FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO


Nachhaltigkeit als politische Strategie : Notwendigkeiten und Chancen langfristiger Umweltplanung in Deutschland ; gutachterliche Stellungnahme für den Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und die Friedrich-Ebert-Stiftung / Martin Jänicke. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 24 S. = 66 Kb, Text. - ISBN 3-86077-641-X
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


Inhaltsverzeichnis

  1. Deutschland im Lichte internationaler Entwicklungen
  2. Umweltpolitische Gründe für eine nationale Umweltplanung
  3. Wirtschaftspolitische Gründe für eine nationale Umweltplanung
  4. Vier Beispiele entwickelter nationaler Umweltplanung
  5. Merkmale entwickelter nationaler Umweltpläne
  6. Umweltziele für ein "Zukunftsfähiges Deutschland”
  7. Exkurs: Konsensuale Zielbildung am Beispiel des Energiesektors
  8. Zur Planerstellung
  9. Grundbedingung: Wille und Geschick
  10. Ausgewählte Literatur

1. Deutschland im Lichte
internationaler Entwicklungen

Planung ist eine Realität moderner Gesellschaften, gleich ob in der Industrie, im Bauwesen, oder in der Kommunalverwaltung. Umfassende nationale Umweltpläne sind hingegen ein neues Phänomen. Den ersten "Nationalen Umweltpolitikplan” führten 1989 die Niederlande ein. Inzwischen verfügen zwei Drittel aller Industrieländer über die eine oder andere Variante nationaler Umweltplanung (Jänicke/Jörgens 1996, Dalal-Clayton 1996). Häufig geschieht dies in der weicheren Form einer staatlichen "Strategie” nachhaltiger Entwicklung (die hier aus pragmatischen Gründen als "Umweltplan” mitbehandelt wird). In über sechzig Ländern wurden spezielle Umweltaktionspläne erstellt (Metzner 1996, Lampietti/Subramanian 1995).

Abbildung 1: Nationale Umweltpläne in entwickelten Marktwirtschaften

Land Umweltplan (offizielle Bezeichnung)

Jahr

Niederlande Nationaler Umweltpolitikplan (NEPP); NEPP+; NEPP 2

1989/90/93

Dänemark Action Plan for Environment and Development;
Nature and Environment Policy Plan;
sectoral action plans, e.g. Energy 2000 (1990)

1988
1995

Finnland Sustainable Development and Finland
Finnish Action for Sustainable Development

1989/90
1995

Großbritannien This Common Inheritance: Britain's Environmental Strategy;
Sustainable Development: The UK Strategy

1990
1994

Kanada Canada's Green Plan for a Healthy Environment

1990

Frankreich Nationaler Plan für die Umwelt/Plan Vert

1990

Südkorea Master Plan (1991); Korea's Green Vision 21

1991/95

Neuseeland Resource Management Act (1991); Environment 2010 Strategy

1991/95

Australien National Strategy for Sustainable Development

1992

Schweden Enviro '93, Towards Sustainable Development in Sweden

1993/1994

Österreich Nationaler Umweltplan (NUP)

1995

Japan The Basic Environment Plan;
Action Plan for Greening Government Operations

1995

Portugal Nationaler Umweltpolitikplan (Plano Nacional da Politica de Ambiente)

1995

Schweiz Aktionsplan für die nachhaltige Entwicklung in der Schweiz

geplant für 1997

Quelle: Jänicke/Jörgens (1996)

Die Ausbreitung von nationaler Umweltplanung (bzw. Nachhaltigkeitsstrategie) entspricht den Empfehlungen der Agenda 21 der UNCED-Konferenz von Rio 1992 (BMU 1993), über deren bislang wenig befriedigende Umsetzung die Mitgliedstaaten im Juni 1997 auf einer Sonderkonferenz der UNO-Vollversammlung Bericht erstattet haben.

Die Bundesrepublik Deutschland, die die Agenda 21 zusammen mit mehr als 170 Staaten unterzeichnet hat, verfügt zwar über vielfältige, mehr oder weniger unkoordinierte Fachplanungen des Umweltschutzes (s.u.). 1994 wurde vom Umweltminister auch eine Publikation "Politik für eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung” vorgelegt (BMU 1994). Aber dies war kaum mehr als ein normaler Umweltbericht. Und über diesen ersten Ansatz hinaus gibt es weder eine offizielle Strategie nachhaltiger Entwicklung noch einen nationalen Umweltplan. Erste Schritte der Umweltministerin in diese Richtung sind vergleichsweise unentschlossen und im Ergebnis offen. Diese Zurückhaltung kontrastiert mit der langjährigen Pionierrolle der Bundesrepublik in der internationalen Umweltpolitik.

Was ist moderne Umweltplanung im Sinne der Agenda 21? Zunächst einmal bedeutet sie keine Hinwendung zur osteuropäischen Tradition zentralistischer Planwirtschaft und auch keine Wiederaufnahme bürokratischer Planungsillusionen der sechziger Jahre. Die förmliche Festlegung des Staates auf langfristige Umweltziele erfolgt vielmehr in einer Planung neuen Typs. Idealtypisch läßt sich diese durch folgende Merkmale kennzeichnen:

  • Einvernehmliche Formulierung langfristiger Umweltziele (Konsens),
  • Einbeziehung wichtiger anderer Ressorts (Querschnittspolitik),
  • Beteiligung der Verursacher an der Problemlösung (Verursacherbezug),
  • Breite Beteiligung von Kommunen, Verbänden und Bürgern (Partizipation),
  • Orientierung an einem globalen, meist auch wissenschaftlichen Konsens über langfristige Problemlagen und
  • Berichtspflichten über erzielte Verbesserungen (Monitoring).
  • 2. Umweltpolitische Gründe
    für eine nationale Umweltplanung

    Die möglichen Vorteile nationaler Umweltplanung liegen sowohl im Bereich der Umweltpolitik als auch auf dem Gebiet der ökonomischen Modernisierung. Der umweltpolitische Nutzen kann u.a. in Folgendem bestehen:

    - Nationale Umweltplanung läuft letztlich auf eine erhöhte Anstrengung in Problembereichen hinaus, in denen befriedigende Lösungen bis dahin nicht erzielt wurden. Länder wie die Bundesrepublik sind in Teilbereichen der Luftreinhaltung, des Gewässerschutzes oder der Gefahrstoffkontrolle erfolgreich. Es handelt sich um Probleme im Sinne eines "Risiko-Paradigmas”, um Bereiche mit potentiell hoher Betroffenheit und Politisierbarkeit. Wo hingegen Probleme des Typus der "schleichenden Umweltverschlechterung” zu lösen sind, wo Flächenverbrauch, Bodenkontaminationen oder Grundwasserbelastungen zu vermeiden sind, stellen sich Erfolge seltener oder gar nicht ein. Hier muß Politik ohne die Stütze öffentlicher Betroffenheit handeln, wie sie durch Smog oder schockierende Ereignisse (Seveso, Bhopal, Tschernobyl) entsteht. Massenmedien und parlamentarische Institutionen folgen in aller Regel einem Reaktionsmuster, das die negative Erfahrung voraussetzt. Moderne Umweltplanung soll dagegen die Handlungsbedingungen für die Lösung von Zukunftsproblemen verbessern, deren Dringlichkeit nicht durch Erfahrung, sondern meist nur durch wissenschaftliche Prognose verdeutlicht werden kann.

    - Eine wissenschaftlich begründete Zielbildung ist insbesondere angesichts der schleichenden Akkumulation von Umweltbeeinträchtigungen unvermeidlich: Auch wenn die jährlichen Flußgrößen an Emissionen oder Abfällen sinken, nehmen die angehäuften Bestände an Schadstoffen und Eingriffen in der Umwelt zu - nur langsamer. Es sind vor allem die reichen Länder, die - als alte Industrieländer - mit einer kritischen Akkumulation von Umweltbelastungen ringen. Die Radikalität der Zielvorgaben des niederländischen Umweltplans und des BUND/MISEREOR-Konzepts für ein zukunftsfähiges Deutschland ergibt sich aus dieser Erkenntnis. Es ist wenig wahrscheinlich, daß diese schwer vermittelbare - den wahrnehmbaren Erfolgen des Umweltschutzes widersprechende - Akkumulationsproblematik im Routineverfahren gelöst werden kann.

    - Nationale Umweltplanung im Sinne der Agenda 21 will nicht zuletzt durch Beteiligung zusätzlicher Akteure die Handlungsfähigkeit von Umweltpolitik erhöhen. Sie tut dies durch Einbeziehung der Verursacher - und "ihrer” Ressorts - in die Problemlösung. Die Beteiligung wichtiger Akteure an der Formulierung langfristiger Umweltziele ist hierfür der beste Ansatzpunkt.

    - Der neue Typ der Umweltplanung kann auch zur Entlastung der nationalstaatlichen Umweltpolitik beitragen. Durch Konzentration auf eine einvernehmliche Zielbildung auf breiter Basis kann die Umsetzung häufig auf nichtstaatliche Akteure delegiert werden. In diesem Fall kann sich der Staat auf flankierende Maßnahmen und auf die Rolle einer "letzten Instanz” beschränken, die erst eingreift, wenn dezentrale Maßnahmen sich als unzulänglich erweisen. Dezentrale Aktionen - insbesondere von Städten und Industriezweigen - bedürfen aber notwendig der nationalen Umweltplanung als Orientierungsrahmen. In den Niederlanden und in Neuseeland war Umweltplanung auch mit Verwaltungsvereinfachungen verbunden.

    - Industrieländer wie die Bundesrepublik verfügen über ein breites Spektrum "sektoraler” Umweltpläne: Beispiele sind die Raumordnung, Landschaftsplanungen, Abfallwirtschafts­ und Entsorgungspläne, Gewässerschutz­ und Luftreinhaltepläne oder auch das Klimaprogramm. Diese Pläne sind unverbunden, nicht aufeinander bezogen und oft bereits in Nachbarverwaltungen unbekannt. Das "Gedächtnis” der Politik für die von ihr selbst formulierten Ziele ist oft so kurz wie deren Transparenz gering ist. Umweltpläne (die sich zudem moderner Informationstechniken bedienen können) ermöglichen einen Überblick über den Stand umweltpolitischer Zielvorgaben. Unter Einbeziehung internationaler Verpflichtungen sind sie eine wichtige Informationsbasis für ein breites Spektrum von Akteuren. In Österreich begann der Planungsprozeß mit der Zusammenfassung von 134 bereits vorhandenen Zielvorgaben. Der japanische Umweltplan von 1995 besteht überwiegend aus einer Zusammenfassung bereits bestehender Fachpläne und gesetzlicher Zielvorgaben.

    3. Wirtschaftspolitische Gründe
    für eine nationale Umweltplanung

    Auch wirtschaftliche Gründe sprechen für eine umweltpolitische Langzeitplanung:

  • Sie macht die Umweltpolitik für Investoren langfristig kalkulierbar und unberechenbare Veränderungen der Politik, z.B. als Folge veränderter Parteikonstellationen, weniger wahrscheinlich.
  • Sie verringert das Investitionsrisiko für umweltbewußte Pionierunternehmen; sie schafft zusätzliche Anregungen und Kommunikationskanäle für technische Innovationen.
  • Sie ist ein systematischer Anreiz, Ressourcen effizient und kostengünstig zu verwenden, Umweltkosten zu senken und auf dem Weltmarkt der durch Umweltkennzeichen u.ä. geprägten Produkte Wettbewerbsvorteile zu erringen.
  • Sie ist eine Strategie, langfristig unvermeidbare Umweltschutzmaßnahmen wirtschaftsverträglich zu gestalten oder mit wirtschaftlichen Vorteilen zu verbinden (sog. win-win-Lösungen).
  • Sie ist eine vorsorgliche Strategie gegen ökologische Standortverschlechterungen, unbezahlbare Schadenskosten und folgenschwere Verluste an Naturkapital.
  • Die technologie­ und wettbewerbspolitische Seite der Umweltplanung bzw. Nachhaltigkeitsstrategie sei hier besonders hervorgehoben. Südkorea, das in seinem Zehnjahresplan des Umweltschutzes von 1995 von dem Motto "Vom Musterland des Wirtschaftswachstums zum Musterland der Umwelterhaltung” ausgeht, formuliert dort zugleich eine ehrgeizige Exportstrategie für Umwelttechnik (Ministry of Environment 1995). Neuseeland hebt in seiner "Environment 2010 Strategy” das grüne Image des Landes als Exportvorteil hervor und betont seine Wettbewerbschancen durch ressourceneffiziente Technologien (Ministry for the Environment 1995). Dänemark verweist auf die bereits eingetretenen Export­ und Beschäftigungswirkungen insbesondere seines unlängst aktualisierten Plans Energie 2000 von 1990 (Ministry of Environment and Energy 1995). In den Niederlanden hat seit dem ersten Umweltplan (1989) die Bedeutung umweltfreundlicher Technologien, wie beabsichtigt, signifikant zugenommen (Crul/Schelleman 1995, VROM 1993). Wirtschaftliche Vorteile werden mit besonderem Nachdruck im Bericht "Sustainable America” (1996) des von Präsident Clinton eingesetzten Rates für Nachhaltige Entwicklung betont: Umweltfreundliche Technologien und Produkte seien für die regionale Wirtschaftsentwicklung günstig und "vorrangiger Kandidat” für verbesserte amerikanische Exportchancen (The President's Council on Sustainable Development 1996).

    Es spricht vieles dafür, daß ökologische Nachhaltigkeitsstrategien international so weit um sich greifen, daß ihre Vernachlässigung einem wirtschaftlichen Standortnachteil nahekommt. Langfristige Umweltplanung ist auch eine stete Erinnerung der eigenen Volkswirtschaft an die einfache Erkenntnis: daß eine wachsende Weltbevölkerung und eine ständig steigende globale Güterproduktion bei begrenzter ökologischer Belastbarkeit der Erde zu ständig höheren Umweltansprüchen an Technologien und Produkte führen müssen. Wer die Globalisierung der Wirtschaft zum Argument gegen den Umweltschutz macht, übersieht das Ausmaß, in dem der Weltmarkt heute bereits durch eine Globalisierung des Umweltschutzes bestimmt wird (Jänicke/Weidner 1997). Daß dies eine Chance für Volkswirtschaften ist, zeigt nicht nur das Ausmaß an Arbeitsplätzen, die der Umweltschutz in OECD-Ländern geschaffen hat (in Deutschland fast drei Prozent der Beschäftigten). Es zeigt sich auch an der Tatsache, daß die internationalen Vorreiter der Umweltpolitik immer auch technologische Pioniernationen waren.

    4. Vier Beispiele entwickelter
    nationaler Umweltplanung

    Kein bisheriger Umweltplan gleicht dem anderen. Die Varianten sind äußerst zahlreich. Viele der Umweltpläne oder Nachhaltigkeitsstrategien sind nicht viel mehr als ein erster Schritt hin zu einer verbindlichen Programmierung der Politik auf langfristige Umweltziele (so etwa der österreichische Nationale Umweltplan). Andere Pläne haben eine differenzierte Zielstruktur und wirksame Mechanismen der Umsetzung. Aber auch hier sind die Ansätze unterschiedlich. Vier Beispiele entwickelter nationaler Umweltplanung mögen dies verdeutlichen:

    (1) Der Nationale Umweltpolitikplan der Niederlande von 1989 (NEPP), der 1993 fortgeschrieben wurde (NEPP 2) - der dritte Plan (NEPP 3) wird derzeit vorbereitet -, ist nach Zielqualität, Verbindlichkeit und gesellschaftlicher Beteiligung der weitestgehende. In vieler Hinsicht ist er international zum Modell geworden. Der Plan, der 200 meist quantifizierte und zeitlich befristete Einzelziele enthält, wurde vom Umweltamt (RIVM) konzipiert, vom Umweltministerium durchgesetzt und von wichtigen Ministerien (Verkehr, Wirtschaft, Landwirtschaft) mitgetragen. Die Zielbildung erfolgt konsensual und auf breiter gesellschaftlicher Basis. Nationale und provinziale Vierjahrespläne sind seit 1993 gesetzlich vorgeschrieben. Besonderheit des niederländischen Planungssystems ist die Unterfütterung durch ein System freiwilliger, aber verbindlicher und überprüfter Vereinbarungen (covenants), vor allem mit Industrieverbänden.

    (2) Dänemark hat schon 1988 - in Anlehnung an den Brundtland-Report (WCED 1987) - einen Aktionsplan für Umwelt und Entwicklung vorgelegt, der u.a. das ehrgeizige Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bis zum Jahre 2005 (gegenüber 1988) vorsah. Die Stärke des Landes waren aber sektorale Fachpläne, etwa die Pläne für die aquatische Umwelt, für Abfall oder Transport und besonders der Plan "Energie 2000” von 1990. Dieser wurde 1996 für den Zeitraum bis 2030 fortgeschrieben ("Energy 21”) und enthält u.a. quantitative Ziele für die Senkung des Energieverbrauchs (um 15 Prozent), die Halbierung der CO2-Emissionen und die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien auf ein Drittel (Danish Energy Agency 1996). Eine umfassende "strategische Umweltplanung” wurde 1993 beschlossen. Dieser Beschluß fiel mit einer umfassenden ökologischen Steuerreform zusammen, die stark auf Umweltabgaben setzt und die Energiesteuern planmäßig bis 2000 erhöht. Das integrierte Planungssystem befindet sich noch im Aufbau, ist aber bereits im Umweltbericht von 1995 konzipiert (Ministry of Environment and Energy 1995). Ziel ist u.a. eine "Minimierung des Ressourcenverbrauchs” und eine systematische Integration von Umweltkriterien in die wirtschaftsnahen Politikfelder, insbesondere Energie, Transport und Landwirtschaft. Ähnlich den Niederlanden hat Dänemark eine vorwiegend auf Verursachersektoren bezogene, breit akzeptierte, dialogförmige und auf technische Innovationen gerichtete Form der Umweltplanung.

    (3) Erstaunlicherweise kommt die seit 1991 (im Zeichen hoher Umweltbelastung und politischer Umwälzungen) eingeführte nationale Umweltplanung Südkoreas der niederländischen in vielen Punkten sehr nahe. Wie diese ist sie gesetzlich verankert und bis in die Budgetierung konkretisiert. Der erste Fünfjahresplan umfaßte ein Kostenvolumen in der Größenordnung von einem Prozent des Bruttosozialprodukts. Wie in anderen Ländern spielen sektorale Fachpläne (insbesondere für Abfall, Energie und Raumordnung) eine ergänzende Rolle. Die knapp 30 quantitativen Zielvorgaben des 1995 beschlossenen Zehnjahresplanes ("Korea's Green Vision 21”) wurden vom Umweltministerium und seiner Planungsabteilung in z.T. konfliktreichen Abstimmungsprozessen mit anderen Zentralverwaltungen durchgesetzt. Der Plan wird laut Gesetz vom Staatsrat beschlossen. Im Gegensatz zum niederländischen Umweltplan folgt der südkoreanische eher der bisherigen autoritativen und mit den Großkonzernen abgestimmten Wirtschaftsplanung des Landes, als daß er auf einer breiten gesellschaftlichen Basis beruht (auch wenn diese ausdrücklich betont wird).

    (4) Wiederum einen anderen Ansatz verfolgt die nationale Umweltplanung Neuseelands. Die "Environment 2010 Strategy” beruht auf der Basis eines Umweltgesetzes, das seit 1991 interessanterweise den Namen "Resource Management Act” trägt und ausdrücklich auf das Ziel nachhaltiger Entwicklung ausgerichtet ist (Ministry for the Environment 1995). Das Gesetz war mit einer radikalen Verwaltungsvereinfachung verbunden; 167 Gesetze und Verordnungen wurden hierdurch zusammengefaßt. Der Umweltplan von 1995 ist eine Art Über-Plan, der elf vorrangige Problemfelder festlegt, für die von anderen Sektoren und dezentralen Akteuren - teils in eigenen Plänen - konkrete Handlungsziele festzulegen sind. Wichtig am neuseeländischen System der Umweltplanung sind aber die im "Resource Management Act” festgelegten Mechanismen der Integration von Nachhaltigkeitszielen in den Planungsalltag von Politik und Gesellschaft. Hierfür ist auch eine spezielle rechtliche Überprüfungsinstanz - das Planning Tribunal (seit 1996: Environment Court) - vorgesehen. Wie in den zuvorgenannten Fällen ist die Umweltplanung mit klaren Berichtspflichten und Revisionsmechanismen verbunden. Erste Folgemaßnahmen der Langfriststrategie sind u.a. freiwillige Umweltvereinbarungen mit Industrieunternehmen, ein massiver Anstieg der Forschungsförderung für umweltfreundliche Technologien und die Ankündigung einer CO2-Abgabe, falls das Klimaziel nicht anders erreicht werden kann (OECD/IEA 1996).

    Für eine Erfolgsbilanz derartiger Umweltpläne ist es im allgemeinen noch zu früh. Sie hatten einen langen Vorlauf (in den Niederlanden fünf Jahre) und befinden sich zumeist noch in einem Stadium von Versuch und Irrtum. In Dänemark und Neuseeland sind weitere Konkretisierungen erst noch vorgesehen. Für eine frühe Bewertung nationaler Umweltpläne ist vor allem die Frage wichtig, wie mit nicht erreichten Zielen umgegangen wird: Werden sie "vergessen”, werden sie revidiert oder führen sie zu verstärkten Anstrengungen? Für drei der hier skizzierten Pläne sei dies verdeutlicht (der neuseeländische Fall läßt eine solche Beurteilung noch nicht zu):

    Der niederländische Umweltplan, der am gründlichsten untersucht wurde, kann in seinen Kernbereichen als Erfolgsfall angesehen werden und ist nicht ohne Grund zum internationalen Modellfall geworden. Seine präzise Zielstruktur macht aber auch die Defizite bei der Durchsetzung deutlich sichtbar, die zumindest im Bereich der Verkehrspolitik liegen. Die Verdeutlichung eines gegebenenfalls weitergehenden Handlungsbedarfs ist eine explizite Funktion dieses Planes und hatte schon im zweiten Umweltplan von 1993 zu Revisionen geführt.

    Der dänische Energieplan 2000 hat zu einer Verringerung der (export­ und klimabereinigten) CO2-Emissionen seit 1988 beigetragen. Die Maßnahmen waren insgesamt mit wirtschaftlichen Erfolgen (bei Export und Beschäftigung) verbunden. Defizite ergaben sich auch hier beim Transportsektor. Sie führten im fortgeschriebenen Plan "Energie 21” 1996 zur Festlegung verschärfter Maßnahmen für diesen Bereich.

    Auch für den 1996 ausgelaufenen mittelfristigen Plan Südkoreas ergab sich ein Revisionsbedarf: Nach der Bilanz des Umweltministeriums für 1995 wurde das ehrgeizige Teilziel der Verringerung der hohen Schwefeldioxid-Belastung vorfristig erfüllt; auch die städtischen Grünflächen nahmen stärker als geplant zu; die Investitionen erreichten insgesamt etwa den vorgesehenen Rahmen. Aber beim Gewässerschutz, beim Abfall und bei der Ausweitung von Naturschutzflächen wurden die z.T. sehr ambititiösen Planvorgaben ein Jahr vor Beendigung der Planungsperiode unterschritten. Auch hier ist das Berichtswesen präzise genug, um einen weitergehenden Handlungsbedarf zu verdeutlichen.

    Wenngleich es zu früh für eine Bewertung der Wirkungen nationaler Umweltpläne in OECD-Ländern ist, kann schon heute festgestellt werden:

  • Sie waren offensichtlich ein wirksames Instrument, die Verursacher langfristiger Umweltprobleme - und der ihnen nahestehenden Ressorts - mit der Notwendigkeit und Chance eigener Problemlösungen zu konfrontieren.
  • - Sie erweisen sich als wichtiges Vehikel einer Basiserweiterung und "Vergesellschaftung” von Umweltpolitik über den Staat hinaus.
  • Sie haben gerade auch dort, wo Ziele nicht erreicht wurden, einen wichtigen Impuls zu weitergehenden Maßnahmen gegeben.
  • Als ihre Wirkungen sind insgesamt nicht nur direkte Umweltverbesserungen, sondern die erzielten indirekten Lerneffekte bei den Beteiligten (policy learning) anzusehen.
  • 5. Merkmale entwickelter nationaler Umweltpläne

    Was zeichnet einen guten Umweltplan aus? In der Literatur zu diesem Thema werden regelmäßig die folgenden Merkmale hervorgehoben:

  • Eine maßgebliche Rolle des Staates im Planungsprozeß. Hierin stimmen so unterschiedliche Beobachter wie die OECD (1995) und das den Umweltverbänden nahestehende Resource Renewal Institute (RRI 1996) überein.
  • Klare, nach Möglichkeit quantifizierte Ziele und Zeitvorgaben.
  • Enge Abstimmung zwischen dem Umweltressort und den wirtschaftsnahen Verwaltungen (speziell derjenigen für Industrie, Verkehr, Energie, Bau, Landwirtschaft), um diese systematisch an der Lösung langfristiger Umweltprobleme zu beteiligen.
  • Kooperation zwischen Regierung und Industrie mit dem Ziel der "Internalisierung von Verantwortung”, wie dies in den Niederlanden formuliert wird. Hier spielt das Instrument der freiwilligen Vereinbarungen eine zunehmende Rolle.
  • Öffentliche Beteiligung und Information, um zusätzliche politische Ressourcen zu mobilisieren.
  • Festgelegte Berichtspflichten und eine klare Überprüfung der Zielerreichung.
  • Diesem Standard-Katalog, wie er sich beispielsweise bei der OECD (1995) findet, sind folgende Merkmale entwickelter nationaler Umweltplanung hinzuzufügen:

  • Eine rechtliche Basis der Planung ist sinnvoll, um diese auf Dauer zu stellen und von Regierungswechseln oder politischen Konjunkturen unabhängig zu machen. Südkorea hat schon 1990 in seinem Grundlagengesetz des Umweltschutzes geregelt, welche Diagnosen und Prognosen die Basis des Plans bilden, wie die Zielstruktur aussehen soll, welche Finanzmittel erforderlich und wie diese zu beschaffen sind. Neuseeland hat 1991 in dem grundlegenden Umweltgesetz die Form der Umweltplanung und der Integration von Nachhaltigkeitszielen in sonstige Planungen beschlossen. In Japan und den Niederlanden wurde Umweltplanung 1993 per Gesetz eingeführt, in Portugal bereits 1987.
  • Von der wissenschaftlichen Problemdarstellung über vielfältige Konsensbildungsprozesse bis zur Überprüfung festgelegter Ziele ist nationale Umweltplanung mit so vielen Teilschritten verbunden, daß ihre Abläufe nur durch Institutionalisierung die nötige Zielstrebigkeit und Verbindlichkeit erhalten. In mehreren Ländern mit Umweltplanung wurden spezielle Planungseinrichtungen geschaffen. In den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Japan und Südkorea sind jedoch die bestehenden nationalen Umweltbehörden mit dieser Aufgabe betraut; und dies ist eine nicht zu übersehende Alternative zur Schaffung zusätzlicher Einrichtungen. Oft ist das nationale Umweltamt für den wissenschaftlichen Vorlauf, das Umweltministerium für Abstimmungsprozesse und Entscheidungsabläufe zuständig. Wichtiger als eine spezielle Einrichtung ist die klare, förmliche Aufgabenzuweisung.
  • Die Mehrheit der vorhandenen nationalen Umweltpläne leidet nicht nur am Fehlen einer klaren Institutionalisierung; oft sind auch nur wenige Beamte mit dieser Aufgabe betraut. Es bedarf also nicht zuletzt einer angemessenen, professionellen Infrastruktur sowohl für die Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen als auch zur kompetenten Organisation von Zielbildungsprozessen auf breiter Grundlage.
  • Für die Darstellung der zu formulierenden Umweltziele empfiehlt sich im Lichte bisheriger Erfahrungen eine Matrix-Struktur, die die zentralen Problemfelder den wichtigsten Verursacherbereichen zuordnet. Konsensgespräche, freiwillige Selbstverpflichtungen etc. werden dadurch erleichtert. Anhand der Zielvorgaben des BUND/MISEREOR-Konzepts für ein zukunftsfähiges Deutschland wird in Abbildung 2 eine verursacherbezogene Matrix der Umweltziele dargestellt. Am Beispiel des Energiesektors wird die entsprechende Zielbildung weiter unten (s. Exkurs) veranschaulicht.
  • 6. Umweltziele für ein
    "Zukunftsfähiges Deutschland”

    Es gibt nicht nur nationale Umweltpläne von Regierungen. In einer Reihe von Ländern haben auch Umweltverbände in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten Umweltpläne vorgelegt. In Kanada legten mehrere Umweltverbände 1988 den "Greenprint for Canada” (Greenprint for Canada Committee 1989) vor, zwei Jahre bevor die Regierung ihren "Green Plan for a Healthy Environment” verabschiedete (Government of Canada 1990). In den Niederlanden stellten die Friends of the Earth 1992 die Studie "Sustainable Netherlands” vor (Milieudefensie 1992). Ähnliche Pläne von Umweltverbänden gibt es für Frankreich (Vers une France Durable, 1996) und andere Länder.

    Der BUND hat 1995 gemeinsam mit MISEREOR die beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Auftrag gegebene Studie "Zukunftsfähiges Deutschland” vorgelegt. Diese Studie stellt weitgehende Handlungserfordernisse dar. Sie werden aus der Prognose absehbarer Umweltbelastungen und aus der extrem einseitigen globalen Verteilung des Verbrauchs begrenzter Naturressourcen abgeleitet. Die wichtigsten Verantwortungsbereiche bzw. Zielgruppen - Industrie, Energie, Transport, Landwirtschaft, Verbraucher - werden angesprochen. Für die Ressourcenentnahme (Energie, Material und Fläche) und die besonders problematischen Stoffabgaben bzw. Emissionen in die Umwelt werden Reduktionsziele für die Jahre 2010 und 2050 formuliert (s. Abbildung 2).

    Diese Umweltziele sind notwendig radikal, denn die Aufnahmefähigkeit der Umwelt für Emissionen und Abfälle ist in Deutschland weitgehend erschöpft. Die Grenzen der Klimabelastung sind offensichtlich überschritten; die Verfügbarkeit bebaubarer Flächen ist begrenzt und eine "Globalisierung” des deutschen Konsumniveaus würde in die Katastrophe führen. Die Studie zeigt das breite Spektrum von Reduktionspotentialen einer verschwenderischen Wohlstandsgesellschaft. Sie formuliert Leitlinien und zeigt Ansatzpunkte für unterschiedlich weitgehende Szenarien. Sie betont zugleich die Chancen, die dieser Weg einer "Ökologisierung der Marktwirtschaft” auch ökonomisch bedeuten kann.

    Zunächst ausgeklammert blieb die schwierige Frage, wie Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik auf diese Umweltziele und die zugehörigen Handlungsziele verpflichtet werden können. Es ist dies naturgemäß nicht nur eine Frage des Handelns aufgrund besserer Einsicht. Die Sicherstellung von Zukunftsfähigkeit setzt auch den intelligenten Umgang mit Macht­ und Interessenlagen voraus. Umweltplanung im Sinne der Agenda 21 ist die bisher am weitesten entwickelte Strategie in diese Richtung.

    Abbildung 2: Umweltziele und Verursacherbereiche


    Umweltpolitische Ziele eines zukunftsfähigen Deutschlands
    Landwirtschaft Bergbau/ Rohstoffgewinnung Energie Industrie Bausektor Verkehr Tourismus Einzelhandel/ Verbraucher
    Umweltindikator Umweltziel (bis 2010)                

    RESSOURCENENTNAHME

                   
    Energie                
    Primärenergieverbrauch mindestens -30%
    bis 2050: mind. -50%)
                   
    Fossile Brennstoffe -25% (bis 2050: -80 bis -90%)                
    Kernenergie -100%                
    Erneuerbare Energien +3 bis 5% pro Jahr                
    Energieproduktivität +3 bis 5% pro Jahr                
    Material                
    Nicht erneuerbare Rohstoffe -25% (bis 2050: -80 bis -90%)                
    Materialproduktivität +4 bis 6% pro Jahr*                
    Fläche                
    Siedlungs­ und Verkehrsfläche absolute Stabilisierung

    jährl. Neubelegung: -100%

                   
    Landwirtschaft flächendeckende Umstellung auf ökologischen Landbau

    Regionalisierung der Nährstoffkreisläufe

                   
    Waldwirtschaft flächendeckende Umstellung auf naturnahen Waldbau

    verstärkte Nutzung heimischer Hölzer

                   

    STOFFABGABEN / EMISSIONEN

                   
    Kohlendioxid (CO2) -35% (bis 2050: -80 bis -90%)                
    Schwefeldioxid (SO2) -80 bis -90%                
    Stickoxide (NOx) -80% bis 2005                
    Ammoniak (NH3) -80 bis -90%                
    Flüchtige organische Verbindungen (VOC) -80% bis 2005                
    Synthetischer Stickstoffdünger -100%                
    Biozide in der Landwirtschaft -100%                
    Bodenerosion -80 bis -90%                

    Quelle: BUND/Misereor 1996; Jänicke/Jörgens 1996

    Exkurs: Konsensuale Zielbildung
    am Beispiel des Energiesektors

    Ende 1991 wurde im Energieprogramm der Bundesregierung ein "Energiekonsens” gefordert. Dies war auch die Forderung der an "Planungssicherheit” interessierten Energiewirtschaft. Im März 1993 begannen "Konsensgespräche”, die im Oktober desselben Jahres scheiterten. 1995 wiederholte sich dieser erfolglose Versuch (Mez 1996).

    In nationalen Umweltplänen rangiert das Thema "Energie” an vorrangiger Stelle. Besonders gilt dies für verursacherbezogene Umweltpläne wie den niederländischen, die wichtige Wirtschaftssektoren gezielt mit den von ihnen hervorgerufenen Umweltproblemen konfrontieren. Für den deutschen Energiediskurs ergibt die Erfahrung mit nationalen Umweltplänen zunächst einmal, daß auch bei hochrangiger Einladungsinstanz und angemessener Vertretung der beteiligten Positionen derartige Gesprächsrunden chancenlos sind, wenn der Prozeß ohne Vorgaben, Spielregeln und Eintrittsbedingungen stattfindet, die Richtung der Zielbildung unklar, die Wissensbasis unzulänglich, die Konsensbildung nicht systematisch organisiert, der Umgang mit Interessengegensätzen unprofessionell und der Anreiz zur einvernehmlichen Zielbildung insgesamt zu gering ist. Die wenig konsensbetonte politische Kultur der Deutschen macht hier sogar ein besonderes Geschick erforderlich.

    Im Rahmen nationaler Umweltplanung muß der durch anerkannte Forschungsinstitute dargestellte Beitrag des Energiesektors zur langfristigen Umweltverschlechterung im Vordergrund stehen. Hier geht es insbesondere (a) um die Klimaproblematik und die sonstigen Umweltfolgen des Einsatzes fossiler Energieträger, (b) um die Risiken des Betriebs insbesondere von älteren Kernkraftwerken in einem dicht besiedelten Land und die mit jedem Jahr zusätzlich entstehenden atomaren Abfallmengen.

    Das BUND/MISEREOR-Konzept formuliert hier produktionsseitige Ziele wie den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2010, die deutliche Senkung des Primärenergieverbrauchs und speziell des Einsatzes fossiler Brennstoffe. Bei den Emissionen werden für Kohlendioxid, Schwefeldioxid und Stickoxide sehr weitgehende, aber dem Stand der Wissenschaft entsprechende Reduktionsziele empfohlen. Dies wären die in Konsensgesprächen zur nationalen Umweltplanung mit dem Energiesektor und speziell mit der Stromwirtschaft zu verhandelnden Ziele.

    Zur Wissensbasis von Energiekonsensgesprächen im Rahmen eines nationalen Umweltplanes würde aber auch die Darstellung von positiven Optionen gehören, die vorhandenen Interessenlagen entgegenkommen; beispielsweise:

  • vorteilhafte alternative Ersatzinvestitionen für abgeschriebene Kernkraftwerke;
  • der absehbare Stand der Technik im Kraftwerksbau (z.B. hocheffiziente GuD-Kraftwerke) bei den erneuerbaren Energien, bei der Energieeinsparung oder Emissionsminderung;
  • bestehende Erfahrungen, energiepolitische Zielbildungen und Strategien anderer Länder (best practice);
  • speziell: die Perspektive der großen Mehrheit der OECD Länder, die ohne Atomenergie auskommen (Dänemark, Österreich etc.), auf weiteren Ausbau verzichten (Schweiz, Finnland, Spanien), langfristig eine Einschränkung der vorhandenen atomaren Kapazität vornehmen (USA; Großbritannien) oder den Ausstieg vorsehen (Schweden, Niederlande) (OECD/ IEA 1996).
  • Eine professionell organisierte Konsensbildung über energiebezogene Umweltziele würde sinnvollerweise die schrittweise Verständigung in Konkretisierungsstufen anstreben und den Konsens zunächst über Problemlagen und Handlungserfordernisse, dann über Umweltziele und operative Maßnahmen und schließlich über Fristen herstellen.

    Anstelle eines ergebnislosen Abbruchs der Gespräche sollte der Konsensbildungsprozeß notfalls auf einer Zwischenstufe (vorläufig) stehenbleiben. Die Anerkennung grundsätzlicher Ziele des Klimaschutzes oder des Schutzes vor atomaren Risiken seitens der Stromwirtschaft kann z.B. eine wichtige Etappe sein. Nicht weniger wichtig ist die Anerkennung der Entsorgungsnotwendigkeiten für bereits entstandene atomare Abfälle durch die Umweltverbände. Liegen mit dem verabschiedeten Plan anerkannte Ziele vor, so können diese in den folgenden Umsetzungsverhandlungen immer noch konkretisiert und kürzer befristet werden.

    Auf den unteren Stufen der Zielkonkretisierung muß ein Interessenausgleich verhandelt werden, wenn - und nur wenn - tatsächliche Nachteile drohen und keine win-win-Konstellationen entstehen. Die Restlaufzeiten für Atomkraftwerke sind hierfür ein Beispiel. Dabei kann eine kompensatorische Rolle des Staates von Bedeutung sein.

    Verhandlungsrahmen könnte (wie in Österreich oder der Schweiz) eine Untergruppe "Energie” der nationalen Instanz für Umweltplanung sein. Die Verhandlungen sollten nichtöffentlich sein, die Ergebnisse hingegen breit publiziert werden.

    7. Zur Planerstellung

    Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz des Menschen und der Umwelt” hat kürzlich ein Gutachten über die Erstellung eines Umweltplanes in Deutschland in Auftrag gegeben (Jänicke/Carius/Jörgens 1996).

    Entscheidende Schritte sind danach:

    - Die Erstellung einer umfassenden Wissensbasis. Dazu gehört zunächst die Zusammenfassung aller bereits bestehenden Zielvorgaben, einschließlich derjenigen aus internationalen Verträgen, sodann die wissenschaftliche Darstellung und Prognose zentraler Umweltprobleme mit bestimmten Zeithorizonten. Die Darstellung wichtiger wissenschaftlicher Zielempfehlungen, weitergehender internationaler Erfahrungen (best practice) und die Analyse bisheriger Hemmnisse erfolgreicher Maßnahmen stellen einen zweiten Informationsinput dar.

    - Ein hochrangig initiierter öffentlicher Diskurs auf dieser Basis, der die Repräsentanten wichtiger Verursacherbereiche und "ihrer” Ministerien beteiligt. Im Kern geht es um die Frage, welche Problemlösungen die Verursacherbereiche - nach intensiver Befassung mit der Umweltsituation - bieten oder akzeptieren können.

    - Vorlage eines Planentwurfs durch das Umweltministerium, in Verbindung mit dem Umweltbundesamt bzw. dem Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Der Entwurf hat nach aller bisheriger internationaler Erfahrung entscheidende Bedeutung für die Strukturierung des weiteren Planungsprozesses. Selbst wenn er in der Folge verworfen und umformuliert wird, hat er seine Hauptaufgabe erfüllt: ein voraussetzungs­ und folgenloses Palaver zu vermeiden.

    - Beratung, Beschluß und spätere Evaluation des Umweltplans können in einem speziellen "Rat für Umweltplanung” (ersatzweise "Rat für Nachhaltige Entwicklung”) erfolgen. Alternativ zur Neuschaffung einer speziellen Planungseinrichtung besteht die Option einer entsprechenden Aufwertung bestehender Institutionen (BMU, UBA, SRU). Ein spezieller Planungsrat sollte so strukturiert sein, daß er die zuständigen Ministerien bereits im Vorfeld beteiligt und integriert. Ihm sollten Vertreter wichtiger Interessen, des Bundestages, der Länder, der Verwaltungen und der Wissenschaft angehören. Da in der modernen kooperativen Umweltplanung bereits die Zielbildung hohe Bedeutung hat, ist die Legitimation der Ziele zentral; jede legitimatorische Ressource ist dabei willkommen: die parlamentarische Mehrheitsentscheidung ebenso wie verfassungsrechtliche oder ethische Normen, der Verbändekonsens oder die wissenschaftliche Expertise.

    Die operative Konkretisierung von Maßnahmen sollte durch Arbeitsgruppen des Rates in Konsensgesprächen mit speziellen Verursacherbereichen ausformuliert werden (siehe Abbildung 2 und Exkurs).

    - Erst wenn ein nationaler Umweltplan vorliegt, haben dezentrale Akteure wie Branchen, Bundesländer oder Städte einen Orientierungsrahmen für zielstrebige Umsetzungen in ihrem Verantwortungsbereich. Freiwillige Vereinbarungen sollten ihm folgen. Sie sind heute nicht nur in den Niederlanden und in Japan (wo sie eine lange Tradition haben) sondern in vielen Ländern verbreitet. Wirkungen läßt dies vergleichsweise weiche Instrument aber nur erwarten, wenn hinter ihm die Androhung staatlichen Auflagen steht.

    - Das weiche Instrument der Umweltplanung wiederum bedarf der Berichtspflicht, bezogen auf das Monitoring und die regelmäßigen Bewertungen der Planumsetzung in festgelegten Abständen.

    Umweltpläne können im übrigen auch von einzelnen Bundesländern vorgelegt werden, die für einen Teil der sektoralen Fachplanungen ohnehin die Zuständigkeit besitzen. Das Bundesland Oberösterreich hat 1995 ein eigenes Umweltprogramm mit immerhin 180 Einzelzielen vorgelegt (Oberösterreichische Umweltakademie 1995).

    Hinreichend chancenreich dürfte die Umsetzung eines nationalen Umweltplans erst durch flankierende Maßnahmen des Bundes sein. Das betrifft ein breites Spektrum von Maßnahmen: von der Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur und einer institutionellen (möglichst gesetzlichen) Verankerung des Planungsprozesses über die breite Information der Bevölkerung bis zur Absicherung freiwilliger Vereinbarungen durch die Alternative staatlicher Auflagen (s.o.). Eine besondere Flankierungsfunktion hat die Ökologisierung des Steuer­ und Finanzwesens, die den Energie­, Rohstoff­ und Flächenverbrauch langfristig verteuert, umweltschädliche Subventionen abbaut und den Faktor Arbeit entlastet.

    8. Grundbedingung: Wille und Geschick

    Eine auf Nachhaltigkeit angelegte nationale Umweltplanung ist an grundlegende Voraussetzungen geknüpft: Sie ist kein beiläufiger Routineakt der Umweltverwaltung, kombiniert mit unverbindlichen Gesprächsrunden. Sie muß als strategische Anstrengung zur Überwindung bisher ungelöster ökologischer Langzeitprobleme begriffen werden. Sie muß von der Regierung gewollt sein und mit Geschick und Zielstrebigkeit verfolgt werden. Sie muß von allen Beteiligten als Lernprozeß akzeptiert werden, der seine Wirkungen nicht sofort erzielen kann.

    In der Literatur wird nicht zu Unrecht der Prozeßcharakter von Umweltplanung betont (OECD 1995). Sie setzt auf der Seite der Umweltverbände Geduld und langen Atem voraus. Und sie erfordert auf Seiten der Wirtschaft die Einsicht, daß Immobilismus in der Umweltfrage für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland zum entscheidenden Standortnachteil werden kann: Alte Industrieländer können rasch an den Punkt kommen, an dem die Sanierungskosten der akkumulierten Umweltschäden die Leistungskraft der Wirtschaft übersteigen. Neben diesen ökologischen Standortnachteilen ist damit zu rechnen, daß Deutschland für ein Zurückbleiben beim langfristigen Umweltschutz einen hohen Preis auf Märkten zahlt, die langfristig immer stärker von ökologischen Zukunftserfordernissen und einer entsprechenden Globalisierung des Umweltschutzes geprägt sind.

    Der gegenwärtige industrieseitige Immobilismus in der Umweltfrage hat keine Basis, wenn sich nationale Umweltplanung zunächst ausschließlich auf mittelfristige Maßnahmen beschränkt, die wirtschaftliche Vorteile bieten. Dies wird hiermit ausdrücklich empfohlen. Die Steigerung der Ressourcenproduktivität, die gezielte Senkung von Material­, Energie­, Transport­, Versicherungs­ oder Abfallkosten, die Profilierung auf den durch Umweltkennzeichen geprägten Gütermärkten oder der Export von kommunalem Umwelt-Know-how sind solche Erfolgsfelder. Die Erfahrung lehrt, daß Güterproduzenten wie Verbraucher das Risiko neuer Wege eher wagen, wenn zentrale Signale hierzu gegeben werden. Nationale Zielvorgaben, die über einen breiten Diskurs in Umweltplänen (oder Nachhaltigkeitsstrategien) förmlich verankert werden, sind solche Signale.

    Ausgewählte Literatur

    • BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) 1993: Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente - Agenda 21, Bonn.
    • BMU 1994: Umwelt 1994. Politik für eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung, Bonn.
    • BUND und Misereor (Hrsg.), 1996: Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser Verlag.
    • Crul, Marcel und Fred Schelleman, 1995: Long-term Environmental Planning and the Use of Integrated Environmental Technology: The Dutch Experience. Project Commissioned by the Office of Technology Assessment of the German Parliament (TAB), Bonn.
    • Dalal-Clayton, Barry, 1996: Great Expectations? Green Planning in Industrial Countries. Paper presented at the International Conference: The Environment in the 21st Century: Environment, Long-term Governability and Democracy, Abbaye de Fontevraud, France, 8-11 September.
    • Danish Energy Agency / Ministry of Environment and Energy, Denmark 1996: Energy in Denmark, Kopenhagen.
    • Government of Canada, Ministry of Supply and Services, 1990: Canada's Green Plan for a healthy environment, Ottawa, Ontario.
    • Greenprint for Canada Committee, 1989: Greenprint for Canada: A Federal Agenda for the Environment. Greenprint for Canada Committee, Ottawa, Ontario.
    • OECD/IEA (International Energy Agency) 1996: Energy Policies of IEA Countries, 1996 Review. Paris.
    • Jänicke, Martin und Helge Jörgens, 1996: National Environmental Policy Plans and Long-term Sustainable Development Strategies: Learning from International Experiences, FFU-rep 96-5, Berlin: Forschungsstelle für Umweltpolitik.
    • Jänicke, Martin, Carius, Alexander, Jörgens, Helge, 1996: Studie über die Erstellung eines nationalen Umweltplans. Gutachten erstellt für die Enquéte-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt” des Deutschen Bundestages.
    • Jänicke, Martin und Helmut Weidner (Eds.) (in collaboration with Helge Jörgens), 1997: National Environmental Policies. A Comparative Study of Capacity-Building, Berlin, Heidelberg, New York etc.
    • Metzner, Joachim, 1996: Environmental Action Plans - Conception and Implementation, in: Brigitte Fahrenhorst (Hrsg.), The National Environmental Management Plan of Eritrea, Berlin/Köln: Gesellschaft für internationale Entwicklung/Heinrich Böll Stiftung, 25-28.
    • Mez, Lutz, 1996: Energiekonsens in Deutschland? In: Brauch, Hans Günter (Hrsg.): Energiepolitik. Technische Entwicklung, politische Strategien, Handlungskonzepte zu erneuerbaren Energien und zur rationellen Energienutzung, Berlin, Heidelberg, New York etc.
    • Milieudefensie (Hrsg.), 1992: Action Plan Sustainable Netherlands, Amsterdam.
    • Ministry for the Environment, New Zealand, 1995: Environment 2010 Strategy. A Statement of the Government's Strategy on the Environment, Wellington. Ministry of Environment and Energy, 1995: Denmark's
    • Nature and Environmental Policy 1995. Summary Report, Kopenhagen.
    • Ministry of Environment, 1995: Korea's Green Vision 21, Kwacheon.
    • Ministry of Housing, Physical Planning and Environment (VROM), 1989: To Choose or to Lose: National Environmental Policy Plan, The Hague
    • Ministry of Housing, Physical Planning and Environment (VROM), 1990: National Environmental Policy Plan Plus, The Hague.
    • Ministry of Housing, Physical Planning and Environment (VROM), 1993: National Environmental Policy Plan 2: The Environment: Today's Touchstone, The Hague.
    • Oberösterreichische Umweltakademie beim Amt der o.ö. Landesregierung (Hrsg.) 1995: Durch nachhaltige Entwicklung die Zukunft sichern. Landesumweltprogramm für Oberösterreich, Linz.
    • OECD, 1995: Planning for Sustainable Development. Country Experiences, Paris: OECD.
    • Österreichische Bundesregierung, 1995: Österreich - Nationaler Umwelt Plan, Wien.
    • The Presidents Council (1996): Sustainable America. A New Consensus for Prosperity, Opportunity, and a Healthy Environment for the Future, Washington, D.C.
    • RRI (Resource Renewal Institute), 1996: A Green Plan Primer. Abrufbar auf der WorldWideWeb Seite des Resource Renewal Institute (http://www.rri.org/index. html).
    • WCED (The World Commission on Environment and Development) 1987: Our Common Future, Oxford.

    Der Autor

    Martin Jänicke ist seit 1971 Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der FU Berlin und seit 1986 Leiter der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. Er ist Mitglied des Energiebeirates des Senats von Berlin, des Nationalen Komitees für Forschung auf dem Gebiet globaler Umweltveränderungen, der wissenschaftlichen Beiräte des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, des Bremer Energieinstituts und des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998