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IV. Zusammenfassung

Die Kräfte des Wettbewerbs im Binnenmarkt der EU und im Weltmarkt üben Druck auf Kosten, Sozialausgaben und Sozialrechtsnormen aus. Der Druck auf die Sozialausgaben wird verstärkt durch den Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die in den meisten Mitgliedstaaten nach den Kriterien des Maastrichter Vertrags für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion eine Tendenz zu übermäßigen Defiziten aufweisen. Hierzu scheint im Widerspruch zu stehen, daß der Entwurf des Amsterdamer Vertrags neue Ziele für die gemeinsame Sozialpolitik vorsieht. Wie jedoch schon das gültige Vertragsrecht bietet auch der Amsterdamer Vertragstext mehrere Methoden zur Verfolgung gemeinsamer sozialer Ziele an, darunter auch die Nutzung der Marktkräfte. Wie die Bestandsaufnahme der bisherigen gemeinsamen Sozialpolitik ergab, haben die Europapolitiker in der Vergangenheit von der Methodenvielfalt der europäischen Vertragswerke rege Gebrauch gemacht. Es wurde ein Gemeinsamer Markt mit Freizügigkeit für Selbständige und abhängig Beschäftigte geschaffen, es wurden europaweit gültige Sicherheits- und Gesundheitsstandards in der Arbeitsumwelt von Arbeitnehmern gesetzt und gemeinsame Regelungen für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen erlassen, staatliche und nicht-staatliche sozialpolitische Akteure mit Informationen über die Sozialsysteme in den Partnerstaaten versorgt, der Dialog mit den Sozialpartnern geführt, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gefördert und das Instrument der Finanzhilfe zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts eingesetzt.

Die europäische Sozialpolitik in ihrer gegenwärtigen Form ist nicht aus einem einheitlichen Bauplan entstanden, sondern aus einem Verhandlungsprozeß hervorgegangen, dem es an Transparenz mangelte und dessen Ergebnisse nicht vorhersehbar waren. Streit über den richtigen Weg war im Ministerrat, der auch nach der Vertragsrevision durch den Maastrichter Vertrag die europäische Gesetzgebung dominiert, die Regel und wird es wohl auch bleiben. Er wird von Entscheidungsträgern aus den Mitgliedstaaten ausgetragen, deren normative Vorstellungen von der Sozialpolitik divergieren. Außerdem sind die Handlungsspielräume der nationalen Entscheidungsträger durch ökonomische Restriktionen auf nationaler Ebene definiert, die verschieden sind. Informationsprobleme sowie das Problem der Nicht-Additivität von nationalen Sozialnormen stehen einer Harmonisierung auf europäischer Ebene im Wege. Eine Harmonisierung der Sozialrechtsnormen auf höchstem Niveau würde Wachstumseinbußen verursachen, weil in einer Reihe von Mitgliedsländern das optimale Niveau der "Sozialsteuer" überschritten würde.

Im Hinblick auf das zukünftige Entscheidungsverhalten der Organe der EU läßt die Untersuchung den Schluß zu, daß die Bereitschaft der Entscheidungsträger zunehmen wird, die EU in Übereinstimmung mit normativen Begründungen ihrer Existenz zu nutzen. Auf EU-Ebene werden vermehrt Maßnahmen ergriffen werden, die auf nationaler Ebene nicht zustande kommen, weil sie vom nationalen Wähler nicht akzeptiert werden, obwohl sie im öffentlichen Interesse liegen. In stärkerem Maße als bislang wird die Gemeinsame Sozialpolitik die Marktkräfte als Instrument zur Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede einsetzen. Privater Ressourcentransfer und Imitation des überlegenen Rechts wird vor öffentliche Transfers und europäische Rechtsharmonisierung gehen. In den Länder mit der höchsten "Sozialsteuer" bedeutet dies, daß der private Ressourcentransfer in Mitgliedstaaten mit niedrigerer "Sozialsteuer" an Stärke gewinnt. Zur Abwehr kommen zwei Strategien in Betracht: (1) Verstärkung der Bemühungen um Harmonisierung auf höchstem Niveau und (2) Senkung des durch Normen angestrebten Niveaus des sozialen Schutzes, solange, bis das Optimum wieder erreicht ist.

Die erste Strategie wird in der EU nicht mehrheitsfähig sein, wenn sie nicht mit einem Angebot zur finanziellen Solidarität verbunden wird, d.h. einer Aufstockung der Nettobeiträge an die EU. Deutschland, in dem die "Sozialsteuer" das optimale Niveau überschritten hat, würde bei der Verfolgung einer solchen Strategie - wie schon einmal bei der Harmonisierung der gemeinsamer Agrarpreise auf dem höchsten Niveau, des Preisniveaus Deutschlands - verlieren. Die zweite Strategie wäre vorteilhafter, nämlich durch Senkung der "Sozialsteuer" in Richtung der optimalen Steuerhöhe die volkswirtschaftlichen und fiskalischen Kosten der Sozialpolitik zu verringern und die Wachstumskräfte zu stärken. Zu einer solchen Strategie paßt das Ziel, eine Senkung des deutschen Nettobeitrages zum EU-Haushalt herbeizuführen.

Tabelle 2:

Höhe der Staatsquote und Struktur der Staatsausgaben nach Ländergruppen in der OECD, Ausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts

1 - Belgien, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden (Staatsausgaben mehr als 50% des BIP in 1990).
2 - Österreich, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Neuseeland, Spanien (Staatsausgaben zwischen 40-50% des BIP in 1990).
3 - Australien, Japan, Schweiz, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten (Staatsausgaben weniger als 40% des BIP in 1990).
4 - Bundesebene.
5 - Daten aus 1991.
6 - Jahresdurchschnitt aus Daten für 1989-1991.

Quelle: Tanzi und Schuknecht, 1995.

Tabelle 3:

Höhe der Staatsquote und Indikatoren des Erfolgs der Staatstätigkeit nach Ländergruppen in der OECD

1 - Belgien, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden (mit Staatsausgaben von mehr als 50% des BIP in 1990).
2 - Österreich, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Neuseeland, Spanien (mit Staatsausgaben zwischen 40-50% des BIP in 1990).
3 - Australien, Japan, Schweiz, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten (mit Staatsausgaben von weniger als 40% des BIP in 1990).
4 - Durchschnitt der vorangegangen fünf Jahre
5 - Angaben für 1990 basieren auf Daten aus 1978.
6 - Ausgaben für 1960 basieren auf Daten von 1970 und für 1990 bei einigen Ländern auf Daten von 1993.

Quelle: Tanzi und Schuknecht, 1995.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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