unterschiedlichkeit der Geschlechter ist Gleichberechtigung nach dieser Definition dann erreicht, wenn Mann und Frau je ihrem Wesen entsprechend ihre spezifischen Aufgaben erfüllen. Diesem Wesen entsprechend sollen Frauen ihre natürliche Begabung zur Kinderbetreuung und Männer ihre natürliche Neigung zur Berufsarbeit zum Tragen kommen lassen. Dieses in der Institution Ehe verankerte Geschlechterverhältnis wurde zum lohnbestimmenden Prinzip. Die Abhängigkeit der Frau vom Ehemann sicherte nämlich umgekehrt den Männern den Anspruch auf höhere Entlohnung, wobei zum höherem Grundlohn für Männer noch Familienzulagen hinzukamen. Selbst dem nicht verheirateten Mann wurde ein solcher Familienlohn mit dem Hinweis auf seine potentielle Ernährerrolle zugestanden, während niedrige Frauenlöhne allen Frauen zugemutet wurden, ob sie verheiratet, alleinstehend oder gar alleinerziehende Mütter waren. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde in den Demobilmachungsverordnungen klar und deutlich ausgedrückt, in welchen Lebenssituationen Frauen das Recht auf Erwerbsarbeit abgesprochen wurde: in diesen Verordnungen wurde eine Rangreihe weiblicher Lebenssituationen bezüglich des Rechtes auf Erwerbsarbeit aufgestellt. Die Labilisierung weiblicher Erwerbsarbeit wurde ebenso durch Zölibatsklauseln verstärkt, nach denen Frauen bei Heirat den Beruf aufzugeben hatten. Die Zölibatsklauseln, die den Ernährerlohn legitimierten und sicherten, sind eine markante Vollzugsstrategie der Einschränkung des Rechts auf Erwerbsarbeit für Frauen, die später durch das Angebot von Abfindungszahlungen bei Eheschließung für Frauen entschärft wurden. Erst 1957 erklärte der Bundesgerichtshof den Erlaß des nordrhein-westfälischen Sozialministeriums für nichtig, nach dem Lernpflegerinnen bei Heirat zu entlassen waren. Bis 1977 war die bundesdeutsche Ehefrau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch auf die Hausfrauenrolle, der Mann auf die Ernährerrolle festgelegt. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden die Ehegesetze unter heftigen Diskussionen zum Geschlechterverhältnis geändert (Lücke 1992). Nach der neuen, liberalisierten Form behielt der Gesetzgeber sich nicht mehr vor, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung festzulegen, sondern er überließ sie der freien Entscheidung der Ehegatten. [Seite der Druckausgabe: 26] Ein ganz entscheidender Faktor bei der Erklärung der auch heute noch bestehenden Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen liegt darin, daß dieser neuen gesetzlichen Gestaltungsfreiheit im Binnenraum keine grundsätzlichen Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen folgten, die noch an dem alten Geschlechterverhältnis orientiert waren. Die geschlechtshierarchische Segregation der Arbeitsmärkte und der innerbetrieblichen Strukturen blieb genauso erhalten wie die entsprechenden Diskriminierungsmechanismen, ein ausreichendes Angebot gesellschaftlich organisierten Kinderbetreuung fehlte nach wie vor. Dieser Widerspruch zwischen der rechtlich definierten Wahlfreiheit der Ehegatten und der strukturellen Diskriminierung der Arbeitskraft der Frauen gegenüber der Arbeitskraft der Männer schafft für Frauen eine weitere Labilisierung ihres Rechts und ihrer Möglichkeiten auf Erwerbsarbeit: Da sie weder ausschließlich in der Familienarbeit noch voll in der Erwerbsarbeit verankert, für beide Bereiche allerdings befähigt sind, können sie je nach wirtschaftlicher Gesamtsituation hier wie dort eingesetzt werden. Wenn auch der Anspruch der Ehefrau auf Erwerbsarbeit im Binnenraum der Ehe nicht mehr an eine Vorbedingung geknüpft ist, kann sie diesen Anspruch jedoch nur einlösen, wenn die strukturellen Bedingungen für ihre Erwerbstätigkeit vorhanden sind. Die relativ geringe Entlohnung der Frauenerwerbsarbeit ist ein ganz wesentliches Instrument, die Labilisierung der weiblichen Erwerbsarbeit aufrecht zu erhalten: Vom niedrigen Lohn profitieren einerseits der Staat und die private Wirtschaft als Arbeitgeber, der relativ geringere Lohn ist aber gleichzeitig auch ein Instrument, Frauen immer wieder aus der Erwerbsarbeit herauszudrängen. Dabei wird unterstellt, was in vielen Fällen auch zutrifft, daß im Notfall eher auf den niedrigeren Beitrag der Frau zum Familieneinkommen verzichtet werden kann. Die Aufgabe der Erwerbsarbeit wird auch heute noch eher einer Ehefrau zugemutet als einem Ehemann. So wird die Labilisierung der Erwerbsarbeit für Frauen durch die Lohndiskriminierung abgestützt und praktikabel gemacht. Frauen werden immer noch als durch den Mann abgesichert angesehen. Während sie früher aus der Vormundschaft des Vaters in die des Gatten übergeben wurden, unterstellt man ihnen heute eine finanzielle Absicherung im Notfall durch den Ehemann. Es gehört heute zumindestens im Westen noch nicht zur gängigen Vorstellung, daß Frauen unabhängig ihr Leben führen und auch materiell sowohl für sich selbst als auch für ihre Kinder verantwortlich sorgen können und sollen. Die Diffamierung der erwerbstätigen, verheirateten Frau als "Doppelverdienerin" spitzt es zu: Erwerbsarbeit verheirateter Frauen ist nur unter bestimmten Bedingungen gesellschaftlich erwünscht. Nach der einzelwirtschaftlichen Logik bestimmen aber nicht etwa Vorurteile, sondern ganz massive Vorteile den unterbezahlten Einsatz von Frauen: Frauen bilden nach wie [Seite der Druckausgabe: 27] vor die Manövriermasse, die entlassen werden kann, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen es erfordern, ohne daß betriebspolitisch größere Spannungen zu erwarten sind. Die in allen wirtschaftlichen Krisenzeiten zu verzeichnende überproportionale Entlassung von Frauen und die geringen Verdienste erwerbstätiger Frauen sind Ausdruck des hierarchischen Verhältnisses der Geschlechter, das die weibliche Arbeitsleistung sowohl unterbewertet als auch unsichtbar macht. Weiler (1992) interpretiert die geschlechtsspezifische Lohndifferenz als Ausdruck der gesellschaftlichen Geringschätzung der Frauen. Ausdruck dieser Geringschätzung ist auch immer die unentgeltliche Nutzung von Arbeitskraft, wie sie im Rahmen der Ehe geschieht, wie sie sich aber auch durch Lohndiskriminierung fortsetzt. Die geschlechtsspezifische Entgeltdifferenz als Spitze des Eisberges der unentgeltlichen Nutzung und Minderbewertung weiblicher Arbeitskraft zu interpretieren, ist nicht unumstritten. Andere Erklärungsansätze (vgl. Schubert 1993) suchen die Gründe für die niedrigere Entlohnung der Frauen bei ihnen selbst. Das sogenannte weibliche Arbeitsvermögen wird als Ursache herangezogen, um die Ausbeutung der Frauen plausibel zu machen. Aufgrund dieses Arbeitsvermögens gelten Frauen als genügsam im Hinblick auf Gratifikationen, wegen ihrer Personenorientierung nicht an Aufstieg oder beruflichem Fortkommen interessiert. In diesem Erklärungsmuster wird die spezielle Zurichtung der weiblichen Arbeitskraft verklärt und den Frauen subjektiv als Ursache ihrer Schlechterstellung zugeschrieben. In den Erklärungen, die sich auf die Humankapitalaustattung beziehen, wird postuliert, daß Frauen weniger Humankapitalressourcen mitbringen und deswegen weniger verdienen. Unter Humankapital wird die Schulbildung, die Anzahl und Qualität der abgeschlossenen Ausbildungen und die Anzahl der Jahre ununterbrochener Berufstätigkeit gesehen. Kritisch an den Humankapitaltheorien ist, daß sie einen direkten Zusammenhang von Humankapital und Einkommen postulieren (Fiedler/Regenhardt 1987). Gerade die Untersuchungen zur Frauenerwerbsarbeit zeigen, daß der unterqualifizierte Einsatz, nicht nur bei Berufsrückkehrerinnen, und die unbezahlte Nutzung von Qualifikationen typisch für Frauenerwerbsarbeit sind. Frauen werden demnach im Vergleich zu Männern öfter unter dem Niveau eingesetzt, das ihren Abschlüssen entspricht und an Arbeitsplätzen, an denen sie Qualifikationen einsetzen, die nicht entsprechend vergütet werden. Darüber hinaus darf nicht, wie es Humankapitaltheorien tun, unterstellt werden, daß die Schul- und beruflichen Ausbildungsgänge der freien Wahl, insbesondere der [Seite der Druckausgabe: 28] Frauen, unterliegen. Gerade geschlechtsspezifische Zugangsschranken sind als diskriminierender Tatbestand zu definieren, dessen Wirkungen bis in die geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen zu verfolgen sind. Auch hinter volkswirtschaftlichen Analysen und Berechnungsweisen der geschlechtsspezifischen Lohndifferenzen verbergen sich Erklärungsmuster: Das Ausmaß der Lohndiskriminierung versuchte erstmals Langkau (1979) für die Bundesrepublik Deutschland zu berechnen. Dabei wendete er die Residualmethode oder Methode der Komponentenzerlegung an, die auch international anerkannt ist. Diese Methode geht theoretisch von einem nicht diskriminierenden und einem diskriminierenden Teil der geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenz aus. Unter dem diskriminierenden Teil der Einkommensdifferenz werden die Faktoren zusammengefaßt, die auf eine direkte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zurückzuführen sind. Die Berechnungen von Langkau ergaben, daß etwa 40% der Differenz zu dem diskriminierenden Anteil gerechnet werden kann und daß dieser Anteil seit 1960 rückläufig ist. Dieser Ansatz zur Berechnung der Lohndiskriminierung wurde in den letzten Jahren in der Frauenforschung einer grundsätzlichen Kritik unterzogen: Fiedler und Regenhardt (1987) weisen darauf hin, daß durch die Berechnung einer "bereinigten" Quote der Lohndiskriminierung gerade die ungleichen Chancen beim Zugang zu Arbeitsplätzen und Aufstiegspositionen ebenso extrapoliert werden wie die aus der Zuständigkeit der Frauen für die private und unbezahlte Arbeit erwachsenen Beschränkungen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt. Die Berechnung dieser Quote basiert auf einer hypothetischen Gleichstellung der Geschlechter, also der Ausschaltung aller strukturellen Diskriminierungen. Damit wird aber der gesellschaftliche Zusammenhang von privater Arbeit und Erwerbsarbeit und die spezielle geschlechtsrollenspezifische Zuweisung negiert: Die der Residualmethode zugrunde liegende Theorie läßt außer acht, daß es eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist, wenn Frauen sowohl für Kinder als auch für Alte privat und unbezahlt sorgen. Erst durch diese Entlastung sind die Männer so verfügbar und flexibel, wie es ihrer geschlechtstypischen Berufsrolle entspricht. Die bereinigte Quote kann nur auf direkt geschlechtsbedingte Diskriminierung hinweisen, die geschlechtsrollenbedingte Diskriminierung wird systematisch ausgeblendet. Der andere Blick auf die Verteilung der Arbeit in der Gesellschaft, wie er durch die Neudefinition des Arbeitsbegriffes in der Frauenforschung seit mehreren Jahren entwickelt wurde, kann die Einkommensdiskriminierung von Frauen nicht unter Ausschaltung der strukturellen oder geschlechtsrollenbedingten Ursachen begreifen. Alle Bedingungen, die der Grundnorm von der Gleichheit der Geschlechter widersprechen, [Seite der Druckausgabe: 29] müssen, da sie nachteilig nur für Frauen wirken, auch als diskriminierend bezeichnet werden. Die als Strukturmerkmale neutralisierten Besonderheiten entspringen eben nicht der freien Wahl der Frauen, sondern spiegeln geschlechtsspezifische Zuweisungs- und Ausgrenzungsprozesse wider, deren Folgen u.a. auch in der Lohndifferenz zu suchen sind. Wenn Frauen weniger Flexibilität bei der Arbeitsplatzauswahl haben und diese, soweit sie überhaupt eine Wahl haben, eher nach der räumlichen Nähe als nach den Verdienstchancen treffen, wenn sie Teilzeitarbeitsverhältnisse eingehen, um Kinder oder Alte zu pflegen, wenn sie weniger Überstunden machen als Männer oder insgesamt ihre Beschäftigungsdauer kürzer ist, so senkt das auch ihr Realeinkommen. Natürlich hat auch ein Mann weniger Einkommen, wenn er Teilzeit arbeitet oder keine Überstunden macht. Aber es ist typisch, daß alle diese Merkmale eben vornehmlich auf Frauen zutreffen. Obschon sie die geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen widerspiegeln, trifft die geringere Verfügbarkeit sowie die zeitliche und räumliche Immobilität für manche Frauen allerdings real gar nicht zu. Dennoch werden diese "Handicaps" für besser bezahlte Positionen unabhängig von den realen Lebensbedingungen allen Frauen unterstellt, auch wenn sie gar nicht verheiratet sind oder keine Kinder oder keine Verwandten zu pflegen haben. Das Geschlecht wird zum Symbol für geschlechtsspezifische Lebensbedingungen, die die Rentabilität der Arbeitskraft aus einzelwirtschaftlicher Sicht schmälern. Beides ist diskriminierend: Wenn Frauen weniger verdienen als Männer, weil ihre Verfügbarkeit durch die private und unbezahlte Arbeit real eingeschränkt ist, als auch, wenn sie weniger verdienen als Männer, bloß weil ihnen diese mangelnde Verfügbarkeit qua Geschlecht unterstellt wird. Am konkreten Einzelfall scheint es zunächst schwierig, strukturelle Lohndiskriminierungen nachzuzeichnen, es gelingt aber bereits bei einer längsschnittlich angelegten berufsbiographischen Betrachtung (vgl. Fiedler/Regenhardt 1987). Hier lassen sich die geschlechtsspezifischen Barrieren beim Zugang zu Arbeitsplätzen und Aufstiegspositionen, aber auch die in der Lebenssituation der Frauen selbst verankerten Hemmnisse beim Zugriff auf Arbeitsplätze und Aufstiegspositionen, deutlich nachzeichnen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |