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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 179]

Braun: Ich darf recht herzlich Herrn Dr. Hoberg begrüßen, wir haben seinen Beitrag im Programm „Bilanz und Perspektiven des Pflegeversicherungsgesetzes aus der Sicht der Pflegekassen" genannt. Wir werden dann heute Nachmittag sozusagen als Kontrast dazu aus der Sicht der Anbieter - von stationären Angeboten hauptsächlich - Frau Baehrens als Gesprächspartnerin haben. Sie ist auch schon da; ich darf sie auch ganz herzlich begrüßen. Ja, Herr Hoberg, Sie sagen vielleicht zunächst was zu sich und ihrer Funktion.

Dr. Rolf Hoberg: Ja, guten Tag, meine Damen, meine Herren. Ich freue mich, heute Morgen bei Ihnen zu sein und mit Ihnen dann auch ins Gespräch zu kommen über die Einschätzung der Pflegeversicherung nach gut fünf Jahren. Kurz ein paar Worte zu meiner Person. Ich bin im Vorstand der AOK Baden-Württemberg zuständig für den Leistungs- und Vertragsbereich, sowohl im Bereich der Krankenversicherung als auch im Bereich der Pflegeversicherung. Die AOK Baden-Württemberg hat einen Marktanteil von ungefähr 50 Prozent in der Krankenversicherung in Baden-Württemberg, im Bereich der Pflege eben konsequenter Weise auch diesen Marktanteil; aber der Anteil der Pflegebedürftigen, der von der AOK Leistungen erhält, liegt je nach Region zwischen 40 und 80 Prozent. Das heißt, wir sind als AOK, wenn es um pflegerische Versorgung geht, in vielen Fällen dann auch der zentrale oder häufigste Ansprechpartner. Ich habe bis vor einigen Jahren im Sozialministerium Baden-Württemberg gearbeitet und war dort zuständig für den Bereich Altenhilfe, auch für die Heimaufsicht mit zuständig. Ich war dort auch zuständig für die Pflege und habe Anfang der 90er Jahre für das Land an diesem Pflegeversicherungsgesetz mitgearbeitet im Vermittlungsausschuß zwischen Bundestag und Bundesrat, wo dieses Gesetz faktisch zustande gekommen ist. Von daher kann ich bei vielem, was gescholten wird an diesem Gesetz, Ihnen sicherlich auch erklären, wie es denn zustande gekommen ist.

Jetzt nach fünf Jahren kann man zur Pflegeversicherung rückschauend schon ein Stück weit Bilanz ziehen. Und von daher bin ich froh für die Gelegenheit heute, auch eine erste Einschätzung zu geben, wie sich aus unserer Sicht, der Sicht der Krankenversicherung, der Pflegekassen die Dinge wahrscheinlich weiter entwickeln werden. Dies wird eine Einschätzung sein, die eher von Skepsis geprägt sein wird als von Euphorie. Eher ge-

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prägt sein wird von dem Blick auf das Machbare und weniger von dem Blick auf das Wünschbare. Dieses als Einleitung.

Dann möchte ich Ihnen als erstes einen Überblick geben anhand dieser Folie (s. S. 179); ich hoffe, daß man das bis in die hinteren Reihen lesen kann. Dies ist die Grundstruktur dessen, was ich Ihnen vortrage. Und dann werde ich die Felder wieder abdecken und jedes einzelne Feld mit Ihnen kurz durchsprechen. Ich werde meinen Vortrag so aufbauen, daß ich zunächst einmal über das spreche, was sich durch die Pflegeversicherung verändert hat für die Gesellschaft insgesamt. Dann, was hat sich geändert auf der Ebene der Verbände und der Bundesländer als den Vertrags- und Verhandlungspartnern, die Pflege strukturieren; und was hat sich geändert, wenn man den Einzelnen betrachtet, den einzelnen Pflegebedürftigen, die einzelne Pflegebedürftige oder die einzelne Einrichtung. Das wäre die Fragestellung, wenn man es sich von den verschiedenen, von den drei Ebenen anschaut. Und dann ein Stück weit gewohnt für die, die in der Pflege arbeiten, orientiert auf die verschiedenen Sichtweisen oder Dimensionen von Qualität, was ändert sich oder hat sich geändert in den Struk-

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turen und in den Prozessen. Und schließlich, wie ist die Einschätzung der Ergebnisse auf den jeweiligen Ebenen. Das als Grundstruktur dieses Vortrags.

Beginnen wir mit dem ersten Bereich. Die Pflegeversicherung, 1994/95 eingeführt, ist nach meiner Einschätzung die letzte sozialpolitische Großtat, die in Deutschland vollbracht worden ist. Die heutige wirtschaftliche Situation, die Globalisierung der Wirtschaft führt nicht nur dazu, daß wir in Europa und mit Ländern außerhalb Europas in einem Wettbewerb stehen, sie mündet auch in einer Konvergenz der Sozialsysteme, die dazu führt, daß die Bereitschaft zur kollektiven Finanzierung sozialer Leistungen der Tendenz nach eher zurückgeht, als daß sie ausgebaut wird. Überspitzt formuliert: wir haben im Bereich der kollektiven sozialen Sicherung mit der Einführung der Pflegeversicherung den Gipfel sozialstaatlicher Sicherungssysteme erreicht und sind seit dieser Zeit auf dem Rückzug, in der defensiven Umstrukturierung einer neuen Mischung von kollektiver und individueller Absicherung. Sie erleben das aktuell in der Diskussion um die Rentenversicherung, wo auch auf einmal Ideen einer Dreiteilung der Alterssicherung auftauchen. Sie erleben im Bereich der Krankenversicherung dieselbe Diskussion. Vor diesem Hintergrund war es eine Großtat, daß es gelungen ist, 30 Milliarden in einem Umlageverfahren zu mobilisieren für die Pflege.

Was aber auch gelungen ist und was ein ganz entscheidender Punkt ist, der auf Dauer bleibt: Pflege wurde damit - anders als früher - ein politisches Thema, und zwar ein kollektives sozialpolitisches Thema. Sie war vorher immer individuelle Auseinandersetzung mit der Leistungsmöglichkeit für Pflege. Ich weiß nicht, inwieweit Sie sich noch erinnern: Daß es eben immer die Frage war, kannst Du es alleine zahlen und Deine Familie? Oder, wenn es nicht mehr geht, wirst Du zum Fall für die Sozialhilfe. Aber es war immer der Einzelne verantwortlich und nur ab dem Punkt, wo er nicht mehr leistungsfähig war, gab es die Bereitschaft des Staates, über die Sozialhilfe einzutreten. Und dieses hat sich grundlegend gewandelt, indem Pflege zum politisch verantworteten Thema geworden ist, einbezogen in die Systematik der Sozialversicherung mit allen Konsequenzen, die das hat; wir werden später auch sicher auf Nachteile einer solchen Einbeziehung kommen, aber auch mit allen Vorteilen. Damit ist es unverrückbar Thema der Sozialversicherung. Leider - und damit bin ich wieder bei der

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Perspektive - erleidet sie dann auch das gleiche Schicksal wie die Sozialversicherung. Was in der Sozialversicherung à la longue zu machen sein wird, leistbar sein wird, wird auch das sein, was in der Pflegeversicherung machbar sein wird. Und dann stehen Leistungsmöglichkeiten, Leistungserweiterungen in der Pflege in der Diskussion unter der gleichen Prüfung wie in der Krankenversicherung, wie in der Rentenversicherung, wie in der Arbeitslosenversicherung. Von daher: auf der einen Seite Absicherung und auf der anderen Seite die Defensive, die gleiche Defensive, in der sich alle anderen sozialen Sicherungssysteme befinden.

Es ist das Sachleistungsprinzip eingeführt worden. Das hat Vorteile: es muß politisch verantwortet werden, welche Leistung in der Pflege erbracht werden soll. Auf der anderen Seite heißt Sachleistungsprinzip auch, daß abstrakte, schwer greifbare Körperschaften festlegen, welche Leistungen und welche Leistungspakete das sind. Und es gibt viele, die genau an dem Prinzip jetzt auch wieder in der Perspektive rütteln und sagen, dieser Zwang, diese Bürokratisierung, die darin steckt, diese quälend engen Definitionen, diese Schnittstellen, die dadurch entstanden sind zu anderen Leistungsbereichen, der Sozialhilfe, der Eingliederungshilfe im Rahmen der Sozialhilfe, der Krankenversicherung, das ist alles so mühsam. Das wollen wir alles nicht mehr. Wir wollen raus aus diesem Sachleistungsprinzip; es wäre doch viel schöner, alle Leute kriegten Geld und würden - wir hatten vorhin den Begriff Kunden - sich für das Geld etwas einkaufen.Wir brauchen mehr Freiheit. Nur, man muß sehen, mit dieser Idee Geldleistung statt Sachleistung, und zwar nur Geldleistung, werden dann diejenigen, die diese Leistungen sich dann einkaufen können oder müssen, auch ein Stück schutzlos. Denn sie sind dann diejenigen, die den Einrichtungsträgern gegenüberstehen und deren Leistung im Einzelfall einkaufen müssen. Das ist für die Politik im Zweifel auch verführerisch, weil sie dann eben für die Leistung keine Verantwortung mehr übernehmen muß. Es heißt: Du kaufst für das ein, was Du an Geld hast, und da gibt es eben auch ein breites Spektrum an Leistungen, an Leistungsqualitäten; das paßt in die heutige Zeit. Also von daher ist dieses Sachleistungsprinzip, eingeführt aus dem Denken der Krankenversicherung, eingeführt um Leistungsanbieterverbände und Kostenträgerverbände in die Verantwortung der Leistungsdefinition zu stellen, nicht unumstritten. Und es wird, wenn das Geld knapp werden sollte, auch die Bereitschaft geben,

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dieses Prinzip fallen zu lassen mit dem Argument, Geld gibt Freiheit; und dann kann man den Geldbetrag auch leichter knapp halten, weil das ja dann Freiheit ist.

Was die Struktur angeht, so muß man sehen, dieses Pflegeversicherungsgesetz durchziehen ganz unterschiedliche Lenkungsideen. Also das Gesetz ist eigentlich eine Mischung aus planwirtschaftlichen, hart gesagt, SPD-Ideen, sozialromantischen CDU-Ideen und marktliberalen FDP-Ideen. Eine Mischung, wo jeder etwas schreiben durfte für das Gesetz, das dann zusammengebaut wurde. Ein Regelungskern ist da, der einigermaßen funktioniert, und viel Rankenwerk, auf das sich jeweils eine politische Interpretationsrichtung beziehen und sagen kann, eigentlich sei das Gesetz doch so gemeint. Von daher passen viele Dinge einfach nicht zueinander und

A. Braun: Ein echtes Ergebnis des Vermittlungsausschusses!

R. Hoberg: Nein, es ging auch vorher schon los; es war auch in den Vorphasen schon so, daß dort unterschiedliche Steuerungsimpulse und Absichten drin waren. Was sich von diesen Ideen grundsätzlich aber durchgesetzt hat, muß man sehen, das ist die Schaffung eines regulierten Pflegemarktes. Also Absage an Regelungen wie im Krankenhausbereich, das war das andere große Steuerungsmodell, was dem gegenüberstand, also keine Regelung wie im Krankenhausbereich mit einer Pflegeplanung, einer Pflegeheimplanung, mit Rechtsansprüchen auf die Finanzierung der Pflegeeinrichtung, mit einer an der Bundespflegesatzverordnung für die Krankenhäuser orientierten Entgeltsystematik - das war das andere Regelungsmodell, was im Raum stand, das hat sich nicht durchgesetzt. Sondern es gibt den freien Marktzugang, aber auch den freien Marktabgang, für die Einrichtungen; ein genereller Sicherstellungsauftrag liegt bei den Pflegekassen: wir haben als Pflegekasse die Verantwortung, daß ausreichend Einrichtungen da sind und Dienste angeboten werden.

Und schließlich: es gibt das Wahlrecht, die Wahlfreiheit für den Pflegebedürftigen zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten und den verschiedenen Leistungen, die angeboten werden. Aber dieses dann gleichwohl, weil man dann dem Markt halt doch nicht so ganz getraut hat, mit vielen, vielen Regelungen. Zum Teil einfallsreiche Regelungen zu

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der Qualität der Einrichtung: welche Mindeststandards dort vorhanden sein müssen; zum Teil aber auch recht hilflose Regelungen wie z.B. es muß eine leitende Pflegekraft geben für eine Pflegeeinrichtung; das ist halt nicht besonders viel an Qualität, was da gefordert ist: Aber solche Minimalanforderungen wurden dann doch an den Anfang gesetzt. Aber trotzdem blieb der Grundgedanke, Pflege soll sich regulieren in einem Markt.

Was hat die Einführung des SGB XI nun an Konsequenzen für die Prozesse, die in der Pflege ablaufen? Nach meiner Beobachtung sind es zwei wesentliche Dinge. Das Erste: es gab in der Vergangenheit in der BRD aufgrund der Landes- und kommunalen Zuständigkeit eine sehr unterschiedliche Pflegelandschaft. Es gab Bereiche, in denen gab es eine starke Betonung der stationären Pflege, also Pflege wurde abgewickelt im Prinzip über stationäre Einrichtungen und nur ganz wenig im ambulanten Bereich. Es gab andere Länder, Baden-Württemberg gehörte dazu, die hatten schon ein recht gutes Verhältnis ambulant zu stationär und hatten eigentlich den ambulanten Bereich gut ausgebaut. Es gab Ansätze zur Rehabilitation an der Schnittstelle rüber zur Krankenversicherung in einzelnen Ländern, in anderen Ländern gab es dies noch nicht. Es gab unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei den Diensteanbietern im Bereich der Wohlfahrtspflege. Mal mehr kirchliche Träger, mal stärkeres Gewicht bei den nicht-kirchlichen Trägern, zum Teil eine Orientierung in Richtung auf kommunale Einrichtungen. Also große Unterschiede sowohl im Ausstattungsniveau als auch in der Struktur als auch in der Verteilung zwischen ambulant und stationär.

Durch das Pflegeversicherungsgesetz, durch die Leistungen, die im Gesetz angeboten werden, und durch den relativen Rückzug der Länder und Kommunen aus der Pflegeverantwortung ist auch der Effekt eingetreten, daß sich das Pflegeangebot in der BRD angleicht, daß wir annähernd gleiche Strukturen bekommen in der Verteilung, was wird über Pflegeprozesse in der Familienpflege, was wird ambulant oder was wird stationär abgewickelt. Und ein zweiter Effekt, daß es in der Pflege eine stärkere Professionalisierung gibt, was die Standards angeht, was die Vorgehensweisen angeht und was den Rückgriff auf Pflegesachleistungen angeht. Also weniger Laienpflege, mehr professionelle Pflege und in der Pflege mehr Professionalisierung.

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Schaut man sich die Ergebnisse jetzt wieder in gesamtgesellschaftlicher Betrachtungsweise an, dann hat die Pflegeversicherung dazu geführt, daß die Pflege in ihrem Leistungsniveau stabilisiert worden ist, indem hier 33 Milliarden geschöpft wurden. Wenn Sie sich an die Diskussionen erinnern, Ende der 80er Jahre: Pflegenotstand, Wartelisten vor den Pflegeeinrichtungen, unzureichende Versorgung, Überforderung der Pflegebedürftigen in Richtung auf Sozialhilfeabhängigkeit, an die Grenzen stoßen bei den Kommunen, was ihre Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft in der Sozialhilfe anging, dann hat die Pflegeversicherung dazu geführt, daß dieser Bereich stabiler geworden ist. Und alles, was es heute an Diskussionen gibt und geben mag darüber, Pflege sei qualitativ schlechter geworden und die Pflegeversicherung habe dazu geführt, daß alles schlechter geworden ist, dazu kann ich Ihnen nur sagen, gäbe es die Pflegeversicherung nicht, gäbe es die 33 Milliarden nicht. Sie würden sich wundern und umschaun, was die Kommunen im Bereich der Sozialhilfe an Pflegesätzen und an Pflegestandards heute noch finanzieren würden. Da wären wir deutlich unter dem Niveau, was heute erreicht ist.

Es werden durch die Pflegeversicherung 33 Milliarden geschöpft, das ist bei 1,7 Prozent Beitragssatz nicht wenig, aber dieser Beitragssatz wird aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit nicht ausreichen, sondern er wird erhöht werden müssen. Es geistert ja immer noch durch die Diskussion, die Pflegeversicherung habe riesige Rücklagen; dort liegen in der Tat noch 9 Milliarden. Nur, im letzten Jahr ist es gerade so ausgegangen ohne Abschmelzen dieser Reserven, in diesem Jahr wird die Pflegeversicherung ein Defizit machen und dieses wird durch neueste Gesetzgebung voraussichtlich nochmal um weitere 400 Millionen eingeschränkt, weil ein Teil der Beitragszahler durch gesetzliche Regelungen wegfällt. Das wird ärgerlich und schadet der Pflegeversicherung. Sie ist, was die Ressourcen angeht, in den Defizitbereich hineingeraten und das geht sehr schnell. Gar nicht so sehr über die wachsende Zahl derjenigen, die Leistung in Anspruch nehmen, es reicht eine winzige Veränderung in der Aufteilung zwischen Geldleistung und Sachleistung im ambulanten Bereich. Wenn die Familienpflege, auf der Basis von Geldleistungen, wenn die auch nur ein wenig zurückgeht, schlägt dieses, wegen der deutlich höheren Ausgaben für die Pflegesachleistung, massiv zu Buche. Und je länger Pflege dauert, desto eher merken Familien auch, daß sie die Dinge nicht alleine hinbekommen,

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sondern der professionellen Unterstützung bedürfen. Und an der Grenze steigen die Ausgaben und dies führt weiter in eine für die Pflegeversicherung dann durchaus kritische Entwicklung.

Vom Ergebnis der Pflegeversicherung her muß man auch sehen, daß sie nur eine Teilkaskoversicherung ist. Politik ist dort vollmundig angetreten „wir sichern Pflege ab!"; es ist aber von allem Anfang an politische Absicht gewesen, nur einen Teil der Pflegeaufwendungen zu übernehmen. Und dieses hat natürlich seine Konsequenzen auch darin, daß von Pflegebedürftigen auch weiterhin privat zusätzliches Geld aufgewendet werden muß für die Pflege. Es ist keine Vollabsicherung, was aber erreicht worden ist, ist eine wesentliche Entlastung der Sozialhilfe und der Kommunen in der Größenordnung um die 9 Milliarden, bundesweit für die Sozialhilfe im Bereich der Hilfe zur Pflege.

Ich komme jetzt zur nächsten Ebene; was hat die Pflegeversicherung verändert, wenn man sich ein Bundesland anschaut? Dort laufen ja dann auf der Landesebene oder Regierungsbezirksebene die Aushandlungsprozesse um Pflege. Dort muß man sehen, die Pflegeversicherung hat Markt eingeführt; und zwar den Markt auf der Ebene der einzelnen Einrichtung, des einzelnen Pflegedienstes, des einzelnen Pflegeheims und als dem anderen Marktpartner die Pflegekassen als vertragschließendem Partner. Das ist strukturell ein Ungleichgewicht und wird ja auch von vielen beklagt als eine ungleiche Verhandlungssituation. Auf der einen Seite als Nachfrager, fast als Monopolist, die Pflegekassen, und die einzelne Einrichtung, der einzelne Dienst auf der anderen Seite. Aber es ist im Prinzip eben Markt. Dies verändert die Stellung von Land und Verbänden massiv. Das Land ist nicht der Planer, der sagen kann, wir brauchen an den und den Stellen im Land, die und die Pflegeeinrichtung mit der und der Struktur; das Land ist aus dieser Verantwortung draußen. Und die Länder, die sich im Prinzip ja in diese Aufgabe, in diese Verantwortung aus eigener Kraft mit eigenen Landespflegegesetzen hätten wieder hineinbegeben können, haben die neue Situation auch genutzt, um sich aus dieser Verantwortung heraus zu begeben; das heißt, sie akzeptieren die Spielregel „Markt".

Für die Verbände auf der Einrichtungsträgerseite, Liga der Freien Wohl-fahrtspflege oder auch Verbände der privaten Einrichtungsträger oder der

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kommunalen Einrichtungsträger, ist diese neue Rolle eine ganz schwierige Rolle, denn sie sind nicht - sozusagen automatisch - nach dem Gesetz Ver-tragspartner. Sie sind Verhandlungspartner, sie können für Einrichtungen gemeinsam sprechen, aber sie sind nicht Vertragspartner. Je nachdem, wie das jetzt auf der einzelnen Ebene, im einzelnen Land aufgegriffen wird und ob es gelingt oder nicht gelingt, findet man dann doch immer durch Rahmenverträge zwischen Pflegekassen und den Verbänden wieder zusammen. Und das betrifft dann insbesondere den Bereich der Preisvereinbarung. Mit dem Pflegeversicherungsgesetz ist das bisherige Selbstkostendeckungsprinzip, das die Einrichtungen aus den Verhandlungen mit den Sozialhilfeträgern kannten - sowohl im Bereich des Sozialhilferechts als auch im Bereich der Pflegeversicherung - abgeschafft worden. Das hatte seinen zeitlichen Vorlauf im Bereich der Krankenversicherung: Auch bei den Krankenhäusern ist dies bereits in den 80er Jahren abgeschafft worden. Denn es hatte den nachteiligen Effekt, daß man nur ausreichend hohe Kosten haben mußte, um ausreichend hohe Pflegeplätze zu bekommen, daß es eben keinen Druck gab in Richtung auf mehr Wirtschaftlichkeit.

Aber jetzt ist die Grundmaxime, Einsparungen zu erzielen durch Marktprozesse, durch Verhandlungsprozesse, die hinter dem Krankenversicherungsgesetz und auch dem Pflegeversicherungsgesetz stehen. Also an die Stelle des Selbstkostendeckungsprinzips tritt das Preisvereinbarungsprinzip. Dies ist im Bereich der sozialen Einrichtungen eine Kulturrevolution. Und diese Kulturrevolution ist auch noch nicht ganz angekommen. Ich denke, daß man nach drei Jahren des Erleidens, des Erduldens, eben nicht mehr sagen kann, aber ich habe diese Kosten und ich habe dazu noch diese Kostensteigerung und jetzt muß ich doch gerechterweise diesen Preis fordern. Sondern man muß sich damit auseinandersetzen und muß damit leben, daß der andere Vertragspartner sagt, also wir kaufen Pflege in der Stufe drei für 132 Mark ein; und sind Sie in der Lage, diese Pflege zu dem Preis zu liefern, ja oder nein? Dies ist ungewohnt und ist auf der einen Seite ganz schrecklich; aber auf der anderen Seite, wenn man dieses mal als Spielregel akzeptiert hat, ist es auch eine Möglichkeit, danach seine eigenen Dienstleistungsprozesse zu organisieren. Und dies ergibt sich als neues Grundprinzip aus der Pflegeversicherung.

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Die Pflegeversicherung schafft aber auch erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten. Dies ist zum Teil auf der Landesebene durch das Landespflegegesetz mit Landespflegeausschuß, wo dann bis hin zu dem Kreis der Betroffenen, zu den Pflegebedürftigen, die Möglichkeit gegeben ist, politisch-institutionell an der Ausgestaltung von Pflege mitzuwirken. Allerdings muß man sehen, daß je nachdem, wie intensiv es politisch genutzt wird und auch von einer Landesregierung aufgegriffen wird, dies nur auf dem Papier steht und es Schauveranstaltungen sind oder sehr ernsthafte politische Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung von Pflege. Aber dies sind Mitwirkungsmöglichkeiten, keine gesicherten Mitwirkungsrechte oder gar Veto-Positionen.

Was heißt das jetzt für die Prozesse? Aus diesem Preisvereinbarungsprinzip folgt, daß es eine vertragliche Leistungsvereinbarung gibt. Und hier sind wir in einem nicht enden wollenden Streit - Frau Baehrens wird das sicher in ihrem Refererat dann aufgreifen - wie weit und wie präzise muß die Leistungsdefinition sein, um auf der Basis einer Leistungsdefinition dann zu Preisvereinbarungen zu führen. Und da ist in der Tat ein Spannungsverhältnis: die Einrichtungsträger haben ein hohes Interesse daran, die Leistung möglichst tüpfelesgenau zu beschreiben, um sagen zu können, das gehört noch dazu, das gehört nicht dazu, und wenn ihr die Preise nicht um soviel erhöht, dann streichen wir diese Leistung. Unsere Seite, die Kostenträgerseite, hat ein Interesse daran, die Leistung eher abstrakt, eher allgemein zu beschreiben, um zu sagen, wir lassen den Spielraum in der Ausgestaltung von Pflege und intervenieren erst dann, wenn Pflege zur qualitativ minderwertigen Pflege wird oder zur gefährlichen Pflege wird. Bis an den Rand hin gehört es zur Gestaltungsfreiheit der Einrichtung, die rahmenvertraglich vereinbarten Leistungen selber zu konkretisieren und auszuführen. Und dann gehört dazu, daß dies über Preisverhandlungen verläuft, daß nicht im Rahmen von Preisverhandlungen detailliert aufgeblättert und abgeglichen wird, um wieviel sich welche Kostenbestandteile durch Tariferhöhung, durch Veränderung des Heizölpreises, durch zusätzliche Abgaben, durch Änderung in der Alterszusammensetzung des Personalkörpers erhöht haben. Dies alles spielt in Preisverhandlungen schlußendlich keine Rolle, und wir haben es gerade in der Diskussion in der Pflegesatzkommission auch hinter uns gebracht in der Konfrontation zweier völlig unterschiedlicher Denkungsweisen: auf der einen Seite die Forde-

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rungen von den Einrichtungsträgern, die Preise müssen steigen um X Prozent, weil der Tarifvertrag so eingeschätzt wird, die Sachkosten um soviel steigen, in meinem Personalkörper Bewährungsaufstiege vorliegen und, und, und dabei kommt X heraus. Und dies wurde von der Seite der Kostenträger mit der Zahlungsfähigkeit der Pflegebedürftigen konfrontiert. Unser Maßstab war, um wieviel steigen die Renten und dieses ist der Maßstab, um wieviel Pflege teurer werden darf. Denn die Menschen sollen nicht stärker belastet werden durch Pflegeausgaben. Beides ist natürlich weder rechnerisch zusammen zu bringen noch von den Begründungen her zusammen zu bringen, aber das ist der Kernpunkt von Preisvereinbarungen. Am Markt entscheidet nicht, daß man eine präzise Argumentation hat, warum ein Preis herausgekommen ist, sondern an einem Markt entscheidet, daß ein Preis gefunden worden ist. Am Schluß gibt es einen Preis.

Zu dem Prinzip von Preisvereinbarungen, bei der dann nicht ein präziser Leistungskatalog zugrunde liegt, um abhaken zu können, welche Leistung im Einzelfall zu erbringen ist und es ein Vertragsverstoß ist - bis an die Grenze des Betrugs - wenn eine Leistung nicht erbracht worden ist, gehört dann auch, wenn man nur über Preise sich auseinandersetzt, daß dann ein Qualitätsmanagement da sein muß, mit dem wechselseitig Qualität gesichert werden kann. Qualität zu sichern in der Einrichtung, in der Verantwortung der Einrichtungsträger, aber genauso auch Qualitätssicherung seitens des Vertragspartners Kostenträger, denn die Pflegekassen haben den Sicherstellungsauftrag für eine leistungsgerechte Pflege. Und von daher müssen wir auch zusammen mit der Heimaufsicht darauf schauen oder im ambulanten Bereich müssen wir es alleine tun, weil dort keine staatlichen Regelungen da sind, ob eine ausreichende Qualität geliefert wird

Was hat das nun zur Konsequenz gehabt in den Ergebnissen? Unsere Einschätzung ist, daß wir - zumindest für Baden-Württemberg - behaupten können, daß die Pflegequalität stabil geblieben ist. Doch gibt es die Diskussion, durch die Deckelungen seien die Personalschlüssel abgesenkt worden, dieses ist sicherlich richtig, gemessen am Maßstab von dem Personalschlüssel, der 1989 politisch vereinbart war von 1 zu 2,37, landesweit aber auch nicht im Schnitt umgesetzt war, das bewegte sich irgendwo

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zwischen 1,24 und 1,26. Wir sind der Überzeugung, daß wir heute mit einem faktischen Personalschlüssel von etwa 1 zu 2,5 die Verhältnisse in der Pflege stabilisiert haben und auf diesem Niveau auch halten werden. Es bleibt dabei ein permanenter Preisdruck und Rationalisierungsdruck. Dieser wird aufrecht erhalten, weil es in jedem Wirtschaftsprozeß, auch bei einem so hohen Personalkostenanteil wie in der Pflege, ständig die Anforderung gibt und auch geben kann, weitere Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen. Und die sehen wir in den Einrichtungen auch heute noch und von daher bleibt eine Schere zwischen einer generellen Personalkostenentwicklung und dem, was auf der Preisseite mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern vereinbart wird.

Ich komme zur Betrachtung für den einzelnen Pflegebedürftigen, für die einzelne Pflegeeinrichtung. Für den einzelnen Pflegebedürftigen bedeutet das SGB XI eine Einschränkung auf bestimmte Leistungspakete in der Pflege. Das, was an Pflegeleistungen zu erbringen ist, wird zerhackt in Leistungspakete, verliert den Charakter seiner Ganzheitlichkeit und wird definiert als Leistungspakete aus der Zuständigkeit für somatische Pflege in der Pflegeversicherung. Dies ist im Bereich der Pflegeversicherung der Preis für eine Verrechtlichung im sozialrechtlichen Sinn nach dem Sachleistungsprinzip. Dieses kann man beklagen; es ist aber, wenn man nicht zum Geldleistungsprinzip überwechseln will, sondern beim Sachleistungsprinzip bleibt, der unvermeidliche Preis sozialrechtlicher Ausgestaltung. Umgekehrt aber führt dieses Prinzip in der Pflegeversicherung dazu, daß es mehr an Wahlmöglichkeiten zwischen stationär und ambulant gibt; dort ist die Wahl leichter geworden durch die Wahlmöglichkeit zwischen Geld- und Sachleistung im Bereich der ambulanten Pflege und auch der Kombinationsmöglichkeit von beiden Leistungen im ambulanten Bereich. Hierdurch haben sich die Wahlmöglichkeiten für den Pflegebedürftigen vergrößert.

Allerdings schaffen neue Wahlmöglichkeiten und freier Marktzugang - und jetzt bin ich bei der Perspektive der Einrichtung - auch mehr an Konkurrenz. Und es wird zum ersten Mal erlebbar für die Einrichtungen, daß sie sich an einem Markt auch bewähren müssen mit ihren Leistungen Das ist ungewohnt für ambulante Dienste wie auch für stationäre Einrichtungen. Und dort ist manches an Verhaltensweisen und manches auch an

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Preisvorstellungen dann in einem Markt, wenn es Unterauslastung gibt, auch nicht mehr durchsetzbar. Und wir werden diese Konkurrenz auch aufrecht erhalten und werden der Tendenz nach dafür sorgen, daß es immer mehr Einrichtungen gibt als benötigt, mindestens immer eine Einrichtung mehr als benötigt. Denn sonst funktioniert „Markt" auch nicht. Insoweit ist dann aber auch die Versorgung gesichert, denn das ist wiederum die Anforderung, es muß auch diese Wahlmöglichkeit und diese Versorgungsmöglichkeit geben. Und insoweit hat die Landesplanung, die in diesem Bereich erfolgt, auch nur Leitlinien oder präventiven Charakter, als sie aufzeigen kann, wo möglicherweise Angebote fehlen. Aber in aller Regel ist es so, daß Investoren viel schneller sind als Planung und viel früher Angebote machen, wenn sie sehen, daß hier Marktchancen für ein Pflegeangebot da sind. Und beim heutigen Stand ist es eher so - gerade heute wieder in einer Stuttgarter Zeitung - daß mehr Investoren in den Markt hineindrängen als tatsächlich Pflegeplätze benötigt werden. Hier wird man aufpassen müssen, daß Strukturen nicht beschädigt werden durch zu große Pflegeeinrichtungen, daß das wohnortnahe Angebot aufrecht erhalten werden kann. Das sind dann Aufgaben, wo auch eine staatliche Förderung sehr sinnvoll ist.

Aber die Zeit ist vorbei, als es einen Schutzzaun gab für die etablierten Anbieter, daß sie in Übereinstimmung mit der Kommunalpolitik dann sagten, neue Anbieter brauchen wir nicht, dieser Schutzzaun existiert nicht mehr. Aus der Marktorientierung folgt, und da bin ich dann wieder bei Frau Jani, eine Kundenorientierung. Und zwar nicht aus dem Anspruch heraus, den man an sich selber als Einrichtung hat, den man aus Geschäftsphilosophie oder als Leitbild der einzelnen Einrichtung hat, sondern erzwungen dadurch, daß man sich an einem Markt bewähren muß. Und es ist mit ein Effekt des Impulses durch das SGB XI, daß es diese Marktorientierung gibt. Die hat ihre schlechten Seiten, es kommt eine Verkäufermentalität hinein; es gibt mittlerweile Sozialstationen, bei denen es Zielvereinbarungen gibt, wieviel Kunden von einer Pflegekraft gewonnen werden müssen in einem Jahr. Also da haben sich Verhältnisse auch schon kräftig geändert, dann auch wieder zum Leidwesen von Kostenträgern, wenn man sieht, wie dort Leistung verkauft wird. Aber auf der anderen Seite ist dieses eben auch ein Teil des Prozesses, daß hier auf den Kunden zugegangen wird. Und dieses hat seine guten Effekte: wir hatten vorher

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das Stichwort, daß es eben nicht der Heiminsasse ist, sondern der selbstverständlich wählende Klient in einer Einrichtung. Und wenn Sie mal die Veröffentlichungen auch im Pflegebereich nehmen und sich da mal Zeitschriften wieder vornehmen aus den 70er Jahren oder aus dem Ende der 80er Jahre und das mit heute vergleichen, es hat sich dort unglaublich viel verändert an Orientierung auf den Pflegebedürftigen als selbstbewußten Partner in der Pflege.

Wenn man sich die Pflegeprozesse anschaut, dann ist es auch so, daß es hier inzwischen mehr an planvoller und dokumentierter Pflege gibt. Nun werden viele von Ihnen sagen, die Profis in dem Bereich sind, aber das ist doch selbstverständlich. Es ist aber heute noch so, daß in 30 Prozent der ambulanten Pflegedienste keine ordentliche Pflegeplanung und Pflegedokumentation vorliegt. Die Veröffentlichungen oder das, was gelehrt wird in der Pflege oder was professioneller Anspruch ist, wenn man selber Sonntagsreden hält oder hört, ist noch lange nicht pflegerische Realität. Und hier ist durch die Pflegeversicherung ein Impuls hineingekommen, daß dies besser geplant und dokumentiert ist. Wir kriegen das dann immer als Klagen über diese Überbürokratisierung durch die Pflegekassen zu hören: die Pflegeversicherung sei nur bürokratischer Aufwand. Aber ein Stück weit müssen Sie auch mal reinschauen, wieviel das im Zweifel von dem erst einlöst, was Sie - nach Ihrem eigenen Anspruch im Bereich einer ordentlichen Dokumentation - ohnehin hätten machen sollen.

Und es gehört für den Pflegebedürftigen dazu, daß zum ersten Mal Preisklarheit, Finanzklarheit und Vertragsklarheit hineinkommt in den Pflegebereich. Und wir müssen feststellen, daß es immer noch 15 Prozent der Pflegedienste gibt, in denen vor Beginn der Pflege kein Pflegevertrag, kein Vertrag über das Arrangement der Pflege geschlossen wird. Sondern daß gesagt wird, wir machen das schon mal. Und dann hinterher ein zum Teil dann auch böses Erwachen da ist, wieviel Pflege dann über die Leistungspflicht der gesetzlichen Versicherung, Kranken- und Pflegeversicherung, hinaus im Zweifel dann doch mehr kostet. Und das sind nicht nur die „bösen" privaten Dienste, sondern das trifft man genauso im Bereich der Wohlfahrtsverbände. Durch die Pflegeversicherung wird der Impuls gesetzt und durch die rahmenvertraglichen Bestimmungen abgesichert, daß hier Vertrags- und Preisklarheit herrscht.

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Schaut man sich die Ergebnisse für den Einzelnen und für die einzelne Einrichtung an, dann wir gehen davon aus, daß es im Bereich der Pflege heute eine gesicherte Qualität gibt. Man mag darüber streiten - wir werden sicher auch darüber streiten - ob die Qualität gut ist, ob sie ausreichend ist, ob sie zu niedrig ist, darüber wird man streiten können. Aber es gibt, jedenfalls in einer Bandbreite, wo wir von gefährlicher Pflege deutlich entfernt sind, eine Absicherung der Pflegequalität. Feststellbar ist in Baden-Württemberg eine deutliche Reduzierung der Sozialhilfeabhängigkeit, was ja auch politisches Ziel gewesen ist, allerdings gibt es keine Freiheit von der Sozialhilfe. Für die Teilkaskoversicherung ist dies weiterhin ein Problem, allerdings muß man sehen, daß dieses dann ein Problem derer ist, bei denen ohnehin die Einkommensverhältnisse so sind, daß sie sich Pflege ohne die Pflegeversicherung oder die Sozialhilfe nie hätten leisten können. Die Frau mit abgeleiteter Rente aus einem Normalarbeitsverhältnis, wenn die dann 900 oder 1200 Mark Rente hat, die würde nicht von der Sozialhilfeabhängigkeit freikommen können, auch wenn die Pflegeversicherung komfortabler ausgestaltet wäre. Es gibt nun die Fälle, in denen Pflege lange dauert. Wenn Pflege lange dauert und Einkommen und Vermögen aufgezehrt wird, dann führt dieses auch in Sozialhilfeabhängigkeit hinein. Das ist häufig der Fall bei Behinderten und bei denjenigen, die als dement Erkrankte lange in der Pflege sind. Die Pflegeversicherung führt aus der Soziahilfe heraus für diejenigen, die relativ einkommensstark sind und zugleich nur kurz in der Pflege sind. Dort bedeutet die Pflegeversicherung wirklich die Freiheit von der Sozialhilfe. In Baden-Württemberg bleibt es im Schnitt bei einer Sozialhilfeabhängigkeit von um die 30 Prozent im stationären Bereich, über alle drei Pflegestufen hinweg. Für den Einzelnen, für den Beitragszahler bedeutet es einen Abzug von 0,85 % seines Einkommens - gleicher Anteil für den Arbeitgeber. Und es bedeutet, in Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern außer in Sachsen, die Streichung eines Feiertages, der für die Wirtschaft bereitgestellt werden mußte, um dort die Gegenfinanzierung zu sichern.

Dies als meine Einschätzung und meine Zwischenbilanz zur Pflegeversicherung. Vielen Dank.

A. Braun: Ja vielen Dank Herr Hoberg; wer je mal solche Schemata auf seinem Bildschirm hatte und rumgeknobelt hat, wie man das denn ma

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chen könnte, kann sicher abschätzen, was für eine Heidenarbeit dahintersteckt. Ich bedanke mich ganz herzlich für diesen systematisierten Überblick, was sich da nun verändert hat in den letzten fünf Jahren aus Ihrer Sicht.

G. Braun: Gestern hat der Kollege aus Österreich gesagt, daß die eine Un-tersuchung gemacht haben über die Höhe der Einkommen der Pflegegeld-empfänger, und er hat dann die Schlußfolgerung daraus gezogen, hier könne man erkennen, daß es dem Fiskus nichts bringen würde, wenn man die Höhe der Unterstützung vom Einkommen abhängig machen würde. Also ich weiß, es könnte sein, daß es gar nicht möglich ist, den Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe und Pflegeversicherungsleistung herzustellen, aber, die Frage, gibt es darüber Erhebungen?

R. Hoberg: Also bei den Pflegekassen nicht, wir haben keinen Zugriff und wollen den auch nicht auf Informationen zum Pflegebedürftigen. Dies wäre Thema für die Sozialhilfeträger, die sich diesem Thema widmen könnten oder widmen müßten, uns liegt hier keine Information vor.

U. Francke: Ich habe drei Fragen: Sie sagten, die Qualität ist stabil geblieben, was waren da Ihre Kriterien? Sie sagten, Sie sehen Rationalisierungsmöglichkeiten in den Heimen, welche ? Und Sie sagten, Kundenorientierung; das möchte ich etwas problematisieren und zwar dahingehend, daß die Heime zunehmend Betreuer für ihre Kunden wollen und daß die Kundenorientierung sich meiner Meinung nach gar nicht auf die Betreuer zuschneiden läßt.

R. Hoberg: Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt anfangen: Betreuer werden ja erforderlich, wenn die Fähigkeit, die eigenen Angelegenheit zu ordnen, nicht mehr vorliegt. Und ich finde es richtig, daß in weit stärkerem Umfang, als es in der Vergangenheit geschehen ist, von diesem Instrument, von dieser Unterstützung Gebrauch gemacht wird. Dieses war in der Vergangenheit eher ein Defizit, daß nicht genügend Betreuer für Pflegebedürftige eingesetzt waren. Wie weit diese Betreuer dann wiederum zu einem Problem und zu einer Last werden für die Einrichtung, weil sie Forderungen stellen, weil sie Anforderungen formulieren - im Zweifel auch nachhaltig - oder auch zu einer Anforderung werden für die Kosten

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träger, also Sozialhilfeträger sowie Pflegekassen und Krankenversicherung, das, denke ich, muß dann erduldet werden. Es dient im Kern dem Schutzbefohlenen und von daher ist dieses nicht zu kritisieren.

Zum Pflegeniveau: wir haben zwei Anhaltspunkte. Wir haben die Budgets der Einrichtungen im Jahr 1996, also das was der Einrichtung zur Verfügung stand als Mittel, um Pflege zu leisten, dieses Budget haben wir nach dem gesetzlichen Auftrag umzusetzen gehabt in ein neues Entgeltsystem mit differenzierten Pflegesätzen, differenziert nach drei Pflegestufen, und haben dieses Budget an die Einrichtung gegeben. Wir haben im Folgejahr die Pflegesätze erhöht in Anlehnung an die BAT-Entwicklung. Wir hatten aber in der Vergangenheit, in den Jahren zwischen 1993 und 1996, Deckelungsjahre im Bereich der Sozialhilfe gehabt, so daß wir davon ausgehen, daß sich das Pflegeniveau der Jahre 1996/97 fortsetzt in Pflegesätzen, die wir heute vereinbart haben. Und weil die Pflegesätze in Baden-Württemberg - nach wie vor - im Bundesvergleich an der Spitze liegen, gehen wir davon aus, daß damit im Bundesvergleich jedenfalls eine gute Pflege geleistet werden kann. Wenn man sich die Pflegesätze in ihrer Verteilung anschaut, werden Sie feststellen, daß die Pflegesätze in den Pflegestufen eins und zwei höher sind als im Bundesdurchschnitt, und zwar zum Teil deutlich höher, daß sie in der Pflegestufe drei aber ein Stück niedriger sind als im Bundesdurchschnitt. Jetzt gibt es hierzu eine Erläuterung und auf der anderen Seite eine Frage dann eben auch an die Einrichtungen. Bei der politischen Entscheidung, wie die Pflegesatzstruktur von uns angeboten werden soll, war die Überlegung, daß wir eher durch die Pflegeversicherung nicht abgedeckte Bereiche sehen in den Pflegestufen eins und zwei. Zum Zweiten, daß wir in der Pflegestufe drei die Inanspruchnahme durch Zuzahlung ein Stück weit auch abmildern wollten. Und zum Dritten, und das ist dann der Punkt an die Einrichtungsträger, daß wir in Baden-Württemberg 85 Prozent aller Pflegebedürftigen in den Stufen eins und zwei haben und daß es von daher eher günstiger ist für die Einrichtungen, wenn die Pflegesätze in den Stufen eins und zwei höher sind, als wenn man in der Pflegestufe drei überproportional aufgestockt hätte. Man kann darüber streiten, ob dieses von der Grundsystematik so gewünscht ist; was aber nicht sein kann, ist, daß jetzt dann eine Diskussion kommt, wo gesagt wird, also die Pflegestufe eins und zwei ist so ganz in Ordnung, aber in drei da muß jetzt nochmal nachgelegt wer

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den. Dann paßt das von der Systematik nicht mehr und dann müßte man in eine neue Diskussion über die Systematik eintreten.

Dritter Punkt: Wirtschaftlichkeitsreserven. Da gab es ja auch Zeitungsberichte dazu, und ich weiß nicht, in wieweit Frau Baehrens dann nachher darauf eingehen wird. Wir haben uns sechs Einrichtungen darauf angeschaut, wird dort mit den vereinbarten Pflegesätzen zum Ersten eine qualitativ gute Pflege geleistet? Feststellung durch den Medizinischen Dienst, der diese Einrichtungen bis hin zur körperlichen Untersuchung von Pflegebedürftigen überprüft hat: in diesen Einrichtungen wird gute Pflege geleistet. Zweite Feststellung dann von einem Wirtschaftsprüfer: In diesen Einrichtungen gibt es im Vergleich der Einrichtungen untereinander und im Vergleich zu anderen Einrichtungen in Teilbereichen Kosten, die deutlich höher liegen als bei vergleichbaren Einrichtungen. Und dies ist ein Hinweis darauf, daß in Teilbereichen eben weitere Rationalisierungsreserven durch andere Gestaltung der Geschäftsprozesse möglich sind und erschlossen werden können. Ein Drittes - und das treibt uns als Pflegekassen und die Sozialhilfeträger um, seit die Studie vom Sozialministerium über den Landkreis Heidenheim vorgelegt worden ist - ist die Feststellung, daß es keinen linearen Zusammenhang gibt zwischen den Kosten, die eine Einrichtung hat und der Qualität, die eine Einrichtung bietet. Also, wir finden Einrichtungen mit fragwürdiger Qualität, die sehr hohe Kosten haben, und wir finden Einrichtungen mit niedrigen Kosten, die sehr gute Qualität liefern. Aber viel dramatischer für uns, weil wir ja nicht die Kosten als Maßstab haben, sondern den Preis, die Pflegevergütung, ist die Feststellung, daß es keinen Zusammenhang gibt zwischen dem Preis, der gezahlt wird, und der Qualität der Pflege in einer Einrichtung; sondern auch dort streut es ganz erheblich. Es gibt Einrichtungen mit hohen Pflegesätzen und betrüblicher Qualität und Einrichtungen mit moderaten Pflegesätzen und sehr guter Qualität. Und um es komplett zu machen, es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Kosten in einer Einrichtung und dem Preis, der in einer Einrichtung gefordert wird. Also man muß sich das sehr genau anschauen, wie es denn um die Qualität steht, von der immer ganz schnell gesagt wird, wir brauchen mehr Geld, dann wird die Qualität besser. Aber, das ist jetzt nicht ein Freibrief dafür zu sagen, wir können die Preise runtersetzen, die Qualität bleibt trotzdem. So ist es nicht. Sondern es gibt

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schon einen inneren Zusammenhang, nur er ist nicht so einfach und so linear, wie dieses häufig dargestellt wird.

Rolf Hartmann: Wie sehen Sie dann den Zusammenhang zwischen der Qualität und dem Anteil der voll ausgebildeten Pfleger? Es wird ja seit Jahren gefordert, so und so viel Prozent in einem Heim müssen voll ausgebildete Pfleger sein, andere können angelernte Kräfte sein; das ist ja ein ganz entscheidender Punkt für die Konkurrenzfähigkeit einer Einrichtung.

R. Hoberg: Leitlinie oder Vorgabe aus dem Heimrecht ist ja ein Fachkräfteanteil von 50 Prozent. Allerdings muß man sich schon fragen, ob es sachgerecht ist, eine solche Quote festzulegen. Unsere Vorstellung, wie man es regeln sollte, geht eher dahin, daß dieses in differenzierterer Weise festgelegt werden sollte, nämlich zu sagen, es muß in einer Schicht auf so und so viel Pflegebedürftige oder Betten eine Fachkraft geben. Dies muß sichergestellt sein im Tagbereich, im Nachtbereich. Es muß, wenn es einen bestimmten Anteil von Demenzerkrankten oder von Schwerstpflegebedürftigen gibt, einen bestimmten Anteil von Fachkräften geben. Solche qualitativ und prozeßorientierten Vorgaben halten wir für wesentlich besser, als das, was heute festgelegt ist. Es gibt entweder die Fachkraft-Quote oder überhaupt keine Festlegung mehr zur Struktur der weiteren Kräfte, die im Heim arbeiten. Dies halten wir nicht für richtig angesichts der Bandbreite der in einer Pflegeeinrichtung vorkommenden Tätigkeiten. Hier könnte eine differenziertere Betrachtung von Fachkräften, Weitergebildeten, den einjährig oder zweijährig ausgebildeten Kräften, den Altenpflegehelfern, den Krankenpflegehelfern und Hilfskräften eher auch auf lange Sicht die benötigte Zahl der helfenden Hände sicherstellen als die Diskussion, die jetzt geführt wird: statt der 50 Prozent wären eigentlich 80 Prozent Fachkräfte wünschenswert. Das sind Forderungen, die wir auch unter fachlichen Gesichtspunkten für überzogen und sogar für falsch halten. Denn, vielleicht auch das nochmal als Feststellung, die Pflegeergebnisse sind nicht besser in den Einrichtungen, wenn der Fachkräfteanteil über 50 Prozent steigt.

E. Eymann: Sie haben ganz anschaulich dargelegt, wie so ein neues Span-nungsverhältnis zwischen Planung und Marktorientierung entstanden ist, und haben gesagt, das Land und die Kommunen haben sich mehr oder

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weniger zurückgezogen auch aus der Finanzierungsverantwortung. Sie haben das, also so wie ich das verstanden habe, auch begrüßt, daß weniger Planung da ist. Meine Frage geht dahin, gibt es Landespflegegesetze, die dieses Spannungsverhältnis besser regeln, also wo das Land mehr Planungsverantwortung übernimmt? Wie beurteilen Sie andere Landespflegegesetze in dieser Richtung.

Das war die erste Frage; zweitens, in Mannheim gibt es ja eine Studie, von Mitarbeitern des ZI gemacht, die besagt, seit Einführung der Pflegeversicherung hat sich der Fachkräfteanteil in den untersuchten Pflegeheimen in Mannheim um 10 Prozent reduziert. Und in der Studie werden die Auswirkungen auf die Pflegekräfte auch ganz dramatisch geschildert. Die Frage, kennen Sie die Studien und wie beurteilen Sie die?

R. Hoberg: Also, was Planung angeht, muß ich sagen, ich kenne jetzt nicht die Planungspraxis und die praktische Umsetzung der Landespflegegesetze in anderen Bundesländern näher. Meiner Übersicht nach ist das, was in Baden-Württemberg, was in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz im Gesetz drin steht, vom Anspruch her am weitreichendsten. Wie dieses dann praktisch umgesetzt wird, ist in allen Ländern etwa ähnlich: nämlich verhältnismäßig wenig daraus geht dann tatsächlich in Planung ein. Die Planung stößt sich schlicht und einfach an den bundesrechtlichen Vorgaben, daß es eben in dem Feld keine Planung gibt; und die Bereitschaft über eine Investitionsförderung faktisch in eine Planungsmacht hineinzukommen, diese Bereitschaft besteht in keinem Bundesland.

Was die Reduzierung von Fachkräfteanteilen angeht, hat es hier sich in Mannheim ja um Einrichtungen gehandelt, die über den 50 Prozent lagen mit ihrem Fachkräfteanteil; von daher ist das dann auch wieder nur relativ eine Absenkung des Fachkräfteanteils. Und nochmal, nach unseren Feststellungen und auch nach Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit - da hat es für das Sozialministerium mal vor Jahren eine Studie gegeben mit dem sehr merkwürdigen Ergebnis, daß je höher der Fachkräfteanteil ist, desto höher ist die Berufsunzufriedenheit in der Einrichtung. Wir haben dies nicht weiter analysiert, aber es hat uns schon sehr nachdenklich gemacht.

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A. Braun : Es bleibt damit zwar unaufgeklärt, aber auf lange Zeit zitierfähig!

F. Menzel: Mich interessiert jetzt mal die Einnahmeseite. Sie sagten vorhin, daß de lege ferenda der Versichertenkreis eingeengt wird. Erste Frage: um welchen Personenkreis wird es sich da handeln? Und zweite Frage: wenn das so ist, widerspricht das nicht der Intention der Gesetzgebung, andere Versicherungssysteme auf breitere Basis zu stellen, wie z.B. in der Schweiz, wo man sagt, rentenversicherungspflichtig ist jeder, der arbeitet?

R. Hoberg: Also, ich denke, ich wäre mißverstanden worden, wenn Sie verstanden haben, daß der Kreis, der in die Versicherungspflicht Einbezogenen oder derjenigen, die Leistungsansprüche aus der Versicherung haben, verändert werden sollte. Was ich habe sagen wollen ist, daß der Leistungsumfang eher eingefroren wird. Und soweit es Verbesserungsnotwendigkeiten gibt - großes Thema Demenzkranke - daß hier die Möglichkeit, Dinge einzuführen, mit denen wirklich eine wesentliche Verbesserung erzielt würde, daß hierfür eigentlich das Zeitfenster schon wieder zu ist. Es hat das Zeitfenster des Aufbaus des Kapitalstocks oder der Reserven in der Pflegeversicherung gegeben, wo alle gesagt haben, da ist doch Geld da und jetzt könnte man doch in Leistungsverbesserungen hineingehen. Jetzt, nachdem klar ist, die Reserven der Pflegeversicherung werden aufgezehrt, und wir nähern uns innerhalb der nächsten fünf Jahre der Beitragssatzerhöhung in der Pflegeversicherung, wird es beim Thema Einbindung der Demenzkranken eher um eine Umschichtung zwischen den Pflegestufen gehen als darum, zusätzliches Geld in die Pflegeversicherung hineinzuholen, um mehr an Leistungsansprüchen zu befriedigen. Aber nochmal: keine Veränderung im versicherten Personenkreis, eher die Tendenz zur Ausweitung der Beitragssatzbasis, also der Einkünfte, die herangezogen werden, gleichzeitig aber nur eine geringe Ausweitung des begünstigten Personenkreises.

A. Braun: Ich habe jetzt noch acht Wortmeldungen auf meiner Liste und würde es jetzt erstmal in unserem bekannten Verfahren versuchen, mehrere Beiträge für die Antwort von Herrn Hoberg zusammen zu nehmen. Ich habe jetzt zunächst als nächste Frau Schmidt-Nebgen.

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H. Schmidt-Nebgen: Herr Hoberg, Sie sprachen von Vertrags- und Preis-klarheit. Bezieht das sich nur auf die Pflegekosten oder auch auf die Hotel- und Wohnkosten, und hat der Heimträger über diesen Weg die Möglichkeit, die Beträge zu erhöhen? Zweite Frage, wer verhandelt für die Patienten und Klienten? Und wer verhandelt im Tarifbereich für das Pflegepersonal, das ja auch in diese Sätze eingeht? Wenn Sie jetzt sagen, für die Heimbewohner handeln eventuell die Betreuer oder Betreuungsverbände, dann dazu die Frage, sehen Sie wirklich keine Gefahr darin, wenn die Betreuungsverbände in der gleichen Trägerschaft sind wie die Heime?

Irmgard Schwarzl: Imgard Schwarzl, ich komme aus Graz und bin in der ambulanten Altenhilfe tätig. Meine Frage ist, ob es für Bewohner eines Heimes oder überhaupt für Menschen, die nicht für sich selbst bestimmen können, so etwas wie einen bestellten Sachwalter gibt. Danke.

H. Jani: Ihre Überlegungen zum Qualität-Preis-Verhältnis oder zum Rationalisierungsdruck, das hört sich für mich wieder nach modernem Management an. Meine Frage: gibt es Fortbildung für Heimleiter in diesem Sinne und in wessen Kompetenzbereich fällt diese, z.B. gehört sie in den Kompetenzbereich der Pflegekassen?

A. Braun: Können Sie auf die drei Beiträge jetzt zusammen antworten?

R. Hoberg: Ja. Wenn ich beginnen darf mit der Frage nach den Tarifen. Bei den Tarifverhandlungen für die Pflegekräfte gibt es eine ganz spannende Überschneidung. Es gibt ja Heime in kommunaler Trägerschaft und dort haben wir die pikante Konstellation, daß Kommunen Arbeitgeber, also Tarifpartner sind auf der Arbeitgeberseite, daß sie gleichzeitig, wenn sie Einrichtungsträger sind, ihre Pflegekräfte angestellt haben und als Heimträger auch den Pflegesatz festsetzen müssen. Und gleichzeitig sind es dieselben Kommunen, die auf der anderen Seite Sozialhilfeträger sind und ein eminentes Interesse daran haben, möglichst als Sozialhilfeträger nicht zu viel zu zahlen. Und in diesem Spannungsverhältnis, was dann auch im Zweifel in einzelnen Personen kumuliert, hier im Land bei Frau Christner oder beim Herrn Klinger, sind die dann zerrissen in zwei Rollen. Und je nachdem auf welcher Veranstaltung sie gerade sind, sind sie eher das Eine oder eher das Andere. Das ist ein Spannungsverhältnis, was un-

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aufgelöst besteht. Und dann besinnen sie sich auf ihre jeweilige Rolle, wenn sie dann entdecken, daß sie eigentlich als Arbeitgeber möglichst wenig zahlen wollen, daß sie als Sozialhilfeträger möglichst wenig zahlen wollen, und da sind sie wieder, was ihre Argumentationslinie angeht als Kommunen, recht eng beieinander, nämlich daß sie dann ein Interesse daran haben, die Kosten im Heim nicht zu sehr steigen zu lassen. Sie haben dann natürlich andererseits die Sorge, daß ihnen ihre Mitarbeiter davonlaufen, da müssen sie dann eben wieder etwas aufpassen.

Die Betreuer sind immer nur Betreuer im Einzelfall, sie sind nicht Vertragspartner auf der Seite der Pflegeheime, sie beeinflussen natürlich mit, in wieweit und in welchem Umfang Leistungen im Einzelfall in Anspruch genommen werden, sie sind aber nicht Vertragspartner für die Tarife. Die Grundstruktur, die verhandelt wird, über den Investitionskostenanteil, den Anteil für Hauswirtschaft und Verpflegung und den Anteil Pflege, diese drei Grundbestandteile, die werden verhandelt zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtung. Die detailliertere Aufschlüsselung und Rechnungslegung muß dann nach rein gesetzlichen Vorschriften gegenüber dem einzelnen Heimbewohner erfolgen.

Und Ihre Frage nach dem modernen Management. Wir haben den Eindruck - es gehört also mit zur Professionalisierung der Pflege - daß sich gerade im Managementbereich der Einrichtungen in den letzten Jahren sehr viel getan hat. Wir erleben aber immer noch - und daraus kommen viele Diskussionen um Wirtschaftlichkeitsreserven - eine zu starke Betriebs- oder Trägerbezogenheit. Also eine Scheuklappensicht: ich in meiner Einrichtung, wo soll ich denn überhaupt noch sparen können? Wenn man immer nur die eigene Einrichtung sieht und sich ja schon seit Jahren müht, kostengünstig und wirtschaftlich zu arbeiten. Aber, was es an anderen Ideen gibt im Quervergleich, wenn man sich das mal anschaut, was machen andere Einrichtungen, dies ist noch nicht ausgeprägt genug. Und das wäre eine unserer Forderungen, wir hatten dieses auch mal angeboten, gemeinsame Wirtschaftsvergleiche, Betriebsvergleiche zu unternehmen zwischen allen Einrichtungen, um daraus dann, wie es so schön heißt, „best practice-Beispiele" zu finden, wie man eben hinkommen kann zu einer möglichst wirtschaftlichen Leistungserstellung. Nur ist dies nicht eine Aufgabe der Pflegekassen, sondern dies wäre Aufgabe der Träger und

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Trägerverbände, dort passiert auch schon eine ganze Menge, es gibt auch trägerbezogene Betriebskostenvergleiche, aber die sollten auch eine breitere Basis finden.

H. Jani: Aber die diesbezügliche Ausbildung der Heimleiter, die liegt nicht in Ihrer Kompetenz.

R. Hoberg: Nein.

A. Braun: So als nächste drei Herr Rosenbauer, Frau Blumenthal und Frau Schmidt-Jaag.

Wilhelm Rosenbauer: Mein Name ist Rosenbauer, ich bin im Stadt- und Kreisseniorenrat hier im Nachbarkreis Calw-Altensteig. Aus ihrer früheren Funktion heraus hätte mich mal interessiert, wie Sie folgendes irgendwie bewerten: daß die früher mehrstufigen Heime jetzt zunehmend einstufig werden. Das heißt: es wird, wenn es hochkommt, ab Pflegestufe zwei aufgenommen, darunter ja nicht mehr, weil sie sonst irgendwo mit den Kosten nicht zurechtkommen. Daß da irgendwelche Vorgaben gemacht werden vom Heim, daß sie also in den Vorstufen gewissermaßen nicht mehr aufnehmen können und dann eben in zwei oder drei aufnehmen oder komplett zum Pflegeheim werden.

Das ist die eine Geschichte, und das andere ist, Sie sprachen eben von einem Spannungsfeld, in dem einige Funktionsträger sind. Sie sind selbst in einem Art Spannungsverhältnis, weil Sie vorhin gesagt haben, daß Sie sowohl bei der Krankenkasse als auch bei der Pflegeversicherung im Leistungsbereich sind. Und jetzt hätte ich gerne gewußt, wie sich das für Sie auflöst.

Leni Blumenthal: Blumenthal, AG 60plus in Heidelberg. Zu dem Argument, es wäre eine Konkurrenzsituation zwischen den Einrichtungen und es gäbe eher immer mehr und zu viele Einrichtungen. Also ich weiß jetzt von Fällen, z.B. bei mir im Haus eine Frau, die zuhause ist, ganz allein, keine Familie, nichts mehr machen kann, überhaupt nicht, und nicht in ein Heim kommt, weil sie angeblich kein Pflegefall ist. Sie kann nichts mehr machen, gar nichts, sie kann sich nicht mehr aufrichten, sie kann sich

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noch anziehen und aufstehen, aber sonst nichts. Und sie kommt nicht in ein Heim, sie ist von dem Ärztlichen Dienst nicht als Pflegefall deklariert worden. Und dann bei der ambulanten Pflege, in dieser Gruppeneinteilung 1, 2, 3, da weiß ich auch aus persönlicher Erfahrung, daß Menschen, die psychisch krank sind - also Demenz ist zu hoch gegriffen - aber psychisch sehr, sehr krank sind, daß also die Angehörigen da große Schwierigkeiten haben. Weil sie aber noch beweglich sind, noch gehen können, sich noch allein anziehen können, sie nicht in eine höhere Stufe eingruppiert werden und das natürlich auch finanzielle Auswirkungen hat.

Christa-Maria Schmidt-Jaag: Schmidt-Jaag, ich komme von der Landesarbeitsgemeinschaft evangelischer Seniorinnen und Senioren, der LAGES. Man hört immer wieder die Klage und es wird auch immer wieder festgestellt, daß aufgrund der Pflegeversicherung die menschliche Zuwendung und die Zeit für Gespräche in den Heimen auf der Strecke geblieben sind. Wir haben gestern eine demnächst zu veröffentlichende Studie kennengelernt, die der Landeswohlfahrtsverband Baden in Auftrag gegeben hat und da scheint sich das für mich zu bestätigen. Auf der einen Seite bleibt Zeit für die Grundpflege, nach meiner Erinnerung mit 38 Prozent, es bleibt aber nur Zeit von höchstens 6 Prozent für die persönliche Zuwendung und für die Einzelbetreuung. Auf der anderen Seite dieser Liste stehen dann 37 Prozent für administrative Aufgaben. Und ich frage mich wirklich, ob so viel Zeit für diese Dinge notwendig sind oder ob da nicht auch die Kostenträger versuchen sollten, ihre Forderungen herunter zu schrauben.

R. Hoberg: Zunächst, was die Versorungsverträge und Versorgungsverantwortung von Einrichtungen angeht. Die Einrichtungen müssen, wenn sie den Versorgungsvertrag bekommen, Pflegebedürftige aller Stufen, also auch ab Stufe Null aufnehmen, dies ist die Vereinbarungslinie aus dem Landespflegeausschuß. Und ab Pflegestufe eins ist dies Anforderung aus dem Pflegeversicherungsgesetz. Die Einrichtung, die dies nicht tut und bei der dies festgestellt würde, würde den Versorgungsvertrag verletzen und dies würde zur Kündigung führen. Also das kann und darf nicht sein. Auch wäre es für mich in Baden-Württemberg merkwürdig: wenn wir bei der Pflegestufe drei Schwierigkeiten hätten, dann könnte ich das vielleicht noch verstehen, aber eigentlich sind Pflegestufe eins und zwei von der Finanzierung her so gestellt, daß diese eher attraktiv sind und versucht wird,

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also möglichst Leute von Null nach eins zu bekommen. Das ist der größte und interessanteste Sprung eigentlich, wenn man betriebswirtschaftlich rechnet, aber wenn Sie da Einzelfälle haben, dann wäre das für uns interessant; wir würden dem sofort nachgehen, denn das wäre ein massiver Verstoß gegen unseren Vertrag.

Was das Spannungsverhältnis angeht, ich denke, wir leben alle in Span-nungsverhältnissen. Wir haben, wenn Sie jetzt Pflegebedürftige nehmen, sicher auf der einen Seite ein Interesse an möglichst guter Versorgung und auf der anderen Seite, es darf nicht zu viel kosten. Im Zweifel äußert man das eine am Vormittag und das andere am Nachmittag Und mir geht es natürlich so, wenn ich über Pflegeversicherung zu sprechen habe, daß wir auch zwei Verantwortungen haben: Auf der einen Seite die Verantwortung, qualitativ gute Pflege sicherzustellen, aber dieses zu möglichst niedrigen Kostenbelastungen für den Pflegebedürftigen. Wir selber als Pflegeversicherung haben nichts davon, denn unsere Beträge sind ja gedeckelt, das ist immer ein Standardbetrag, egal wie hoch der Pflegesatz ist. Insoweit gibt es dann auch manche, die sagen, was kümmert ihr euch eigentlich darum, es kostet euch doch nicht mehr oder weniger, ob der Pflegesatz nun bei 6000 Mark im Monat liegt oder bei 8000 Mark. Das ändert ja eure Leistungspflicht nicht, ihr könntet euch eigentlich rausziehen aus dem Ganzen und irgendjemand das verhandeln lassen. Also hier aus dieser Doppelverantwortung, wo wir, wie auch die Einrichtungsträger, meinen, eine anwaltliche Rolle zu haben für Qualität und Preis, wir vielleicht mit dem Akzent Preis und Qualität und die Einrichtung für Qualität und Preis, in dem Gleichgewicht leben wir im Spannungsverhältnis.

Und was die Abgrenzung zur Krankenversicherung angeht, ist dieses in vielen Fällen nicht problematisch; am Thema Hilfsmittel ist dieses ein heftiger Auseinandersetzungspunkt, der allerdings, wenn ich das richtig beobachte, über die meisten Hilfsmittel inzwischen zu so etwas wie einem Burgfrieden oder modus vivendi hingefunden hat; außer bei der Frage Schieberollstuhl oder selbstfahrender Rollstuhl. Das ist der Auseinandersetzungspunkt, wo die Grenzziehung schwierig ist. Manchmal auch, muß ich sagen, wenn man sich den Fall genau genug anschaut, eigentlich für beide Seiten mit ein bißchen Vernunft zu lösen. Und es entsteht aus der Aktenlage - da räume ich auch einen Fehler unserer Seite ein - als erstes

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die Reaktion, hier sei ein Rollstuhl nicht notwendig, und aus dem Versuch zu sagen, also das andere wird schon reichen. Und ich denke, da hängt es sehr von dem Gesprächsfaden ab, der geknüpft ist zwischen Einrichtung und der jeweiligen Krankenkasse, ob man hier zu einem gedeihlichen Verhältnis kommt in der Regel. Jedenfalls so mein Eindruck und auch der Auftrag an unsere Mitarbeiter, mit diesem Feld vernünftig umzugehen. Ich will da nicht ausschließen, das dieses nach wie vor das Kampffeld ist, Schieberollstuhl versus Rollstuhl, den man selbst fahren kann. Aber sonst die anderen Felder, die sind weitgehend ruhig gestellt, nachdem man sich dort auseinandergesetzt hat und eine gewisse Einsicht auch da ist, daß ein Pflegeheim nicht ein Hotel ist, das im Pflegebereich dann von der Krankenversicherung auszustatten ist. Nachdem das klar war, wird dann von beiden Seiten die Sache eigentlich jetzt auch vernünftig gehandhabt.

Sorgen bereitet uns wirklich die Pflegestufe Null. Was Demenzkranke angeht, ist dies ja das Thema, was eigentlich politisches Thema für alle beteiligten Parteien ist. Alle Parteien, auch der Landespflegeausschuß, durch alle Bänke hinweg, auch die Pflegekassen, wir bekennen uns dazu, daß für Demenzkranke was getan werden muß. Nur muß das bitte schnell geschehen. Je länger zugewartet wird, desto weniger oder desto deutlicher wird werden, daß kein Geld da ist und desto knapper und schlechter wird die Lösung ausfallen.

(Zwischenruf)

R. Hoberg: Es reicht aber nicht, es führt eben dazu, daß die Bundesregierung angetreten ist, was zu tun, und immer noch nichts vorgelegt hat. Also wie gesagt, ich sehe, wenn das noch ein Jahr sich hinschleppt, dann wird es nur um das Thema Umschichtung gehen. Und dann wird es nur darauf hinauslaufen können, daß gesagt wird, in den Pflegestufen eins bis drei wird im somatischen Bereich die Anforderung im Minutenbereich ein Stück raufgesetzt und im psychischen Bereich, im Anleitungs- und Betreuungsbereich, wird dafür dann ein Stück rübergegeben. Und dies wird, wenn es noch ein Jahr geht, die Lösung sein, weil niemand etwas anderes wird finanzieren wollen.

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Und dann gibt es eben die traurigen Fälle, wo eine Pflegestufe, eine Einstufung nach dem Pflegeversicherungsgesetz noch nicht erreicht ist. Und da kommen dann Heime, die wir für problematisch halten, die dann sagen, wir nehmen jemanden nur auf, wenn er mindestens Pflegestufe eins hat. Und das ist ein Punkt, wo dann eigentlich kommunale Verantwortung einsetzt und wo meine Empfehlung dann an die kommunale Seite ist, die Kommune hat das Heim mitfinanziert und hat von daher eigentlich auch einen Einfluß und ein Druckmittel, im Vertragsbereich dafür zu sorgen - das können wir als Pflegekassen nicht bewirken - es muß auch die Pflegestufe Null aufgenommen werden. Und das wäre eigentlich die Ergänzung des Versorgungsvertrages, nur das muß bitte kommunaler Druck sein. Vielleicht werden da die Verhältnisse besser, wenn jetzt die Zuständigkeit wechselt zum ersten Januar auf die Kommunen, also auf die Kreisebene, daß dies dann ein Stück besser wird.

Was die Zuwendung und was die Einzelbetreuung angeht, so weiß ich nicht, ob man die Verhältnisse der Vergangenheit idealisiert, wenn man sagt, früher sei viel mehr an Zuwendung möglich gewesen. Ich habe da meine Zweifel. Es ist eine Frage, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Fragestellung man das angeht. Ich gehe bisher jedenfalls davon aus, daß auch Leistungen der Grundpflege nicht von einem Roboter, sondern von einem Menschen erbracht werden und daß auch dieses Hand in Hand geht mit Kommunikation und mit einer gewissen schonenden Rücksichtnahme. Und nicht „das einmal als Katzenwäsche mit dem Schwamm durchs Gesicht fahren" und das war dann die Ganzkörperwäsche, sondern daß hier mehr passiert und auch mehr passieren kann wie in der Vergangenheit. Und was den Anteil von Verwaltungsleistungen angeht, ist dieses sicher eine Definitionsfrage. Ich kann mir nicht vorstellen, daß im pflegerischen Bereich 37 Prozent anfallen, dazu müßte ich mir die Studie mal anschauen.

Zwischenruf: Das waren Gemeinkosten, die zugerechnet wurden; das waren nicht Verwaltungskosten.

R. Hoberg: Also dann ist es ja gut. Dann schauen wir uns das nochmal an, die Studie ist ja noch nicht abgeschlossen, von daher ist das ein spannen

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der Punkt. Aber jedenfalls können Sie sicher sein, wenn es 37 Prozent Verwaltungskosten wären, dies würden wir nicht akzeptieren.

A. Braun: Jetzt habe ich noch drei Meldungen für die eine Minute, die uns noch bleibt, Herr Krappatsch und die zwei Herren da hinten.

H.Krappatsch: Den Krankenkassen wird vorgeworfen, daß sie den Krankenhausaufenthalt abkürzen und die Patienten abschieben in die Pflegeheime, dabei aber die Rehabilitation deutlich vernachlässigen, so daß dort schon oft der Erfolg vermindert wird, die Leute wieder auf eigene Beine zu stellen, nach Hause zu schicken. Und ich habe eine Horrormeldung in meinem ÖTV-Magazin vor ein paar Jahren gelesen, wonach fast die Hälfte aller in die Pflegeheime eingelieferten Patienten im Laufe der ersten vier Wochen stirbt. Ich hätte gerne gewußt, ob Sie solche Zahlen bestätigen können, ob Sie Näheres wissen. Danke.

Zwischenfrage: Herr Dr. Hoberg, ich habe mal eine Frage zu Ihrem Stichwort Qualitätsmanagement auch von Seiten der Pflegekassen. Ich hätte gerne von Ihnen eine Stellungnahme gehört auch zur aktuellen Entwicklung, wie Sie in Ihren Qualitätskontrollen auch mit anderen Stellen, staatlichen Stellen der Aufsicht, kooperieren oder zusammenarbeiten wollen und wie Sie da die Perspektiven sehen.

Zwischenfrage: Ja ich hätte gerne eine kurze und ehrliche Antwort, wie Sie die Perspektiven sehen in Bezug auf die medizinische Behandlungspflege.

A. Braun: So, das war jetzt die letzte Runde

R. Hoberg: Also das Abschieben aus dem Krankenhaus ins Pflegeheim ist, wenn man sich die Krankenhausversorgung anschaut und dort mal verfolgt, wohin wird nach dem Krankenhausaufenthalt verlegt, extrem selten. Also die Aussage, es würde vom Krankenhaus nahtlos ins Pflegeheim verlegt, ist schlicht nicht richtig. Es gibt die Fälle und es gibt auch, leider, menschlich gesehen, die unvermeidlichen Fälle, wo dies eben nicht anders geht. Und manchmal - muß man auch sagen - ist es nicht der schlechteste Weg. Anstelle in eine schlechte häusliche Pflege nach dem Kranken

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hausaufenthalt in den stationären Bereich zu kommen, ist manchmal menschlicher als wieder zurück zu kommen in die Familie. Also auch hier muß man mit Idylle-Vorstellungen vorsichtig sein. Was andererseits nicht heißt, daß wir damit sagen wollen, Krankenhaus und dann ab ins Pflegeheim. In Baden-Württemberg ist, was die Rehabilitationschance angeht, die Chance, nach einem Krankenhausaufenthalt Rehabilitation zu bekommen, so gut wie sonst nirgends in der Bundesrepublik. Und jetzt kann man natürlich sagen, das reicht ja alles immer noch nicht. Aber nehmen Sie einfach zur Kenntnis, daß die Krankenkassen in Baden-Württemberg eine Viertelmilliarde ausgeben, um Rehabilitation nach Krankenhausaufenthalt in jedem Jahr sicherzustellen. Dies ist eine ganze Menge. In Baden-Württemberg ist dies in den letzten 10 Jahren aufgebaut worden und stellt eine wirklich gute Versorgung dar. Also wer eine Reha-Chance hat, bekommt diese auch. Allerdings führt dies in der Regel jedenfalls nicht dazu, daß durch Rehabilitation in der Pflegeversicherung Einsparungen eintreten, denn die Rehabilitation führt nicht zum Absenken um eine Pflegestufe.

Was das frühe Versterben in Pflegeheimen angeht: also diese Horrormeldung kann ich nicht bestätigen; allerdings muß man sehen, daß in der Tat viele Menschen wirklich nur eine sehr kurze Zeit im Heim leben. Und jetzt wollen wir mal fragen, ist dieses jetzt eine Negativaussage oder ist dies eine Positivaussage? Denn es ist umgekehrt die Positivaussage, wie lange es möglich ist, in häuslicher Versorgung erst einmal zu leben. Und wir haben einen steigenden Anteil der Versorgung in Eigenständigkeit oder in der Familie. Also auch von daher muß man sich so ein Ergebnis anschauen, ist dieses eine erschreckende oder ist dies eher eine tröstliche Information.

Qualitätssicherung in Kooperation mit anderen Verantwortlichen. Wir haben einen Vertreter der Heimaufsicht heute ja auch unter uns, vielleicht können Sie da in der Mittagspause ja auch noch einmal aufeinander zugehen. Wir suchen das kooperative Verhältnis zur Heimaufsicht im stationären Bereich, machen die meisten Dinge auch tatsächlich Hand in Hand. Die Schwierigkeit liegt in den unterschiedlichen Rechtsmaterien, in Datenschutzgründen und auch den Begrenzungen des Heimrechtes, wann hier Zutrittsmöglichkeiten und Interventionsmöglichkeiten bestehen. Und schlußendlich, was die Kooperation angeht, auch dann das Scheitern vor

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Gericht, selbst wenn wir eklatante Fälle von Qualitätsmängeln haben. Daß es hier vor Gericht nicht gelingt, dies dann auch in eine Heimschließung umzusetzen. Das Land Baden-Württemberg hat ja eine Bundesratsinitiative eingebracht für eine bessere Verzahnung von Pflegeversicherung, also Medizinischem Dienst der Pflegeversicherung, und Heimaufsicht. Wir begrüßen das und wünschen uns diese Kooperation.

Was die Perspektive für die Behandlungspflege angeht. Aus der Sicht der Krankenversicherung halten wir es für besser, wenn die Behandlungspflege weiter als Leistungsbestandteil im Bereich der Pflegeversicherung drin bleibt. Aus zwei Gründen: erstens aus dem fachlichen Grund eines ganzheitlichen Pflegebegriffs, der dann in den Pflegeeinrichtungen weiter aufrecht erhalten wird; zum zweiten aus finanziellen Gründen, weil wir sehen, daß es bundesweit ein Volumen von 300 Millionen sein wird, was verlagert würde von der Pflegeversicherung, die heute noch finanziell besser dasteht als die Krankenversicherung, in den Bereich der defizitären Krankenversicherung hinein. Von daher aus finanziellen Gründen wenig wahrscheinlich und, was ganz wichtig ist für diejenigen, die diese Forderungen erheben von der Einrichtungsträgerseite, Behandlungspflege ist heute finanziert in den Pflegesätzen. Sollte es zu einer Situation kommen, daß die wechselt, in der Kostenträgerzuständigkeit, werden die Pflegesätze um den Betrag der Behandlungspflege abzusenken sein, um sie dann aus der Krankenversicherung wieder um exakt den gleichen Betrag aufzustocken. Es wird nicht dazu führen, daß mehr Geld zur Verfügung steht. Also von daher, diejenigen, die hier die Hoffnung haben, Behandlungspflege raus und dann holen wir es von der Krankenkasse, diese Erwartung trügt.

Das gehört mit zu den Perspektiven. Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen; es wird sehr mühsam bleiben und es wird eher mühsamer werden.

A. Braun: Ich erinnere alle, die noch im Besitz eines Zimmerschlüssels sind, obwohl sie heute abreisen, an den allerletzten Termin, ihn abzugeben. Wir wollen nach der Mittagspause um 14 Uhr hier möglichst pünktlich weitermachen, damit unsere Referentin heute nachmittag nicht noch den Urlaub verpaßt, in den sie anschließend starten will.


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