FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




7. Grenzüberschreitende Verwertung

Druck-Ausgabe: Seite 43

Produzent Multimedia hat herausgefunden, daß sein Produkt von einem Konkurrenten mit Sitz irgendwo im Ausland illegal über ein digitales Datennetz vermarktet wird. Wie kann er das unterbinden und Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen? An welches Gericht muß er sich wenden? Kann er auf deutsches Recht vertrauen? Und wenn er obsiegen sollte, was muß er tun, um das Urteil gegen den Verletzer mit Sitz im Ausland zu vollstrecken? Was nützt dem Produzenten Multimedia der schönste Schutz in den Gesetzbüchern, wenn es ihm letztlich nicht gelingt, erfolgreich gegen ausländische Verletzer vorzugehen?

Es ist gerade das Kennzeichen digitaler Verwertung, daß sie nicht mehr wie bislang weitgehend auf ein einzelnes nationales Territorium beschränkt bleibt, sondern in den meisten Fällen grenzüberschreitend erfolgt. Das traditionelle Urheberrecht geht jedoch nach wie vor von einem Nebeneinander - und damit bei grenzüberschreitenden Handlungen von einer Kumulation - gleichberechtigter nationaler Urheberrechtsordnungen aus. [Fn 63: Sog. Territorialitätsprinzip.]

Die Frage ist also zunächst, welches Recht im einzelnen auf eine grenzüberschreitende Verwertung Anwendung findet [Fn 64: Auch hier wiederum gilt, daß die rechtlichen Regeln, die bestimmen, welches nationale Recht zur Anwendung kommt (sog. internationales Privatrecht, IPR) selbst wiederum nur nationalen Charakter haben und daher von Land zu Land voneinander abweichen können.]
und ob diese Regeln auch im digitalen Bereich praxistauglich sind (7.l); sodann geht es um die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit im Verletzungsfall (7.2) und schließlich um die Schwierigkeiten, inländische Gerichtsentscheidungen im Ausland durchzusetzen (7.3).

Page Top

7.1 .Anwendbares Recht

Zunächst ist jeder Akt der Vervielfältigung dem Recht desjenigen Landes unterworfen, in dem die Vervielfältigung stattfindet. [Fn 65: Das ergibt sich aus dem Territorialitäts- sowie dem sog. Schutzlandprinzip, nach dem sich Inhalt und Umfang des Schutzes nach dem Recht desjenigen Landes bestimmen, für das um Schutz nachgesucht wird. Das muß nicht notwendig dasjenige Land sein, in dem auch Klage erhoben wird; hat etwa der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Land als dort, wo er die Verletzung begangen hat, und verklagt ihn der Verletzte im Wohnsitzland, so wird das dortige Gericht (zu dessen Zuständigkeit vgl. Ziff. 7.2) nach dem Schutzlandprinzip also das Recht desjenigen Staates anwenden, in dem die Verletzung stattgefunden hat.]
Das gilt für das Pressen von CD-ROM's in gleicher Weise wie für die Einspeisung eines Werkes in einen Computer und damit auch für das ablegen eines Werkes auf einem Server.

Im übrigen ist danach zu unterscheiden, ob ein Werk in digitaler Form offline verbreitet oder aber online zugänglich gemacht wird:

  • Beim grenzüberschreitenden Vertrieb von offline Medien (z.B. CD-ROM) sind die Rechte jedes einzelnen Staates einschlägig, in dem Exemplare des geschützten Werkes verbreitet werden. Der grenzüberschreitende Vertrieb von offline Medien unterscheidet sich in rechtlicher und auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht vom Vertrieb traditioneller analoger Werkexemplare (z.B. Bücher, Schallplatten u.a.). Auch hier können also die Herstellungs- und Vertriebsrechte für einzelne Länder getrennt vergeben werden; innerhalb der EU tritt mit dem ersten Inverkehrbringen der einzelnen Exemplare die sog. gemeinschaftsweite Erschöpfung des Verbreitungsrechts ein, d.h. die Exemplare können nach dem Inverkehrbringen innerhalb der Gemeinschaft frei zirkulieren. Insofern besteht für digitale Werkexemplare kein Handlungsbedarf.

Druck-Ausgabe: Seite 44

Abb. 7:
Legale und illegale grenzüberschreitende Werkverwertung: anwendbares Recht, Gerichtsstand, Urteilsvollstreckung?

  • Weniger klar ist die rechtliche Lage dagegen beim grenzüberschreitenden online Angebot geschützter Werke in digitalen Netzen. Streitig ist hier bereits, welches Recht bei einer traditionellen grenzüberschreitenden Mitteilung des Werkes an die Öffentlichkeit im Wege des Rundfunks zur Anwendung kommt. Nach einer Ansicht soll dies nur das Recht des Sendelandes sein, während die Rechte aller Empfangsländer unbeachtlich sind (sog. Sendelandtheorie); nach anderer Ansicht soll der Gesamtvorgang einer grenzüberschreitenden Sendung dem Urheberrecht nicht nur des Sende- sondern den Urheberrechten auch aller Empfangsländer genügen müssen (sog. Empfangslandtheorie). Damit sollen die Rechteinhaber davor geschützt werden, daß ihre Werke von einem Staat mit keinem oder mit einem nur geringen Schutzniveau aus gesendet werden und sie auf diese Wiese um die Früchte ihrer schöpferischen Arbeit gebracht werden. Die Empfangslandtheorie hat jedoch zur Folge, daß derjenige, der Werke grenzüberschreitend senden will, die Rechte für jedes einzelne Empfangsland erwerben muß; das wird allerdings wiederum nur dann zu einem Hindernis, wenn die Rechte in den einzelnen Ländern nicht mehr in der Hand des Urhebers bzw. ein und desselben Rechteinhabers vereint sind.

Für den Bereich der traditionellen Sendung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen hat die EU

Druck-Ausgabe: Seite 45

das Sendelandprinzip eingeführt. [Fn 66: Richtlinie 93/83/EWG zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. EG Nr. L 248 v. 6.10.1993, S. 15.]
Dies war jedoch nur unter der Bedingung möglich, daß hinsichtlich der dabei betroffenen Rechte der Urheber wie auch der Leistungsschutzberechtigten gemeinschaftsweit ein bestimmtes Mindestschutzniveau eingeführt wurde. Überdies haben Besonderheiten des Verkehrs mit Rechten an Filmen und Musikwerken die Entscheidung für das Sendelandprinzip erleichtert.

Aus diesen Gründen erscheint es zweifelhaft, ob das Sendelandprinzip in naher Zukunft auch auf das Zugänglichmachen und die Übermittlung geschützter Werke und Leistungen in digitalen Netzen übertragen werden kann. Letztlich setzte das einen weltweit - und weltweit bedeutet im digitalen Kontext tatsächlich in jedem Land - vereinheitlichten und in gleicher Weise wirksam durchgesetzten Urheberrechtsschutz voraus, eine Vorstellung, von der man trotz des TRIPS-Abkommens [Fn 67: Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trade Related Intellectual Property Aspects) vom 15.4.1994, BGBl. II S. 1730.]
auch mittelfristig nicht wird ausgehen können.

Die Lösung wird daher vermutlich in einem System subsidiärer Anknüpfungspunkte zu suchen sein, die ihren Ausgang beim Einspeisenden nehmen und dann sukzessiv an weitere, an der Übermittlung Beteiligte und deren Handlungsorte anknüpfen. Allerdings besteht das weitere Problem, daß sich Werke in digitalen Netzen angesichts ihrer Allgegenwärtigkeit gar nicht mehr eindeutig lokalisieren lassen. Hier stößt dann freilich jede Art der rechtlichen Kontrolle - selbst diejenige, die sich auf ein Ansetzen am Sendeland beschränken will - an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Hilfe wird hier wohl nur wiederum von der Technik selbst zu erwarten sein, sofern sie es in Zukunft ermöglichen wird, den Weg eines bestimmten geschützten Gegenstandes im Netz zu verfolgen und ggf. selbst einzelne Werke auf ihrem Weg im Netz anzuhalten. [Fn 68: Insofern werden hier von der Technik die gleichen Lösungen erwartet, deren es schon hinsichtlich einer wirksamen Durchsetzung der Rechte auf nationaler Ebene bedarf; vgl. Ziff. 4.7.]

Dennoch sollte den Fragen des auf die grenzüberschreitende online Übermittlung anwendbaren Rechts besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Page Top

7.2 Gerichtliche Zuständigkeit

Ein weiteres Problem besteht darin, in Fällen grenzüberschreitender Verletzung ein Gericht zu finden, daß sich international für zuständig erklärt, den Fall zu verhandeln und ggf. ein entsprechendes Urteil zu erlassen. Selbst wenn ein nationales Gericht nach dem anwendbaren nationalen Prozeßrecht zuständig ist, wird dieses Gericht in vielen Fällen jedoch nicht über den gesamten grenzüberschreitenden Sachverhalt, sondern vielmehr nur über den betreffenden nationalen Teil entscheiden.

Grundsätzlich gilt hier in den meisten Staaten die Regel, daß die Gerichte desjenigen Staates zuständig sind, in denen der Beklagte seinen Wohnsitz oder seine geschäftliche Niederlassung hat. Bei deliktischen Handlungen, zu denen auch Verletzungen des Urheberrechts zählen, sind darüber hinaus die Gerichte derjenigen Staaten zuständig, in denen der Erfolg der Rechtsverletzung eintritt. Bei Urheberrechtsverletzungen im Wege der Vervielfältigung sind dies der Staat, in dem die Vervielfältigungsstücke hergestellt worden sind (aber nur in bezug auf das Vervielfältigungsrecht), sowie diejenigen Staaten, in denen Vervielfältigungsstücke verbreitet worden sind (hinsichtlich des jeweiligen nationalen Verbreitungsrechts); dagegen kann in Staaten, in denen lediglich eine Durchfuhr stattfindet, in aller Regel kein gerichtliches Urteil erwirkt werden, auch wenn es sich eindeutig um rechtsverletzende Exemplare handelt. Bei Urheberrechtsverletzungen im Wege der Werkverbreitung durch digitale Netze sind nach den genannten Grundsätzen die Gerichte all derjenigen Staaten zuständig, in denen nach nationalem materiellem Recht das Recht der öffentlichen Wiedergabe verletzt ist; die unter Ziff. 7. l geschilderte Unsicherheit des auf die online Verbreitung anwendbaren Rechts wirkt sich also auch auf die internationale Zuständigkeit der Gerichte aus.

Druck-Ausgabe: Seite 46

Erklärt sich ein nationales Gericht danach für zuständig, so spricht es dem verletzten Rechteinhaber Schadensersatz für die gesamte Verletzung in der Regel nur dann zu, wenn es seine Zuständigkeit mit dem Wohnsitz des Beklagten begründet hat, d.h. wenn der Verletzer seinen Wohnsitz oder seine Niederlassung im Inland hat. In allen anderen Fällen, wird das nationale Gericht dem verletzten Rechtsinhaber lediglich den Teil des Schadens ersetzen, der auf das Staatsgebiet entfällt, in dem das Gericht seinen Sitz hat. Das gilt nach den meisten nationalen Prozeßrechten ebenso wie nach dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ, das zwischen den EU-Mitgliedstaaten gilt) und auch nach dem parallelen, sog. Lugano-Abkommen (das zwischen EU- und EFTA-Staaten gilt). Kann oder will der Verletzte nicht am Wohnsitz des Verletzers klagen, so bleibt ihm also nichts anderes übrig, als jeden nationalen Teilschaden gesondert einzuklagen. Das ist besonders dann mißlich und unökonomisch, wenn es sich um eindeutige, offensichtliche Verletzungen handelt, die in keinem der betroffenen Staaten zu schwierigen und/oder umstrittenen Rechtsfragen Anlaß geben.. Entsprechendes gilt hinsichtlich einer Unterlassungs¬
verfügung; auch hier kann der Rechtsinhaber dem Verletzer den internationalen Vertrieb nur durch ein Gericht in dessen Heimatland untersagen lassen, im übrigen bedarf es gesonderter Untersagungsanordnungen in jedem einzelnen Verbreitungsstaat. Eine Ausnahme bildet hier insbesondere das niederländische Prozeßrecht, das bislang zumindest bei offensichtlichen Patentverletzungen eine Unterlassungsverfügung sogar im verkürzten Verfahren des sog. „kort geding" auch für das Ausland ausspricht. [Fn 69: Allerdings bedarf auch eine solche Entscheidung der vorherigen Anerkennung, ehe sie im Ausland vollstreckt werden kann; vgl. Ziff. 7.3.]

Es wird daher angeregt, die internationale Zuständigkeit nationaler Gerichte dahingehend zu erweitern, daß auch die Gerichte derjenigen Staaten, in denen der Verletzer weder Wohnsitz noch geschäftliche Niederlassung hat, in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung ein grenzüberschreitendes Unterlassungsgebot aussprechen und Ersatz des gesamten, durch eine Verletzung in mehreren Staaten entstandenen Schadens zusprechen können. Diese Anpassung ist sowohl in den nationalen Prozeßrechten als auch im EuGVÜ sowie dem Lugano-Abkommen vorzunehmen.

Page Top

7.3 Rechtsdurchsetzung im Ausland

Hat der Verletzer im Inland weder Wohnsitz noch Vermögen, so bleibt dem Rechteinhaber nichts anderes übrig, als einen im Inland erwirkten Titel im Ausland zu vollstrecken. Zwar gibt es hier Verfahren zur Anerkennung ausländischer Urteile, doch sind diese Verfahren bisweilen noch recht umständlich und zeitraubend. Selbst im Rahmen des EuGVÜ und des Lugano-Abkommens, die eigens zu dem Zweck geschlossen worden sind, um die Vollstreckung nationaler Titel zumindest innerhalb der EU und der EFTA zu erleichtern, ist es in der Praxis häufig der einfachere und schnellere Weg, direkt ein ausländisches Urteil zu erwirken, anstatt ein inländisches Urteil im Ausland anerkennen zu lassen; das gilt insbesondere bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Es ist daher auf die Schaffung einer weltweiten internationalen Konvention zur Anerkennung ausländischer Urteile hinzuarbeiten. Zugleich ist innerhalb der bestehenden Übereinkommen sicherzustellen, daß die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in der Praxis schneller und einfacher erfolgt als das Erwirken einer gesonderten inländischen Entscheidung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

Previous Page TOC Next Page