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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

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Manfred Pfister

Reformen in den kommunalen Verwaltungen Westdeutschlands



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1. Kommunale Verwaltungsreform in Westdeutschland
Hintergründe, Entwicklung, Beispiele


  1. Qualitätsdefizite, Kosten- und Zeitprobleme der öffentlichen Verwaltung werden seit Jahren verstärkt wahrgenommen. Sie zeigen an, daß sich das politisch-administrative System in einer strukturellen Krise befindet. In der Organisationsstruktur, die der traditionellen Verwaltung zugrunde liegt, werden Aufgabenzuwachs und -wandel stets mit organisatorischen und personellen Erweiterungen beantwortet. Gerade auf kommunaler Ebene, in den westdeutschen Städten, Gemeinden und Kreisen, ist in den letzten Jahren deutlich geworden, daß eine kritische Grenze längst errreicht ist.

  2. Angesichts der drückenden Finanzkrise werden auf seiten der Kommunal- und Kreisverwaltungen zunehmend die bestehenden Steuerungs- und Verantwortungsdefizite thematisiert. Die enormen Haushaltsdefizite zeigen aber auch, wie konjunkturabhängig die kommunalen Finanzen sind (nach immer neuen Eingriffen in die kommunale Finanzautonomie), und daß Aufgabenzuweisung ohne Kostenausgleich, explodierende Sozialhilfeausgaben und die Beteiligung an der Finanzierung der Lasten der deutschen Einheit die kommunale Selbstverwaltung in Frage stellen. Die Neustrukturierung der gesamtstaatlichen Finanzbeziehungen ist sicher eines der drängendsten Probleme, die sich derzeit stellen.

  3. Seit 1991 hat sich vor allem in den Großstädten die Finanzlage so drastisch verschärft, daß man vielerorts von Haushaltskatastrophen sprechen kann. Aber auch die Haushalte von Landkreisen sowie vieler mittlerer und kleiner Städte sind in

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    zunehmenden Maße defizitär geworden. So verwundert es nicht, daß Verwaltungsreformprozesse durch Haushaltssicherungsnotwendigkeiten ausgelöst bzw. dominiert werden. Von Strukturreformen kann aber nur dann gesprochen werden, wenn im Gegensatz zu reinen Kostenreduzierungsstrategien, die auf pauschale Stellenstreichungen und auf das Allheilmittel der Privatisierung setzen, versucht wird, Haushaltssicherung und weitergehende Reformziele miteinander zu verknüpfen. Heute finden bereits in über 100 westdeutschen Kommunal- und Kreisverwaltungen entschiedene Reformprozesse statt, die eine wirkliche Reorganisation der Verwaltung anstreben, oft begleitet von einer Neu-Definition öffentlicher Aufgaben, die über reine Wirtschaftlichkeitsaspekte hinaus soziale und ökologische Zielsetzungen miteinbezieht. Effektivität und Effizienz durch leistungsfähigere Organisationsformen zu steigern, neue Verantwortungsstrukturen zu schaffen, Verfahrensabläufe zu ändern und Kosten und Leistungen in ihrem Zusammenhang transparent zu machen stehen im Mittelpunkt dieser Reformprozesse.

  4. Innovationsdruck geht aber nicht nur von konkreten Faktoren wie dem Haushaltsdefizit aus. Veränderte Managementkonzepte des privatwirtschaftlichen Sektors und weitreichende Modernisierungsstrategien im öffentlichen Sektor anderer westlicher Staaten (der Carl-Bertelsmann-Preis 1993 hat Beispiele sehr weit fortgeschrittener Verwaltungsreformprozesse im Ausland hierzulande bekannt gemacht) wirken sich auf die Debatte um eine grundlegende Verwaltungsreform aus.

  5. Manche neuen Problemlagen, die ganz wesentlich mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen (Individualisierung, Wertewandel) zusammenhängen, verspürt gerade der kommunale Bereich als "bürgernächste" Verwaltungsebene sehr direkt: den immer größeren Bedarf bei Leistungs- und Betreuungsaufgaben, die steigenden Ansprüche an kundenorientiertes und flexibles Verwaltungshandeln, aber auch den zunehmenden Handlungsbedarf im Bereich Umweltschutz.

  6. Nicht nur diese neuen Problemkonstellationen und Ansprüche verweisen darauf, daß Kommunal- und Kreisverwaltungen eines modernen Steuerungssystems bedürfen. Auf der kommunalen Verwaltungstätigkeit lastet auch der Druck zunehmender staatlicher Regulierung, die sich in einer immer größeren Zahl auszuführender Gesetze und zu präzisierender Verwaltungsverfahren niederschlägt. Diese Entwicklung belegt nicht nur, daß eine grundlegend modernisierte Verwaltungsstruktur gebraucht wird, die eine flexiblere Aufgabenerledigung möglich macht, sondern sie verweist auch auf das Problem staatlicher Überreglementierung. Es gibt berechtigte Gründe zu fragen, wie sachgerecht die Flut von Regelungen und Durchführungsbestimmungen in manchen Bereichen

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    überhaupt ist - auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen Kosten.

  7. Die überkommene Arbeitsweise der (Kommunal-)Verwaltung mit ihren undurchschaubaren Verwaltungsabläufen, sich überschneidenden Arbeitsgebieten und ihrer Fixierung auf Tätigkeiten und Maßnahmen wird seit langem kritisiert. Ausgangspunkt sind dabei die bürokratischen Strukturen mit ihrem hierarchischen Organisationsaufbau und ihrer rigiden Arbeitsteilung, mit ihrer Orientierung auf Regeln und Verfahren statt auf Ergebnisse und "Produkte". Die Erledigung der Aufgaben, die "Leistungserbringung", unterliegt mithin einer bürokratischen Übersteuerung, und da es an klaren Vorgaben zu Leistungsprogramm und Arbeitszielen, aber auch an tragfähigen Verantwortungsstrukturen fehlt, kommt es auf seiten der politischen Gremien eher zu einer Untersteuerung. Welche Möglichkeiten bestehen, auf die daraus resultierenden Effizienz- und Effektivitätsdefizite zu antworten?

  8. Die jeweilige Ausgangslage in den Kommunen und Kreisen kann sehr unterschiedlich sein. Das betrifft einmal die Höhe der Verschuldung und im Zusammenhang damit auch die Möglichkei-

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    ten, das Steuer mit Notmaßnahmen herumzureißen. So versucht Frankfurt (Schuldenstand: rund 10.000 DM je Einwohner), dem Haushaltskollaps durch Verkauf von städtischen Beteiligungen und Liegenschaften zu entgehen: 1994 wurde der Anteil an der Veba AG für rund 650 Millionen Mark verkauft, weitere rund 100 Millionen Mark brachte der Verkauf des Technischen Rathauses. Andere Kommunen dagegen können nicht aufs "Tafelsilber" zurückgreifen, weil sie schlichtweg nichts zu verkaufen haben. Sehr unterschiedlich kann die Ausgangslage auch hinsichtlich der Stärke der Reformkräfte sein. Zwar hat sich ein breit gestreutes Reformpotential entwickelt - sowohl bei Verwaltungsführungen und Personalvertretungen als auch bei Politikern und Gewerkschaft wird die Notwendigkeit eines Umbaus der Verwaltung gesehen -, aber genauso treten auf allen Ebenen immer wieder Widerstände auf, kann das Mißtrauen zwischen den verschiedenen Seiten eine Umsetzung von Reformkonzepten erschweren. Hier hat sich gezeigt, daß die Chancen für prozeßhafte und immer weiter vertiefte Verwaltungsreformen dann groß sind, wenn sie - gleichgültig, von wem sie ausgehen - auf breite Partizipation zielen.

  9. Unterschiede bei der Zielsetzung und der Durchführung von Reformvorhaben und -projekten sind auch in engem Zusammenhang mit der Größe der Kommune und dem Zeitpunkt zu sehen, zu dem der Reformbedarf thematisiert wurde. In einigen westdeutschen Großstädten wie z.B. der Landeshauptstadt Hannover, deren Stadtverwaltung rund 17.000 Beschäftigte [ Angabe bezieht sich auf das Jahr 1992] umfaßt, wurden sehr früh, noch vor der konjunkturell bedingten Verschärfung der Finanzkrise, Reorganisationsvorhaben angestoßen:

  10. Als Modell globaler Umsteuerung einer Verwaltung kann der Organisationsentwicklungsprozeß beim Main-Kinzig-Kreis gelten. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Ansätzen in anderen Kreis- und Kommunalverwaltungen. Natürlich ist ein Reformvorhaben, das die ganze Verwaltung umfaßt, bei einer Größenordnung von ca. 1.400 Beschäftigten auch eher möglich. Weitere besondere Merkmale dieses Modernisierungsvorhabens sind

  11. Bei Konzepten ganzheitlicher Veränderung liegt die Betonung darauf, daß es nicht nur um die Einführung eines neuen Steuerungsmodells geht, sondern um wirkliche Veränderungen in den Köpfen, um andere Denkstrukturen, um die Veränderung von Einstellungen. So geht die Zielsetzung Mitarbeiterorientierung beim Reorganisationsprozeß des Main-Kinzig-Kreises von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als die entscheidende Ressource aus. Ausdruck dafür ist die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung (Standortbestimmung nach innen) und die Beteiligung von Mitarbeiter/innen aller Hierchiestufen an den Veränderungsschritten. Festzustellen ist, daß nicht nur die von Hierarchisierung und Kontrolle geprägten Arbeitsabläufe die Motivationslücke bedingen, sondern daß die Gründe dafür auch in Defiziten beim Führungsverhalten und in fehlenden Leistungsanreizen zu suchen sind.

  12. Reformzielen wie verbesserter Dienstleistungsqualität und Bürgerorientierung entsprechen in der Praxis vor allem Bürgerladen- oder Bürgeramtskonzepte. Bei dem in Hagen in einer dezentralen Bürgerladeneinrichtung erprobten Ansatz kundenorientierten Verwaltens sind publikumsintensive Dienstleistungen unter der Maxime der Aufgabenintegration zusammengefaßt; das heißt, die Sachbearbeiter/innen sind für eine ganze Palette von Verwaltungsangelegenheiten, Auskunfts- und Beratungstätigkeiten zuständig. Kundenorientiertes Verwalten, das sich durch verbesserte Serviceleistungen (verständliche Formulare, schnellere Bearbeitung dank Technikeinsatz etc.) und personenvermittelte Beratung auszeichnet, bedeutet für die Beschäftigten neue Anforderungen. Ihnen wurden über Qualifizierungsmaßnahmen und intensives Training die erforderlichen Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen und Kommunikationsgeschick vermittelt.

  13. Notwendiger Bestandteil der Strukturreformen ist der Versuch, die Rollen von Politik (Rat, Kreistag) und Verwaltung neu zu definieren. Es erweist sich dabei als schwer aufzulösendes Problem, daß sich Politik und Verwaltung bisher zu einem System ergänzt haben, das wechselseitig die jeweiligen Erwartungen erfüllt. Zielvorstellung ist, daß die Politik eine Aufsichtsratsrolle übernimmt, d.h. für politisch-strategische Entscheidungen zuständig ist, die auf der Grundlage überprüfbarer, Leistungen und Kosten ausweisender Vorlagen gefällt werden. Beim gegenwärtigen Stand der Reformprozesse sind in dieser Weise veränderte Verantwortungsstrukturen noch eher selten.

  14. Der Organismus Verwaltung ist geprägt von ordnungsstaatlichen Vorstellungen und den Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Reformprozesse treffen daher immer wieder auf Widerstände und Verweigerungshaltungen. Strukturreform bedeutet somit auch, die Innovationsdiskussion unter breiter Beteiligung zu führen und immer wieder zu erneuern, damit sich die Denkstrukturen verändern. Nur dann sind Reformprozesse zu erwarten, bei denen nicht nur neue Instrumente wie Controlling und Budgetierung über alte Strukturen gestülpt, sondern die vorhandenen Organisationsstrukturen nachhaltig verändert werden.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000

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