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Ethnopolitische Stabilität

Politische Aktionen auf Handlungsfeldern wie der Sprachenpolitik, der Staatsbürgerschaftsregelung, der Kulturpolitik, der Rechtspolitik müssen in Ländern mit einem hohen Minderheitenanteil wie Kasachstan (54% der Bevölkerung sind Nicht-Kasachen) und Kirgistan in Hinsicht auf ihre ethnopolitische Wirkung bedacht werden, wenn sie Stabilitätsrisiken vermeiden wollen. Solche Risiken bestehen in der verstärkten Emigration von Minderheiten, darunter wirtschaftlich relevanter Bevölkerungsgruppen, in der Gefahr ethnischer Friktionen, die wiederum zwischenstaatliche Konflikte provozieren könnten. In ethnopolitischer Hinsicht müssen die Republikführungen in allen zentralasiatischen Staaten einen Balanceakt zwischen einer legitimen Selbstbestätigung des namengebenden "Staatsvolks" (nach der sowjetischen Terminologie: "Titularnation") und der Integration der "nichttitularen" Bevölkerungsgruppen in den unabhängig gewordenen Staat bewältigen. Mitunter nimmt ihre Politik eine Schlagseite in Richtung des "Titularnationalismus" an. Tendenzen einer Kasachisierung oder Usbekisierung spiegeln sich z.B. in der ethnischen Zusammensetzung der Machteliten und öffentlichen Verwaltungen wider. Hier nimmt der Anteil der Russen und Russischsprachigen beständig ab. Ein wesentliches ethnopolitisches Kriterium ist dabei die Sprachenpolitik. Hier kommt es darauf an, ob Regierungen bei der Durchsetzung der zu Staatssprachen erhobenen Nationalsprachen Augenmaß bewahren und den ethnischen Minderheiten genügend Zeit und Möglichkeiten für die Anpassung an neue sprachenpolitische Bedingungen geben.

Wenn man die Entwicklung im nachsowjetischen Zentralasien mit der Situation der Jahre 1989 und 1990 (blutige ethnische Konflikte zwischen Usbeken und einer türkischen Minderheit auf der usbekischen und zwischen Kirgisen und Usbeken auf der kirgisischen Seite des Fergana-Beckens) vergleicht, muß man den neuen Staaten in Zentralasien Erfolg bei der Wahrung ethnischen Friedens bestätigen. Es ist nicht zu den dramatischen interethnischen Konflikten gekommen, die den Kaukasus kennzeichnen und die anfangs auch für Zentralasien prognostiziert wurden. Aber beunruhigend bleibt die hohe Auswanderung der russischsprachigen Minderheiten aus Zentralasien. Sie ist ein Symptom für Stabilitätsprobleme der Region. Hierbei gilt es für westliche Analytiker allerdings, russische Angaben auf ihre Richtigkeit zu prüfen und zu bedenken, daß das Thema der Russen und Russischsprachigen "in der Diaspora" in Rußland hohe politische und emotionale Bedeutung hat. Wird in Rußland die Emigration der Russischsprachigen aus Zentralasien zumeist mit "ethnischer Diskriminierung" erklärt und als "Vertreibung" dargestellt, geben die dortigen Regierungen andere - vor allem sozialökonomische - Gründe als ausschlaggebend für die Auswanderungsentscheidung an. Zweifellos ist aber Zentralasien das größte Auswanderungsgebiet in der GUS. Wenn sich die Emigration seit 1996 auch verringert hat, bleibt doch zu erwarten, daß sie sich grundsätzlich fortsetzt und zu einer Veränderung der betreffenden Länder und ihrer Bevölkerungen führt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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