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Zbigniew Zylicz:
Die Hospizbewegung in den Niederlanden




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Einleitung

Hospize sind seit den siebziger Jahren überall auf der Welt erfolgreich tätig und fast jedes Land in Europa verfügt über mindestens ein oder zwei Zentren der Palliativbetreuung. In vielen Ländern sind neue Dienste geplant bzw. stehen zur Diskussion. Selbst in Osteuropa wurden viele Hospize gegründet. In Polen beispielsweise, einem Land, das in jener Region eine Ausnahme darstellt, gibt es über 30 Zentren für die Betreuung Sterbenskranker. [Zylicz, Z., Palliative Care in Eastern Europe. Pall Med 1991; 5: 171-173.]

Die europäische Hospizlandschaft weist allerdings einige überraschende Lücken auf: Eine dieser Lücken betrifft die Niederlande, im Herzen Europas gelegen. Im Zusammenhang mit der Euthanasiediskussion in den Niederlanden drängt sich fast der Verdacht auf, daß holländische Ärzte eher töten als betreuen. Das vorliegende Referat beschäftigt sich mit diesem Thema und mit der Einstellung der niederländischen Bevölkerung zu Hospizen.

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Statistik

In den Niederlanden leben 15,5 Millionen Menschen, wobei der Westen des Landes die größte Bevölkerungsdichte aufweist. Traditionell teilt sich das Land in den protestantischen Norden und den katholischen Süden. Obwohl die Bedeutung der Religion im Laufe der Zeit abgenommen hat (nur 20% der Niederländer glauben an einen persönlichen Gott), spielen diese Unterschiede bei der Betrachtung der traditionellen Einstellung zum Tod und zur häuslichen Pflege eine Rolle.

1985 waren 1,7 Mio. Niederländer älter als 65 Jahre, und diese Zahl wird sich bis zum Jahr 2020 auf 3,0 Mio. erhöhen. [Van Tits, M.H. The future need of terminal care in the Netherlands. Forschungsreferat, vorgetragen anläßlich der „5th Int. Conf. on System Science in Health Care", Prag 1992.] 1988 gab es insgesamt 124.000 Todesfälle, darunter 31.400 (oder 25,3%) Krebstote. Schätzungen gehen davon aus, daß die Zahl der Krebstoten sich bis zum Jahr 2030 um 80% erhöht.

Von den derzeitigen Krebstoten sterben 45% der männlichen und 47% der weiblichen Patienten in Krankenhäusern, 9,3% bzw. 15,4% in Pflegeheimen und 45,3% bzw. 37,7% zu Hause. Daran kann abgelesen werden, daß die häusliche Pflege das Privileg der männlichen verheirateten Patienten ist, die früher sterben und oft bis zum Tod von ihren Lebenspartnerinnen gepflegt werden. Im Gegensatz dazu wird die überlebende Witwe normalerweise im Krankenhaus oder im Pflegeheim betreut, weil keine häusliche Pflege möglich ist. Aufgrund der veränderten Zusammensetzung der Bevölkerung gehen Schätzungen davon aus, daß sich bis zum Jahr 2020 die Zahl der potentiellen Pfleger um 30% verringern wird.

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Häusliche Pflege und die Krankenhäuser

Die Niederlande haben das fortschrittlichste (und teuerste) Gesundheitsversorgungssystem Europas. Die Ausgaben im Gesundheitsbereich übersteigen dort beispielsweise das Dreifache der britischen Aufwendungen. Dieser hohe Standard und die Überkapazität haben ihre Grenzen erreicht, und die Regierung unternimmt Versuche, die Anzahl der Krankenhausbetten zu reduzieren und neue Krankenhäuser mit verringerter Kapazität zu bauen. Diese Politik hat eine massive Verschiebung ausgelöst, weg vom Krankenhaus und hin zu Pflegeheimen bzw. häuslicher Pflege. Die traditionelle häusliche Pflege, die durch Hausärzte und Bezirkskrankenschwestern geleistet wurde, ist jetzt ergänzt durch verschiedene private Pflegeeinrichtungen, deren Leistungen nur teilweise von den Krankenkassen finanziert werden.

Die meisten Hausärzte sind sehr beschäftigt und betreuen im Jahresdurchschnitt jeweils höchstens zwei bis drei Sterbenskranke. Treten Probleme

auf, so überweisen die Hausärzte üblicherweise ihre Patienten an ambulante Kliniken, in denen sie von einem Facharzt (normalerweise von einem Internisten) behandelt werden, dessen Zeit pro Patient auf 10 Minuten begrenzt ist. Ist das Problem zu komplex, wird der Patient aufgenommen. Nach der Aufnahme wird der Patient von medizinischen Assistenten betreut. Die Möglichkeiten des Patienten, den Facharzt aufzusuchen, ist dabei auf wenige Minuten täglich beschränkt. Während des Krankenhausaufenthalts werden zahlreiche Zusatzuntersuchungen durchgeführt und Bildmaterialien erstellt. Das niederländische Vergütungssystem für Ärzte basiert auf der Anzahl der behandelten Patienten und den angewendeten Verfahren. Selbstverständlich ist diese Vorgehensweise einer funktionierenden Kommunikation zwischen Arzt und Patient nicht förderlich. In den Krankenhäusern werden Patienten in der Regel von zwei bis vier Fachärzten behandelt, die größtenteils mittels der Krankheitsakte des Patienten miteinander kommunizieren. Sterbenskranke werden möglichst in Einzelzimmern oder abgeschirmten Bereichen betreut und sind damit weitgehend von den anderen Patienten isoliert.

Zuständig für die Schmerzkontrolle bei Krebskranken sind die Anästhesisten, deren Hauptinteresse auf Eingriffe gerichtet ist und nicht auf eine funktionierende Kommunikation oder eine kontinuierliche Betreuung. In Verbindung mit den finanziellen Vorteilen, die diese Politik mit sich bringt, ist dies der Grund, weshalb sich orale Morphinverabreichung nicht universeller Beliebtheit erfreut. Trotz liberaler Betäubungsmittelgesetze in den Niederlanden ist der Morphinverbrauch zu medizinischen Zwecken weitaus geringer als im Vereinigten Königreich oder in Dänemark und nähert sich eher dem Verbrauch in Ländern wie Deutschland, Spanien oder Portugal, die für ihre restriktive Gesetzgebung bekannt sind und daher die Schmerzbehandlung von Krebskranken oft unmöglich machen. [International Narcotics Control Board. Narcotic Drugs. Estimated world requirements for 1992, Vereinte Nationen, Wien 1992.]

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Pflegeheime

Der Hauptgrund dafür, daß es bisher in den Niederlanden keine Hospize gab, ist das Vorhandensein eines sehr großen und effizienten Netzes an Pflegeheimen. Diese Einrichtungen (in der Regel mit 100 – 400 Betten) haben sich auf die Pflege von Patienten mit Alterskrankheiten, von chronisch Kranken und Rekonvaleszenten spezialisiert. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen wird die Bettenbelegung auf über 95% gehalten, weshalb sich die Aufnahme akut Kranker als äußerst schwierig erweist. Ärzte, die innerhalb dieser Struktur tätig sind, werden als Fachärzte der „Pflegeheimmedizin" anerkannt, die als das Fachgebiet mit der größten Ähnlichkeit zur Palliativmedizin angesehen werden kann. In der Tat ist die Betreuungsphilosophie dieser Pflegeheime eng mit der der Hospize verwandt. Es bestehen allerdings einige gravierende Unterschiede, da Sterbenskranke nicht die einzigen sind, die in Pflegeheimen betreut werden. Es sind nur 5% der Patienten sterbenskrank, die dann schließlich auch in Pflegeheimen sterben. Des weiteren wird die Familie nur selten in die Pflege einbezogen, die auf der Basis „einmal aufgenommen, für immer aufgenommen" steht. Nach einer wochen- oder monatelangen Wartezeit für die Aufnahme (diese Zeitspanne ist für Krebskranke im Endstadium kürzer), kehrt der Patient nur äußerst selten nach Hause zurück. Viele Kranke ziehen die etwas rudimentäre häusliche Pflege der Unterbringung in einem Pflegeheim vor. Dennoch sind diese Einrichtungen unverzichtbar für die Pflege alleinstehender Patienten.

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Die bisherige Erfahrung mit Hospizen in den Niederlanden

Einige Jahre nach der Eröffnung des St. Christopher’s Hospice in London besuchte eine Gruppe von Ärzten und Krankenschwestern vom Antonius IJsselmonde Pflegeheim in Rotterdam britische Hospize. Kurze Zeit später wurde in dieser Einrichtung ein Pflegeprojekt für Sterbenskranke eingeführt, das sich sieben Jahre lang halten sollte. In dieser Zeit wurden Sterbenskranke auf einer Spezialstation betreut, die allerdings auch anderen Patienten offenstand. Einige Langzeitpatienten sahen viele Mitpatienten sterben. Wie sollte es anders sein: Sterbenskranke mit der Prognose einer längeren Lebenserwartung fühlten sich durch die Anwesenheit Sterbender sehr beunruhigt. Es mangelte an Privatsphäre, Räumlichkeiten und Einrichtungen für Besucher und Familien. Waren sie erst einmal aufgenommen, verblieben die Patienten normalerweise bis zum Tod auf der Station. Damals war die häusliche Pflege Sterbenskranker recht unzu¬länglich. Das Ergebnis war eine unglückliche Mischung aus Hospizidealen und der Realität eines Pflegeheims. Das Programm wurde aufgegeben, nachdem die finanzielle Unterstützung durch die Regierung eingestellt wurde. Das Scheitern dieses Projekts hatte auf die Weiterentwicklung der Betreuung Sterbenskranker in den Niederlanden maßgeblichen Einfluß. Unter Nutzung der Erfahrung, die man mit dem ersten Projekt sammeln konnte, baut dieselbe Einrichtung derzeit eine Kurzzeitstation auf, die auch die örtliche Betreuung zu Hause unterstützen wird.

In den Niederlanden gab es etwa bis ins letzte Jahrzehnt kaum eine Tradition der ehrenamtlichen Hilfe. Auch dies mag eine Erklärung dafür sein, weshalb die Hospizbewegung erst so spät ins Rollen kam. Die ehrenamtliche Hilfe war eine der stärksten Antriebskräfte für die weltweite Verbreitung dieses Konzepts. Im Einklang mit toleranten Traditionen gibt es heute eine ganze Reihe von ehrenamtlichen Hospizhelfern, die sich in verschiedenen Organisationen zusammengeschlossen haben. Die Bedeutung ihres Engagements hat offenbar das Bewußtsein im Land für Fragen der Sterbebegleitung verstärkt.

Hospizhelfer der „Niederländischen Hospizbewegung", die nach dem Besuch von Dr. Kubler-Ross Anfang der achtziger Jahre gegründet wurde, leiten derzeit zwei kleine Hospizeinheiten in Nieuwkoop und Haarlem. Die dortige Betreuung wird von den eigenen Hausärzten und Bezirkskrankenschwestern, unterstützt durch Hospizhelfer, geleistet. Die Bettenbelegung dieser Einheiten ist niedrig und spiegelt die Absicht der Bewegung wider, vorwiegend häusliche Pflege zu unterstützen und erst im Notfall auf stationäre Einrichtungen zurückzugreifen.

Im Gegensatz dazu steht eine kleine Hospizeinheit namens Johannes Hospitium im Dorf Vleuten in der Nähe von Utrecht. Diese Dreibetteneinheit arbeitet nach den internationalen Hospizprinzipien und -idealen. Die Betten dieser Einheit sind nahezu ständig belegt. Daraus läßt sich auf eine andere Politik schließen. Das Hospiz trägt sich im übrigen völlig selbst.

In Amsterdam wurde eine Sechsbetteneinheit mit dem Namen Curia eröffnet. Sie geht auf eine Initiative der evangelischen Kirche zurück und findet aufgrund dessen noch nicht überall die Akzeptanz der Öffentlichkeit. Ähnliche Initiativen wurden von anderen Kirchen in Almelo und Heerlen ergriffen.

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Die Qualität der Sterbebegleitung

Bezüglich der niederländischen und der britischen Sterbebegleitung gibt es kein vergleichendes Zahlenmaterial. In der Regel sind niederländische Ärzte nicht Mitglieder in internationalen Organisationen der Palliativbetreuung, so daß sie deshalb wenig Informationen über das Thema veröffentlichen, weder auf Englisch noch auf Niederländisch. Die geringe Zahl der Ärzte, die an internationalen Konferenzen teilnimmt, sieht sich oft der Kritik an den niederländischen Euthanasiepraktiken ausgesetzt. Dies löst bei den Ärzten eindeutig Unbehagen aus und ist möglicherweise einer der Gründe, weshalb viele niederländische Ärzte arrogant verkünden, sie wüßten genug über Palliativbetreuung und bräuchten keine Unterstützung aus dem Ausland.

Die Wirklichkeit zeigt, daß der Schmerz- und Symptombehandlung bei Krebs nicht genug Augenmerk geschenkt und sie oftmals nur auf sehr niedrigem Niveau praktiziert wird. Bis dato steht keine spezielle Weiterbildung in der Palliativbetreuung zur Verfügung.

Eine Studie aus der jüngsten Vergangenheit über 79 stationäre Krebspatienten, die an Schmerzen leiden, [Dorrepaal, K.L. Pijn bij patiënten met kanker. Dissertation, Universität Amsterdam 1989. Ein Teil der Arbeit veröffentlicht in: Dorrepaal, K.L., Aaronson, N.K., van Dam, F.S.A.M. Pain experience and pain management among hospitalized cancer patients. Cancer 1989; 63: 593-598.] belegt, daß nur 29% angemessen behandelt wurden. Über die Hälfte der Patienten wurde unzureichend oder überhaupt nicht behandelt. Viele Hausärzte (40%) waren nur unzulänglich über die Schmerzen, an denen ihre Patienten litten, informiert. Etwa die Hälfte der Patienten setzte die schmerzlindernden Medikamente ab oder senkte die Dosis, sobald sie das Krankenhaus verließen. Ein Viertel der Patienten, die mit schmerzlindernden Medikamenten behandelt wurden, nahmen diese „bei Bedarf" ein. Unter den mit Morphin Behandelten erhielt kein Patient Antiemetika und lediglich 38% erhielten Laxativa (in der Regel eine feststehende Dosis). Nur 15% der Patienten wurden von ihren Ärzten über die verschriebenen Arzneien aufgeklärt und ganze 9% erhielten Informationen über mögliche Nebenwirkungen. Diese Studie und die sich daraus ergebenden Daten reichen nicht zur Beurteilung der gesamten Betreuung Sterbenskranker in den Niederlanden aus, sie sind jedoch eine Warnung und sollten Auslöser für weitere Studien sein.

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Die Politik der Staates

Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit mit einer Hospizstation in Rotterdam und dem immer noch verbreiteten Image einer „Sterbeklinik" unternimmt der Staat nichts, um die Eröffnung von Hospizen zu fördern. Die vorherrschende Meinung ist, daß Hospize als Einrichtungen im Gegensatz zur häuslichen Betreuung stehen, eine direkte Alternative sind und es mit Ausnahme weniger Enthusiasten nicht genügend Personal für diese Zentren geben wird. Weiterhin gibt es Befürchtungen, daß sterbenskranken Krebspatienten uneingeschränkte Aufmerksamkeit zuteil wird, während andere chronisch Kranke außen vor bleiben. Schließlich gibt es eine starke Anti-Hospizlobby unter den Ärzten, die in Pflegeheimen tätig sind und befürchten, daß es einen Verteilungskampf um die bereitgestellten Mittel geben wird. Dann haben wir es mit einer Reihe von Onkologen zu tun, die sich sehr stark gegen Hospize wenden, in der Meinung, sie selber seien die einzigen Spezialisten, die diese Art von Patienten behandeln sollten.

Folge der erklärten Politik, die Zahl der Krankenhausbetten zu senken, ist, daß keine Fördermittel des niederländischen Staates an Hospize gehen. Die Notwendigkeit der Einführung von Palliativbetreuungsgrundsätzen wird allerdings erkannt. [Thuiszorg voor patiënten met kanker. Bericht des Nationalen Gesundheitsrates, 1991.] „Hospizbetreuung ohne Hospize": Unter diesem Motto sollen viele Krankenhäuser dazu angeregt werden, diese Prinzipien in ihre Praxis einfließen zu lassen. Die Idee der „Ambulanten Onkologischen Klinik im neuen Stil" wurde 1991 gestartet. Diese Idee wäre in der Tat interessant, würde der Staat sie großzügig unterstützen. Es wird jedoch von den Krankenhäusern erwartet, daß sie die Idee mit ihren eigenen Haushaltsmitteln umsetzen, die ohnehin schon kaum zur Deckung ihrer laufenden Leistungen ausreichen.

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Euthanasie

Es ist bereits viel über die schwerpunktmäßige Einstellung der Holländer zur Euthanasie gesagt und geschrieben worden, so daß sich an dieser Stelle eine Wiederholung erübrigt. [Van der Maas, P.J., van Delden, J.J.M., Pijnenborg, L., Looman, C.W.N. Euthanasia and other medical decisions concerning the end of life. Lancet 1991; 338: 669-674. Fenigsen, R. The report of the Dutch Governmental Committee on Euthanasia. Issues in Law & Medicine. 1991; 7: 339-344.] Obgleich formal verboten, sind Euthanasie und aktive Sterbehilfe in den Niederlanden weit verbreitet. Solange die Vorschriften der Königlichen Ärztevereinigung der Niederlande eingehalten werden, besteht keine Gefahr der Strafverfolgung. Eine Studie neueren Datums der Nationalen Kommission unter dem Vorsitz von Prof. van der Maas [Von der Maas, P.J. u.a., a.a.O.] geht von Schätzungen aus, nach denen 1,8% aller Patienten in den Niederlanden als Folge freiwilliger Euthanasie und 0,8% infolge unfreiwilliger Euthanasie sterben. Skeptiker [Fenigsen, R., a.a.O.] fügen diesen Zahlen viele Tausende Sterbenskranke (17,5% aller Todesfälle!) hinzu, die mit Opiaten in zunehmenden Dosen und immer kürzeren Verabreichungszeiträumen behandelt werden, was die lebensverkürzenden Absichten des behandelnden Arztes deutlich nahelegt. Tatsache ist, daß sehr viele niederländische Ärzte diese Vorgehensweise befürworten [Von der Maas, P.J. u.a., a.a.O.] und darin keinerlei Widerspruch zur Philosophie der Palliativbetreuung sehen.

Zwar wurde diese Studie sowohl im Ausland als auch in den Niederlanden viel kritisiert, [Fenigsen, R., a.a.O.; Gunnink, K.F. Euthanasia. Lancet 1991; 338: 1010-1011; Fergusson, A., George, R. et al. Euthanasia. Lancet 1991; 338: 1011; Zylicz, Z. Euthanasia. Lancet 1991; 338: 1150.] dennoch fand sie im allgemeinen positive Aufnahme, auch dann noch, als ihre Mängel offenkundig wurden. Im abschließenden Urteil befand die Studie, daß sich die Ärzte gewissenhaft an die Regeln hielten und von einer „Grauzone" keine Rede sein könne, wie dies im Ausland kritisch angemerkt wurde. Die bekanntgegebenen Schlußfolgerungen haben mittlerweile an Glaubwürdigkeit verloren, da neuere Befragungen von Hausärzten ergaben, daß 38% der Euthanasiefälle überhaupt nicht als solche gemeldet werden. Allgemein beschönigen Ärzte ihre Meldungen und falls sich Komplikationen oder Regelverstöße ergeben unterbleibt der Einfachheit halber eine Meldung. [Van de Wal, C., Leenen, H.J.J., Spreeuwenberg, C. Reported Cases of Euthanasia. More often reported, less frequently prosecuted (Niederländisch). Medisch Contact 1992; 47: 1023-1028.]

An dieser Stelle muß angemerkt werden, daß der einzige Hinweis auf eine eindämmende Wirkung der Palliativbetreuung auf die Euthanasie im Zahlenwerk der Studie zu finden ist, wonach nämlich die Ärzte mit der Qualifikation als Pflegeheimspezialist nur sehr selten eine Euthanasie vorzunehmen brauchen. Es ist daher wahrscheinlich, daß ein besseres Informationsangebot über die Praxis in der Palliativbetreuung einen Beitrag zur Lösung der zahlreichen Probleme leisten könnte, die zur Krise und schließlich zur Euthanasie führen. Für die entgegengesetzte Behauptung, wonach die „niederländischen Ärzte eher töten als betreuen" fehlt bislang der Beweis. Diese Behauptung, die sich leicht im Ausland bildet, ist sicher all den Ärzten gegenüber ungerecht, die in ihren gegebenen Lebens- und Arbeitsumständen und angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden Information ihr Bestes tun.

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Aussichten

Die Zeiten ändern sich mit rasanter Geschwindigkeit, und was vor einigen Jahren und sogar noch bis vor kurzem als unmöglich oder unnötig galt, ist heute Realität. Die Notwendigkeit der Einführung der Hospizphilosophie in den Niederlanden und der Anpassung der angelsächsischen Praktiken und deren Durchführung an holländische Verhältnisse liegt auf der Hand. Der Begriff der Hospizphilosophie ohne Hospize gleicht der Geburt eines Kindes, das seinem Umfeld zur Erziehung überlassen wird. Obwohl die Niederlande kaum Bedarf an 30 – 40 Hospize haben werden, ist der Autor der Ansicht, daß möglichst bald zwei bis drei „herausragende Zentren" gegründet und Ärzte verschiedener Fachrichtungen dort in der Palliativbetreuung ausgebildet werden sollten. Diese Ärzte sollten dann in Zukunft jedem Hausarzt und jedem Krankenhaus oder Pflegeheim zur Verfügung stehen.

Der niederländische Zweig der Heilsarmee hat 1994 das erste professionelle Hospiz ins Leben gerufen, das sich dieser Problematik annimmt und versucht, eine geeignete Institution den holländischen Verhältnissen anzupassen. Die niederländische Heilsarmee leitet derzeit über 30 Projekte in der Gesundheitsvorsorge und Wohlfahrt, darunter einige Pflegeheime, Obdachlosenasyle und ein Pflegezentrum für AIDS-Patienten. Das Rozenheuvel-Hospiz verfügt über einen fachärztlichen Konsiliardienst für die häusliche Betreuung sowie über eine stationäre Einheit mit 10 Betten. Des weiteren begleiten Mitarbeiter die Familien und Freunde in der Trauerarbeit. Die Mitarbeiter des Hospizes sind Angehörige der Gesundheitsberufe, und die Einrichtung führt landesweit Aus- und Weiterbildungskurse in der Palliativbetreuung durch. Es erhält keine staatliche Unterstützung und nur teilweise Leistungen der Versicherungsträger.

Obwohl das Hospiz eine eindeutige Erklärung abgegeben hat, daß es gegen praktizierte Euthanasie ist, sind die Mitarbeiter des Projekts der Ansicht, daß Patienten, die um Euthanasie bitten, nicht von professioneller Pflege ausgeschlossen werden sollten, da die Palliativbetreuung ihnen viel zu bieten hat und eine positive Alternative darstellt. Menschen, die über Euthanasie als Möglichkeit nachdenken (Haus- und Fachärzte, Krankenschwestern, Familienmitglieder und die Patienten selbst), werden dazu ermutigt, die Hospizärzte aufzusuchen, um festzustellen, ob andere Methoden der Symptomkontrolle zur Verfügung stehen, die zur Wiederherstellung der Lebensqualität geeignet sind und somit Euthanasie verhindern können. Ratsuchenden steht es selbstverständlich frei, den Empfehlungen zu folgen oder nicht. Gleichfalls selbstverständlich steht es Patienten frei, das Hospiz zu verlassen, wenn sie der Meinung sind, nicht ordnungsgemäß behandelt zu werden.

Es war ermutigend festzustellen, daß das präventive Herangehen an die Euthanasie vermittels der Bereitstellung von Alternativen als Teil des engagierten Konzeptes des zukünftigen Hospizes viele Politiker aufhorchen ließ, sowohl im Lager der Gegner als auch der Befürworter von Euthanasie. „Wenn Sie dieses Leid verhindern können, dann bitte tun Sie es …", sagte einmal ein Angehöriger der letztgenannten Gruppe zu mir.

Das neue Hospiz ist der erste Versuch auf dem Gebiet der Betreuung Sterbenskranker mit dem Ziel, der sich polarisierenden Diskussion über Euthanasie ein Ende zu setzen, einer Diskussion, die ins Leere führt. Man hofft, daß es Ärzte zu einem Umdenken veranlaßt, wie nämlich die Euthanasie durch verbesserte Betreuungsmöglichkeiten verhindert werden kann. Es scheint genug guter Wille und Interesse vorhanden zu sein, so daß man mit der Arbeit beginnen könnte.

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Das Rozenheuvel Hospiz nach drei Jahren

Seit Januar 1994 wurden 340 Patienten von Hospizen betreut. Etwa ein Drittel der Patienten erhielt häusliche Pflege und hatte ein Hospiz noch nie betreten. Ein Drittel der Patienten wurde zunächst zu Hause aufgesucht und später in das Hospiz aufgenommen. Die durchschnittliche Betreuungsdauer betrug 46 Tage (sie lag zwischen 1 und 245 Tagen) und die durchschnittliche Zahl der Hausbesuche 6. Neben dem Hospizarzt statteten Hospizkrankenschwestern und manchmal auch ein Seelsorger den Patienten Hausbesuche ab. Zwei Drittel der Patienten wurden wegen akuter Probleme in das Hospiz aufgenommen, aber 25% bis 30% nach Hause entlassen, wenn sich der kritische Zustand gebessert hatte. Die Patienten wurden unverzüglich aufgenommen und ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 23 Tage (von 1 – 180 Tagen). Das Durchschnittsalter der von dem Hospiz unterstützten Patienten belief sich auf 67 Jahre, wobei 30% jünger als 55 Jahre alt waren. Etwa 90% der Patienten litt an Krebs.

Das Hospizteam genießt unter den 270 Hausärzten der Region große Anerkennung und Hochachtung. Eine kürzlich unter den Ärzten und Familien durchgeführte Befragung ergab einen immensen Bedarf an Hospizleistungen. Viele Ärzte, die für einen Patienten über Euthanasie nachdenken oder mit einer entsprechenden Bitte konfrontiert werden, ziehen den Hospizarzt zu Rate. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, daß in Ermangelung der Palliativbetreuung in den Niederlanden viel Euthanasie praktiziert wird.

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Schlußbemerkung

Der Grund, weshalb es bisher in den Niederlanden keine umfassende Hospizbetreuung gibt, liegt nicht darin, daß „holländische Ärzte eher töten als betreuen", sondern ist im hohen Standard der allgemeinen Krankenhäuser und Pflegeheime und in deren Überkapazität zu suchen. Dennoch: Die Zeiten ändern sich rapide und der Bedarf an Einrichtungen zur Unterstützung gerade solcher Patienten, die sich entschließen, zu Hause zu sterben, ist deutlich geworden. Seit jeher sind die Niederländer der Meinung, daß das eigene Zuhause der beste Ort zum Leben und die beste Stätte zum Sterben ist. Das Hospiz der Zukunft sollte diese Tradition durch eine deutliche Bedeutung der Hausbetreuung unterstützen. Hospize sollten die Diskussion um Euthanasie vorantreiben. Die polarisierende Diskussion sollte vermieden und die präventiven Aspekte der Palliativbetreuung in Aus- und Weiterbildung sowohl an Universitäten als auch in Schwesternschulen hervorgehoben werden. In der Bewertung der niederländischen Hospiz-Standards müßte zwischen einer soliden Palliativbetreuung und der Euthanasiepraxis deutlich unterschieden werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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