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5. Schlußfolgerungen für die Umsetzung

Angesichts der Dynamik der IuK-Märkte mit ihrer hohen Innovationsgeschwindigkeit und der sich auf lange Sicht abzeichnenden Breite und Tiefe (wenn letztere auch noch in weiten Bereichen gering ist) der Informatisierung und angesichts des Stellenwertes der Informatisierung in der modernen Wirtschafts-, Produktions- und Lebensweise ist es in jedem Fall zweckmäßig, den Ansatz der Werkstatt auch auf die Bereiche der IuK-Techniken anzuwenden und dafür auch politische Schlußfolgerungen zu formulieren. Geradezu unerläßlich aber wird ein solches Vorgehen, will man an die Ursachen der Umweltzerstörung in der industriellen und sonstigen Produktion einschließlich der Dienstleistungsproduktion und des dadurch bedingten Verkehrsaufkommens herankommen. Auch, um auf breiter Front die Produktion überhaupt ökologisch transparent zu machen, empfiehlt sich die Entwicklung von Produkten der Zukunft auf den verschiedenen Gebieten der IuK-Techniken.

Die hier skizzierten "Produkte der Zukunft" schaffen nicht nur Transparenz für die Verantwortlichen in den Betrieben, sondern auch für die betrieblichen Interessenvertretungen der Belegschaften, ansatzweise für Kunden und Lieferanten, auch für Umweltverbände, engagierte Bürger und Bürgerinnen und natürlich für den Staat, die Verwaltung und - last not least - die Parteien und Parlamente. Diese Produkte sind allerdings immaterielle Produkte. Sie fallen vor allem in Form der Software und in Form der komplexen Anwendungskonzepte an. Und bei diesen Anwendungskonzepten kommt der lange, mühselige, oft von Überraschungen (Termin- und Kostenüberschreitungen) geprägte Entwicklungs- und Implementierungsprozeß (betrieblicher Installationsprozeß) hinzu.

Auch kommen diese Produkte, wenn sie dann endlich implementiert sind, nie zur Ruhe: Sie müssen "gepflegt" (Daten- und Programmpflege), ergänzt, angepaßt, erweitert werden. Es handelt sich um nichtstabile Produkte, die ihre Eigenschaften und Potentiale erheblich verändern. Ihre ökologischen Auswirkungen können beträchtlich sein, ebenso ihr Potential für eine ökologische Bessergestaltung der Wirtschafts- und Produktionsweise in den Betrieben.

Das Potential im Haushalts- und Konsumbereich ist dagegen erheblich geringer, sollte aber dennoch wegen der Massenhaftigkeit des Einsatzes z.B. von Haushaltsgeräten und der damit verbundenen Umweltprobleme nicht vernachlässigt werden. In diesem Bereich wäre es denkbar, systematisch Neben- bzw. Abfallprodukte der betrieblichen Informatisierung bzw. der industriellen Automation zu nutzen, wie das teilweise bisher der Fall war, allerdings seltener mit vor allem umweltbezogenen Zielsetzungen.

Schließlich sind die Bereiche der IuK-Techniken auch deshalb interessant, weil es zahlreiche

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Ansätze politischer Einwirkung auf die Ausgestaltung geben kann. Das gilt trotz des partiellen Rückzugs des Staates aus z.B. der Infrastrukturpolitik, etwa im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte. Hauptsächliche Adressaten sind die für Systementwicklung und -anwendung Verantwortlichen sowohl in den Betrieben der Herstellerbereiche von Hardware und Software als auch der Anwenderbereiche - und das sind praktisch alle Betriebe und Unternehmen. Besonderes Augenmerk muß dabei auf die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gelegt werden: Sie haben häufig nicht die personellen und finanziellen Ressourcen, um die Ökologisierung über derartige "Produkte der Zukunft" voranzutreiben. Hier sind der Staat und die regionale Wirtschaftspolitik gefordert, mit sensiblen Ansätzen der Moderation, Koordination und Förderung den Prozeß der "ökologischen Informatisierung" zu unterstützen. In den Unternehmen müssen die für solche Projekte üblichen Strukturen gebildet werden.

In dem Maße, wie betriebliche Umweltinformationssysteme in den Betriebsablauf hineinwachsen, ist eine Professionalisierung der entsprechenden Tätigkeitsbereiche sinnvoll: "Informations-", "Innovations-" und "Umweltassistenten" können als neue Tätigkeitsbilder entstehen und für zusätzliche Beschäftigung sorgen. Zum weiteren Beschäftigungsbereich mit neuen Berufsbildern kann das Öko-Controlling werden. Neue Arbeitsfelder können an der Schnittstelle von Öko-Controlling und "realtechnischer" Forschung und Entwicklung entstehen, schließlich kann eine konsequente ökologische Informatisierung auch zu neuen Auftragsvolumina für die F&E-Abteilungen führen. Die mit dieser Beschäftigungsexpansion verbundenen Aufwendungen sind z.B. aus den Produktivitätsgewinnen finanzierbar, die durch die Informatisierung und ihre Effizienzsteigerungen und Einsparungen erzielt wurden. Für KMUs wären eventuell andere Fördermöglichkeiten, z.B. gezielte Lohnkostenzuschüsse, zu entwickeln. In den Betrieben können so "Umweltarbeitsplätze" entstehen, an denen Fachkräfte laufend die Daten und Informationen verarbeiten, analysieren, auswerten usw., die bei der routinemäßigen ökologischen Überwachung der Produktion und für die Vorbereitung von Standort- und Investitionsentscheidungen anfallen.

Wer im Betrieb für die "ökologische oder umweltorientierte Informatisierung" verantwortlich ist, hängt von der jeweiligen Organisation im Unternehmen ab. Da die "Ökologisierung der betrieblichen Informationswirtschaft" durch iuk-technische Produkte in der Regel in eine langfristige und umfassende Rahmenkonzeption für die iuk-technische Entwicklung des Unternehmens einbezogen sein muß, hier also eine "strategische" Grundsatzentscheidung getroffen wird, ist auch das Topmanagement gefordert. Darüber hinaus sind Adressaten in der staatlichen Wirtschaftspolitik zu suchen, die insbesondere die KMU wegen der nicht unbeträchtlichen finanziellen und organisatorischen Aufwendungen unterstützen muß. Geeignete Förderprogramme sind im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik zu entwickeln. Den Gewerkschaften kommt die Aufgabe der Aktivierung der betrieblichen Mitbestimmungsträger insbesondere im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung zur Ökologi-

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sierung der Unternehmensstrukturen zu. In den Gewerkschaften müssen Konzepte für eine "ökologische Mitbestimmung" auf allen Ebenen - vom Arbeitsplatz bis zur "Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat" und zum Arbeitsdirektor - entwickelt und mit den wirtschaftlichen und sozialen Mitbestimmungs-, Beratungs- und Informationsrechten verzahnt werden. Die "grüne Fraktion" in Gewerkschaften und Betriebsräten müßte allerdings, um eine solche betriebliche Politik fördern zu können, ein wesentlich pragmatischeres Verhältnis zu betrieblichen und marktwirtschaftlichen Gegebenheiten und Zwängen und auch zu neuen technischen Entwicklungen pflegen: Ausstiegs- und Wendeszenarien oder -phantasien gehen an den Verhältnissen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung und dem von ihnen ausgehenden Druck vorbei. Stattdessen müßte eine konsequente "ökologische Reform der Betriebsorganisation von innen und mit voller Nutzung moderner Technik" angestrebt werden.

Besondere Bedeutung kommt naturgemäß der Wissenschafts- und Forschungsförderung zu. Sowohl im Hardware- als auch im Software- und im Anwendungskonzeptbereich besteht nach wie vor erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Das gilt besonders für die Umweltinformatik, die sich wegen der spezifischen Datenstrukturen der von ihr erfaßten Objekte und der Komplexität ökologischer Probleme besonderen Herausforderungen bei der Erforschung der Methoden und der Entwicklung entsprechender Systeme gegenübersieht. Die Dominanz der Anwendungsprobleme erfordert eine besonders enge Kooperation von Betrieben und Forschungseinrichtungen.

Ein besonderes Augenmerk muß auf die Softwarepoduktion und deren Verallgemeinerung gerichtet werden. Dazu sind die Aus- und Weiterbildungskapazitäten an den Hoch- und Fachhochschulen, aber auch in den Anwenderbetrieben auszubauen. Auch hier kommen wichtige Aufgaben auf den Staat und die Parlamente zu: Es wäre insbesondere zu überlegen, ob die anstehende umfassende Reform des Hochschulsystems in einigen Schlüsselbereichen - Informatik, Betriebswirtschaft, technische Studiengänge - verstärkt für solche Ansätze der Ökologisierung bereits in der Ausbildung genutzt werden kann. Für die bereits heute notwendige nachholende Weiterbildung von Verantwortlichen und Fachkräften aus den Betrieben könnten Hochschuleinrichtungen herangezogen werden. Weitere Anstöße ergeben sich für "benachbarte" technische Bereiche: Sensor-, Aktor-, Mikrosystemtechnik, Maschinen- und Anlagenbau, Lagertechnik, Materialtechniken u.a. Einer der wichtigsten Effekte der "ökologischen Informatisierung" kann darin bestehen, daß durch die Gewinnung und Auswertung von umweltrelevanten Informationen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Betriebe ein vielfältig nutzbares Wissen für die zukünftige Orientierung von Forschung und Entwicklung entsteht. Das kann erheblich zur Verbesserung der Beschäftigungssituation nicht nur im F&E-Bereich, sondern auch in der sich daran anschließenden industriellen Produktion und in den damit verbundenen Dienstleistungen beitragen.

Die gute Position Deutschlands in der Umwelttechnikproduktion würde verstärkt und ausgebaut. Die Ökologisierung wesentlicher Teile der Softwareproduktion, die Erfor-

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schung, Entwicklung und Herstellung entsprechender Softwaresysteme und Anwendungskonzepte wie betriebliche Umweltinformationssysteme oder Öko-PPS könnte ebenfalls positive Beschäftigungseffekte und auch Markterschließungseffekte haben. Hierbei müßte die (bundes)staatliche Wirtschaftspolitik aktiv eingreifen: Sie müßte die internationale Vermarktung derartiger "Produkte der Zukunft" auf dem Gebiet der IuK-Techniken unterstützen. Das könnte übrigens ein nüchterner, unspektakulärer Beitrag der deutschen Wirtschaft und Politik zur Lösung globaler Umweltprobleme sein. Die "ökologische oder umweltorientierte Informatisierung" hat also den Zuschnitt einer Entwicklung, die, obschon ein Selbstläufer, vielfältiger öffentlicher Förderung bedarf. Dennoch muß das Schwergewicht der Entwicklung in den Betrieben liegen, und dort muß auch, schon wegen der notwendigen Verzahnung mit wirtschaftlichen Zielen, das letzte Wort zu sprechen sein.

Darüber hinaus ist der Aufbau und Ausbau von Beratungskapazitäten erforderlich. Das kann zusätzlich zu den bei Herstellung und Anwendung von Systemen der Umweltinformatik in den Anwendungsbetrieben entstehenden Arbeitsplätzen weitere Beschäftigungseffekte bringen. Die betriebsübergreifenden Aspekte der "Ökologisierung der Informationswirtschaft" können zu Existenzgründungen durch Hoch- und Fachhochschulabsolventen und durch im Zuge der Verschlankung "freigesetzte" Manager und Stabsspezialisten aus den Unternehmen beitragen. Einer der wichtigsten Effekte der "ökologischen Informatisierung" besteht in der Transparenz der Entscheidungen und der Sensibilisierung der Entscheidungsverantwortlichen auf allen Ebenen der Unternehmenshierarchie. Wenn allgemein im Betriebsprozess Transparenz im Hinblick auf ökologische Effekte aller möglichen betrieblichen Maßnahmen geschaffen wird, dann wird es immer schwieriger, gegen mögliche Verbesserungen in bezug auf diese ökologischen Effekte zu entscheiden, zumindest entsteht ein besonderer Legitimierungszwang. Allerdings taucht das Problem des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auf, das nur in einem sorgfältigen, nach allen Seiten verantwortungsvoll geführten Dialog mit der Wirtschaft gelöst werden kann.

Auch die Umweltverbände, Umweltbürgerinitiativen, sonstige ökologisch bewußte Gruppen und Personen müßten ein Interesse an mehr Transparenz bei umweltrelevanten Entscheidungen und Prozessen in den Betrieben haben. Es verwundert allerdings, daß der betriebliche Bereich und die sich hier abzeichnenden positiven Entwicklungsmöglichkeiten fast gar nicht ins Wahrnehmungsspektrum der Umweltbewegung eingegangen sind. Die öko-katastrophische Einstimmung in größeren Teilen der deutschen Öffentlichkeit hat anscheinend zu einem "Kaninchen-Schlange-Effekt" geführt: Gebannt starren große Teile der ökologisch sensibilisierten deutschen Öffentlichkeit auf die bevorstehende Klimakatastrophe, vergessen aber, daß ja durchaus einiges getan werden kann: die Einführung eines allgemeinen Tempolimits, das ausgerechnet Deutschland, größter europäischer CO2-Emittent, als einziges Land in Europa nicht kennt, oder die Realisierung der hier propagierten Nutzung der modernen IuK-Techniken zur Be-

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kämpfung der Umweltprobleme an einer ihrer Hauptursachen.

Angesichts des Potentials der Informatisierung für die Lösung von Umweltproblemen "an den Ursachen" und der damit möglichen Verbesserung der Beschäftigungssituation ist vielleicht die Zeit reif, um eine entsprechende Initiative politisch auf den Weg zu bringen. Zu einer solchen Initiative gehört eine Reihe von im einzelnen zu diskutierenden und auszufüllenden Punkten, wobei etliche dieser Punkte bereits mehr oder weniger entwickelt sind und teilweise auch schon praktiziert werden:

  • systematisches Abtasten des Bedarfs, aber auch der Widerstände bei entsprechenden Entwicklungen in der Wirtschaft
  • Entwicklung eines landesweiten betriebs- und branchenübergreifenden Dialogs über die Nutzung moderner IuK-Techniken für Umweltschutz, -forschung und -politik unter Einbeziehung der Umweltverbände und Bürgerinitiativen, der Wissenschaft und ihrer Organisationen sowie intermediärer Organisationen (Unternehmensverbände, IHK, RKW, Gewerkschaften) in diesen Dialog
  • Überlegungen über die Struktur einer Rahmengesetzgebung zum Aufbau eines ökologisch orientierten Informationswesens in den Betrieben (analog zur Entwicklung des industriellen Rechnungswesens und des Industriekontenrahmens, und in Fortführung der Öko-Audit-Verordnung)
  • Forschungsförderprogramme mit Schwerpunkt Softwareentwicklung und Standardisierung von Anwendungskonzepten auf verschiedenen Gebieten der Umweltinformatik
  • Aufbau von Informations- und Dokumentationssystemen zu den Methoden und Anwendungserfahrungen in der Umweltinformatik
  • Organisation und Förderung von betrieblichen Pilotprojekten, insbesondere im Bereich der KMU
  • spezialisierte (Teil)Studiengänge und -weiterbildungprogramme an Hoch- und Fachhochschulen
  • Schaffung von Einrichtungen zum systematischen Erfahrungsaustausch (im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik), vor allem für KMU
  • Aufarbeitung und Dokumentation der internationalen Fachdiskussion, z.B. in der Umweltinformatik
  • Umsetzung (u.a. Popularisierung) der Nutzung der IuK-Techniken für den Umweltschutz im außeruniversitären Bildungssystem.

Über diese Punkte hinaus sollte eine solche politische Initiative auch die Medien einbeziehen, um der etwas hilflosen öko-katastrophischen Stimmung in Deutschland entgegenzuwirken. Zentral bei einer solchen Initiative sollte das Bestreben sein, schnell und wirksam zu umweltpolitisch gewünschten Veränderungen in der Wirtschaft auf dem allein gangbaren konsensualen Wege zu kommen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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