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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

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Prof. Dr. Irmtraut Paulwitz
Die EUROVOL-Studie


Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen im Haupt- und Ehrenamt,
Dear European Friends,

I. Aspekte zur Entstehungsgeschichte der Studie

Die Eurovol-Studie „Ein neues bürgerschaftliches Europa. Eine Untersuchung zur Verbreitung und Rolle von Volunteering in zehn Ländern" gibt neue Einblicke in eine europaweite Volunteerlandschaft (vgl. Gaskin/Smith/Paulwitz 1996).

Zum ersten Mal hat sich ein europaweites Forschungsprojekt vergleichend mit dem Volunteering, dem freiwillig-ehrenamtlichen Engagement, befaßt. Zum ersten Mal ist das wiedervereinigte Deutschland in den europäischen Vergleich einbezogen worden. Von 1992 bis 1995 haben 25 Forscherinnen und Forscher diese Untersuchung in hohem Maße selbst ehrenamtlich erarbeitet.

Das Forschungskonzept entwickelte sich aus der Begegnung europäischer Volunteers und Professioneller. Wir wollten Detailliertes voneinander erfahren, als wir uns dies gegenseitig bei Volunteer-Kongressen oder durch Besuch vor Ort im andern Land übermitteln konnten.

Die Ausgangslage dieser Untersuchung war allerdings nicht viel anders als bei jedem „gewöhnlichen" Volunteering-Beginn: Die Arbeitsbegeisterung und Neugier für unsere Forschungsidee in einer europaweiten, konzertierten Aktion war groß, aber wo waren die erforderlichen Ressourcen zu finden ?

Die Sprachbarrieren zwischen englisch-, französich- und deutschsprachigen Forscherinnen und Forschern wurden mittels Volunteer-Unter-

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stützung überwunden, aber würden wir uns fachlich über unterschiedliche soziokulturelle, rechtliche und politische Traditionen, über wissenschaftliche Einstellungen und Begrifflichkeiten gegenseitig genügend verständlich machen können ?

Wir alle wußten viel über Theorie und Praxis von Volunteering im eigenen Land, aber würde es uns wirklich gelingen, Volunteering in Europa in seinem Facettenreichtum realistisch zu beleuchten und in einer gemeinsamen Studie zu erfassen ?

Zusammen mit Frau Sigrid Reihs vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evang. Kirche in Deutschland (SWI der EKD) mit Sitz in Bochum habe ich den deutschen Landesreport für die Eurovol-Studie verantwortlich begleitet und erstellt. Dank der Unterstützung durch die Robert-Bosch-Stiftung kam die deutsche Beteiligung an dieser Zehn-Länder-Vergleichsstudie überhaupt zustande. Die Bundesregierung - vertreten durch das Bundesministerium für Familie und Senioren (BMFuS) hatte ihre anfängliche Finanzierungszusage in letzter Minute wieder zurückgezogen.

Am 2. Juni 1995 wurde die Eurovol-Studie in London einem international ausgewähltem Volunteer- und Fachpublikum in Anwesenheit von Vertretern europäischer Regierungen vorgestellt. Am 1. Dezember 1995 erfolgte auf Einladung der Robert-Bosch-Stiftung die Wiederholung dieses Aktes in Berlin für ein ausgewähltes deutsches Publikum. Das fachliche und politische Echo auf dieses gemeinsame „Eurovol-Werk" ist bis heute anhaltend groß.

Eine erste These zur Entstehungsgeschichte der Eurovol-Studie lautet:

Bei dem einzigartigen Prozeß des gemeinsamen Antwortsuchen geht es um die Leitfragen:

- was bringt Menschen dazu, sich zu engagieren, zugleich Verantwortung in einer Weise zu übernehmen, die den Handelnden selbst „etwas bringt" ?

- was ist der „Eigen-Sinn" (im wohlbegriffenen Eigeninteresse) und was ist der „Gemein-Sinn" von Volunteering in Europa ?

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II. Begriffliche Anmerkungen zu Volunteering zur internationalen Verständigung

Freiwillig-ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement wird im angelsächsischen Sprachraum „Volunteering" genannt. Freiwillig engagierte, d.h. beteiligte Frauen und Männer - ob jung oder alt - sind Volunteers. Das Engagement findet im weitesten Sinne des sozialen Miteinanders statt.

Freiwillig gewählt bedeutet, es gibt persönliche Entscheidungsmöglichkeiten und Gestaltungsfreiräume, Transparenz und Partnerschaft; von keiner Seite wird Zwang ausgeübt. Leitmotiv für das Engagement ist die eigene Stellungnahme und verbindliche Beteiligung in selbst gewählten Angelegenheiten. Dazu gehört die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen in Konkurrenz zu Nichtstun, zu Freizeit, Spaß und Erholung. Volunteering ist ein Geschenk für die Gemeinschaft, unbezahlbar und von außen nicht einfach verfügbar.

Bürgerinnen und Bürger, damit sind alle Gesellschaftsmitglieder gemeint, ob Berufstätige oder nicht Entlohnte, Arme und Reiche, oder SchülerInnen, Studierende oder Auszubildende. Für alle gilt gleichermaßen, daß sie sich engagieren und private Zeit verschenken können und könnten, wenn für die jeweils notwendigen Rahmenbedingungen Sorge getragen wird, d.h. wenn verhindert wird, daß sich nur Gutsituierte Volunteering „leisten" können.

Die eigenen Fähigkeiten, das persönliche Wissen, die gesammelten Erfahrungen, Ideen, Talente und Experimentierfreudigkeiten sind Kompetenzen, die zum Engagement in die Waagschale geworfen werden können. Freigewählte Beteiligung wird am meisten dort wahrgenommen, wo Menschen mit Menschen (auch mit der Natur) sozial handelnd in Verbindung treten. Soziales Engagement im engeren Sinn zielt ab auf identitätsstiftende Wechselwirkung im Geben und Nehmen als zwischenmenschlicher Gewinn in Gegenseitigkeit, als Subjekt unter Subjekten sich selbst erfahrend und zugleich das Leben im Gegenüber wahrnehmend.

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Meine zweite These lautet an dieser Stelle:

Dem professionellen Handeln tritt selbstgewähltes, individuelles und bürgerschaftliches Engagement mit „Eigen-Sinn" und „Eigenarbeit" zugunsten des sozialen Miteinanders gegenüber. Viele Bürgerinnen und Bürger beziehen immer häufiger Stellung als ExpertInnen ihrer eigenen Situation und Belange. Sie machen sich selbst auf den Weg zu einer Neugestaltung des Sozialen in einer Konkurrenzgesellschaft. Sie hoffen zugleich auf professionelles Verstehen und auf Ressourcen-beschaffende Unterstützung.

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III. Europaweite Trends von Volunteering im Spiegel der Eurovol-Studie

Die Eurovol-Studie ist ein erster Schritt, zuverlässige Vergleichsdaten über Volunteering quer durch Europa zu erheben.

Zu den beteiligten Ländern gehören:

  • die beiden skandinavischen Länder Dänemark und Schweden

  • die beiden angelsächsischen Länder Großbritannien und die Republik Irland

  • die beiden Beneluxstaaten Belgien und die Niederlande

  • die beiden zentraleuropäischen Länder Frankreich und Deutschland

  • die beiden ehemaligen Ostblock-Staaten Bulgarien und die Slowakei.

Dabei muß besonders beachtet werden, daß mit Bulgarien und der Slowakei - und in gewissem Sinne auch mit Ostdeutschland - Länder beteiligt sind, die auf eine 40jährige, anders geprägte Kultur von freiwilligem und bürgerschaftlichem Mitwirken zurückblicken. Dieser Unterschied bietet die Möglichkeit zu prüfen, welche Bedingungen für Volunteering durch ein politisches Klima gesetzt werden. Die südlichen Länder Europas, z.B. Italien und Spanien, mußten leider wegen fehlender Forschungsmittel das Projekt wieder verlassen.

Die Eurovol-Studie beinhaltet drei Hauptelemente:

  1. Eine Bevölkerungsbefragung (Omnibus Survey) zur Gewinnung von Grundtatbeständen, z.B. hinsichtlich des Vorkommens und der Verbreitung von Volunteering, der Motivation, der Tätigkeitsprofile, der Gründe der Beteiligung und der Nichtbeteiligung.
  2. Eine Organisationsstudie sollte herausfinden, auf welche Weise Volunteering in Europa strukturiert ist, wie um Volunteers geworben wird, wie Volunteers unterstützt, eingearbeitet und begleitet werden. Wir wollten wissen, ob Organisationen volunteer-bezogene Regelun-

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    gen treffen, Haushaltsansätze einkalkulieren und Personal für Koodinierungsangelegenheiten einsetzen.

  3. Eine sozialwissenschaftliche Berichterstattung aus jedem beteiligten Land sollte über das historische, sozialpolitische und soziokulturelle Bedingungsgefüge von Volunteering Aufschluß geben.

Für die zehn Länder übergreifende Definition von Volunteering wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt:

Es geht um freiwillige Aktivitäten in persönlich gestifteter Zeit zugunsten anderer Personen (d.h. außerhalb der eigenen Familie) oder der Natur und weiteren Sachaufgaben, die über einen organisierten Rahmen ohne Entgelt durchgeführt werden (vgl. Gaskin, Smith, Paulwitz 1996).

Auf diese Weise hat die Eurovol-Studie einen wesentlich erweiterten Aktionsradius in den Tätigkeitsbereichen erfaßt. Diese liegen neben sozialem, gesundheitlichem, auch auf sportlichem, ökologischem und politischem Gebiet und in Religion, Kunst und Kultur (vgl, Gaskin, Smith, Paulwitz 1996).

Dabei steht außer Frage, daß ein Fokus auf mehr informelle Nachbarschaftshilfe und auf alltägliches informelles Handeln, beispielsweise von Haus zu Haus, die Volunteer-Zahlenverhältnisse und das Volunteer-Profil, vor allem in der ökonomischen und sozialen Klassenzugesammengehörigkeit, verschieben würde. Hier ist auf jeden Fall weitere Forschung gefragt.

Das Eurovol-Gesamtbild zeigt eine äußerst vitale Volunteerbewegung in einem weitgehend eigenständigen und selbstbewußten Volunteer-Sektor. Auffallend ist das hohe Regierungsinteresse in allen beteiligten Ländern, die allgemeine Unterstützungsbereitschaft und die öffentliche Begeisterung für die Ausdehnung von Volunteering.

Der Abschlußbericht argumentiert allerdings auch gegen die Euphorie und hebt die genauso bedeutungsvollen, weniger erfreulichen Beobach-

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tungen hervor, die Volunteering gefährden und wünschenswerte Entwicklungsbewegungen empfindlich untergraben könnten.

Zunächst einige positiv erscheinende Trends:

Die Eurovol-Studie weist nach, daß Volunteering europaweit eine tief verwurzelte, beinahe selbstverständlich gesellschaftliche Erscheinung ist und einen enormen Beitrag zum sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben leistet.

Zahlenmäßig gibt es hervorstechende Unterschiede: Die Niederlande und Schweden zeigen im Erhebungsjahr 1994 (mit annähernd 40 Prozent Volunteerbeteiligung) im weiten Feld des Tätigwerdenkönnens das höchste Engagement auf, während Deutschland (18 Prozent) und die Slowakei (12 Prozent) am untersten Ende der Skala stehen. Dagegen hebt sich Deutschland mit einem Spitzenwert (von 85 Prozent) bei den regelmäßig Engagierten ab, die wenigstens einmal im Monat Volunteering leisten.

Europaweit beeindruckend ist nicht nur der relativ hohe Durchschnittswert (27 Prozent) von Volunteering aller beteiligten Länder, sondern die wenig vorhandene tieferliegende Ablehnung der Nicht-Engagierten. Dieses Ergebnis beinhaltet zugleich, daß der vorhandene Volunteer-Pool noch bedeutender verbreitert werden könnte, denn nur ein kleiner Prozentsatz der Nicht-Volunteers steht dezidiert gegen Volunteer-Engagement (europaweiter Durchschnitt: 6 Prozent).

Viele der Nicht-Aktiven gaben als Gründe ihres Nichtbeteiligtsein an, daß sie selbst noch nie über eigenes Volunteering nachgedacht hätten oder nie darum gebeten wurden. Insgesamt antworteten europaweit ein Drittel (30 Prozent) der Nicht-Engagierten, sie könnten sich Volunteering sehr wohl vorstellen, falls sie dazu eingeladen werden sollten.

Unter jenen Volunteers, die 1994 quer durch Europa regelmäßig engagiert waren, sind die persönlichen Rückgewinnungspotentiale überraschend hoch. Dazu gehören nach ihren Angaben an führender Stelle „Freude und Spaß am eigenen Tun, Befriedigung über die sichtbaren Er-

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gebnis, die Begegnung mit anderen Menschen" bis hin zu „Freundschaften schließen".

Wichtig erscheint den europäischen Volunteers aber auch „neues Können erwerben, einen persönlichen Beitrag für das Gemeinwesen zu leisten" und dadurch „soziale Anerkennung vor Ort zu gewinnen".

Daß Volunteering als ein ganzheitliches , gesundheitsförderndes Rezept und Mittel für Wohlbefinden (wellbeing) gelten kann, beweist der hohe Prozentsatz der regelmäßig Engagierten mit ihrem Statement „Volunteering hilft mir aktiv und gesund zu bleiben" (europaweiter Durchschnitt: 29 Prozent, BRD: 30 Prozent).

Auch die Organisations-Untersuchungsergebnisse in Bezug auf Volunteering zeigen auf den ersten Blick ein positives Gesamtbild: Die Mehrzahl der Befragten europaweiten Einrichtungen weisen nach, daß sie unverzichtbar auf Volunteers angewiesen sind, daß manche sogar ohne sie nicht überleben könnten.

Volunteers sind auf allen organisationsbezogenen Handlungsebenen vorzufinden, von der Leitung über die Verwaltung, in der Öffentlichkeitsarbeit, Geldbeschaffung, bis hinein in viele direkte Dienste.

Volunteers überbrücken in vielerlei Hinsicht eine immer größer werdende Kluft bei Informationsnotwendigkeiten zwischen Bürger/innen, Hilfesuchenden und Staat und bezahltem Dienstleistungssektor.

Die Einrichtungen machen auch keinen Hehl aus ihren realen Gewinnchancen mittels Volunteering. Sie profitieren von den Kompetenzen der Volunteers, von ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihrem Ideenpool, von ihrer Experimentierfreudigkeit und ihrem Erfahrungswissen.

Vor allem schätzen sie die Verankerung ihrer Organisation mittels Volunteering in die alltäglichen Lebenszusammenhänge des Gemeinwesens vor Ort.

Probleme entstehen lediglich bei der Volunteergewinnung. Diese Aufga-

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ben kosten zusätzliche Arbeitszeit und Ressourcen für die Einarbeitung und Begleitung der Volunteers.

Abrunden läßt sich dieses positive Bild der Eurovol-Studie mit dem europaweit getragenen mehrheitlichen Statement, daß „Volunteers etwas anderes anbieten, das von Hauptberuflichen nicht geboten werden kann" und „daß das Volunteer-Engagement Menschen hilft, eine aktive Rolle in einer demokratischen Gesellschaft einzunehmen".

Trotz dieser überwiegend erfreulichen Ergebnisse sollen auch noch einige nachdenklich stimmende Trends - exemplarisch ausgewählt - benannt werden: die europaweiten Haushaltskürzungen treffen die Förderung und Entwicklung von Volunteering in Richtung Blockade.

Nicht nur in den jungen demokratischen Ländern des Ostens, sondern in allen untersuchten Staaten zeigen sich gravierende Einschnitte. Die Eurovol-Studie beweist, daß Volunteering nicht kostenlos zu haben ist. Die herausfordernde Botschaft lautet, daß Regierungen und Organisationen in Form von verläßlichen „Geschäftsgrundlagen" für Volunteering investieren müssen, wenn sie die positiven „Volunteerfrüchte ernten wollen".

Trotz zentraler Rollen und Funktionen, die Volunteers in vielen Einrichtungen und Projekten inne haben, gibt es dort zum überwiegenden Teil keine festverankerten Rechte, keine gegenseitig festgelegten Pflichten mit Grenzziehungen; keinen Haushaltsansatz und niemand in der koordinierenden Verantwortung für Volunteer/Engagierte.

Eine Ressourcenausstattung und ein Auslagenersatz werden weiterhin nicht einkalkuliert, eher stillschweigend übergangen.

Bei der Arbeitsplatzzufriedenheit werden von seiten vieler befragten Volunteers als Nachteile angemahnt: „schlechte Organisation, fehlende Anerkennung bis Ausnutzung, ungenügende Einarbeitung, Begleitung und Unterstützung. Hier ist Abhilfe vonnöten.

Als weiterhin verbreiterter Trend zeichnet sich der enge Zusammenhang

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zwischen wirtschaftlich abgesichertem und sozial gehobenem Status bei der Mehrzahl aktiver Volunteers ab.

Nur Schweden scheint stringent das Konzept „Volunteering ist für alle da" als demokratischen Ansatz im Sinne von Empowerment zu verfolgen - trotz schwieriger gewordener Wohlfahrtsstaatsverhältnisse. Es verbirgt sich dahinter aber auch eine teilweise unterschiedliche Reflexion der Definition von Volunteering. In Schweden läßt sich immer weniger eine Trennungslinie ziehen zwischen Volunteering als Servicemitwirkung, als Dienstenutzung, als Organisationszugehörigkeit durch Mitgliedschaft, als Kunde und/oder Klient.

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IV. Handlungsbedarf für Politik, Professionalität und Praxis

1. Wenn Volunteering tatsächlich eine wesentliche und neue Rolle im Konzept Zivilgesellschaft/Kommunitarismus spielen soll - wie dies nach den Ergebnissen der Eurovol-Studie quer durch alle europäischen Staaten und politischen Parteien konstatiert wird - dann müssen die Zugangsvoraussetzungen für alle Bevölkerungskreise gleichberechtigt und gleichrangig gewährleistet sein.

Hierbei geht es auch um vom Ausschluß bedrohte Menschen, um alle, die gerne „links liegen gelassen werden". Die Eurovol-Studie kann nicht bestätigen, daß in dieser Blickrichtung neue Offenheiten entstehen; im Gegenteil, es werden Tendenzen sichtbar, daß die Unausgewogenheiten der „Zweidrittelgesellschaft" sich auch im Volunteering, verschärft einpendeln. Viele untersuchte Organisationen sind mehr denn je zuvor bestrebt, „gut situierte" und qualifizierte Volunteers zu erreichen. Sie möchten dem gegenwärtig laufenden Ansinnen standhalten können, daß sie im Konzept „Welfare mix" Dienstleistungsanerkennung erhalten und als Einrichtung mit öffentlichen Geldern ausgestattet überleben können.

2. Volunteering hat zur Zeit Hochkonjunktur als eine angeblich demokratiefördernde Aktivität, die viele Regierungen unbedingt unterstüt-

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zen und ausdehnen möchten. Dabei handelt es sich allerdings bis jetzt um viel öffentliche Rhetorik. Nur in wenigen Ländern bemühen sich Politik und Professionalität in Theorie und Praxis um barrierefreien Zugang zu Volunteering für alle Bevölkerungskreise, mit verschieden gelagerten Kompetenzen, auch mit wenigen bis gar nicht vorhandenen eigenen Ressourcen.

Zum Volunteer-Handeln wird dort am liebsten offensiv eingeladen, wo einigermaßen gewährleistet ist, daß die Volunteers selbst für ihre Rahmenbedingungen sorgen und möglichst wenig bis keine finanziellen Ressourcen beanspruchen - gegenwärtig z.B. am meisten bei SeniorInnen.

3. International werden besonders wir Professionellen des Sozialen in Theorie und Praxis als „gate keeper" (Torhüter/innen) für oder gegen Vounteering gebrandmarkt. Die Eurovol-Studie hat nachgewiesen, daß Volunteers keineswegs mit den Hauptberuflichen in Konkurrenz treten möchten. Sie suchen und wünschen Teilhabe und Beteiligung durch Geben und Nehmen, durch „Dienst und Selbstbezug" in „gekonnt" abgestimmten Passungsverhältnissen (matching).

Zusammenfassend läßt sich festhalten:

Volunteers sind nach den Ergebnissen der Eurovol-Studie im großen und ganzen sehr genügsam. Sie pochen meist von sich aus nicht auf Rechte und Pflichten. Was sie von uns Professionellen fundamental sichergestellt bekommen sollten, läßt sich mit Worten der WHO-Definition knapp umreißen als „physisches, psychisches und soziales well being". Diese Grundelemente für Wohlbefinden in Form von Ausstattungs-, Austausch-, Befähigungs- bis Bemächtigungs-Verhältnisse (Empowerment) sollten in allen personenbezogenen Professionalitäten in Theorie und Praxis weit mehr als bisher lehrend und lernend ins Visier genommen, handelnd durchbuchstabiert und auf den Weg gebracht werden. Dieses Vorgehen wäre für unbezahltes/unbezahlbares, partnerschaftliches Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger in der Tat der „Ehre" wert.

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Als Reutlinger Bürgerin möchte ich Ihnen als zukünftiges Prüfkriterium für neues Denken in Sachen Volunteering ein bekanntes Wort von Gustav Werner mit auf den Weg geben: „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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