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[Essentials]

  • Der MERCOSUR hat in kürzester Zeit eine Freihandelszone und eine Zollunion geschaffen und ist damit zum viertgrößten Wirtschaftsblock der Welt aufgestiegen. Die vier Staaten repräsentieren 54 Prozent am lateinamerikanischen BIP (800 Milliarden Dollar), ein Drittel der Direktinvestitionen, das höchste Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas und 200 Millionen potentielle Konsumenten.
  • Entstehungsgeschichte und Zielsetzungen des MERCOSUR sprechen für ein neues, pragmatisches Integrationsmodell in Lateinamerika, das als Sprungbrett für eine konkurrenzfähige Weltmarktintegration im Sinne des offenen Regionalismus begriffen wird.
  • Ohne institutionelle Veränderungen und die Schaffung supranationaler Institutionen wird weder ein gemeinsamer Markt MERCOSUR noch eine "Andenerweiterung" möglich sein.
  • Die künftige Entwicklung des MERCOSUR ist in erster Linie vom Erfolg der gegenwärtigen wirtschaftlichen Reformprozesse in den einzelnen Ländern abhängig. Sollte z.B. die Rezession in Argentinien einen Domino-Effekt haben und werden die sozialen Defizite nicht korrigiert, besteht in den kommenden Jahren die Gefahr einer "MERCO-Sklerose".
  • Der MERCOSUR ist der erste Wirtschaftsblock außerhalb der europäischen Grenzen, der ein interregionales Rahmenabkommen mit der EU abgeschlossen hat. Das könnte der erste Schritt zu einer gemeinsamen Freihandelszone sein.


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[Einleitung]

War der Cono Sur, der Südkegel Lateinamerikas, noch Ende der 80er Jahre eine politische und wirtschaftliche Krisenregion, gilt er heute als vielversprechendster Wachstumsmarkt südlich der USA. Die bisherige Erfolgsstory des MERCOSUR (Mercado Común del Sur - Gemeinsamer Markt des Südens) scheint den traditionell schlechten Ruf der lateinamerikanischen Integration zu widerlegen: In einer Rekordzeit von fünf Jahren haben seine vier Mitgliedsstaaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay eine Freihandelszone und eine Zollunion verwirklicht. Damit gilt der 1991 gegründete MERCOSUR inzwischen als bedeutendster Integrationsraum in Lateinamerika. Mit einem Anteil von 54 Prozent am lateinamerikanischen Bruttoinlandsprodukt (800 Milliarden Dollar), einem Drittel der Direktinvestitionen, dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas und 200 Millionen potentieller Konsumenten ist der MERCOSUR nach der EU, NAFTA und dem AEAN inzwischen der viertstärkste Wirtschaftsblock der Welt. Diese erstaunliche Entwicklung wird vor allem in Europa wahrgenommen und genutzt: knapp die Hälfte der in Lateinamerika vertretenen Handelsunternehmen hat ihren Sitz im MERCOSUR, die europäischen Exporte nach Südamerika haben sich verdoppelt, und immer mehr Unternehmen setzen auf den neuen Markt, dessen Investitionsbedarf in den nächsten fünf Jahren allein im Bereich der Infrastruktur auf 20 Milliarden Dollar jährlich geschätzt wird.

Durch seine überraschende Anfangsdynamik übt der MERCOSUR eine starke Anziehungskraft auf andere südamerikanische Staaten aus, in erster Linie Chile und die Andenpaktstaaten, die bereits Interesse an einem künftigen Beitritt angemeldet haben. Sollte sich diese Annäherung vollziehen, wäre damit zwangsläufig eine Auflösung des 1969 entstandenen Andenpaktes verbunden. Ein ähnliches Schicksal könnte dem Gemeinsamen Zentralamerikanischen Markt zuteil werden, der seit über 40 Jahren praktisch nur noch auf dem Papier besteht und Gefahr läuft, langfristig von der 1994 gegründeten Assoziation der Karibischen Staaten, der alle mittelamerikanischen Länder angehören, verdrängt zu werden. Der MERCOSUR ist damit Teil eines umfassenden Neugestaltungsprozesses in der gesamten Region: Es werden neue Integrationsinitiativen ins Leben gerufen, die traditionellen Mechanismen lösen sich allmählich auf oder stehen vor einem radikalen Wandel, und in den letzten Jahren ist ein weitgespanntes Netz von bilateralen Handelsverträgen entstanden. Es ist allerdings noch zu früh, um ein klares Bild der lateinamerikanischen Integration zu entwerfen, da die meisten Staaten gleichzeitig mehreren Initiativen angehören, ohne bisher eindeutige Prioritäten zu setzen.

Daraus lassen sich drei mögliche Szenarien ableiten. Wenn die Andenpaktstaaten demnächst dem MERCOSUR beitreten, würde sich das Bild der lateinamerikanischen Integration grundlegend verändern: MERCOSUR wäre der zentrale Markt in Südamerika, NAFTA in Nordamerika. Sollte sich tatsächlich eine Trennung zwischen Nord- und Südamerika vollziehen, ist eine stärkere Anbindung des MERCOSUR an den europäischen Markt, zu dem er bereits heute als einziger lateinamerikanischer Partner privilegierte Beziehungen unterhält, sehr wahrscheinlich.

Ein zweites Szenario wäre die Entstehung einer Freihandelszone auf dem gesamten amerikanischen Kontinent bis zum Jahr 2005, wie auf dem Gipfeltreffen der amerikanischen Staatschefs 1994 in Miami vereinbart. Allerdings gibt es sowohl in den USA als auch in Lateinamerika einflußreiche Gegenkräfte, die einen solchen Schritt entschieden ablehnen. Vor allem Brasilien steht einer amerikanischen Freihandelszone aus Souveränitätsgründen äußerst skeptisch gegenüber und propagiert eine stärkere Integration der lateinamerikanischen Länder untereinander sowie eine Diversifizierung ihrer Handelsbeziehungen. Die Entscheidung über die Zukunft des Kontinents muß bald getroffen werden, da es im Kontext wachsender Spezialisierung auf dem Weltmarkt und unterschiedlicher Normen und Standards immer problematischer wird, gleichermaßen für den europäischen, asiatischen und US-Markt zu produzieren.

In diesem Zusammenhang ist ein drittes Szenario denkbar: Freihandel auf dem gesamten amerikanischen Kontinent (weicher Integrationskern) und gemeinsame Märkte auf subregionaler Ebene in Südamerika, in der Karibik und in Zentralamerika (harter Integrationskern). Unabhängig davon, welcher Trend sich im Endeffekt durchsetzen wird, sollte der MERCOSUR als ein integraler Bestandteil dieser neuen Tendenzen auf dem amerikanischen Kontinent betrachtet werden und nicht als unabhängiger Markt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

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