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Interessenlagen und internationale Zusammenarbeit

Aus dem Verlauf der Reformdiskussionen, sowohl bezüglich der Erweiterung des SR als auch der administrativen Reformen, wird deutlich, daß eine Reform der VN ohne die Unterstützung der USA undenkbar ist. Daher spielt der Blick auf die politischen Interessenlagen in den Vereinigten Staaten bei der Ausarbeitung von Reformvorschlägen oft eine ausschlaggebende Rolle. Mit ihrer starken Stellung im internationalen System als alleinige Supermacht haben die USA eine einzigartige Position gegenüber den VN und sind unumstritten die dominierende Kraft innerhalb der Weltorganisation. Hinter den Forderungen aus Washington nach mehr Kosteneffektivität der VN, mit denen sich die USA zum Antriebsmotor der Managementreform etabliert haben, stehen grundsätzliche Überlegungen über die Struktur des internationalen Systems und der Stellung, die die USA darin einnehmen.

Wenn Jesse Helms fordert, die VN sollten ihren Personalbestand um 50 Prozent reduzieren, dann geht es wohl eher um die Schwächung der VN als um Effizienzsteigerung. In der Konsequenz werden die Außenpolitiker der konservativen Kongreßmehrheit mit keiner VN-Reform zufrieden sein können, die zu einer höheren Effektivität und Relevanz der Organisation führt. Die Aktivitäten der VN im Bereich der sozio-ökonomischen Entwicklung werden von einigen Vertretern des politischen Establishments in Washington als ähnliches „Übel" wie staatliche Sozialhilfeprogramme angesehen und seien daher abzuschaffen. Ohne Frage spielen bei solchen Forderungen innenpolitische Überlegungen und eine gegenüber den Möglichkeiten von staatlichen Institutionen und Bürokratien traditionell skeptische politische Kultur in den USA eine wichtige Rolle. Bedeutender ist jedoch die daraus ersichtliche Abwendung vom Multilateralismus. Unilaterale Vorgehensweisen seitens der USA, wie sie beispielsweise bei der Erweiterung der G-7 und der NATO deutlich wurden, haben sich gehäuft.

Grundsätzlich stehen die USA also - grob vereinfacht - vor der Entscheidung, welcher außenpolitischen Leitlinie sie künftig folgen wollen. Dabei könnten sie entweder der Versuchung erliegen, mit den Mitteln der traditionellen Machtpolitik die Rolle eines „globalen Hegemons" anzustreben. Ein kraftloser Multilateralismus und eine geschwächte VN wären die Konsequenz einer solchen außenpolitischen Orientierung. Oder die USA könnten sich auf das liberale Konzept der Außenpolitik besinnen und ihre Führungsrolle in der Welt durch eine internationale Organisation wahrnehmen. Welche dieser Optionen die USA wählen werden, wird die Zukunft der VN entscheidend determinieren.

Anders als die USA haben die übrigen Mitgliedstaaten der VN keine unilaterale Option. Für die meisten Industrienationen besteht daher das grundsätzliche Interesse an der Stärkung multilateraler Strukturen und der Herausbildung einer funktionsfähigen kooperativen Weltordnung. Trotz der zunehmenden Einsicht, daß durch die wachsende Signifikanz internationaler Interdependenzen die Zusammenarbeit auf globaler Ebene immer wichtiger wird, ist das tatsächliche Engagement vieler Industrieländer in den VN allerdings oft nicht ausreichend.

Für die Entwicklungsländer waren die VN immer ein Hoffnungsträger. Obwohl diese Hoffnungen mehrfach enttäuscht wurden, bleiben die VN für die Interessen des Südens von essentieller Bedeutung. Als einzig echtes globales Forum bieten die VN die Möglichkeit, den Interessen der Entwicklungsländer Gehör zu verschaffen und Probleme von globalem Ausmaß zu diskutieren.

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Die deutsche Position

In einer im September 1997 - kurz vor Beginn der Generalversammlung der VN - veröffentlichten Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie über die wichtigsten Ziele der deutschen Außenpolitik rangierte eine Frage nach den VN und deren Einfluß am Ende des Katalogs und stieß auf das geringste Interesse. Deutschland ist zur Zeit, so die Schlußfolgerung der Befragung, " mit sich selbst beschäftigt ". Binnenprobleme spielen zur Zeit eine größere Rolle als die Pflege der Außenbeziehungen, und Regierung und Opposition tragen dieser Stimmung in der Bevölkerung ein Jahr vor den Bundestagswahlen Rechnung. Das allgemeine Interesse an den VN ist spürbar gering.

Auf 43 Seiten hat die Bundesregierung am 15. Januar 1997 auf eine Große Anfrage der Bundestagsfraktion der SPD zur Reform der VN geantwortet. In vielen Bereichen sind die Antworten eher vage und geben nur wenig Aufschluß, wie die VN institutionell gestärkt werden sollten.

Eine Ausnahme bildet die Reform des SR. In einem Statement vor Beginn der letztjährigen Generalversammlung hat UN-Botschafter Eitel die deutschen Vorstellungen dahingehend präzisiert, daß - bei einer Gesamtgröße von 24 Mitgliedern - der SR um fünf neue ständige Mitglieder erweitert werden sollte - neben Deutschland und Japan je ein Vertreter der drei Kontinente des Südens, wobei die Mitgliedschaft der letzteren regional rotieren könnte, sowie weitere 4 nichtständige Mitglieder. Das Entscheidungsverfahren sollte reformiert werden, womit eine Einschränkung des Vetorechts verbunden wäre, die für die P5 akzeptabel sein müßte, gleichzeitig aber einen Mehr-Klassen-SR verhindert. Neu ins Spiel gebracht wurde eine " periodische Überprüfungsklausel ", die eine Revision von Entscheidungen ermöglichen und damit signalisieren soll, daß eine Zustimmung zu dieser Zusammensetzung des SR nicht für die Ewigkeit gegeben wird.

Ob die diplomatischen Bemühungen der Bundesrepublik erfolgreich sein werden, diese Reformvorschläge auf absehbare Zeit zu realisieren, steht zu bezweifeln. Nichts deutet darauf hin, daß die P5 bereit seien, substantielle Änderungen ihres bisherigen Status’ hinzunehmen. Und die Chancen einer baldigen Regelung werden nicht eben dadurch verbessert, daß in der Bundesrepublik wie in anderen Ländern derzeit andere - vor allem innenpolitische - Prioritäten gesetzt werden.



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Perspektiven

Wer von den Reformvorschlägen Annans den „großen Wurf" erwartete, der alle strukturellen Defizite des VN-Systems eliminieren und die Weltorganisation einer grundlegenden Neugestaltung unterziehen würde, mußte enttäuscht werden. Enttäuscht werden mußten auch jene, die Erfolg nach „Wall-Street-Manier" definieren und Reformfortschritte an der Zahl der Entlassungen im VN-System festmachen. Angesichts des komplexen Interessengeflechts und dem massiven politischen Druck aus den USA, dem der Generalsekretär und seine Reformgruppe bei der Ausarbeitung des Reformprogramms gegenüberstanden, hat das Reformpaket überraschend klare Konsequenzen aus den diagnostizierten Strukturdefiziten im organisatorischen Bereich der VN gezogen. Obwohl die angekündigten Maßnahmen in einigen Details hinter die ursprünglichen Wunschvorstellungen des Generalsekretärs zurückfallen mußten, um verschiedene Interessen auszubalancieren, werden mit dem Reformpaket als Ganzes die entscheidenden Strukturveränderungen anvisiert, die der Weltorganisation zu einer größeren Relevanz auf der internationalen Bühne verhelfen könnten. Mit der Präsentation der Vorschläge fängt der Reformprozeß aber erst an.

Ob dieser Prozeß tatsächlich die Gestalt einer „stillen Revolution" annehmen wird, hängt in erster Linie von den Mitgliedstaaten der VN ab. Es besteht die Gefahr, daß das Reformpaket von der 52. Generalversammlung zerredet wird und ein Flickwerk statt eine in sich stimmige Reform zum Endergebnis hat. Einige der wichtigsten Reformschritte, wie der Verankerung eines neuen Haushaltsprinzips oder die Klärung der Beziehungen zwischen Sonderorganisationen und den VN-Programmen, können nur von der Generalversammlung bzw. den Mitgliedstaaten ergriffen werden.

Die eigentliche Problematik in der aktuellen wie auch in früheren Reformdebatten liegt im fehlenden Konsens unter den Mitgliedern der VN über die zukünftige Rolle der Weltorganisation im internationalen System. Sollen die VN künftig, wie von einflußreichen Kritikern in Washington gefordert, eine minimalistische Rolle spielen und lediglich eng begrenzte Servicefunktionen für ihre Mitglieder anbieten? Oder sollen die in der Charta der VN verankerten Zielsetzungen in den Bereichen der Friedens- und Sicherheitspolitik sowie – unter Anerkennung der entsprechenden Interdependenzen – der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verfolgt werden? Wird die letzte Frage positiv beantwortet, so muß die Weltorganisation auch mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Wie die Debatte über die VN-Finanzierung gezeigt hat, ist es fraglich, ob sich die Situation in absehbarer Zukunft entscheidend zum Besseren wenden wird. Solange diese Grundsatzfragen nicht gelöst sind, kann eine umfassende Reform nur schwer gelingen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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