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Parteienzersplitterung und persönliches Regiment

„Wechsel" war denn auch das zentrale Motiv für viele ehemalige Rechtswähler, die aus Enttäuschung über Netanjahu jetzt für Barak stimmten. Seit seiner Wahl im Juni 1996 hatte Netanjahu den Archetypus eines manipulativen, konzeptionslos an der Macht hängenden und sich von Krise zu Krise hangelnden Politikers verkörpert, der in israelischen Zeitungen ungestraft als notorischer Lügner bezeichnet werden konnte. Demgegenüber stand der nicht gerade medienwirksame Barak für Gradlinigkeit und Ehrlichkeit – Werte, die in der israelischen Politik immer seltener und daher vom Wähler wieder mehr geschätzt werden. Ein weiterer Grund für Baraks Erfolg: die professionelle, nach SPD-Vorbild von einer ausgelagerten Zentrale gesteuerte Wahlkampagne, verbunden mit einer erfolgreichen Mobilisierung von zuletzt 18 000 Wahlhelfern in unabhängigen Bürgervereinigungen. Und schließlich war es Barak gegen heftigen Widerstand aus den eigenen Reihen gelungen, die in den Augen vieler Wähler das Establishment verkörpernde Arbeitspartei (Awoda) im breiteren Wahlbündnis „Ein Israel" aufgehen zu lassen. Diesem gehören außerdem die Gescher-Partei des früheren Außenministers David Levy und die gemäßigt-religiöse Meimad an, mit der Wähler aus den Reihen der sephardischen (orientalischen) Juden und der Orthodoxen angesprochen werden sollten. Wichtiger war jedoch, daß 94 Prozent der israelischen Araber und fast die Hälfte der russischen Neueinwanderer für Barak stimmten; beide Gruppen stellen jeweils etwa 15 Prozent der Wahlberechtigten, wobei die russischen Stimmen 1996 den Ausschlag für Netanjahus knappen Wahlsieg (50,4 %) über den damaligen Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres gegeben hatten.

Doch die kaum verhüllte Distanzierung Baraks von der eigenen Partei und der ganz auf ihn zugeschnittene Wahlkampf forderten ihren Preis, der sich am Ergebnis der gleichzeitig abgehaltenen Wahlen zum israelischen Parlament, der Knesset, ablesen läßt. Die Liste „Ein Israel" verlor acht Mandate gegenüber dem Ergebnis der Awoda von 1996; sie stellt nur noch 26 statt bisher 34 Abgeordnete (davon drei Sitze für die Bündnispartner Gescher und Meimad). Entsprechend gedämpft war der Jubel im Parteihauptquartier. Trotz des Wechsels, hatten doch viele verdiente Abgeordnete ihr Mandat verloren. Hinzu kommt, daß die Partei im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte, überdies hoch verschuldet ist und ganze Regional- und Lokalverbände brach liegen. Die Malaise der Linken wurde noch verstärkt durch den Triumph der ultra-religiösen und staatsfeindlichen Schas-Partei (Akronym für Thora-Wächter), die von 10 auf 17 Sitze zulegte. Da half es wenig, daß die anti-religiöse Schinui (Veränderung) von einem auf sechs Mandate kletterte und die links-liberale Meretz (Tatkraft) wenigstens einen Sitz mehr erhielt.

Sitzverteilung in der am 17. Mai 1999 gewählten Knesset

Partei

Mandate 1999

Mandate 1996

Ein Israel (soz.-dem. Wahlbündnis)

26

34 ( Awoda)

Likud (rechts-national)

19

22

Schas (sephardisch-ultra-religiös)

17

10

Meretz (links-liberal)

10

9

Yisrael Ba-Aliya (GUS-Einwanderer)

6

7

Zentrumspartei (Mordechai)

6

-

Shinui (anti-religiös)

6

1

Nationalreligiöse Partei

5

9

Vereinte Thora-Partei (ultra-orthodox)

5

4

Vereinigte Arabische Liste

5

4

Unser Haus Israel (rechtsextrem)

4

-

Nationale Einheit (nationalistisch)

4

2 (Moledet)

Hadasch (arab.-kommunistisch)

3

5

Ein Volk (Gewerkschafts-orientiert)

2

-

Balad (arabisch-national)

2

-

Daraus lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen:

Die Zersplitterung der israelischen Parteienlandschaft hat weiter zugenommen; statt elf sind jetzt fünfzehn Parteien in der Knesset vertreten. Dies liegt zum einen am absoluten Verhältniswahlsystem mit einer Sperrklausel von lediglich 1,5 Prozent, zum anderen aber an der Direktwahl des Ministerpräsidenten, mit der die Wähler ihrer nationalen Orientierung Ausdruck verleihen, während sie mit der zweiten Stimme ihren partikularistischen Interessen frönen können. So verfügten die beiden großen Parteien Awoda und Likud bis1996 über fast zwei Drittel der Mandate, jetzt sind es nur noch wenig mehr als ein Drittel.

Auch die Spaltung der israelischen Gesellschaft kommt im Wahlergebnis zum Ausdruck: Mitte-Links (56 Sitze) und Rechts-Religiös (54) halten sich praktisch die Balance; die arabischen Parteien (10) bilden das Zünglein an der Waage. Gravierender noch ist eine andere Gegenüberstellung: Schas und „Unser Haus Israel" haben mit einer gegen die grundlegenden demokratischen Institutionen gerichteten Kampagne über ein Sechstel aller Parlamentssitze gewonnen, während auf der anderen Seite militant säkulare Kräfte (Schinui, Yisrael Ba-Aliya, abgeschwächt auch Meretz und Zentrumspartei) auf fast ein Viertel kamen.

Jede denkbare Koalition muß deshalb mindestens sechs bis acht Parteien umfassen. Um die weitreichenden Probleme wie das Endstatus-Abkommen mit den Palästinensern, Verhandlungen mit Syrien und den Rückzug aus dem Libanon erfolgversprechend in Angriff nehmen zu können, strebte Barak deshalb in erster Linie eine breitere Regierungsgrundlage unter Einschluß von Teilen der Rechten und/oder der Religiösen an.

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Vorbild Jitzhak Rabin

Die Direktwahl des Ministerpräsidenten, deren Abschaffung schon Gegenstand eines Gesetzesvorhabens in der alten Knesset war, hat zwar zu einer Schwächung der großen Parteien geführt, gleichzeitig aber die Stellung des Ministerpräsidenten gestärkt. Dieser kann nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit gestürzt werden, während bei einer einfachen Mehrheit gegen ihn zugleich auch die Knesset aufgelöst würde – ein Selbstmordakt, den in der Regel nur wenige Abgeordnete begehen möchten. Dieses von einer wachsenden Zahl von Politikern als Unglück für die israelische Demokratie betrachtete System hat schon Netanjahu über viele Krisen und Pannen hinweg gerettet, und es kommt zweifellos den Ambitionen und dem Führungsstil Baraks entgegen. Schon als Oppositionsführer war der ehemalige Generalstabschef und kurzzeitige Innen- wie Außenminister in den eigenen Reihen wegen seiner einsamen Entschlüsse und der Nichtbeachtung von Parteiinstanzen kritisiert worden – ein Faktum, das sich aber im Wahlkampf auszahlte und das nicht zuletzt an Vorbilder aus anderen westlichen Sozialdemokratien erinnert.

Für die Beurteilung der zukünftigen israelischen Politik ist deshalb nicht nur die parteipolitische Zusammensetzung der neuen Regierung von Bedeutung, sondern vor allem auch die Persönlichkeit des Regierungschefs und seiner engsten Berater, die in vielen Fällen mehr Einfluß auf wichtige Entscheidungen haben können als manche Kabinettsmitglieder. Insbesondere im Hinblick auf den Friedensprozeß ist Baraks Ansehen als höchstdekorierter israelischer Offizier und als Anführer tollkühner Kommandounternehmen ein nicht zu unterschätzender Faktor; als Mr. Security wurde er im Wahlkampf bewußt in Anlehnung an den ermordeten Ministerpräsidenten Rabin dargestellt und von der Rabin-Witwe Lea mehrfach – zuletzt in der Wahlnacht – als würdiger Nachfolger ihres Mannes abgesegnet. Angesichts des in der israelischen Bevölkerung alles andere überragenden Themas „Sicherheit", wird dies gewiß bei den anstehenden, für viele Israelis schmerzhaften Entscheidungen über die Rückgabe von Land gegen Frieden, eine wichtige Rolle spielen. Schließlich hatte es selbst der originale Mr. Security – Jitzhak Rabin – nur mit Mühe geschafft, sein Volk zum Oslo-Frieden zu führen und mußte dies sogar mit dem Leben bezahlen.

Baraks militärischer Hintergrund und seine genaue Detailkenntnis in friedenspolitischen Angelegenheiten – so gehörte er als Stabschef zu den Chefunterhändlern mit Syrien – machen ihn andererseits zu einem harten Verhandlungspartner für die arabische Seite. Israels Sicherheitsinteressen genießen höchste Priorität bei Barak. An seiner Seite werden Männer stehen, die zum Großteil aus dem Sicherheitsapparat kommen: Danny Yatom, der Chef eines neu eingerichteten sicherheitspolitischen Koordinierungsrates war früher Leiter des Auslandsgeheimdienstes Mossad; Zvi Stauber, sein außenpolitischer Berater, ist Ex-General und war zuletzt Vizepräsident der Ben-Gurion-Universität in Beersheva; und Chaim Mendel Schaked, der Leiter seines Büros, hatte diese Funktion schon inne, als Barak noch Generalstabschef war. Die beiden bedeutendsten Zivilisten in seiner engsten Umgebung sind ausgewiesene Politprofis und fähige Manager: Jossi Kucik, der neue Leiter des Ministerpräsidenten-Amtes, war früher Staatssekretär im Finanzministerium, während Jitzhak Herzog, der neue Kabinetts-Sekretär, ein Sohn des verstorbenen Staatspräsidenten Chaim Herzog, mit seinen 41 Jahren als Hoffnungsträger der israelischen Politik gilt.

Neben einigen Schwergewichten im Kabinett werden es wohl vor allem diese Männer sein, die der israelischen Politik der kommenden Jahre und insbesondere deren friedenspolitischen Aspekten ihren Stempel aufdrücken werden. Über allem wird aber voraussichtlich eine Art „persönliches Regiment" von Ministerpräsident Barak stehen, obwohl oder vielleicht gerade weil die komplizierten Mechanismen einer heterogenen Koalition viel Kraft kosten werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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