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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 84]


Prof. Dr. Ulrich Pätzold, Thesenpapier

Die Entwicklung der Medien und ihre Auswirkungen auf die Journalistenausbildung


  1. Von der Zeitung bis zum Internet wird das Mediensystem immer diversifizierter, was die Medientypen und ihre Angebotsformen angeht. Der Wettbewerb der Medien bezieht sich in erster Linie auf die Aufmerksamkeit des Publikums. Medienproduktionen und Medienformate konkurrieren um Wahrnehmungszeit. Um diese Konkurrenz erfolgreich managen und bestehen zu können, werden möglichst viele horizontale, vertikale und diagonale Verbindungen im Medien-system aufgebaut. Cross-Promotion, cross-ownership, cross-cooperation ist die unternehmerische Antwort auf die Diversifikation des vielkanaligen Mediensystems. Medienkonzentration ist die wirtschaftliche Basis der Medienkultur.

  2. Welche Angebote der Medien journalistisch sind und welche nicht, ist die Folge einer Sichtweise, was Journalismus ist oder sein soll. Ist Journalismus eine nachfrageorientierte Dienstleistung, wird der journalistische Anteil im Mediengesamtangebot größer zu gewichten sein als wenn man Journalismus als ein autonomes Handlungssystem versteht, das den Meinungs- und Willensbildungsprozess in der Gesellschaft offen zu halten hat. Die Abgrenzung des Journalismus von anderen Mediendiskursen kann in der Auseinandersetzung mit zwei kategorialen Begriffen gefunden werden; die öffentliche Relevanz von Ereignissen und Entwicklungen, die Gewährleistung größtmöglicher Zuverlässigkeit von verbreiteten Informationen.

  3. Der Journalismus als Teilgröße der Medienproduktion kann sich als Medienangebot im Markt behaupten, wenn es gelingt, die professionellen Grundlagen des recherchierenden, pluralitätsbildenden Journalismus zu verbinden mit den medienspezifischen Techniken attraktiver Darstellungs- und Vermittlungsformen. Journalistische Konstrukte entstehen nicht in der Abgrenzung zwischen Information und Unterhaltung. Sie entstehen durch Authentizität, Glaubwürdigkeit und politische Reichweite ihres Bedeutungsgehalts. Deshalb ist Journalismus eine

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    mögliche Grundform eines jeden Mediums, ob an die allgemeine Öffentlichkeit gewandt oder an eine definierte Zielgruppe, ob in Zeitungen und Zeitschriften, im Hörfunk oder Fernsehen oder ob im Internet.

  4. Wenngleich in seiner medienspezifischen Form abhängig von der Nachfrage, vom Markt, vom Marketing, vom Medienmanagement, vom Medienunternehmen, bleibt Journalismus im Kernbereich auf Autonomie angewiesen. Die Auswahl der Themen, ihre Präsentation, die Demonstration des Politischen in den alltäglichen Ereignissen, die Gewichtung und Akzentuierung von Unterschieden in der politischen Bewertung und Strategie, die Hervorhebung der Gefährdungspotentiale, die Versuche des Erklärens und Verstehens komplexer Entwicklungen, die Repräsentanz der öffentlichen Relevanz von Themen und Ereignissen sind redaktionelle Entscheidungs- und Handlungsprozesse, die professionell unabhängig bleiben müssen. Alle Interventionen auf die redaktionelle Autonomie in den Medien, alle Schwächungen des organisatorischen Status der redaktionellen Autonomie müssen als Alarmzeichen wahrgenommen werden. Hier ist Medienpolitik gefordert.

  5. In den letzten 30 Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass journalistische Aus- und Weiterbildung notwendige Voraussetzungen für die Professionalisierung des Journalismus sind. Zunächst haben davon Einrichtungen profitiert, die Unabhängigkeit garantieren und ihre Arbeit in der Tradition eines Journalismus betrieben haben, die von der öffentlichen Aufgabenbestimmung des Journalismus geprägt war. Nachhaltiges Problem dieser Einrichtung war ihre permanente Unterfinanzierung, weswegen es nur schwer gelang, die Anpassung an die medientechnischen Anforderungen im Beruf voranzutreiben. Trotzdem gehören auch heute noch z.B. das Institut für Journalistik der Universität Dortmund zu den erfolgreichsten Ausbildungseinrichtungen. Gleiches gilt für die drei unabhängigen alten Institute der journalistischen Aus- und Weiterbildung in Hamburg, Hagen und München. Die Diskussion ist überfällig, wie viel den öffentlichen Händen, der Gesellschaft, solche unabhängigen Einrichtungen wert sind.

  6. Es ist legitim, dass auch gesellschaftliche Großgruppen, Parteien, Kirchen und andere ihre Journalistenwerke geschaffen haben. Wieweit

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    über sie der Medienkatalog gefördert, Journalisten für die eigene Sache gewonnen oder umfassende Bildungsarbeit betrieben werden soll, ist nicht immer ganz klar zu durchschauen, wie überhaupt die journalistische Aus- und Weiterbildung an den Rändern immer unübersichtlicher wird. Eine neue Entwicklungslinie der journalistischen aus- und Weiterbildung geht seit einigen Jahren von den großen Medienunternehmen aus. Sie gründen ihre eigenen Journalistenschulen und Akademien. Jüngst haben das Bertelsmann und RTL in Köln mit der RTL-Journalistenschule getan. Bei Durchsicht des Curriculums ist der Verdacht nicht auszuschließen, dass in solchen Einrichtungen die journalistische Aus- und Weiterbildung zu einem Instrument des Unternehmensmarketings wird und nicht vornehmlich am öffentlichen Interesse und an der öffentlichen Aufgabe ausgerichtet ist.

  7. Somit gerät die journalistische Aus- und Weiterbildung im Zuge der Medienentwicklung in einem Wettbewerb zwischen öffentlich unabhängigen und privaten unternehmensgebundenen Einrichtungen. Dagegen wäre angesichts der Medienrealitäten ernsthaft nichts einzuwenden, wenn dieser Wettbewerb nicht ausgerechnet durch die Förderpolitik der öffentlichen hand und gesellschaftlicher Entwicklungen verzerrt würde. So erhält die RTL-Schule von der nordrhein-westfälischen Landesregierung eine Startförderung von nahezu 900.000,00 DM und einen jährlichen Förderzuschuss von 36.000,00 DM. So wird die Landesanstalt für Rundfunk die gleiche Einrichtung mit jährlich 150.000,00 DM fördern, droht aber gleichzeitig die Kürzung der Forderung der Deutschen Hörfunkakademie um jährlich 50.000,00 DM an. Konsequenterweise ist der Geschäftsführer der Hörfunkakademie Dr. Karl-Martin Obermeyer vor wenigen Tagen von seinem Amt zurückgetreten. Und das Land stellt seine jährliche Förderung der Fernsehausbildung in der Journalistik der Dortmunder Universität von 100.000,00 DM ab 2001 ganz ein mit dem Hinweis, diese Gelder sollten durch Sponsoren eingeholt werden.

  8. Die diskursive Auseinandersetzung über die Journalistenausbildung im Rahmen der Medienentwicklung ist notwendig, aber nicht ausreichend. Es ist dringend an der Zeit, politisch gewollte Rahmenbedingungen zu setzen und über die Finanzierung einer aktiven Medienpolitik zu reden.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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