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4. Technische Entwicklungen und Technologiepolitik

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Der internationale Wettbewerb der Technikentwicklung scheint sich mit dem Stichwort der Konvergenz auch darin zu manifestieren, daß die Technik als Selbstläufer charakterisiert wird. Der technische Fortschritt gerade auf den Gebieten der Mikroelektronik, der Informationstechnik, der Kommunikationstechnik ist ein langgewohnter Begleiter jeder Diskussion über die Informationsgesellschaft. Jeder Diskutant kennt

Die achtziger Jahre waren völlig geprägt von „technikgetriebenen" Pilotprojekten, die aber den Sprung in die Anwendungen nicht schafften. Die neunziger Jahre waren geprägt von einem Schwenk hin zu den Anwendungen, das - besonders in der EU strapazierte - Stichwort „technology is given" machte die Runde. Technik schien zur „commodity" geworden zu sein, denn in der Tat konnte mit der Technik mit ihren immer rascheren Zyklen geplant, gerechnet und gearbeitet werden. Vielen ist dieser Vorgang, daß ausgerechnet die dynamische Technikentwicklung zu einem berechenbaren Punkt wurde, gar nicht bewußt geworden. Aber in der Tat stimmten die Vorhersagen für die Technikentwicklung (etwa die berühmten „Rechner- oder Speicherquantitäten pro Chip") grosso modo mit der erfahrbaren Entwicklung überein. Allerdings stimmten die Prognosen hinsichtlich der Implementierung im Sinne einer Infrastruktur - sprich: der Ausbaugrad und die „end-to-end"-Leistungsfähigkeit der Netze - bisher in keinem Fall. Entweder wurden die Zeitpunkte eines bestimmten Ausbaugrades deutlich über- oder aber unterschätzt. Dies machte für viele Akteure deutlich, daß es nicht allein auf Technik und deren Kosten ankommen mußte, sondern auf etwas anderes. Aber was? Zunächst wurde versucht, die Anwendungen voranzubringen. Höchst erfolgreiche (aber geographisch sehr begrenzte) Pilotprojekte blieben jedoch stets dann stecken, wenn es um die Einführung für „alle Teilnehmer" ging. So erwarteten viele zum Beispiel in den neuen Bundesländern, daß es nach der Glasfaserverkabelung von Haushalten (den die Telekom aus längerfristigen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen heraus vorgenommen hatte) unmittelbar zur Individual- und Massenkommunikation über diese „unbegrenzten Bandbreiten" kommen würde.

Dasselbe glaubten viele in anderen europäischen Ländern. Hatte man nicht in vielen Anwendungsprojekten Dinge wie „Telearbeit", „Telelernen" oder Vergleichbares identifiziert und für gut befunden? Daran anknüpfend wurde in der öffentlichen Diskussion gleich die Frage aufgeworfen, ob man denn diese Bandbreiten der Glasfaser überhaupt brauche, wo doch das „schmalbandige Internet" viele dieser Anwendungen bereitstellen könne. Wieder andere wunderten sich, daß ihre Hochleistungs-PCs „nicht einmal mit ISDN" die bekannten Probleme des „World Wide Waiting" abmilderten. Die Verwirrung der Diskussion um die Rolle von Technik, um die Rolle von Netzen wuchs - sie hält bis heute an.

Die genannten Fragen berühren für den Fachmann drei völlig unterschiedliche technisch-wirtschaftliche Ebenen, jeder Techniker würde - um der Verständlichkeit willen - um eine mehrstündige Erklärungssitzung bitten müssen. Denn niemand kann mit einem kurzen und bündigen Verweis auf das „7-Schichtenmodell der technischen Kommunikation" mit der klaren Definition von „Transportschicht oder Applikationsschicht" etwas anfangen. Weil niemand diese Zeit erübrigen kann, hat sich die - besonders in der Politik und der Publizistik funktionale - Reduzierung der technischen Optionen auf Schlagwörter als geeignete Platzhalterin in der Diskussion erwiesen. Aus Sicht des Publikums - und dazu gehören neben den Politikern und Publizisten auch Manager und Unternehmer - sollten die Techniker endlich dem

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Rätselraten ein Ende machen und sagen, welche der „Netztechniken" denn die beste sei: ISDN oder ADSL, Glasfaser-ins-Haus oder Hybrid-Fiber-Coax, GSM-Mobilfunk oder Satellitenfunk. Immer wieder kulminierte dies in der Frage: Was kommt auf uns zu? Natürlich fallen die Antworten der Technik immer wieder nach dem gleichen Muster aus: „Das hängt davon ab, was man für wie viele Benutzer will und wie die Kosten samt Investitionen sich rechnen". Das Meinungsgetöse überdeckt fast jede habhafte Orientierungsmöglichkeit.

Bei den aktuellen Anforderungen für einen Weg in die Informationsgesellschaft muß deswegen die Rolle der Technik wiederentdeckt werden, so überraschend dies klingen mag. Es wäre traurig, wenn sich die weitere Entwicklung der Technikimplementierung nur deswegen ins Dunkel hüllt, weil die Kommunikation zwischen den Experten und den Nicht-Experten nicht klappt. Das Grundmißverständnis rührt nämlich gar nicht aus der Kompliziertheit der verschiedenen technischen Optionen, sondern lediglich aus einer völligen Verwirrung rund um den Infrastrukturbegriff. Das ist vergleichsweise so, wie wenn Menschen in einer (hypothetischen) Diskussion vor hundert Jahren sich hätten vorstellen müssen, was denn die Infrastruktur einer „Autofahrergesellschaft" ausmache, und in welcher Reihenfolge man vorgehen müsse: Autos bauen, Straßen bauen, Fahrschulen einrichten, Straßenverkehrsordungen erlassen und hundert andere Dinge mehr, die miteinander zusammenhängen.

Ein Masterplan hätte zur vordringlichen Aufgabe, die infrastrukturellen Innovationen zügiger zu ermöglichen. In der heutigen Konstruktion des liberalisierten Marktes für Betreiber liegen noch einige prinzipielle Hemmnisse, die es zu überwinden gilt. Es hat allen Anschein, daß das Konstrukt der Infrastrukturverpflichtung nur für den dominanten Betreiber - die Telekom - die Innovation der Infrastrukturen eher hemmt. Noch ist es für neue Betreiber billiger, eine vorhandene Leitung bei der Telekom zu mieten, als eigene Investitionen in die Infrastruktur vorzunehmen.

Aber es gibt nicht nur regulatorische Probleme zwischen den Betreibern mit aktivem Schwung zu lösen. Politische Bausteine für einen Masterplan auf technischen Gebieten bzw. deren Rahmenbedingungen sind identifiziert:

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Die zukunftssichere Technikgestaltung ist eine Aufgabe ersten Ranges für die privaten und öffentlichen Forschungseinrichtungen. Die Industrie am Standort ist herausgefordert, Forschungsergebnisse zügig umzusetzen. Chancen bieten sich unter anderem auf folgenden Gebieten:

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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