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TEILDOKUMENT:
29. Oktober 1999 [Seite der Druckausg.: 118 (Fortsetzung)] A. Braun: Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Länderbeispiel Niederlande. Wir verfahren wie bisher: Ihr stellt Euch zunächst vor. Henk Schippers: Also guten Abend, mein Name ist Henk Schippers, Henk genügt. Ich arbeite in Holland beim Ministerium für Gesundheit, Wohlsein und Sport und habe da zu tun mit der Altenpolitik. Das heißt bis Anfang diesen Jahres, weil ich jetzt nicht mehr speziell in der Altenpolitik bin, sondern ein normaler Organisationsberater beim Departement bin. Greet Pels: Ich bin Greet Pels; ich bin Organisationsberaterin - ich finde das immer eine sehr anspruchsvolle Bezeichnung, aber ich habe keine andere finden können - bei einem Altenverband in den Niederlanden. Das heißt, es gibt in Holland drei Altenverbände, einen allgemeinen, einen katholischen und einen evangelischen; ich arbeite bei dem Allgemeinen Altenverband in der Provinz Südholland. H. Schippers: Also ich beginne und Greet schließt ihren Beitrag an. Mein Angebot für heute besteht aus mehreren Teilen:
Danach gibt Greet eine kritische Einschätzung der Entwicklung des AWBZ aus der Sicht der Altenverbände. (der jetzt folgende Teil der Ausführungen von Henk Schippers ist nach seinem Stichwortzettel rekonstruiert, weil sich eine Kassette des Ton-Mitschnitts nicht abhören ließ) H. Schippers: Vorab einige allgemeine Überlegungen zur Entwicklung der Altersbevölkerung und ihren möglichen Auswirkungen auf Fragen der Pflege. Zunächst zu den Zahlen: zwischen 1995 und 2020 (dem Zeitraum einer Generation) wird sich in den Niederlanden die Zahl
erhöhen. Die Lebenserwartung der Männer steigt von 74,6 Jahre in 1995 auf 77,1 Jahre in 2015; die der Frauen von 80,3 auf 81,3 Jahre. Dies wirkt sich doppelt" auf das Gesundheitswesen und das System der Pflege aus:
[Seite der Druckausg.: 120] Infolge der Alterung der Bevölkerung
Zusammen mit dem Faktum, daß Senioren von Kohorte zu Kohorte mündiger werden und ihnen mehr politisches Gewicht zugetraut wird, führen diese Entwicklungen zu Zweifeln an der Tragfähigkeit des Sozialstaats. Die Grenzen der Solidarität" werden auch in Holland beschworen und eine neue Balance im System der sozialen Sicherheit zugunsten einer stärkeren Privatisierung der Risiken wird eingefordert. Die alten" Senioren-Jahrgänge über 75 unterscheiden sich deutlich von den jüngeren" Senioren zwischen 65 und 75 besonders im Bereich Gesundheit:
und doch fühlen sich 70 % der über 85-Jährigen gesund". Aber auch sonst gibt es innerhalb der Altersbevölkerung deutliche Diffe-renzierungen der Lebenslagen:
Der Stand der Dinge in der Alterspolitik in den Niederlanden Ende der 80er Jahre läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Problemliste unseres Ministeriums in dieser Sache sah in den 90er Jahren etwa so aus:
Diese Situation schluckte Geld und Energie; verursachte einen hohen bürokratischen Aufwand; ließ unterschiedliche Anbieter/Versorger unverbunden nebeneinander arbeiten; führte zu andauerndem Streit um Kompetenzen. Den Stand der Abarbeitung dieser Problemliste im Herbst 1999 möchte ich wie folgt beschreiben:
[Seite der Druckausg.: 123] Hervorzuheben ist auch, daß im Zuge der Reform eine bessere Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den einzelnen Instanzen erreicht wurde:
Nun noch ein paar zusammenhängende Bemerkungen zum Allgemeinen Gesetz über außergewöhnliche Krankenkosten" (AWBZ). Das AWBZ deckt Krankheits- bzw. Pflege-Risiken ab, die nicht über die (Pflicht-)Krankenkassen oder die private Krankenversicherung versichert werden. Versichert sind:
Der Eigenanteil der Versicherten an den Kosten der Leistungen (Selbstbe-teiligung") ist einkommensabhängig und hängt überdies davon ab, ob die Leistungen zeitlich begrenzt oder auf Dauer in Anspruch genommen werden. Versichert sind alle Einwohner (einschließlich Ausländern, die in den Niederlanden lohnsteuerpflichtig sind). AWBZ ist eine Volksversicherung, d.h. es gibt keine Arbeitgeber-Beiträge". Der Beitragssatz beträgt 10,25 % bis zu einer Bemessungsgrenze von 48.175 Gulden jährlich. Rentner zahlen Beiträge auf die Teile ihres Einkommens, das die AOW-Rente (staatliche" Altersrente aus der Volksversicherung nach dem Allgemeinen Altersgesetz) übersteigt. Trotz der Reformen in den letzten Jahren steht die AWBZ vor einer Reihe von ungelösten Problemen:
Aus einem Anbieter-bestimmten Angebot, das den Patienten als Objekt sieht, wenig flexibel für die Patienten-Bedürfnisse ist und auf Verlangen nach mehr Differenzierung mit Management-Problemen reagiert, muß ein nachfragegesteuertes Angebot werden, das den Patienten als Subjekt behandelt und nur Leistungen anbietet, die nötig sind. [Seite der Druckausg.: 125] Die Kontrolle der Kosten wird bei stagnierenden Budgets immer dringlicher; die Frage nach der Qualität der Leistungen wird wichtiger; die Informationssysteme in Bezug auf die Pflege müssen verbessert werden. Für die Weiterentwicklung und Modernisierung in den kommenden Jahren lassen sich folgende allgemeine Ziele grob beschreiben: 1. der Patient (Klient/Konsument) steht im Mittelpunkt:
1. Pflege nach Maß,
1. Die Steuerung des Angebots danach
1. Die Pflegepolitik" muß verbunden werden mit
[Seite der Druckausg.: 126] Das Ganze muß eingebettet sein in den Versuch, Versorgung und Pflege stärker zu einer als gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommenen Aufgabe zu machen: Pflege sozialisieren!" Gemeinsam tun, was nötig ist, ohne von Bürokratien behindert zu werden und auch damit Kosten beherrschbar zu machen. (Hier geht der nach dem Ton-Mitschnitt dokumentierte Text des Forums weiter: Kurz vor Ende der Diskussion über Henk Schippers Beitrag erläutert Greet Pels, wie sich das AWBZ in Fragen der Mobilität von Alten und Behinderten auswirkt, und setzt danach mit ihrem angekündigten Beitrag über die Einschätzung des reformierten Gesetzes durch die Altenverbände ein.) G. Pels: Aufgrund dieses Gesetzes hat man in jeder Gemeinde den Transport dieser Leute organisieren müssen, die normalerweise nicht aus dem Haus können. Doch mit einem Taxi oder einem Taxibus können sie zu ihrem Club oder zu ihrer Familie oder zu Freunden; und die bezahlen dann fast denselben Preis wie für das öffentliche Transportmittel. Es war schon immer möglich, ein Taxi zu rufen und zu fragen, ob der Chauffeur nicht das ganze Gepäck in den Kofferraum stecken wollte, aber das war immer schwierig und sehr teuer. Und jetzt ist das jedenfalls innerhalb der Gemeinde geregelt, daß man da den Preis von öffentlichen Transportmitteln bezahlt. Da gab es aber sehr viele Probleme, denn die meisten Leute wollten auch mal aus ihrer Gemeinde raus in die Nachbargemeinde oder auch die benachbarte Provinz, denn die haben heutzutage ihre Familien überall. Vorher hatten schon Behinderte unter 65 Jahren die Möglichkeit, daß sie ein Taxigeld bekamen, und die konnten sich dann ein- oder zweimal pro Jahr irgendwo ins Land fahren lassen. Da hat man gekürzt, falls es andere Möglichkeiten gibt, und jetzt versucht man diese Transporte auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln so zu machen, daß es anschließend eine Umsteigemöglichkeit gibt, sodaß man mit wenig Mühe doch ans andere Ende des Landes kommen kann. Das ist zwar nicht so weit wie bei Ihnen, aber es ist doch noch sehr schwierig und mit der Bahn ist das noch nicht so gut geregelt. Da gibt es noch allerhand Probleme, die gelöst werden müssen, ehe man sagen kann, jetzt können alle Älteren und Behinderten ihren Familien- und Freundeskreis ausweiten und im ganzen Land besuchen. [Seite der Druckausg.: 127] Um so eine Transportmöglichkeit oder eine Gehhilfe oder eine Wohnungs-anpassung zu bekommen, ruft man die Gemeinde an und sagt, schickt mir bitte ein Formular, ich will etwas beantragen. Oder man schreibt einen Brief und dann kommt ein Gemeindebeamter und guckt die Situation mal an. Und überlegt sich, ob er schon den Rapport schreiben kann oder ob noch die Beratung von einem Arzt benötigt wird. Ist die Sache entschieden, dann wird - wenn es um eine Mietwohnung geht - der Bauträger beauftragt, das auszuführen und der kann dann die Kosten beim Gemeindeamt bis zu einer bestimmten Höhe geltend machen, das ist alles sehr schön festgelegt. Und wenn es um Privateigentum geht, dann muß schon ein Plan vorgelegt werden. Und wenn es dann alles nicht klappt, dann versucht man vielleicht dem Betroffenen zu etwas anderem zu raten. Ich glaube, daß es ein wesentlicher Beitrag ist, daß die Menschen länger zuhause bleiben können und daß wir mit diesem Gesetz einen sehr großen Schritt vorwärts gemacht haben. G. Peels: Aber nicht alles ist mit diesem Gesetz zu regeln. Und ich habe - weil ich schließlich bei einem Altenverband arbeite - auch nochmal nachgesehen, was die Altenverbände von diesen Sachen halten, und habe eine Liste mit Kritikpunkten aufgeschrieben. Es gab schon lange Zeit Kritik an diesem Gesetz; die war deutlich nicht nur bei den Altenverbänden, sondern fast bei allen, die mit diesem Gesetz zu tun hatten. Und die Altenverbände sind schon sehr froh, daß das Gesetz modernisiert wurde. Aber sie befürchten immer noch, daß ihre Kritik damit nicht ganz gegenstandslos geworden ist. Die wichtigsten Kritikpunkte waren:
Immer, wenn alte Menschen Pflege brauchen, kommen sie auf eine lange Warteliste; das ist schon wahr. Wenn man eine Indikation bekommt für eine Versorgung, für Pflege, für Aufnahme in ein Heim - vielleicht das Einzige, wo man keine Warteliste hat, ist die warme Mahlzeit, Essen auf Rädern", das geht oft sehr schnell - aber sonst kommt man bei allen anderen Sachen von der Alarmierung bis Aufnahme auf eine Warteliste. Und dabei wird gesagt, daß in den meisten Fällen das Budget der Anbieter nicht reicht oder daß da, wo es noch Geld gibt, sich kein Helfender oder Pflegender anbietet. Daß man also doch keine Hilfe bieten kann, weil es einfach keine Leute gibt, die es machen wollen. Die Altenverbände haben Angst, daß sich an der Warteliste wenig ändert: gerade wenn man bei der Modernisierung des Gesetzes eine Umorientierung anstrebt von angebotsorientierter Hilfe zu nachfrageorientierter Hilfe, daß dann auch nicht mehr Geld da ist zur Verwendung durch Anbieter der Hilfe oder Pflege oder zum Kauf von Hilfe oder Pflege durch die Klienten selber. Vor allem, da die Anzahl von alten Menschen bis 2015 noch immer zunimmt und damit der Anteil von sehr alten Menschen in unserer Gesellschaft, womit die Nachfrage nach Pflege immer steigen wird. Meine persönliche Angst ist dabei, daß Pflege- und Versorgungsanbieter immer eine Warteliste haben wollen, womit sie zu beweisen meinen, daß sie viel Arbeit leisten und deshalb bestimmt mehr Geld bekommen müßten von dem Sorgebüro", um damit noch mehr Menschen helfen zu können. Wenn man nicht die Absicht hat, Dinge zu ändern, dann geht das auch nicht. Ich glaube, daß sie eigentlich versuchen müßten, den Einsatz von Profis in dieser Arbeit auf eine ganz andere Art und Weise zu gestalten. Aber davon hören wir noch nichts. Ein zweiter Kritikpunkt ist, daß die Klienten immer noch wenig zu sagen haben beim Pflegeangebot. Das heißt z.B., daß die Pfleger allein bestim- [Seite der Druckausg.: 129] men, was sie anbieten und um welche Zeit einem Menschen geholfen wird. Oder das heißt, daß man z.B. nie damit rechnen kann, daß immer der- oder dieselbe HelferIn kommt. Aber wenn man dringend Hilfe braucht, dann ist man auch schneller zufrieden, wenn wenigstens irgendwas kommt; das erscheint immer noch besser , als wenn man nur auf der Warteliste steht. Und aus Angst, noch weniger Pflege zu bekommen, schweigen die meisten Leute. Nur wenn in den neuen Plänen der Klient oder die Klientin selber ein Budget bekommt, womit sie die Helfer ihrer eigenen Wahl kaufen können, oder wenn jeder Klient einen sogenannten Pflegeberater (Sorge-Konsulenten) zugewiesen bekommt, wird deutlich werden, daß die Pflegeanbieter sich neu orientieren müssen auf neue Wege zur Flexibilisierung des Hilfe- und Pflegeangebots, damit die Pflegeleistung die richtige und angemessene Antwort ist auf die Nachfrage des Klienten. Eine Sorge-Konsulentin ist eine Angestellte, die sich darum bemüht, daß sich alle geldwerten Ansprüche auf Versorgung oder Pflege ihres Klienten realisieren lassen, auf eine Art und Weise, die durch den Klienten als richtig erfahren wird. Und ich glaube auch nicht, daß immer wenn ein Pflegeanbieter sagen muß, ich kann das und das wirklich nicht machen und wir haben da jetzt ein Problem, und wenn man das gut kommuniziert mit dem Klienten, daß der oder die sagt, ach nein, ich wollte das und überhaupt nichts anderes. Ich glaube schon, daß man sich einigt über eine Art von Pflege und den Zeitpunkt und wie oft das geschehen muß. Ich glaube aber, daß bis jetzt viele Leute, die Pflege anbieten, denken, daß mit Klienten nicht zu reden ist und daß die nie die nötige Einsicht besitzen werden. Ich habe aber auch das Gefühl, daß viele Senioren sich viel zu wenig Gedanken gemacht haben über ihre Lebensgewohnheiten und darüber, was ihnen wichtig ist, bei der Bitte um Hilfe, Versorgung oder Pflege. Viele Senioren denken bei der Pflege auch nur an das, was sie schon von früher kennen und denken dabei fast nie an ihre eigene Rolle. Sie könnten dabei ihre eigene Kreativität nutzen und mit Pflege nach Maß" ihr Leben so leben, wie sie es selber immer wollten. Zum Beispiel: wenn einem abends ins Bett geholfen werden muß, und die Pflegende kann das nur am späten Nachmittag machen, dann kann man aber auch daran denken, daß man das Schlafzimmer so einrichtet, daß da der Fernsehapparat steht, daß ein [Seite der Druckausg.: 130] Glas Wein auf dem Nachttisch steht und daß man selber per Knopfdruck das Bett wieder senkt, so daß es nicht so schlimm ist, dann schon ins Bett zu gehen. Man kann auch sagen, ich will das nicht, und dann eben keine Hilfe bekommen. Aber ich versuche in Gesprächsgruppen und Kursen mit unseren Senioren, die Leute dazu zu bringen, daß sie auch über ihre eigene Situation - längst bevor sie Hilfe brauchen - nachdenken sollen. Wie sie das dann wollen oder können, was dann an ihrem Haus noch fehlt oder ob sie doch besser früher in ein Wohnzentrum einziehen - nicht in ein Altenheim, nicht in ein Pflegeheim -sondern dahin, wo man doch mit mehreren Älteren zusammen eine schöne Wohnung hat; eine eigene Wohnung in einer Umgebung mit Geschäften, mit Arztpraxis in der Nähe, mit Transport in der Nähe, schöne Anlagen, die man in Holland immer mehr baut, und wo sehr viele Leute glücklich wohnen. Aber das ist dann wieder ein Stückchen Kritik von mir an den Kritikpunkten der Älteren: es ist so einfach zu sagen, dies und das ist nicht gut, aber man muß selber auch darüber nachdenken, was der eigene, nicht nur finanzielle Anteil sein kann; oder wie binde ich dann meine Freunde, meine Familie dabei ein, nicht um für mich zu putzen, sondern um das Leben schön zu machen. Ein dritter Punkt war die heutige Ordnung von Pflege, Wohnen und Versorgung bietet ungenügend Möglichkeiten, um solange wie möglich selbständig zuhause zu wohnen. Ich glaube, da habe ich gerade eigentlich schon einiges dazu gesagt; das kann ich überspringen. Vierter Punkt: für Ältere, die viel Pflege verschiedener Form brauchen, stellen die gesamten Eigenbeiträge ein Problem dar. Henk hat vorhin erzählt, daß es jetzt wenigstens deutlicher ist, für was man alles einen eigenen Anteil bezahlen muß, und das geht dann immer nach dem eigenen Einkommen. Leute mit einem hohen Einkommen haben da kein Problem, meistens beantragen die das auch nicht; die haben ihre eigenen Regelungen, um sich Leute anzustellen, einzukaufen. Aber wenn man nicht so viel Einkommen hat und doch verschiedene Sorten von Hilfe benötigt, dann muß man immer wieder einen eigenen Anteil bezahlen und wenn man das zusammen rechnet, dann kann das ziemlich viel werden. Wir haben noch nicht rausgefunden, wie wir das so machen, daß es die einen nicht hin- [Seite der Druckausg.: 131] dert, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ohne daß ein anderer wieder sagt, aber die brauchen das alles nicht zu bezahlen und ich muß viel mehr bezahlen. Aber es ist wenigstens sehr deutlich geworden, wo der Flaschenhals sitzt. Das ist schon ein schwieriger Punkt, daß sich die Politik noch nicht einig ist, ob der Anspruch auf Haushaltshilfe in dem Gesetz über besondere Krankheitskosten bleiben soll. Wir haben schon lange Zeit große Organisationen, die Haushaltshilfe, besonders für Ältere, angeboten haben und das wurde vom Staat bezahlt. Und diese Leistung ist nun auch dem AWBZ zugeordnet worden, und weil man jetzt bei den Kosten des Gesundheitswesens so sparen muß, hat man sich gefragt, ob die Kosten für die Haushaltshilfen zurecht diesem Gesetz zugeordnet sind. Man kann sich darüber streiten, aber irgendwo müssen die Kosten doch bezahlt werden. Aber falls man wieder sagt, ja da müssen die Leute ihre Haushaltshilfe selber bezahlen, dann steigt vielleicht wieder die Furcht vor dem eigenen Anteil so, daß man darauf verzichtet. Wenn man auf diese Haushaltshilfe verzichtet, dann wird die Wahrscheinlichkeit viel größer, daß diese Leute medizinisch behandelt werden müssen oder doch schneller als sonst umziehen in ein Heim oder noch mehr Hilfe zuhause brauchen und zwar dann medizinische Hilfe. Aber es ist eine sehr gute präventive Sache gegen die Medikalisierung des Wohnens im Alter, daß man auch diese Haushaltshilfe da einsetzt, wo Leute das brauchen und nicht selbst das Geld haben, eine eigene Putzfrau vier Tage pro Woche zu bezahlen. A. Braun: Das kann man zwar in Deinem Text nachlesen, aber wir sollten noch einmal klarstellen, daß es sich hier nicht um eine billige Putzfrauenvermittlung handelt, sondern um eine Leistung, die medizinisch indiziert ist. G. Pels: Ja. Wegen dieser Haushaltshilfe wird man indiziert. Es kommt einer und da wird besprochen, was man für Probleme hat und dann wird zusammen geprüft, ob vielleicht der Einsatz von einer Altenhelferin einen Teil der Probleme lösen könnte. Wenn die Probleme zwar auf dem Gebiet des Haushalts liegen, aber so geringfügig sind, daß z.B. nur einen Morgen und einen Nachmittag oder einen Morgen und zwei Nachmittage eine Putzfrau benötigt wird, oder eine Frau, die vielleicht nicht nur Putzfrau ist, [Seite der Druckausg.: 132] sondern auch was mit den Leuten redet, dann wird gesagt, das ist eigentlich nicht eine Indikation für diese Haushaltshilfe auf Gesetzesbasis; aber dann haben wir doch vielleicht eine Liste und dann können wir mit ihnen reden, daß abhängig vom Einkommen da auch ein Zuschuß kommt, aber daß die Leute selber einen Vertrag schließen mit einer Alpha-Hilfe und daß die Älteren dann als Arbeitgeber auftreten, sich aber keine Sorgen machen brauchen über Sozialabgaben und all diese Sachen, denn jeder darf einen bestimmten Betrag erhalten, ohne daß er gleich zum Steueramt muß. Und das ist die Verantwortlichkeit dieser Frauen; die stehen dann auf einer Liste und mit Hilfe eines vorgedruckten Formulars von dieser Organisation wird ein Vertrag geschlossen. Das sind Alpha-Helferinnen, aber auch davon gibt es nicht allzu viele und es wird immer schwieriger, solche Frauen zu finden. Aber, es geht. Mein letzter Punkt war die Kritik, daß die Planung der Pflege zu zentralistisch erfolgte. Auch das wird mit dem neuen Gesetz viel besser und ich denke, daß es nicht richtig ist, diese Kritik in dieser Form aufrechtzuerhalten, wenn alles so durchgeführt wird, wie man es geplant hat. Wir sind von der Landesebene herunter gegangen auf die Regionalebene mit der Planung. Und in der Planung haben auch die Alten selber und die Behinderten selber eine Stimme, obwohl es da noch immer Streit gibt zwischen unserer Organisation der Altenverbände, der Organisation von Behinderten und der Plattform", die eingerichtet wurde. Die Politik fordert immer die Plattform auf, Vertreter zu senden, aber die Altenverbände haben das Gefühl, das können wir selber, wir brauchen nicht die Plattform dazwischen. Aber das ist dann eine politische Verabredung, daß man die Plattform fragt und daß die Plattform bei uns wieder Leute anfordert und bei den Behinderten Leute anfordert, und dann hängt das vom Personal dort ab, wen sie dann in diesen Planungsausschuß schicken. Aber das sind eigentlich Peanuts. A. Braun: Plattform ist die Ebene, wo Behindertenverbände, Patienten-verbände, Altenverbände, Konsumentenverbände sich darüber einigen müssen, wer jetzt sozusagen die Nachfrager vertreten soll auf dem Wege einer indirekten Delegation von dieser Plattform aus. [Seite der Druckausg.: 133] G. Pels: Eigentlich sind sie Gruppen, die darüber beraten sollen, mit welchem Standpunkt sie nach außen auftreten; jeder hat so ein eigenes Gebiet, worüber der Verein eine spezielle Meinung hat, und da muß man dann zusammen eine Meinung bilden und die nach außen geben zur Politik, daß man wenigstens ordentlich gehört wird und daß nicht zehn verschiedene Meinungen von Klienten, Älteren und Konsumenten auf dem Gebiet nach außen kommen. Denn sonst sagt man bei der Politik, ach ja die wissen es auch nicht, dann treffen wir selber die Entscheidung. Nein, diese Plattform muß über solche Sachen miteinander reden und wird dann gebeten, Vertreter zu schicken, wenn auf der Regionalebene beraten wird. Und da wollen die auf dieser Ebene nicht darüber diskutieren; die sagen einfach, schickt eine Stellungnahme und wir geben Euch unseren Entschluß bekannt. Es ist schon sehr gut, daß man dort einen Platz hat; und wir tragen nur immer Sorge dafür, daß wenn man da hingeht, man wenigsten zu zweit kommt und daß man akzeptiert, daß Ältere, Behinderte und Konsumenten wenigstens zu zweit auf so einer Bank sitzen. Denn alle anderen, die da noch kommen, das sind Direktoren von den großen Hilfsorganisationen, von der Altenhilfe, von den Heimen, die haben viel Zeit und viel Kenntnis von allen Sachen, die werden dafür bezahlt, alles genau zu wissen und gut zu formulieren. Und dann kommen all diese freiwilligen, ehrenamtlichen Leute und die sollen das dann genauso können. Da ist man immer besser zu zweit oder zu dritt als alleine. Denn da sinkt einem schnell der Mut in die Schuhe. Ich glaube, es wird ziemlich besser und Sie haben nun auch verstanden, warum ich heute morgen gefragt habe, wo ist die Stimme der Älteren. Wir haben einen Klientenrat in jedem Heim, das ist jetzt gesetzliche Vorschrift - vorher hat das Bewohnerausschuß geheißen. Bei all diesen Altenhilfeeinrichtungen haben wir jetzt Klientenräte; wir haben die überall und man rechnet noch nicht immer damit, aber wir haben eine Chance, um von uns hören zu lassen. A. Braun: Da war noch eine Frage, wie kommen die Patientenverbände zustande? Wie organisieren sie sich? Treffen die sich zufällig in der Apotheke oder in der Arztpraxis? [Seite der Druckausg.: 134] H. Schippers: Nein, nein. Wir haben ein Familienproblem. Ich bin tätig in einer Patienten-Konsumenten-Plattform; ich bin Vizevorsitzender in Reinmond. Und Greet hat für die Altenverbände etwas zu tun, was wir - die Patientenverbände - nicht gut machen, wie sie gerade gesagt hat. Nein, in Holland wurde für jede Patientengruppe, z.B. Asthmapatienten oder Sehbehinderte, ein Verein gestiftet, und diese Stichtings versuchen ihre Interessen zu vertreten gegenüber den Berufsgruppen. In einer Region gibt es viele davon, in Reinmond hatten wir hundert von diesen kleinen Clubs und die haben sich zusammen gefunden in der Plattform. Und diese Plattform bekommt eine Finanzierung für die Zusammenarbeit und hat auch die Möglichkeit, Profis anzustellen. Wir haben eine Plattform mit einem Direktor und ungefähr acht Leuten, die arbeiten für die Patienten- und Konsumentenplattform. Und damit können wir auch ein bißchen Gegenspieler sein in der Diskussion mit den Anbietern. Es ist schwierig, weil wir noch nicht stark sind; aber Holland hat ein Gesetz, daß wir gehört werden sollen; und es geht doch immer besser und auch unsere Position wird immer mehr anerkannt. Hundert einzelne Gruppen ging nicht, hundert zusammen in einer Plattform geht schon besser. A. Braun: Eure Zielvorstellung ist nicht ein runder Tisch", sondern ein Tisch mit vier Seiten: dem Sorgebüro, den Anbietern, den Finanzierern und den Klienten. H. Schippers: Ja, in Holland sagt man auch, die Klienten sind die dritte Partie an dem Tisch. Wir sagen, wir sind die erste, es geht um uns! Aber wir finden es gut, daß sie uns die dritte Partie nennen, dann sind wir Partei, dann können wir mitreden und mitentscheiden. Und die Altenverbände haben - das darf ich doch sagen - so ein bißchen das Problem, nicht als Patientenverbände gelten zu wollen. Und das gibt ein bißchen Streit, weil die Altenverbände sagen, wir sind keine Patienten, wir sind Vertreter von Alten-Interessen. G. Pels: Und es gibt dann ab und zu diese Plattformen, die dann mehr machen, als nur das, was mit Versorgung und Pflege zu tun hat. Sobald die das überschreiten, sagen wir: halt! das ist unser Teil vom Spiel!" Denn alles außerhalb von Versorgung und Pflege, wenigstens wenn es für Ältere gemacht wird, ist exklusiv die Aufgabe der Altenverbände. [Seite der Druckausg.: 135] H. Schippers: Aber es geht trotzdem gut zwischen uns. G. Pels: Wir sind schon 20 Jahre zusammen. Zwischenfrage: Ich habe eine Frage zu den Anbietern: sind das private Organisationen, sind das Wohlfahrtsverbände oder sind das staatliche Stellen? Und dann auch noch die Frage: Wie bestimmen die ihre Preise? Sie sagten schon, da muß man einen Eigenanteil zahlen; sind die Preise denn staatlich festgelegt? G. Pels: Wir haben einen sogenannten COTG-Ausschuß (Central Organ Tarif Gesundheits Sorge) und der bestimmt, welche Dinge man beantragen kann, was man dafür bezahlen muß; er berücksichtigt dabei auch das, was bei der einzelnen Versorgungsart die Preise spezifisch macht. Die Anbieter sind nicht-staatliche Organisationen, aber so wie das in Holland üblich ist, haben wir sehr oft katholische, evangelische und allgemeine Anbieter, aber die bekommen alle ihr Geld vom Staat. Und das Ziel ist nicht, damit Geld zu verdienen; das Ziel ist, eine gute Versorgung zu bieten, das Ganze zwischen Personal und Kunden alles gut zu verlaufen zu lassen. Sie sind alle gemeinnützig, keine kommerziellen Anbieter. Wir haben nur wenige private Kliniken, wo man spezielle Sachen wie Schönheitsoperationen machen lassen kann. Und es gibt welche, die sagen, spezifische Sachen, die kann man hier schneller machen lassen. Wir wollten die nicht, aber sie sind doch entstanden und jetzt kann man sie nicht ganz wegdenken, aber es ist üblich, der größte Teil der Versorgung ist gemeinnützig. Zwischenfrage: Henk, ich habe eine Frage an Sie zu Ihrer Folie Nummer 8. Sie haben da unter dem Punkt Versorgung ohne Ansehen von Geld und Person" noch erklärt, das Ziel ist, daß Pflege ohne Ansehen auch des Vermögens erfolgen soll. Meine Frage dazu ist, ist das Ziel, daß eigenes Vermögen da überhaupt nicht herangezogen wird oder ist es ungefähr das deutsche Bild, daß also jeder einen bestimmten Betrag unabhängig vom eigenen Vermögen bekommt für seine Pflege, und was er darüber hinaus an Extraleistungen möchte, alles noch selber zu bezahlen hat. [Seite der Druckausg.: 136] H. Schippers: Nein, das eigene Vermögen - wenn man ein Haus hat oder noch mehr - wird nicht angesprochen; angerechnet werden aber Vermögenserträge, was man aus dem eigenen Vermögen verdient. Wenn man 10 Millionen auf der Bank hat, dann bekommt man jährlich Zinsen und die rechnen zum Einkommen. Und nach dem Einkommen wird der eigene Beitrag festgelegt. G. Pels: Und das gilt jetzt für alle Versorgungen in der Altenpolitik nach dem AWBZ. Wenn man allerdings Sozialhilfe bekommt, dann zählt das schon mit. Da muß man immer noch erst das eigene Haus aufessen". A. Braun: Henk, ich glaube Deine vierte Zeile auf der Seite acht Gerechte Verteilung der Versorgung: ohne Ansehen von Geld und Person", die da gerade angesprochen wurde, geht doch auch in die Richtung, daß die Ressourcen, die da im Spiel sind, eben nicht zugeteilt werden nach persönlichen Gesichtspunkten, also nach irgendwelchen guten Beziehungen, oder nach der Möglichkeit, sie kaufen zu können oder nicht, sondern gerechte Verteilung heißt doch zunächst, daß sie eine funktionale sein muß. Es geht um knappe Güter, niemand schmeißt mit dem Zeug herum, also gibt es eine Verteilungsfrage und die Frage nach dem Maßstab für ihre Zuteilung; und da kommt eben die gerechte" Verteilung ins Spiel. Und wenn man für diese Zuteilung ein vollständiges Indikationen-System hat wie in den Niederlanden, dann stellt sich das ganz anders dar als etwa bei uns, wo es kein solches durchgängiges System gibt, sondern nur eines für den Teilbereich des SGB XI. U. Francke: Ich habe noch eine Frage zur Warteliste. Was ist in einer Notsituation, was machen die Leute, die dann zehn Wochen auf der Warteliste stehen? Also jemand nach einem Schlaganfall, der ganz extrem hilfsbedürftig ist, kann einfach nicht zehn Wochen warten. Das wäre ja dann unterlassene Hilfeleistung, oder? Was passiert dann? H. Schippers: Wartelisten sind, denke ich, auch ein politisches Instrument. Wenn ein Notfall da ist, und die Krankenhäuser oder Pflegeheime telefonieren miteinander, dann wird jedem tatsächlich am selben Tag geholfen werden. Aber es hat sich auch erwiesen, daß die Krankenhäuser normalerweise nicht voneinander wissen, wieviel Plätze sie noch frei haben auf [Seite der Druckausg.: 137] der Intensivstation und so. Aber Greet hat schon gesagt, eine Warteliste ist auch ein Signal wir haben viel zu tun, wir kommen nicht aus, wir brauchen mehr Geld, wir brauchen mehr Unterstützung". Normalerweise wird jemandem, dem geholfen werden muß, auch geholfen. A. Braun: Ich erinnere die, die am Donnerstag auf der Exkursion dabei waren, nur daran, daß die das dort umgekehrt handhaben: also Warteliste wirkt sozusagen als reiner Maßstab dafür, wie gut wir sind und wie wertvoll unsere Arbeit ist. Das bringt aber nichts, denn wenn wir den Dritten fragen, will der schon gar nicht mehr. Das war etwa dasselbe Argument wie jetzt von Greet. G. Pels: Wenn man z.B. auf einer Warteliste für ein Pflegeheim steht, dann wird in der Zwischenzeit sicherlich allerhand andere Hilfe angeboten. Und man sorgt besser dafür, daß die Leute nicht unversorgt bleiben. Und was ich selber noch immer nicht weiß ist, ob, wenn man wie meine Mutter z.B. pflegerische Versorgung zuhause hat, man sie jetzt noch auf der Warteliste für das Pflegeheim stehen läßt, weil sie noch immer zuhause ist und nicht im Pflegeheim wohnt. Das kann man nicht immer von außen kontrollieren. Man wird offener und jetzt, wo doch viele Sachen auch schon im Internet stehen, da bekommt man einen besseren Überblick über das, was wirklich passiert, wo die Leute sind, denen geholfen werden muß und was man zu bieten hat Wir haben noch immer den Unterschied zwischen Altenheim und Pflegeheim und es passiert, daß man doch beim Altenheim auf der Warteliste steht und gegenüber der Familie sagt, ich möchte das gerne oder ich muß jetzt doch, weil man nicht weiß, daß es auch andere Möglichkeiten gibt. Es kann auch ein ganzes Stück verbessert werden, was Menschen wissen über alle Möglichkeiten, die vorhanden sind. Und das ist auch etwas, was die Altenorganisationen sehr gut machen können: mit den Leuten darüber reden, was alles geht. Haben Sie auch darüber nachgedacht oder warum denken Sie nicht in diese Richtung? Gewöhnen sie sich einfach daran, daß es auch anders sein kann. Und bis jetzt haben die Leute oft so ein Gefühl ach, mein Gott, jetzt stürzt meine Welt ein", aber ich glaube, das braucht oft nicht mehr so zu [Seite der Druckausg.: 138] sein. Es gibt so viele Möglichkeiten jetzt mit Tagesauffang, Nachtauffang, Tagespflege. Ich habe für meine Arbeit ab und zu auch über meine Familie so kleine Beobachtungen aufgeschrieben.
[Dieser Text ist am Ende der Diskussion eingefügt.]
Zwischenfrage: Ich habe noch eine Frage zur Finanzierung. Sie sagten 10,25 Prozent vom Einkommen, das scheint mir jetzt im Vergleich zu Deutschland ziemlich viel. Ist dafür die Krankenversicherung oder die Rentenversicherung niedriger oder sind die Lohnnebenkosten insgesamt sehr hoch? G. Pels: Die Wohnkosten bei uns sind niedriger als in Deutschland, die Löhne und Gehälter, sind, denke ich, etwas niedriger. Aber es gibt eine Obergrenze für diesen Beitrag von 10,25 %. Aber ja, man findet schon, daß man ziemlich viel bezahlen muß für alles, aber wir haben dann auch einen guten Versorgungsstaat. A. Braun: Ich glaube, es geht um ein anderes Problem: Wenn wir von Lohnnebenkosten reden, dann ist der Punkt, daß der Arbeitgeberbeitrag in allen Versicherungen drin ist, zuletzt in der Pflegeversicherung. Die eine Hälfte zahlt der Versicherte, die andere Hälfte sein Arbeitgeber. Eine vergleichbare Regelung gibt es bei Euch bloß in den drei sogenannten Arbeitnehmer-Versicherungen": in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung (WAO) zahlen die Arbeitnehmer keinen Beitrag, die Arbeitgeber einen Grund-Beitrag von 6,30 % und einen nach Branchen und Betriebsgröße differenzierten weiteren Beitrag zwischen 1,24 % und 5,56 %; nach dem Krankenkassengesetz (ZFW) zahlen die Arbeitnehmer 1,75 % und die Arbeitgeber 6,35 %; nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz zahlen die Arbeitnehmer 6,25 % und die Arbeitgeber 4,85 %. In die Volksversicherungen" zahlen die Arbeitnehmer allein ein: Altersrente (AOW) 17,9 %, Hinterbliebene (ANW) 1,25 %, Außergewöhnliche Krankheitskosten (AWBZ) d.i. die Pflegeabsicherung, 10,25 %. Wenn wir mal kurz unberücksichtigt lassen, daß sich diese Hebesätze" zum Teil auf unterschied- [Seite der Druckausg.: 139] liche Lohngrenzen" beziehen, summieren sich die Arbeitgeberanteile auf 19,04 %, die Versichertenanteile auf 37,4 %. Also werden zwei Drittel dieser - in deutscher Terminologie - Lohnnebenkosten" von den Versicherten und nur ein Drittel von ihren Arbeitgebern getragen! (Das ist der Stand, der nach den letzten Gesetzesänderungen Mitte des nächsten Jahres realisiert sein wird.) Das heißt seit jetzt 30 Jahren, wenn in Holland eine neue Regelung eingeführt wurde, dann waren die Arbeitgeber draußen. Dann war nur der Versicherte der Zahler. Das führt dazu, daß in allen internationalen Vergleichen die Arbeitgeberbeteiligung an der Finanzierung der sozialen Sicherung in den Niederlanden am niedrigsten ist. Obwohl die Sozialausgaben insgesamt die höchsten in Europa sind, wenn man mal von den später hinzugekommenen Skandinaviern absieht. Insgesamt sind so die niederländischen Arbeitnehmereinkommen stärker belastet als die deutschen, weil dieser hälftige Arbeitgeberbeitrag wegfällt; auf der anderen Seite sind die deutschen Arbeitgeber immer ganz neidisch, das sind nämlich keine Lohnnebenkosten, wie sie immer in unsrer Diskussion erscheinen. Zwischenfrage: Ja, ich habe auch noch eine Frage. Wenn einer unter die Sozialhilfe fällt, aber - obwohl er schwerst pflegebedürftig ist - nicht in ein Pflegeheim gehen möchte, zuhause versorgt werden möchte. Ist das möglich oder gibt es da eine Obergrenze, wo der Staat sagt, jetzt ist aber Schluß zuhause, jetzt müssen Sie ins Pflegeheim. G. Pels: Ich glaube, daß es nicht der Staat ist. Es geht schon um das Geld irgendwo, wenn zuhause bleiben und gepflegt werden sehr viel teurer wird, als im Pflegeheim gepflegt werden. Dann wird gesagt, jetzt kann das nicht mehr geboten werden. Aber das ist dann Sache des Indikationsausschusses, der sagt, jetzt haben Sie eine Indikation zur Aufnahme, aber nicht mehr zur Pflege zuhause. Und da kann man nur, wenn man soviel Geld hat, daß man das selber zahlen kann, zuhause bleiben, aber sonst nicht. Aber wenn das wirklich so schlimm ist, da will fast keiner zuhause bleiben. Wenn man soviel Pflege braucht, daß es teurer ist, zuhause zu bleiben als in ein Pflegeheim zu gehen, dann ist es so schlimm, daß die meisten doch eine Wahl treffen, denn dann muß die Familie auch so viel Einsatz geben, dann ist das so eine Belastung für jeden Menschen. Ich [Seite der Druckausg.: 140] glaube, daß die Fälle nicht oft vorkommen, daß man unter allen Umständen" zuhause bleiben will. Karl-Heinz Mößer: Mößer von AG 60 plus, Unterbezirk Wetterau. Gibt es im niederländischen System gegen eine Indikationsentscheidung der Region, wie Sie es vorhin dargestellt haben, ein Rechtsmittel? Ich denke hier an Rechtsmittel im Sinne eines Widerspruchs im deutschen Recht bezüglich eines Verwaltungsaktes. Kann man also durch Gerichtsentscheidung erreichen, daß man eine andere Indikation bekommt ? G. Pels: Man kann einen Brief schreiben, daß man nicht einverstanden ist mit dem Beschluß. Da hatten die Altenverbände schon darauf bestanden, daß das in das Gesetz kommt, daß man eine zweite Instanz fragen könnte wegen einer neuen Indikation, aber das hat man nicht gemacht und das finden wir bis jetzt einen der nicht so starken Punkte des Gesetzes. Aber die ganze Arbeit mit dem neuen regionalen Indikationsausschuß ist noch sehr neu. Ich habe noch nicht gehört, daß man sich tatsächlich widersetzt hat oder daß es große Probleme gegeben hat. A. Braun: Wir haben hier ein Mißverständnis und das liegt an Folgendem: heute Nachmittag hat Eduard Olbrich ja gesagt, in Österreich gibt es soundsoviel Widersprüche und in den Verfahren kommen soundsoviel Erfolge und soundsoviele Vergleiche zustande. Da haben wir halt - wie die Österreicher auch - irgendwo im Hinterkopf, es muß ein durchgegliedertes Verwaltungsrechtssystem, Sozialrechtssystem, Arbeitsrechtssystem geben usw.. Aber das ist eine deutsche Erfindung, die die Österreicher dann mit behalten haben. Wir müssen uns hüten, immer zu vermuten, daß es bei anderen auch so laufen muß. Es gibt also Länder, in denen halt eine Verwaltung entscheidet, und dann wird widersprochen und dann entscheidet dieselbe Verwaltung endgültig und dann basta. Das ist für uns zwar inzwischen unvollstellbar, aber das ist eigentlich der Normalfall. G. Pels: Es gibt schon ein Gesetz über das Klagerecht und man kann schon über mehrere Instanzen gehen, aber es gibt leider keine zweite Konsultation. [Seite der Druckausg.: 141] G. Braun: Ich wollte nur kurz nachfragen wegen der Kommission, die die Indikation stellt. Also kann das sein, daß die vielleicht genauer und zuverlässiger in ihren Einstufungen oder Entscheidungen sind, weil es eine Kommission ist. Bei uns ist es ja so, wenn es um die Pflegeversicherung geht, daß das erstmal einer ist, wenn ich es richtig weiß. Nämlich der Mensch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der dorthin geht und dann die Entscheidung trifft. Also könnte es sein, daß es damit zu tun hat, daß es mehrere Leute sind, die bei der Entscheidung mitwirken? G. Pels: Es kann schon so sein, ich bin mir da nicht sicher, daß es darum vielleicht besser geht, aber es gibt wenigsten zwei, meist drei bis sechs Gemeinden, die zusammen einen Ausschuß haben, der dann oft mehrere Leute hat, die pro Gemeinde die Antragsteller besuchen, die dann auch allerhand Sachen mitnehmen. Es gibt eine Möglichkeit, daß in Zukunft auch die Indikation für Gehhilfen und Wohnungsanpassung zu diesem Ausschuß kommt. Das ist dann auch eine Person, die zum Antragsteller kommt, die nicht nur den Antrag behandelt, den man gestellt hat. Meistens wird der Antrag gestellt, ich möchte jetzt in ein Heim, denn ich kann es nicht mehr schaffen zuhause. Aber dieses Ausschußmitglied, das kann dann allerfreundlichst alle Möglichkeiten, die es gibt, mit dieser Person durchackern und vielleicht kommt dann eine ganz andere Indikation auf das Papier als ein Platz in einem Heim, und vielleicht ist man deshalb schon zufrieden, weil man das vorher nicht gewußt hat, daß das auch möglich wäre. Und das ist dann der wichtigste Beitrag von diesem Ausschuß und von diesem einzelnen Mitglied. Wir haben als Organisation selber auch nichts damit zu tun, wieviel Heime es gibt, wieviel Plätze noch offen sind, wieviel Altenhilfe eine Organisation bietet. Wenn unsere Berater es gut machen, überlegen die nur mit diesem Klienten, was für diesen Klienten gut ist. Und wenn etwas Neues gefunden werden muß, dann schreiben die das auf. Und dann muß es irgendwo rausgefunden werden und wenn dann in dem Ausschuß gesagt wird, ja, das ist schön, das machen wir zur Indikation für diesen Menschen, dann bekommt er das in seinen Bescheid und kann damit zu demjenigen gehen, der die Versorgung oder die Pflege oder das Haus oder den Platz organisieren bzw. mieten muß. [Seite der Druckausg.: 142] Nach meiner Meinung stockt es vielleicht, weil nicht alles vorhanden ist und unklar ist, wer dann kontrolliert und wer dann dafür sorgt, daß alles doch kommt, das ist noch der schwierige Punkt. Und dafür haben wir dann wieder diese Senioradviseure gedacht, die dann helfen können, um dorthin und dorthin und dorthin zu gehen, um zu fragen, wo bleibt jetzt diese Hilfe, wo bleibt dieses Angebot für diesen Platz, wo bleibt dies, was wir herausgefunden haben. Und wenn das alles nicht stimmt, dann geht man am Ende zum Sorgebüro und sagt, wir haben bei diesem Anbieter und da und da gefragt und keiner bietet, was der Indikationsausschuß doch vorgeschrieben hat. Und die sind dann verantwortlich dafür, daß es doch so schnell wie möglich realisiert wird. Aber ob das alles so schön wird, wie man es aufgeschrieben hat, das müssen wir alles noch erfahren. A. Braun: Dann nutze ich diese Kunstpause um festzustellen, daß wir heute Abend jedenfalls in dieser Konstellation einer Plenumsveranstaltung für diese zwei Gesprächspartner im Augenblick keinen Diskussionsbedarf mehr haben. Ich bedanke mich bei Euch für diesen intensiven Abend am Ende eines langen Arbeitstages. Die Kneipe wird nachher offen sein; ansonsten eine angenehme Nachtruhe.
[Seite der Druckausg.: 152] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001 |