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TEILDOKUMENT:




Frauenpolitische Desiderata einer solidarischen Alterssicherungspolitik.
Ein Beitrag von Dr. Kirsten Scheiwe, Mannheim


A. Braun

Wir haben als nächstes jetzt den Tagesordnungspunkt Desiderata, also Wünschenswertes, den Punkt, was sollte man denn, was könnte man denn machen, was ist nötig bzw.wünschenswert. Frau Scheiwe, Sie haben das Wort. Und Sie stellen sich zuerst wieder selbst vor.

Dr. Kirsten Scheiwe

Mein Name ist Kirsten Scheiwe, ich bin Juristin, habe aber auch interdisziplinäre Sachen mit Sozialwissenschaftlern zusammen gemacht. Ich bin an der Universität beschäftigt, zur Zeit in Mannheim, das heißt am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, und bin Privatdozentin an der Juristischen Fakultät in Frankfurt.

Diesen Titel „Desiderata" habe ich so übernommen; also ich verstehe ja meine Aufgabe so, mich dazu zu äußern, in welche Richtung wünschenswerte Reformen gehen sollten und werde also versuchen, auch erst mal etwas allgemeinere Ziele zu formulieren. Nachdem wir viele verschiedene Länderberichte gehört haben, denke ich, daß es ein bißchen vergleichend darum geht, sich anzugucken, welche Strukturen benachteiligen Frauen und welche Strukturen stellen sich günstiger dar. In diesem Sinne werde ich mich etwas allgemeiner äußern.

Zu den Zielen. Sie stimmen auch weitgehend damit überein, wie Sie zum Beispiel in den Länderberichten als Ziele formuliert haben. Ich denke, eine ganz wichtige Aufgabe von Alterssicherungssystemen für Frauen ist die Bekämpfung der Altersarmut, die in besonderem Maße Frauen trifft, weil sie unter den Geringerverdienenden überrepräsentiert sind und eine ausreichende Mindestsicherung im Sinne der Absicherung des Existenzminimums.

Die weitere Aufgabe ist ich die Absicherung von Lebensläufen, die auch diskontinuierlich sind, die Phasen von Teilzeitarbeit und Unterbrechungen einschließen und die Absicherung von Versorgungsarbeit, Reproduktionsarbeit, das trifft im besonderen Maße Frauen aber zunehmend Männer auch, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt und die Idee der lebenslangen Vollzeitarbeit für viele zur Illusion wird.

Eine weitere Aufgabe ist eben der Abbau der strukturellen Benachteiligung von Frauen aufgrund ihrer unbezahlten Arbeit in der Familie, Kinderversorgung, Pflege und anderes, während die rentenrechtliche Normalbiographie ja in den meisten Ländern, jetzt mit Ausnahme von Volksversicherungen, an Männerzeiten, an männlichen Lebensmustern orientiert ist und Frauenzeiten benachteiligt.

Und eine nächste Aufgabe ist eine Verringerung der Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern bei der Rentenhöhe, mehr solidarische Umverteilung, wobei man nachdenken muß über Mindest- und Höchstleistungen, über egalitäre Elemente in der Rentenformel, und daß Frauen eigene Anwartschaften aufbauen können, auch wenn sie nicht erwerbstätig sind. Das wirft Fragen auf einerseits nach Rentensplitting, aber andererseits auch danach, wie das finanziert werden kann innerhalb der Familie, ob Beitragsleistungen auch für nichterwerbstätige Frauen gezahlt werden sollen, das wird auf alle Fälle dann innerhalb von Haushalten teurer.

Dann ist eine weitere Frage, wie denn die eigenständige Sicherung hergestellt werden soll. Worüber wir hier überhaupt nicht diskutiert haben, sind Ungleichheiten in betrieblichen und privaten Rentensystemen, die in einigen Ländern viel größere Rollen spielen. Ich denke aber, das kann man jetzt hier mal vernachlässigen; aber wenn jemand aus England dabei wäre, dann wäre das ein ganz zentrales Problem. Man sollte auch im Hintergrund haben, daß je mehr die eigenständige Vorsorge durch private oder betriebliche Systeme - betriebliche sind ja meistens nicht privat - aber je mehr das eine Rolle spielt, werden die Ungleichheiten, die Frauen treffen, dort nochmal stärker sein, weil die mehr erwerbsorientiert sind.

Ja, und das Ziel einer eigenständigen sozialen Absicherung von Frauen im Alter ist hier, glaube ich, unbestritten; wobei eigenständig nicht notwendigerweise unabhängig bedeutet, denke ich, weil das sind nochmal zwei ganz verschiedene Sachen, denn Menschen sind voneinander abhängig, auch innerhalb von Haushalten, wo einige unbezahlte und andere bezahlte Arbeit leisten. Und gerade wenn es in den Bereich der Mindestsicherung hineingeht, dann wird das auch so sein, daß man sich angucken muß, wie das Haushaltseinkommen ist. Eine Individualisierung kann im Bereich der Mindestsicherung meiner Meinung nach nicht davon absehen, daß man den unterschiedlichen Bedarf, auch zum Beispiel wenn noch Kinder da sind, was ja in Rentnerhaushalten nicht so häufig der Fall ist, aber doch auch der Fall sein kann, dann muß man solche Lasten und unterschiedliche Bedarfe berücksichtigen. Genauso, ob es Haushalte mit einem oder mit zwei Einkommen sind. Aber das geht dann in den Bereich der Mindestsicherung. Ich sage das deswegen, weil eigenständige Absicherung und Individualisierung natürlich wichtige Ziele sind. Man müßte sich aber auch immer angucken, auf welchem Sicherungsniveau sie eine Rolle spielen soll, und ich denke, beim Sicherungsniveau, da stellt sich die Frage unterschiedlich. Im Bereich einer Mindestsicherung ist der Bedarf viel stärker zu berücksichtigen als im Bereich einer höheren, einer Grundsicherung oder Vollsicherung oder ergänzenden Sicherung, die stärker individualisiert und von den eigenen Beitragsleistungen und Erwerbskarrieren abhängig sind.

Letztendlich, was eine auch in der Diskussion vorhin gesagt hat, das Ziel einer eigenständigen Sicherung von Frauen kann ohne eine Veränderung des Zugangs von Frauen zu Erwerbsarbeit nicht erreicht werden und damit kommt man in den ganzen Bereich der Reformen des Arbeitsmarkts und der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienpflichten, also nicht nur gegenüber Kindern sondern auch bei der Pflege und anderen Aufgaben, und man kommt in den Bereich hinein, wie in einer Gesellschaft durch Sozialleistungen die Kinderkosten subventioniert werden. Ich denke, das sollte man immer im Auge behalten, weil, wenn die Erwerbsquote von Frauen niedriger ist in einem Land, wenn die Erwerbschancen schlechter sind, wenn die Vereinbarkeit nicht gegeben ist, dann wird die eigenständige Sicherung nicht wirklich realisiert werden können.

Was sind nun eigentlich die Strukturen, die hauptsächlich Frauen benachteiligen? Wenn man sich jetzt mal verschiedene Systeme anguckt und Revue passieren läßt. Eine wesentliche Gemeinsamkeit ist die fehlende oder geringe Berücksichtigung von Nichterwerbszeiten wegen Kindererziehung, Pflege oder Familienarbeiten für Rentenanwartschaften und die Orientierung der idealtypischen Versicherungskarriere oder des Versicherungsverlaufs an männlichen Lebensmustern, also dieser Figur des Standardrentners. Und ich denke, das hier ist einer der zentralen strukturellen Ansätze, die verändert werden müssen, aber auch auf ganz verschiedene Art und Weise verändert werden können.

Das Problem spielt dann keine Rolle, wenn es solche Volksrenten oder steuerfinanzierte Grundrenten gibt, die natürlich davon abhängig sind, was eigentlich ein Mensch in der Zeit gemacht hat, sondern abhängig vom Wohnsitz ist oder der Zeit, der Dauer des Lebens in einem Lande. Aber ich denke, so ein System, das in skandinavischen Ländern besteht oder das in den Niederlanden besteht, das ist im Moment hier nicht durchsetzbar. Aber ich sage es deswegen, weil für diese Systeme die Kritik an der männlichen Figur des Standardrentner so nicht zutrifft. Das muß man mal ganz klipp und klar sagen, sondern das trifft mehr auf erwerbsbezogene, beitragsbezogene Systeme zu.

Und damit geht auch einher die Benachteiligung der Teilzeitarbeit, die natürlich sehr unterschiedlich ausgeprägt ist in den einzelnen Systemen. Zum Teil sind Teilzeitarbeiten ganz ausgeschlossen, also wie das bei der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland der Fall ist, und noch, wie wir noch gehört haben, auch in Österreich, aber zum Beispiel auch im Vereinigten Königreich. Es gab auch stärkere Diskriminierungen von Teilzeitarbeitenden beim Zugang zum betrieblichen Sicherungssystem. Da hat es ja auch durch die Rechtsprechung vom Europäischen Gerichtshof Änderungen gegeben, aber dennoch, Teilzeitarbeit ist in diesem System benachteiligt. Wie kann dies verändert werden,? Das ist also eine der wichtigen Fragen

Und natürlich neben diesen Zeitmustern, die ich angesprochen habe, spielt die Frage eine Rolle, wie die Lohnungleichheiten durchschlagen auf die Berechnung der Rentenhöhe und dies wiederum hängt mit der Rentenformel zusammen. Das ist also eine Seite, die man sich getrennt angucken muß, einerseits die Zeitmuster und die Zeitmodelle, die eine Rolle spielen. Pflichtdauer der Versicherung, wieviel Jahre Anwartschaften werden verlangt, wieviel Jahre Beitragszeiten. Aber auf der anderen Seite muß man sich den Geldfaktor Einkommen ansehen, wie berechnet sich die Rentenhöhe, und das sind zwei verschiedene Dinge, die man in der Diskussion auch trennen sollte, wenn man Reformmodelle entwickeln hilft.

Schließlich ist ein strukturelles Problem die Bedeutung der Ehe als Institution der Absicherung von Frauen und wieweit die sich in das Rentenrecht oder in das Sozialrecht hinein verlängert hat. Also über die Hinterbliebenenversorgung haben wir schon gesprochen, da ist die Ehe noch Anknüpfungspunkt mit Ausnahme von den Reformen, wie sie in Schweden stattgefunden haben. Aber das ist natürlich brüchiger geworden, es ist einmal sozial so nicht mehr akzeptabel, daß es allein die Ehe ist. Es geht auch darum, was passiert ist, ob Kinder da waren, ob sie nicht da waren. Und es sind neue Risiken entstanden, die bei dieser Konstruktion nicht berücksichtigt worden sind, wie eben das Scheidungsrisiko oder Alleinerziehende. Diese Gruppen von Frauen werden erheblich benachteiligt.

Soweit kurz zu den strukturellen Merkmalen, die die Benachteiligung von Frauen in den Rentensystemen beeinflussen, aber natürlich in ganz unterschiedlicher Art und Weise. Je nachdem, wie das gesamte System aufgebaut ist.

Ich möchte noch kurz etwa sagen zu den Zeitmustern. Die sind in der Bundesrepublik am oberen Rand: also die Dauer der Beitragsjahre, die für den Erwerb einer Vollrente in den einzelnen Systemen erforderlich ist, hat sich überall verlängert. Sie schwankt inzwischen zwischen 35 Jahren in Spanien und Griechenland und 48 Jahren in Irland und die Bundesrepublik liegt mit 45 Jahren für eine Vollrente, 45 Jahre Beitragszeiten oder Anrechnungszeiten mit im oberen Bereich und die Anhebung dieser Anforderung an die Zeitdauer benachteiligt Frauen. Je länger das wird, und wenn die gesamte Dauer von 45 Jahren angerechnet wird, benachteiligt das Frauen und der Trend geht eben eher dahin, daß sich das verlängert. Und wenn man das sich jetzt einmal anguckt, wie die Ungleichheiten in diesem Bereich aussehen, nehmen wir zum Beispiel in der Bundesrepublik, wo die Rentnerinnen in der Arbeiterrentenversicherung durchschnittlich 14 Jahre weniger Versicherungszeiten, in der Angestelltenversicherung 10 Jahre weniger Versicherungszeiten haben als die Männer, dann ist klar daß das die Ungleichheiten beeinflußt; und die Diskussion über Reformen kann dann in zwei Richtungen gehen. Einerseits ist die Frage, kann man solche typischen Unterbrechungen oder Zeiten von geringerer Erwerbsarbeit von Frauen überbrücken, entweder durch Erziehungszeiten oder wie macht man das im Einzelnen? Oder aber rechnet man nicht die gesamten 45 Jahre an, sondern nimmt einfach nur einen Teil davon, wie es in solchen Formeln in einzelnen Ländern der Fall ist, wo man die besten Jahre auswählen kann. Also das Beispiel von Österreich wurde schon genannt; ich weiß nicht, wieviel waren es, 15 Jahre. Aber das gilt auch für Frankreich, die haben auch so eine Formel. Das gibt es in verschiedenen Ländern, der Trend geht nun allerdings dahin, daß diese besten Jahre verlängert werden oder ganz wegfallen. Also zum Beispiel im Zusatzrentensystem im Vereinigten Königreich gab es das; das fällt ab Zweitausendirgendwann weg. Bisher wurde immer argumentiert und es ist ja auch sicherlich so, daß es sich für Frauen günstig auswirkt, wenn es so eine Formel mit den besten Jahren gibt, die man sich aussuchen kann, weil es dadurch möglich ist, schlechtere Jahre zu eliminieren in der Berechnung. Und darum ist das eigentlich eine relativ frauenfreundliche Maßnahme, weil Teilzeitjahre oder eben Unterbrechungsjahre rausfallen können.

Nun, ich hatte über das Argument von Herrn Prinz heute morgen, daß diese Umverteilung auch noch ganz anders wirkt, nämlich sehr stark zu Gunsten der Bestverdienenden, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Das ist jedenfalls auch eine wichtige Frage in der frauenpolitischen Diskussion gewesen und ist es immer noch, auch im internationalen Vergleich, wie man sich zu diesen Berechnungsformeln verhält, die auf die besten Jahre abzielen.

Zu den Zeiten Kindererziehung, Pflege und Familienarbeit ist schon relativ viel gesagt worden, vielleicht verzichte ich hier mal auf nähere Details. Ich wollte nur noch mal anmerken, daß es auch da verschiedene Methoden in den einzelnen Systemen gibt, wie Kindererziehungszeiten die Rente beeinflussen können. Einerseits gibt es das Modell, wie in der Bundesrepublik, wo Beitragsjahre für Mütter oder Väter, angerechnet werden, wo also staatliche Beiträge eingezahlt werden und dem Konto der Frau gutgeschrieben werden oder das eben von der Versicherungsgemeinschaft finanziert wird. Und ein ähnliches System gibt es auch in Frankreich und Luxemburg; es ist aber auch möglich das anders zu machen, nämlich zum Beispiel indem man die Anzahl der Jahre für Pflege oder für Kinderbetreuung abzieht von der Zahl der Versicherungsjahre, die für den Erwerb einer Rente nötig sind. Das kann sich manchmal viel günstiger auswirken. Um Ihnen das am Beispiel des Vereinigten Königreichs zu verdeutlichen: normalerweise sind 39 Versicherungsjahre erforderlich, um die Grundrente im staatlichen System zu erhalten. Aber bei der Anrechnung von solchen Familienpflichten kann das dazu führen, daß schon mit 20 Beitragsjahren ein Anspruch auf die volle Grundrente erworben wird.

Also sollte man durchaus auch darüber diskutieren - ich glaube, Sie haben das auch kurz angesprochen - ob es nicht möglich ist, Vorteile für Frauen dadurch zu erzielen, daß die Zeiten, die nötig sind für den Erwerb einer Vollrente möglicherweise ohne Beitragsanrechnung für diese Zeit abgezogen werden. Also ich hoffe das wird jetzt nicht zu kompliziert in den Details. Ich möchte Ihnen nur eins verdeutlichen: es kann verschiedene Möglichkeiten geben und da sollte man, gerade wenn man verschiedene Systeme vergleicht, sich einmal überlegen, wie sich solche Zeiten unbezahlter Arbeit günstiger auf die Rentenansprüche von Frauen auswirken können. Aber insgesamt ist es jedenfalls nötig, die Anerkennung dieser Zeiten zu verbessern - darüber wurde ja schon mehrfach gesprochen - weil sie entweder zu niedrig oder fast gar nicht angerechnet werden. Also ich denke, auch die jetzige Dauer ist in den meisten Fällen noch nicht das, was wir erreichen wollen.

Nun zu den egalitären Elementen und der Umverteilung in der Höhe der Renten. Ich denke, daß über die Notwendigkeit von Mindestrenten hier inzwischen weitgehende Einigkeit besteht in der Diskussion. Die Frage ist natürlich, was für Mindestrenten und wo sollen sie angesiedelt sein? Sollen es steuerfinanzierte Mindestrenten sein, wie es in einigen Ländern besteht? Ich denke das ist etwas, was im Moment kaum durchsetzbar ist. Man kann aber natürlich auch diskutieren darüber, daß Mindestrenten als Versicherungsrenten eingeführt werden, wenn also soundsoviele Jahre Beitragszeiten vorliegen. Oder man kann darüber diskutieren, ob Mindestrenten zwar steuerfinanziert sind, trotzdem aber in dieses Versicherungssystem eingebunden werden. Der große Unterschied zur Sozialhilfe, bei der Mindestleistungen auch bedarfsabhängig sind, ist natürlich einerseits, daß es weniger stigmatisiert ist, aber auch vor allen Dingen, daß bei den Sozialhilferegelungen ja meistens Rückgriff genommen werden kann auf unterhaltspflichtige Angehörige. Und ich denke, das ist die wichtige Reform, die auf solche Mindestrenten im Alter zielt, daß dieser Rückgriff entfallen muß. Weil es eben ein Grund ist, warum viele Menschen das nicht Anspruch nehmen. Weil es entwürdigend ist und den sozialen Selbstverständnis zwischen den Generationen einfach nicht mehr entspricht. Aber es kann eben auch außer um Mindestrenten auch um Sockelbeträge oder Festbeträge gehen oder eben um solche Kappung wie Obergrenzen und Untergrenzen bei Renten.

Ich denke, was da auch noch eine Rolle spielt, ist eine bessere Verzahnung von verschiedenen Sicherheitssystemen. Zur Mindestsicherung gibt es ja verschiedene einkommensabhängige Leistungen; und ich denke, das wichtigste sind Wohnbeihilfen, das Wohngeld, was eine viel größere Rolle spielen kann, und was also auch eine sehr große Entlastung im Alter bedeuten kann, wenn der ganze Bereich des sozialen Wohnungsbaus und verschiedener Wohnformen und der Subventionierung besser geregelt wird. Also mir ist das mal deutlich geworden an dem Beispiel von Schweden, wo die Sozialhilfe ja, wie wir gehört haben, eine wesentlich geringere Rolle spielt für Alte aber auch überhaupt, während Wohnbeihilfen einen viel größeren Umfang haben, ich glaube das Volumen von Wohnbeihilfen im Staatshaushalt war etwa dreimal so groß wie die Sozialhilfe. Es ist also auch sinnvoll in die Richtung zu denken, daß man zur Mindestsicherung verschiedene Politikbereiche besser verzahnt. Das sind einerseits Wohnbeihilfen, habe ich schon gesagt, aber andererseits sind es auch zum Beispiel Dienst- und Sachleistungen, ein Bereich, der hier völlig ausgeklammert worden ist. Aber ich denke, genauso wie es wichtig ist für eine Alterssicherung von Frauen, darüber zu diskutieren, wie können sie denn überhaupt erwerbstätig sein, damit sie eigene Ansprüche erwerben, ist es auch wichtig, sich zu überlegen, daß soziale Sicherung oder Alterssicherung im speziellen nicht nur durch Geldleistungen erreicht wird, sondern durch eine bessere Koordination und Verzahnung von verschiedenen Politikbereichen. Und das ist natürlich ein ganz großes Problem, gerade weil sich Reformen immer nur so piecemeal, einzelteilweise durchsetzen und da drunter das kohärente Konzept leidet.

Zur Absicherung des Scheidungsrisikos wollte ich noch ein Wort sagen. Zur eigenständigen Sicherung haben wir ja über Splittingmethoden schon gesprochen. Natürlich ist ein wichtiger Weg, und ich finde das auch richtig, die Rentenanwartschaften von vornherein zu splitten und zu sagen, auch wenn die Frau keine eigenen, in Phasen der Nichterwerbstätigkeit, erwirbt, bekommt sie 50 % des Rentenanspruchs des Partner auf ihr Rentenkonto gutgeschrieben. Und ich denke, ein Splitting ist auch nötig in solchen Systemen, wo es noch Ehepaarrenten gab und dann der Satz für Individuen, von Einzelnen, sich von dem Ehepaarsatz unterschieden hat. Es war ja dann manchmal so, am Beispiel der Schweiz haben wir das ja auch gehört, das gibt es auch noch in Belgien, eine einzelne Person bekommt 100 %, ein zusammenlebendes Ehepaar bekommt 150 %, manchmal gibt es auch die Konstruktion mit Zuschlägen. Das muß auch aufgeteilt werden - und das ist relativ einfach machbar - in zwei gleichgroße Portionen. Aber oft erreicht man damit ja nicht das Sicherungsniveau, das notwendig ist im Alter, weil die Hälfte eben manchmal nicht genug ist, erst recht wenn dann noch durch Scheidung nicht nur eine sondern noch zwei oder drei andere Personen oder Kinder hinzukommen. Deswegen ist einerseits die Frage der Mindestsicherung wichtig, aber ich denke andererseits muß man sich die Frage des Teilens radikaler stellen. Ansätze dafür sind ja dafür zum Beispiel, wenn man sagt, man führt eine allgemeine Beitragspflicht ein, alle Personen ab 20 sind beitragspflichtig, dann heißt das natürlich auch, das bedeutet für die nichterwerbstätige Partnerin müssen Beiträge einbezahlt werden und die gehen dann ab vom Einkommen des Mannes. Natürlich trifft das auch weniger Leistungsfähige - mit 20 Jahren sind noch viele Jugendliche in der Ausbildung, wer trägt dann die Belastung? Teilen innerhalb der Familie heißt natürlich unter Umständen auch eine höhere Beitragsbelastung, wenn man solche Überlegungen zu Ende führt. Außer in Ausnahmesituationen, wo man sagen kann, der Beitragsgarant ist jemand anderes - das ist die Arbeitslosenversicherung in Zeiten der Arbeitslosigkeit, das ist die Krankenversicherung oder das ist für Erziehungszeiten der Staat oder die Elternversicherung. Aber als allgemeine Konsequenz bedeutet das, daß Teilen in Haushalten auch heißt, daß Beiträge oder höhere Belastungen für die nichterwerbstätige Person in bestimmten Lebensphasen gezahlt werden, wenn ein höheres Sicherungsniveau erreicht werden soll. Ich denke, das ist ein sehr strittiges Problem, die Frage ist auch ob das tragbar ist oder wenn man dann so etwas ausgestaltet mit Einkommensgrenzen. Das sollte also dann auch mit überlegt werden.

Die andere Möglichkeit, die eine Umverteilung unabhängig von der Ehe ermöglicht, ist natürlich Leistungen stärker nicht nur mit Kindererziehung sondern mit Kindern selber zu verknüpfen. Also Kindern eigene Ansprüche auf Sozialleistungen zu geben. Und in Systemen, wo koordinierte Reformen stattgefunden haben - und ich denke da vor allem an Schweden - sind zur Vermeidung von Ungerechtigkeiten für Frauen manchmal höhere Leistungen für Kinder eingeführt worden. Also am Beispiel dieser Reform der Hinterbliebenenversicherung: als den Frauen etwas genommen worden ist, nämlich die Hinterbliebenenrente - vielleicht hat sie nicht mehr eine so große Rolle gespielt - aber es ist etwas weggenommen worden, wurden gleichzeitig die Waisenrenten für Kinder um einiges erhöht. Also in diese Richtung muß man dann natürlich auch denken, daß die Entkoppelung von Leistungen von der Ehe gleichzeitig damit einhergehen sollte, daß man einerseits eine eigenständige Sicherung der Frau durchdenkt und andererseits durchdenkt, welche Aufgaben die Gesellschaft dabei übernehmen will, die Kinderkosten umzuverteilen, die ja Frauen dann auch immer sehr stark belastet haben.

Gut. Ich höre jetzt auf, weil ich denke, nachdem wir auch so viele einzelne Länderberichte gehört haben und auch verschiedene Reform-Modelle immer wieder in der Diskussion sind, ist es vielleicht sinnvoller, jetzt nochmal einzelne Details und Möglichkeiten alternativer institutioneller Ausgestaltung in der Diskussion zu erörtern.

A. Braun

Vielen Dank. Sie haben uns jetzt eine komfortable Dreiviertelstunde für die Diskussion freigehalten. Soviel hatten wir, glaube ich, gestern und heute noch nicht. Wer meldet sich zu Wort?

I. Hoffmann

Also wenn die Rahmenbedingungen für Berufstätigkeit schlecht sind, dann behaupte ich, daß also wohlverdienende Frauen aufs Kind verzichten. Weil sie einfach auf zuviel Geld verzichten, wie es in Deutschland in der Regel ist. Jetzt frage ich die Schweden. Wieviel Kinder haben dort erfolgreiche Frauen im Schnitt?

K. Fölster

Kann ich direkt antworten? Also, erfolgreiche Frauen weiß ich nicht, aber in Schweden liegt die Geburtenrate nach Irland in den EU-Ländern noch am höchsten. Also das ist für die Schweden ein Zeichen; also Irland ist ja ein Land für sich in dieser Beziehung, aber dann kommt Schweden. Aber jetzt hat man Angst in den letzten Jahren mit der Arbeitslosigkeit, daß man jetzt beobachtet, daß es vielleicht runtergeht, daß die Frauen vielleicht ein bißchen abwartend sind. Dieses würde ja bedeuten, was wir immer sagen, es ist möglich in einem hochindustrialisierten Land mit einer guten Tradition über Kenntnisse über die Familienplanung, daß Frauen es schaffen mit der Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf. Es ist nicht so, daß Industrialisierung unbedingt eine Entwicklung bedeuten muß wie Deutschland, Spanien, Italien, die liegen ja ganz auf dem tiefsten Niveau - ausgerechnet Länder, die ganz besonders den Wert Ehe und Familie betonen.

T. v. Sydow

Ja, aber es hat doch Veränderungen die letzte zwei Jahren gegeben. In Schweden ist die Geburtsrate jetzt ganz niedrig, 1,6 und das ist nicht hoch. Aber die interessante Situation ist, daß die Frauen, die gute Einkommen haben und gute Ausbildung, die gebären viele Kinder und die ungebildeten Frauen mit den schlechten Löhnen haben weniger Kinder.

K. Fölster

Ich habe eine Feststellung und eine Frage. Ich finde es sehr schön, wie Sie das aufgeteilt haben. Was ich vermisse in der deutschen Diskussion, weil ja die Kassen so voneinander getrennt sind, ist, daß man oft die finanziellen Fragen sehr kassenbezogen diskutiert. Und die Renten dann soundsoviel kosten, wenn wir das und das machen. Die Steuer, das ist so und so und so. Und in Schweden, da es ja eine größere Mischung ist, sicher auch eine größere Undeutlichkeit, wieviel ist steuerfinanziert, alles aus einer Kasse, rechnet man aber mehr mit den Gesamtkosten. Das schwedische Sozialministerium hat die Aufgabe weitergegeben an Gutachter als nun die Pensionsreform, bzw. Rentenreform in Gang gesetzt werden sollte. Wie sind denn eigentlich die Kosten in so einem Land wie Deutschland. Wie ist es mit der Sozialhilfe? Was kostet es die Gesellschaft, große Gruppen außerhalb zu halten?

Also, wenn die gesamte Bevölkerung von sozialpolitischen Strategien erreicht wird, und es ein kleineres Land ist und weniger gegliedert, dann kommt ja das eher heraus: man muß die Gesamtgesellschaftskosten berechnen. Sie haben es ja auch angedeutet, soll man mehr Wert auf Wohngeld legen, soll man mehr dies und mehr das. Dieses System viele Gruppen, große Gruppen zu hause zu halten und die Dienstleistungen kostenlos anbieten zu müssen, ist nicht billiger für die Gesellschaft, kam bei diesem Gutachten heraus; sondern das bedeutet ja große Kosten anderswo.

Die andere Feststellung, die Sie von Herrn Prinz jetzt gehört haben, daß ein System, das mit den besten Jahren in der Rentenversicherung rechnet, auch zum Nachteil der Frauen werden kann. Das ist genau der Fehler, den ich beobachtete, bei den schwedischen Frauen. Die dachten als diese sogenannte ATP-Pensionsreform durchkam, also vor 20, 30 Jahren, daß es ihnen zugute käme, denn dann könnten Sie ja die 10 besten Jahre wählen. Aber allmählich entdeckten sie, daß die wirklichen Gewinner die hochverdienenden Männer waren, und die Frauen haben deswegen nicht so große Ängste, das nun wieder zu reformieren und dies wieder aufzugeben. Früher dachten sie, das kommt ihnen zugute.

C. Münzner

Erstmal vielen Dank, daß wir immer alle hierherkommen können. Ich bin das dritte Mal hier, ich freue mich darüber; ich habe noch nirgends solche Lehrgänge besuchen dürfen, wie hier. Also das muß man wirklich mal sagen, es ist für mich, für meine Arbeit auch sehr wichtig.

Aber, sagen Sie bitte, alle sprechen immer von den Frauen und den Witwen. Gibt es Statistiken auch über Witwer? Wie ist die Anrechnung dort, profitieren die auch von den Frauen?

A. Braun

Es sind 100000 Witwer von 3,1 Millionen.

M. Veil

Mir haben Ihre Fragestellungen sehr gefallen und ich glaube, es ist sehr wichtig, zu unterscheiden, mal zu fragen, was heißt eigenständig. Ich finde es gut, daß Sie das gemacht haben und daß man unterscheiden muß also zwischen eigenständig und Unabhängigkeit in Bezug aufs Haushaltseinkommen. Also diese Differenzierung fand ich sehr hilfreich.

Eine Sache zur Altersarmut. Ich würde in den Zielekatalog auf jeden Fall noch mit reinnehmen soziale Rechte von Frauen. Und das möchte ich jetzt mal aufzeigen an der Altersarmut. Die Altersarmut von Frauen zum Beispiel in der Bundesrepublik ist nicht so dramatisch, sagen wir mal, wie in USA. Und das hängt nicht damit zusammen, daß Frauen in der Bundesrepublik so sehr viel soziale Rechte haben, sondern weil ihre abhängigen,
also über die Ehe abgeleiteten Rechte noch relativ, sagen wir mal, funktionieren. Also das ist diese Hinterbliebenenrente, das ist das private Unterhaltsrecht. Und das ganze erodiert natürlich jetzt mit dem Arbeitsmarktentwicklung und dem Wandel der Familienform. Das heißt, ich finde, Frauen haben, auch wenn es Ihnen jetzt auch materiell gesehen in den Haushalten nicht so unglaublich schlecht geht, trotzdem eine große Diskrepanz in ihren sozialen Rechten, die gerade bei verheirateten Frauen, meiner Meinung nach, durch Sozialrecht und Sozialpolitik immer noch sehr eingeschränkt werden. Und deshalb würde ich das mit reinnehmen und das ist ja auch das Argument dann für die eigenständige soziale Sicherung. Und das bringt einen ja auch zu der Überlegung, worauf setzt man im Sozialstaat. Will man überwiegend Transferleistungen, also materielle Geldleistungen, oder ist es nicht auch wichtig in einem Sozialstaat, der frauenfreundlicher sein müßte, mehr auf soziale Dienste zu setzen? Das haben Sie auch gesagt. Und dieses Argument der Altersarmut ist meiner Meinung nach dann zu kurz. Also es müssen auf jeden Fall die sozialen Rechte mit rein und es müssen im bundesrepublikanischen Sozialstaat meiner Meinung nach viel mehr soziale Dienstleistungen hinein, gegenüber rein materiellen Ressourcen und Transferleistungen, um eine eigenständige Sicherung für Frauen zu ermöglichen. Weil man ja eigentlich auch polemisch sagen könnte, Altersarmut von Frauen wird auch dadurch produziert, daß es keine Kinderbetreuungseinrichtungen gibt und keine Schulen mit festen Öffnungszeiten zum Beispiel.

A. Braun

Das heißt ja auch, daß wir im Prinzip mehr Gewicht auf Sachleistungen legen müssen als auf Geldleistungen; aber genau das Gegenteil tun wir zum Beispiel im Pflegebereich: da haben wir es wieder geschafft, es genau so einzurichten, daß die familieninternen Prozesse so ablaufen, daß man möglichst sparsam damit umgeht, das heißt, daß man Dienstleistungen verschenkt und statt dessen Geldleistungen nimmt. Das geht genau in die umgekehrte Richtung.

K. Scheiwe

Ich wollte einmal noch etwas zu den Gründen dafür sagen, warum das oft so getrennt nach Kassen und so gedacht wird. Das hat natürlich auch historische Gründe, weil eben einzelne Systeme schon so früh entstanden sind und dann getrennt organisiert worden sind, und es dann sehr große Beharrungsinteressen gibt und Personen, die Interesse daran haben, Teilsysteme aufrecht zu erhalten. Und natürlich sind die Beamten daran interessiert im Gros das Beamtensystem aufrecht zu erhalten; es gab diese Trennung von Arbeitern und Angestellten mit einer Privilegierung der Angestellten und diese ganzen Spaltungen, die historisch gewachsen sind und die sehr schwer und nur gegen sehr große Widerstände zu überwinden sind, weil es dann natürlich Gruppen gibt, die etwas zu verlieren haben und zum Teil nicht wenig. Und diese Umverteilung, gegen einmal gewachsene Institutionen zu verwirklichen, ist ganz schwer, und das ist natürlich auch das Problem, warum in Ländern wie Österreich oder Deutschland mit beitrags- und erwerbsbezogenen Rentensystemen der Übergang zu einem steuerfinanzierten System enorm schwierig ist. Und deswegen, nicht weil man es toller findet - also ich finde eigentlich das System steuerfinanzierter Grundrenten oder Volksrenten am besten -, aber, da es so schwer durchzusetzen ist, gehen Überlegung von Reformen dann auch ganz stark davon aus, wie man innerhalb dieses Rentenversicherungssystems etwas ändern könnte. Und diese Kultur der Bedeutung von Dienst- und Sachleistungen ist natürlich auch ein historisches Produkt. In skandinavischen Ländern geht das auf die 20er, 30er Jahre zurück, wo viel größerer Wert darauf gelegt worden ist, so etwas zu entwickeln, es ging dann auch um Mutterschaftsunterstützung und so weiter und nicht so sehr nur um Geldleistungen. Und das schließt jetzt an die Frage nach sozialen Rechten von Frauen an. Also, wenn man schon die Weichen früher gestellt hat und gesagt hat, eine eigenständige Sicherung der Frauen bedeutet, sie muß beides verwirklichen können, also Beruf und Familie, und deswegen verändern wir sowohl die Arbeitszeiten wie auch die Infrastruktur in der Kinderbetreuung, dann ist das ein anderer Weg, während das bei uns so getrennt verhandelt wird. Und noch etwas zu eigenständig, unabhängig oder individualisierten Ansprüchen. Ich denke, es ist keine Frage, die Ansprüche sollen eigenständig sein und individualisiert. Das bedeutet, ich habe meinen eigenen Anspruch und das läuft nicht mehr so, daß der Partner oder der Ehemann im klassischen Fall den Anspruch hat und dann gibt es noch einen Zuschlag, sondern das wird geteilt. Aber Individualisierung sollte nicht so laufen, daß nur erwerbsbezogene Ansprüche als individuelle Ansprüche betrachtet werden und das andere aus dem Blickfeld läuft. Unabhängige individuelle Ansprüche sind dann nur auf Erwerbstätigkeit beruhende Rentenanwartschaften oder so. Und bei so einer verengten Betrachtungsweise fallen natürlich die ganzen Ansprüche, die auf unbezahlter Arbeit beruhen, aus dem Blick. Aber die bedeuten in der Regel nicht einfach Unabhängigkeit sondern Abhängigkeit, im Sinne von, oft setzt das eben voraus, daß geteilt wird. Also sowohl Kinder sind abhängig von den Eltern, Menschen, die Pflege brauchen, sind abhängig von denen, die sie pflegen, und Menschen, die unbezahlte Arbeit leisten in einer sozialen Gruppe, sind oft davon abhängig, daß Einkommen geteilt wird, und ich finde das wichtig, daß man das berücksichtigt, weil sonst, denken alle, eigene Absicherung kann nur über den Arbeitsmarkt laufen. Ich denke aber, daß eine Individualisierung und eigenständige Absicherung, diese beiden Aspekte, im Blick haben muß.

A. Braun

Also, ich habe sowohl zu der Frage, wie man Systeme aus diesen Kästchen rausholen kann, wie zur Frage des Splittings zwei Erfahrungen zu benennen, die einer der wichtigen Sozialpolitiker im Anfang unserer bundesrepublikanischen Sozialgeschichte gemacht hatte. Ernst Schellenberg, der war lange sozialpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag und vorher war er im Berliner Senat, im ersten Senat, 1946, zuständig für Soziales. Und der hat in seinem Leben zwei große Niederlagen erlitten. Die eine war, daß er 1946 im Land Berlin die Versicherungsträger vereinheitlicht hat. Es gab so etwas wie in Frankreich die Sécurité sociale und dann gab es darin Abschnitte und damit hat er eine Wahl verloren. Und das hat er uns 20 Jahre später noch gesagt, tut so was nie wieder, es lohnt sich nicht, wegen Organisationsstreitigkeiten politische Macht zu verlieren. Und das Zweite war etwas lustiger: 1960 bei der Vorbereitung des Wahlprogramms für ‘61 hat Ernst Schellenberg damals dieses grüne Papier „Rente nach Punkten" konzipiert. Er wollte also die Rente verständlicher machen. Die Leute sollten sehen, wie ihre Erwerbstätigkeit und ihre spätere Rente mal klar zusammenhängt, und er hat damals den Vorschlag gemacht, die Rentenansprüche zu splitten. Und der Reinhard Bartholomä, später in Hessen Staatssekretär bei Börner, der war damals Schellenbergs Assistent, und der hat erzählt „.. und dann konnte man sehen, wie die gerechnet haben. Erste Frau, zweite Frau, dritte Frau, nein, das können wir uns nicht leisten" und weg war der Vorschlag.

H. Maurus

Ich möchte nochmal darauf hinweisen, wenn wir mehr auf Dienstleistungen setzen oder beziehungsweise mehr auf soziale Dienste umschichten, auch gerade in der Pflegeversicherung, das schafft natürlich auch enorm Arbeitsplätze. Und das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt.

Dietrich Klettner

Wir haben ja gestern gehört, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft, in der Europäischen Union, diese verschiedenen Rentensysteme nicht angleichen können, zu keinem einheitlichen System kommen werden. Das haben ja auch die Vorträge klar gemacht. Aber gibt es denn die Möglichkeit, bei einem Teil innerhalb dieser Systeme, wo es immer noch zu gewissen Diskriminierungen kommt von verschiedenen Gruppen, ob es nun Frauen sind oder auch andere, gibt es da noch bei dem Europäischen Gerichtshof die Möglichkeit, das zu korrigieren oder da ein gerechtes Urteil zu fällen, beziehungsweise ist so etwas schon öfter gemacht worden?

K. Scheiwe

Ich wollte etwas dazu sagen, daß es auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft bekanntlich ja verschiedene Richtlinien gibt gegen die Diskriminierung von Frauen im Bereich des Erwerbslebens; es gibt aber auch eine im Bereich der sozialen Sicherung. Wobei verschiedene Bereiche davon ausgeschlossen sind. Also das trifft nicht zu z.B. auf Ungleichheiten der Altersgrenze beim Zugang zu Renten zwischen Frauen und Männer, ausgenommen sind auch Hinterbliebenenrenten und verschiedene andere Bereiche, die nicht mit den klassischen sozialen Sicherungssystemen verkoppelt sind. Es hat aber eine ganze Reihe von Urteilen gegeben, die Auswirkungen hatten auf die Beseitigung von Diskriminierung von Frauen. Zum Teil waren ja verheiratete Frauen davon ausgeschlossen, eigenständige Sozialleistungsansprüche zu erwerben. Auf dem Hintergrund dieser Ideologie, sie seien ja schon über die Ehe abgesichert. Also es gab zum Beispiel den Fall im Vereinigten Königreich, wo verheiratete Frauen keine Pflegeleistungen bekommen konnten während sie unverheirateten Pflegebedürftigen unter bestimmten Umständen zustanden. Also in dem Bereich hat es eine Reihe von Entscheidungen gegeben zur Beseitigung von Diskriminierung verheirateter Frauen; es gibt noch verschiedene andere Beispiele. Aber weil diese Richtlinie über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit sich auf erwerbsbezogene Sicherungssysteme, also auf die klassischen Risiken, Krankheit, Arbeitslosigkeit und so weiter, bezieht, sind ganz viele Bereiche ausgenommen, die Frauen sehr stark betreffen. Und es hat ja auch wichtige Rechtsprechung dort gegeben, die Auswirkung hatte auf die Beseitigung von Nachteilen für Teilzeitbeschäftigten, die allerdings auf einer anderen Richtlinie beruhten. Diese Richtlinie, die Diskriminierung beim Zugang zu Erwerbsarbeit verbietet, die hatte auch Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Zum Beispiel, daß teilzeitarbeitende Frauen vom Zugang zu betrieblichen Alterssicherungssystemen ausgeschlossen waren, ist aufgrund eines deutschen Verfahrens dort gescheitert. Es gibt also solche Beispiele, die sind aber sehr beschränkt, weil vom Gerichtshof ausdrücklich betont wird, diese Richtlinien haben das Ziel, Diskriminierungen zu beseitigen im Bereich des Erwerbslebens, aber sie sollen nicht die Situation in privaten Haushalten und in der Familie beeinträchtigen. Und da drauf Bezug nehmend, wenn Menschen Entscheidungen in diesem Bereich treffen, die dazu führen, daß eben Frauen nur Teilzeit arbeiten oder so etwas, dann ist das nicht Gegenstand unserer Rechtsprechung. Die klammern also ganz deutlich den Privatbereich, sagen wir mal so, aus und damit ist natürlich eine wichtige Ursache für Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern von vornherein aus der Sicht.

A. Braun

Ja, sie haben eigentlich als Rechtssubjekt eben nur den berühmten Wanderarbeitnehmer im Auge. Es soll vermieden werden, daß, wenn einer das Land wechselt, daß er dann wegen dieses Länderwechsels benachteiligt wird. Also wenn einer immer in seinem Herkunftsland bleibt, ist er sozusagen eigentlich gar nicht im Blickfeld der Rechtssetzung durch die Gemeinschaft, er unterliegt dann immer nationalem Recht. Und das ist dann der andere Haken, daß, wer sich nicht bewegt, sozusagen, auch nicht Rechte einklagen kann, die ihm deshalb zustehen, weil er möglicherweise durch dieses Bewegen über Grenzen benachteiligt oder eingeschränkt würde.

H. Maurus

Die Verordnungen der EU werden natürlich national auch völlig verschieden ausgelegt. Zum Beispiel gibt es die Verordnung in der EU, daß das Rentenalter zwischen Frau und Mann im Zuge der Gleichberechtigung angeglichen werden soll. Da ist aber eine unheimlich lange Übergangszeit gesetzt worden und noch überhaupt keine Frist, wann die Nationen das jeweils einführen müssen. Und das hat zum Beispiel Herr Blüm in der jetzigen Reform in vorauseilendem Gehorsam dazu hergenommen, um das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre anzuheben.

E. Udhardt

Zum Ausland vielleicht noch. In meiner Tätigkeit im Abgeordnetenhaus, ich bin dort im Petitionsausschuß, bearbeite ich da auch viele soziale fragen. Beispielsweise darf jemand nicht mehr in Spanien leben und von Deutschland Sozialhilfe beziehen; das ist ab März 1997 durch Gesetzgebung beendet worden. Wie sieht das aber mit den Rentnern aus? Die leben ja zum Teil in anderen Ländern weitaus günstiger mit den deutschen Renten. Also die brauchten keine ergänzende Sozialhilfe mehr, ihre Rente hat den Bedarf in Spanien völlig abgedeckt. Nun weiß ich nicht, wie das Verhältnis ist, aber wie ist das mit der Rente? Müssen Rentner auch beim zuständigen Versicherungsträger die Erlaubnis einholen, oder muß dort zumindest angefragt werden, oder kann man hier gehen wohin man will und kriegt die Rente dann dorthin überwiesen oder geht das nur in der Europäischen Union?

H. Maurus

Renten wurden ja durch die Rentenversicherung erworben und haben einen Eigentumsanspruch begründet. Renten kann man selbstverständlich exportieren in jedes Land, in das man möchte. Sozialhilfe kann nicht exportiert werden und konnte meines Wissens auch noch nie exportiert werden. Weil das bedarfsabhängig und immer mit einer Prüfung verbunden ist; also das ist mir neu, daß das exportiert werden konnte.

K. Fölster

Sie haben ja das SPD-Konzept vorgestellt bekommen. Vor einiger Zeit kam das Konzept von Bündnis 90/Grüne. Was sehr radikal ist und sich in vielem deutlich unterscheidet. Wenn tatsächlich eine Regierungswende kommen würde, sehen Sie dann Möglichkeiten, daß diese beiden Konzepte irgendwie sich annähern, so daß jedenfalls eine Rentenreform in unserem Sinne irgendwie zu bewegen wäre, oder sind die Konzepte doch zu unterschiedlich? Also da können Sie ja nicht direkt im Detail antworten, aber so nach Ihren Erfahrungen mit dieser verschiedenen Zielsetzungen.

K. Scheiwe

Ich kann die Frage so nicht beantworten, das müßte jemand tun, der mehr in diese politischen Fragen verwickelt ist. Was ich aber wichtig finde, worüber aber zu wenig diskutiert wird, ist, eigentlich mal genauer zu untersuchen, wie diese Entscheidungen eigentlich zustande kommen, gerade wenn es also um solche Sachen geht wie Rentenkommissionen, Gesetzentwürfe usw. und wie Veränderungen da eingebracht werden können. Weil ich denke, das ist schon aus frauenpolitischer Sicht wichtig, sich genau zu überlegen, welche Strategien oder welche Aktionen oder welches Lobbying eigentlich nötig ist, um Einfluß zu nehmen. Denn oft hängt das nicht nur von Zufällen ab, sondern oftmals ist es, wenn Einfluß zu nehmen überhaupt möglich ist, nötig, sich zu konzentrieren auf ein, zwei wichtige Forderungen und sich darüber zu einigen, um etwas durchzusetzen; wie in diesen Beispielen von fraktionsübergreifenden Fraueninitiativen sich zum Teil auch schon mal gezeigt hat. Ich wollte damit nur anregen, daß man nicht nur die Inhalte von Reformvorstellungen zum Gegenstand der Diskussion macht, sondern daß man einfach auch mehr genaue Überlegungen einbezieht, wie diese Entscheidungsprozesse zustande kommen. Wie solche Leute - ob es jetzt Rürup ist oder wer auch immer - Einfluß gewinnen und welchen. Natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie, das ist sowieso klar, daß das von politischen und Machtfragen abhängt, aber welche Wege man dabei beschreiten kann, um stärker darauf Einfluß zu nehmen? Über die Formulierung von Reform - Vorstellungen hinaus, das finde ich auch für Seminare wichtig.

A. Braun

Also ich möchte nur mal beispielsweise darauf hinweisen, daß es ja über die Zusammensetzung dieser Regierungskommission überhaupt keine öffentliche Diskussion gegeben hart, sondern die gab es plötzlich. Die Regierung hat die berufen und es wurde hinterher eigentlich auch nie bestritten, daß die sozusagen ausgewogen, kompetent oder wie immer zusammengesetzt sei; man hat nur gemerkt, sie hat das gewünschte Ergebnis gebracht. Wir hatten bei der Kommission zum Beispiel, die die SPD-Vorschläge erarbeitet hat, zum ersten Mal die Situation gehabt, daß die Herren Sozialpolitiker nicht mehr mehrheitlich unter sich waren. Da halte ich für einen ganz wichtigen Punkt, daß also zum Beispiel von vorn herein nicht Rudolf Dressler sozusagen der alleinige Tagesordnungs- und Verfahrensbeeinflusser war, sondern es waren eben zwei MdBs, die Ulrike Mascher und der Rudolf Dressler, und das sieht man dem Ergebnis auch an. Also, das mal nur als Vertiefung dieser Gesichtspunkte, wenn man sich immer darauf verläßt, daß in Kommissionen, bloß weil sie Kommissionen sind, schon ordentlich gearbeitet wird, da muß man schon hingucken, wer da drin ist und da muß man gucken, wer reinkommt. Und das wird also bei unserer Kommissionitis, was so den Auftragsbereich der Regierung angeht, eigentlich viel zu wenig getan. Die Leute stehen im Grund für keine Position, sondern sie stehen für die Fähigkeit, in relativ kurzer Zeit Expertisen nach Wunsch und Bedarf zu fertigen und sich mit anderen Experten dann zu dem großen Sachverstand aufzublähen, der weit größer erscheint als die Summe der addierten Einzelkompetenzen.

H. Maurus

Also ich glaube schon, daß die SPD und die Grünen - sollten sie im nächsten Jahr an die Regierung kommen - gerade in der Rentenversicherung einen Konsens erreichen wollen. Die Grünen sind teilweise radikaler in den Einschnitten, die sie machen wollen, andererseits aber auch radikaler, was eine steuerfinanzierte bedarfsorienterte Grundsicherung angeht. Aber dort sehe ich die Möglichkeit einer Einigung.

A. Braun

Ich sehe keine Wortmeldungen mehr. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Scheiwe, ganz herzlich für diese sehr inhaltsreiche Skizzierung von ein paar Grundpositionen an der Nahtstelle von Frauenpolitik und Sozialpolitik, zumal diese Aufgabe ja mit jedem Beitrag der anderen Vortragenden immer diffiziler wurde. Sie haben diese Grundpositionen, um die es gehen sollte, zu denen sich Politik entschließen sollte, hier noch mal am Ende herausgearbeitet, ohne alles zu wiederholen, was im Einzelnen schon gesagt war.

Ich bedanke mich bei Ihnen für die Diskussion, jetzt machen wir halt mal fünfzehn Minuten richtige Pause, bevor wir zum Mittagessen müssen. Guten Appetit.


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