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Stimmen die Bedingungen für die EWU-Mitgliedschaft?

Im Maastrichter Vertrag von 1992 wurde vereinbart, daß sich künftige EWU-Mitglieder vorher in ihrer Wirtschaftspolitik an gemeinsame Stabilitätsstandards angenähert haben müssen. Für die Erfüllung dieser Konvergenz-Bedingung gelten folgende Kriterien:

  • Inflation höchstens 1,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten EU-Länder;
  • Langfristiger Zinssatz höchstens 2 Prozentpunkte über dem der drei preis stabilsten EU-Länder;
  • Jährliche Neuverschuldung des Staates höchstens 3 % des BIP;
  • Gesamte Staatsschuld höchstens 60 % des BIP;
  • Stabiler Wechselkurs innerhalb des Europäischen Währungssystems über die letzten 2 Jahre.

Position 1:

Die Maastrichter Konvergenzkriterien sind sowohl hinreichend als auch notwendig, um Preisstabilität m der EWU zu gewährleisten.

Preisstabilität wird im Prinzip von der politisch unabhängigen, auf Stabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank (EZB) gewährleistet. Wird die stabilitätsorientierte Geldpolitik aber mit inflationärer Lohn- und/oder Finanzpolitik konfrontiert, besteht die Gefahr, daß die EZB auf politischen Druck hin die Geldpolitik lockert. Deshalb muß stabilitätskonformes Verhalten des Staates und der Tarifpartner vorher verläßlich eingeübt sein. Die Maastrichter Kriterien stellen die Fähigkeit zu solchem Verhalten unter Beweis. Die einzelnen Grenzwerte sind zwar ökonomisch willkürlich, eine Lockerung würde jedoch den politischen „Übungserfolg" gefährden.

Fazit: An den Maastrichter Kriterien strikt festhalten, notfalls auch auf Kosten des Terminplans!

Position 2:

Die Maastrichter Beitrittsbedingungen sind nicht notwendig, um Preisstabilität in der EWU zu gewährleisten; denn sie verlangen unnötig viel Preis- und Währungsstabilität als Vorleistung,. Die Währungsunion selbst wird mit ihrer einheitlichen Geldpolitik Preisstabilität erzwingen.

In der EWU haben nationale Zentralbanken keine Möglichkeit mehr zu einer stabilitätswidrigen Geldpolitik. Außerdem kann sich kein Land mehr eine inflationäre Lohnentwicklung leisten, denn höhere Lohnstückkosten lassen sich nicht mehr durch eine Abwertung ausgleichen. Nationale Wechselkurse werden irrelevant, da es keine nationalen Währungen mehr geben wird.

Fazit: Die monetären Beitrittsbedingungen lockern!

Einwand: Ohne die vorherige Entwicklung stabilitätskonformer Institutionen sind inflationäre Länder mit den Verhaltensanforderungen der EWU überfordert. Gewerkschaften in geschützten Sektoren (z.B. öffentlicher Dienst) müssen keine Rücksicht auf Wettbewerbsfähigkeit nehmen.

Position 3:

Die Maastrichter Beitrittsbedingungen sind vielleicht nicht notwendig, um Preisstabilität zu gewährleisten, aber sie sind notwendig, um Preisstabilität mit anhaltendem Wirtschaftswachstum zu verbinden.

Preisstabilität mag von der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesetzt werden. Aber eine stabilitätsorientierte Geldpolitik hemmt das Wirtschaftswachstum, wenn sie nicht von der Fiskalpolitik und der Lohnpolitik unterstützt wird (Stabilisierungskrisen, hohe Zinsen!). Die Maastrichter Beitrittskriterien sind darauf angelegt, in allen Mitgliedsländern die entsprechende Haushalts- und Lohndisziplin einzuüben. So wird sichergestellt, daß die EZB nicht mit einer Hochzinspolitik inflationäre Tendenzen bekämpfen muß, sondern mit niedrigen Zinsen das Wachstum fördern kann.

Fazit: An den Maastrichter Kriterien festhalten!

Position 4:

Die Maastrichter Beitrittsbedingungen sind wichtig für Wirtschaftswachstum und Preisstabilität in der EWU: aber sie stellen nicht sicher, daß die Mitgliedsländer auch nach dem Beitritt eine solide Finanzpolitik betreiben.

Die EWU kann übermäßige Staatsdefizite ihrer Mitglieder nicht verhindern, wenn innenpolitischer Druck in Krisensituationen weder Ausgabenkürzungen noch Steuererhöhungen in hinreichendem Ausmaß zuläßt. Außerdem können die EZB-Vertreter aus Ländern mit schwach ausgeprägter „Stabilitätskultur" in Krisensituationen weniger Wert auf Preis Stabilität legen, zumal da anfangs noch fehlendes Vertrauenskapital von der EZB zunächst ein besonders restriktives Vorgehen zur Inflationsbekämpfung erfordern mag.

Fazit: Zusätzliche Sanktionen für Länder mit übermäßigem Haushaltsdefizit vereinbaren! Sanktionen vorsehen für EZB-Direktoren, die Inflation zulassen! Eine Währungsunion nur mit Ländern mit lang etablierter „Stabilitätskultur"!

Einwand: Gegen innenpolitischen Druck helfen formale Sanktionen nicht. Aber die EWU-Ökonomie macht unsolide Staatsfinanzen für Regierungen unattraktiv.

Position 5:

Haushaltskonsolidierung ist wichtig für anhaltendes Wirtschaftswachstum in einer preisstabilen EWU. Aber die Maastrichter Beitrittsbedingungen verlangen unnötig viel Konsolidierung als VorIeistung. Das Ziel ließe sich in der EWU viel leichter erreichen.

Wo die Wechselkursstabilität (ebenfalls eine Beitrittsbedingung) mit hohen Zinsen gegen die internationale Finanzspekulation verteidigt werden muß, werden dem Staat (Zins-)Ausgaben aufgebürdet, die in der EWU entfallen. In einer Rezession verschärft die forcierte Haushaltskonsolidierung den Wachstums- und Beschäftigungseinbruch und unterminiert damit den Konsolidierungserfolg. Sie gefährdet das Zustandekommen der Währungsunion. Die Übertretung der, notwendigerweise willkürlichen, Grenzwerte hingegen gefährdet Stabilität und Wachstum in der EWU nicht.

Fazit: Die finanzpolitischen Beitrittsbedingungen lockern, aber für ihre Erfüllung innerhalb der EWU sorgen! Auf strukturelle, nicht nominale Defizite abheben!

Einwand: Mag sein, daß sich die wünschenswerte Konvergenz leichter in der EWU erreichen läßt, aber der politische Druck zur Haushaltskonsolidierung würde ohne die strengen Beitrittsbedingungen nachlassen. Die Finanzmärkte würden mißtrauisch.

Position 6:

Die Maastrichter Konvergenzkriterien sind schädlich für die konjunkturelle Stabilität in der EWU; denn sie machen eine antizyklische Finanzpolitik unmöglich.

Dadurch, daß alle Mitgliedsländer auf eine permanente strikte Haushaltsdisziplin verpflichtet werden, entfällt die Möglichkeit, in einer Rezession privaten Nachfragerückgang durch ein erhöhtes öffentliches Defizit auszugleichen.

Fazit: Entweder mehr Flexibilität beim Haushaltsdefizit zulassen oder die Finanzpolitik zentralisieren!

Einwand: Gerade der Abbau der strukturellen Staatsdefizite macht antizyklische Finanzpolitik wieder möglich. 3 % Defizit lassen sich als Abweichungsgrenze für einen normal ausgeglichenen Haushalt konzipieren. Auch ohne EWU wäre dies ein erstrebenswertes Ziel.

Position 7:

Die Maastrichter Konvergenzkriterien mögen der Preisstabilität und dem Wachstum dienen. Aber sie lassen außer acht, daß die anhaltende Massenarbeitslosigkeit die Akzeptanz der Konvergenzpolitik im Vorfeld und innerhalb der EWU gefährdet.

Haushaltskonsolidierung á la Maastricht kann Rezessionen verstärken und den Konvergenzwillen von Regierungen politisch überfordern (Position 5). Aktive Arbeitsmarktpolitik kann den Beschäftigungstribut verringern und somit den Konvergenzprozeß politisch absichern.

Fazit: Flexiblere Fiskalkriterien! Die Beitrittsländer zu aktiver Beschäftigungspolitik verpflichten!

Position 8:

Die Maastrichter Beitrittsbedingungen mögen der Preisstabilität und dem Wachstum dienen. Aber sie schützen nicht gegen die Gefahr, daß ein einzelnes Mitgliedsland in eine Krise gerät und - ohne Abwertungsmöglichkeit - massive Arbeitslosigkeit bekommt, die die übrige EWU mit Migration und Ausgleichszahlungen belastet.

Die Maastrichter Kriterien richten sich alle auf Politikkonvergenz, aber nicht auf „reale" Konvergenz. Aber je unterschiedlicher die Wirtschafts- und Finanzstrukturen (reale Divergenz), desto wahrscheinlicher sind länderspezifische, für eine Währungsunion schwer verkraftbare Störungen. U.a. ist eine einheitliche Geldpolitik dann unangebracht.

Fazit: Eine Währungsunion nur zwischen Ländern mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur!

Einwand: Überflüssige Forderung; denn die reale Konvergenz ist zumindest unter den jetzigen Beitrittskandidaten zur EWU hoch. Die EWU selbst wird die Finanz Strukturen angleichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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