Nachricht von Ralf Stiegler am 22. Februar 2005 um 14:22:01:
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DGB »glättet« Interview

Entscheidende Aussagen des Gewerkschaftschefs im Spiegel-Gespräch wurden auf Homepage weggelassen. Applaus für Sommer von Otto Graf Lambsdorff

Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist ein Spiegel-Interview (7/2005) seines Vorsitzenden Michael Sommer offenbar megapeinlich. Die auf der Homepage des DGB veröffentlichte Kurzfassung des Gesprächs wurde um fast alle Aussagen bereinigt, in denen Sommer gewerkschaftliche Positionen preisgibt.

Verschwiegen wird zunächst die Aussage Sommers, er akzeptiere, »daß sich die Grundlagen des Sozialstaates durch die demographische Entwicklung, die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die Globalisierung stark verändert haben«. Das Internetportal »Nachdenkseiten« kommentiert das mit den Worten: »Wo bleibt da die bisherige Kritik aus dem Gewerkschaftslager, daß mit dem Schreckbild einer ›Überalterung‹ maßlos übertrieben wird, daß der demographische Wandel durch mehr Beschäftigung oder einen höheren Frauenanteil an den Erwerbstätigen ... und vor allem durch eine Umverteilung der Produktivitätszuwächse zwischen Jung und Alt weitgehend aufgefangen werden könnte?«

Unterschlagen wird auch eine Passage, in der sich Sommer bei der Rente für die Einführung kapitalgedeckter Systeme ausspricht, da die bisherige Umlagefinanzierung in Zukunft eine umfassende Altersversorgung nicht mehr abdecken könne. Die Riesterrente werde »das Modell auch für andere Zweige der Sozialversicherung werden«. Kommentar der »Nachdenkseiten«: »Wo bleibt da die bisherige Kritik der meisten Gewerkschaften, daß ein (künftig alle Einkommen einbeziehendes) Umlageverfahren nach wie vor das sicherste, das billigste und das effizienteste Altersversicherungssystem ist und daß die kapitalgedeckte Rente für den einzelnen nicht nur erheblich teurer ist, sondern – wie sich mehr und mehr auf der ganzen Welt zeigt – die weitaus unsicherere Alterssicherung darstellt?«

Sommers Aussagen zum Gesundheitswesen werden auf der DGB-Homepage komplett weggelassen. Sommer hatte im Original-Interview das Prinzip des Solidarsystems in der Krankenversicherung zugunsten einer privaten Finanzierung in Frage gestellt. Auch in diesem Punkt hatte der DGB-Chef Gewerkschaftspositionen aufgegeben.

In dem Spiegel-Interview hatte Sommer Kritiker der neoliberalen Politik »betonköpfige Bewahrer« genannt. Dieser von Unternehmerfunktionären geprägte Begriff ist auf konsequente Gewerkschafter gemünzt. Auf der Homepage fehlt er jedoch – offenbar hatte es die Online-Redaktion des DGB als eine Art Verrat empfunden, daß ausgerechnet der DGB-Vorsitzende kritische Gewerkschaftskollegen mit dem Vokabular von Unternehmern beschimpft.

Sommers Spiegel-Interview markiert eine weitere Annäherung an die neoliberalen Systemveränderer. Frohlockend kommentierte der FDP-Politiker und früherere Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff am Freitag im Kölner Stadtanzeiger: »Der Deutsche Gewerkschaftsbund bewegt sich. DGB-Chef Michael Sommer hat es im Spiegel dieser Woche noch einmal gesagt: Die Strukturen des Sozialstaates müssen umgebaut, über seine Aufgaben und Ziele muß neu geredet werden. Das ist erfreulich klar.«



 
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