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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:

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Zusammenfassung


  1. Das digitale Informations- und Kommunikationssystem (IuK-System) erfasst und durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche. Es bildet ein politisches Querschnittsthema, das zahlreiche traditionelle Politikfelder gleichzeitig betrifft. Die Vernetzung des IuK-Systems sowohl auf der technischen als auch auf der Anwendungs- und Wirkungsebene erfordert auch einen vernetzten politischen Denk- und Handlungsansatz.
    Die Wirklichkeit der politischen Strukturen in Deutschland ist jedoch nach wie vor orientiert an den Strukturen der analogen IuK-Welt, die nicht auf dem Prinzip der Vernetzung, sondern der Abgrenzung und Trennung („Säulenstruktur„) beruhen. Das Prinzip der Trennung spiegelt sich sowohl auf der Ebene der politischen und administrativen Zuständigkeiten als auch auf der inhaltlichen Ebene des Medienrechts selbst wider.

  2. Mit dem Übergang vom analogen zum digitalen IuK-System und der Ablösung der „Säulenstruktur„ durch eine „Netzstruktur„ wird diesem überkommenen Ordnungssystem die Grundlage entzogen. Die Dysfunktionalität zeigt sich zum einen auf dem Gebiet des Medienordnungsrechts, wo die Inhalts- und Formenvielfalt der vernetzten digitalen Welt einen wesentlich flexibleren Ordnungsrahmen erfordern, zum anderen auf der Regulierungsebene, wo das System der Zugangskontrolle durch Lizenzvergabe zunehmend durch ein eher marktwirtschaftlich geprägtes Regulierungssystem abgelöst wird, das auf Markt- und Zugangsöffnung durch Gewährleistung eines freien Wettbewerbs zielt.

  3. Die Zersplitterung der politischen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten unter den Bedingungen offener, globalisierter Märkte und einer enormen technisch-wirtschaftlichen Eigendynamik führt zu einer Schwächung der politischen Steuerungsmöglichkeiten dieser Entwicklung. Der Widerspruch zwischen den Realitäten des Mediensystems und den Anforderungen der Verfassungsrechtsprechung wird immer offenkundiger. Er zeigt sich besonders in der Medienpolitik der Länder, die bei der Regulierung des kommerziellen Sektors – nicht zuletzt bedingt durch die bestehende Standortkonkurrenz – das Marktgeschehen im Wesentlichen nur noch nachvollzieht.

  4. Die tiefgreifenden, alle gesellschaftlichen Bereiche betreffenden strukturellen Veränderungen als Folge der „digitalen Revolution„ werden von der breiten Öffentlichkeit bislang nur unzureichend wahrgenommen. Im Gegensatz zu anderen führenden Industrienationen, insbesondere den USA, sind diese technischen Entwicklungen und ihre gesell-

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    schaftlichen Folgen in Deutschland bislang kein Thema einer breiten öffentlichen Diskussion. Dieses Defizit wirkt sich nachteilig nicht nur auf die Akzeptanz der neuen IuK-Systeme, sondern auf die Innovationsbereitschaft unserer Gesellschaft insgesamt aus.

  5. Während seitens der Wirtschaft und der privaten Medienunternehmen, teilweise mit politischer Unterstützung aus Kreisen der EU, nachdrücklich eine grundlegende Reform unseres Medienregulierungssystems mit dem Ziel einer Deregulierung und zugleich einer Bündelung der Zuständigkeiten gefordert wird, ist auf der politischen Bühne derzeit wenig Bereitschaft zu grundlegenden Strukturänderungen zu erkennen, zumindest soweit sie mit einer Änderung der bestehenden Zuständigkeiten verbunden sind. Mögliche Reformüberlegungen beschränken sich auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern – sowohl auf der Ebene der Politik als auch auf der der administrativen Regulierung – durch Verfahren der gegenseitigen Abstimmung und Koordination von Planungs- und Entscheidungsprozessen. Hierauf zielt auch der Vorschlag zur Schaffung eines Kommunikationsrats von Bund und Ländern ab, der aus den Reihen der SPD in Bund und Ländern in die Diskussion gebracht wurde.

  6. Auch unter Beachtung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung gibt es durchaus Spielräume für eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die bislang noch weitgehend ungenutzt sind. Sie wahrzunehmen ist unter den Bedingungen eines vernetzten IuK-Systems die Voraussetzung dafür, dass die Politik handlungsfähig bleibt. Die Grenze der zulässigen Zusammenarbeit liegt dort, wo das materielle Letztentscheidungsrecht des jeweiligen Zuständigkeitsträgers in Frage gestellt und damit die Zuordnung der politischen bzw. rechtlichen Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern in ihren Kernbereichen verwischt wird.

  7. Vor diesem Hintergrund kommen unter den bestehenden verfassungsrechtlichen Bedingungen insbesondere folgende Ansatzpunkte für eine Reform des Regulierungssystems in Betracht:

    • Bündelung der Zuständigkeiten innerhalb der Länder- bzw. Bundesebene, z.B. durch Errichtung einer gemeinsamen Medienanstalt der Länder oder durch eine Zusammenlegung der wettbewerbsrechtlichen Aufsichtsfunktionen des Bundes im Bereich der Telekommunikation entweder beim Bundeskartellamt oder der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP).

    • Vernetzung von Regulierungsverfahren im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, insbesondere auf dem Wege der Organleihe, d.h. der Betrauung einer Behörde des Bundes mit Verwaltungsaufgaben der Länder und umgekehrt, wobei es maßgeblich darauf ankommt, dass das Letztentscheidungsrecht des jeweiligen Kompetenzträgers gewahrt bleibt. Eine entsprechende Zusammenarbeit empfiehlt sich vor allem im Bereich der medienrechtlichen bzw. wettbewerbsrechtlichen

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      Konzentrationskontrolle, wobei das Bundeskartellamt von den Ländern auch mit entscheidungsvorbereitenden Prüfungsfunktionen betraut werden könnte.

    • Gegenseitige Abstimmung und Koordinierung zwischen den Verwaltungsbehörden von Bund und Ländern, etwa im Rahmen von Verhaltensregelungen.

    • Koordinierung der Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern.

  8. Die übergreifende Klammer für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet des Kommunikationswesens könnte ein Kommunikationsrat bilden, der im Wesentlichen folgende Funktionen hätte:

    • Koordinierung politischer Planungs- und Gesetzgebungsprozesse,

    • Koordinierung, gegenseitige Abstimmung und Harmonisierung von administrativen Verfahrensabläufen und Entscheidungen,

    • Schaffung einer Plattform für den bereichsübergreifenden gesellschaftlichen Diskurs und die wissenschaftliche Politikberatung im Hinblick auf die Entwicklung des Kommunikationswesens und ihrer gesellschaftlichen Folgen.

  9. Der Kommunikationsrat sollte drei Ebenen umfassen: die politische Ebene, die administrative Ebene und die Ebene der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Beratung.

    • Das politische Gremium (der eigentliche Kommunikationsrat) bildet das zentrale Steuerungs- und Koordinierungsorgan für die politischen Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern bei allen mit Planung, Nutzung und Auswirkungen des IuK-Systems zusammenhängenden Grundsatzentscheidungen. Es sollte mit hochrangigen Vertretern der zuständigen Bundesressorts und der Landesregierungen besetzt werden.

    • Der Regulierungsrat ist für die Koordinierung von Entscheidungen und Verfahrensabläufen auf administrativer Ebene zuständig. Die Aufgabenschwerpunkte liegen zum einen in der Regulierung der Zulassung von Programmveranstaltern bzw. des Zugangs zu Übertragungsnetzen und technischen Plattformen; zum anderen im Bereich der Konzentrationskontrolle. Entsprechend diesen Aufgabenschwerpunkten sollten zwei Fachausschüsse gebildet werden: ein Ausschuss für Regulierungsfragen mit Vertretern der RegTP und der Landesmedienanstalten (KDLM) sowie ein Ausschuss für Konzentrationskontrolle mit Vertretern des Bundeskartellamtes, der RegTP und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK).

    • Die Aufgabe des wissenschaftlich-gesellschaftlichen Beirats liegt zum einen in der fachlichen Beratung der politischen und der administrativen Ebene, zum anderen in der Organisation eines öffentlichen Diskurses über Ziele, Chancen und Risiken des Ausbaus des IuK-Systems sowie über Fragen der Nutzung und ihrer Wirkungen.

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      Entsprechend diesen unterschiedlichen Aufgabenstellungen sollten zwei selbstständige, jedoch eng miteinander verknüpfte Gremien gebildet werden: ein Wissenschaftlicher Beirat mit Experten aus den relevanten Fachrichtungen sowie ein Gesellschaftlicher Beirat (Medienrat) aus möglichst kompetenten, angesehenen Repräsentanten der maßgeblichen gesellschaftlichen Bereiche und Gruppen. Die Mitglieder beider Gremien werden vom Kommunikationsrat berufen.

  10. Die Organisation und Koordinierung der Arbeit des Kommunikationsrats sowie des Beirats sollte einem ständigen Sekretariat übertragen werden. Als Rechtsgrundlage für die gesamte Konstruktion ist eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern erforderlich, die den Charakter einer Verwaltungsvereinbarung oder – falls ein stärkeres politisches Gewicht gewünscht ist – eines Staatsvertrags haben kann.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000

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