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Staatsmodernisierung und Verwaltungsreform : Praxis, Pläne und Perspektiven / Otto Schily. - [Electronic ed.]. - Bonn, 2000. - 9 S. = 32 Kb, Text . - (FES-Analyse : Verwaltungspolitik)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






Staatsmodernisierung und Verwaltungsreform sind zwei Seiten einer Medaille. Pläne und Perspektiven für eine Reform der Verwaltung lassen sich sinnvoll nur entwickeln, wenn man sich zuvor über die Funktion des Staates, über seine Aufgaben und die Grenzen seines Handelns im Klaren geworden ist. Denn Verwaltung vollzieht das, was dem Staat an Aufgaben und Befugnissen obliegt. Und wenn grundlegende Veränderungen notwendig sind, dann muss sich Verwaltungsreform als integraler Bestandteil in die Staatsmodernisierung einfügen.

Diese Erkenntnis hat die Bundesregierung dazu veranlasst, der Staats- und Verwaltungsmodernisierung als Orientierungsrahmen das Leitbild des aktivierenden Staates voranzustellen. Mit ihm wird die Abkehr von einem Verständnis zum Ausdruck gebracht, das – trotz der Rhetorik vom schlanken Staat – zu einem stetig expandierenden Staat geführt hat. Staatliche Institutionen haben immer mehr Aufgaben an sich gezogen, die gesellschaftlichen Forderungen an den Staat sind immer weiter gewachsen. Der Staat fühlte sich verantwortlich und wurde verantwortlich gemacht – nicht nur für grundlegende individuelle und gesellschaftliche Risiken, sondern praktisch für jedes soziale, ökonomische und ökologische Problem. Der expandierende Wohlfahrtsstaat hat so mehr auf sich genommen, als er in angemessener Weise erfüllen konnte.

Dies hat erhebliche Folgen: Die rechtlichen und administrativen Instrumente staatlichen Handelns haben ihre Leistungsfähigkeit erreicht, nicht zuletzt weil die Lebenszusammenhänge immer komplexer werden. Sie entziehen sich zunehmend der Regelung mit den überkommenen Mitteln. Heute ist alles, was regelbar ist, auch rechtlich geregelt: Die Sicherheit von Kernkraftwerken mit der gleichen Leidenschaft wie die Anzahl und Aufstellweise von Waschbecken in Kindergärten. Diese Überregulierung hemmt nicht nur das staatliche Handeln, sondern auch individuelle und gesellschaftliche Selbstverantwortung.

Als Folge dieser Expansion ist die Handlungsfähigkeit des Staates auch an fiskalische Grenzen gestoßen. Höhere Ausgaben der öffentlichen Haushalte sind ökonomisch und politisch nicht vertretbar. Andere Länder, in Europa zum Beispiel Großbritannien und die Niederlande, darüber hinaus die USA, haben dies früher erkannt. Für die Bundesrepublik Deutschland haben wir im September letzten Jahres die politischen Konsequenzen gezogen. Das vom Bundeskabinett beschlossene Zukunftsprogramm sieht vor, dass die Ausgaben des Bundes in den nächsten vier Jahren um 150 Milliarden DM sinken werden. Das ist nötig, weil derzeit jede vierte Mark der Steuergelder für Zinsen ausgegeben wird. Wir stehen heute in Deutschland vor einem riesigen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM. Hierfür müssen wir allein dieses Jahr 82 Milliarden Mark Zinsen zahlen. Das sind 150.000 DM in der Minute. Zu unserem Konsolidierungskurs gibt es keine Alternative. Wichtig ist aber, dass wir die notwendigen Einsparungen zugleich als Chance zur Modernisierung begreifen und nutzen.

Das Leitbild des aktivierenden Staates gibt uns hierfür wesentliche Maximen an die Hand. Es will das Dilemma zwischen zu viel Aufgaben und zu wenig Ressourcen auflösen. Dabei ist es mit einem bloßen Rückzug des Staates aus der Verantwortung für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen nicht getan. Wo dieser Weg in der Vergangenheit beschritten wurde, stellt sich nunmehr heraus, dass der Staat seine Gestaltungsaufgabe viel stärker hätte wahrnehmen müssen. Dies wird gerade dort deutlich, wo Liberalisierungsentwicklungen auf den ersten Blick das Gegenteil vermuten ließen: So führt Privatisierung eben nicht stets zu Deregulierung, sondern zieht mitunter einen erheblichen Regelungsbedarf nach sich.

Demgegenüber geht das Leitbild des aktivierenden Staates von einem veränderten Staatsverständnis aus, dessen Grundlage eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft ist. Die Kurzformel hierfür lautet: Was die Gesellschaft genauso gut oder besser kann, als der Staat, das soll die Gesellschaft auch selbst tun. Es reflektiert die Erfahrung, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern eine große Bereitschaft zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung besteht, die es entsprechend zu fördern gilt. Dabei obliegt dem Staat auch weiterhin die umfassende Verantwortung für die staatlichen Kernaufgaben – dazu gehören unter anderem die Bereiche Justiz, Polizei und Finanzverwaltung. Daneben gibt es viele öffentliche Aufgaben, deren Wahrnehmung ebenso notwendig ist, deren Aufgabenerfüllung muss aber nicht unbedingt beim Staat selbst liegen muss. Auch für diesen Bereich bleibt der Staat verantwortlich, aber eben erst in zweiter Linie. Bildlich gesprochen sitzt er auf der Reservebank, solange das Spiel gut läuft; wenn aber nicht, muss er aufs Spielfeld. Diese neue Aufgabenteilung muss der Staat anregen und moderieren. Er muss die Bürgerinnen und Bürger unterstützen, er darf sie nicht bevormunden. Der aktivierende Staat muss sich so weit zurückhalten, dass sich Kreativität und Leistung frei entfalten können. Der Staat darf also nicht einfach weniger, sondern er muss anders werden.

Welche Aufgaben sich für eine Verlagerung vom Staat zu Wirtschaft und Gesellschaft eignen, muss politisch entschieden werden. Ein wichtiger Maßstab für diese Entscheidung ist dabei, dass die Belange des Gemeinwohls zwar teilbar sind, dass sie aber nicht notleidend werden dürfen. Deshalb wird es in einigen Bereichen notwendig sein, privates Engagement so zu moderieren, dass ungewollte Nebeneffekte vermieden werden. Die unterschiedlichen Aufgaben, die sich hieraus für den Staat ergeben, lassen sich am Beispiel der inneren Sicherheit erläutern. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Staat für diesen Bereich allein verantwortlich bleiben muss. Allerdings müssen neue Wege gefunden werden, das ständig wachsende private Sicherheitsgewerbe vom Kernbereich staatlicher Aufgabenerfüllung abzugrenzen. Hierzu gehört die Klarstellung, dass private Sicherheitsdienste keine polizeilichen Befugnisse haben, sondern nur die allen zustehenden Jedermannsrechte und die Selbsthilferechte, die ihnen von ihren Auftraggebern übertragen wurden. Da die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste die Grundrechte anderer berührt, müssen die Qualifikation der Beschäftigten und die kontinuierliche Überwachung ihrer Zuverlässigkeit gesetzlich festgelegt werden.

Verwaltungen wird ein großes Beharrungsvermögen nachgesagt. Sie brauchen starke Impulse, manchmal auch eine Krise, um vom Gang des Gewohnten abzuweichen. Die Krise ist die gegenwärtige Finanzsituation der öffentlichen Hände. An starken Impulsen hat es bisher offenbar gefehlt. Denn seit langer Zeit wird über die Notwendigkeit einer Modernisierung auf Bundesebene geredet. Viele Bücher und Gutachten wurden zu diesem Thema verfasst. Wirklich vorangekommen ist kaum etwas. Insofern gibt es kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. Bei der Regierungsübernahme im November 1998 haben wir in der Bundesverwaltung im wesentlichen traditionell geprägte, zum Teil verkrustete Strukturen vorgefunden. Der „schlanke Staat„ hatte sich auf Einsparungen durch Privatisierung konzentriert, ohne dass ein Gesamtkonzept erkennbar gewesen wäre. Verwaltungsabläufe wurden nicht genügend hinterfragt. Auch die Anregungen der Beschäftigten, Verwaltungsabläufe zu verbessern, wurden nicht aufgegriffen. Wir haben damit begonnen, dies zu ändern, und aufzuholen, was in der Vergangenheit versäumt wurde.

Diese Bestandsaufnahme muss zu einem programmatischen Ansatz führen. Die Stärke des Programms „Moderner Staat – Moderne Verwaltung„ liegt deshalb in seinem operativen Teil, mit dem klare Reformziele und konkrete Maßnahmen vorgegeben werden:

Hierzu gehört zunächst, dass die Verwaltung ihre Aufgaben in Zukunft unter Wettbewerbsbedingungen erfüllen muss.

Im 18. Jahrhundert informierte sich ein Tuchfabrikant in Brandenburg bei der Königlichen Preußischen Manufaktur über das Rechnungswesen und die Art und Weise, wie ein Wirtschaftsplan aufgestellt wird. Dass sich ein Unternehmer eine staatliche Einrichtung zum Vorbild nimmt, ist längst Geschichte. Der öffentlichen Verwaltung wird heute keine Vorreiterrolle mehr zugetraut. Ihr wird Ineffizienz vorgeworfen und vorgehalten, dass sie all das nicht mitbringt, was ein erfolgreiches Unternehmen in der Privatwirtschaft auszeichnet: Unternehmen müssen ständig Innovationen hervorbringen und in neue Produkte und Dienstleistungen umsetzen, damit sie im Wettbewerb überleben können. Sie sind gezwungen, Kosten zu reduzieren und Arbeitsabläufe zu optimieren, um einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu haben und ausreichend Gewinne zu erzielen. Die Mitarbeiter sind hoch motiviert und leisten ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg. Die öffentliche Verwaltung und ihre Mitarbeiter dagegen werden als mittelmäßig charakterisiert.

Wir wissen zwar, dass diese Gleichung nicht stimmt. Weder sind Unternehmen immer erfolgreich noch ist Verwaltung immer durchschnittlich. Dennoch wird es höchste Zeit, dass auf Bundesebene neue Instrumente des Finanz- und Rechnungswesens und ein umfassendes Controlling eingeführt werden. Hierdurch wollen wir wichtige Effizienzimpulse erzielen. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf einen verantwortlichen Umgang mit ihren Steuergeldern. Wir wollen einen Wettbewerb zwischen den Behörden in der Bundesverwaltung um beste Lösungen erreichen, um Stärken und Schwächen zu identifizieren und mögliche Effizienzreserven zu mobilisieren. Hierzu eignet sich insbesondere das Instrument des Benchmarking. Das Bundesinnenministerium hat damit begonnen, Vergleichskreise aufzubauen. Neben ressortinternen Vergleichen – z.B. im Bereich der Personalverwaltung – erfolgt gegenwärtig ein ressortübergreifendes Benchmarking zur Beihilfebearbeitung. Dieser Bereich eignet sich deshalb besonders gut, weil er einen relativ hohen Aufwand für die gesamte öffentliche Verwaltung mit sich bringt. Die Bearbeitung der Beihilfe wird in unterschiedlich großen Behörden miteinander verglichen. Voraussetzung war ein Kanon der erforderlichen Verwaltungsabläufe. Zeitliche, qualitative und kostenorientierte Standards und Kennzahlen wurden definiert. Außerdem erfolgt die Ermittlung der Kosten nach einem festgelegten Schema. Zurzeit werten das Bundesfinanz- und das Bundesinnenministerium die ersten Ergebnisse aus.

Der Vergleich als solcher ist nur der erste Schritt. Der Erfolg ist im Wesentlichen davon abhängig, dass in einem zweiten Schritt die Ursachen für unterschiedliche Ergebnisse aufgedeckt werden. Der dritte und entscheidende Schritt ist, diese Erkenntnisse auch umzusetzen. In einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess müssen Schwächen erkannt und durch Stärken ersetzt werden.

Ein solches umfassendes Qualitätsmanagement für die öffentliche Verwaltung kann einiges als Anregung von der Wirtschaft übernehmen. Ich möchte aber einschränkend darauf hinweisen, dass die Anwendbarkeit von Kosten-Leistungs-Rechnung und Benchmarking als Steuerungsinstrumente jedenfalls für die Ministerialverwaltung immer mit der gebotenen Sorgfalt überprüft werden muss: Politische Entscheidungen sind mitunter nur bedingt Produkte, die sich als Kostenfaktor in einer Verwaltung bewerten und verrechnen lassen.

Um die Vorhaben im Bereich der Binnenmodernisierung durchzusetzen, ist es erforderlich, alle Reformen im Dialog mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu entwickeln und umzusetzen. Der öffentliche Dienst hat ein beachtliches Leistungspotenzial. Es ist eine Frage der politischen und administrativen Führung, dieses Potenzial freizusetzen. Nötig ist aber auch ein Controllingsystem. Ich werde ein Controlling in meinem Ministerium auf der Leitungsebene ansiedeln. Es wird sich mit folgenden Aufgabenfeldern befassen: Aufgabenkritik, Aufbau- und Ablauforganisation, Personalbemessung, Dienstpostenbewertung. Denn in jeder Behörde – wie auch in jedem Unternehmen – gibt es Leerlauf. Wir müssen herausfinden, wo – und ihn beseitigen.

Ziel unseres Modernisierungsprogramms ist eine Verwaltung, die mehr leistet und weniger kostet. Um dies zu erreichen, sind wir auf motivierte Beschäftigte angewiesen. Sie sind Bedingung für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Eigenverantwortung und bessere Entwicklungsmöglichkeiten schaffen die Voraussetzungen, um das vorhandene Leistungspotenzial auch für die Modernisierung zu nutzen. Die Aufgabe des Bundes ist es, die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen auf dem Gebiet des Dienstrechts zu schaffen. Wir wollen mehr Spielraum für innovative, motivations- und leistungssteigernde Lösungen eröffnen. Die Bundesregierung wird im nächsten Jahr einen Erfahrungsbericht zu den status- und besoldungsrechtlichen Regelungen aus der vergangenen Legislaturperiode vorlegen. Dann können wir Aussagen zur Wirkung dieser Regelungen treffen, um weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf festzustellen. Einen solchen Handlungsbedarf sehe ich derzeit vor allem im Hinblick auf die Einführung von stärker leistungsorientierten Elementen in der Besoldung, der Vergabe von Führungspositionen auf Zeit sowie dem weiteren Ausbau der Teilzeitbeschäftigung. Schließlich sollen Experimentier- und Öffnungsklauseln in verschiedenen dienstrechtlichen Regelungen verankert werden, um auf diese Weise einzelnen Bundeseinrichtungen, aber auch Landes- und Kommunalverwaltungen mehr Spielraum für bessere und auch differenzierte Lösungen im Personalmanagement zu bieten.

Für eine leistungsstarke, kostengünstige und effiziente Verwaltung wollen wir auch die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnik nutzen. Eine Idee ist in diesem Zusammenhang, dass die Bürger in einer vernetzten Verwaltung nur noch eine Anlaufstelle benötigen. Das heißt: Die Informationen müssen „laufen„, nicht die Bürger. Unabhängig davon, welche Behörde für die Verwaltungsangelegenheit zuständig ist, soll das Anliegen über das Internet zur zuständigen Behörde gelangen und es soll verschiedene Zuständigkeiten miteinander verknüpfen. Denn Verwaltung muss sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten und nicht nur nach Zuständigkeiten.

Wir beginnen auf Bundesebene damit, ein entsprechendes Konzept im Sinne eines One-Stop-Government zu entwickeln und in einem Pilotverfahren zu testen. Wir beobachten dabei auch, was anderswo geschieht. So fördert die EU-Kommission mit drei Millionen Euro ein Pilotprojekt zur Einführung des Personalausweises auf Chipkarte. Damit ist die Voraussetzung geschaffen, um in einem Vorgang den Wohnort und die Autozulassung ab- und anzumelden und das Sozialversicherungssystem zu wechseln. An dem Projekt sind aus Deutschland die Universitäten Köln und Rostock sowie die Stadtverwaltung Köln beteiligt.

In Finnland, wo mehr als 80 Prozent der Haushalte einen Internet-Zugang haben, verpflichtet ein neues Gesetz alle staatlichen Behörden, bis Ende des Jahres 2001 alle Dienstleistungen per Internet anzubieten. Soweit werden wir in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt nicht kommen.

Die Möglichkeiten des Electronic Government werden dennoch davon abhängen, dass die Nutzung des Internets auch in Deutschland bei deutlich mehr Menschen zur Alltagserfahrung wird. Dies zu erreichen ist eines der Ziele der Initiative „Deutschland 21 – Aufbruch ins Informationszeitalter„. Über 70 Unternehmen tragen gemeinsam mit der Bundesregierung dazu bei, dass Deutschland den Übergang in die Informationsgesellschaft verwirklicht. Noch zählt Deutschland international nicht zu den Spitzenreitern bei der Anwendung neuer Medien. So ist gemessen an der Bevölkerungsgröße die Zahl der Internet-Anschlüsse in den USA dreimal so hoch. Dem entsprechend ist die volkswirtschaftliche Bedeutung der Informations- und Kommunikationsbranche in den USA deutlich größer: Während sie in den USA 1998 7,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrug, waren es in Deutschland nur 4,5 Prozent. Ich nenne ein weiteres Beispiel aus dem europäischen Vergleich: In den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Norwegen sind 9 Prozent der Beschäftigten in der Informations- und Kommunikationsbranche tätig, in Deutschland sind es 5 Prozent. Das wollen wir ändern, und zwar gemeinsam mit den Unternehmen. Das Programm zeigt bereits erste Erfolge. So hat eine Vielzahl von Einzelinitiativen und Projekten begonnen, z.B. die frühzeitige Förderung von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit den neuen Medien. Als besonderer Erfolg ist die Ankündigung von Ron Sommer zu werten, alle Schulen in Deutschland kostenlos mit einem Internet-Zugang auszustatten. So wird es uns gelingen, den Zugang zu neuen Medien zu verbreitern, innovative Arbeitsplätze zu fördern und die europäische und internationale Zusammenarbeit zu verstärken.

Mit der Modernisierung von Staat und Verwaltung verfolgen wir ein gesamtpolitisches Anliegen. Nicht nur die Binnenstrukturen der Verwaltung müssen geändert werden, sondern auch das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern. Auf der Ebene des Bundes fehlt es, abgesehen von Einzelfällen wie der Arbeitsverwaltung, an einem unmittelbaren Verwaltungskontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern. Stattdessen muss der Bund auf einer anderen Handlungsebene aktiv werden. Er ist als Gesetzgeber dafür zuständig, die rechtlichen Rahmenbedingungen für mehr Bürgerorientierung und Bürgernähe sowie für ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zu schaffen.

Das Bundesministerium des Innern wird bis zum Jahr 2001 den Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz vorlegen. Die Bürgerinnen und Bürger haben dann unter Beachtung des Datenschutzes einen leichteren Zugang zu Behördeninformationen. Dies ist Voraussetzung für einen aufgaben- und verantwortungsteilenden Staat.

In meinem Haus wird des Weiteren überprüft, inwiefern moderne rechtliche Rahmenbedingungen für kooperative Vertragsverhältnisse geschaffen werden müssen. Der Verwaltung steht für die Kooperation mit Privaten derzeit nur der öffentlich-rechtliche Vertrag zur Verfügung. Für eine weiterführende Zusammenarbeit und die Gestaltung einer neuen Verantwortungsteilung ist dies nicht mehr ausreichend. Deshalb wird zu entscheiden sein, ob für die Ausgestaltung von Kooperationsbeziehungen im Sinne einer Public Private Partnership taugliche Vertragstypen und Vertragsklauseln im Verwaltungsverfahrensrecht verankert werden müssen.

Hierfür sind die Bereiche zu bestimmen, in denen Public Private Partnership sinnvoll und förderlich ist. Wir müssen die öffentlichen Aufgaben identifizieren, die zwar nicht unbedingt vom Staat selbst wahrgenommen werden müssen, deren Erfüllung aber dennoch gesichert sein muss.

Die EXPO 2000 in Hannover, der geplante neue Flughafen in Berlin-Brandenburg, das Schwerter Modell der Abwasserentsorgung, die bauliche Neugestaltung des Westufers in Frankfurt am Main, der Wiederaufbau der Kasseler Unterneustadt, der neue Bahnhof in Stuttgart, die Internationale Bauausstellung Emscher Park in Nordrhein-Westfalen, aber auch die Universität Witten/Herdecke haben bei aller Unterschiedlichkeit der Projekte eines gemeinsam: Sie beruhen auf einer öffentlich-privaten Zusammenarbeit, auf einer Public Private Partnership.

Was ist der Reiz an dieser Form der Kooperation? Alfred Herrhausen hat hierauf in einer Diskussion um die Gründung der Universität Witten/Herdecke eine sehr treffende Antwort gegeben: Die Deutsche Bank sei selbstverständlich in der Lage, aus eigener Kraft eine Universität zu gründen. Aber dann, so sein eigener Einwand, werde hieraus schließlich in fünf Jahren doch wieder eine Bank.

Public Private Partnership kann zu einer konstruktiven Grundlage für ein neues Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft werden. Die Erfahrungen mit dieser Form der Kooperation zeigen uns aber auch: Sie bedürfen, um langfristig erfolgreich zu sein, einer soliden finanziellen Basis, kontinuierlicher politischer Unterstützung, aber eben auch adäquater, das heißt zukunftsgerichteter rechtlicher Rahmenbedingungen. Hierfür muss ein entsprechendes Verfahrensrecht sorgen und diesbezüglich sehe ich durchaus gesetzgeberischen Nachholbedarf. So geht das deutsche Verwaltungsverfahrensrecht auch dort, wo es Komponenten des privatrechtlichen Vertrages enthält, immer noch zu stark von einem subordinationsrechtlichen Verhältnis zwischen Staat und Privaten aus. Damit entspricht es gerade nicht den Anforderungen an Gleichberechtigung als Voraussetzung für Public Private Partnership. Insofern müssen wir deutlich mehr Phantasie entwickeln als bisher. So ist darüber nachzudenken, ob nicht die Instrumentarien, die sich in der Praxis entwickelt und bewährt haben, auch dort verbindlich vorzugeben sind, wo bisher auf sie verzichtet wurde. Ich denke da zum Beispiel an die gesetzliche Verankerung von Kooperationsgremien, wie wir das bereits aus dem Bereich der freien Wohlfahrtspflege kennen. Dort können dann alle maßgeblichen Interessen berücksichtigt werden.

Weil die Modernisierung auf Bundesebene in vielen Bereichen eine Gesetzgebungsaufgabe ist, lag es nahe, der höheren Wirksamkeit und Akzeptanz von Recht ein eigenes Handlungsfeld zu widmen.

Von Montesquieu ist der Satz überliefert: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.„ Ein auf den ersten Blick einfacher Grundsatz, der leider völlig in Vergessenheit geraten ist. Es darf nicht sein, dass die Zahl von Gesetzen und anderen Vorschriften ständig weiter anwächst. Das zu verhindern, wäre schon ein großer Erfolg. Darüber hinaus ist auch ein Abbau von Regelungen notwendig. Dieses Vorhaben ist sicher eines der schwierigsten unseres Modernisierungsprogramms. Wir überprüfen derzeit, welche strategischen Mittel sinnvoll sind, um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen.

So ist es ein guter Ansatz, neue Gesetze für eine begrenzte Zeit, also mit einem Verfallsdatum, zu beschließen. Wenn sie sich bewähren und weiter gelten sollen, wäre ein neuer Beschluss notwendig.

Für bessere Gesetze in ihrer Entstehung und vor allem in ihrer Wirkung wird das Bundesministerium des Innern ein Handbuch zur Gesetzesfolgenabschätzung erstellen. Mit dessen Hilfe kann die Notwendigkeit und die Wirkung einer Regelung besser erfasst und es können alternative Regelungsmöglichkeiten systematisch gegenübergestellt werden.

In einem weiteren Projekt werden anhand konkreter Fälle rechtliche Hemmnisse für neue Dienstleistungsbereiche ermittelt. Dies betrifft vor allem die Software-Branche, Mobilitätsdienstleistungen und die Energiewirtschaft. Dieses als Forschungskooperation angelegte Vorhaben werden wir in drei Schritten verwirklichen: Zunächst werden die einschlägigen rechtlichen Regelungen für die genannten Bereiche erfasst; z.B. im Wettbewerbsrecht, im gewerblichen Rechtsschutz, Haftungsrecht, Verbraucherschutzrecht oder Zulassungsrecht. Dann ist zu bestimmen, ob oder inwieweit sich aus den geltenden Regelungen Hemmnisse für Innovationen ergeben. Dies geht nur gemeinsam mit den Betroffenen. Ergebnis des Projektes werden schließlich Empfehlungen für die Abschaffung oder Änderung dieser Gesetze sein.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Projekt „Abbau von Bürokratie„ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Ziel ist es, den bürokratischen Aufwand zu verringern, den Unternehmen betreiben müssen, um gesetzliche Vorgaben im Steuerrecht, Baurecht oder Sozialrecht zu erfüllen. Bürokratieabbau muss bei den Gesetzen selbst und ihrem Vollzug anfangen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat deshalb eine Anlaufstelle für Unternehmen eingerichtet. Dort werden konkrete Anliegen gesammelt und ermittelt, „wo der Schuh drückt„. Bis zum Ende des Jahres sollen dann konkrete Handlungsvorschläge erarbeitet und anschließend durch gesetzliche oder verwaltungspraktische Änderungen umgesetzt werden. Unser Ziel ist, die Kommunikation zwischen Unternehmen und Verwaltungen zu vereinfachen. Das betrifft z.B. das Formularwesen und die Bescheinigungspflichten für Krankenkassen, Kommunen oder für die Arbeitsverwaltung.

Das Recht hat zwar quantitativ stark zugenommen – der Bundestag hat zwischen 1989 und 1999 genauso viele Gesetze beschlossen wie in den 40 Jahren zuvor – qualitativ hat es aber an Stringenz und Zugkraft verloren. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, jeden nur denkbaren Einzelfall regeln zu können und zu müssen. Bei einer immer komplexeren Lebenswirklichkeit mit immer schnelleren Veränderungen ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Sehr viel stärker müssen wir wieder darauf achten, dass Gesetze abstrakt-generelle Regelungen sein sollen und erst ihre Anwendung den Einzelfall erfasst. Dies verlangt ein Umdenken bei denen, die Gesetze machen, bei der Verwaltung, die sie vollzieht, den Gerichten und nicht zuletzt bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst.

Auch gegenüber den anderen staatlichen Ebenen ist ein Umdenken nötig. Die Modernisierung von Staat und Verwaltung kann in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland nur dann nachhaltig gelingen, wenn auch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in den Blick genommen wird. Die Länder fordern vom Bund einen größeren Entscheidungsfreiraum bei der Erfüllung ihrer staatlichen Aufgaben. Die Bundesregierung unterstützt diese Forderung. Wir werden bundesrechtliche Vorgaben abbauen, die selbstverantwortliches Handeln der Länder behindern.

Der Bundestag hat am 24. Februar dieses Jahres das Gesetz zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern beschlossen. Der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf sieht vor, dass bundesgesetzliche Zuständigkeitsfestlegungen aufgehoben werden, so dass die Länder in verschiedenen Verwaltungsbereichen zukünftig selbst entscheiden können, welche Ebene ihrer Verwaltungsorganisation bestimmte Aufgaben wahrnehmen soll. Dies betrifft etwa die Frage, ob für die Errichtung von Meisterprüfungsausschüssen wirklich die höheren Landesbehörden zuständig sein müssen oder ob diese Aufgabe nicht auch von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts übernommen werden kann. Weiterhin wird künftig die örtliche Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfe nicht zwingend bei den Kreisen bzw. kreisfreien Städten, sondern kann auch bei den Gemeinden liegen.

Die aktuelle Diskussion zeigt, dass neue Denkansätze im Verhältnis zwischen Bund und Ländern auch beim Vorschriftenvollzug notwendig sind. So ist es möglich, auf die Festlegung einer bestimmten Landesbehörde durch den Bund vollständig zu verzichten und es den Ländern durch Öffnungsklauseln zu ermöglichen, die zuständigen Behörden selbst festzulegen. So muss zum Beispiel die Landeszuständigkeit für das Verbot von Vereinen nicht bei den Landesministerien liegen, um Ihnen ein Beispiel aus dem Geschäftsbereich der Innenministerien zu nennen.

Abgesehen von diesem aktuellen Gesetzgebungsverfahren prüft die Bundesregierung auf Vorschlag der Ministerpräsidentenkonferenz 183 Zuständigkeitsregelungen mit dem Ziel, den Reformbemühungen der Länder entgegenzukommen. Mit einem konkreten Ergebnis ist in wenigen Wochen zu rechnen. Bereits jetzt hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, mehr als 100 dieser Vorschläge zuzustimmen. Maßstab für die Entscheidung der Bundesregierung ist die Überzeugung, dass die Länder grundsätzlich eigenverantwortlich entscheiden können, welche Zuständigkeit eine sachgerechte Verwaltungspraxis gewährleistet.

Unser Programm zur Modernisierung von Staat und Verwaltung ist anspruchsvoll, aber realistisch. Seine Umsetzung ist keine leichte Aufgabe. Große Anstrengungen sind erforderlich, um voranzukommen. Ich hoffe, dass wir in dieser Legislaturperiode deutliche und erkennbare Erfolge erzielen werden.

Anmerkung

*Grundsatzreferat im „Gesprächskreis Strukturreform der öffentlichen Verwaltung" der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. März 2000 in Berlin


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