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10.00 Uhr Begrüßung und Eröffnung des Forums
Alfred Braun, Direktor der Fritz Erler Akademie


Meine Damen und Herren, einen wunderschönen guten Morgen; es sind wahrscheinlich noch ein paar Leute im Hause unterwegs, dabei, sich gerade einzuquartieren. Aber wir können ja schon mal mit den technischen Präliminarien anfangen ... Dies waren ein paar technische einleitende Bemerkungen, nun zur Sache.

Es sind ja dieses Jahr einige bei diesem Generationenforum, die das erste Mal da sind; ich nehme an, wir haben da mit unserem Thema neue Leute angelockt. Dieses Generationenforum machen wir seit 1991; die Europäische Kommission und das Europäische Parlament hatten 1990 beschlossen, das Jahr 1993 zum „Jahr der Solidarität der Generationen und der älteren Menschen" zu proklamieren und in der Vorbereitung dieses 93er Jahres der Älteren haben wir dann ab 1991 hier jährlich zu diesem Thema „Solidarität der Generationen" im Herbst eine Veranstaltung gemacht mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten. Zum Beispiel ging es vor zwei Jahren um das Thema „Alter und Gesundheitskosten", letztes Jahr haben wir uns mit dem Bürgerschaftlichen Engagement beschäftigt. Es geht dabei immer um einen Blick über den Zaun, zu gucken, was machen andere in dem Feld, wie machen andere es in dem Feld, was - und das ist eigentlich die stillschweigende Hypothese, die dahintersteckt - können wir voneinander lernen? Wie kann man das, was andere an denselben Problemfeldern an Lösungen haben, selber aufgreifen, hin und her wenden und dann vielleicht daraus einen Nutzen ziehen?

Das Thema des diesjährigen Forums liegt eigentlich schon eine Weile in der Luft. Sie haben ja alle bemerkt, daß wir so seit 1992 immer wiederkehrende Katastrophenszenarien haben: die gesetzlichen Alterssicherungssysteme brechen zusammen oder könnten nicht mehr das leisten, was sie leisten sollten. Also zum Beispiel verfolgt uns seit 1991 dieser Verein von Herrn Borchert aus Heidelberg, Richter in Darmstadt am Sozialgericht. Er hat jetzt einen eigenen Verein gegründet und dem geht es schon seit fünf Jahren unermüdlich darum, die „Ausbeutung der Familien durch die Kinderlosen in der Rentenversicherung" aufzuhalten oder zu beenden. Die Begleitmusik dazu kommt so etwa halbjährlich in den Magazinen, mal bei FOCUS, mal beim STERN, mal beim SPIEGEL, und das sind dann so die Titelstories über die gierigen Alten, die die Jungen ausbeuten und auf Kosten der Jungen leben. Das führt dann bis zu den neuesten Rezepten von Frau Schüller hin, die jetzt in einer Rowohlt-Veröffentlichung die Alterssicherung davon abhängig machen will, daß die Alten auch noch irgendetwas Gemeinnütziges tun, ansonsten werden sie auf eine Grundversorgung zurückgestutzt. Vor 5 Jahren hatte sie schon mal vorgeschlagen, das Wahlrecht der Alten einzuschränken, damals unglücklicherweise in der Funktion eines Beraters des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten, wenn ich mich richtig erinnere. Scharping hatte sie in der Mannschaft; vielleicht ist es ganz gut gelaufen für die Rentner und besonders die Rentnerinnen, daß sie nicht ministeriabel geworden ist, sonst hätten sich wahrscheinlich doch einige Leute noch gewundert.

Wir haben da so eine Begleitmusik, untergründig immer wieder publizistisch angestimmt Und seit 1995 haben wir auch ein neues Phänomen in Deutschland, daß nämlich die „jungen Wilden" in den Parteien, weil sie andere Angriffsflächen oder andere Arenen offenbar für nicht so aussichtsreich halten, sich dieser Sache angenommen haben. Und nach dem Vorbild dieser Heidelberger Veranstaltung an der Uni, wo der Deutsche-Bank-Vorstand Walter aufgetreten ist, 1994 im Frühjahr, kündigen sie landauf und landab mit jugendlichem Pathos, öffentlich und feierlich den Generationenvertrag.

Das ganze hat also begonnen mit dieser Veranstaltung von Norbert Walter - kein Wunder, der ist zuständig für die Versicherungsbeteiligungen der Deutschen Bank und die Lebensversicherer beklagen sich schon lange, daß Deutschland ein undankbares Pflaster sei gemessen an angelsächsischen Verhältnissen. Bei uns würden die Leute einfach zu sehr an die Leistungsfähigkeit und an die Zukunftssicherheit der öffentlichen Alterssicherungssysteme glauben und investierten deshalb viel zu wenig in private Zusatzversicherungen.

Wir haben dann auf der anderen Flanke die schrillen Töne aus der Standort-Deutschland-Diskussion, also die Beiträge von Herrn Hundt, von Herrn Henkel und von Herrn Schoser von BDA, BDI und DIHT, die uns immer wieder sagen, daß der Standort Deutschland zu teuer, nicht konkurrenzfähig sei, und: Schuld daran sind die hohen Lohnnebenkosten und Schuld an den hohen Lohnnebenkosten ist im Prinzip die solidarische Rentenversicherung. Manchmal ist es auch die Krankenversicherung, manchmal sind es auch beide. Und diese Leute haben immerhin erreicht, daß sie einen alten Verteidiger des deutschen Alterssicherungssystems, nämlich den Norbert Blüm, in diese merkwürdige Rentenreform 1998 hineingeredet haben.

Das ist schon schlimm genug; aber schlimmer noch: ich habe den Eindruck, diese ganze Diskussion hat inzwischen erreicht, daß die meisten Rentner heutzutage der Meinung sind - jetzt mal abgesehen von ihnen persönlich - daß es den anderen Rentnern in Deutschland viel zu gut geht. Und daß da schon was dran ist, daß man da mal sparen müßte und daß man dem mal Einhalt gebieten müßte. Und das führt nun zu einer ganz merkwürdigen Gemengelage in der Diskussion, es führt dazu, daß nämlich völlig verdrängt wird, daß unser System der Alterssicherung, das sich in der Bismarck’schen Tradition an dem berühmten „erfüllten Arbeitsleben" orientiert, halt immer noch so tut, als sei der Regelfall der 45 Jahre erwerbstätige, immer durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer. Den gibt es ja heute nicht einmal mehr bei den Männern;(ja also, es mag noch ein paar Rentner geben, die schon mit 14 oder mit 13 in die Lehre gegangen sind und dann 50 Versicherungsjahre schaffen, und es gibt noch ein paar Bergleute, die zwar mit 50 frühpensioniert worden sind, aber dann insgesamt doch sehr lange Anrechnungszeiten haben.) Aber dieser Idealtyp des 45 Jahre lang erwerbstätigen und immer versicherten Arbeiters, der ist uns wohl doch abhanden gekommen. Andersherum ist der Effekt natürlich, daß die Situation der Mehrheit der Altersbevölkerung, der Frauen nämlich, noch mehr aus dem Blickfeld gerät. Man redet nur über diesen Idealrentner mit dem langen Erwerbsleben und es wird nicht zur Kenntnis genommen, daß dieses System eben für die Frauen nicht auskömmliche Alterseinkommen sichert, daß dieses System auf die Frauenerwerbslebensläufe von heute - und auch auf die von gestern schon - keineswegs gepaßt hat. Der schlimme Effekt ist dabei - finde ich -, daß immer weniger zur Kenntnis genommen wird, daß die Frauen mit diesem System eben ihre Schwierigkeiten haben und die Situation der Frauen dadurch immer wieder zu einer Art Regelabweichung umdefiniert wird: das System ist halt so, und wenn die Frauen nicht dazu passen, dann ist das ihr Problem und nicht etwa ein Problem des Sicherungssystems.

Nun haben meine verehrten Kollegen von der Abteilung Wirtschaftspolitik der FES im Juni dieses Jahres in Stuttgart eine Fachkonferenz gemacht mit dei schönen Titel „Brauchen wir einen neuen Generationenvertrag?". Das war wohl ein bißchen gemeint als eine Plattform für unsere eigenen „jungen Wilden" in Baden-Württemberg, wo sie dann sozusagen der Kündigung des Generationenvertrages ein generöses Angebot der Jungen für einen neuen Generationenvertrag folgen lassen wollten - natürlich zu ihren Konditionen. Und bei dieser Veranstaltung hat Frau Dr. Veil dann leise kritisiert, daß auch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung diese Diskussion offenbar ohne eine realistische Wahrnehmung von der künftigen Alterssicherung von Frauen, ohne Berücksichtigung dieser heutzutage normalen Patchwork-Erwerbslebensläufe passiert. Ich habe diese Anregung dankbar aufgegriffen und habe gefunden, das paßt gut in unsere Reihe Genera-tionenforum, und so haben wir nun dieses Jahr dieses Thema für unser „Freudenstädter Forum 1997".

Ich bin jetzt ganz gespannt, was Europa uns diesmal lehrt. Ob es denn nun wirklich nur ein deutsches oder doch nicht nur ein deutsches Problem ist, was die Alterssicherung von Frauen angeht. Ich freue mich, daß wir hier zwei Tage über diesen Komplex diskutieren können; ich freue mich, daß Sie gekommen sind. Ich begrüße besonders diejenigen, die hier als Referent oder als Referentinnen mitwirken, und darf jetzt gleich relativ umstandslos Frau Veil das Wort übergeben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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