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TEILDOKUMENT:




Dietrich Thränhardt [Unter Mitarbeit von Heike Hagedorn:]
Die Reform der Einbürgerung in Deutschland


Rechtliche und administrative Regelungen, Allgemeininteresse, Motivationen der Einwanderer und internationaler Vergleich
Unter besonderer Berücksichtigung des Vorhabens der „Kinderstaatszugehörigkeit"

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1. Einbürgerung – zentrales Desiderat der deutschen Ausländerpolitik

In der Bundesrepublik gibt es heute einen weitreichenden Konsens darüber, daß die Einbürgerungsregelungen verbessert werden müssen, um die in der Demokratie erforderliche weitgehende Identität zwischen den ständigen Einwohnern des Landes und seinen Staatsbürgern wiederherzustellen. [Was die Union von Mustafa Ügüzlik lernen muß, Süddeutsche Zeitung 34, 10.2.1995.] Mehrfach hat der Bundespräsident in plastischer Sprache darauf hingewiesen, daß viele „Ausländer" nicht mehr Ausländer seien, sondern in die deutsche Lebenswirklichkeit hineingehörten. SPD, FDP und Grüne, der Bundesrat, mehrere Landesregierungen und die Ausländerbeauftragte haben Gesetzentwürfe zur Reform des Einbürgerungsrechts vorgelegt. Die Koalitionsparteien haben zu Beginn der Legislaturperiode auf diese Anregungen mit dem Vorhaben der „Kinderstaatszugehörigkeit" reagiert, mit dem ebenfalls eine weiterführende und stärker integrierende Regelung für die in Deutschland aufwachsenden Kinder angestrebt wird. Schon das seit dem 1.1.1991 geltende Staatsangehörigkeitsrecht enthält im Unterschied zur traditionellen Praxis Regelungen, die insbesondere die Einbürgerung von zwei Gruppen erleichtern sollen: die der 1955-1973 angeworbenen Ausländer und ihrer Familien, die seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik leben, und die ihrer Kinder und Kindeskinder, die zum größten Teil in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Damit ist ein erster und wesentlicher Schritt getan worden, um die Einbürgerung für diese wichtige Gruppe von einem Ausnahmefall zu einem Regelfall und von einem Gnadenakt zu einem Rechtsanspruch zu machen.

Die Einbürgerungszahlen sind trotz einer gewissen Steigerung gleichwohl bis heute im internationalen Vergleich niedrig geblieben, soweit sie sich auf die im Lande ansässigen „Ausländer" beziehen. Nach der Wiedervereinigung ist im Gegenteil die Zahl der Ausländer erneut stark angestiegen, sie beträgt 1995 sieben Millionen. Immer noch wächst statistisch die Zahl der ständigen Einwohner ausländischer Staatsangehörigkeit, obwohl die soziale Integration fortschreitet. Allein die Normalisierung der Altersstruktur der Bevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit würde die Zahl der „Ausländer" in Deutschland noch einmal um etwa drei Millionen ansteigen lassen.

Tabelle 1: Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland

31.12 1990

5.342,5 Mio. Ausländer

6,7%

31.12 1991

5.882,3 Mio. Ausländer

7,3%

31.12 1992

6.495,8 Mio. Ausländer

8,0%

31.12 1993

6.878,1 Mio. Ausländer

8,5%

31.12 1994

6.990,0 Mio. Ausländer

8,6%

Es leben in Deutschland 1,359 Mio. Ausländer, die in Deutschland geboren wurden.

Quelle: Ausländerzentralregister.

Nach der bekannten Begriffsbildung des englischen Politikwissenschaftlers T.H. Marshall kann man politische, wirtschaftliche und soziale Bürgerrechte unterscheiden. Historisch sind seiner Meinung nach zuerst politische Bürgerrechte erworben worden, es folgten soziale und wirtschaftliche. Die heutige Situation der dauernd niedergelassenen Ausländer in Deutschland, insbesondere aus den ehemaligen Anwerbeländern und aus der Europäischen Union, stellt diese klassische Abfolge auf den Kopf. Wir können konstatieren, daß die ökonomische und soziale Verankerung der ehemaligen Anwerbe-Ausländer vergleichsweise befriedigend und stabil ist. Sie gehören zu großen Teilen zur Kernbelegschaft der deutschen Wirt-schaft, sie arbeiten lange Zeit in ihren Betrieben (Spanier im Schnitt zehn Jahre), sie leiden weniger unter Arbeitslosigkeit als vergleichbare Gruppen in anderen Ländern und ihre soziale Situation ist weitgehend mit der der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer insgesamt vergleichbar, [Vgl. Dietrich Thränhardt u.a. Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-West falen. Die Lebenslage der Menschen aus den ehemaligen Anwerbeländern und die Handlungsmöglichkeiten der Politik, Düsseldorf 1994 (Landessozialbericht Bd. 6, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) dessen Ergebnisse mit einigen Einschränkungen vor allem im Schulbereich auf die anderen Bundesländer weitgehend übertragbar sind. Die Ergebnisse sind mit denen der beiden Untersuchungen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Situation 1980 und 1985 kompatibel und zeigen eine deutliche Weiterentwicklung in Richtung auf Integration. Eine kurze Zusammenfassung vgl. in: Dietrich Thränhardt, Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35, 25.8.1995, S. 3-13.] was angesichts einer Rekrutierungsgeschichte, die den Angeworbenen zunächst in erster Linie die nicht durch Deutsche besetzbaren Arbeitsplätze zuwies, als Erfolg bezeichnet werden kann.

Verantwortlich dafür ist vor allem die Arbeitsenergie der Einwanderer, die für die deutsche Wirtschaft ein flexibles Potential an Arbeitskräften bedeuteten, mit dem Lücken und Spitzen in der Produktion abgedeckt werden konnten. Verantwortlich ist aber auch die weitgehend inklusive und mitgliedschaftliche Konstruktion der deutschen Sozialgesetzgebung, die zudem aufgrund des EU-Rechts in Richtung auf Gleichberechtigung ständig überprüft, verbessert und vom Europäischen Gerichtshof überwacht wird. Diese Rechtsprechung bezieht sich auch auf die Assoziationsverträge mit der Türkei.

Die gleichwohl bestehenden sozialen Defizite hängen überwiegend mit der fehlenden Staatsangehörigkeit zusammen. Dies gilt ganz deutlich für die Behinderung fast jeglicher Art von Beschäftigung im öffentlichen Dienst, insbesondere in Beamtenberufen, es hat auch große Bedeutung bei der Lehrstellenvermittlung und bei sozialen Diskriminierungsprozessen in allen Lebensbereichen, bei denen Nationalität ein einfaches und naheliegendes Unterscheidungskriterium ist. Schließlich gilt es auch für die gesamte politische Sphäre, in der die Ausländer Objekte, aber nicht Subjekte sind. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland bei den sozialen und ökonomischen Rechten und der Lebenslage von Einwanderern vergleichsweise positiv ab, nicht jedoch bei der Einbürgerung und den politischen Rechten. Nach wie vor sind die deutschen Einbürgerungsraten – die Einbürgerungen bezogen auf die Zahlen der ansässigen Bevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit – die niedrigsten im westlichen Europa. Die beiden anderen westeuropäischen Länder, die in der Vergangenheit sehr niedrige Einbürgerungsraten hatten, sind Belgien und die Schweiz. Beide haben sich inzwischen auf die partielle Akzeptanz von Doppelstaatsangehörigkeit umgestellt. Belgien hat daraufhin 1992 eine sprunghafte Zunahme der Einbürgerungen verzeichnet, für die Schweiz ist dies vorauszusehen. [OECD, Trends in International Migration. Continuous Reporting System on Migration, Annual Report 1994, Paris 1995, S. 158; Rainer Bauböck/Dilek Cinar, Briefing Paper: Naturalization Policies in Western Europe, in: West European Politics, 17. Bd. 1994, Heft 2, S. 192-196.] Ganz andere Dimensionen hat die Einbürgerung in den USA, wo seit 1986 dreieinhalb Millionen Einwanderer eingebürgert worden sind und im Frühjahr 1995 allein in der Stadt Los Angeles 2.500 Einwanderer pro Tag die Einbürgerung beantragt haben [Frank Petrikowski, Ethnische Diversität und politische Partizipation in der Region Los Angeles, Arbeitspapier Institut für Politikwissenschaft, WWU Münster. Vgl. dort auch den Text von Proposition 187, der nichtregistrierten Einwanderern grund legende soziale Rechte abzuerkennen versucht.] – Ergebnis einer Situation, die der in Deutschland entgegengesetzt ist: einerseits gute Einbürgerungsmöglichkeiten, andererseits die Drohung mit dem Entzug grundlegender Menschenrechte für Nicht-Bürger in Kalifornien.

In Deutschland selbst zeigt die Einbürgerungspraxis für die Aussiedler, die zunächst vielfach weniger Sprach- und Landeskenntnisse besitzen als die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland ansässige Einwanderer-Bevölkerung, daß Einbürgerung einen wesentlichen und positiven Beitrag zur Integration in die Gesellschaft leistet. Schon nach wenigen Jahren und spätestens in der folgenden Generation gehen die Aussiedler in der deutschen Bevölkerung auf. Sie haben zwar im einzelnen durchaus soziale Probleme, etwa stärkerer Obdachlosigkeit, treten aber nicht als abgegrenzte und definierbare Gruppe in Erscheinung. Dies gilt auch für die Oberschlesier und ähnliche Gruppen im früheren deutschen Staatsgebiet östlich der Oder und Neiße, denen in den letzten Jahren in hunderttau-senden von Fällen problem- und geräuschlos deutsche Pässe unter Belassung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit ausgestellt worden sind.

Der geringe Einbürgerungswille in Deutschland speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Am sichtbarsten ist die Fremdenfeindlichkeit. Sie gilt heute nicht mehr als respektabel, existiert aber weiterhin. Ein zweiter Faktor ist das Fortwirken alter juristischer Doktrinen und Verwaltungspraktiken aus der Zeit des Nationalismus, die auch gegen den expliziten Gesetzestext und den schriftlich geäußerten Willen von Ministern eine pièce de resistance bilden. Dies hängt auch damit zusammen, daß auch nach fünf Jahren Novellierung des Ausländergesetzes neue Einbürgerungs-Richtlinien des Bundes fehlen, was vielfach zur Orientierung an den alten Richtlinien führt, von denen das neue Gesetz ausdrücklich abweicht. Eine dritte Quelle ist paradoxerweise der verbreitete Geist der Entwertung des Nationalstaats und des Gefühls eines „postnationalen" Zeitalters (Bracher), der mit der Konsequenz des Nichtstuns einhergeht und so faktisch an der Nichtintegration der Zuwanderer festhält. Verbunden ist dies vielfach mit einem einseitigen Negativismus in bezug auf die deutsche Geschichte, in dem es sich allerdings behaglich leben läßt. Diese Art negative Identität kontrastiert mit dem übersteigerten türkischen Nationalismus, der täglich über die türkischen Medien reproduziert wird und es Jugendlichen türkischen Herkunft schwer macht, eine positive Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit zu treffen. Schließlich ist auch die deutsche Variante des Multikulturalismus zu nennen, die vielfach eine permanente Verschiedenheit nationaler Kulturen auf deutschem Boden impliziert, faktisch im Allgemeinen an der Staatsangehörigkeit festgemacht wird und eine kulturalistische Ausgrenzung zur Folge hat, die über den Umweg der Stereotypisierung des Anderen schließlich auch zu einem eigenen integralen Nationalismus zurückführt. Nicht umsonst berührt sich dieser Typ des Multikulturalismus konzeptionell mit dem Ethnopluralismus. [Kritisch dazu Frank-Olaf Radtke, Multikulturell, erscheint Köln 1996. Vgl. auch den vielsagenden Untertitel in Claus Leggewies programmatischer Schrift „Multi Kulti. Spielregeln für die Vielvölkerrepublik", Berlin 1990. Ebenso für die USA Yehudi Webster, „Muliculturalism", Los Angeles 1994.]

Die Wiedergewinnung einer weitgehenden Identität von Staatsbürgern und Einwohnern in der Bundesrepublik Deutschland, die durch die wider-sprüchliche Einwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte auseinandergefallen ist, ist ein wesentliches demokratisches Erfordernis. Hauptquelle der Vergrößerung der Zahl der Ausländer waren in den letzten Jahrzehnten Millionen von Geburten von „Ausländern". Hinzu kam die Zulassung der zweithöchsten Einwanderung in der Welt nach den USA mit einem Höhepunkt in den Jahren 1989-1993. Zur Einbürgerung gibt es keine Alternative. Theoretisch wäre zwar die Wiederherstellung der Identität auch durch eine Zwangsausweisung der Ausländer erreichbar. Dies ist aber nur in xenophoben Wahlkampfauftritten bisweilen gefordert, aber nie ernsthaft angestrebt worden, sogar von einem so wenig integrationsfreundlichen Politiker wie dem ehemaligen Innenminister Zimmermann. [Vgl. Dietrich Thränhardt, Die Bundesrepublik Deutschland – ein unerklärtes Einwanderungsland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 24, 10.6.1988. Vgl. zu Zitaten des damaligen Oppositionsführers Kohl FR 203, 3.9.1982, zur Garantie des Verbleibs durch Innenminister Zimmermann FAZ 280, 3.12.1982.] Es widerspricht der europäischen Zusammenarbeit und damit auch wesentlichen deutschen Eigeninteressen. Angesichts der langen Immigrationsgeschichte und der faktischen Eingliederung der Einwanderer in die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft wäre die Einbürgerung zugleich ein gewisser Abschluß der Integration für wichtige Gruppen.

Einbürgerung ist abschließender und weitergehender als jede andere Maßnahme. Dies gilt insbesondere im Vergleich mit dem kommunalen Wahlrecht, das für sich allein immer nur zweitrangig bleiben muß und nur in Verbindung mit offenen Einbürgerungsmöglichkeiten einen wichtigen Stellenwert als Integrationsstufe hat. Charakteristisch für die Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang ist die in der neuen bayerischen Gesetzgebung dazu vorgesehene Differenzierung zwischen den Deutschen, die automatisch eine Wahlbenachrichtigung bekommen und den wahlberechtigten anderen EU-Bürgern, die die Wahlberechtigung Monate vorher besonders beantragen müssen. Im Effekt käme damit – wie bei den Europawahlen 1994 – eine Wahlbeteiligung von nur ein bis zwei Prozent zustande. [Staatsregierung soll Blockade-Politik aufgeben, in: Süddeutsche Zeitung 113, 17.5.1995.] Solche differenziellen bürokratischen Schikanen erinnern an die Praxis der amerikanischen Südstaaten vor der Bürgerrechtsbewegung.

Noch stärker gilt der Vorrang der Einbürgerung gegenüber Sekundärmaßnahmen wie der Schaffung von Ausländerbeiräten. [Dietrich Thränhardt, Gewählte Ausländervertreter im Ratsausschuß – die zweitbeste Lösung, solange es kein kommunales Wahlrecht gibt, in: HDF meint. Hrsg. von der Föderation progressiver Volksvereine in Europa (HDF), Heft 5, S. 6-9.] Wenn es auch durchaus sinnvoll sein kann, kommunale Ausländerausschüsse einzurichten, so besteht doch zwischen der Direktwahl solcher Quasiparlamente mit hohem Aufwand und ihrer mangelnden Entscheidungsbefugnis ein Mißverhältnis. Darüber hinaus separieren getrennt gewählte Beiräte die ausländische Bevölkerung vom politischen Prozeß des Landes, da die Listenaufstellung nach Herkunftsgesichtspunkten erfolgt und sich nicht auf die deutsche Parteienlandschaft bezieht. Insofern können die Beiräte isolierende Wirkungen haben, wie es sich bei den jüngsten Wahlen zu den Ausländerbeiräten in Nordrhein-Westfalen gezeigt hat. Besonders bezeichnend war dabei auch die geringe Beteiligung, die in einem Mißverhältnis zu dem großen politischen Interesse steht, das sich bei Umfragen, bei Wahlen in den Heimatländern und auch bei den relevanten Wahlen unter Beteiligung von Ausländern etwa in den Niederlanden und in Schweden zeigt.

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2. Die Einbürgerungsbereitschaft der Ausländer in Deutschland

Die funktionelle Integration der Einwanderer drückt sich auch in einem hohen Grad des Wunsches nach Einbürgerung aus. Mehr als die Hälfte der Ausländer aus Anwerbe-Staaten streben sie an – trotz einer Tradition, in der auf allen Seiten über Jahrzehnte „Gastarbeiterdenken" und „Illusion der Rückkehr" vorherrschten und in der immer die Entsendestaaten für die Migranten zuständig blieben. Fragt man nach dem Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft, so antworten mehr als die Hälfte der Einwanderer positiv, zwischen 1992 und 1993 ist dieses Interesse wesentlich gewachsen. [Die Daten in diesem Kapitel nach Thränhardt u.a., Ausländerinnen und Ausländer, S. 220ff.]

Tabelle 2:
Interesse an der deutschen Staatsangehörigkeit nach Alter
[Die Umfragen 1993 wurden kurz nach dem Anschlag von Solingen durchgeführt.]

Sehr oder etwas interessiert am Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft


Prozent
1993

Veränderung zu
1992

16 bis 18 Jahre

64,0

–6,1

19 bis 25 Jahre

61,5

+12,6

26 bis 34 Jahre

54,3

+7,9

35 bis 44 Jahre

51,2

+5,8

45 bis 54 Jahre

38,9

+1,2

55 bis 64 Jahre

34,2

+5,0

65 Jahre und älter

/

/

Gesamt (alle Befragten)

51,7

+6,7

Quelle: Marplan 1993. Eigene Berechnungen. Raumbezug: Bundesgebiet (West).

Intelligenz System Transfer Münster

Zwischen den Altersgruppen zeigen sich dabei starke Unterschiede. Die jungen Ausländerinnen und Ausländer wollen sich zu zwei Dritteln einbürgern lassen, bei den Älteren – der „ersten Generation" – ist es nur eine Minderheit. In den letzten Jahren hat sich eine wesentliche Veränderung in Richtung auf den Wunsch nach deutscher Staatsangehörigkeit vollzogen.

Wesentliche Differenzen zeigen sich auch zwischen den verschiedenen Nationalitäten. EU-Angehörige zeigen ein deutlich geringeres Interesse an Einbürgerung als Staatsbürger der Türkei und der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Dies fügt sich in das Bild, das sich auch bei der Analyse der Rückwanderung und der finanziellen Transfers in die Herkunftsländer zeigt. [Vgl. Thränhardt u.a., Ausländerinnen und Ausländer, S. 128-131.] Rückwanderung in die südlichen EU-Länder mit ihren dynamischen Ökonomien und ihrer aus demographischen Gründen schrumpfenden Bevölkerung ist vielfach eine reale Option. Rückwanderung in die Türkei und nach Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Rest-Jugoslawien dagegen weit weniger. Mit diesen Unterschieden korrespondiert auch der Altersaufbau: die EU-Gruppen altern zunehmend, während bei den jüngeren Altersgruppen zahlenmäßig die türkischen Staatsangehörigen überwiegen.

Abbildung 1:
Interesse an deutscher Staatsbürgerschaft

Die gravierende Diskrepanz zwischen den vielen, die in Umfragen Interesse an der deutschen Staatsangehörigkeit zeigen und der geringen Zahl von nur 1,1%, die tatsächlich eine Einbürgerung beantragt haben, führt zu der Frage, welche Gründe trotz vorhandenen Interesses einer Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeit entgegenstehen. Die Befragten konnten mehrere Gründe angeben. Es handelte sich um Befragte, die „sehr" oder „etwas" Interesse zeigten.

Abbildung 2:
Trotz Interesse keinen Antrag gestellt

Die meist genannte Begründung (37,4%) war die Kompliziertheit des Verfahrens. Gespräche mit Betroffenen machen ergänzend deutlich, daß die Zahl der Unterlagen und Dokumente, die mehrjährige Dauer des Verfahrens und die Anzahl der befaßten Instanzen als besonders hinderlich empfunden werden.

An zweiter Stelle stand die Begründung, das Verfahren sei zu teuer, sie wurde von jedem fünften Befragten angeführt. Mit den Realitäten stimmt dies nicht mehr überein, da inzwischen die Verfahrenskosten auf maximal 500 DM bzw. 100 DM reduziert worden sind. Dies ist auch im Kontrast zu den hohen Gebühren zu sehen, die etwa der türkische Staat von seinen Staatsangehörigen im Ausland erhebt, insbesondere für den Freikauf von der Wehrpflicht. Wenig informiert ist offensichtlich auch das Viertel der Befragten, das über die Einbürgerung noch nicht nachgedacht hat oder nicht wußte, daß sie möglich ist. Der gleiche Grund dürfte auch bei den Befragten bestehen, die wirtschaftliche Nachteile befürchten. [Dies gilt auch für die türkischen Staatsangehörigen. Die in der deutschen Öffentlichkeit verbreitete Meinung, daß ausgebürgerte ehemalige Türken kein Erbrecht in der Türkei hätten, ist falsch. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen sind schon vor langer Zeit abgeschafft worden, und zwar im Zusammenhang mit dem Übergang der Türkei zur Marktwirtschaft und zur internationalen Öffnung (Aus kunft des türkischen Generalkonsulats Münster und des Max-Planck-Instituts für vergleichendes Recht Heidelberg). Im Sommer 1995 ist die türkische Gesetzgebung weiter liberalisiert worden.] Somit sind Informationsdefizite ein Hauptgrund für mangelnde Antragstellung von seiten der „Ausländer".

Abbildung 3:
Warum kein Interesse an der Staatsbürgerschaft?

Bei der Gruppe der an der deutschen Staatsbürgerschaft Interessierten erscheint die Begründung, man wolle die eigene Staatsangehörigkeit nicht verlieren, nur bei jedem siebten Befragten (15,4%). Anders ist dies erklärlicherweise bei der zweiten Gruppe von Befragten, die nach eigener Aussage kein Interesse an einer Einbürgerung hat. In dieser Gruppe begrün-den 55,1% ihre Ablehnung mit dem Argument, ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten zu wollen. 27,6% erklären, kein Deutscher werden zu wollen. Ein Viertel der Befragten meinte, die Einbürgerung bringe ihnen nichts. 5,5% befürchteten wirtschaftliche Nachteile. Die bei der Pro-Gruppe zentralen Erklärungen über ein zu kompliziertes Verfahren, wirtschaftliche Nachteile und (nicht vorhandene) zu hohe Kosten werden bei der Kontra-Gruppe nur von 5,7% der Befragten angeführt.

Fragt man allerdings diese Gruppe der zunächst Ablehnenden, ob sie an einer doppelten Staatsangehörigkeit interessiert seien, so optiert beinahe jeder zweite von ihnen für diese Möglichkeit. 18,2% bekundeten sehr großes Interesse. Doch nicht nur in der Kontra-Gruppe zeigt sich starkes Interesse an einer doppelten Staatsangehörigkeit. Auch drei Viertel der ursprünglichen Pro-Gruppe bevorzugten diese Möglichkeit.

Abbildung 4:
Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft in Deutschland (West) – Personen über 16 Jahre aus den ehemaligen Anwerbeländern 1993

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Befragung, daß die doppelte Staatsangehörigkeit bei der großen Mehrheit der Befragten auf Interesse stößt. Die Bemühungen um weitere gesetzliche Erleichterungen in dieser Richtung treffen auf ein Bedürfnis. Bei einer Gruppe, die seit Jahrzehnten in Deutschland gerade über ihre andere Staatsangehörigkeit definiert worden ist und seit 1980 meist als Ausländer bezeichnet wird (vorher umgangssprachlich „Gastarbeiter", offiziell „Ausländische Arbeitnehmer"), ist das Festhalten an der alten Staatsangehörigkeit verständlich, zumal nach den Kampagnen und Gewalttaten der letzten Jahre. In Verbindung damit ist auch die Tatsache wichtig, daß Staatsangehörigkeit oft mit Sprache, Religion, Lebensweise und Identität verknüpft wird.

Die oben konstatierte Diskrepanz zwischen Einbürgerungsinteresse und Vollzugsdefizit ist besonders bei der Gruppe deutlich, die nur für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert. Das waren 3%.

Abbildung 5:
Deutsche oder doppelte Staatsangehörigkeit

Unschwer kann man diese Aussage interpretieren. Einige Einwanderergruppen haben von ihren Herkunftsstaaten nichts Positives zu erwarten und sehen dort keine Perspektive. Man denke nur an die Gruppe der Christen aus dem Südosten der Türkei, die als nichtislamische und nichttürkischsprachige Gruppe unter Druck standen und deren Heimatregion durch einen Bürgerkrieg zerrissen wird, ohne daß eine Besserung abzusehen wäre. Für die Lebenslage dieser Gruppen brächte die Einbürgerung entscheidende Vorteile: Sicherheit, eine Möglichkeit der Zugehörigkeit und Perspektive. Daß es bisher selbst für diese Gruppen nicht gelungen ist, eine höhere Einbürgerungsrate zu erreichen, ist ein gravierendes Defizit. Dabei geht es insbesondere um die Frage der Zumutbarkeit von Entlassungsbemühungen bei repressiven Heimat-Regimen und den zeitlichen Ablauf.

Befragt nach der Zukunftsoption gaben nur jeder siebente Ausländer bzw. jede siebente Ausländerin an, mit Sicherheit in sein Herkunftsland zurückkehren zu wollen. Dabei liegen die Rückkehrpläne vielfach nicht in unmittelbarer Nähe, sondern erstrecken sich auf einen weiter in der Zukunft liegenden Zeitraum. Über die Hälfte derjenigen, die in ihr Herkunftsland zurückgehen wollen, gaben an, vorher noch mindestens sechs Jahre in der Bundesrepublik verbringen zu wollen. Frühere Befragungen im sozioökonomischen Panel ergeben zudem, daß ein großer Teil der Interviewten die Rückkehrabsicht letztlich nicht realisiert.

Differenziert nach Nationalitäten geben vor allem die Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien an, möglichst lange in Deutschland bleiben zu wollen. 53,7% von ihnen sahen 1993 ihre Lebensperspektive in der Bundesrepublik. Angesichts des fortdauernden Krieges und der unsicheren Lebenssituation in ihren Heimatstaaten ist diese Entwicklung wenig verwunderlich. Daher spielt der Umstand, durch die Nicht-Mitgliedschaft in der EU nach einer Ausreise keine freiwillige Rückkehroption zu haben, wohl besonders für diese Personengruppe eine wesentliche Rolle bei der Zukunftsplanung.

Mit dem Wunsch, so lange wie möglich in Deutschland zu bleiben, beziehen mit 49,6% bzw. 49,2% die aus Italien und der Türkei eingewanderten Befragten auf der nach Nationalitäten geordneten Skala eine Mittelposition. Den Schluß bilden mit deutlichem Abstand die Griechen mit 40,2% sowie die Spanier mit 39,3%. Diese Verteilung entspricht den unterschiedlichen realen Rückkehrraten.

Abbildung 6: Zukunft in Deutschland

Vergleicht man die einzelnen Nationalitäten nach ihrer Altersstruktur, so wird der Zusammenhang mit den Rückkehroptionen sehr deutlich. So sind 38,2% der Spanier mehr als 45 Jahre alt. [Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes 1993, bezogen auf Dezember 1990.] Analog dazu bilden sie auch die kleinste Gruppe derjenigen, die so lange wie möglich in Deutschland bleiben wollen. Einen deutlich geringeren prozentualen Anteil der über 45jährigen gibt es unter den Einwanderern aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und aus Italien mit jeweils 29,1% sowie aus Griechenland mit 29,0%, den niedrigsten Anteil aus der Türkei mit nur 18,3%.

Bei den Einwanderern aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien steht der relativ hohe Anteil der über 45jährigen in deutlicher Diskrepanz zu dem hohem Wunsch nach einem dauerhaften Aufenthalt. Bei dieser Gruppe ist jedoch anzunehmen, daß die Beweggründe für die fehlende Absicht, ins Herkunftsland zurückzukehren, unabhängig von demographischen und berufsstrukturellen Faktoren sind. Krieg, Bürgerkrieg und Unterdrückung in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Rest-Jugoslawien sind entscheidender als soziostrukturelle Faktoren.

Bei dem Versuch, die konstatierte Rückkehrbereitschaft der einzelnen Befragten in einen statistischen Zusammenhang mit deren jeweiligem Aufenthaltsstatus zu bringen, konnten keine Korrelationsbeziehungen festgestellt werden. Ein bezeichnendes Licht auf die widersprüchliche Situation wirft die Tatsache, daß sich auch unter den dauerhaft in Deutschland lebenden Personen noch jeder Fünfte ernsthafte Sorgen um seinen Aufenthaltsstatus macht. Damit wird besonders deutlich, wie notwendig die Schaffung einer vollständigen und definitiven Integrationsmöglichkeit ist, die ein gesichertes Aufenthaltsrecht und die Möglichkeit zur politischen Partizipation ebenso einschließt wie die Möglichkeit der Identifikation.

Abbildung 7:
Einbürgerungen in Deutschland 1973 bis 1991 nach Rechtsgrundlagen

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3. Die Rechtslage und das Verfahren

Bis 1990 bildete das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) vom 22. Juli 1913, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.6.1993, die einzige Grundlage für Einbürgerungen. Erfolgt eine Einbürgerung nach § 8 RuStAG, so muß der Antragsteller unbeschränkt geschäftsfähig sein, einen unbescholtenen Lebenswandel führen, eine eigene Wohnung oder Unterkunft nachweisen und seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Das Gesetz selbst enthält – entgegen vielfach in der Öffentlichkeit verbreiteten Vorstellungen [Vgl. z.B. die Rede Richard von Weizsäcker in Oldenburg, abgedruckt in Die Zeit 11, 10.3.1995.] – keine Bestimmungen über eine Mindest-Anwesenheitsdauer, über sprachliche, kulturelle oder gar ethnische Voraussetzungen und auch kein Verbot der Doppelstaatsangehörigkeit. Derartige restriktive Festlegungen, einschließlich der Formulierung, Deutschland sei „kein Einwanderungsland", sind in den zwischen Bund und Ländern abgestimmten „Einbürgerungsrichtlinien" enthalten, deren rechtlicher Rang sich auf ein schlichtes „Rundschreiben des Innenministers" beschränkt. Auf Inhalt und Relevanz wird weiter unten eingegangen. Einbürgerungsinstanz ist „der Bundesstaat, in dessen Gebiet die Niederlassung erfolgt ist" (§ 8 Abs. 1 RuStAG), nach heutiger Terminologie also das Bundesland.

Der 1989 vorgelegte SPD-Entwurf sollte den Kindern eingewanderter Eltern, von denen bereits mindestens ein Elternteil ebenfalls in der Bundesrepublik geboren wurde („dritte Generation"), die deutsche Staatsbürgerschaft per Gesetz automatisch verliehen werden. Doppelstaatsangehörigkeit sollte dabei durch die Möglichkeit eines Ausschlagungsrechts vermieden werden können. Diese Automatik entspricht der langjährigen französischen Rechtstradition. [Dazu im einzelnen Rogers Brubaker, Staats-Bürger. Frankreich und Deutschland im historischen Vergleich, Hamburg 1994, S. 121-155.] Auch Nordrhein-Westfalen und der Bundesrat machten entsprechende Vorschläge. Der Alternativvorschlag der Grünen ging noch weiter. In ihm wurde ein Einbürgerungsanspruch unabhängig von der Beibehaltung oder der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit für alle Einwanderer vorgesehen, die sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten. Dies entspricht der schwedischen Regelung. Somit wurde auf parlamentarischer Ebene deutlich vom Prinzip grundsätzlicher Vermeidung von Mehrstaatigkeit abgerückt.

Diese Überlegungen bezüglich einer erleichterten Einbürgerung junger Einwanderer wurden schließlich partiell in die Novellierung des Ausländergesetzes aufgenommen. Für die Gruppen der Anwerbe-Ausländer und die Gruppe der Kinder dieser Einwanderer wurde spezielle Möglichkeiten einer erleichterten Einbürgerung geschaffen.

Das zum 1.1.1991 in Kraft getretene Ausländergesetz beinhaltet in den §§ 85 und 86 einen an bestimmte Voraussetzungen gebundenen Regelanspruch für die genannten Gruppen, der als Ergebnis des Parteienkompromisses vom 6.12.1992 zum 1.7.1993 in einen Rechtsanspruch umgewandelt wurde. [Dazu Günter Renner, Verhinderung von Mehrstaatigkeit bei Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit, in: ZAR 1/1993, S. 19/20.]

Danach besteht ein Anspruch auf Einbürgerung für

• Ausländer zwischen 16 und 23 Jahren mit einem achtjährigen Mindestaufenthalt und einem mindestens sechsjährigen Schulbesuch in der Bundesrepublik Deutschland, außer wenn sie strafrechtlich verurteilt worden sind.

• Ausländer mit einem auf Dauerhaftigkeit angelegten Mindestaufenthalt von 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, die ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten können, außer wenn sie strafrechtlich verurteilt worden sind.

Für beide Gruppen gilt zusätzlich die Forderung nach Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit. Im Unterschied zur bisherigen Praxis werden keine Deutschkenntnisse mehr überprüft, da man davon ausgeht, daß Ausländer nach 15 Jahren Aufenthalt bzw. nach mindestens sechsjährigem Schulbesuch die deutsche Sprache beherrschen. Die Anforderungen an den „straffreien Lebenswandel" sind ebenfalls geringer als nach der bisherigen Praxis, „Jugendsünden" sollen nicht unbedingt angerechnet werden. Höher ist allerdings die Mindest-Aufenthaltszeit von fünfzehn Jahren, mit der auf die Zielgruppe Anwerbe-Ausländer abgestellt wird.

Die relevanteste Neuerung ist die Umwandlung von einem Regelanspruch in einen Rechtsanspruch für die beiden genannten Gruppen seit dem 1.7.1993. Dies gilt jedoch nicht für Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 2 (wenn der Heimatstaat zunächst die Ableistung der Wehrpflicht verlangt). Hier besteht eine „kann"-Bestimmung und die Landesregierungen haben einen breiten Ermessensspielraum. Gleiches gilt für die Miteinbürgerung von Ehegatten oder minderjährigen Kindern von Ausländern, die sich noch nicht seit 15 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten (§ 86 Abs. 2). Für sie gelten verkürzte Mindestaufenthaltszeiten. Bereits nach den „Richtlinien" von 1977 ist dies entsprechend für Asylberechtigte (sieben Jahre), für Ehegatten von Deutschen (drei Jahre) und für Hochleistungssportler und andere Personen von herausragendem Interesse für die Bundesrepublik geregelt. Diese können sofort und gegebenenfalls unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden. Letzteres ist, wie das Beispiel des innerhalb weniger Wochen eingebürgerten heutigen CSU-Abgeordneten Dr. Otto Habsburg-Lothringen zeigt, im Einzelfall auch im politischen Raum nichts Neues.

Die Kosten für das Verfahren – früher 5.000 DM – wurden radikal gesenkt und betragen jetzt bei Einbürgerung nach dem Ausländergesetz 100 DM, nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz 500 DM.

Die in § 87 AuslG vorgesehene Ausnahmeregelung zur Einbürgerung auch unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist an Mindestvoraussetzungen geknüpft, die inhaltlich nur geringfügig von denen in den Einbürgerungsrichtlinien bezüglich der §§ 8 und 9 RuStAG abweichen. Somit bedeutet sie gegenüber der vorherigen Einbürgerungspraxis keine grundsätzliche Erleichterung.

§87. Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit.

(1) Von der Voraussetzung des §85 Nr. 1 und des §86 Abs. 1 Nr. 1 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist anzunehmen, wenn

1. das Recht des Heimatstaates das Ausscheiden aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht,

2. der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit regelmäßig verweigert und der Ausländer der Einbürgerungsbehörde einen Entlassungsantrag zur amtlichen Weiterleitung an seinen Heimatstaat übergeben hat,

3. der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit willkürhaft versagt oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat,

4. bei Angehörigen bestimmter Personengruppen, insbesondere politischen Flüchtlingen, die Forderung nach Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit eine unzumutbare Härte bedeuten würde.

(2) Von der Voraussetzung des §85 Nr. 1 und des §86 Abs. 1 Nr. 1 kann abgesehen werden, wenn der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig macht und wenn der Ausländer den überwiegenden Teil seiner Schulausbildung in deutschen Schulen erhalten hat und im Bundesgebiet in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen ist.

Nach der Gesetzesänderung von 1991 wuchs die Zahl der Anträge und es entstanden Antragsstaus bzw. Engpässe bei der Bearbeitung. [Interview mit dem Landesinnenministerium am 18.5.1995.] In Nordrhein-Westfalen setzte das Innenministerium eine spezielle Arbeitsgruppe ein, um den Aktenberg wieder abzutragen. Außerdem wurden im Zusammenhang mit den Gesetzesänderungen in den letzten Jahren Zuständigkeitsverlagerungen in der Verwaltung vorgenommen. Bis 1993 waren in Nordrhein-Westfalen die Regierungspräsidenten und der Innenminister für Entscheidungen über Einbürgerung zuständig. Als 1993 in weiteren Kategorien die erleichterte Einbürgerung in einen Rechtsanspruch umgewandelt wurde und somit der Ermessensspielraum wegfiel, wurde die vollständige Bearbeitung der Einbürgerungsanträge mit Rechtsanspruch den Kommunen übertragen. Trotz stark gestiegener Zahlen von Anspruchseinbürgerungen konnte die Bearbeitungsdauer auf Grund der Dezentralisierung gering gehalten werden. Im Moment beträgt sie bei eindeutigen Fällen nach Auskunft des Regierungspräsidenten in Münster nicht mehr als maximal 6 Monate, im Durchschnitt sogar nur 3-4 Monate. [Interview beim Regierungspräsidenten Münster am 4.5.1995.] In Berlin fand im letzten Jahr eine entsprechende Aufgabenübertragung von der Zentralverwaltung auf die Bezirksämter statt, die die Einbürgerungsverfahren nach einer Anlaufphase beschleunigt hat. [Interview beim Senat für Inneres von Berlin am 31.5.95.]

Die Bearbeitungszeiten könnten weiter verringert werden, wenn Einbürgerungen der Familienangehörigen und bei Wehrpflichtigen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 2 ebenfalls durch die Kommunen erfolgen könnten. Dies würde bedeuten, das Ermessen des jeweiligen Bundeslandes und die Tatsachenfeststellung an die kommunalen Behörden zu delegieren.

Die gravierendsten Verzögerungen entstehen beim Nachweis der Entlassung aus der alten Staatsangehörigkeit. Dem Einbürgerungsbewerber wird dabei eine im Regelfall zweijährige, unter Umständen aber auch längere Wartefrist bei Entlassungsanträgen zugemutet, die seine Beharrlichkeit und die ablehnende Haltung seines Heimatstaates unter Beweis stellen sollen.

Handelt es sich um Einbürgerungen mit Ermessensspielraum, wie dies bei Miteinbürgerung der Familie, Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit und allen Einbürgerungen nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz der Fall ist, so ist noch immer der Regierungspräsident die Entscheidungsinstanz. Bei Problemfällen wird das Landesinnenministerium eingeschaltet. In bestimmten Fällen, wie bei der Einbürgerung von Iranern, beansprucht das Bundesinnenministerium grundsätzlich ein Zustimmungsrecht. Hierbei geht es um die Berücksichtigung des Schlußprotokolls eines Niederlassungsabkommens zwischen Deutschland und dem damaligen Kaiserreich Persien vom 17.02.1929, das die Einbürgerung im jeweils anderen Land von der Zustimmung der eigenen Regierung abhängig macht. Dieser Vertrag wird trotz der gravierenden politischen Veränderungen im Iran und der Orientierung des Grundgesetzes an der Menschenwürde und den Menschenrechten noch immer beachtet. Auch die Bundesländer halten sich trotz Protesten an diesen außenpolitischen Gesichtspunkt.

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4. Die quantitative Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland

Schaut man auf die Einbürgerungszahlen insgesamt, so ist die Bundesrepublik in den letzten Jahren nur von den USA übertroffen werden. Eingebürgert wurden aber nicht in erster Linie die seit Jahrzehnten hier lebenden Einwanderer, sondern Volksdeutsche aus Osteuropa. Am Ende des Kalten Krieges hat sich der Zuzug von Aussiedlern aus dem ehemaligen Ostblock zunächst sprunghaft erhöht, seit 1990 wurde er dann durch administrative Steuerungsmaßnahmen beschränkt. Die auf diese Weise

Tabelle 3:
Einbürgerungen nach Rechtsgrundlagen

erreichten De-Facto-Quoten von 1991 und 1992 dienten dann im Parteienkompromiß vom 6.12.1992 zur Orientierung, es wurden Aufnahmezahlen vereinbart, die pro Jahr zwischen 203.652 und 248.109 Personen betragen. Aussiedler haben, wenn sie den Bestimmungen über die deutsche Volkszugehörigkeit genügen und das komplizierte Verfahren durchlaufen haben, Anspruch auf Einbürgerung. Der Anteil dieser Anspruchseinbürgerungen von Volksdeutschen an allen Einbürgerungen stieg deswegen Anfang der neunziger Jahre nochmals stark an, während der Anteil der Ermessungseinbürgerungen anderer Ausländer absank.

Abbildung 8:
Einbürgerungen in Deutschland 1973 bis 1993 nach Rechtsgrundlagen

In den letzten acht Jahren hat sich die Gesamtzahl der Einbürgerungen im Bundesgebiet fast verdreifacht. Die Zahl der Ermessenseinbürgerungen und auch der Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist aber nicht entsprechend gewachsen. Prozentual hat sie sich im Vergleich zur Situation Mitte der achtziger Jahre auf weniger als ein Viertel verringert.

Den weitaus höchsten Anteil hatte sie 1975-1980, als Kinder aus Ehen deutscher Mütter mit ausländischen Vätern rückwirkend durch Erklärung die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten konnten.

Einbürgerungen von Anwerbe-Ausländern fallen, wie aus der vorstehenden Grafik und Tabelle ersichtlich ist, gegenüber den Einbürgerungen von Aussiedlern wenig ins Gewicht. Interessant ist allerdings, daß die vietnamesischen Kontingentflüchtlinge in Deutschland sich zu einem hohen Grad haben naturalisieren lassen. Für die Anwerbe-Ausländer dagegen ist Einbürgerung in Deutschland bisher weitgehend irrelevant gewesen. Zugrunde lag dem das Denken in vererbbaren nationalen Zugehörigkeiten und das erwähnte Rückkehrdenken, das lange Zeit für die Betroffenen ebenso wie für die Regierungen der Entsendeländer und die deutsche Regierung selbstverständlich war.

Seit der Umwandlung des Regelanspruchs in einen Rechtsanspruch im Juli 1993 bei der oben bezeichneten Gruppe der mehr als 15 Jahre Ansässigen ergibt sich eine veränderte Lage bei der statistischen Auswertung. Einbürgerungen dieser Art beruhen auf einem Anspruch und sind daher zum großen Teil mit den Anspruchseinbürgerungen für Volksdeutsche aus Osteuropa statistisch zusammengefaßt worden. Für 1993 sind die beiden Gruppen deswegen nicht mehr ganz sauber voneinander zu trennen. Die Zahl der Einbürgerungen der uns hier interessierenden Gruppe von ehemaligen Anwerbe-Ausländern und ihrer Familienangehörigen liegt also etwas höher als die in der Tabelle angegebene Anzahl der Ermessenseinbürgerungen. Eindeutig ist aber die Verschiebung des Schwerpunkts der Herkunftsländer aller Eingebürgerten zugunsten der Aussiedler aus Kasachstan, Rußland und anderen GUS-Ländern.

Bei den Ermessenseinbürgerungen stand 1993 die Türkei mit 12.071 eingebürgerten Personen an erster Stelle der Herkunftsländer. Ihr folgten die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien mit 3.946 und Polen mit 2.685 Eingebürgerten. Die Zahl der Einbürgerungen von EU-Bürgern lag weiterhin niedrig, die größte Gruppe bildeten 893 Italiener. Sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen hat sich die Anzahl der Ermessenseinbürgerungen im Zeitraum von 1990 bis 1993 immerhin verdoppelt. Die Einbürgerungsquote, also die Relation zwischen legal ansässigen Ausländern und Eingebürgerten, liegt mit 0,65% aber immer noch weit unter dem europäischen Durchschnitt.

Tabelle 4:
Ermessenseinbürgerungen im Bundesgebiet

In Deutschland leben zur Zeit sieben Millionen Ausländer, das sind 8,6% der Bevölkerung. Ohne Änderungen im Einbürgerungsverhalten bzw. im Staatsangehörigkeitsrecht würde sich der Ausländeranteil in Deutschland bis zum Jahr 2020 verdoppeln und dann bei etwa 20% liegen. Dabei ist die Gesamtzunahme der ausländischen Bevölkerung stärker auf die natürliche Bevölkerungszunahme als auf Zuwanderung zurückzuführen.

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5. Einbürgerungen im Vergleich zwischen den Bundesländern

Überraschend große Differenzen in der Einbürgerungspraxis zeigen sich zwischen den Bundesländern. Das Ausmaß dieser Unterschiede ist vor allem deswegen erstaunlich, weil die Rechtsgrundlagen für die Einbürgerung gleich sind. Obwohl die neuen Regelungen im Ausländergesetz von 1993 Rechtsansprüche auf Einbürgerung für lange hier lebende Ausländer und ihre Kinder schaffen, insofern den Ermessensspielraum der Behörden einengen und für mehr Einbürgerung sorgen sollen, sind die Differenzen in den letzten Jahren größer geworden.

Insgesamt ist die Einbürgerungsquote, d.h. die Relation zwischen Einbürgerungen und Ausländern, in fast allen Länder in den letzten Jahren gestiegen. Ausnahmen sind Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Berlin, deren Einbürgerungsquoten 1993 jeweils niedriger lagen als im Vorjahr. Für Berlin, das seit langer Zeit immer weitaus die höchsten Einbürgerungsraten hatte, gibt es dazu die Erklärung, daß Zuständigkeitsverlagerungen vorgenommen wurden und jetzt die Standesämter der Bezirke für Einbürgerungsangelegenheiten zuständig sind. Nachdem sich die neuen Verwaltungsabläufe eingespielt haben, sind die Zahlen 1994 und 1995 wieder rasch angestiegen.

Tabelle 5:
Ermessenseinbürgerungen und Einbürgerungsquoten*

Die ostdeutschen Länder wurden nicht in den Vergleich einbezogen, da dort die Struktur der ausländischen Bevölkerung eine grundlegend andere ist. Dies betrifft die Aufenthaltszeiten ebenso wie die Zahlen insgesamt. Der Anteil der Ausländer in den neuen Bundesländern liegt bei nur 1,5%. Für das Saarland lagen keine Daten vor, für Hessen und Baden-Württemberg lagen nur Daten für das Jahr 1993 vor. In diesen Fällen ist kein oder nur ein eingeschränkter Vergleich möglich. Im folgenden werden insbe-sondere die Werte in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin verglichen, da sie die ganze Bandbreite der Entwicklung abdecken. Berlin erreichte 1993 mit einer Einbürgerungsquote von 1,86% einen viereinhalb mal höheren Wert als Bayern, 1992 mit 2,29% sogar einen siebenfach höheren Wert als Bayern.

Abbildung 9:
Einbürgerungsquote der Bundesländer im Vergleich

In Bayern ist von dem Instrument der Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit außerordentlich wenig Gebrauch gemacht worden. Nur 9% der vom Gesetz definierten jungen Ausländer und 16% der Ausländer mit mehr als 15 Jahren Aufenthalt wurden unter Hinnahmen von Doppelstaatlichkeit eingebürgert. In Berlin hingegen wurde das neue Recht konsequent angewendet. Diese unterschiedliche Politik der Länder bei gleicher Gesetzeslage ist ein wesentlicher Grund für den extrem großen Unterschied zwischen den beiden Bundesländern.

Auch an dieser Stelle muß auf gewisse statistische Ungenauigkeiten verwiesen werden, da eingebürgerte Türken, die nur einen Antrag auf Entlassung aus ihrer alten Staatsbürgerschaft vorweisen müssen, in der Statistik der Bezirksämter oder Landesverwaltungen bis 1995 zum Teil als Einge-bürgerte unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingingen. Übergangsweise waren sie zunächst Doppelstaatler, aber der Aufnahme in die deutsche Staatsangehörigkeit sollte die Entlassung aus der türkischen folgen. Inzwischen haben sich die Länder darauf geeinigt, diese Gruppe in der Statistik einheitlich in der Kategorie Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu führen.

Tabelle 6:
Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach dem Ausländergesetz 1993

Bayern

NRW

Berlin

BRD

§ 85 und § 86

2.347

6.071

5.755

29.108

Hinnahme

342

2.979

5.017

13.082

Anteil

12,7%

32,9%

46,6%

31,0%

Quelle: Statistische Landesämter und eigene Berechnungen.

Die Überprüfung der Entlassung findet allerdings wegen des hohen Aufwandes nicht in allen Fällen statt. Außerdem scheint es für die große Gruppe der Türken kein Problem zu sein, schon kurz nach ihrer Entlassung die türkische Staatsangehörigkeit erneut zu erlangen, denn nach türkischem Staatsangehörigkeitsrecht ist die doppelte Staatsangehörigkeit inzwischen möglich. Der deutsche Kontrollaufwand läuft also leer.

In Nordrhein-Westfalen lagen interessanterweise 1993 die Einbürgerungszahlen für Staatsangehörige aus Afghanistan (662), Vietnam (539) und den Philippinen (391) deutlich über den Zahlen für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wie Griechenland (63), Italien (305), Portugal (60) und Spanien (77). Diese Tendenz läßt sich auch auf das gesamte Bundesgebiet übertragen. Da die Doppelstaatsbürgerschaft nur in Härtefällen zugelassen wird, insbesondere dann, wenn der Herkunftsstaat die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig macht, haben Einwanderer aus westeuropäischen Nationen sehr geringe Einbürgerungszahlen und die Einbürgerung geht auch generationenübergreifend fast ausschließlich über Geburten aus gemischten Ehen vor sich – dort allerdings wiederum mit hohen Raten. Diese Unterschiedlichkeit steht in einem augenfälligen Gegensatz zum Integrationsgrad die-ser Einwanderer und ihrer Einschätzung in der deutschen Öffentlichkeit – ein absurder nichtintendierter Effekt unseres gegenwärtigen Staatsangehörigkeitsrechts. Faktisch führt dies dazu, daß eher Angehörige aus Staaten mit repressiven Regimen die Chance haben, die doppelte Staatsangehörigkeit zu erlangen, während dies Staatsangehörigen der europäischen Demokratien kaum möglich ist – eine problematische Folge der deutschen Selbstbindung gegenüber der doppelten Staatsangehörigkeit.

Zum Zeitpunkt des Abfassens des Gutachtens lagen nur die Daten bis 1993 vor. Um die Auswirkungen der Gesetzesänderungen von 1993 besser einschätzen zu können, wäre es notwendig, die Zahlen für 1994 und 1995 heranzuziehen, da es erfahrungsgemäß ein bis zwei Jahre dauert, bis ein Gesetz umgesetzt wird. Wegen der Veränderungen in der statistischen Einordnung wird aber ein exakter zeitlicher Vergleich schwierig sein.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das geltende Bundesgesetz extrem unterschiedlich umgesetzt wird, so daß in diesem Bereich keine Rechtseinheit existiert. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Tatsache, daß der Bundesinnenminister bis heute nicht die vorgesehenen Richtlinien auf den Weg gebracht hat. Dies führt dazu, daß sich die Ämter zum Teil nach wie vor an den Richtlinien zum RuStAG orientieren, von denen das Ausländergesetz für die Einwanderer-Gruppen nach dem Willen des Gesetzgebers gerade abweichen soll. Vor allem in Bayern muß die bewußte Nichtumsetzung der Kann-Bestimmung über die doppelte Staatsbürgerschaft konstatiert werden.

Mehrere Gerichtsurteile, in denen Antragsteller ihre Einbürgerung gegen den Freistaat Bayern durchsetzen konnten, zeigen den Grad der Rigidität der bayerischen Praxis, bis hin zu skandalösen Fällen. So im Fall eines Münchners jugoslawischer Staatsangehörigkeit, der nicht serbisch spricht und den die bayerischen Behörden auf die Entlassung aus der jugoslawischen Staatsangehörigkeit verwiesen. Daraufhin verlangten die jugoslawischen Behörden 1995 die Ableistung des Wehrdienstes. Oder im Fall eines Asylberechtigten ungarischer Herkunft, dem wegen der Heirat mit einer Ungarin die Einbürgerung nicht genehmigt wird. Oder im Fall eines jungen Franken, der aus einer deutsch-türkischen Ehe stammt, die vor 18 Jahren geschieden wurde und der danach keinen Kontakt mehr zur Türkei gehabt hat. Hier begründet das Verwaltungsgericht Ansbach sein Urteil zugunsten des Antragstellers mit der Tatsache, daß die Behörde nicht von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht habe. Die Sprecherin des bayerischen Innenministeriums dagegen argumentiert mit der „konsequenten Ablehnung" der Mehrstaatigkeit durch die Unionsparteien. [Szolt will einen deutschen Paß. Innenministerium kennt beim Ausländergesetz kein Erbarmen, Süddeutsche Zeitung 293, 15.9.1995; Junger Franke soll zum Wehrdienst in die Türkei. Trotz klarer Gesetzeslage bleibt bei 26jährigem Sohn einer Deutschen Einbürgerung verwehrt, Süddeutsche Zeitung 54, 6.3.1995 und folgende Anmerkung.] Diese grundsätzliche Ablehnung der Doppelstaatsbürgerschaft hat in der öffentlichen Auseinandersetzung inzwischen symbolischen Charakter bekommen. Bisweilen geht die Verweigerungshaltung in der bürokratischen Abwicklung auch über die offizielle Haltung der Bayerischen Staatsregierung hinaus. [„Wenn die politische Spitze des Innenministeriums den staatlichen Behörden in dieser Weise eine Richtschnur an die Hand gibt, dann sollte gerade die Ministerialverwaltung deren Inhalt ernst nehmen." So die 2. Kammer des VG München (Az. M 2 K 94.4474), zitiert nach: Wenn eine Liebesheirat der Einbürgerung im Wege steht. Das Verwaltungsgericht München verurteilt den Freistaat dazu, über den Antrag von Janos S. neu zu entscheiden, Süddeutsche Zeitung, 20.4.1995.] Das seit dem 1.1.1991 geltende Recht wird insofern schlicht nicht angewandt.

Abbildung 10:
Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit

Abgesehen von der Haltung zur Anwendung der „Kann"-Vorschriften und der Information der Betroffenen ist bei den Differenzen zwischen den Bundesländern vor allem die behördliche Abwicklung ursächlich. Diese sind im Rahmen unserer Untersuchung nicht im einzelnen für alle Bundesländer rekonstruierbar, u.a. war es nicht möglich, vergleichende Daten über die Zahl der vorliegenden Anträge, die Dauer der Verfahren („Antragsstau") und die Zahl der Ablehnungen zu bekommen. Unterschiedlich ist nach wie vor die Behördenorganisation und Zuständigkeit. Einige Ländern haben in Reaktion auf die neue Rechtslage die Zuständigkeiten dezentralisiert, andere dagegen nicht. Wichtig ist daneben auch die Verwaltungskultur und die Art des Verhältnisses zu den Klienten ausländischer Staatsangehörigkeit. In dieser Beziehung hat Hamburg mit der Verwaltungsanweisung über ein prinzipielles Bemühen, „im Zweifel für die Ausländer zu entscheiden", nichts zu ihren Lasten zu tun, „was nicht unbedingt notwendig" sei und Ermessensspielräume auszuschöpfen, ein Extrem markiert. [Süddeutsche Zeitung 82, 7.4.1995.] Das andere Extrem muß anhand der oben genannten Fälle für Bayern konstatiert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das statistisch gut belegbare Faktum des vergleichsweise geringen Schulerfolgs von Kinder ausländischer Nationalität in Bayern. Die Zahl der weiterführenden Abschlüsse ausländischer Kinder ist weniger als halb so hoch wie in Nordrhein-Westfalen und Hamburg. [Vgl. Dietrich Thränhardt, Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, in: aus Politik und Zeitgeschichte, B 35, 25.8.1995, S. 12.; Ders., Länder-Differenzen in der Bildungspolitik, in: Bernhard Blanke/ Hellmut Wollmann (Hg.), Die alte Bundesrepublik. Kontinuität und Wandel, Opladen 1991, S. 409-419. Alle vergleichenden Bildungs-Daten nach: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Grund - und Strukturdaten, 1994/95, Bonn 1994, und ältere Jahrgänge.]

Aber nicht nur im eklatanten Fall von Bayern, sondern auch in allen anderen Ländern mit Ausnahme von Berlin und Hamburg muß von einem Vollzugsdefizit ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Herkunftsstaat vor einer Ausbürgerung die Ableistung der Wehrpflicht verlangt (AuslG § 87,2) und der Militärdienst in engem Zusammenhang mit Unterdrückungspolitik gegenüber großen Teilen der Bevölkerung steht. Dazu gehörte bisher insbesondere auch die Türkei, aus deren Staatsangehörigen sich etwa die Hälfte der jungen männlichen Ausländer zusammensetzt. Gleiches gilt für Jugoslawien (Serbien/Montenegro), Kroatien und andere Staaten. Weit mehr als die Hälfte aller jungen Männer ausländischer Staatsangehörigkeit sind von dieser Bestimmung betroffen, die eine zügige Einbürgerung erlaubt. Die hohen Einbürgerungszahlen in Berlin gehen wesentlich auf die konsequente Anwendung in diesen Fällen zurück. Die bisherige ständige Erhöhung der Zahl der „Ausländer" allein durch die Geburtenzahlen wird in Berlin und Hamburg wettgemacht. Damit würde die bisherige verhängnisvolle Tendenz unterbrochen werden, daß trotz fortschreitender sozialer Integration immer mehr ständige Einwohner Deutschlands staatsrechtlich Ausländer sind.

In vielen Bundesländern wird Einbürgerung immer noch nicht als prioritäres Anliegen des Staates gesehen, die niedrige Einbürgerungsquote gilt nicht als Problem. Dementsprechend gering ist auch die Informations- und Aufklärungsarbeit, die nur für den jeweiligen Einzelfall erfolgt. Berlin und Hamburg bilden auch hierin positive Ausnahmen. Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John macht seit mehr als zwölf Jahren immer wieder Angebote, mit denen dem Informationsdefizit der Ausländer begegnet werden soll. So wurde z.B. schon im Jahr 1982 ein Film mit Spielszenen und Informationen zu diesem Thema gedreht und verbreitet. In den Schulen wird Informationsmaterial über Einbürgerung verteilt. Der Erfolg derartiger Öffentlichkeitsarbeit hat sich nach einer Anlaufzeit in den hohen Einbürgerungszahlen in Berlin gezeigt. In Hamburg ist zeitversetzt eine entsprechende Entwicklung zu beobachten, mit der 1994 eine Einbürgerungsrate von 7% erreicht werden konnte. [Bericht des Hamburger Ausländerbeauftragten 1995.]

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6. Einbürgerungen im europäischen Vergleich

Mit den Revisionen des deutschen Einbürgerungsrechts, die seit dem 1.1.1991 bzw. 1.7.1993 gelten, sind wesentliche Veränderungen gegenüber der Regelungspraxis vorher zustande gekommen. Zum Teil sind sie sehr weitgehend, insbesondere für junge Männer im Wehrpflichtalter. Allerdings ist die deutsche Praxis immer noch im Rückstand gegenüber der in Nachbarstaaten wie Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Zwar ist angesichts der Tatsache, daß das französische Recht in entge-gengesetzter Richtung verändert worden ist, die klassische Polarisierung zwischen ius soli und ius sanguinis, wie sie Brubaker in seiner großen vergleichenden Studie dargestellt hat, [Brubaker, a.a.O.] weitgehend obsolet geworden. Gleichwohl sind die Einbürgerungszahlen in Deutschland, von Berlin und Hamburg abgesehen, nicht wesentlich gestiegen, sie sind andererseits in Frankreich nicht gesunken. Nach wie vor werden Jahr für Jahr in Frankreich 95.000 Einbürgerungen von ansässigen Ausländern [Catherine Wihtol den Wenden, French Immigration Policy, in: Dietrich Thränhardt (Hg.), Europe – A New Immigration Continent. Policies and Politics in Comparative Perspective, Münster/Hamburg/Boulder 2 , erscheint 1996.] vollzogen, die routinemäßig zustande kommen, während in Deutschland bis 1989 immer weniger als 16.000 im Landes ansässige Ausländer eingebürgert wurden (vgl. Tabelle).

Dies erklärt über die letzten drei Jahrzehnte auch den größten Teil des Unterschiedes der Ausländerzahlen zwischen den beiden Ländern: konstant etwa 3,6 Millionen in Frankreich, in Deutschland dagegen eine Verdoppelung auf sieben Millionen in den letzten zwanzig Jahren.

Andere europäische Nachbarländer, die ebenso wie Deutschland in einer Tradition des ius sanguinis stehen, haben ihr Recht in den letzten Jahren der heutigen Einwanderungssituation angepaßt. Andererseits haben Großbritannien und Frankreich Beschränkungen bei der Automatik der Verleihung des Bürgerrechts an im Lande Geborene (ius soli) vorgenommen. Auch in den USA wird dieses Thema diskutiert.

Für die deutsche Diskussion um Einbürgerung mag ein Seitenblick auf die Niederlande aufschlußreich sein, und zwar besonders deswegen, weil auch dort Türken die größte Gruppe der Ausländer bilden und die beiden Länder sehr ähnliche sozialökonomische Strukturen haben. Die türkische (und marokkanische) Einwanderung hat in den Niederlanden allerdings etwas später stattgefunden als in Deutschland. Ein Unterschied ist außerdem, daß es in den Niederlanden weniger Studenten- und Akademiker-Einwanderung aus der Türkei gibt als in Deutschland.

Tabelle 7:
Einbürgerungszahlen und Einbürgerungsraten in OECD-Ländern

Die Niederlande haben Ende 1991 die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft eingeführt, sie konnte sich ab 1992 auswirken. Daraufhin haben die Niederlande heute Einbürgerungszahlen erreicht, die denen Deutschlands (Ermessungseinbürgerungen) gleichkommen, trotz der unterschiedlichen Größe der beiden Länder. In bezug auf die Einbürgerungsrate liegen die Niederlande nach Schweden an der zweiten Stelle (vgl. Tabelle).

Für die türkischen Einwanderer in den Niederlanden ist die doppelte Staatsbürgerschaft auch deshalb relevant, weil die Türkei ebenfalls die doppelte Staatsangehörigkeit möglich gemacht hat. Zwischen den beiden Staaten besteht also ein Rechts-Konsens. Dagegen hält die marokkanische Regierung an der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft fest. Die Zahl der Einbürgerungen türkischer Einwanderer in den Niederlanden ist seit 1992 sprunghaft gestiegen. [Die Angaben beruhen auf Hinweisen von C.A. Groenendijk, Katholische Universität Nimwegen.]

Tabelle 8:
Einbürgerungen in den Niederlanden 1991-1994

Jahr

Einbürgerungen insgesamt

Türkische Staatsangehörigkeit

1991

29.110

6.110

1992

37.498

11.535

1993

43.852

18.002

1994

49.776

23.867

Quelle: Niederländische Statistik (Mndstat bevolk, CBS, 95/8, S. 4 und 20).

Allein 1994 haben sich 12% der türkischen Staatsangehörigen in den Niederlanden einbürgern lassen, insgesamt waren es 1991-94 ein Viertel. In diesem Zusammenhang geht in den niederländischen Statistiken seit 1992 die Zahl der Türken zurück, allein im Jahr 1994 um 19.000. Die vorher in den Niederlanden ebenso wie in Deutschland feststellbare Tendenz einer Steigerung der Zahl der ausländischen Staatsangehörigen, insbesondere

Tabelle 9:
Anforderungen bei der Einbürgerung in den OECD-Ländern1

türkischer Staatsangehöriger, im Zusammenhang mit dem Geburtenüberschuß und der schrittweisen Normalisierung der Altersstruktur („natürliche Bevölkerungsbewegung") ist damit gebrochen. Ganz überwiegend handelt es sich bei den Eingebürgerten um jüngere Erwachsenen und um Kinder. Am häufigsten waren Einbürgerungen in dem Altersjahrzehnt zwischen 20 und 29 Jahren, gefolgt von dem Altersjahrzehnt zwischen 0 und 9 Jahren, d.h. es ging schwerpunktmäßig um die Einbürgerung von in den Niederlanden geborenen und aufwachsenden Kindern und ihrer Eltern.

In Belgien ist nach der Reform des Einbürgerungsrechts 1992 eine Verfünffachung der Einbürgerungszahlen eingetreten, insbesondere wegen der Öffnung für die doppelte Staatsbürgerschaft. Auch in der Schweiz ist das Einbürgerungsrecht geändert worden, auch hier sind in Zukunft wesentlich höhere Einbürgerungszahlen zu erwarten. [Zur Schweiz vgl. Michal Arend, Einbürgerung von Ausländern in der Schweiz, Basel und Frankfurt am Main 1991.] In Österreich ist das Einbürgerungsrecht nach wie vor restriktiv, es ergeben sich aber zwischen Wien und den übrigen Bundesländern ähnliche Diskrepanzen wie zwischen Berlin und Hamburg auf der einen und den anderen Bundesländern auf der anderen Seite.

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7. Kinder aus deutsch-ausländischen Partnerschaften und die doppelte Staatsangehörigkeit

In einem Bereich aber sind auch in Deutschland quantitativ und qualitativ bedeutende Entwicklungen hin zur doppelten Staatsbürgerschaft feststellbar: bei den Kindern von Eltern unterschiedlicher Staatsangehörigkeit. Hier hat mit der Abkehr von der Vererbung der Staatsangehörigkeit nur durch den Vater und dem Übergang zur Vererbung sowohl durch den Vater als auch durch die Mutter seit 1974 eine Tendenz zur Doppelstaatsangehörigkeit eingesetzt, die zu befriedigenden Entwicklungen für die Betroffenen geführt hat, ohne daß Probleme aufgetreten wären. Es ist bemerkenswert, daß nicht einmal die Zahl der Doppelstaatler in Deutschland bekannt ist. Schätzungen bewegen sich zwischen einer Million und eineinhalb Millionen. Wichtig für unsere Fragestellung ist auch die Tatsache, daß in Folge einer Art „Aufheiratung" die Zahl der Spanier in Deutschland statistisch von Jahr zu Jahr sinkt und die Zahl der neu geborenen Kinder mit doppelter Staatsangehörigkeit die der Neugeborenen mit nur spanischer Staatsangehörigkeit beträchtlich übersteigt.

Ein hoher Anteil gemischter Ehen und Partnerschaften ist nicht nur ein aussagekräftiger Indikator für vollzogene Integration in die Gesellschaft. Gleichzeitig ist er auch von großer Bedeutung für die Staatsangehörigkeitsfrage. Während Kinder aus ausländischen Partnerschaften staatsbürgerrechtlich Ausländer bleiben, erwerben Kinder aus Partnerschaften mit einem deutschen Elternteil meist zwei Staatsangehörigkeiten und werden für die deutsche Statistik und Wahrnehmung also zu Deutschen.

Hohe Anteile von Kindern aus Partnerschaften unterschiedlicher Staatsangehörigkeit finden wir bei Spaniern, Italienern, Griechen, Portugiesen und Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien, niedrige dagegen bei türkischen Staatsangehörigen.

Tabelle 10:
Geburten und Staatsangehörigkeiten 1993

Standen Türken mit nur 6,9% binationaler Geburten am unteren Ende der Skala, so liegen die Spanier mit einem Prozentsatz von 74,8% klar an der Spitze. Bei der spanischen Bevölkerungsgruppe hat es in den vergangenen Jahren einen Trend hin zu binationalen Partnerschaften gegeben.

Von 1980 bis 1993 ergab sich mehr als eine Verdoppelung beim Prozentsatz der Geburten aus deutsch-spanischen Beziehungen. In dieser Gruppe gibt es mittlerweile deutlich mehr deutsch-spanische Kinder als Kinder aus spanisch-spanischen Partnerschaften. Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß die Zahl türkisch-deutscher Geburten aufgrund des hohen Bevölkerungsanteils der Türken quantitativ die Zahl der Geburten aus deutsch-griechischen, deutsch-italienischen, deutsch-jugoslawischen und deutsch-spanischen Partnerschaften deutlich übersteigt. Insgesamt gab es 1993 91.307 Geburten von Eltern gleicher ausländischer Staatsangehörigkeit, davon waren 44.956 Türken. 42.131 Kinder wurden aus Ehen zwischen einem deutschen und einem ausländischen Elternteil geboren. Nach der bisherigen Regelung bedeutete das, daß es allein wegen der Geburten im Jahr 1993 91.307 „Ausländer" in der deutschen Statistik mehr gab und daß 42.131 Doppelstaatler zur Welt kamen – diese allerdings anschließend in der deutschen Statistik nicht mehr als solche beachtet.

Der hohe Prozentsatz türkisch-türkischer Partnerschaften weist darauf hin, daß der soziale Abstand zwischen den Deutschen und dieser Bevölkerungsgruppe stärker ausgeprägt ist als zu den übrigen Nationalitäten. Eine gewisse Bedeutung für die prozentual geringe Anzahl deutsch-türkischer Geburten dürfte der Tatsache der Religionsverschiedenheit zukommen. Ein Zusammenhang mit der oben angesprochenen Tendenz in Deutschland und im übrigen Westeuropa, Türken, Kurden und generell Moslems im Gegensatz zu EU-Angehörigen distanziert zu betrachten, ist offensichtlich. Wie bei Einwanderungsprozessen vielfach zu beobachten, gibt es darauf auch eine entsprechende Reaktion dieser Einwanderungsgruppen. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, daß es sich bei den deutsch-türkischen Partnerschaften meist um Verbindungen deutscher Frauen mit türkischen Männern handelt. Ein Teil der Abschottung beruht also auf patriarchalischen Strukturen und Mentalitäten.

Staatsangehörigkeitsrechtlich sind die Unterschiede im Heiratsverhalten von erheblicher Bedeutung. Da Türken ganz überwiegend Türken heiraten, geben sie auch ihre Staatsangehörigkeit an die Nachkommen weiter. Italiener, Griechen, Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien und Spanier bringen hingegen aufgrund des relativ höheren Anteils binationaler Beziehungen häufiger Kinder zur Welt, die die deutsche und eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Etwas überspitzt könnte man bezogen vor allem auf die spanische Bevölkerung formulieren, daß sie „aufgeheiratet" wird. Ein Teil der Partnerschaften beziehen sich nicht auf Anwerbe-Ausländer, sondern auf Ausländer, die direkt aus den Heimatländern kommen. Dieser Anteil ist jedoch, wie ein Vergleich mit den Beziehungen in ande-ren Ländern zeigt, nicht hoch. Wesentlich für unsere Interpretation ist vor allem die Tendenz der Entwicklung.

Bemerkenswerterweise ist der Gesetzgeber hier vom Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie ebenso abgegangen wie von der Entscheidungspflicht für nur eine Staatsangehörigkeit. Insbesondere ist es für diese Gruppe nicht nötig, aus taktischen Erwägungen bestimmte Aufenthaltszeiten oder andere Statusrechte in Deutschland zu behaupten, wie dies als „Anklammern" beschrieben worden ist. [Barbara von Breitenbach, Italiener und Spanier als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland. Mainz/München 1982.] Daß dies nicht zwangsläufig war, beweist die andersartige japanische Regelung, die eine Entscheidungspflicht mit dem 20. Lebensjahr vorsieht, was zu einer unkontrollierbaren Grauzone und zu Statusunsicherheiten führt. Da es keine Nachweispflicht gibt, läuft die Bestimmung gleichwohl weitgehend leer.

Die deutsche Regelung über die Staatsangehörigkeit von Kindern von Eltern unterschiedlicher Staatsangehörigkeit hat zu einer Souveränität der Betroffenen über ihr eigenes Leben geführt. Die meisten anderen europäischen Länder verhalten sich entsprechend. Vor allem innerhalb der Europäischen Union gibt es dadurch eine Gruppe von Menschen, die in zwei Ländern zu Hause ist und flexibel zwischen ihnen agieren kann. Dies ist ohne Einsatz materieller Mittel erreicht worden, und zwar sicherlich effektiver und durchgreifender als durch die teuren Flexibilitätsprogramme der EU. Es gibt sowohl in den Medien als auch in der Literatur keinen Hinweis darauf, daß kontraproduktive Folgen entstanden wären. Der Verzicht des deutschen Staates darauf, die Doppelstaatlichkeit aus dieser und anderen Quellen überhaupt statistisch zu erfassen, zeigt an, wie unproblematisch Doppelstaatsangehörigkeit in der Praxis ist.

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8. Das Projekt der Kinderstaatszugehörigkeit und seine Alternativen

Nicht zufällig ist das ius soli eine Alternative zum ius sanguinis und auch in Umfragen in Deutschland ist die Akzeptanz der Einbürgerung von im Lande geborenen und aufgewachsenen Kindern höher als die von Erwach-senen. Das Land und die Landschaft, in dem man aufwächst, prägen jeden Menschen. Er lernt im Regelfall die Landessprache und den landschaftlichen Dialekt am besten und selbst wenn dies nicht seine „Muttersprache" im wörtlichen Sinn ist, spricht er sie am besten, wenigstens in bestimmten Aspekten. Haussprachen mögen eine gewisse Intimität haben, aber sie erschließen nicht die Welt. Mit der Sprache wird auch eine gewisse Weltsicht transportiert und internalisiert, vor allem dann, wenn sie gleichzeitig auch die Sprache des Kindergartens, der Schule und der Berufsausbildung ist, also fast alle wesentlichen Bereiche erfaßt.

Dies führt dazu, daß der Einwanderer oft eine gewisse Distanz und eine gewisse Erkennbarkeit behält, während das im Land geborene Kind mit diesem identifiziert wird. Kinder türkischer Staatsangehörigkeit, die in fortgeschrittenem Alter in die Türkei migrieren, müssen das oft leidvoll feststellen. All dies spricht dafür, den im Lande aufgewachsenen Jugendlichen auch die Staatsangehörigkeit zu geben und zwar von Vornherein. Sie haben dann die Chance, sich zu identifizieren und sicher zu fühlen.

Die „Kinderstaatszugehörigkeit" ist bisher ein recht unklares Projekt mit Kompromißcharakter geblieben. Von Anfang an wurde es sehr unterschiedlich interpretiert, und zwar in der ganzen Spannweite von einer unverbindlichen „Schnupperstaatszugehörigkeit" ohne relevante Rechte bis zu einer vollen Staatsbürgerschaft, gepaart mit einer Pflicht zur Entscheidung zwischen den beiden Staatsangehörigkeiten bei Volljährigkeit. Eine zweite wesentliche Diskrepanz besteht in bezug auf die Entscheidungsfindung bei Volljährigkeit. Hier hält die CSU daran fest, die deutsche Staatsangehörigkeit solle zu Ende gehen, wenn „nicht binnen eines Jahres nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes das Erlöschen der weiteren Staatsbürgerschaft nachgewiesen wird". [Brief der CSU-Landesleitung vom 31.7.1995 an den Verfasser.] Der CDU-Abgeordnete Röttgen spricht dagegen von einer „Option" auf eine der beiden Staatsangehörigkeiten.

Hält man an der Position fest, es solle nur eine Staatsangehörigkeit erlaubt sein, so ist die Art und Weise der Abwicklung entscheidend für die Validität der „Kinderstaatszugehörigkeit". Erlischt sie nämlich automatisch, und möglicherweise wegen der Weigerung des anderen Staates, die Entlassung zu genehmigen oder auch wegen bürokratischer Schwierigkei-ten, so ist die übergangsweise Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft für die Kinder (wie auch immer ausgedrückt) wertlos, da sie keine Sicherheit bietet. Verläßlichkeit und Sicherheit von seiten des Staates ist aber eine ganz wesentliche Bedingung, um Zutrauen zu ihm zu finden, sich mit Staat und Gesellschaft zu identifizieren und produktiv darin mitzuwirken. Dies gilt insbesondere für Jugendliche. Das Grundgesetz legt im Hinblick auf die historischen Erfahrungen ausdrücklich fest, daß die Staatsangehörigkeit nur durch Gesetz entzogen werden darf. In der Variante der CSU hinge die Entziehung aber von einem fremden Staat ab, möglicherweise von einem Staat, der nicht demokratisch ist oder der sogar den Einsatz für die freie Meinungsäußerung oder beispielsweise auch den Übertritt zum katholischen Glauben mit der Bedrohung des Lebens sanktioniert. Dies beträfe auch das Innenverhältnis zwischen Deutschland und seinen jungen Bürgern. Verweigert ein solcher Staat, etwa das heutige Jugoslawien, überhaupt eine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit, so würde daraus die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit folgen – also eine Kapitulation Deutschlands in seinem Innenverhältnis zu einem auf deutschem Territorium lebenden jungen Staatsbürger vor der Rigidität eines fremden Staates. Die ironische Pointe ist schließlich, daß auch die Ausstellung einer Entlassungsbescheinigung durch einen fremden Staat nicht verhindern kann, daß die Staatsangehörigkeit anschließend wiederverliehen wird. Dies ist heute offizielle türkische Politik und betrifft somit die Mehrzahl der zu entscheidenden Fälle. Letztlich hat es zur Konsequenz, daß die Intention der Regelung leerläuft.

Die geschilderte Variante der Kontrolle und automatischen Entlassung erreicht also keine höhere Regelungsdichte als das Verlangen nach einer einfachen Optionserklärung der betroffenen jungen Frauen und Männer. Diese ist zwar letztlich ebenfalls nicht überprüfbar, das Verfahren erlaubt aber dem fremden Staat wenigstens keine Eingriff in das Innenverhältnis zwischen Deutschland und seinen jungen Staatsbürgern.

Für die Betroffenen bedeutete eine Abhängigkeit von Entscheidungen eines anderen Staates, gar noch in Jahresfrist, zugleich Erpreßbarkeit. Dies kann in überhöhten Gebühren für die Ausbürgerung zum Ausdruck kommen. Schon heute verlangt der türkische Staat hohe Abstandssummen von der Wehrpflicht (früher DM 18.000, heute wegen der Entwertung der türkischen Lira ca. DM 10.000, eine Erhöhung ist wegen des hohen Devi-senbedarfs der Türkei wahrscheinlich). Auch in dieser Hinsicht würde das Abgeben der Entscheidung an den fremden Staat weitere Erpreßbarkeit und finanzielle Extraktionsmöglichkeiten ermöglichen. Je rigider und willkürlicher der fremde Staat, desto stärker wäre die Erpreßbarkeit aufgrund der deutschen Regelung gegeben. Daß all dies keine theoretischen Konstruktionen sind, beweisen die erwähnten Fälle vor allem aus Bayern, in denen zum Teil absurden Forderungen fremder Staaten nachgekommen werden sollte bzw. sich Verfahren aufgrund der Nichtentscheidung des fremden Staates über lange Jahre hinzogen. Gerade in der formativen und identitätsbildenden Phase des Lebens, also für Jugendliche, wäre dies nicht zumutbar und gerade vom deutschen Standpunkt her nicht sinnvoll. In einem Berliner Fall machte die Behörde die „denkwürdige Anregung", eine Frau solle Muslimin werden, damit ihr Mann anschließend vom Iran freigegeben werde und Deutscher werden könne. [Vera Ganserow, Denkwürdige Anregung. Eine Frau soll Muslimin werden, damit ihr Mann Deutscher werden kann, in: Die Zeit 19, 5.5.1995.] Auch dies war Folge der Selbstbindung Deutschlands an iranische Verwaltungsakte.

Zukunftsweisend in bezug auf die Diskussion um die „Kinderstaatszugehörigkeit" ist die allgemeine Durchsetzung des Gedankens, daß in Deutschland geborenen Kindern unter gewissen Bedingungen automatisch zunächst die deutsche Staatsangehörigkeit übertragen wird. Der CDU-Abgeordnete Röttgen hat in dieser Beziehung jüngst selbstbewußt erklärt, seine Überlegungen gingen in dieser Beziehung „über die Vorstellungen der SPD, aber auch der FDP hinaus". [Staatsangehörigkeit: Entweder – oder? Interview in: Die Zeit 45, 3.11.1995.] Alle in Deutschland geborenen Kinder sollten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil sich „dauerhaft und rechtmäßig" in Deutschland aufhält. Dies wäre eine weitgehende Anknüpfung an die Ius-Soli-Regelung der klassischen Einwanderungsländer. Zugleich würde dies einen entscheidenden Schritt zur Einheit von Bevölkerung und Bürgern bedeuten. Insofern werden auch die entsprechenden Ideen aus den verschiedenen älteren Gesetzentwürfen der Ausländerbeauftragten, der SPD-Fraktion, des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundesrates aufgenommen. Besonders begrüßenswert wäre auch der Rechtsanspruch. Geht man vom Wohl und vom Interesse der in Deutschland geborenen Kinder und vom deutschen Interesse an ihrer Integration und Identitätsfindung aus, so wäre eine Automatik von Amts wegen, auch in Hinsicht auf die Fürsorgepflicht des Staates für Einwohner in dritter Generation, noch erfolgversprechender. Dies ist wichtig auch im Hinblick auf die existierende Distanz zwischen Staat und ausländischer Bevölkerung, die zum Teil auf mitgebrachte Einstellungen aus den Heimatländern, zum Teil auch auf die ausländerfeindlichen Kampagnen der Jahre 1966-68, 1979-82, 1986-87, 1989 und 1991-92 zurückgeht, an denen auch Politiker mitgewirkt haben, die heute zentrale Positionen einnehmen.

Staat und Gesellschaft in Deutschland müssen ein zentrales Interesse daran haben, Bevölkerung und Bürgerschaft wieder möglichst weitgehend zur Deckung zu bringen und vor allem den hier geborenen und aufwachsenden Kindern von vornherein die Möglichkeit zur Identifikation zu geben. Dies erfordert die Gewährung der Staatsangehörigkeit von Geburt an von Amts wegen. Das Innenverhältnis zwischen Deutschland und seinen jungen Bürgern darf nicht von ausländischen Regierungen abhängig gemacht werden. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis darf das Interesse fremder Staaten nicht höher gewichtet werden als dieses Innenverhältnis. Die Frage der Doppel- oder Ein-Staatigkeit, die im Folgenden noch genauer behandelt wird, ist gegenüber diesen zentralen Gesichtspunkten zweitrangig. Dies gilt für alle Bürger, insbesondere aber für die heranwachsende Generation in ihrer Sozialisationsphase. Jegliche Aufhebungsklausel, die nicht auf ganz wenige harte Umstände beschränkt ist, muß auch den Wert der „Staatsangehörigkeit" herabsetzen und so gerade deren Sinn, die rechtliche und emotionale Bindung an die deutsche Nation, zerstören oder gefährden. Dazu gehört auch schon die Bezeichnung „Staatszugehörigkeit" im Unterschied zu „Staatsangehörigkeit", die einen Mangel an Zutrauen und Generosität ausdrückt.

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9. Das Problem der Doppelstaatsangehörigkeit

Der Nationalstaat ist auf die Idee der Einheit von Territorium, Bevölkerung und Staatsangehörigkeit gegründet, insofern ist die eigene Staatsangehörigkeit im eigenen Territorium prioritär. Dies bedingt eine unterschei-dende „Schließung" [„Staatsbürgerschaft als soziale Schließung" (closure). So Rogers Brubaker, Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich, Hamburg 1994, S. 45ff.] gegenüber Nicht-Bürgern und bestimmte Loyalitätserfordernisse. Es ist allerdings gerade nach den deutschen historischen Erfahrungen unangemessen, im Zusammenhang mit der Nation von einer „Schicksalsgemeinschaft" zu sprechen, wie es vielfach noch geschieht. Die wagnerianische Phase der deutschen Geschichte ist hoffentlich vorbei. [Vgl. Herfried Münkler/Wolfgang Storch, Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos, Berlin 1988.] Vielmehr gilt es, angemessen über das Verhältnis von Rechten und Pflichten nachzudenken, die Staatsbürger haben. In diesem Zusammenhang ist der zivile Ausdruck „Mitgliedschaft" (membership) angemessener. Er betont Rechte und Pflichten und impliziert die Möglichkeit des Beitritts, des Austritts und der Konditionalität der Mitgliedschaft bzw. des Selbstausschlusses bei bestimmten Handlungen.

Doppel-Mitgliedschaft ist störend, wenn sie Pflichten verletzt, die gegenüber dem eigenen Gemeinwesen bestehen. In der heutigen eng verflochtenen Welt kann sie allerdings auch förderlich sein und Übergänge werden häufiger. Das bekannteste positive Beispiel dafür in jüngster Zeit war der deutsche Europa-Abgeordnete Dr. Habsburg-Lothringen, der auch österreichischer Staatsbürger ist und zugleich in Ungarn nach wie vor an seine Stellung als Sohn des letzten Monarchen der Doppelmonarchie anknüpft. Sein „Picknick" an der österreichisch-ungarischen Grenze, das eine Rolle beim Durchbruch zur friedlichen deutschen Wiedervereinigung spielte, ist ein klassischer Fall transnationaler Politik mit mehrfachen Loyalitäten – im deutschen Interesse ebenso wie im österreichischen und ungarischen. Es zeigt, daß es zu einfach wäre, schlicht überall die Mono-Nationalität zu fordern. Die deutsche politische Geschichte kennt auch in anderen Fällen den produktiven Umgang mit mehrfachen Staatsangehörigkeiten. Max Brauer hatte im Exil die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben, Willy Brandt die norwegische. Bei der produktiven Gestaltung der deutschen Politik kam ihnen das zugute. Es wäre leicht, viele andere entsprechende Beispiele zu finden. Generell kann man sagen, daß nationale Ab-grenzungen in Europa an Trennschärfe verloren haben, [Systematisch dazu Yasemin Nuhoglu Soysal, Limits of Citizenship. Migrants and Postnational Membership in Europe, Chicago/London 1995.] wenn sie auch nach wie vor weiterbestehen.

Es wäre falsch und ungerecht, die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit ausschließlich Eliten-Angehörigen zuzubilligen und „einfachen" Menschen abzusprechen. Auch diese können etwas zur Völkerverständigung beitragen, sie sind zudem schutzbedürftiger als Eliten-Angehörige. Mit der Konstruktion der Europäischen Union und ihren enger werdenden Beziehungen zu den angrenzenden Räumen in Osteuropa und im Mittelmeerraum werden transnationale Bewegungen immer häufiger. Wenn es mehr und mehr üblich wird, daß Deutsche einen Teil ihrer Altersphase in Mallorca verbringen, wäre es unsinnig, dies den spanischen Einwanderern in Deutschland zu versagen. Viele von ihnen leben in ihrer aktiven Lebensphase in Deutschland und ziehen im Alter nach Spanien um oder sie erwägen dies als Teil ihrer Lebensplanung. Deswegen wollen sie ihre spanische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben – von begreiflichen Irritationen wegen der erwähnten fremdenfeindlichen Kampagnen ganz abgesehen.

Es wäre auch nicht nachvollziehbar, den in Deutschland aufwachsenden einbürgerungswilligen Kindern ausländischer Eltern grundsätzlich etwas zu verweigern, was anderen Gruppen ohne weiteres zugestanden wird. Schon bisher gibt es fünf große Gruppen von Doppelstaatlern: erstens die traditionellen Doppelstaatler, die zum Teil schon seit Generationen z.B. die deutsche und die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen, zweitens die Aussiedler, für die nach dem Ende des Ostblocks ihre anderen Staatsangehörigkeiten wieder interessant werden, drittens die Volksdeutschen in den ehemaligen Reichsgrenzen von 1937, die Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben, ohne die polnische zu verlieren, viertens die vom Nationalsozialismus Vertriebenen, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind, ohne ihre anderen Staatsangehörigkeiten zu verlieren und fünftens die schon erwähnten Kinder aus Ehen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, die eine rasch anwachsende Gruppe von Doppelstaatlern darstellen. Wenn es prinzipiell Gründe gäbe, die eine Abschaffung oder entscheidende Reduktion von Doppelstaatsangehörigkeit sprächen, so müßten sie auch für diese Gruppen gelten. Dies ist – wie die Nichtbeach-tung all dieser Gruppen zeigt – nicht der Fall. In all diesen Fällen existieren spezifische Anknüpfungspunkte, die eine doppelte Staatsangehörigkeit als günstig erscheinen lassen, auch wegen der Vereinfachung der Lebensverhältnisse. Auch im Interesse Deutschlands ist es wünschenswert, Deutsch-Israelis, Deutsch-Polen, Deutsch-Spanier und Deutsch-Amerikaner zu haben, die über beide Staatsangehörigkeiten verfügen und Brücken bilden.

Welche Begrenzungen sollte es geben? Obwohl diese immer wieder angeführt werden, gibt es keine aussagekräftigen Belege für relevante zivilrechtliche Schwierigkeiten. Als entscheidender Begrenzungspunkt kann nur der Militärdienst angesehen werden. Nach der ursprünglichen Fassung des Reichs- und Staatsangehörigkeits-Gesetzes von 1913 verlor ein Mann seine Staatsangehörigkeit, wenn er bis zum Alter von 31 Jahren der Dienstpflicht nicht genügt hatte. [Günter Renner, Erleichterung der Einbürgerung – ein Ausweg? in: Klaus Barwig u.a., Vom Ausländer zum Bürger. Problemanzeigen im Ausländer - , Asyl - und Staatsangehörigkeitsrecht. Festschrift für Fritz Franz und Gert Müller, Baden-Baden 1994, 388.] Heute ist es weniger wichtig, der Bundeswehr oder dem Ersatzdienst neue Rekruten zuzuführen, obwohl bemerkenswert ist, wie wenig Interesse den jungen Menschen ausländischer Herkunft in dieser Hinsicht geschenkt worden ist. Gleichwohl ist es ein wesentliches Element der Gleichheit und Integration, sie auch hierbei wie alle anderen zu behandeln.

Als Abgrenzungselement kann dienen, den Dienst in ausländischen Streitkräften zu verbieten. Eventuelle Ausnahmen könnten im einzelnen geregelt werden und müssen von einer Erlaubnis durch die deutsche Regierung abhängig sein. Keinesfalls wünschenswert ist jedenfalls, daß deutsche Staatsangehörige oder auch ständige Einwohner Deutschlands in Bürgerkriegs- und Repressionsarmeen wie in Türkisch-Kurdistan oder in Jugoslawien Dienst tun. Dies widerspricht dem Kern des Staats- und Gesellschaftsverständnisses des Grundgesetzes. Gegenwärtig wird die Mehrzahl der männlichen ständigen Einwohner Deutschlands mit ausländischer Staatsangehörigkeit zum Dienst in repressiven Armeen veranlaßt, selbst wenn sie Minderheiten wie Kurden, Christen aus der Südosttürkei oder Moslems aus dem Sandschak angehören. Hinzu kommen Abstandszahlungen allein von türkischen Staatsangehörigen in einer Größenordnung von DM 200.000.000. Das gegenwärtige deutsche Recht zwingt die jungen Ausländer in die Dienste bzw. die Zahlungen hinein. Eine Ausnahme besteht bisher nur dort, wo die Kann-Bestimmung von § 87 Abs. 1 (2) AuslG angewandt wird.

Militärdienst in einer ausländischen Armee ohne Sondergenehmigung sollte ein automatischer Ausschlußgrund aus der deutschen Staatsangehörigkeit sein. Dadurch könnte auch eine stärkere faktische Integration und ein Ende der materiellen Kontributionen an repressive Regime durch Einwohner Deutschlands bewirkt werden. Die Herkunftsländer könnten diesem Problem ausweichen, indem sie ihre Bürger im Ausland nicht zum Militärdienst verpflichten. Dies würde für Deutschland eine befriedigende Situation schaffen, denn die Sozialisationserfahrungen würden dann in der Bundeswehr bzw. im Ersatzdienst gemacht. Auch die bestehenden Verträge, die gegenwärtig für den Militärdienst von Doppelstaatlern bestehen, wären in dieser Hinsicht zu überprüfen. Selbst wenn die Wehrpflicht in Deutschland abgeschafft würde, sollte am Verbot des Dienstes in ausländischen Armeen festgehalten werden. Dies ist ein sehr traditionelles, aber gleichwohl valides Kriterium, dessen Mißachtung sanktioniert werden kann. Viele andere Länder verfahren entsprechend.

Einfachheit, Klarheit und Umsetzbarkeit sind wesentliche Gesichtspunkte in bezug auf die Effektivität von Regelungen und darüber auch wieder auf ihre Qualität und ihre Legitimität. In bezug auf die Doppelstaatsangehörigkeit ist dies ein wesentliches pragmatisches Kriterium. Der administrative Aufwand von Kontrollen ist dem Nutzen gegenüberzustellen, insbesondere wenn die eigenen Bemühungen unter Umständen leerlaufen, weil andere Staaten gegenläufig handeln. Interessant ist ein Seitenblick nach Großbritannien. Auch dort ist die doppelte Staatsangehörigkeit im Prinzip nicht gestattet, in bezug auf die Kontrolle wird aber pragmatisch vorgegangen, weil man den hohen Verwaltungsaufwand im Fall der Kontrolle für unverhältnismäßig hält. [Anke Peveling, Staatsbürgerschaft zwischen Nationalstaat und Demokratie. Ein Vergleich der Einbürgerungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien von 1945-1992, Hausarbeit Erste Staatsprüfung, Lehramt für Sekundarstufe II, Universität Münster 1994. Die OECD stuft Großbritannien deshalb als Erlaubnisland ein (vgl. Tabelle 8).] In Deutschland wäre der Aufwand weit höher, da wir das zweitwichtigste Zuwanderungsland der Welt sind. Wenn eine Einbürgerung der nachwachsenden Generation angestrebt wird und diese effektiv in bezug auf Entlassung aus der Herkunfts-Staatsbürgerschaft kontrolliert werden soll, wären über 100.000 Vorgänge pro Jahr nachzuvollziehen. Die faktischen Umgehungsmöglichkeiten, auf die oben eingegangen wurde, bewirken ohnehin eine Relativierung der Effektivität jeglicher Kontrolle bei der Verhinderung doppelter Staatsbürgerschaft. Insofern ist zu vermuten, daß der Vorrang der deutschen konstitutionellen Kriterien nicht gegen die Mehrzahl der Betroffenen, sondern besser mit ihnen erreicht werden kann. Der Vorschlag, die Wehrpflicht in fremden und im allgemeinen unattraktiven Armeen auszuschließen, setzt an dieser Stelle an und kombiniert das Interesse Deutschlands und seiner jungen Staatsbürger.

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10. Die Handlungsmöglichkeiten der Länder nach geltendem Recht

Nach dem nach wie vor geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 folgte die gesamtstaatliche „Reichsangehörigkeit" der Landesangehörigkeit („Staatsangehörigkeit"). Erst die Verordnung vom 5.2.1934 schaffte die Landes-Staatsangehörigkeiten ab und begründete eine gesamtstaatliche Staatsangehörigkeit. Das Grundgesetz beließ es dabei (Art. 73.2 GG). Gleichwohl besteht nach wie vor die administrative Zuständigkeit der Länder. In § 8 RuStAG heißt es: „Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaat, in dessen Gebiet die Niederlassung erfolgt ist, auf seinen Antrag eingebürgert werden". Die grundgesetzliche Regelung über die generelle Ausführungskompetenz der Länder bei Bundesgesetzen „als eigene Angelegenheit" entspricht dem (Art. 83 GG). Auch das novellierte Ausländergesetz enthält nichts Gegenteiliges. Es besteht somit eine uneingeschränkte Zuständigkeit der Länder im Verfahren. Eine Einschränkung gibt es nur in bezug auf Verordnungsmöglichkeit des Bundesinnenministers über die Höhe der Gebühren (RuStAG § 38). Die administrativen Festlegungen der nationalsozialistischen Verordnung vom 5.2.1934 sind obsolet.

Die „Einbürgerungsrichtlinien" vom 15. Dezember 1977, zuletzt geändert am 20. Januar 1987, sind zwischen dem Bundesinnenminister und den Innenministern der Länder abgestimmt worden. Sie beruhen nicht auf einer gesetzlichen Legitimation und haben die Rechtsqualität gemeinsamer Absichtserklärungen, die von den einzelnen Landesinnenministern in eigener Zuständigkeit umgesetzt werden. Durch das Ausländergesetz vom 9. Juli 1990, in Kraft seit dem 1.1.1991, sind sie zudem in Teilen überholt. Sie sind auch nicht neu bearbeitet worden, da § 104 AuslG dem Bundesinnenminister für die ausländergesetzlichen Tatbestände das Recht gibt, mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Zudem ist von vielen Seiten erklärt worden, das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz sei novellierungsbedürftig.

Insgesamt besteht also – abgesehen von den §§ 85-87 AuslG – ein Zustand, der den Ländern ganz weitgehende Interpretations- und Handlungsmöglichkeiten gibt. Es ist abwegig, aus der langjährigen Anwendung von „Einbürgerungsrichtlinien" zu schließen, sie seien verbindliches Recht geworden, wie dies Renner tut. [„Die Einbürgerungsrichtlinien haben durch jahrelange gleichmäßige und konsequente Anwendung in Bund und Ländern zu einer ständigen Verwaltungspraxis geführt, die Normauslegung und Ermessensausübung quasiverbindlich steuert, weil von ihr inzwischen ohne Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nicht mehr abgewichen werden kann. Damit ist der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit zum festen Bestandteil des deutschen Einbürgerungsrechts geworden (Günter Renner, Erleichterung der Einbürgerung – ein Ausweg? in: Klaus Barwig u.a., (Hg.), vom Ausländer zum Bürger. Problemanzeigen im Ausländer - , Asyl und Staatsangehörigkeitsrecht. Festschrift für Fritz Franz und Gert Müller, Baden-Baden 1994, S. 377.] Mit der geschilderten Uneinheitlichkeit der Einbürgerung ist dieser Zustand zudem nicht mehr existent. Es gibt keine „quasiverbindliche" Rechtsschöpfung durch jahrelanges konkludentes Handeln, sondern klare verfassungsrechtlich begründete Zuständigkeiten. Wäre dies nicht so, dann wäre der Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber der Verwaltung nicht mehr existent.

Legt man diese Vorüberlegungen zugrunde, so wird klar, daß die Länder frei sind, das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz anzuwenden. Sie können, soweit es um auf ihrem Territorium Niedergelassene geht, Einbürgerungen vornehmen, wenn die fünf in § 8 RuStAG genannten Bedingungen gegeben sind – Geschäftsfähigkeit, kein Ausweisungsgrund, Wohnung oder Unterkommen, eigene Existenzerhaltung und Anhörung des Trägers der Sozialhilfe. Dies kann unter Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit geschehen. Es kann auch nach kurzen Fristen geschehen, etwa nach der in Schweden üblichen Frist von fünf Jahren. Auch alle anderen über das RuStAG hinausgehenden Bedingungen sind dem freien Ermessen der Länder anheimgestellt. Dies gilt auch für die Iraner, für die bisher ein Vorbehalt des Bundesinnenministeriums beachtet wird, der sich auf ein mehr als sechzig Jahre altes deutsch-iranisches Abkommen bezieht. Dieses Abkommen ist zwar in Kraft, es kann aber die Länder nicht binden.

Diese konstitutionell und gesetzlich abgesicherte autonome Handlungsfreiheit der Länder öffnet die Möglichkeit, wie in der Niederlanden und in Schweden die große Mehrheit der Einwanderer einzubürgern. Sie gibt den Ländern und den integrationsfreundlichen und europaoffenen Meinungsträgern zugleich eine bessere Ausgangs- und Verhandlungsposition in den Auseinandersetzungen um eine neue Einbürgerungspolitik, um die Blockade zu lösen, die die Integration der sozial weitgehend eingebürgerten Menschen bisher verhindert.

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11. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Faßt man das Gesagte zusammen, so ergeben sich für die Einbürgerungsprobleme drei Szenarien:

(A) Man beläßt die Dinge wie sie sind und bürgert nur ganz wenige Ausländer ein bzw. begnügt sich mit einigen kosmetischen Korrekturen, etwa einem besonderen Ausweis für Kinder der dritten Generation, auf dem die „Kinderstaatszugehörigkeit" festgehalten wird. Wenn dies kein vollgültiger Ausweis ist, wäre sogar seine Relevanz in den europäischen Nachbarstaaten fraglich, etwa für Auslandsaufenthalte oder Klassenfahrten. In einem solchen Fall müßte man damit rechnen, daß in den kommenden drei Jahrzehnten die Zahl der „Ausländer" auf ein Viertel der Bevölkerung ansteigen würde. Damit verlöre die deutsche Demokratie ihre Legitimität und die Gesellschaft ihre Kohärenz. Etwa ein Viertel der jungen männlichen Einwohner Deutschlands wären in ausländischen Armeen dienstpflichtig – die meisten in der türkischen, viele in der kroatischen, bosnischen und serbischen – und eventuell an militärischen Auseinandersetzungen in Kurdistan oder auf dem Balkan beteiligt. Dieses Szenario ist eines der Auflösung und Delegitimierung von Staat und Gesellschaft.

(B) Den in Deutschland geborenen Kindern der dritten Einwanderungs-Generation wird die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verliehen mit der Maßgabe, daß sie sich im Alter von 18-21 Jahren für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Dies ist das Modell, das Japan für Kinder aus national gemischten Ehen anwendet. Die Betroffenen geben eine Erklärung über ihre Option ab, ohne daß eine Bestätigung des Herkunftsstaates verlangt wird. Entsprechend könnten erwachsene Ausländer nach einer Mindest-Aufenthaltszeit von fünf Jahren eingebürgert werden, und zwar unter Abgabe einer Erklärung über die Aufgabe ihrer alten Staatsangehörigkeit.

Dieses Modell hat den Vorzug der Einfachheit, Eindeutigkeit und leichten Verwaltbarkeit. Verfassungsrechtlich ist es nicht problematischer als die bisher übliche Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für Auswanderer, die eine andere Staatsangehörigkeit annehmen. Die Aufgabe der zweiten Staatsangehörigkeit kann zwar nicht überprüft werden, dies ist aber auch bisher in vielen Fällen nicht der Fall. Für die Betroffenen und ihre Familien würde dieses Modell eine große Härte bedeuten. Zudem bliebe offen, was geschehen soll, wenn eine andere Staatsangehörigkeit aufrechterhalten wird, entweder von dem betroffenen Bürger selbst oder von Herkunftsstaaten, die eine Entlassung verweigern.

Wenn das Kriterium der Beschränkung auf eine Staatsangehörigkeit auf diese Gruppe angewandt wird, wäre es allerdings konsequent, auch alle anderen Doppelstaatler vor diese Alternative zu stellen, einschließlich von Eliten-Angehörigen wie Unternehmern, Abgeordneten, Professoren und Künstlern. Andernfalls wäre die Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Gleiches gälte für die deutschen Staatsangehörigen im Ausland. In einer offenen Welt, vor allem einem offenen Europa, in dem der Aufenthalt in mehreren Staaten in verschiedenen Lebensphasen immer üblicher wird und in dem dies von der EU auch mit deutschem Geld finanziell gefördert wird, ist eine solche Lösung allerdings lebensfremd.

(C) Die deutsche Staatsangehörigkeit wird Angehörigen der „dritten Generation" automatisch verliehen. Sie kann neben der ererbten Staatsangehörigkeit bestehen. Gleiches gilt für die erwachsenen Ausländer unter den oben angeführten Mindest-Bedingungen. Dieses Modell ist für die Betroffenen das günstigste. Sie bewahren in bezug auf die Staatsangehörigkeit den Familien- und Herkunftszusammenhang. Sie haben aber auch die Möglichkeit der Lösung von der ererbten Staatsangehörigkeit, und zwar in aller Sicherheit in einer vollen Mitgliedschaft in der deutschen Nation. Diese Lösung kann von den Einwanderern oder auch intergenerational allmählich vorgenommen werden. Gerade dieses Moment ist für eine freie Entscheidung sehr wichtig. Für Bürgerinnen und Bürger an der Schwelle zum Erwachsensein ist es eine gravierende Belastung, zwischen den Nationen zu stehen, vor allem wenn das bisherige Verfahren dabei eine mehrjährige Periode vorsieht, während der die Betroffenen zwischen allen Stühlen sitzen.

Einzige auftretende Schwierigkeiten ist die Wehrpflicht in mehreren Staaten. Zum Teil ist dies bisher entweder durch den Verzicht eines Staates oder durch gegenseitige Anrechnung geregelt worden. So muß ein deutsch-griechischer Doppelstaatler bisher neben der zwölfmonatigen deutschen Wehrpflicht noch drei Monate in Griechenland ableisten und hat dann die griechische Wehrpflicht von 15 Monaten erfüllt. Im Verhältnis zu immer mehr Staat entfällt das Problem, da die Wehrpflicht abgeschafft wird.

Hier ist eine klare Entscheidung zu treffen. Mit dem freiheitlich-demokratischen Selbstverständnis der Bundesrepublik ist ein Dienst in vielen Armeen der Welt nicht vereinbar. Andererseits wäre es ungut und mit vielerlei diplomatischen und entscheidungsmäßigen Schwierigkeiten verbunden, wenn die deutsche Regierung ständig neue Bewertungen über die Armeen der Welt vornehmen wollte. Deswegen sollte der Wehrdienst in der Armee eines anderen Landes automatisch den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach sich ziehen. Eine Ausnahme könnte allenfalls für die EU-Staaten gemacht werden, wenn eine volle gegenseitige Wahlfreiheit gewährleistet ist. Hier gelten die Kriterien der Verfassungshomogenität und der immer weitergehenden Integration.

Solange keine befriedigende Lösung der Einbürgerung erreicht ist und der Bund nicht einmal Ausführungsbestimmungen auf den Weg bringt, sind die Länder gefordert, ihre Möglichkeiten weitgehend auszunutzen. Auch heute schon können sie die Variante (C) zu einem großen Teil verwirklichen. Langfristig ist allerdings sicherlich zu wünschen, daß eine Rechtseinheit zustandekommt, in der sowohl die Bedürfnisse der Zuwanderer wie auch die wohlverstandenen Eigeninteressen Deutschlands verwirklicht werden. Die gegenwärtige Übergangssituation bringt zwar einen raschen Wandel der Einbürgerungspolitik und -verwaltung in einigen Bundesländern. Sie ist aber hoch widersprüchlich. Da die Doppelstaatsangehörigkeit – von Elite-Einbürgerungen abgesehen – nur für Ausländer aus Staaten mit Elementen von Repression ausgesprochen werden kann (keine Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, unzumutbare Bedingungen, u.a. Ableistung der Wehrpflicht im Herkunftsstaat) bürgert Deutschland gerade Bürger aus den Staaten nicht ein, die als nahestehend empfunden werden. Ein Vergleich mit den Proportionen bei der Eheschließung macht das deutlich. In bezug auf die Einbürgerung sind diese Gruppen gegenüber den Einwanderern aus repressiven Regimen benachteiligt, von deren Entscheidungen Deutschland sich und die Einwanderer abhängig macht. Besonders absurd ist in dieser Systematik der Effekt, daß sich die Einwanderungschancen unter Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit vermindern, wenn ein Regime seine Gesetze lockert, wie dies zur Zeit in der Türkei geschieht. Auf die Manipulierbarkeit wurde schon hingewiesen. Dies macht deutlich, daß Deutschland eine konsistente Lösung für die Einbürgerung braucht. Sie muß den Einwanderern und vor allem den hier aufwachsenden Kindern und Jugendlichen eine Identifikationschance geben, sie muß in sich stimmig sein und nicht an Widersprüchen kranken und sie muß einfach zu administrieren sein. Wie ich unter (C) skizziert habe, ist gerade eine generöse Lösung geeignet, dem wohlverstandenen deutschen Interessen zu dienen, während die Lösung der Abwehr und einer nationalistisch-biologistischen Engstirnigkeit mittelfristig in eine Desaster führt und das Land nicht zusammenhält.


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