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Malaysia : Wirtschaftsboom und Kommunalismus. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1994. - 15 S. = 51 Kb, Text . - (FES-Analyse)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1997

© Friedrich-Ebert-Stiftung



Die kulturelle und ethnische Heterogenität der Bevölkerung prägt die sozioökonomische und politische Situation Malaysias: Chinesen (ca. 30%) und Inder (etwa 8%) stehen unter dem Druck der muslimischen malaiischen Mehrheit, ohne daß es jedoch bisher zu staatsgefährdenden Konflikten gekommen wäre.

Die Boomökonomie der letzten 20 Jahre mit Wachstumsraten z.B. 1987-1994 von durchschnittlich 8,7% hat die Einkommensunterschiede zwischen reicheren Nichtmalaien und der malaiischen Bevölkerung verringert und die Strukturen der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, der gesellschaftlichen Schichtung und der politischen Eliten nachhaltig verändert.

Malaysia ist kein Billiglohn-Land mehr, Arbeitskräftemangel und Defizite im Ausbildungswesen bilden zukünftig jedoch riskante Engpässe für eine weitere dynamische Entwicklung.

Parallel zur forcierten Malaiisierungspolitik - auf zentralstaatlicher Ebene abgesichert durch ein von der Partei UMNO dominiertes Parteienbündnis - entwickelt sich ein islamisches Staatswesen eigener Prägung. Taktische und kontrolllierte Islamisierung von Regierungsseite, Druck fundamentalistischer Kräfte, die Zwänge ökonomischer und gesellschaftlicher Modernisierung sowie die ethnisch, kulturell, sprachlich und religiös uneinheitliche Bevölkerung ergeben ein Spannungsverhältnis, das bisher ausbalanciert werden konnte.

Unter Führung des Finanzministers Anwar steht ein gemäßigt malaiisches und nicht fundamentalistisch, aber islamisch orientiertes Team junger Technokraten bereit, demnächst die Macht des fast 70-jährigen Premierministers Mahathir zu übernehmen. Eine grundsätzlich neue Politik ist dabei jedoch nicht zu erwarten.

Das Wichtigste auf einen Blick

Malaysia gilt zu Recht als ethnisch heterogenes und multikulturelles Land, dem es gelang (mit Ausnahme 1969), die kommunalistischen Spannungen nicht eskalieren zu lassen, vertretbar zu mediatisieren und über Jahrzehnte ein breitenwirksames Wachstum durchzusetzen. Die kommunalistische Politik, die immer und in erster Linie Macht- und Verteilungspolitik ist, erscheint dabei als Gratwanderung zwischen Befriedung und doch möglicher Eskalation. Raison d'etre des Staates ist der Anspruch der Malaien (vermutlich 51% der Bevölkerung), als eingesessene Bumiputeras ("Söhne der Erde"), gegenüber den eingewanderten Chinesen (30,7%) und den Indern (8,3%) die politische Hegemonie auszuüben und diese - seit 1970 - auch zur ökonomischen Gleichstellung zu nutzen.

Der eigentlichen Urbevölkerung, den Proto-Malaien, in Ost-Malaysia (Sabah und Sarawak) etwa 55% der dortigen Bevölkerung (9% der Gesamtbevölkerung), können diese besonderen Rechte gleichfalls kaum vorenthalten werden. Numerisch bauen sie den Anteil der Bumiputeras an der Gesamtbevölkerung sogar noch weiter aus. Die Proto-Malaien unterscheiden sich jedoch in vielfacher Weise von den Malaien (Sprache, Kultur, Religion) und auch untereinander. Sie haben meist kein eigenes Identitätsgefühl innerhalb der größeren ethnischen Verbände entwickelt, in die sie gruppiert werden. Dies entwickelten nur die meist christlichen Kadazan in Sabah gegen die dominierenden Malaien. Diese friedliche Rebellion und Identitätsfindung an den Wahlurnen und durch die Bildung einer kadazan-geführten oppositionellen Regierung in Sabah wurde 1994 beendet.

Die Definition des Malaientums ist ohne Rückgriff auf Kultur und Tradition nicht möglich. Wichtige Komponente sind der islamische Glaube, die malaiische Sprache und die traditionale Ordnung der Sultansherrschaft, die die malaiische Identität prägen. Der Islam wurde zur Staatsreligion erklärt, die malaiische Sprache wurde, auf Kosten des Englischen bzw. Chinesischen, im Erziehungswesen und im öffentlichen Leben verbindlich durchgesetzt. Die Rechte der Sultansfamilien in neun der dreizehn Bundesländer wurden respektiert, ihre Stellung verfassungmäßig geschützt und der Staat wurde als föderative konstitutionelle Wahlmonarchie organisiert. Der politische Prozeß findet durch kommunalistisch organisierte und institutionalisierte Massenparteien statt. Ein Bündnis dieser Parteien regiert, dem jeweils kommunalistische Oppositionsparteien gegenüberstehen. Letztere müssen notwendigerweise die Interessen ihrer "Community" schärfer artikulieren als die jeweiligen Regierungsparteien und begründen damit ihre strukturelle Regierungsunfähigkeit, da sie nicht oder sehr schwer untereinander koalitions- bzw. kooperationsfähig sind.

Entschieden über die Ausübung der Macht wird in pluralistischen, freien, geheimen, aber unfair gestalteten Wahlen, in denen die Regierungsparteien sich immer durchzusetzen wußten. Wichtig ist, daß die Oppositionsparteien aufgrund des Mehrheitswahlrechts zwar parlamentarisch meist nur schwach repräsentiert sind, ihr Stimmenanteil gleichwohl immer beachtlich ist und sie von dieser Seite ihren kommunalistischen Opponenten in der Regierung immer dicht auf den Fersen sind. Das zwingt die malaiische UMNO-Partei, immer an die Breitenwirkung ihrer (Entwicklungs-)Politik zu denken.

In den 70er und 80er Jahren vollzog sich in der UMNO ein schleichender Strukturwandel. Die Partei- und damit Regierungspolitik wurden bis dahin bestimmt von westlich gebildeten (Jura, Cambridge, Golf und Polo) Mitgliedern des Adels und der alten Eliten, die sich auf die dörflichen Eliten (Dorfschullehrer) stützten. Diese wurden zwar ab 1970 gezwungen, die Malaiisierungspolitik zu forcieren, betrieben aber doch eine alles in allem konziliante Politik gegenüber den Eliten der anderen Ethnien. Der enorme Wirtschaftsboom mit Industrialisierung und Urbanisierung, der forcierte Ausbau und die Ausweitung des Bildungswesen sowie die Ausweitung des Staatssektors führte zum Aufstieg nicht-adeliger und bisher nicht-begüterter im Lande oder der Region ausgebildeter Akademiker, die die politischen Kommandohöhen in der Partei zu besetzen begannen und auf Verschärfung der malaiischen Vorrechte zu ihrer und ihrer Volksgruppe Nutzen drängten. Diese Gruppe wird personifiziert durch Premierminister (seit 1981) Dr. Mahathir Mohamad, einem in Singapur ausgebildeten Arzt, der noch eine Dekade vor seinem Amtsantritt als malaiischer Radikaler aus der Partei zeitweise ausgeschlossen war. In den 80er Jahren überstand Mahathir einen innenpolitischen Machtkampf knapp gegen einen Vertreter der alten Garde, den Onkel des Sultans von Kelantan. Es kam damals zur Spaltung der Partei, und erstmals schien ein Oppositionsbündnis, unter Führung der Dissidenten, die Regierungskoalition ablösen zu können. In den Wahlen von 1992 fiel die Entscheidung jedoch erneut zugunsten der Regierungskoalition. Die UMNO konnte sich inzwischen wieder konsolidieren. Viele Dissidenten kehrten in den Schoß des Siegers zurück.

Unter Mahathir erlebte das regierende Parteienbündnis einen entscheidenden Wandel. War es zuvor im Kern eine Koalition, in der die kleineren mit der dominanten Partei verhandelten, wurde der hegemoniale Charakter des Bündnisses immer deutlicher: Die Entscheidungen fielen in der UMNO und wurden den anderen Parteien mitgeteilt. Diese sind zwar frei, das Bündnis zu verlassen, haben in der Opposition aber kaum Überlebenschancen, da ihre Funktion dort schon ausgefüllt ist.

Mahathir ist zwar Exponent der Malaien, zugleich jedoch Technokrat, der weiß, daß Sonderrechte nicht viel nützen, wenn der Wirtschaftsboom den Verteilungsspielraum nicht erhöht und ein wirtschaftlicher Strukturwandel diesen nicht langfristig absichert. Hierbei eröffnen sich immer wieder Spannungen und Konfliktzonen, die die kulturelle Identität der Malaien und der anderen Volksgruppen, das Wirtschaftswachstum und damit die Stabilität der politischen Ordnung berühren. Daran wird auch der Generationswechsel nichts ändern, der durch den Aufstieg Anwar Ibrahims zum zweiten Mann in der Partei und der Regierung und damit zum voraussichtlichen Nachfolger Mahathirs 1993 vollzogen wurde.

Boomökonomie und soziale Integration der Ethnien

Der Human Development Report von 1994 stellt Malaysia als eine der relativ wenigen multi-ethnischen Gesellschaften heraus, denen ein hohes Wachstum und eine deutliche Verbesserung der ökonomischen und sozialen Position der bisher armen Ethnien gelungen ist.

Das Wachstum der Ökonomie Malaysias ist in der Tat beeindruckend. Es betrug in den 70er Jahren 7,9% p.a., 1980 - 1992 lag es im Durchschnitt wegen der Rezession 1985/86 mit 5,9% zwar deutlich niedriger, ist im internationalen Vergleich aber immer noch recht passabel. Es lag damit auch deutlich über dem für asiatische Verhältnisse immer noch hohen Bevölkerungswachstum von 2,4 - 2,5% p.a., das in den vergangenen Jahrzehnten, anders als in den Nachbarländern, nicht abgesenkt werden konnte und dessen Rückgang auf 2% erst im laufenden Jahrzehnt erwartet wird. Wachstumspromotoren waren zunächst der sich diversifizierende Erdöl-, Rohstoff- und Agrarexportsektor, dann zunehmend die Exportindustrien. Die Ausfuhren (11,3% p.a.) und das verarbeitende Gewerbe (10%) erlebten 1980 - 1992 zweistellige Zuwachsraten.

Ökonomie und Gesellschaft unterlagen einem erheblichen Strukturwandel: der Anteil der Industrie (verarbeitendes Gewerbe) am BIP nahm von 13% (1970) auf 20% (1980), 27% (1990) und 30% (1993) zu. Der Anteil des Agrarsektors nahm entsprechend von 31% (1970) auf 23% (1980) und 19% (1990) ab. Aufgrund der unterschiedlichen Produktivitäten stieg der Anteil der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe nur auf 15,8% (1980) und 17,8% (1990) und hielt sich im Agrarsektor bei 38,7% (1980) und 30,3% (1990), der damit allerdings auch von der Einkommensseite seine einstige Dominanz deutlich einbüßte. Die Internationalisierung und Durchkapitalisierung der Ökonomie, die, aufgrund des schon in der Kolonialzeit wichtigen Plantagen- und Bergbausektors, traditionell bedeutender war als in den anderen Ländern der Region, wurde noch weiter vertieft: Der Anteil des Exports von Waren und Dienstleistungen am BSP nahm von 45% (1970) auf 71% (1987) und fast 89% (1992) zu. Der Anteil der Lohnempfänger an der Gesamtbeschäftigung stieg in den 70er Jahren noch einmal deutlich an (1970: 48%, 1980: 60%), stagniert seither allerdings auf diesem hohen Niveau (1989: 61,9%, Unternehmer: 4% (1970, 1980) bzw. 3,3% (1989)).

Viele Investitionen in die Schwer- und Grundstoffindustrie durch Staatsunternehmen wurden in der ersten Hälfte der 80er Jahre durch Kreditaufnahme und Verschuldung im Ausland finanziert. Die Auslandsschulden stiegen in dieser Zeit von 6,6 Mrd. US$ (1980, 28% des BSP) auf 22,8 Mrd. $ (1987, 77% des BSP). Nach der Rezession (1985 - 1986) begann man mit einer z. T. vorzeitigen Rückzahlung der Auslandsverbindlichkeiten (auf 17,8 Mrd. $ oder 40% des BSP, 1991). 1992 und 1993 wurde die Verschuldung nominal wieder etwas ausgeweitet. Der Gesamtverschuldung über 19,8 Mrd. $ (1992) stehen allerdings Devisenreserven über 18 Mrd. $ (1991: 11,7 Mrd.) gegenüber, die seither weiter kräftig aufgestockt wurden (Dez. 1993: 27,4 Mrd. $ 1994: 34,9 Mrd.). Der Schuldendienst (Anteil am Export von Waren und Dienstleistungen) hatte 1987 mit 21,2% knapp die kritische Grenze überschritten, ist inzwischen jedoch relativ unbedeutend (1991: 7,6%, 1992: 6,6%). Das bedeutet: Obwohl manche Kredite nicht wirtschaftlich verwendet wurden, viele in riskante, auch zunächst defizitäre und vielfach nur mittel- und langfristig rentable Projekte geflossen sind, gelang ihre Rückzahlung aus der Gesamtdynamik des Wirtschaftsbooms, zu dem diese gewiß auch beigetragen haben.

Nach der Krise Mitte der 80er Jahre wurden die Malaiisierungsziele des Korporativvermögens stillschweigend außer Kraft gesetzt und 1987 die Anlagebedingungen für ausländische Direktinvestitionen liberalisiert und allgemein erheblich verbessert. Das Ergebnis war ein privater Investitionsboom sowohl inländischer wie ausländischer Unternehmer, der das wirtschaftliche Wachstum zwischen 1987 und 1994 auf durchschnittlich 8,7% p.a. anhob.

Während die Neuverschuldung 1985 - 1988 noch zusammen 9,2 Mrd. $ betrug und 1989 - 1992 auf 7,8 Mrd. $ abgesenkt wurde (bei einem Abfluß an Kapital- und Zinsdienst von zusammen 19,4 bzw. 14 Mrd. $), stiegen die eingehenden Direktinvestitionen von zusammen 2,3 Mrd. $ (85/88) auf 13 Mrd. $ (89/92), denen Gewinnabflüsse von 4,5 Mrd. bzw. 8 Mrd. $ gegenüberstanden.

Der Höhepunkt des ausländischen Investitionsinteresses wurde 1990 markiert, als Investitionen von 10,5 Mrd. $ genehmigt und 2,3 Mrd. realisiert wurden. Seither flachten sich die genehmigten Investitionen auf (1992) 6,9 Mrd. $ (aktueller Zufluß: 4,1 Mrd.) ab und erlebte 1993 mit 2,3 Mrd. $ einen für malaysische Verhältnisse besorgniserregenden Einbruch.

Das mag weltwirtschaftliche (Konkurrenz anderer Anlageländer, Rückgang aller Auslandsinvestitionen) und hausgemachte Ursachen haben (1992 Diskussion über eine erneute Forcierung des Bumiputera-Anteils, Engpässe in der Infrastruktur durch Überhitzungserscheinungen). Die Regierung reagierte prompt. Der Haushalt 1993/94 berücksichtigte steuerliche Verbesserungen für Unternehmensgewinne und Reinvestitionen, Steuerbefreiungen für Forschungs- und Entwicklungsunternehmen, Technologieprojekte sowie für Touristikunternehmen und Auslandsinvestitionen malaysischer Unternehmer. Die Ausgaben für die Infrastruktur im Transport-, Energie- und Kommunikationsbereich wurden um 28% ausgeweitet. In den ersten sieben Monaten 1994 übertrafen die genehmigten Neuinvestitionen mit 2,8 Mrd. $ schon die des gesamten Vorjahres (2,3 Mrd. $). In den 90er Jahren stammten etwa 55% der genehmigten Investitionen im korporativen Sektor aus dem Ausland, 45% erbrachte das einheimische Privatkapital.

Wichtig ist die Breitenwirkung all dieses wirtschaftlichen Schaffens: Die Erwerbstätigkeit ist in den 70er Jahren um 3,7%, 1980 - 1992 um 2,8% p.a. gestiegen. Die Einkommen der Beschäftigten sollen jährlich im Durchschnitt um 2% bzw. 2,4% angehoben worden sein. Die amtlich wohl eher zu hoch angesetzte Arbeitslosigkeit sank von 8,5% (1986) auf 6% (1990) und 3% (1993). Damit herrscht Vollbeschäftigung und akuter Arbeitskräftemangel in niedrig-entlohnten und unwirtlichen Beschäftigungen, wie auf den Plantagen und im Bausektor, aber auch im Facharbeiter-, Ingenieur- und Managementbereich. In den Niedriglohnjobs arbeiten heute legal 430.000 ausländische Arbeiter, vor allem aus Indonesien, Bangladesh, den Philippinen, sowie, trotz Amnestie- und Registrierungsangebot, mehrere Hundertausend illegal (in West-Malaysia angeblich 200.000, in Sabah vermutlich deutlich mehr). Im September 1994 wurde vereinbart, daß jährlich weitere 50.000 Arbeiter, Ärzte und Krankenschwestern in Bangladesh rekrutiert werden sollen. Der Bedarf an Akademikern wird z. T. durch die Zuwanderung in der Heimat arbeitsloser Briten abgedeckt, die bereit sind, in Malaysia zu den ortsüblichen Gehältern (und ohne Auslandszuschlag) zu arbeiten. Diese befinden sich mittlerweile im qualifizierten Akademikerbereich in der Nähe derjenigen, die in Großbritannien gezahlt werden.

Trotz erheblicher Investitionen in das Erziehungs- und Ausbildungswesen gibt es noch zahlreiche Analphabeten (1990: 22%, unter den Frauen 30%), haben immer noch relativ wenig Beschäftigte eine tertiäre Ausbildung, werden von diesen überwiegend die nicht-wirtschaftsrelevanten Kultur-, Rechts- und Sozialwissenschaften und zu wenig Ingenieur- und Naturwissenschaften und Betriebswirtschaft studiert. Großzügige Stipendienprogramme und Quoten für Bumiputeras wurden bis 1983 ausschließlich nach Bedürftigkeit und Ethnizität, nicht nach Qualifikation vergeben, und den oft mäßig qualfizierten Absolventen wurden in der extrem aufgeblähten Verwaltung und im öffentlichen Sektor Arbeitsplätze reserviert.

Diese Defizite im Ausbildungswesen bilden für die Zukunft wesentliche Hindernisse für das weitere Wachstum und die notwendige Entwicklung zunehmend kapitalintensiverer, produktiverer und technologieintensiverer Produktionen, die gebraucht werden, da Malaysia schon längst sich nicht mehr auf der Ebene eines reinen Billiglohnlandes bewegt und die Arbeitskräfteknappheit die Löhne und damit die Lohnstückkosten in die Höhe treiben wird. Eine notwendige erhebliche Steigerung der noch niedrigen Masseneinkommen ist nur durch eine gleichzeitige Steigerung der Arbeitsproduktivität möglich, da sie über den Weltmarkt realisiert werden muß.

Die amtliche Statistik weist eine deutliche Abnahme der Einkommensbezieher unter der Armutsgrenze von 46% (1976) auf 17 % (1990) aller Haushalte, der absoluten Armut auf etwa 2%, aus. Die arme Bevölkerung verteilt sich regional unterschiedlich. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in Sabah mit 34% am höchsten und liegt in den überwiegenden ländlichen und malaiisch besiedelten Bundesstaaten Trenganu, Kelantan und Kedah noch um die 30%. Diese Daten deuten an, daß die relativ Armen vor allem unter den kleinbäuerlichen Bumiputeras zu finden sind.

Darüber soll jedoch nicht übersehen werden, daß die 1970 eingeleitete und 1990 offiziell beendete New Economic Policy vielen Bumiputeras durch Stipendien- und Lizenzvergabe, Bevorzugung mit Krediten und Aufträgen und durch Quotenschutz half, vom Land in die Stadt in moderne Beschäftigungen als Selbständige, Unternehmer, Akademiker usw. zu wechseln. Auf diese Weise werden akademische, Management- und Unternehmerpositionen allerdings sehr häufig mit sub-optimal qualifizierten und motivierten malaiischen Aufsteigern besetzt, die durch Protektion, Quoten und Renten vielfach nicht einem leistungsfördernden Wettbewerb ausgesetzt werden, was letztlich von den Nicht-Bumiputeras bezahlt und möglicherweise mit Wachstumsverlusten erkauft werden muß. Dennoch: Die Einkommen der begünstigten Bumiputeras wuchsen schneller als die der anderen ethnischen Gruppen. In einer engen Spitze wurden große Vermögen erworben, aber auch die Breite der mittleren Einkommensbezieher wurde ausgeweitet und die Einkommen der unteren Einkommensbezieher wurde z. T. angehoben. Alle Daten deuten jedoch darauf hin, daß die Einkommen der Bumiputeras die der Chinesen, die auch vom Wachstum profitierten, noch nicht erreicht haben, wenn auch der Unterschied geringer wurde. Der soziale Frieden zwischen den Ethnien konnte bewahrt werden. Spannungen treten jedoch immer wieder auf und werden meist zugunsten der Bumiputeras entschieden. Gleichwohl geht die Gefahr für den ethnischen und sozialen Frieden nicht von den anderen Ethnien, sondern eher von den Bumiputeras aus, die selbst um ihre eigene Identität ringen. Am Beispiel einiger jüngerer Entwicklungen soll das aufgezeigt werden.

Bumiputera-Vorrechte und wirtschaftliche Optimierung

Das hohe wirtschaftliche Wachstum ermöglicht Verteilungsspielräume, an denen, in unterschiedlichem Maße, fast alle partizipieren können. Eine deutliche Abflachung oder gar ein längerer Einbruch des Wachstums würde die kommunalistischen Beziehungen gewiß deutlich schwieriger gestalten, da irgendeine Form gemeinsamer "nationaler" Identität eigentlich nicht entwickelt wurde. Ein hohes wirtschaftliches Wachstum wird in Zukunft allerdings immer weniger auf den natürlichen komparativen Vorteilen des Landes aufbauen können, sondern wird zunehmend auf technologische Kompetenz und wirtschaftliche Effizienz setzen müssen, um sich gegenüber den nachrückenden Billiglohnländern abzugrenzen und um mit den Schwellenländern der ersten Generation gleichzuziehen bzw. deren inzwischen verlassenen Platz erobern zu können. Bumiputera-Vorrechte, die die Fehlallokation und ineffiziente Verwendung von Ressourcen begründen, die nicht durch die Verbreiterung der Chancengleichheit ein größeres Leistungspotential zu schaffen suchen, sind mit diesen Anforderungen immer weniger vereinbar. Im Grunde sucht die Bumiputera-Förderung bisher eine Gleichheit der Ethnien im Ergebnis, nicht eine Gleichheit der Chancen zu erzielen. Das Ergebnis waren viele allein auf die Aneignung von staatlichen Renten fixierte Unternehmer und nicht eben leistungsorientierte Akademiker, die die Wärme der staatlichen Verwaltung suchen.

Mahathir und Anwar Ibrahim, die als radikale Exponenten der malaiischen Vorrechte angetreten sind und sich auch heute durchaus zu recht noch so verstehen, haben die Gefahr erkannt, wobei die Krise von 1985/86 dieser Erkenntnis besondere Schubkraft verliehen hat. Die Politik der Liberalisierung, Privatisierung, der zukünftigen Begrenzung des quantitativen Wachstums der Verwaltung, der Umstellung der Förderung von Bumiputera-Unternehmen und von Studenten auch auf Leistungskriterien, die Aufgabe des Ziels, den Bumiputera-Anteil am modernen Produktivvermögen drastisch anzuheben (1970 - 1990 wurde eine Steigerung von 2% auf 30% angestrebt, tatsächlich wurden amtlich 20% erreicht, die inzwischen (1992) auf 18,2% wieder abgebröckelt sein sollen) gehen alle in diese richtige Richtung und finden verständlicherweise nicht nur Unterstützung unter den Bumiputeras.

Ein wichtiges Problem ist die Sprachenfrage: Die Sprache ist bekanntlich ein wichtiger Schlüssel zur Definition der Identität einer Volksgruppe. In einer multikulturellen Gesellschaft eröffnen sich zudem erhebliche Wettbewerbsvorteile, wenn die eigene Muttersprache als Medium der Kommunikation durchgesetzt werden kann. Die Malaien vermochten ihre Muttersprache als verbindliche Staatssprache durchzusetzen. Seit den 70er Jahren darf in den öffentlichen Schulen und Universitäten nur in Malaiisch gelehrt werden. Der Eintritt in den öffentlichen Dienst ist an den Nachweis von entsprechenden Sprachkenntnissen gekoppelt. 1990 wurde am Obersten Gericht das Malaiische verbindlich eingeführt. Diese Politik richtet sich gegen die Chinesen und Inder, die gezwungen wurden, im öffentlichen Leben sich dieser für sie fremden Sprache zu bedienen. Der Anteil der Bevölkerung, der in Malaiisch kommunizieren kann, soll von 71% (1970) auf 89% (1980, neue Daten liegen nicht vor) gestiegen sein.

Diese Politik ging auch auf Kosten des Englischen, dessen Verbreitung quantitativ zwar weiter ausgeweitet wurde (1970: 14%, 1980: 23%), dessen Qualität aber doch vielfach - insbesondere unter den akademisch gebildeten Malaien - nachgelassen haben soll. Damit eröffnet sich der Konflikt zwischen der staatsnationalen Gesellschaft - in der eine der lokalen Sprachen gegen andere lokale Sprachen durchgesetzt werden kann - und der transnationalen Gesellschaft, in die Malaysia durch die extrem internationalisierte Ökonomie eben auch eingebunden ist. Internationale (Geschäfts-)Sprache ist Englisch. Gute und umfassend verbreitete Englischkenntnisse sind ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Ländern, in denen Eliten und Mittelschichten vor allem Lokalsprachen sprechen.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen staatsnationaler und transnationaler Gesellschaft hat zur Konsequenz, daß die begüterten und gebildeten Nicht-Bumiputeras, die durch diese Sprach- und Bildungspolitik zugunsten der Malaien aktiv diskriminiert werden, doch wieder einen Weg gefunden haben, ihre Benachteiligung in einen Vorteil umzumünzen. Da das Quotensystem nur relativ wenigen von ihnen erlaubt, an den sieben Landesuniversitäten (mit zusammen 60.000 Studenten) zu studieren, gehen viele an ausländische Hochschulen in meist englischsprachigen Ländern (USA, Großbritannien, Australien - deutlich vor Ägypten, in denen etwa 40.000 Studenten aller Ethnien studieren). Die Kosten sind jedoch beträchtlich und müssen von den Nicht-Bumiputeras überwiegend privat aufgebracht werden. Viele Kinder aus den nicht so begüterten Mittelschichten besuchen daher private Colleges in Malaysia. In diesen kann in Englisch unterrichtet werden, ihre Examina werden von der Regierung jedoch nicht anerkannt. Diese privaten Hochschulen haben daher Kooperationsverträge mit ausländischen Universitäten abgeschlossen, die es ihnen erlauben, ausländische Diplome auszustellen oder es den Studenten ermöglichen, ihr Grundstudium kostensparend in Malaysia und das Hauptstudium an der ausländischen Partneruniversität zu absolvieren.

Die besseren englischen Sprachkenntnisse geben den Nicht-Malaien einen Wettbewerbsvorteil im privaten Sektor, wo sie bevorzugt eingestellt werden und leichter aufsteigen können als die Malaien mit nur gebrochenem Englisch. Mahathir hat diese Probleme erkannt und sucht - durchaus nicht ohne Widerstand malaiischer Ultras - gegenzusteuern. Der Unterricht in Englisch wurde 1993 an den Staatsuniversitäten stillschweigend wieder erlaubt. Es wird versucht, deren Internationalisierung durch die Aufnahme von ausländischen Studenten zu erreichen. Schließlich müssen ihre Aufnahmekapazitäten erheblich erweitert und ihr Standard angehoben werden. 1994/95 wurden alle Bildungsausgaben auf 24% des Staatshaushalts angehoben (1991: 20%, 1980: 13%).

Multikulturelle und/oder politische Konflikte

Was ist eigentlich ein Bumiputera ("Sohn der Erde") ? Die ortsansässige malaiische Bevölkerung versteht sich als Bumiputera und begründet damit ihre Vorrechte gegenüber der eingewanderten Bevölkerung aus China und Indien. Muslimische Einwanderer aus Indonesien, 1957 immerhin 4,5% der Einwohner Malaysias (44,6% waren Malaien, 0,7% "Ureinwohner"), gelten auch als Bumiputeras und werden zensusmäßig inzwischen nicht mehr getrennt erfaßt. Die Indonesier wanderten mehrheitlich später ein als die malaiisierten Chinesen ("Baba-Chinesen") und die kleine portugiesische Gemeinschaft, die vor einem halben Jahrtausend ins Land kam, die beide nicht den Bumiputera-Status besitzen (die Portugiesen bemühen sich um ihn!).

Ältere Rechte als die Malaien haben die eigentlichen Ureinwohner, die Proto-Malaien, worunter sehr unterschiedliche kulturelle, sprachliche und ethnische Gruppen zusammengefaßt werden. In West-Malaysia ("Orang Asli") sind sie mit 50.000 Angehörigen nahezu unbedeutend und marginalisiert. In Sarawak und Sabah stellen sie vermutlich noch die Mehrheit, werden in Sabah aber durch die Einwanderung muslimischer Filipinos und Indonesier wohl bald in die Minderheit geraten. Diesem Bevölkerungsteil gesteht man den Bumiputera-Status zu. Mit dem Beitritt zur Föderation vermochten die Bewohner Sabahs und Sarawaks zudem einige weitere Sonderrechte auszuhandeln. Ein irgendwie geartetes überörtliches Identitätsgefühl mit Tradition, was sich auf einen Stamm, Ethnie, "Nation" bezog, gab es in dieser Bevölkerung bis vor kurzem eigentlich nicht. In Sabah wurde dieses erst durch christianisierte Akademiker in den 50er und 60er Jahren aktiv gefördert, die unter den Dusun den lokalen Kadazan-Dialekt, aus einer Gegend in der Nähe der Landeshauptstadt Kota Kinabalu, zu verbreiten und eine gemeinsame Kadazan-Identität durchzusetzen versuchten. Die Kadazan hatten die örtliche Macht beim Eintritt in den Bundesstaat (1963) in der Hand, verloren sie jedoch bald.

In Sabah bildeten sich - anders als in West-Malaysia - multiethnische Parteien, in denen zwar christliche Kadazan vertreten waren, die aber durch Muslime und Malaien dominiert wurden, die als Regierungsparteien der bundesstaatlichen Koalition ("Nationale Front") in Kuala Lumpur beitraten und die Föderalisierung der Landesbürokratie betrieben: In den 80er Jahren wurden nur noch 19 Departments von der Regierung in Kota Kinabalu und 51 durch die Bundesregierung in Kuala Lumpur (1963: 13) kontrolliert. Auch eine aktive muslimische Missionspolitik mit deutlicher Benachteiligung der Christen, eine aktive Sprachpolitik zur Durchsetzung des Maliischen auf Kosten des Kadazan und der anderen Sprachen, aber auch eine Bildungs- und Entwicklungspolitik, die die Zahl der modern ausgebildeten nicht-malaiischen Bumiputeras deutlich ansteigen ließ, gehörten dazu.

Die Nicht-Malaien sahen sich an den Rand gedrängt und bedroht, durch die amtlich tolerierte Einwanderung von Filipinos und Indonesier auch zahlenmäßig marginalisiert zu werden. Der Zensus erfaßt ihre Stärke inzwischen nicht mehr. Zusammen mit den Malaien und den genannten Einwanderern werden sie in der Kategorie "pribumi"(=Bumiputera) eingeschmolzen. Die unzufriedenen Elemente sammelten sich in der 1963 gegründeten Kadazan Cultural Association, die seit Beginn der 80er Jahre einen großen Zulauf erhielt. Wichtig für die kulturelle und schließlich politische Identitätsbildung wurde das jährliche Erntedankfest, das früher nur im lokalen Rahmen begangen wurde, nun aber mit landesweiter Beteiligung zentral veranstaltet wurde. Der erste und der vorletzte Chefminister (Donald Stephens, Pairin Kitigan) wurden von den Häuptlingen der Kadazan zum Oberhäuptling gewählt, eine Position, die es vorher auch nicht gegeben hat und die eigentlich keine Tradition besitzt.

Die Rezession, die in Sabah ab 1982 einsetzte und bis heute nicht ganz überwunden ist, (das Wirtschaftswachstum liegt deutlich unter dem des Gesamtstaates) und die die Beschäftigungschancen der ausgebildeten Bewohner Sabahs immer dünner werden ließ, gab deren ethnisch-kulturelle Identitätsbildung und Ressentiments gegenüber der von Kuala Lumpur gesteuerten Entwicklung, die vielfach als koloniale Beziehung (Rohstoffe: Erdöl, Holz gegen Industriewaren, Nettoabfluß aus dem Staat) charakterisiert wurde, zusätzliche Impulse.

Ressentiments gegen Kuala Lumpur und die Hegemonie der malaiischen Muslime war nicht auf die Kadazan beschränkt, sondern wurden auch von anderen Volksgruppen getragen. Unter der Führung des in Australien ausgebildeten Juristen und früheren Ministers, des katholischen Kadazan Joseph Pairin Kitigan, wurde mit der United Sabah Party (PBS) eine multi-ethnische Partei gegründet, die 1985 mit 36% der Stimmen 53% der Sitze im Landesparlament erringen konnte.

Der seither offene Konflikt zwischen der Zentralregierung in Kuala Lumpur, d.h. der die "Nationale Front" beherrschenden Regierungspartei UMNO, und der PBS prägt nunmehr seit fast zehn Jahren das politische Klima zwischen Zentrale und dem oppositionellen Sabah. Die von den christlichen Kadazan geführte Partei und Regierung wurde in Wahlen 1986 und 1990 eindrucksvoll bestätigt und unterlag erst 1994 den massiven Interventionen, Manipulationen und Intrigen der UMNO: Seit März 1994 regiert nunmehr die UMNO mit einem ethnisch gegliederten sieben-Parteien-Bündnis in Kota Kinabalu, die finanzielle und administrative Macht der Zentralregierung, rassistische Argumentationen, rücksichtsloser Medieneinsatz sowie der Kauf von Abgeordneten haben zu einem fragwürdigen Machtwechsel geführt.

Identitätsbildung durch den Islam und Re-Islamisierung

Die Identität der Malaien wird durch den Islam bestimmt und geprägt. Man kann als Malaie praktisch keiner anderen Religion angehören bzw. dem Islam abschwören. Obwohl die anderen Religionen toleriert werden, ist der Islam Staatsreligion. Obwohl die Malaien praktizierende Muslime sind, stand der Islam durchaus nicht im Mittelpunkt des öffentlichen und privaten Lebens. Erst die strukturellen Verwerfungen und Umschichtungen des Wirtschaftsbooms, die viele malaiische Bauernsöhne und -töchter in die Stadt und an die Universitäten brachte, die Ungleichmäßigkeit des Booms, führte ab Ende der 60er und den 70er Jahren zu einer Re-Islamisierungsbewegung an der gesellschaftlichen Basis, insbesondere unter den malaiischen Studenten. Diese Dakwah-Bewegung ist ausgesprochen vielgestaltig. Sie umfaßt eher unpolitische selbst-zentrierte Gemeinschaften, die ein gottgefälliges Leben zu praktizieren versuchen, Jugend- und Studentenbewegungen, die Unterdrückung und Ausbeutung durch die herrschende laizistische Klasse thematisieren, Radikale, die die Einführung einer Islamischen Republik, eines Islamischen Staates fordern. Diese Bewegungen wurden radikalisiert durch das Studium vieler malaiischer Studenten im Ausland, u.a. an den englischen Universitäten, wo sie in Kontakt mit fundamentalistischen Bewegungen aus anderen Ländern kamen. Der politischen Elite wurde das Problem erstmals plastisch vor Augen geführt, als Premierminister Hussein Onn, Mitte der 70er Jahre, seine Tochter von einem Studienaufenthalt in England vom Flughafen abholte und diese ihm traditionell-islamisch bekleidet mit Hijab entgegentrat. Hijab-bekleidete Mailaiinnen sollten hinfort zunehmend das Stadtbild, die Universitäten und die Behörden prägen.

Die sich radikalisierende Dakwah-Bewegung stellte einen Kernpunkt der Ideologie der UMNO und der von dieser geführten Regierung in Frage, die nun als "un-islamisch" denunziert wurde. Mahathir (als stellvertretender Premier ab 1976 und Premier ab 1981) sucht die Angriffsflächen für die Islamisten und die malaiische Opposition - die PAS, die sich auch re-islamisierte und die Einführung eines islamischen Staates und der Scharia forderte - zu vermindern, und sich selbst an die Spitze der Re-Islamisierung zu stellen, um diese zu kontrollieren. Dazu bedient er sich teilweise einer eher symbolischen Politik, etwa Umbenennung des Roten Kreuzes in Roten Halbmond, des verstärkten Baus von Moscheen, Gründung einer Islamischen Bank, islamischer Pfandhäuser, einer islamischen Versicherung, eines islamischen Krankenhauses sowie der Aufwertung der islamischen Richter und Gerichte. Man unternahm ferner konkrete Schritte, um die Hegemonie im ideologischen Bereich zu erzwingen. Es wurde ein islamisches Trainingszentrum sowie eine islamische Universität gegründet. Das religiöse Programmangebot in Rundfunk und Fernsehen wurde erheblich ausgeweitet. An allen Oberschulen und Universitäten wurden Zwangskurse über den Islam und die islamische Kultur eingeführt. Regierungsangestellte aller Konfessionen müssen obligatorisch Kurse über islamisches Recht besuchen und schließlich wurde 1992 eine islamische Denkfabrik, das Malaysian Institute for Islamic Understanding (nach dem malaiischen Akronym: IKIM), gegründet, die durch Veranstaltung von Seminaren, TV-Diskussionen und Veröffentlichungen eine "islamische Arbeitsethik" zu definieren und die Regierungspolitik im islamischen Sinne zu interpretieren und zu verbreiten hat. Auch die Außenpolitik betont das Islamische: Frühe Aufwertung der PLO-Repräsentanz zu einer Botschaft, Unterstützung der Palästinenser durch Konferenzen, in den internationalen Gremien und der internationalen Politik und auch argumentativ in den Medien. Im Fernsehen wird der Staatsnahme "Israel" zugunsten von "Zionisten" oder "Tel Aviv-Regime" vermieden. Spielfilme, die durch Thematisierung des Holocaust Sympathien für die Juden wecken könnten, werden von der Zensur nicht freiggegeben, wie jüngst "Schindler's Liste"; auf Betreiben von Anwar Ibrahim's wurde das Verbot allerdings dann doch aufgehoben. Während der israelische Premierminister Rabin schon im Oktober 1993 im benachbarten Djakarta war, um über eine Verbesserung der Beziehungen mit diesem islamischen Staat zu verhandeln, wird von Malaysia die Normalisierung des Verhältnisses zu Israel gegenwärtig noch herausgezögert, bis der Friedensprozeß im Nahen Osten abgeschlossen ist. In den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien wurde eindeutig Partei für Bosnien ergriffen, und es wurden auch muslimische Flüchtlinge aufgenommen.

Alles in allem ist das durchaus mehr als nur eine symbolische Politik, allerdings hat man bedacht, daß die wirtschaftliche Wachstumschancen nicht negativ berührt werden: Die Wett- und Spielleidenschaft der malaiischen und nicht-malaiischen Malaysier, kaum ein Anliegen gläubiger Muslime, versucht man z.B. nur etwas zu behindern, nicht aber wirklich zu verhindern. Seit langem werden keine neuen Lizenzen für Wett- und Spielunternehmen oder neue Wettbüros vergeben. Seit 1983 verkündet eine Plakette am Eingang des Spielkasinos von Gentine, daß der Sultan von Pahang den malaysischen Muslimen den Zutritt verbietet: für ausländische Muslime gilt das Verbot offenbar nicht. Genting steht dennoch an der Börse in Kuala Lumpur an sechster Stelle aller malaysischen Unternehmen (1994 Wert der Aktien: 5,9 Mrd. $) und befindet sich in Gesellschaft von vier weiteren Wett- und Spielunternehmen, deren gesamter Marktwert auf 10% der an der Börse gehandelten Unternehmen beziffert wird. Der Wett- und Glücksspielbereich ist eine der lukrativsten und mit 20% pro Jahr am schnellsten wachsenden Branchen (Umsatz von 2,3 Mrd. $, 1993). Der Staat verdient natürlich kräftig mit, 1993 wurden seine Einnahmen auf 390 Mill. $ geschätzt. Er versucht darüberhinaus, die Unternehmen zu veranlassen, Spenden an gemeinnützige und karitative Organisationen abzuführen. Dennoch: Die Wett- und Glücksspielunternehmen häufen ein enormes Geldkapital an, das angeblich zusammen 1 Mrd. $ beträgt und das sie, da eine Erweiterung der Branche im Lande nicht möglich ist, im Wett- und Glücksspiel im Ausland oder in branchenfremden Bereichen in Malaysia zu investieren versuchen.

Für radikale Muslime gibt es genügend Ansatzpunkte der Kritik und möglicherweise auch für fanatische Aktionen. Die Regierung versuchte, durch Gründung eines Islamischen Zentrums (Pusat Islam), mit einem National Council for Islamic Affairs, einem National Islamic Research Centre, dem später noch ein Dakwah Institute und ein Koraninstitut hinzugefügt wurden, die Entwicklung zu beobachten und, wenn möglich, zu regulieren (Prediger in den Moscheen sollen durch das Zentrum genehmigt werden) und auch durch repressive Maßnahmen einzuschränken (durch Verhaftungen ohne Gerichtsurteil unter dem Internal Security Act (ISA).

Gelegentlich kommt es zu militanten Auseinandersetzungen der Polizei mit kleineren fundamentalistischen Gruppen, die Tote und Verletzte kosten, jedoch bisher begrenzt blieben.

Unter den fundamentalistischen Bewegungen hat die 1968 gegründete Sekte Dural Arqam (etwa: Wohnsitz des Arqam, ein Begleiter Mohammeds) die bemerkenswerteste Entwicklung genommen. Ihr Gründer und Führer ist ein ehemaliger Religionslehrer in einer staatlichen Schule, Ashaari Muhamad (heute 57 Jahre), der durch Gründung möglichst autozentrierter islamischer Gemeinschaften, in denen nach den Regeln des Koran gelebt werden soll, einen islamischen Staat vorbereiten will. Die Sektenmitglieder kleiden sich in schwarze arabische Roben, Turban, Sandalen bzw. Purdah bei den Frauen. 1977 setzte Ashaari die Befürwortung der Polygamie durch (er selbst hat heute vier Frauen und fast 40 Kinder), was damals allerdings zu einer erheblichen Abwanderungswelle führte. Bis heute soll die Sekte 48 Gemeinschaften in Malaysia mit etwa 10.000 Mitgliedern aufgebaut haben, die 257 Schulen und zahlreiche Kliniken unterhalten und mit 417 Unternehmen in Malaysia und weiteren sechzehn Ländern (von Usbekistan über England bis China) tätig sind. Diese befinden sich im Bereich der Nahrungsmittelherstellung und -verarbeitung, Restaurants, Taxi- und Transportunternehmen, Immobilien- und Dienstleistungsunternehmen usw.. Das Anlagevermögen der Unternehmen in Malaysia soll sich auf etwa 116 Mill. $ belaufen.

Dorul Arqam sucht sich von der Oppositionspartei PAS und der Jugendbewegung ABIM, mit der man um die gleiche Klientel, vor allem Studenten vom Lande mit anti-establishment Orientierung, konkurriert, abzugrenzen. Die Sekte wurde daher von der UMNO-Regierung zeitweise mit Wohlwollen begleitet. Mahathier lobte sie noch 1981 als eine "genuin islamische Bewegung". Erst mit dem Eintritt Anwar Ibrahim in die Regierung (1982) setzten Vorwürfe der Ketzerei ein. Ab Ende der 80er Jahre wurden mehr und mehr ihrer Schriften indexiert, Ashaari ging 1988 ins freiwillige Exil ins Ausland und hielt sich meist in einem Luxushotel in Chiang Mai, Thailand, auf. Die Sekte wurde zunehmend als Bedrohung empfunden und im August 1994 schließlich verboten, ihre Schulen geschlossen, untersagt, daß die von ihren Unternehmen hergestellten Produkte ihren Logo tragen dürften. Im September 1994 wurde Ashaari von Thailand nach Malaysia abgeschoben, wo er in Haft genommen wurde. Das von der Regierung gegründete Islamische Zentrum soll darüber befinden, was mit der Sekte endgültig geschehen soll.

Moderater als Darul Arqam war und ist die 1971 gegründete Malaysian Islamic Youth Movement (malaiisches Akronym: ABIM), die die rituellen Aspekte des Islam, auch Kleidung (die Frauen tragen zwar den hijab, die Männer jedoch westliche Kleidung), als sekundär ansieht, und auf eine Islamisierung des Wirtschafts-, Rechts- und Erziehungswesens in Hinblick auf mehr sozio-ökonomische Gerechtigkeit, Einschränkung von staatlicher Willkür und Korruption, Durchsetzung der Bürgerrechte eintritt. Mitbegründer, führender Exponent und Präsident 1974-1982 war Anwar Ibrahim (geb. 1947). Anwar, dessen Vater schon Parlamentsabgeordneter der UMNO und Parlamentarischer Staatssekretär gewesen war, studierte Malaiisch in Kuala Lumpur und war eigentlich auch ein Produkt der weltweiten Studentenbewegung der '68er Jahre, nur studierte man in Malaysia nicht Marx und Mao, sondern den Koran. 1974 landete Anwar Ibrahim für seine Agitation unter den armen Bauern in Kedah unter dem ISA, ohne Gerichtsverfahren, für 22 Monate im Gefängnis. ABIM stand der Oppositonspartei PAS nahe, mit der immer wieder kooperiert wurde. Der Schachzug Mahathirs, Anwar eine Parlamentskandidatur für die allgemeinen Wahlen im März 1982 anzutragen, und ihn danach in seine Regierung aufzunehmen, wirkte damals wie ein Paukenschlag und hatte den Zweck, einen gemäßigten Exponenten der islamischen Bewegung zu kooptieren und mit diesem die schon eingeleitete kontrollierte Islamisierung voranzutreiben.

Die Nachfolgefrage: Anwar ante portas

Nach Anwars Seitenwechsel verlor ABIM zunehmend an Bedeutung. In den Studentenparlamenten wurde der Verband durch die Gruppe "Islamische Republik" verdrängt. Anwar stieg in der UMNO und in der Regierung auf, zunächst unter Förderung Mahathirs, zuletzt auch aus eigener Kraft, und steht inzwischen bereit, die wichtigsten Ämter selbst zu übernehemn.

Er begann 1982 als stellvertretender Minister im Amt des Premierministers und wurde im gleichen Jahr zum Vorsitzenden der Parteijugend gewählt, bisher eine einflußreiche Lobby für die Aufsteiger und für die radikale Durchsetzung malaiischer Vorrechte und Karrierechancen. Bald konnte er zum Minister für Kultur, Jugend und Sport aufsteigen, es folgte die Leitung des Landwirtschaftsministeriums und 1986 die Übernahme des ersten wichtigen Ministeriums (Erziehung). 1991 wurde er Finanzminister. Das sind Stationen und Lehrjahre auf dem Weg in das höchste Amt, auf das ihn Mahathir offenbar vorbereiten wollte. Auf dem Krisenparteitag 1987 stieg er als dessen Gefolgsmann zu einem von vier Vizepräsidenten der Partei auf.

Als eigentlicher Nachfolgekandidat des Parteivorsitzenden und Premierministers galt allerdings der stellvertretende Parteivorsitzende, der in Personalunion auch stellvertretender Premierminister ist. In diese Position rückte 1987 Ghafar Baba auf, während der Parteikrise gleichfalls ein Gefolgsmann Mahathirs. Ghafar, ein ehemaliger Lehrer und eher Repräsentant der alten Mitgliederbasis, ist etwa so alt wie Mahathir (beide sind 1994 69 Jahre alt) und - wie dieser - auch herzkrank (beide mußten sich einer By-Paßoperation unterziehen). Ghafar fühlte sich wohl in der Position des zweiten Mannes in Partei und Regierung und hatte keinen Ehrgeiz mehr, einmal an die erste Stelle zu treten. Mahathir, der noch keine Amtsmüdigkeit erkennen läßt und vorläufig nicht, wie sein Vorgänger Hussein Onn, aus Gesundheitsgründen zurückzutreten gedenkt, weiß dieses Arrangement mit Ghafar zu schätzen, hält es ihm doch weitgehend den Rücken frei, selbst zu entscheiden, wann er gegebenenfalls zurücktreten will.

Anwar wollte offenbar nicht so lange warten, zumindest aber die Nachfolgefrage zweifelsfrei klären, zumal die beiden anderen Vizepräsidenten der UMNO, Verteidigungsminister Badawi und Landwirtschaftsminister Junid, sich gleichfalls noch Hoffnungen auf das höchste Amt machten. Machtbewußt und mit Unterstützung der Presse seiner Gefolgsleute begann er seine informelle Kampagne, sicherte sich die Unterstützung fast aller 153 Parteidivisionen und zwang Ghafar Baba mangels Erfolgsaussichten zum Verzicht. Durchaus gegen den Willen des Parteiführers Mahathir konnte Anwar im Herbst 1993 auf dem Parteitag mit seinem sogenannten "Vision Team" unterhalb der Parteipräsidentschaft alle wichtigen Positionen besetzen, eine Mehrheit im 25-köpfigen Parteivorstand auf sich verpflichten und seine eventuellen Konkurrenten komplett ausbooten.

Damit steht dieses Bündnis der Vierzigjährigen bereit, unter Anwars Führung die Macht in der UMNO und damit der Regierung und dem Staat voll zu übernehmen. Man kann gespannt sein, ob das "Team" den Zeitpunkt Mahathir überläßt oder doch dessen Abtritt zu forcieren bzw. zu erzwingen sucht. Vor den allgemeinen Parlamentswahlen, die 1995 anstehen, wird sich allerdings kaum etwas entscheiden. Ein Kurswechsel unter Anwar ist nicht zu erwarten. Zwar versucht er sich in letzter Zeit in Nuancen gegenüber Mahathir durch größere Konzilianz und Verbindlichkeit im Auftreten, gerade auch gegenüber westlichen Staaten, zu profilieren, damit ist aber allenfalls ein etwas anderer Politikstil, nicht aber eine neue Politik zu erwarten.


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