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Ercan Idik, Heiner Maschke: Wirtschaftsförderung in Duisburg-Marxloh

Das Projekt Marxloh ist nunmehr seit vier Jahren vor Ort tätig. Die Entwicklungsgesellschaft Duisburg Marxloh (EGM) war zunächst als Sanierungsträger der Stadt vor Ort tätig. Folglich waren die Mitarbeiter der EGM Architekten und Verwaltungsfachleute. Sie hatten den Auftrag, den Stadtteil baulich zu erneuern. Im einzelnen informieren sie die Bewohner über Stadterneuerungsmaßnahmen, beraten Eigentümer und Mieter bei Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen, Fassadengestaltungen, Maßnahmen zur Verbesserung des privaten Wohnumfeldes (wie z.B. Hinterhofbegrünung) und bauen im Auftrag der Stadt Duisburg denkmalwerte Gebäude in soziale/kulturelle Einrichtungen um, wie z.B. das Schwelgern-Stadion. Darüber hinaus stehen alle Mitarbeiter der EGM als Wegweiser zur Verfügung, um die richtige Dienststelle für die Anliegen der Bürger zu finden (Behördenengineering).

Im Zusammenhang mit der Förderung des Projektes Marxloh durch die EU wurde die Aufgabenstellung der EGM Anfang 1996 um die stadtteilbezogene Wirtschaft erweitert, ein Büro für Wirtschaftsentwicklung eingerichtet und zwei Wirtschaftsfachleute eingestellt. Ziel dieser Anlaufstelle in zentraler Lage ist, die Beschäftigungs- und Versorgungslage in Marxloh zu verbessern, Abwanderungen und Kaufkraftabflüsse zu stoppen, die Identifikation von Bewohnern und Gewerbetreibenden mit ihrem Stadtteil zu stärken und Eigenaktivitäten in Marxloh zu fördern. Den Bewohnern und Unternehmen wird praktische Unterstützung zu allen Fragen des Wirtschaftslebens angeboten.

Diese Zielsetzung möchten wir anhand eines Beispiels, das diverse Aspekte unserer Arbeit umfaßt, konkretisieren. Geschäftsleute aus dem Stadtteil haben sich Gedanken gemacht und einige Ideen zur Revitalisierung des Handels in Marxloh formuliert. Das ursprüngliche Ideenpapier enthielt drei Maßnahmen: den Verkauf von Markenartikeln zu günstigen Preisen, die Ausstellung von Kunst in leeren Ladenlokalen und die Herausgabe einer Stadtteilzeitung. Diese Initiative trat an uns heran mit der Erwartung von Unterstützung. Unsere Hilfestellung sah so aus, daß wir dieses Ideenpapier zunächst

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an lokale Politiker und zuständige Fachämter weitergeleitet haben. So wurden die Maßnahmen in einer Veranstaltung der örtlichen Politik vorgestellt und diskutiert. Aus dieser „Der runde Tisch Marxloh"-Veranstaltung heraus wurde ein Arbeitskreis Wirtschaft gebildet, der sich mit der Umsetzung dieser Ideen befaßt.

An diesem Arbeitskreis nehmen regelmäßig deutsche und türkische Geschäftsleute, die Vertreter der Werberinge, lokale Politiker, interessierte Bürger und Fachleute aus der Verwaltung teil.

An der Idee einer Stadtteilzeitung wird in Kooperation mit Vertretern der lokalen Presse weiter gearbeitet. In einem Einkaufszentrum mit hohen Leerstandsraten wurde eine Ausstellung mit dem Titel „Kunst in leeren Ladenlokalen" durch die Marxloher Künstlerin Frau Gisela Schneider-Gehrke organisiert. Das Ziel war die Ankurbelung des Weihnachtsgeschäftes. Die Kooperationspartner waren neben den Künstlern, die ihre Werke ausgestellt haben, die Eigentümer, eine Maklerfirma und weitere im Center ansässige Unternehmen. Die Umwandlung des Stadtteils in einem Factory Outlet Center (FOC) – das ist die Idee mit den weitreichendsten Konsequenzen. Damit betreten die Initiatoren Neuland. Die Errichtung von FOC wird bundesweit diskutiert. Die Integration eines FOC in einen Stadtteil ist neu. An der Umsetzung dieser Idee arbeiten alle relevanten Stellen weiter.

Bezüglich der Zukunft des Stadtteils gibt es einen politischen Beschluß: Das Leitbild Marxloh sieht vor, daß der Stadtteil zu einem regional bedeutsamen Handels- und Gewerbezentrum ausgebaut wird. Diese Entwicklung hängt entscheidend von der Identifikation, der Beteiligung und Mitwirkung insbesondere der nichtdeutschen Bevölkerung ab. Die wirtschaftliche Entwicklung spielt eine hervorragende Rolle, aber damit eng verknüpft und zu berücksichtigen sind die sozialen, baulichen, kulturellen und bildungspolatischen Aspekte. Unser Projekt wird von der Internationalen Bauausstellung (IBA) begleitet, die einen erheblichen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leistet.

Unsere Rolle im Stadtteil ist vielfach eine moderierende und motivierende. Die Unterstützung der privaten Initiative hat höchste Priorität. Das Büro für Wirtschaftsentwicklung ist mit zwei deutschen und einem türkischen Mitarbeiter besetzt und

  • – hilft einzelnen Gewerbetreibenden bei der Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation und klärt Standortfragen;

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  • Wir führen ein Leerstandskataster, um interessierten Unternehmen sofort erste Informationen zu geben. Dabei arbeiten wir eng mit den Maklerfirmen vor Ort zusammen. Verlagerungswünsche der ansässigen Betriebe werden ebenfalls erfaßt, um günstigere Standorte vermitteln zu können.
  • führt Gespräche mit Existenzgründern, überprüft Konzepte und zeigt Finanzierungswege auf;
  • Wir haben in zwei Jahren ca. 200 Gespräche im Zusammenhang mit Existenzgründungen geführt. Es findet eine enge Zusammenarbeit mit anderen stadtweit operierenden Institutionen statt. Wir sind im Verbund der Gründungsoffensive des Landes NRW.
  • mobilisiert Gewerbeflächen und Räumlichkeiten für interessierte Nutzer;
  • Wir haben drei größere Flächen, an deren Entwicklung wir mit den zuständigen Fachämtern arbeiten. Die Einrichtung von zwei Gründerzentren ist geplant. In zentraler Lage haben wir einen leerstehenden Bunker. Wir arbeiten daran, den Bunker im „public private partnership Modell" zu einem Musik-Center umzuwandeln.
  • entwickelt Ideen für neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Stadtteil;
  • In Anlehnung an die Handelstradition des Stadtteils wird an der Errichtung eines Öko-Kaufhauses, das zugleich einen Schwerpunkt in die Ausbildung setzt, gearbeitet. Des weiteren ist geplant, das Schwelgern Bad bzw. den Schwelgern Park in ein Sport- und Freizeitzentrum umzubauen. Seit einiger Zeit arbeiten wir daran, Projektbestandteile, die derzeit öffentlich subventioniert werden, in Privatunternehmen zu überführen.
  • organisiert Kooperation und Austausch zwischen ausländischen und deutschen Gewerbetreibenden;
  • n Wir haben die Gründung eines „Vereins türkischer Geschäftsleute" (TIAD) initiiert. Ausgehend von fehlenden Ansprechpartnern bei der Realisierung von städtebaulichen Maßnahmen haben wir die Selbstorganisation der Kaufleute unterstützt. Dieser Verein war zunächst nur in Marxloh aktiv. Inzwischen sind Mitglieder aus allen Stadtteilen hinzugestoßen, so daß TIAD in vielfältiger Weise als Ansprechpartner für die existieren-

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  • n den Institutionen fungiert. Einzelne Arbeitsgruppen leisten stadtteilbezogene Arbeit. Bei uns in Marxloh findet eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Werbering zum Thema Parkleitsystem bzw. neue Beschilderung statt und der diesjährige verkaufsoffene Sonntag wurde erstmalig gemeinsam gestaltet. Am Montag, dem 17. Mai 1998, wurde ein Stadtteilfest in Kombination mit dem verkaufsoffenen Sonntag, einem Trödelmarkt und einem internationalen Basar durchgeführt. Die Veranstaltung hatte das Motto „Marxloh für Alle". An der Organisation waren alle relevanten Akteure des Stadtteils einschließlich der Verwaltung beteiligt. Diese Kooperation hat sich bewährt und wir gehen davon aus, daß die Feste in Zukunft ähnlich erfolgreich verlaufen werden.
  • gibt Wissen weiter, vermittelt Ansprechpartner und beschafft Daten.

Die Beschaffung von stadtteilbezogenen Daten ist notwendig, da sie in der Regel nicht vorhanden sind. Deswegen haben wir mehrere Erhebungen durchgeführt. Die erste umfangreiche Befragung wurde in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Türkeistudien entwickelt. Einige Ergebnisse: Die dominierenden Branchen sind die Gastronomie und der Einzelhandel. Selbständigkeit von Ausländern entspricht ihrem Bevölkerungsanteil. Der Anteil von handwerksähnlichen Betrieben unter den türkischen Unternehmen ist auffallend hoch. Inzwischen haben wir neuere Zahlen, die auf einen größeren Anteil von Dienstleistungen im Stadtteil hindeuten. Die Altersstruktur der Selbständigen nach Nationalitäten ist unterschiedlich. Die türkischen Selbständigen sind erheblich jünger als die Deutschen. Es bestehen Nachfolgeprobleme bei deutschen Unternehmen, was ein bundesweites Problem ist. Aufgrund des unterschiedlichen Alters sind die Lebensplanungen und -perspektiven tendenziell verschieden. Das individuelle Stimmungsbild zeigt deutliche Unterschiede.

Auffallend ist der hohe Anteil von türkischen Selbständigen, die in Deutschland keine Schule besucht haben. 45,7% der Unternehmen (79,6% der türkischen Unternehmen) sind junge Betriebe (d.h. unter fünf Jahren). Die hohe Fluktuation ist typisch für die Gastronomie und den Einzelhandel. Die Betriebe in Marxloh beschäftigen durchschnittlich 7,1 Personen, davon 3,2 in Vollzeitarbeitsplätzen. Die türkischen Unternehmen sind in der Regel kleiner und wesentlich jünger als die deutschen Unternehmen. 14,8% der türkischen Selbständigen beschäftigen eine Person, 33,3% zwei Personen. Nur 15% der Betriebe in Marxloh bilden Jugendliche aus. Darunter sind lediglich

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zwei türkische Betriebe gewesen. Als Grund gaben 36,6% der Betriebe an, keine Ausbildereignungsprüfung absolviert zu haben. Zu teuer sei die Ausbildung in 7,6% der Fälle. Fehlende Möglichkeiten zur Bereitstellung qualifizierter Ausbildungsplätze und fehlender Bedarf sind als weitere wichtige Gründe angegeben worden.

Seit der Gründung des TIAD wird dieses Problem bevorzugt behandelt, weil die Mitglieder einen kausalen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit unter den türkischen Jugendlichen, dem Image des Stadtteils und ihren Geschäften sehen. So wurden in Zusammenarbeit mit der Werkkiste 14 Praktikumsplätze innerhalb kürzester Zeit bei den Mitgliedern des TIAD vermittelt, insbesondere auch für problematische Jugendliche wie z.B. Mädchen mit Kopftuch. Gemeinsam mit dem türkischen Konsulat, der IHK, der Transferstelle des Zentrums für Türkeistudien und der VHS werden regelmäßig Informationsveranstaltungen durchgeführt, bei denen die Geschäftsinhaber über die Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Erlangung der Ausbildereignung informiert werden. Bisher sind als unmittelbare Folge dieser Veranstaltungen 15 Betrieben bzw. Selbständigen in der gesamten Stadt die Erlaubnis zur Ausbildung erteilt worden. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Einrichtung eines Ausbildungsverbundes.

Abschließend möchten wir noch einige Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung, die im Rahmen des „Monitoring kleinräumiger Entwicklungsprozesse" vom N.U.R.E.C.-Institute e.V. beim Amt für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten in Zusammenarbeit mit unserem Büro und dem Forschungsinstitut empirica konzipiert und durchgeführt wurde, erwähnen, damit ein abgerundetes Bild des Stadtteils entsteht. 12% der befragten Marxloher leben in einem Haushalt, der Arbeitslosengeld bzw. -hilfe bezieht; 10% in einem Haushalt, der Sozialhilfe erhält (Bezugsgröße ist der Haushalt, nicht vergleichbar mit personenbezogenen Quoten). Die Diffe-renzierung nach Deutschen und Ausländern ergibt, daß bei der Arbeitslosigkeit die Ausländer mit 17% zu 11% und bei der Sozialhilfe mit 13% zu 8% wesentlich stärker betroffen sind. Des weiteren existiert eine deutliche sozialräumliche Differenzierung zwischen dem Ost- und Westteil des Projektgebietes. Der Westteil mit höherem Ausländeranteil ist nicht homogen. Hier sind die Ein-Personen-Haushalte, die Ledigen, Getrenntlebenden, Geschiedenen und Verwitweten prozentual höher vertreten. Mit steigendem Anteil der Ausländer nimmt der Anteil der Deutschen mit geringerem Ein

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kommen zu. Die Verteilung der Ausländer ist derart, daß östlich der Autobahn sich die wenigen mit höherem Einkommen konzentrieren. Im westlichen Teil variiert die Einkommensverteilung der Ausländer kaum.

Befragt nach individuellen Plänen und Wünschen gaben 20% der Ausländer und 10% der Deutschen an, so schnell wie möglich eine Arbeit zu finden. 17% der Ausländer, aber nur 3% der Deutschen spielen mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen. 15% der Ausländer haben vor, ihren Qualifikationsgrad durch Umschulung oder Fortbildung zu verbessern. Diese Quote liegt bei den Deutschen bei 8%. Die Neigung zur Selbständigkeit und die Bereitschaft zur Fortbildung stellen ein besonderes endogenes Potential dar.

Ein Fazit aus der oben genannten Untersuchung lautet: „Allerdings verfügt ein großer Teil der Ausländer, die sich selbständig machen wollen, nämlich 40%, über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Eine Qualifikationssteigerung insbesondere der ausländischen Bevölkerung ist daher unbedingt notwendig, um das Existenzgründungspotential der Marxloher erfolgversprechend nutzen zu können."


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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