ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Franz-Josef Brüggemeier/Marc Cioc/Thomas Zeller (Hrsg.), How green were the Nazis? Nature, Environment and Nation in the Third Reich, Ohio University Press, Athens, Ohio 2005, 283 S., kart., 49,95 €.

Die Herausgeber begründen die provokative Titelfrage des Sammelbandes u. a. damit, dass die Naturschutzbewegung in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im europäischen Vergleich relativ stark gewesen sei. Dazu hätten auch die Nationalsozialisten beigetragen, weil sie die Realisierung vieler traditioneller Naturschutzideen und -ziele ermöglichten. Umgekehrt habe sich auch der Natur- und Umweltschutz mit bestehenden politischen Bewegungen verbinden müssen, da er in dieser Zeit zu keinem eigenständigen parteipolitischen Ausdruck gefunden habe. Eine Brücke zwischen den Natur- und Heimatschützern sowie den Nationalsozialisten habe schließlich darin bestanden, dass beide Bewegungen Heimat, Landschaft und "Volkstum" erhalten und gestalten wollten. Die Herausgeber folgen damit weder der von Anna Bramwell aufgestellten These, es habe bei den Nationalsozialisten einen "grünen Flügel" gegeben (1), noch bestreiten sie jegliche Verbindung zwischen beiden Bewegungen. Die Beiträge sollen vielmehr die Leitfrage nach den Differenzen und den Übereinstimmungen zwischen beiden Bewegungen durch die Untersuchung der Politik von Personen und Institutionen sowie der Ideologien, ferner deren Folgen für Natur und Landschaft in Deutschland behandeln. Auf diese Weise soll letztlich auch geklärt werden, was "grün" in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland bedeutete.

Die Aufsätze machen mindestens drei Ergebnisse deutlich. Zum ersten zeigen sich ideologische Übereinstimmungen zwischen Naturschützern und Nationalsozialisten: Die Natur galt beiden Bewegungen als eine Prägekraft der Völker, ihrer Kultur und ihrer geschichtlichen Entwicklung; schon allein deshalb sollte sie geschützt werden. Im einzelnen konstatiert Charles Glosmann, z. T. international vergleichend, dass das Dritte Reich mit dem Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 eins der bedeutendsten Naturschutzgesetze dieser Zeit erließ, das nicht nur Enteigungsmöglichkeiten zur Schaffung von Naturschutzgebieten vorsah, sondern das auch die Beteiligung bzw. Zustimmung der Naturschutzbehörden bei Landschaftsveränderungen vorschrieb. Diese Rechte, die die Naturschützer im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vergeblich gefordert hätten, würden den Geist des Nationalsozialismus widerspiegeln und seien in ihrer Radikalität auch nur von den Nationalsozialisten durchzusetzen gewesen. Michael Imort skizziert die Ersetzung der Idee der wissenschaftlichen durch die naturgemäße Waldwirtschaft durch die Nationalsozialisten. Während seit dem 18. Jahrhundert die blockweise Anpflanzung und das entsprechende Schlagen von Bäumen gleicher Art jahrgangsweise erfolgte, sollte die naturgemäße Waldwirtschaft unterschiedliche Baumarten zeitversetzt anpflanzen und abholzen. Die Mischwaldwirtschaft sollte die Erschöpfung des Bodens reduzieren und den "Dauerwald" weniger anfällig für Baumkrankheiten und Windbruch machen. Imort weist darauf hin, daß die Nationalsozialisten die Dauerwaldidee weniger aus ökologischen als aus ökonomischen Gründen einführten, da sie damit die Autarkie in der Holzversorgung besser realisieren wollten. Ferner konnten sie damit auch ideologisch den Wald und die Waldpflege mit ihren völkisch-rassischen Vorstellungen parallelisieren.

Zum zweiten machen die Beiträger die für das Dritte Reich besonders ausgeprägte Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich. Thomas Lekan skizziert generell und beispielhaft für das Rheinland die Hoffnungen, die die Naturschützer auf den ganzheitlichen, die gesamte Landschaft und nicht nur einzelne Naturschutzgebiete erfassenden Ansatz der Nationalsozialisten und auf die neuen Möglichkeiten setzten, die ihnen das Reichsnaturschutzgesetz gab. Sie seien jedoch enttäuscht worden. Zum einen wurde keine eigene Reichsorganisation des Naturschutzes aufgebaut; er verblieb vielmehr bei den Ländern bzw. in Preußen bei den Provinzialverbänden und wurde personell und finanziell unzureichend ausgestattet. Zum anderen setzte sich die Verschandelung des Rheintals weiter fort, und der nationalsozialistische Staat ging im Zuge seiner Autarkie- und Rüstungspolitik ohne größere Bedenken gegen die Landschaft vor, indem er Meliorationen, Dammbauten und die Errichtung von Militäranlagen in Angriff nahm und auf diese Weise die Natur massiv zurückdrängte. Imort weist darauf hin, dass die Nationalsozialisten im Zuge ihres Vierjahresplanes den Wald in bislang ungekanntem Maße zur Holzgewinnung nutzten. Frank Uekötter zeigt, wie die Nationalsozialisten das Problem der Luftverschmutzung mit verschiedenen Einrichtungen und unterschiedlich weit reichenden Intentionen angingen: ideologisch unter der Devise `Gemeinnutz geht vor Eigennutz', taktisch durch zahlreiche, vom Reichsnährstand angeregte Einzelklagen auf Entschädigung und praktisch durch die Verhängung von Auflagen. Der Schutz der Natur selbst stand nie im Vordergrund und das Gemeinwohl wurde bei den konkurrierenden Interessen nicht definiert, so dass gesetzliche Regelungen und ein ernsthaftes Angehen der Probleme ausblieben. Thomas Zeller verdeutlicht in seinem Beitrag über den prominenten Landschaftsarchitekten Alwin Seifert, dass dieser weniger die Natur schützen als vielmehr die Landschaft nach Kriterien der Schönheit und der Kultur der jeweiligen regionalen Bevölkerung gestalten wollte. Durch geschickte Bündnisse mit führenden Nationalsozialisten und dem hartnäckigen Beharren auf der landschaftlichen Einbettung des Autobahnbaus konnte er seine Stellung stärken und die Berufsgruppe der Landschaftsarchitekten gegenüber den Ingenieuren zu Gehör bringen. Seine Erfolge blieben jedoch auf die Nische des Autobahnbaus beschränkt. Mark Bassin, der das Verhältnis von Blut und Boden in der NS-Ideologie behandelt, weist darauf hin, dass der anthropogeografische Ansatz von Friedrich Ratzel und der darauf aufbauende Ansatz der Geopolitik, die die Bedeutung von Naturfaktoren wie geografischer Lage, Topografie und Landschaft für das menschliche Leben betonten, von den Nationalsozialisten letztlich als sekundär betrachtet wurde, da sie in erster Linie nicht auf die Durchsetzungskraft "des Bodens", sondern "des Blutes" setzten: Das "Blut" bzw. die "Rasse" würde die Geschichte der Völker gestalten und sich letztlich über "den Boden", d. h. die anderen Natur- und Umweltfaktoren hinwegsetzen. Und Gesine Gerhard schildert im Unterschied zu Bramwell den Reichsbauernführer Richard W. Darré weniger als Vertreter des organischen Landbaus und Vorläufer "der Grünen, sondern als Rassisten, der mit dem Erbhofgesetz das "gesunde Bauerntum" als Kraftquelle des deutschen Volkes stärken, rassisch selektischen und den "Lebensraum im Osten" mit deutschen Bauern zur Sicherung der Nahrungsmittelautarkie kolonisieren wollte.

Zum dritten stellt insbesondere Joachim Wolschke-Bulmahn dar, dass die Bereitschaft von Landschaftsplanern und -schützern wie Konrad Meyer oder Hans Friedrich Wiepking-Jürgensmann zur Mitarbeit an den Planungen und Verbrechen der Nationalsozialisten grenzenlos war. Er verfolgt deren Anstrengungen, während des Zweiten Weltkrieges in den annektierten Gebieten Polens Ideale deutscher Landschaften zu realisieren, d. h. die bestehenden Landschaften auszuräumen und neu zu gestalten. Dabei seien Tausende von Polen zwangsumgesiedelt oder umgebracht worden, um den Weg für die Ansiedlung von Deutschen frei zu machen.

Aus den Beiträgen werden mehrere zeitgenössisch moderne Elemente deutlich, in denen die Nationalsozialisten mit den Naturschützern ideologisch übereinstimmen und die auch heute noch bei den Grünen Gültigkeit haben: die Ideen des Natur- und Landschaftsschutzes, der Beteiligung von Naturschützern an Landschaftsveränderungen, der Stärkung der Naturschutzorganisationen und ihrer gesetzlichen Möglichkeiten sowie der Nachhaltigkeit des Wirtschaftens. Deutlich wird auch, dass die nationalsozialistische Praxis mit diesen Ideen nicht übereinstimmte. Das, was zur Entstehung der "Grünen" in den 1970er-Jahren führte und was als grün galt, der Übergang vom ästhetisch-wissenschaftlichen "Inselnaturschutz" zu einem umfassenden Schutz der Umwelt, insbesondere von Boden, Luft, Wasser und Lärm, die Erweiterung des nationalen zum internationalen, ja globalen Ansatz, die Konzentration auf die Verursacher der Verschmutzungen anstelle der Auseinandersetzung mit ihren Folgen sowie die antikapitalistische Stoßrichtung, trat im Dritten Reich noch kaum auf. Dieser Maßstab und damit auch der Übergang vom Natur- zum Umweltschutz werden trotz der Titelfrage nicht thematisiert. Das ist bedauerlich, denn spannender als die Frage nach den grünen Elementen bei den Nationalsozialisten ist eigentlich die Frage, inwieweit die Naturschützer im Dritten Reich als Vorläufer der Grünen gelten können, "grün" waren. Mit guten Gründen lässt sich durchaus die These vertreten, dass es zwischen den Grünen des späten 20. Jahrhunderts und den Naturschützern im Dritten Reich mehr Trennendes als Gemeinsames gab. Das Verdienst des Bandes bleibt, die Frage nach den Vorläufern der Grünen gestellt, dazu eine Vielzahl ausgereifter Beiträge versammelt und die traditionelle Sektorgeschichte des Natur- und Umweltschutzes mit der Geschichte eines politischen Systems erfolgreich verklammert zu haben.

Karl Ditt, Münster

Fußnoten:



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