Archiv für Sozialgeschichte
Rezension
Aleksandar-Saa Vuletiæ, Christen jüdischer Herkunft im Dritten Reich. Verfolgung und organisierte Selbsthifel 1933-1939, Verlag von Zabern, Mainz 1999, 308 S., geb., 78 DM.
Christen jüdischer Herkunft wurden und werden zum Teil noch heute auch "Judenchristen" genannt. Diese Bezeichnung ist problematisch und von gewissen Vorurteilen nicht frei, die es schon lange vor der NS-Zeit gab und mit ihr auch nicht ganz verschwunden sind. Denn jeder, der zum Christentum konvertiert und getauft wird, ist Christ ohne Wenn und Aber und Bindestrich. Als "Judenchristen" können allenfalls die Urchristen bezeichnet werden, die sich an die jüdischen Gesetze und Ritualvorschriften halten wollten, was dann inbesondere der Apostel Paulus strikt abgelehnt hat. Im 19. Jahrhundert haben dann wiederum einige Christen jüdischer Herkunft versucht, eine gewisse Synthese zwischen dem Christentum und jüdischen Glaubenselementen herzustellen. Daher haben sie sich auch selber als "Judenchristen" bezeichnet und 1925 eine "Internationale Judenchristliche Allianz" gegründet, die aber ziemlich klein und ohne Einfluss blieb.
Mit diesen "Judenchristen" haben die Christen jüdischer Herkunft nichts zu tun, die von den Nationalsozialisten zu "Nichtariern", bzw. "Mischlingen" erklärt wurden. Letzlich geschah dies durch die Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, in denen alle Personen, die über mindestens "der Rasse nach drei jüdische Großelternteile" verfügten, zu "Juden", bzw. "Nichtariern" gestempelt wurden. Bei zwei jüdischen Großelternteilen galt man als "Mischling I. Grades" und bei einem als "Mischling II. Grades".
Zu diesem, wohlgemerkt von den Nationalsozialisten definierten und zugleich diffamierten, Personenkreis gehörten nach Schätzungen von zeitgenössischen Statistikern wie Friedrich Burgdörfer etwa 300.000 Personen. Bei der im Mai 1939 durchgeführten Volkszählung, bei der auch nach der "Rassenzugehörigkeit" gefragt wurde, sind genau 98.821 Deutsche, bzw. Bewohner des Deutschen Reiches jüdischer oder teilweise jüdischer Herkunft erfaßt worden. Interesannterweise gingen zu Beginn des Dritten Reiches sowohl die Nationalsozialisten wie auch die Betroffenen selber jedoch von einer viel höheren Zahl aus, die auf mehrere Millionen veranschlagt wurde.
Alle Christen jüdischer Herkunft waren in der einen oder anderen Form von den nationalsozialistischen Rassengesetzen betroffen und wären bei einem längeren Bestand des Dritten Reiches mit Sicherheit genau wie die Juden der Vernichtung anheim gefallen. Wie haben sie darauf reagiert und wer hat ihnen geholfen? Mit beiden Fragen hat sich Aleksandar-Saa Vuletiæ in seiner von Christof Dipper betreuten und ganz vorzüglichen Dissertation beschäftigt, die eine schon lange sichtbare Forschungslücke schließt.
Im Mittelpunkt steht die Geschichte des im Juli 1933 gegründeten "Reichsverbandes christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung", der zunächst in "Reichsverband der nichtarischen Christen" und schließlich 1936 in "Paulus-Bund" umbenannt wurde. Ihm gehörten zwar nur maximal 13.000 Mitglieder an, die mehrheitlich Mitglieder der protesantischen Kirchen waren und überwiegend aus bürgerlichen Kreisen stammten. Gleichwohl entfaltete der Verein eine sehr intensive und umfangreiche Tätigkeit. Sie umfaßte neben kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten vor allem die Stellenvermittlung und generell die soziale Betreuung und schließlich auch die Auswanderungshilfe. Dabei war der "Reichsverband" ganz auf sich allein gestellt. Bei den jüdischen Organisationen fand er verständlicherweise wenig Unterstützung. Unverständlich ist jedoch die passive, ja teilweise sogar ausgesprochen feindliche Haltung der beiden großen christlichen Kirchen.
Intensives, aber keineswegs freundliches Interesse fand der "Reichsverband" jedoch bei den unterschiedlichen Behörden und Institutionen des NS-Staates, die ihn gewissermaßen als Spielball benutzten, um ihren jeweiligen Einfluss auf die Judenpolitik generell auszudehnen. Das Rennen machte auch hier schließlich Heinrich Himmler. Die von ihm geleitete Gestapo wandelte den "Reichsverband" 1937 in eine Institution um, die als "Vereinigung 1937" allein für die "Mischlinge" zuständig sein durfte. Die Gestapo war es dann auch, die die Tätigkeit dieses (treffend, aber inoffiziell so bezeichneten) "Mischlings-Paulusbundes" immer weiter einschränkte, bis sie ihn im August 1939 gänzlich verbot.
All dies wird von Vuletiæ sehr ausführlich geschildert, wobei auch die Tatsache nicht verschwiegen wird, dass es zwischen den Führern und Mitgliedern des "Reichsverbandes" immer wieder zu Spannungen kam. Sie basierten letztlich auf den unterschiedlichen Interessen und Hoffnungen der - und hier ist die eigentlich falsche und unmenschliche Terminologie nicht ganz zu vermeiden - "Voll"- und "Halbjuden" basierten. Doch die Darstellung dieser internen Konflikte und auch die Wiedergabe einiger entsetzlich nationalistisch und teilweise selbst antisemitsich wirkender Stellungnahmen mancher Repräsentanten des "Paulus-Bundes" geschieht immer taktvoll und ohne jegliche Besserwisserei. Umso klarer und eindeutiger fallen die Urteile über die eigentlich Verantwortlichena aus. Dies sind neben den Institutionen des NS-Staates, die mit ihrer antisemitischen Politik dieses im Grunde künstliche Produkt erst geschaffen haben, die Kirchen, die ihre Glaubensbrüder und -schwestern lange allein ließen. Erst 1939, als der "Paulus-Bund" schon zerschlagen war, wurden (noch auf Initiative des letzten Leiters des "Paulus-Bundes", Heinrich Spiero) mit dem Büro Grüber auf evangelischer und dem St. Raphaels-Verein auf katholischer Seite jene Hilfsorganisationen ins Leben gerufen, die man schon 1933 hätte einrichten müssen. Denn der "Reichsbund" konnte diese Aufgaben nicht übernehmen.
Wolfgang Wippermann, Berlin