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Rettungsanker Privatisierungen

Wie auch immer die Wahl im Oktober ausgehen wird: Cardoso setzte darauf, daß die internationalen Finanzmärkte bis zu diesem Zeitpunkt ruhig bleiben würden, so daß Brasilien sein hohes Außendefizit ohne Probleme refinanzieren könnte.

Die Geschwindigkeit, mit der dieser Finanzierungsbedarf wuchs, hat allerdings Besorgnis in der Regierung ausgelöst. Allein zwischen 1996 und 1997 hat sich das Defizit in der Handelsbilanz mehr als verdoppelt, obwohl seit Beginn 1997 nicht nur eine konservative Geldpolitik verfolgt worden ist, sondern auch ein Kreditprogramm zur Finanzierung von Exporten aufgelegt wurde. Zudem wurde eine minimale reale Abwertung des Real von etwa 3 Prozent gegenüber dem US-Dollar realisiert.

Offiziell ist jedoch immer argumentiert worden, daß nicht die Höhe des Defizits, sondern vielmehr die Zusammensetzung der Finanzierung desselben entscheidend sei. Aus dieser Perspektive gesehen ist die performance des Landes durchaus vorteilhaft. Denn derzeit kann die Hälfte des Leistungsbilanzdefizits über Direktinvestitionen finanziert werden, so daß es nicht weiter ins Gewicht fallen müßte, daß im letzten Jahr mit 4,2 Prozent Außendefizit die ursprünglich angepeilte Obergrenze von drei Prozent des BIP deutlich überschritten worden ist. Zudem sind die Devisenreserven bei der Zentralbank hoch: Selbst nach den krisenbedingten Abflüssen im Oktober belaufen sich diese noch immer auf über 50 Mrd. US-Dollar.

Wer aber auf hohe Direktinvestitionen und Devisenvorräte hinweist, darf nicht verschweigen, daß gleichzeitig die Öffnung für internationales Kapital - und damit die Abhängigkeit von weiterhin stabilen Zuflüssen - gerade im letzten Jahr noch einmal deutlich gestiegen ist. Fast 120 Mrd. US-Dollar sind (brutto) 1997 nach Brasilien geflossen, immerhin 30 Prozent davon in der Form von hot money, von volativem Portfoliokapital. Die Rückübertragung von Gewinnen und Dividenden - die oft vergessene Kehrseite der ausländischen Direktinvestitionen - ist im Jahr 1997 auf über 5 Mrd. Dollar angestiegen, also auf ein Drittel der Neuinvestitionen.

Auch führt die harte Geldpolitik dazu, daß für brasilianische Unternehmen der Anreiz groß ist, sich im Ausland zu verschulden, wo Kredite deutlich günstiger zu haben sind. Die private Auslandsverschuldung hat sich zwischen 1992 und 1996 entsprechend verdoppelt auf US$ 82 Mrd. Der Anteil der kurzfristigen Verbindlichkeiten (Kredite mit Laufzeiten unter einem Jahr plus Zinszahlungen und Amortisationen) ist inzwischen schon auf 120 Prozent der Devisenreserven angestiegen; eine durchaus kritische Kennzahl. Und mit der aktuellen Hochzinspolitik ist der Anreiz zur privaten Fremdwährungsverschuldung noch einmal deutlich gestiegen. Aus diesen Kennzahlen, und angesichts des internationalen Klimas der Verunsicherung, ist die große Möglichkeit einer erneuten Währungsattacke abzulesen.

Auf diese Weise wird die Privatisierung großer Staatsunternehmen zum alles entscheidenden Trumpf Brasiliens, der in der jetzigen Lage noch einmal an Bedeutung gewonnen hat. Der in den letzten Monaten begonnene Verkauf des Energie- und des Telekommunikationssektors wird die Einnahmen der kommenden Monate und Jahre deutlich nach oben treiben; Spezialisten erwarten hieraus insgesamt Gewinne zwischen 50 und 90 Mrd. Dollar für die Zentralregierung und die Bundesstaaten.

Mit dem Verkauf von Staatsunternehmen ist ein ganzes Bündel von Zielen verbunden: Zum einen soll damit die Zeit bis zur Durchsetzung der großen Strukturreformen überbrückt werden; denn aus hohen privaten Investitionen in die Infrastruktur erhofft man sich bessere Produktionsbedingungen. Mindestens ebenso bedeutend ist die Beteiligung von ausländischen Käufern, weil sich auf diese Weise auch der Zufluß von dauerhaften Deviseneinnahmen erhöht; ein Drittel der Direktinvestitionen sind im letzten Jahr in Privatisierungen geflossen. Vor allem aber können mit den Privatisierungseinnahmen die öffentlichen Finanzen zumindest teilweise stabilisiert werden.

Laufende Ausgaben durch den Verkauf von Aktiva zu decken, ist natürlich eine schlechte Finanzpolitik, weshalb die brasilianische Regierung auch argumentiert, daß diese Einnahmen ausschließlich zur Reduzierung der Staatsschulden verwendet werden. Angesichts der aktuellen Geldpolitik wird dies jedoch zum aussichtslosen Rudern gegen den Strom: Schon vor der Verdoppelung des Zinsniveaus hat der Schuldendienst die Privatisierungen deutlich überschritten; und selbst bei einem deutlichen Ansteigen der Einnahmen aus Unternehmensverkäufen wird damit kaum mehr als der nun ebenfalls steigende laufende Schuldendienst zu decken sein. Von einem Abbau der Staatsschulden kann also trotz der Dimensionen des Privatisierungsprogramms kaum die Rede sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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