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Die soziale Marktwirtschaft ist unsere Antwort auf den Shareholder-Value-Kapitalismus


Die soziale Marktwirtschaft ist auch in Zukunft der optimale Ordnungsrahmen für das Wirtschafts- und Sozialgut Wohnung

Die Doppelnatur der Wohnung, ihre existenzielle Bedeutung für die Menschen einerseits und die hohen Anforderungen bei ihrer Produktion und Verwaltung andererseits, macht staatliche Rahmensetzung und Intervention genauso notwendig wie funktionierende Märkte als Steuerungs- und Zuteilungsinstrument.

Die soziale Marktwirtschaft, die sich in den meisten Ländern Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschaftsordnung durchgesetzt hat, wird diesen Anforderungen am besten gerecht und ist eine der großen Errungenschaften europäischer Zivilisation, die nicht nur in den Transformationsländern Ost- und Mitteleuropas zum Vorbild genommen wird. Sie steht heute, zehn Jahre nach dem Scheitern der realsozialistischen Verwaltungswirtschaften in einem neuen Systemwettbewerb mit dem rein am Ertragswert orientierten Shareholder-Value-Kapitalismus angelsächsischer Prägung.

Dieser Systemwettbewerb wird letztlich darüber entschieden werden, welches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell besser auf die individuellen und sozialen Bedürfnisse des Menschen im Zeitalter der digitalen Netzwerk-Ökonomie eingeht, welches eher in der Lage ist, die auseinanderstrebenden gesellschaftlichen Kräfte zusammenzubinden und welches geeigneter ist, die ökologischen Herausforderungen zu bestehen.

Praktisch wird sich das z. B. darin erweisen, welches Modell besser geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten. Wer die Integration von Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund besser bewältigen kann und wer auf die veränderte Altersstruktur der Bevölkerung mit besseren Lösun-

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gen reagieren wird. Wir sind sicher, dass es die soziale Marktwirtschaft ist.

Den richtigen Weg hin zu einer notwendigen Modernisierung und Reform politischer Systeme auch beim Wohnungs- und Städtebau wird nur der finden, der den erforderlichen Wandel verbindet mit neuen Strukturen von Partizipation und der Förderung von Zusammenhalt.

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Kurzfassung

Programmatische Perspektiven und Forderungen für eine nachhaltige Städtebau- und Wohnungspolitik


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Alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens vollziehen einen rasanten Wandel und bewirken tiefgreifende Strukturveränderungen. Diese Dynamik zwingt auch die Wohnungs- und Städtebaupolitik zu einem Paradigmenwechsel. Notwendige Reformen wurden in den letzten drei Jahren bereits auf den Weg gebracht. Das gilt insbesondere für das Programm Soziale Stadt, die Öffnung des sozialen Wohnungsbaues auf den Wohnungsbestand und die Förderung des Sozialen Wohnens, die Anpassung des Wohngeldes und nicht zuletzt das Stadtumbauprogramm Ost.

Dieser Reformkurs muss fortgeführt werden, unter Einbeziehung aller ökonomischen und gesellschaftlichen Prozesse, denen die Bundesrepublik Deutschland durch die wachsende Ungleichheit als Folge von Arbeitslosigkeit und mangelnder Integration, die zunehmende Vielfalt der Biografien und die Bevölkerungsentwicklung ausgesetzt ist. Dabei müssen Lösungen gefunden werden, die den unterschiedlichen Teilmärkten Rechnung tragen. In Ostdeutschland ist der Wohnungsmarkt und das Bild der Städte von dramatischem Wohnungsleerstand geprägt. Dem gegenüber stehen andere Teilmärkte, in denen Wohnraummangel herrscht. Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit den regionalen Arbeitsmärkten – denn die Wohnung folgt der Arbeit und nicht umgekehrt –, der mittel- und der langfristigen Bevölkerungsentwicklung, einer zunehmenden Tendenz zu immer mehr Einpersonenhaushalten und der Tatsache, dass der Wohnflächenverbrauch der Bevölkerung so wie in der Vergangenheit – allerdings abhängig von der Wohnkaufkraft – dennoch zunehmen und altersbedingt wachsen wird. All das zwingt zu wohnungs- und städtebaulichen Maßnahmen, die mehr als in der Vergangenheit die unterschiedlichen Erfordernisse der Teilmärkte beachten und die Stadtentwicklung und den Stadtumbau zu einer Priorität politischen Handelns machen müssen.

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Eine sehr große Zahl der heutigen Wohnungsbestände ist nach dem Zweiten Weltkrieg und in den folgenden Jahrzehnten des Wohnungsmangels mit Hilfe umfangreicher staatlicher Förderung errichtet worden. Das gilt für Ost und West, zum Teil mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Breite Schichten der Bevölkerung sind mit Wohnraum versorgt; dabei ist jedoch fast zwangsläufig die Vielfalt des Marktes und seiner Nachfrage zu kurz gekommen. Heute muss darauf stärker Rücksicht genommen werden. Die individualisierte und qualifizierte Nachfrage erzwingt ein vielfältig strukturiertes Angebot. Deshalb ist die Modernisierung unverzichtbar, um die Bestände wohn- und marktfähig zu erhalten.

Aus all dem resultieren die nachfolgenden programmatischen Forderungen:

  • Wohngeld

Das Wohngeld als zielgenaue Subjektförderung muss zu jedem Zeitpunkt seine soziale Funktion erfüllen, damit unabhängig vom Einkommen auch in Zukunft jeder sich angemessenen und bezahlbaren Wohnraum leisten kann. Voraussetzung dafür ist eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung des Wohngeldes auf der Grundlage der Veränderungen bei den Lebenshaltungskosten und den regionalen Veränderungen von Mieten. Deshalb ist bei der nächsten Anpassung auch eine strukturelle Weiterentwicklung erforderlich.

  • Stadtumbauprogramm Ost / West

Das in seiner Bedeutung herausragende Stadtumbauprogramm Ost, das auf Dauer auch in Teilmärkten des Westens erforderlich sein wird, sollte stets auf seine Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit überprüft und neu justiert werden. Das wichtigste Ziel muss dabei sein und bleiben, lebenswerte Innenstädte zu schaffen und funktionierende Märkte herzustellen, d. h. Leerstand zu beseitigen, Insolvenz wenn möglich zu verhindern und das alles eingebettet in Stadtentwicklungskonzepte, an denen alle Akteure des jeweiligen regionalen Wohnungsmarktes beteiligt werden.

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  • Soziale Stadt

Das Programm „Soziale Stadt„ wird fortgeführt und - soweit noch nicht geschehen - vernetzt mit anderen Programmen oder Politikbereichen. In den Gebieten mit überforderten Nachbarschaften müssen die sozialen Erosionen gestoppt und alle denkbaren Maßnahmen der Eigeninitiative und Selbsthilfe gefördert werden.

  • Altschuldenhilfegesetz

Bei der Härtefallregelung des Altschuldenhilfegesetzes, die für Wohnungsunternehmen mit mehr als 15 % Leerstand und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zur Anwendung kommt, muss die finanzielle Ausstattung überprüft und dem fortschreitenden Leerstand so angepasst werden, dass möglichst rasch die erforderliche Zahl von Wohnungen aus dem Markt genommen werden kann. Zeitgleich sind alle Maßnahmen weiter zu fördern, die den Erosionsprozess der Innenstädte stoppen und Brachflächen revitalisieren, also den Stadtumbau fördern und die Standortqualität der Städte und Gemeinden verbessern. Wohnungsleerstand und der Zerfall der Städte sind keine isoliert zu betrachtenden Probleme, sie wirken in alle Bereiche der Gesellschaft. Deshalb ist eine stärkere Vernetzung der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik und ihrer Programme mit anderen Maßnahmen der kommunalen und regionalen Infrastruktur- , Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik unbedingt erforderlich.

  • Wohnen zur Miete, genossenschaftliches Wohnen und Wohnen im Eigentum

Wohnen zur Miete und Wohnen im Eigentum sind grundsätzlich gleichberechtigte Wohnformen der Bürger. Nur sie bestimmen darüber, für welche dieser Wohnformen sie sich entscheiden. Als gleichberechtigte dritte Wohnform sollte das genossenschaftliche Wohnen weiterentwickelt werden.

Soweit diese Wohnformen gefördert werden, muss sichergestellt bleiben, dass die Grundversorgung mit diesen Wohnformen stets gewährleistet bleibt und sich die Förderung dieser drei Säulen des Wohnens im Verhältnis zur Nachfrage und dem Markt tendenziell

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gleich und nicht wettbewerbsverzerrend oder mit gravierenden Ungleichgewichten stattfindet.

    • Aufbauend auf den Erfahrungen beim Stadtumbau Ost sollen Formen der Investitionszulage für die gesamte Bundesrepublik Deutschland entwickelt werden, um Wettbewerbsverzerrungen durch die Förderung abzubauen und wohnungs- und städtebaulich effizienter handeln zu können.

    • Die Wohneigentumsförderung ist zu überprüfen und ihre Wirksamkeit zugunsten der Bestandsförderung und der innerstädtischen Wohnungsbestände zu verbessern.

    • Im Rahmen des Altersvermögensgesetzes wurde das Wohneigentum als Form der Altersvorsorge anerkannt und für das selbstgenutzte Wohneigentum ein Entnahmemodell zur Finanzierung von Wohneigentum mit einer späteren Rückzahlungsverpflichtung gesetzlich verankert. Diese Regelung schränkt die Sparer in ihrer Entscheidungsfreiheit zu sehr ein. Sie widerspricht der Erfahrung, dass selbstgenutztes Wohneigentum die mit Abstand wichtigste Form der Alterssicherung ist. Für viele Kapitalanleger bleibt auch künftig die Vermögensanlage in Mietwohnungen und anderen Immobilien attraktiver als die Anlage in abstrakten Kapitalmarkttiteln. Deshalb sollte die Vermögensbildung in Immobilien den anderen Anlageformen gleichgestellt werden.

    • Das genossenschaftliche Wohnen und damit zugleich der Dauernutzungsvertrag, das lebenslange Dauernutzungsrecht und die eigentumsähnliche Wohnsicherheit nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Selbsthilfe müssen gestärkt werden. Einzelheiten zu dieser Reform werden dann entschieden, wenn die vom Bundesbauminister angekündigte Expertenkommission ihre Vorschläge dazu unterbreitet hat.

  • Grund- und Grunderwerbssteuer

Die Grundsteuer muss aktualisiert und modernisiert werden. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag einer reinen Bodenwertsteuer in seiner Praxistauglichkeit inzwischen vom Deutschen Institut für Urbanistik durch ein Planspiel nachgewiesen worden, so

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dass bei einer Reform dieses System ernsthaft in die Prüfung der Neuordnung einbezogen werden sollte.

Um die dringend erforderlichen Fusionen und Neuordnungen im Bereich der Wohnungswirtschaft zu ermöglichen, muss die Grunderwerbssteuer in den Fällen, wo sie sich heute als das wesentlichste Hemmnis darstellt, abgeschafft oder erlassen werden. Da es sich bei dieser Forderung um eine reine Landessteuer handelt, wird der Bund diese Maßnahmen unterstützen, der Appell zur Reform richtet sich jedoch an die Länder.

  • Kommunale Wohnungsunternehmen

Kommunale Wohnungsunternehmen, die heute aus Finanznot zunehmend von immer mehr Städten und Gemeinden verkauft werden sollen, müssen erhalten werden. Die sozial verträgliche Mieterprivatisierung kann ein Beitrag zur sozialen Stabilisierung der Quartiere und zur Stärkung der Eigenkapitalbildung der kommunalen Wohnungsunternehmen sein. Kommunale Wohnungsunternehmen sind und bleiben unverzichtbare Instrumente bei der Wohnraumversorgung des Teiles der Bevölkerung, der am Markt Probleme hat. Die Städte und Gemeinden brauchen diese Instrumente beim Stadtumbau, also der Stadtentwicklung, weil der Markt die damit verbundenen Prozesse allein nicht löst. Es sollte deshalb nichts unversucht bleiben, um kommunale Wohnungsunternehmen und ihre Bestände auf Dauer zu bewahren.

  • Nachhaltigkeit

Alle auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Maßnahmen wie Baulandmobilisierung, ökologisches Bauen, Revitalisierung von Brachflächen, kosten- und flächensparendes Bauen, müssen fortgeführt und intensiviert werden.

  • Mischfinanzierung

Die heutige Mischfinanzierung in der Städtebau- und Wohnungspolitik, das heißt die gemeinsame finanzielle Verantwortung des Bundes, der Länder und der Kommunen muss weiterentwickelt und

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fortgeführt werden, damit die unterschiedlichen lokalen Aufgaben des sozialen Wohnens und des notwendigen Stadtumbaus auch vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Steuerkraft der Länder erfüllt werden können.


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