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Nachlassende Innovativität? Positionen und Argumente

Worum es geht

Produktinnovation: Deutschland muß als Hochkostenstandort seine internationale Wettbewerbsfähigkeit auf Innovativität gründen. Zu jeder Zeit muß ein hinreichend großer Teil der deutschen Produkte (Güter und Dienstleistungen) so geartet sein, daß er auf den international umkämpften Märkten eine „Innovativitätsprämie" in Form von relativ hohen Verkaufspreisen erzielt. Der dazu nötige Innovationsvorsprung vor der Mehrzahl der Konkurrenten muß ständig neu erkämpft werden.

Verfahrensinnovation: Mit ständig verbesserten Verfahren wird die Produktivität, aber auch die Qualität der Produkte gesteigert. So werden einerseits die Stückkosten trotz hoher Löhne etc. niedrig gehalten, andererseits die Grundlage für „Qualitätsprämien" auf den Märkten gelegt. Darüber hinaus sind innovative Verfahren selbst Produkte, die sich als „Hardware" und „Software" vermarkten lassen.

Position 1:

Die hohen Einkommen am Standort D sind in Gefahr, weil die deutschen Unternehmen nicht (mehr) innovativ genug sind.

In den Bereichen, in denen die „Innovativitätsprämien" von morgen vor allem zu verdienen sind, nämlich in der Hochtechnologie, ist Deutschland stark ins Hintertreffen geraten. Dies zeigt sich

  • in der Handelsbilanz, bei Hochtechnologie-Produkten: Sie ist gegenüber Japan und den USA stark negativ und selbst gegenüber der restlichen EU nur so eben ausgeglichen.

  • im Vergleich der Patente: Hier besteht eine hohe Überlegenheit der USA und Japans.

  • im Anteil der High-Tech-Produkte an den deutschen Exporten: Er ist in Deutschland deutlich geringer als in Japan.

  • in den deutschen Weltmarktanteilen: Sie liegen in fast allen wichtigen Hochtechnologie-Bereichen weit unter den amerikanischen und japanischen.

Deutschland läuft also Gefahr, sich zunehmend auf Preiskonkurrenz mit Niedrigkosten-Standorten einlassen zu müssen. Dies hat jedoch nichts mit Standortnachteilen im eigentlichen Sinn zu tun. Die Ursache für diese Entwicklung läßt sich in dem Wort „Management-Versagen" zusammenfassen. Es bezieht sich auf

  • Unternehmensstrategien: In bezug auf wichtige technologische Entwicklungen haben sich die deutschen Unternehmen von falschen Prognosen leiten lassen, die entsprechenden Marktperspektiven zu spät erkannt, die zugehörigen „Entwicklungskorridore" nicht rechtzeitig beschritten.

  • Unternehmensorganisation: Vor allem japanische Unternehmen haben Organisationsformen entwikkelt, die der Innovationshäufigkeit und dem Innovationstempo zuträglicher sind als die herkömmlichen Strukturen deutscher (und anderer westlicher) Unternehmen.

  • „Unternehmenskultur": Strukturen sind sowohl in etablierte Interessengeflechte als auch in eine Verhal-tensmuster-prägende Organisationskultur eingebettet. Deren Werte und Muster werden in der Regel nicht reflektiert. Um so mehr verfestigen sie dysfunktionale Strukturen. Deutsche Schwachstellen bestehen in den Aspekten:
    • Hierarchie vs. Team,
    • Kompetenzabgrenzung vs. horizontale Offenheit,
    • Regulierung vs. Experimentierfreudigkeit.

  • Kognitive Paradigmata: Die Erfolge der Vergangenheit sind der Einsicht in neuartige Anpassungsnotwendigkeiten eher abträglich. Der Vorwurf, viele deutsche Unternehmen seien träge geworden, spielt auf diesen Zusammenhang an. In der Tat sind viele deutsche Unternehmen im Kontext längst vergangener Innova-tionsparadigmen groß geworden.

    Die Versäumnisse der Vergangenheit sind den Unternehmen seit geraumer Zeit bewußt, neue Leitbilder weithin akzeptiert. Aber es läßt sich kaum vermeiden, daß vom Beginn des Umdenkens bis zur erfolgreichen Umsetzung - vor allem in funktionsfähige Organisationsformen - erhebliche Zeit vergeht. Wenn man davon ausgeht, daß sich strategische Fehler auch korrigieren lassen, besteht eigentlich kein Grund für langfristigen Pessimismus.

Fazit: Aus Fehlern lernen - und warten!

Position 2:

Es sind die Standortbedingungen in Deutschland, die der Innovativität der Unternehmen im Weg stehen.

  • Gesetzliche Restriktionen behindern und verzögern die Entwicklung und Einführung neuer Technologien.

  • Der Mangel an Wagniskapital erschwert technologieorientierte Unternehmensgründungen.

  • Technikfeindlichkeit in der Bevölkerung stellt eine umfassend negative Rahmenbedingung für zügigen technischen Fortschritt dar. Sie ist verantwortlich für direkte Widerstände gegen Innovationen sowie für generelles Desinteresse und mangelnde Unterstützung. Sie schlägt sich auch im Mangel an hochqualifiziertem Personal nieder.

Fazit: Gesetzliche Restriktionen lockern. Risikokapital fördern, mehr Technik in die Schulcurricula!

Dagegen: Der Vorwurf innovationsfeindlicher Rahmenbedingungen weist die Standortdebatte in die falsche Richtung.

Meinungsumfragen zur Technikakzeptanz zeigen, daß die Haltung gegenüber dem technischen Fortschritt insgesamt positiv ist und daß der Anteil der positiv Votierenden im Laufe der 80er Jahre zugenommen hat. Mit Technikfeindlichkeit ist eigentlich die Ablehnung von Industrieansiedlungen in der Nachbarschaft oder von ganz bestimmten Technologien (Gentechnologie, Kernenergie) bzw. von Produkten ohne offensichtlichen Nutzwert (z.B. BTX) gemeint.

Der Vorwurf gesetzlicher Restriktionen konzentriert sich bei näherem Hinsehen auf das (noch) relativ kleine Feld der Bio- und Gentechnologie. Selbst in diesem Bereich hat die deutsche Praxis auch ihre Vorzüge:
Zwar ist der Aufwand für eine Genehmigung vergleichsweise hoch, doch operieren die Unternehmen fortan in einem sicheren Umfeld (und nicht wie ihre US-Konkurrenten unter dem Damokles-Schwert drohender Schadenersatzansprüche).

Also: Energien nicht auf Nebenkriegsschauplätzen verzetteln!

Position 3:

Der deutschen High-Tech-Industrie fehlt die Einbindung in eine nationale strategische Gesamtorientierung.

Die deutsche Industriepolitik weist nicht die Markterfolgs-orientierte Zielstrebigkeit der japanischen Politik auf. Die Technologie-Förderung ist zu losgelöst vom internationalen Marktgeschehen und bildet eine eigene kleine Welt für sich. Die aufgewendeten Energien verpuffen deshalb relativ wirkungslos. Fehlentscheidungen werden nicht rasch genug revidiert. Jenseits der konkreten Förderprogramme gibt es keinen Mechanismus der gesamtstrategischen Orientierung für die Technologieentwicklung der Unternehmen.

In wichtigen Fällen schwächt der Staat den Konkurrenzdruck und damit den Leistungsdruck auf die (u.a. latent durch Staatsaufträge) geförderten Unternehmen ab. Auch dies unterscheidet sich eklatant von der japanischen Praxis.

Ein „industriepolitischer Dialog" mit dem Ziel, kollektiv technologische Entwicklungskorridore abzustecken, ist dazu angetan, den Unternehmen die Aufgabe zu erleichtern, sich auf unsichere Zukunftsmärkte einzustellen und darauf ihre eigenen Strategien auszurichten. Gleichzeitig wirkt er subtil verpflichtend, erschwert den Unternehmen das Ausweichen auf einfachere Betätigungsfelder mit sicheren Gewinnchancen. Es werden unternehmerische Energien mobilisiert und gebündelt.

Fazit: „Industriepolitischen Dialog" nach japanischem Vorbild etablieren! Mehrwettbewerb auf den staatlichen Beschaffungsmärkten !

Dagegen: Kollektive Richtungsvorgabe ist nicht, was die deutsche Industrie braucht.

Wenn der Grund für deutsche High-Tech-Schwäche in unternehmerischen Strategiedefiziten liegt, dann kann Industriepolitik diese nicht beheben. Voraussagen hinsichtlich zukünftiger Marktchancen werden dadurch nicht treffsicherer, daß sie in einem Konsensverfahren erzielt werden. Die Einbindung von Bürokraten in „industriepolitische Dialoge" stärkt außerdem die Tendenz, sich voluntaristisch über Marktsignale hinwegzusetzen und politischen Sanktionsmustern größeren Raum einzuräumen.

Also: Der industriepolitischen Versuchung widerstehen!

Position 4:

Unternehmen in Deutschland haben weniger Zugriff auf akademische Innovationspotentiale als in wichtigen Konkurrenzländern.

Ein großer Teil der beträchtlichen deutschen Forschungsanstrengungen auf technischem Gebiet geht der markttauglichen Innovation verloren. Ein wichtiger Grund hierfür ist der Mangel an breiten Kommunikationskanälen zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der Welt der Unternehmen. Die beiden Bereiche sind - im internationalen Vergleich betrachtet - relativ voneinander abgeschottet.

Fazit: Mehr tun für die Diffusion von technologischem Wissen!

Position 5:

Die einseitig auf Hochtechnologie ausgerichteten Indikatoren ergeben ein verzerrtes Bild von der Innovativitätsstärke der deutschen Wirtschaft.

Vielfach wird Innovativität mit Stärke im Hochtechnologie-Bereich, also bei Produkten mit hohem Forschungs- und Entwicklungsaufwand, gleichgesetzt. Gerade das deutsche Beispiel scheint jedoch darauf hinzudeuten, daß man hohe Einkommensprämien auf den international umkämpften Märkten auch durchaus in anderen Branchen erzielen kann. In der Mehrzahl der reichen Industrieländer, die ja alle Hochkosten-Standorte darstellen, macht „High-Tech" nur einen kleinen Teil der produzierten „tradables" (international gehandelten Güter und Dienstleistungen) aus. Offensichtlich gibt es auch noch andere Bereiche, in denen firmeneigene Erfahrungsvor-sprünge und standorteigene Logistikvorteile (aufgrund hoher Zulieferdichte, qualifizierter Arbeitskräfte etc.) Qualitäts- und Produktivitätsrenten sichern.

Bei der Einschätzung von lohnenden Innovationsfeldern sollte die - gegenwärtige und zukünftige - Größe der entsprechenden Märkte im Vordergrund stehen. In Abwandlung einer zugespitzten Formulierung aus der US-Standortdebatte muß man unter diesem Blickwinkel freilich zugestehen, daß Kompetenz in Mikrochips doch wichtiger ist als Kompetenz in Kartoffelchips.

Fazit: Mehr Gelassenheit beim High-Tech-Vergleich mit Japan und USA!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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