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TEILDOKUMENT:
Peter Fricke:
1.
Die Altersstruktur der Zuwanderer unterscheidet sich erheblich von der Altersstruktur der einheimischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. 1997 waren 36% der Spätaussiedler und ihrer Angehörigen unter 20 Jahre alt, 41% waren in der Altersgruppe von 20 45 Jahren und 23% waren älter als 45 Jahre. Im Vergleich dazu waren von der einheimischen Bevölkerung 1994 20,8% unter 20 Jahren, 36,8% zwischen 20 45 Jahren und 42,4% über 45 Jahren. Der Anteil der jugendlichen Spätaussiedler liegt konstant über 40% bei jedem Zuwanderungsjahrgang. Der Anteil der Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) ist im Verhältnis zum Anteil der aufgenommenen nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge nach § 7 Abs. 2 BVFG und den sonstigen in die Verteilung mit einbezogenen Familienangehörigen nach § 8 Abs. 2 BVFG in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. 1995 betrug er noch 55,4%, 1996 47,68% und 1997 nur noch 39,71%. Ein weiterer Rückgang ist im Jahre 1998 zu erwarten, da wegen der Alters- und Familienstruktur verstärkt jüngere Spätaussiedler mit vielen nichtdeutschen Familienangehörigen im Wege der Aufnahme einreisen werden. Im Ergebnis bedeutet dies, daß künftig zum überwiegenden Teil Personen über das Aufnahmeverfahren nach Deutschland kommen werden, die keine deutschen Volkszugehörigen im Sinne von § 6 BVFG sind und außer einem Ehe- und Verwandtschaftsverhältnis keine Voraussetzungen, insbesondere im Hinblick auf die Kenntnis der deutschen Sprache, zu erfüllen brauchen. Die Zuständigkeit des Bundes zur Integration von Spätaussiedlern ergibt sich aus Artikel 120 des Grundgesetzes (GG). Dieses gilt somit auch für die jugendlichen Spätaussiedler, soweit die schulischen Angebote der Bundesländer nicht ausreichend sind. In der Spätaussiedlerpolitik verfolgt die Bundesregierung ein doppeltes Ziel: einerseits den deutschen Volkszugehörigen in den Aussiedlungsgebieten zu helfen, ihre Identität zu wahren und neue Volksgruppenstrukturen aufzubauen und andererseits das Tor nach Deutschland im Rahmen des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgenschäden (KfbG) offen zu halten. Der Zuzug deutscher Volkszugehöriger aus den Gebieten außerhalb der ehemaligen UdSSR ist so gut wie abgeschlossen. In den letzten Jahren sind kontinuierlich mehr als 90% der Zusiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR zu uns gekommen. Die Bundesregierung geht nach allgemeinen Schätzungen davon aus, daß in den Staaten Ostmittel-, Ost- und Südeuropas einschließlich der asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion noch insgesamt etwa 3 3½ Millionen Angehörige der deutschen Minderheit leben. 2.
Seit 1996 werden in den Herkunftsgebieten verstärkt Sprachtests durchgeführt. Die Bedeutung der Sprache ist vom Bundesverwaltungsgericht in jüngster Zeit mehrfach betont worden. Die Kenntnisse der deutschen Sprache sind danach eine wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Die potentiellen Spätaussiedler müssen in einem einfachen standardisierten Gespräch nachweisen, daß sie die deutsche Sprache zumindest mit Grundkenntnissen noch beherrschen. Bis Ende 1997 wurden etwa 115.000 Personen zu einem Sprachtest eingeladen, etwa 65.000 Tests wurden durchgeführt. Ca. 37% der Teilnehmer haben den Sprachtest nicht bestanden. Eine Wiederholung des Tests ist nicht möglich. Verpflichtend ist der Test nur für den Spätaussiedler selbst. Für Familien besteht die Möglichkeit einer bevorzugten Einreise in die Bundesrepublik, wenn alle am Sprachtest teilgenommen und ihn bestanden haben. Eine wesentliche Ursache für den Rückgang der Zuzugszahlen in den letzten Jahren dürften die inzwischen notwendigen Sprachtests sein. Darüber hinaus dürfte aber auch eine Rolle spielen, daß die Informationen über die Bundesrepublik Deutschland inzwischen von den potentiellen Spätaussiedlern realistischer bewertet werden, da inzwischen auch Aufnahmebescheide für 100.000 Personen länger als ein Jahr nicht genutzt worden sind. Möglicherweise hängt der Rückgang auch damit zusammen, daß die wirtschaftlichen Entwicklungschancen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR positiver eingeschätzt werden. Trotz der Sprachtests und der in den Herkunftsländern angebotenen Deutschkurse sind die Sprachkenntnisse der hier eintreffenden Spätaussiedler noch nicht auffällig besser geworden. Dies wird sich allerdings in den kommenden Jahren stark verändern, weil sich auch bei den Spätaussiedlern die Erkenntnis durchsetzt, daß zumindest die Wartezeit bis zur Ausreise mit einer Auffrischung der deutschen Sprachkenntnisse gut genutzt ist. 3.
4.
5.
Der nur sehr schwer oder überhaupt nicht mögliche Zugang zu einheimischen Jugendlichen führt dazu, daß sich die Spätaussiedlerjugendlichen in ihren eigenen Kreisen organisieren, in denen auch nur Russisch gesprochen wird. Von den deutschen und den ausländischen Jugendlichen in der Bundesrepublik wird diese Gruppenbildung wiederum negativ wahrgenommen. Die Spätaussiedlerjugendlichen, die sich in den Herkunftsländern häufig als Nationalsozialisten beschimpfen lassen mußten, werden jetzt zu Russen und bezeichnen sich auch selbst so, um eine Identifikation zu finden. Spätaussiedlerjugendliche sind in besonderem Maße gefährdet, als Folge von Enttäuschungserfahrungen ein negatives Selbstbild zu entwickeln, das z.B. in aggressive Verhaltensweisen, Alkoholismus, Drogenkonsum und -vertrieb, Mitarbeit in kriminellen Vereinigungen münden kann. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die inzwischen mindestens auch in der regionalen Presse eine große Rolle spielen. Abweichendes Verhalten, insbesondere kriminelles Verhalten junger Spätaussiedler in Deutschland ist ebenfalls zunehmend Gegenstand von Medienberichterstattungen. Insbesondere sind die Ballungsgebiete der Spätaussiedler betroffen. Gestützt werden diese Meldungen durch regionale Untersuchungen, die auf eine gestiegene Kriminalität hinweisen. Bundesweit liegen jedoch keine gesicherten Erkenntnisse hierzu vor. Die offiziellen Kriminalitätsstatistiken erfassen Spätaussiedler nicht gesondert. Bei dieser Diskussion muß beachtet werden, daß bezüglich der Altersstruktur der Anteil jugendlicher Spätaussiedler etwa doppelt so hoch ist wie der entsprechende einheimischer Jugendlicher. Signifikante Unterschiede zwischen jugendlichen Spätaussiedlern und einheimischen sowie ausländischen Jugendlichen in ähnlichen sozialen Problemlagen (schlechtes Wohnumfeld, geringes Familieneinkommen, Arbeitslosigkeit, usw.) können bisher nicht repräsentativ festgestellt werden. Die Bundesregierung nimmt jedoch die Gefahr einer wachsenden Kriminalität sehr ernst und hat inzwischen auch zahlreiche Initiativen ergriffen. Besonders zu nennen sind z.B. das Wohnortzuweisungsgesetz, das eine starke Zusammenballung von Spätaussiedlern verhindert, die Verbesserung des Betreuungs- und Beratungsangebotes und die Unterstützung beim Aufbau eines Jugendverbandes der Rußlanddeutschen. Den Wohlfahrts- und Vertriebenenverbänden sowie den kirchlichen Organisationen werden über das Bundesministerium des Innern verstärkt Mittel (ca. 1 Mio. DM) für den Jugendbereich zur Verfügung gestellt, vor allem für die wohnumfeldbezogene Arbeit in Brennpunktgebieten. 6.
Der Garantiefonds gliedert sich in zwei Teile, in den Bereich Schul- und Berufsbildung, für den die Bundesländer die Mittel zugewiesen bekommen, und in den Hochschulbereich, der über die Otto-Benecke-Stiftung e.V. (OBS e.V.) verwaltet wird. Die Förderung erfolgt auf der Grundlage entsprechender Richtlinien. Sie sind kürzlich neu überarbeitet worden und am 1.3.1998 in Kraft getreten. Die Verteilung der Mittel im Schul- und Berufsbildungsbereich beruht im wesentlichen auf der Zuzugsquote nach § 8 Abs. 3 BVFG. Für die Bewilligungen der Maßnahmen sind in den Bundesländern die Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Diese melden ihren jährlichen Bedarf im voraus an. Entsprechend den zur Verfügung gestellten Haushaltsmitteln werden die Mittel dann den Bundesländern zugewiesen. Im Schul- und Berufsbildungsbereich werden schulpflichtige und nicht mehr schulpflichtige jugendliche Spätaussiedler gefördert. Schulpflichtige junge Spätaussiedler können außerschulischen Nachhilfeunterricht erhalten, soweit dies zur Erreichung eines Klassenziels notwendig ist und die von den Schulen angebotenen Förderunterrichte nicht ausreichend sind. Nicht mehr schulpflichtige Jugendliche erhalten Intensivsprachkurse, die zehn Monate dauern und mit einer Sprachprüfung enden. Neben Intensivsprachkursen werden Sprachkurse angeboten mit dem Ziel, einen qualifizierten Schulabschluß nachzuholen, sowie Sprachkurse mit berufsorientierenden Bestandteilen. In den letzten Jahren ist die Förderung von Kindern in den Klassen 1 4 der Grundschule reduziert worden. Eine Förderung dieser Kinder ist nur noch in Einzelfällen möglich, wenn deren Notwendigkeit von den Schulen mit besonderer Begründung bescheinigt wird. Der Schwerpunkt der Förderung liegt bei den Schülern der 5. bis zur 10. Klasse. Wichtigstes Ziel der Garantiefondsförderung ist es, daß jugendliche Spätaussiedler einen Schulabschluß erhalten, der ihnen die Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses ermöglichen soll. Die nicht mehr schulpflichtigen Spätaussiedler, für die die Integration über das Schulsystem nicht mehr stattfinden kann, erhalten durch die Intensivsprachkurse eine Chance, nach einem erfolgreichen Abschluß ein Ausbildungsverhältnis aufzunehmen. Im Hochschulbereich werden jugendliche Spätaussiedler aufgenommen, die im Herkunftsland bereits ein Attestat (Hochschulzugangsberechtigung in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion) erhalten oder die Hochschulzugangsberechtigung via Abitur (sonstige Staaten Osteuropas) haben bzw. bereits eine Hochschulausbildung begonnen haben. Sie erhalten sechsmonatige Sprachkurse, die sie dazu befähigen, entweder in Sonderlehrgängen, die von den Bundesländern eingerichtet worden sind, das deutsche Abitur nachzuholen oder direkt zur Hochschule zu gehen. Letzteres ist für jugendliche Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR jedoch nur dann möglich, wenn sie bereits vier Semester im Herkunftsland studiert haben. Die Sprachkurse werden im Auftrag der Otto-Benecke-Stiftung e.V. von 12 Sprachkursträgern durchgeführt. Die jugendlichen Spätaussiedler absolvieren zu 75% diese Sprachkurse erfolgreich. Von denjenigen, die durchfallen, erreichen ca. 90% in einer Wiederholungsprüfung, die nach weiteren zwei Monaten Sprachausbildung möglich ist, das Ausbildungsziel. Die sprachliche Förderung im Schul- und Berufsbildungsbereich kann, insbesondere in Intensivsprachkursen, im Normalfall sehr schnell beginnen, d.h. es bestehen derzeit keine Wartezeiten. Wartezeiten können allerdings dann auftreten, wenn es nicht gelingt, eine ausreichende Anzahl von Teilnehmern für einen Sprachkurs zu rekrutieren. Auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen beginnt ein Sprachkurs im Normalfall erst dann, wenn mindestens 15 Teilnehmer gefunden werden konnten. Im Hochschulbereich bestehen teilweise Wartezeiten von durchschnittlich vier Monaten. Diese haben sich aber in den letzten Monaten drastisch reduziert. Es ist davon auszugehen, daß eine weitere Verkürzung der Wartezeiten eintreten wird.
Die Garantiefondsmittel sind, orientiert an den Zuzugszahlen seit 1991, kontinuierlich zurückgegangen. Seit 1995 liegt der Auslastungsgrad bei über 97%. 1997 wurde der Garantiefonds zu 97,2% ausgeschöpft; das liegt auch an der zum 31.10.1997 erlassenen Haushaltssperre. Im Jahre 1996 wurden über den Garantiefonds (Schul- und Berufsbildungsbereich und Hochschulbereich zusammen) insgesamt 90.000 Jugendliche gefördert, ca. 82.000 jugendliche Spätaussiedler im Schul- und Berufsbildungsbereich und ca. 8.000 Jugendliche über das Programm der OBS e.V. 7.
Die Integrationsförderung über die Beratung und Betreuung erfolgt über das Eingliederungsprogramm, das den gesamten Eingliederungsprozeß, der in der Regel erst nach fünf Jahren abgeschlossen werden kann, unterstützt. Ca. 300 ortsnahe Jugendgemeinschaftswerke mit ca. 580 hauptamtlichen Mitarbeitern sowie weitere Mitarbeiter, die über andere Programme gefördert werden bzw. ehrenamtlich tätig sind, leisten diese Arbeit.
Quelle: Jugend, Beruf, Gesellschaft, 8.97, S. 14 Die Jugendgemeinschaftswerke haben einmal die Aufgabe, die jugendlichen Spätaussiedler möglichst schnell in geeignete Maßnahmen zu vermitteln. Sie nehmen Kontakt auf zu den Schulen, den Jugendämtern, den Sozialämtern und unterstützen die jugendlichen Spätaussiedler und deren Eltern bei der Suche nach geeigneten Maßnahmen. Darüber hinaus bieten die Jugendgemeinschaftswerke Orte der Begegnung, einmal zwischen den jugendlichen Spätaussiedlern selbst, zum anderen aber auch, um mit einheimischen Jugendlichen zusammenzukommen. Die Maßnahmen der Jugendgemeinschaftswerke werden inzwischen sehr stark unterstützt, was auch durch Finanzmittel des Bundesministeriums des Innern, das die Förderung der Jugendkultur zu einem neuen Schwerpunkt gemacht hat, geschieht. Dafür werden die Träger der Jugendgemeinschaftswerke, aber auch andere regionale Vereine und Verbände, die sich die Integration von jugendlichen Spätaussiedlern zum Ziel gesetzt haben, unterstützt. Staatliche Angebote können nur dann effektiv und effizient sein, wenn eine Bündelung stattfindet. Nur wenn das Fachwissen, das über die Probleme der Migration und ihrer Folgen an vielen Stellen existiert, wie z.B. bei den Jugendgemeinschaftswerken, bei den Trägern der offenen Jugendhilfe, bei der Jugendgerichtshilfe, der Schulsozialarbeit und den sozialpsychologischen Diensten, aber auch bei den Kirchen und ehrenamtlichen Einrichtungen, gebündelt wird und zu kooperativen Arbeitsformen führt, kann die Eingliederungsaufgabe wirksam erfüllt werden. 8.
Auch bei den jugendlichen Spätaussiedlern ist die Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation schlechter geworden. Sie bringen allerdings ein erhebliches Energiepotential mit. Der Großteil lernt und arbeitet mit großer Energie und Motivation, um hier in der Bundesrepublik möglichst schnell Fuß fassen zu können. Dies ist naturgemäß sehr schwer, wenn die Akzeptanz bei den hier geborenen Jugendlichen nicht erreichbar ist. Die Eingliederung wird sich in den nächsten Jahren erheblich verändern. Dies ist erstens bedingt durch die stark rückläufigen Spätaussiedlerzuzugszahlen und zum zweiten werden sich durch die Sprachtests und die Sprachkursangebote in den Herkunftsländern die deutschen Sprachkenntnisse wesentlich verbessern; denn auch den Spätaussiedlern ist klar, daß in Deutschland die Integrationsmöglichkeiten wesentlich von der Beherrschung der Sprache abhängen. In den Herkunftsländern ist deshalb schon ein Trend erkennbar, daß ausreisewillige Familienmitglieder gemeinsam einen Sprachkurs absolvieren. Integration muß im wesentlichen über Schule, Ausbildung und Beruf stattfinden. Eine Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation hätte deshalb auch eine problemlosere Eingliederung zur Folge. Diese kann nur schnell gelingen, wenn diese Rahmenbedingungen vorhanden sind. Die Spätaussiedler müssen einerseits eine hohe Motivation zur Eingliederung selbst mitbringen. Andererseits muß die einheimische Bevölkerung die Spätaussiedler wieder stärker als eine Gruppe wahrnehmen, die eine Bereicherung für unsere Gesellschaft bedeuten kann. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 1998 |