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Perspektiven

Für welche der drei zu Beginn erwähnten Optionen sich die Staaten der Westlichen Hemisphäre letztendlich entscheiden, hängt vor allem davon ab, ob Bill Clinton in seiner zweiten Amtszeit bereit und in der Lage ist, bei der wachsenden wirtschaftlichen Integration des amerikanischen Kontinents eine Führungsrolle zu übernehmen. Grundvoraussetzung hierfür ist die Erneuerung der fast-track procedure, ohne die eine konsequente und kontinuierliche Freihandelspolitik nicht möglich ist. Nach den Worten des stellvertretenden Staatssekretärs für interamerikanische Angelegenheiten, Jeffrey Davidow, genießt fast-track für den wiedergewählten Präsidenten Bill Clinton höchste Priorität. Dabei steht für die Clinton-Administration der möglichst rasche NAFTA-Beitritt Chiles im Vordergrund. Ferner denkt man daran, im nächsten Jahr den Ländern der Karibik einige der Handelspräferenzen zu gewähren, die Mexiko unter NAFTA genießt. Vor allem die Karibik ist von durch NAFTA bewirkte Handelsumlenkungen betroffen, beispielsweise im Bekleidungssektor. Schließlich möchte die US-Regierung die Schaffung einer FTAA vorantreiben. Um die angestrebte fast-track procedure zu erlangen, muß die Clinton-Administration allerdings nicht nur den US-Kongreß, sondern auch die amerikanische Öffentlichkeit von den Vorteilen des Freihandels überzeugen.

Was das vorrangige Ziel des US-Regierung - den NAFTA-Beitritt Chiles - angeht, so haben sich die Aussichten in den vergangenen zwei Jahren keineswegs verbessert; eher haben sich die Umstände noch verschlechtert: Die Gewerkschaften sperren sich nach wie vor gegen eine NAFTA-Erweiterung, Präsident und Republikaner sind auch weiterhin über die Einbeziehung der Bereiche Umwelt und Arbeit in die fast-track procedure geteilter Meinung, und die amerikanische Öffentlichkeit zeigt momentan kein Interesse am Thema NAFTA-Erweiterung. Ob der Kongreß letztendlich dem NAFTA-Beitritt Chiles zustimmt, hängt zudem davon ab, welche Position die neugewählten Kongreßmitglieder, die freshmen, hierzu beziehen werden. Fest steht, daß die Vereinigten Staaten die gegenüber Lateinamerika verlorene handelspolitische Glaubwürdigkeit nur mit der Verwirklichung des seit langem zugesagten NAFTA-Beitritts Chiles zurückgewinnen können.

Während dem NAFTA-Beitritt somit in erster Linie eine handelspolitische Signalfunktion zukommt, bietet eine FTAA den USA vor allem wirtschaftliche Vorteile. Eine aktive Führungsrolle bei der Gestaltung einer künftigen FTAA würde die USA mit Blick auf zukünftige Märkte und Investitionen in Lateinamerika zweifellos in eine bessere Position gegenüber seinen Hauptrivalen EU und Japan versetzen. Dies könnte sich mittel- bis langfristig auszahlen: Innerhalb der nächsten 15 Jahre stehen auf dem lateinamerikanischen Subkontinent Investitionen in den Ausbau seiner Infrastruktur in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar an. Zudem bietet die relativ junge Bevölkerung Lateinamerikas - 35 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung sind jünger als 15 - mittel- bis langfristig vielversprechende Absatzmöglichkeiten. Schon heute ist Lateinamerika für die Vereinigten Staaten ein bedeutender Markt: Rund 15 Prozent der US-Ausfuhren gehen in die lateinamerikanische Region, womit Lateinamerika als Exportmarkt für die USA an dritter Stelle rangiert, hinter Kanada und der EU. Zudem zeigen die US-Ausfuhren nach Lateinamerika ein überdurchschnittliches Wachstum: Zwischen 1990 und 1995 sind sie um 82 Prozent auf fast 90 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Bei der Gestaltung einer künftigen FTAA haben die USA allerdings in den vergangenen zwei Jahren gegenüber Brasilien viel an Boden verloren. Scheitert die US-Regierung mit der fast-track procedure im Kongreß, wird ihr der in der Westlichen Hemisphäre zu beobachtende Integrationsprozess, dem sie seit Anfang der neunziger Jahre entscheidende Impulse gegeben hat, mehr und mehr aus den Händen gleiten. Hiervon würde hauptsächlich Brasilien profitieren, das die Integration Lateinamerikas nach seinen Vorstellungen weiter vorantreiben könnte. Für den MERCOSUR als Hauptgestalter einer künftigen FTAA sprechen sowohl sein geschlossenes Auftreten und abgestimmtes Agieren als auch seine bei der MERCOSUR-Erweiterung bewiesene Flexibilität, die vor allem in den mit Chile und Bolivien ausgehandelten Assoziationsabkommen zum Ausdruck kommt. Für die USA hingegen kommt hinsichtlich einer NAFTA-Erweiterung nach wie vor nur eine Vollmitgliedschaft in Frage. Die an den Tag gelegte Flexibilität des MERCOSUR könnte insbesondere die kleineren Länder Lateinamerikas dazu bewegen, eine schrittweise Annäherung an den MERCOSUR einer NAFTA-Vollmitgliedschaft vorzuziehen.

Der MERCOSUR strebt eine FTAA an, die weniger weitreichend ist als das NAFTA-Abkommen. Aufgrund seiner diversifizierten Außenhandelsstruktur und angesichts der Tatsache, daß die vier MERCOSUR-Staaten 54 Prozent des gesamten lateinamerikanischen BIP ausmachen, ist nicht zu erwarten, daß sich die Mitglieder des MERCOSUR bei Verhandlungen mit den NAFTA-Staaten in gleichem Maße Konzessionen abringen lassen wie Mexiko bei seinen Verhandlungen mit den USA. Ironischerweise sind die vier MERCOSUR-Staaten diejenigen Länder, die laut einer Studie von Erzan und Yeats aus dem Jahre 1992 von einem Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten die größten Exportsteigerungen zu erwarten haben.

So deutet aus heutiger Sicht vieles auf die in der Einleitung erläuterte dritte Option hin: eine Erweiterung und Vertiefung der Integration auf subregionaler Ebene mit NAFTA, MERCOSUR, Andengemeinschaft, Caribbean Community (CARICOM), Association of Caribbean States (ACS), möglicherweise die Bildung einer Südamerikanischen Freihandelszone (South American Free Trade Area, SAFTA) und gleichzeitig ein lockerer, den gesamten amerikanischen Kontinent umfassender Zusammenschluß zwischen diesen subregionalen Handelsgemeinschaften ähnlich dem EWR.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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