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Großbritannien - Modell für Europa? / von Klaus Funken. - [Electronic ed.]. - [Bonn], 1994. - 15 S. = 52 Kb, Text . - (FES-Analyse) Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1997 © Friedrich-Ebert-Stiftung Großbritannien ist seit Jahren das attraktivste Anlageland der Europäischen Union für Auslandsinvestitionen, 36% aller US-amerikanischen und 40% aller japanischen Europainvestitionen konzentrieren sich im UK, 96 der 100 wichtigsten US-Firmen sind auf der Insel vertreten, 20% des Anlagevermögens stammen aus dem Ausland.
Der Wirtschaftsstandort Großbritannien wirbt mit niedrigsten Steuersätzen für Unternehmen, weniger Umweltauflagen, radikaler Deregulierung, bescheidenen Löhnen, geringen Lohnnebenkosten und "domestizierten" Gewerkschaften. Britisches social dumping kann zu Wettbewerbsverzerrungen in der Europäischen Union führen.
Die gesamtwirtschaftliche Bilanz der Thatcher-Major-Regierungen ist dennoch unbefriedigend. Nur bei der Inflationsbekämpfung gab es akzeptable Ergebnisse. Ein im europäischen Vergleich geringes Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und ein erhebliches Handelsbilanzdefizit bleiben Krisenherde.
Nach 14 Jahren Thatcher-Politik ist die Staatsquote größer als zu Labourzeiten (ca. 45% des BSP), die Steuerbelastung und die Sozialausgaben sind höher als am Ende der letzten Labourregierung, das Haushaltsdefizit pro Kopf liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt.
Zusammenfassung
"Britain is setting the agenda", verkündete Premierminister John Major mit etwas gezwungenem Selbstbewußtsein der eher ungläubigen britischen Öffentlichkeit nach einem Treffen europäischer Regierungschefs Ende des vergangenen Jahres. Er meinte damit, Europa müsse sich nun auch einer Radikalreform nach dem Thatcher-Muster unterziehen, wenn es in dem neuen globalen Wirtschaftssystem mithalten wolle.
Die Bemerkung von John Major überrascht auf den ersten Blick. Denn: die gesamtwirtschaftliche Bilanz des Thatcher-Jahrzehnts ist wenig beeindruckend: die Wachstumsraten der Wirtschaft blieben hinter den europäischen Mitbewerbern weiter zurück, zwei Millionen Industriearbeitsplätze gingen für immer verloren, der Erfolg bei der Inflationsbekämpfung blieb zwiespältig, die Steuerbelastung ist höher als am Ende der Labour-Regierungszeit, die Ausgaben des Staates liegen höher als je zuvor, das Haushaltsdefizit pro Kopf ist deutlich höher als im europäischen Durchschnitt.
Auf den zweiten Blick gibt die Bemerkung John Majors zu denken. Warum? Die Thatcher-Regierungen haben früher als andere in Europa erkannt, daß ein "Festung Europa"- Konzept keine befriedigenden Antworten auf die globalen Herausforderungen geben kann. Konsequent haben sie deshalb eine Politik verfolgt, die die Attraktivität des Standortes Großbritannien für ausländische Investoren aus allen Teilen der Welt verbessert. In dem weltweiten Kampf um Kapitalanlagen ist Großbritannien dasjenige Land in Europa, das in den vergangenen 15 Jahren mit Abstand am meisten getan hat, um Auslandskapital ins Land zu holen. Die Erfolge dieser Politik sind beachtlich: in den vergangenen fünf Jahren kam fast ein Fünftel aller in Großbritannien getätigten Investitionen aus dem Ausland. Inzwischen sind 20% des Anlagevermögens auf der Insel in ausländischem Besitz, vor fünf Jahren waren es nur 13%. 40% der Unternehmen aus nicht EG-Ländern, vornehmlich aus den USA und Japan, entscheiden sich für Großbritannien, wenn sie in Europa investieren wollen.
Allzu leichtfertig werden in Deutschland noch die Risiken für Wachstum und Beschäftigung übersehen, die sich aus dem japanischen Investment in Großbritannien - zumindest für bestimmte Branchen - in den neunziger Jahren ergeben. Gegen Ende des Jahrhunderts werden jährlich mindestens 1,2 Millionen Automobile aus japanischen Unternehmen in Europa vom Band laufen, 80% davon werden in Großbritannien hergestellt. Schon heute ist Nissan Sunderland der größte Autoexporteur des Landes. Aufgrund der Handelsrestriktionen auf den größeren europäischen Märkten wie Frankreich und Italien geht der Hauptteil der japanischen Automobilproduktion made in the UK auf den deutschen Markt.
Japanische Unternehmen haben aufgrund ihrer Unternehmenskultur große Erfolge, wenn es darum geht, die Mitarbeiter für das Gesamtinteresse des Unternehmens zu mobilisieren. Diese besondere Art, mit der Belegschaft umzugehen, sie zu qualifizieren, sie zu motivieren, sie teilhaben zu lassen an allen Dingen, die die Firma betreffen, das besondere Vertrauensverhältnis, das die Beziehungen zwischen Personal und Managment auszeichnet, haben nicht nur zu einer großen Arbeitszufriedenheit im Betrieb und zu einer immer stärkeren Identifizierung der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen geführt, sondern auch ganz wesentlich zu dem enormen Geschäftserfolg japanischer Firmen in Großbritannien beigetragen. Die meisten Arbeitnehmer und die Mehrzahl der Gewerkschafter, die in japanischen Transplants arbeiten, wünschen sich Arbeitsbeziehungen wie in japanischen Betrieben auch für ihre Kollegen in britischen Unternehmen.
Doch diese Lektion haben weder die konservative Regierung noch die Mehrzahl der britischen Unternehmensleitungen gelernt. Während die Arbeitsbeziehungen in britischen Firmen immer noch stark von den tradierten Klassenstrukturen bestimmt werden, entwickelt sich aufgrund des steigenden Engagements ausländischer Investoren eine Vielzahl von Unternehmenskulturen, die gänzlich andersgeartete Methoden im Verhältnis von Personal und Management praktizieren. Dabei werden Human Resource Management Methoden nicht nur deshalb angewandt, weil sie arbeitnehmer- oder gar gewerkschaftsfreundlich sind, sondern auch, weil sie schlicht zu besseren Ergebnissen führen. So wird der Erfolg vornehmlich japanischer Unternehmen in Großbritannien und Europa früher oder später auch die britischen Unternehmen zwingen, über ihr Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern und den Gewerkschaften neu nachzudenken. Es wird sich als große Ironie der Geschichte erweisen, daß eine Regierung, die noch einmal das hohe Lied des ungezügelten Kapitalismus gesungen hat, durch die Anziehung ausländischer Investoren Arbeitsbeziehungen modernisiert und zukunftsorientierte Gewerkschaften hervorgebracht hat, obwohl das überhaupt nicht in ihrer Absicht lag.
Wirtschaftsstandort Großbritannien - Modell für Europa?
"Britain is setting the agenda", verkündete Premierminister John Major mit etwas gezwungenem Selbstbewußtsein der eher ungläubigen britischen Öffentlichkeit nach einem Treffen europäischer Regierungschefs Ende des vergangenen Jahres. "Vainglorious", dünkelhaft, prahlerisch, kommentierte die Financial Times den Versuch des glücklosen Premiers, sich als stage-director der Europäischen Union zu präsentieren.
Der Hintergrund der Bemerkung von John Major ist deutlich: Wenn die Staaten der Europäischen Union in Zukunft nicht chancenlos im internationalen Wettbewerb zurückfallen wollen, müßten sie sich genau auf das einlassen, was Großbritannien seit Ende der siebziger Jahren begonnen habe, die Veränderung der Gesellschaft nach der Blaupause einer Thatcherite-Policy der achtziger Jahre:
- von "staatlicher Bevormundung" befreite Märkte, auch Arbeitsmärkte, - Privatisierung nicht nur öffentlicher Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, sondern auch des sogenannten Kernbereichs staatlicher Tätigkeit, - Deregulierung, Entbürokratisierung, Entstaatlichung der Gesellschaft, - weniger Umweltauflagen, - weniger Arbeitsschutz, bescheidener Kündigungsschutz, - möglichst "gewerkschaftsfreie" Unternehmen, - radikales Zurückstutzen staatlicher Aufgaben mit Umkehr der Beweislast: der Staat hat zu rechtfertigen, warum er besser und preisgünstiger Leistungen bereitstellen kann als die Privatwirtschaft, - mehr Selbstverantwortung und mehr private Zukunftsvorsorge - niedrige Steuern und Sozialabgaben, - höhere Sparquoten, mehr Investitionen und höhere Wachstumsraten.
Am Ende des Jahrzehnts, so prognostizierte Finanzminister Kenneth Clarke, habe Großbritannien die modernste Wirtschaft Europas. Verächtlich spricht die der Konservativen Partei zuneigende Presse vom Sclerotic Europe, das im internationalen Wettbewerb immmer mehr zurückfalle. Großbritannien mit seinen geringen Arbeitskosten, hohen Wachstumsraten und hoher Produktivität werde zunehmend das kontinentale Europa der hohen Kosten und des geringen Wachstums mit Gütern und Dienstleistungen versorgen.
"While the rest of Europe lumbers itself with a fixed exchange-rate regime that threatens the same economic and social toll as the gold standard did in the 1930s, Britain should strike out to become the free-market beacon of a collectivist Continent, much as Hongkong is to China", tagträumte die konservative Sunday Times in einem Rückblick auf den "golden wednesday", den 16. September 1992, als die britische Regierung sich gezwungen sah, ihre Mitgliedschaft im EWS zu suspendieren, und das Pfund auf den internationalen Geldmärkten innerhalb weniger Stunden 15% seines Wertes einbüßte.
Man sollte die dezent chauvinistische Rhetorik aus dem konservativen Lager nicht als bloßen Ausdruck des britischen Inferioritätskomplexes abtun. Nach den langen Jahren des Niedergangs sehen viele schon den Silberstreif des Wiederaufstiegs am Horizont. Allerdings, so falsch, wie sich das in manchen Pamphleten der Oppositionsparteien ausnimmt, ist die Argumentation der Konservativen nicht.
Der weltweite Zusammenbruch des Kommunismus, das Ende der bipolaren Weltordnung, die Herausbildung eines wahrhaft globalen auf Wettbewerb basierenden Wirtschaftssystems und der Aufstieg der wirtschaftlichen Kraftzentren in Ostasien sind Herausforderungen, deren Intensität und Ausmaß noch niemand so recht abzuschätzen vermag. Auf jeden Fall ist in dieser neuen Weltordnung die Bedeutung nationalstaatlicher Politik arg geschrumpft. Nationale Alleingänge in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind zu einem Anachronismus geworden, der gefährlich werden kann, wenn globale wirtschaftliche Entwicklungen mißachtet werden.
In dieser immer mehr zusammenwachsenden Weltwirtschaft stehen Regionen und ganze Länder miteinander im Wettbewerb. Es geht dabei um die Anziehung von Finanzanlagen und Produktivkapital, um neue Produkte und moderne Produktionstechnologien, Forschungs- und Entwicklungspotentiale, um Infrastrukturen und Ausbildungssysteme. Letztendlich geht es um Kostenvorteile und um die Frage, wo diese am ehesten zu realisieren sind. Beantwortet werden müssen dann etwa folgende Fragen:
- Wie schnell und einfach können Kapital investiert und Gewinne möglichst risikofrei wieder tranferiert werden? - Wie ist das Investitionsklima in einer Region oder einem Land? - Wie steht die Bevölkerung zu ausländischen Investitionen? - Wie sehen Löhne, Lohnnebenkosten, Steuern, Auflagen, Abgaben aus? - Wie ist das Incentive-Paket des Staates, angefangen von den Investititonszuschüssen bis zu Schuleinrichtungen für Ausländer? Es geht um fremdenfreundliche Kommunalverwaltungen bis hin zur Bereitstellung von Bibliotheken, Kulturzentren oder schlicht Golfplätzen.
Die Thatcher-Regierungen haben früher als andere in Europa erkannt, daß ein "Festung Europa"- Konzept keine befriedigenden Antworten auf die globalen Herausforderungen geben kann. Konsequent haben sie deshalb eine Politik verfolgt, die die Attraktivität des Standortes Großbritannien für ausländische Investoren aus allen Teilen der Welt verbessert. In dem weltweiten Kampf um Kapitalanlagen ist Großbritannien dasjenige Land in Europa, das in den vergangenen 15 Jahren mit Abstand am meisten getan hat, um Auslandskapital ins Land zu holen.
So wirbt denn auch die britische Regierung mit einem unternehmerfreundlichen Investitionsklima, den niedrigsten Steuersätzen für Unternehmen, bescheidenen Löhnen, geringen Lohnnebenkosten, mit "domestizierten" Gewerkschaften, den wenigsten Streiktagen. Während die durchschnittliche Arbeitsstunde in der Industrie (Löhne und Personalnebenkosten) in Deutschland etwa 42 DM kostet, liegt sie in Großbritannien bei 23 DM. In Deutschland sind 86% der Lohnkosten Personalzusatzkosten, aber in Großbritannien nur 40%. Die Wochenarbeitszeit liegt bei über 40 Stunden, der Jahresurlaub ist kürzer, es gibt etwa nur die Hälfte der deutschen Feiertage. Vermögenssteuer und Gewerbesteuer sind auf der Insel unbekannt, die Körperschaftssteuer liegt bei maximal 33%, die meisten Unternehmen mit einem Gewinn von bis zu 700.000 DM führen nur 25% an den Fiskus ab.
"Sweatshop Economy": Der Fall Hoover
Aufsehen erregte im Februar 1993 die Entscheidung des amerikanischen Staubsaugerkonzerns Hoover, seine Produktionsstätte im französischen Dijon zu schließen und die Produktion in das schottische Cambuslang zu verlagern. Zwei Monate vor den französischen Parlamentswahlen nahmen sich alle Parteien und selbstredend auch die Pariser Regierung mit Verve dieser Entscheidung an, die in politisch ruhigeren Zeiten vermutlich eher ein regionales Problem geblieben wäre.
Kaum Aufsehen erregte dagegen die ähnlich gelagerte Entscheidung des französischen Elektronikmultis Thomson Consumer Electronics vom Jahr zuvor, der sein Tochterunternehmen Ferguson im südenglischen Gosport kurzerhand schloß und damit 3000 Beschäftigte auf die Straße setzte. Diese Entscheidung wurde Thomson Consumer Electronics im Vergleich zum Kontinent erheblich leichter gemacht, da niemand auf sie Einfluß nahm und überhaupt nehmen konnte - weder wurde die Regierung in London gefragt, noch wurden die Gewerkschaften unterrichtet. Hinzu kam, daß den Beschäftigten in Gosport nur 7000 Pfund Abfindung gezahlt wurden gegenüber 47.000 Pfund, die das Unternehmen etwa in Spanien hätte aufbringen müssen. Es ist eben in Großbritannien nicht nur erheblich leichter als sonst in Europa, jemanden einzustellen, sondern auch viel leichter, jemanden wieder zu entlassen .
Die vieldiskutierten Verlagerungspläne des US-Multis Hoover machen jedoch auf ein Problem aufmerksam, das das Europa des einheitlichen Binnenmarktes in Zukunft mehr beschäftigen wird: das social dumping innerhalb der Europäischen Union. Die britische Regierung übernimmt hier eine unrühmliche Vorreiterrolle. Mit der Mißachtung sozialer Mindeststandards der Europäischen Union werden social dumping- und job poaching-Strategien der international operierenden Firmen geradezu herausgefordert.
Im Falle Hoover sieht die Entscheidungsgrundlage des Managements so aus: neben niedrigeren Löhnen und Lohnnebenkosten in Schottland verzichten die schottischen Arbeiter in den ersten beiden Jahren ihres Arbeitsvertrages auf Pensionsansprüche und auf betriebliche Leistungen im Krankheitsfall. Dazu kommen begrenzte Arbeitsverträge, freiwillige Beschränkung des Streikrechts, Einfrieren der Löhne im ersten Jahr ihrer Beschäftigung, Kürzung bei Überstundenzahlungen, Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Einwilligung von Videoüberwachung in den Fabrikhallen. Einem solchen Angebot der schottischen Arbeiter vermochten die Beschäftigten in Dijon nichts entgegenzusetzen, wie das Hoover Management lapidar feststellte.
Die konservative Regierung in London sieht sich mit dieser Entscheidung des Hoover Managements in ihrer Politik des social opt-out und des Sozialdumpings bestätigt. Der konservative Parteichef Sir Norman Fowler sagte mit Hinweis auf die Hoover Entscheidung "it was because of John Major's stand against the social chapter (des Maastricht Vertrages) that Britain was attracting more jobs, such as the transfer of work by Hoover from France to Scotland. The prediction by Jacques Delors, that Britain's opt-out would make it a paradise for foreign investment was coming true."
Kein Wunder, daß die konservative Regierung sich nahezu jedem sozialpolitischen Fortschritt widersetzt, der das Referenzgefälle zwischen Großbritannien und dem Kontinent verkürzt. Insofern hat die britische Regierung gar kein Interesse, daß eine Thatcher-Politik auch in Europa umgesetzt wird.
Paradies für ausländische Investoren
Die Erfolge dieser Politik sind beachtlich: in den vergangenen fünf Jahren kam fast ein Fünftel aller in Großbritannien getätigten Investitionen aus dem Ausland - über 40 Mrd [[sterling]] von 220 Mrd [[sterling]]. Inzwischen sind 20% des Anlagevermögens auf der Insel in ausländischem Besitz, vor fünf Jahren waren es nur 13%. 40% der Unternehmen aus nicht EG-Ländern, vornehmlich aus den USA und Japan, entscheiden sich für Großbritannien, wenn sie in Europa investieren wollen. Ein Drittel aller Auslandsinvestitionen in der Europäischen Union wurden in Großbritannien getätigt. 36% der US Investitionen und 40% aller japanischen Investitionen in Europa entfallen auf das United Kingdom. Von den 100 wichtigsten US-Unternehmen haben 96 Tochtergesellschaften auf der Insel, die drei großen japanischen Automobilhersteller und die 10 wichtigsten japanischen Firmen der Unterhaltungselektronik produzieren hier.
Inzwischen sind 3500 US-Firmen, etwa 1000 deutsche und knapp 200 japanische Firmen im Vereinigten Königreich ansässig, die etwa 16% der gesamten Arbeitnehmerschaft beschäftigen, 22% der Nettoproduktion des Landes erzeugen und 27% der Nettokapitalaufwendungen in Großbritannien erbringen. Bevorzugte Branchen sind die elektrotechnische und elektronische, die Automobil- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Dienstleistungssektor. Der konservativen Regierung, die sich ihre subventions- und interventionsfreie Wirtschaftspolitik zugutehält, waren die 303 Ansiedlungsprojekte ausländischer Investoren im letzten Jahr immerhin 100 Mio [[sterling]] an Regionalzuschüssen wert.
Deutsches Engagement
Etwa 1000 deutsche Firmen haben in der Vergangenheit den Weg auf die Insel gefunden, davon sind 730 Verkaufsniederlassungen sowie Dienstleistungsunternehmen, 270 sind Produktionsstätten. Sie beschäftigen etwa 100.000 Arbeitnehmer, weitere 120.000 Arbeitsplätze sind in britischen Zulieferbetrieben indirekt von deutschen Investment abhängig. Von den 26,07 Mrd. DM, die deutsche Unternehmen seit 1952 in Großbritannien investiert haben, wurden allein 23,46 Mrd. DM in den achtziger Jahren getätigt. Dies unterstreicht zum einen die Bedeutung Großbritanniens als viertwichtigsten Exportmarkt Deutschlands, es unterstreicht aber auch die Attraktivität des Produktionsstandortes Großbritannien für die deutsche Wirtschaft. Der spektakulärste Fall in diesem Jahr war die milliardenschwere Übernahme des letzten britischen Automobilmassenherstellers Rover durch BMW.
Die japanische Herausforderung
Von den 75,69 Mrd. US$, die japanische Unternehmen in Europa bis Ende 1991 investiert hatten, entfielen 29,19 Mrd auf Großbritannien, das sind 40% aller japanischer Investitionen in Europa. Die Bundesrepublik lag mit 6,5 Mrd Dollar (= 9% aller japanischer Investitionen in Europa) nach den Niederlanden und Luxemburg an vierter Stelle. Bei der Bedeutung Deutschlands als wichtigster japanischer Exportmarkt in Europa ein eher bescheidenes Ergebnis.
Das Hauptengagement japanischer Unternehmen liegt im Finanz- und Dienstleistungssektor. Im verarbeitenden Gewerbe sind die elektrotechnische und elektronische Industrie sowie - vor allem seit Toyota in Derbyshire eine Produktionsstätte eröffnet hat - der Automobilsektor Schwerpunkte des japanischen Engagements.
Im Dezember 1992 eröffnete Toyota seine Produktionsanlagen in Derbyshire. Nach Nissan in Sunderland und Honda in Swindon ist dies der dritte japanische Automobilriese, der Großbritannien als Sprungbrett für die weitere Durchdringung des europäischen Marktes nutzen wird. Für Ende 1994 plant Toyota einen Ausstoß von 100.000 Einheiten, für 1996 sind 200.000 vorgesehen. Mit 400.000 Einheiten von Nissan und 100.000 Einheiten von Honda werden die drei in Großbritannien produzierenden japanischen Autohersteller Mitte der neunziger Jahre mit 700.000 Einheiten am Markt sein. Für das Jahr 2000 sollen 1,2 Millionen japanische Autos in Europa für Europa produziert werden, davon allein 1 Mio in Großbritannien.
Die Bedingungen, die die japanischen Autohersteller in Großbritannien vorfinden, sind in der Tat verlockend. Als Nissan für sein Werk in Sunderland 500 Arbeitskräfte suchte, meldeten sich 20.000 Bewerber, die nach intensiven Vorstellungsprozeduren ausgewählt wurden. Das Ergebnis des Auswahlverfahrens war eine olympiareife Belegschaft: jung, männlich, hochmotiviert, hochqualifiert, ohne Berührung und ohne jede Erfahrung mit Gewerkschaften. Die Löhne, die Nissan zahlt, sind zwar höher als im Vergleich zu denjenigen, die in der Region üblicherweise gezahlt werden, doch niedriger als in der europäischen Automobilindustrie. Zudem sind die Sozialabgaben im Vergleich zu den europäischen Wettbewerbern deutlich geringer. Diese Bedingungen ergänzen sich mit den überlegenen Fertigungstechniken der japanischen Autohersteller und ihren Managementmethoden zu einem erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber den europäischen Mitkonkurrenten.
Inzwischen beschäftigen Toyota, Nissan und Honda mehr als 12.000 Mitarbeiter direkt und 30.000 Arbeitskräfte bei ihren Zulieferern. 1993 arbeiteten europaweit 195 Zulieferer allein für Nissan Sunderland mit einem Auftragsvolumen von 850 Mio Pfund. 80% der Komponenten für den Nissan-Kleinwagen Micra werden in Europa, vornehmlich in Großbritannien, hergestellt. Am Ende des Jahrhunderts, wenn Nissan, Toyota und Honda eine Million Autos in Großbritannien herstellen, werden die japanischen Transplants in Großbritannien mehr Autos produzieren als Ford, Rover, Vauxhall und Peugeot Talbot zusammen. Dann werden nicht mehr Importe das Hauptkontingent japanischer Autos in Europa ausmachen, sondern japanische Autos made in the UK.
Angesichts der schwierigen Lage auf den Automärkten Europas und des Produktivitätsvorsprungs japanischer Autohersteller wird sich der Wettbewerb in der europäischen Automobilindustrie dramatisch verschärfen. So hat vor kurzem der Automobilindustrieforscher Professor Garel Rhys von der Cardiff Business School vorausgesagt, daß die europäische Autoindustrie sich "der vielleicht traumatischsten Konkurrenzperiode seit den zwanziger und dreißiger Jahren", als Ford und General Motors in Europa ihre Produktion aufnahmen, gegenübersieht. Für Großbritannien sieht er darin jedoch eine große Chance: "We can become one of the most competitive motor manufacturing bases certainly in Europe and potentially in the world."
Im World Automotive Forecast Report vom Februar 1994 wird für Ende des Jahrhundert vorausgesagt, daß sich die PKW-Produktion in Großbritannien von 1,29 Mio Einheiten auf 2,19 Mio Einheiten fast verdoppeln wird, dagegen soll die deutsche Automobilproduktion nach dem tiefen Einbruch 1993 und vermutlich auch 1994 bis zum Ende des Jahrhunderts erst wieder das Niveau vom Beginn der neunziger Jahre erreichen. Stagnieren sollen auch die französische und die japanische PKW-Produktion, allein die USA und vor allem Korea werden ähnlich erfolgreich sein wie Großbritannien. Für Garel Rhys steht deshalb fest: "Without the Japanese, the British motor industry would gradually have disappeared in the sands, like our motorcycle industry".
Allzu leichtfertig werden in Deutschland noch die Risiken für Wachstum und Beschäftigung übersehen, die sich aus dem japanischen Investment in Großbritannien - zumindest für bestimmte Branchen - in den neunziger Jahren ergeben. Schon heute ist Nissan Sunderland der größte Autoexporteur des Landes. Aufgrund der Handelsrestriktionen in den größeren europäischen Märkten wie Frankreich und Italien geht der Hauptteil der japanischen Automobilproduktion made in the Uk auf den deutschen Markt: 80% der Exporte von Nissan Sunderland werden in Deutschland abgesetzt. So wundert sich denn auch die Branche, warum die drei Großen, Toyota, Nissan und Honda, für mindestens 1,2 Millionen Einheiten Produktionskapazitäten in Europa aufbauen, weiß man doch, daß heute bereits Überkapazitäten in einer Größenordnung von 2 bis 4 Millionen Einheiten weltweit existieren. Überkapazitäten, so heißt es süffisant in japanischen Automobilkreisen, sind vornehmlich ein Problem der schwachen Wettbewerber, nicht für diejenigen, die mit höherer Qualität, annehmbaren Preisen, interessanten Finanzierungsangeboten und gutem Service ihren Marktanteil ständig erweitern können, wie japanische Unternehmen das tun.
Die Automobilbranche ist allerdings nur das spektakulärste Beispiel der "Japanese Challenge made in the UK". In der elektrotechnischen und elektronischen Industrie liegt die Problematik ähnlich, wenn auch nicht ganz so dramatisch wie in der Automobilbranche, haben doch japanische Unternehmen ohnehin schon in den letzten zwanzig Jahren den Markt z.B in der Unterhaltungselektronik mehr oder weniger unter sich aufgeteilt.
Modernisierung der Arbeitsbeziehungen
Die einst übermächtig erscheinenden britischen Gewerkschaften sind während der Thatcherjahre bis an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt worden. Es ist häufig das Management selbst, das an starken Gewerkschaften und an kollektiv verhandelten Lohnabschlüssen interessiert ist, und es vorteilhaft findet, Vereinbarungen mit den Gewerkschaften über Arbeitssicherheit, Umweltschutz, Urlaubsregelungen u.a.m. abzuschließen. So kommt es nicht selten vor, daß die gegen die Gewerkschaften gerichteten gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die konservative Regierung im Laufe der letzten 14 Jahre geschaffen hat, vom Management britischer, vor allem aber ausländischer Unternehmen gar nicht ausgeschöpft werden, weil sie an guten Beziehungen mit den Gewerkschaften interessiert sind.
Japanische Firmen verstehen es, mit ihrer Unternehmenskultur die Belegschaft für das Schicksal "ihres" Betriebs zu interessieren. So ist es dem Management japanischer Transplants erstaunlich oft gelungen, daß sich Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen in einem Maße identifizieren, wie dies in Europa unbekannt ist. Das ist sicherlich eine der großen Vorteile, die japanische Firmen gegenüber amerikanischen und europäischen erzielen. Konoke Matsushita, der Gründungsvater eines der großen japanischen Industriegiganten, hat dies einmal in eher unjapanischer Offenheit gegenüber amerikanischen Geschäftsleuten so ausgedrückt: "We are going to win and the industrialised West is going to lose out. There is nothing you can do about it because the reasons for your failure are within yourselves. With your bosses doing the thinking while the workers wield the screwdrivers, you are convinced deep down that this it the right way to do business. For you the essence of management is getting the ideas out of the bosses and into the hands of labour. For us the core of the management is the art of mobilising and putting together the intellectual resources of all employees in the service of the firm."
Diese besondere japanische Art mit der Belegschaft umzugehen, sie zu qualifizieren, sie zu motivieren, sie teilhaben zu lassen an allen Dingen, die die Firma betreffen, das besondere Vertrauensverhältnis, das die Beziehungen zwischen Personal und Managment auszeichnet, hat nicht nur zu einer großen Arbeitszufriedenheit im Betrieb und zu immer stärkerer Identifizierung der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen geführt, sondern auch ganz wesentlich zu dem enormen Geschäftserfolg japanischer Unternehmen in Großbritannien beigetragen.
So sind inzwischen die britischen Gewerkschaften, die vor 10 Jahren die Politik der Regierung, japanisches Kapital ins Land zu locken, als Ausverkauf britischer Interessen gebrandmarkt hatten, zu begeisterten Verfechtern japanischer Human Resource Managment Methoden geworden. Die meisten Arbeitnehmer und die Mehrzahl der Gewerkschafter, die in japanischen Transplants arbeiten, wünschen sich die in den japanischen Betrieben üblichen Arbeitsbeziehungen auch in britischen Firmen. Norman Willis, der ehemalige TUC Generalsekretär, rief die Regierung auf, dem Beispiel japanischer Unternehmen, die in Großbritannien investieren, zu folgen, und endlich die Leistungen anzuerkennen, die Gewerkschaften zum Erfolg eines Unternehmens beisteuern. Die Tatsache, daß "Toyota have concluded an agreement with the Amalgamated Engineering Union, illustrates that they believe in partnership with the British Trade Union Movement, that they want to work with us and not against us, and that they recognize the contribution a union makes to sucess. I wish our government would learn the same obvious lesson."
Doch diese Lektion haben weder die konservative Regierung noch die Mehrzahl der britischen Unternehmensleitungen gelernt. So hat Professor Neil Millward vom Policy Studies Institute kürzlich in einer Studie festgestellt, daß "British industry and commerce are moving towards a situation in which most employees are treated as a factor of production, rather than as human beings, with hopes, aspirations and rights." Und weiter heißt es: "It will soon be the case that few employees have any mechanism through which they can contribute to the operation of their workplace in a broader context than that of their own job. There is no sign that the shrinkage in the extent of trade union representation is being offset by a growth in other methods of representing non managering employees' interest or views."
Während die Arbeitsbeziehungen in britischen Unternehmen immer noch stark von den tradierten Klassenstrukturen bestimmt werden, entwickelt sich aufgrund des steigenden Engagements ausländischer Investoren eine Vielzahl von Unternehmenskulturen, die gänzlich andersgeartete Methoden im Verhältnis von Kapital und Arbeit praktizieren. Dabei werden Human Resource Management Methoden nicht deshalb angewandt, weil sie arbeitnehmer- oder gar gewerkschaftsfreundlich sind, sondern schlicht, weil sie zu besseren Ergebnissen führen. Klassenstrukturen im Unternehmen konservieren, heißt, im Wettbewerb zurückfallen. Arbeitnehmer für das Gesamtinteresse des Unternehmens zu mobilisieren heißt, mehr Engagement, mehr Wissen und höhere Produktivität. So wird der Erfolg japanischer Unternehmen in Großbritannien und Europa früher oder später auch die britischen Unternehmen zwingen, über ihr Verhältnis zu ihren Arbeitnehmern und den Gewerkschaften neu nachzudenken. Es wird sich als Ironie der Geschichte erweisen, daß eine Regierung, die noch einmal das hohe Lied des ungezügelten Kapitalismus gesungen hat, durch die Anziehung ausländischer Investoren Arbeitsbeziehungen modernisiert und zukunftsorientierte Gewerkschaften hervorgebracht hat, obwohl das überhaupt nicht in ihrer Absicht lag.
Die gesamtwirtschaftliche Bilanz des Thatcherismus
Die Schaffung günstiger Investitionsbedingungen für in- und ausländische Unternehmen ist sicherlich ein bedeutendes Ergebnis der Thatcher-Revolution, doch so rosig, wie es in den Hochglanzbroschüren der britischen Regierung zu lesen steht, sieht die Gesamtbilanz der konservativen Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht aus. Keines der gesamtwirtschaftlichen Ziele wurde in der vierzehnjährigen Regierungszeit der konservativen Regierung erreicht. Drei der vier Ziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wurden während aller Thatcher- und Major-Regierungen verfehlt: angemessenes Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Nur die Inflationsrate blieb im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor auf einem annehmbaren Niveau. In den Kernbereichen der Thatcherpolitik - niedrige Steuerlast, geringere Staatsausgaben, ausgeglichener Staatshaushalt - ist die Bilanz der vierzehn Jahre konservativer Regierung höchst blamabel.
Niedergang der britischen Industrie
So wuchs die britische Wirtschaft von 1979 bis 1993 nur um 25% oder gerade einmal 1,6% pro Jahr. In Frankreich nahm dagegen die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 30% zu, in Westdeutschland um 33%, in den USA um 35% und in Japan sogar um 65%. Auch im historischen Vergleich schneiden die Thatcherjahre alles andere als günstig ab: In den 14 Jahren vor Thatcher betrug der Anstieg des Bruttosozialprodukts 36%.
Ein ganz wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist im Niedergang der britischen Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen, der auch während der Thatcherjahre nicht aufgehalten werden konnte. Allein in den achtziger Jahren sank die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe von 6 Millionen auf 4 Millionen Arbeitnehmer.
Im verarbeitenden Gewerbe stieg zwar die Produktivität in den achtziger Jahren schneller als in jedem anderen Land der Europäischen Union, nämlich um 4,7% im Jahresdurchschnitt, dies geschah jedoch primär aufgrund eines radikalen Kahlschlag bei den Belegschaften, nicht aufgrund einer Modernisierung des Produktivkapitals. So sind denn auch die Lohnstückkosten in Großbritannien nach wie vor deutlich höher als in den USA, in Japan, Deutschland oder Frankreich.
Die Deindustrialisierung und die nach wie vor geringe Leistungsfähigkeit der britischen Industrie insgesamt spiegeln sich deutlich in der Entwicklung der Handelsbilanz wider: in den achtziger Jahren verzeichnete Großbritannien ein permanentes Defizit in seiner Handelsbilanz, das auch nicht durch Überschüsse in der Zahlungs- und Dienstleistungsbilanz ausgeglichen werden konnte. Selbst in der Rezession zu Beginn der neunziger Jahren war die britische Industrie nicht in der Lage, die einheimische Nachfrage zu befriedigen. So betrug das Handelsbilanzdefizit selbst noch im Rezessionsjahr 1992 13,8 Mrd. Pfund. Besonders groß ist das Handelsdefizit in den Bereichen Automobilproduktion, Elektrotechnik und Elektronik, Computerindustrie und Bekleidung, d.h. in besonders kritischen Sektoren des verarbeitenden Gewerbes. Dem stehen Exporterfolge britischer Firmen im Bereich Luftfahrtindustrie, Maschinenbau, Pharma und Chemie gegenüber. Insgesamt hat sich also die Wettbewerbsposition der britischen Industrie in den achtziger Jahren weiter verschlechtert.
Staats- und Sozialquote höher als unter Labour
Zunächst einmal ist die Tatsache bemerkenswert, daß nach 14 Jahren Thatcherismus in Großbritannien die Staatsquote in diesem Jahr ca 45% des BSP ausmacht, im letzten Labour-Etatjahr 1979/80 betrug sie 44%, wenngleich sie Mitte der siebziger Jahre bei fast 50% lag. Es war jedoch die Labour Regierung unter James Calleghan, die die Staatsquote von knapp 50% 1975 auf unter 44% 1979 zurückgeführt hatte. Während der frühen Thatcherjahre stieg dann die Staatsquote erneut auf knapp 48%, sank dann jedoch erheblich auf unter 40% 1989, um dann wieder auf über 45% 1993 anzusteigen.
Für viele überraschend mag die Feststellung sein, daß steigende Sozialausgaben die Hauptursache dafür ist, daß die Staatstätigkeit nicht so substantiell abgesenkt werden konnte, wie die Konservativen gerne behaupten. Die von der Regierung veröffentlichten Zahlen machen deutlich, daß Ende der achtziger Jahre - nach fünf Jahren Wirtschaftswachstum - die Sozialquote höher war als nach der Rezession 1979/80. Die Sozialausgaben waren preisbereinigt 1992/93 um 65% höher als 1978/79. Nominal haben sich die Sozialausgaben von 40 Mrd. Pfund 84/85 auf 79,2 Mrd. Pfund 92/93 fast verdoppelt.
Als erste wichtige Ursache für die hohe Sozialquote muß zunächst die hohe Arbeitslosigkeit genannt werden. Pro 100.000 Arbeitslose werden 345 Mio Pfund an zusätzlichen Sozialleistungen fällig: 45 Mio an direkter Arbeitslosenunterstützung und 300 Mio an indirekter Hilfe wie Einkommenssubventionen. Allein 949 Mio Pfund wurden 1992 aufgewandt, um überschuldeten arbeitslosen Hausbesitzern bei ihren Annuitäten zu helfen. Hinzu kommen die dem Staat entgangenen Steuer- und Beitragszahlungen der Arbeitslosen.
Doch der Anstieg der Sozialquote kann nur zu 25% mit Rezession und ausufernder Arbeitslosigkeit erklärt werden. Der größere Teil ist strukturellen Veränderungen der Gesellschaft geschuldet: so ist z.B. die Zahl der über 75-jährigen seit 1981 um 22% gestiegen, es gibt mehr Alleinerziehende, mehr Geld muß für chronisch Kranke und Behinderte ausgegeben werden. Das Gesundheitssystem beansprucht heute 5,8% des BSP, 1978/79 waren es nur 4,6%. Preisbereinigt ist das Gesundheitsbudget in den letzten 14 Jahren um 56% gestiegen. Law and order Ausgaben stiegen im gleichen Zeitraum um 96%, die Ausgaben für öffentlichen Transport um 28%, für Erziehung um 26%. Demgegenüber reichen die Ausgabenkürzungen wie z.B. beim Wohnungsbau ( - 52%) und im Industrie- und Handelsressort ( - 37%) nicht aus, um die Steigerungen auszugleichen.
Fehlkonstruktion im Steuersystem
Die strukturellen Risiken sind zum anderen auf Fehlentscheidungen der Regierung bei der Reform des britischen Fiskalsystems zurückzuführen: die Steuerreformen der achtziger Jahre haben die Steuereinnahmen stärker von den zyklischen Bewegungen der Konjunktur abhängig gemacht. Die Folge war, daß in den Boomjahren der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zwar die Steuerquellen kräftig sprudelten, im umgekehrten Falle jedoch auch übermäßig stark nachliessen. So stiegen die Einnahmen des Staates aus Unternehmenssteuern zwischen 84/85 und 88/89 jährlich im Durchschnitt um 25% und machten im Etatjahr 89/90 4% des BSP oder 21,5 Mrd [[sterling]] aus. Mit dem Konjunktureinbruch 1990 gingen jedoch die staatlichen Einnahmen aus Unternehmenstätigkeit drastisch zurück: sie fielen von 18,26 Mrd Pfund im Etatjahr 91/92 auf ca 10 Mrd im Etatjahr 92/93.
Strukturelles Haushaltsdefizit
Großbritannien, das während der Thatcherjahre immer unter dem OECD-Durchschnitt bei der Aufnahme öffentlicher Kredite - gemessen am BSP - lag, in den Fiskaljahren 1987/88 und 88/89 sogar einen Haushaltsüberschuß von 14,7 Mrd Pfund erwirtschaftete und Staatsschulden zurückzahlen konnte, wird im Fiskaljahr 1993/94 dreimal soviel Staatskredite aufnehmen müssen wie der Durchschnitt der OECD-Länder. Die OECD hat in ihrem jüngsten Großbritannien-Bericht darauf hingewiesen, daß nur 30% des Budgetungleichgewichts auf zyklische Faktoren zurückzuführen sei, 70% sei strukturell bedingt.
Die fast drei Jahre andauernde Rezession hat tiefe Spuren bei der Finanzierung staatlicher Aufgaben hinterlassen. Die Regierung sieht deshalb in der Reduzierung der staatlichen Kreditaufnahme ihre vornehmliche Aufgabe bei der Festlegung ihrer Finanz- und Haushaltspolitik für die kommenden Jahre. Bereits im März 1993 hatte der damalige Finanzminister Norman Lamont die Einführung der Mehrwertsteuer auf den Energiekonsum angekündigt: für April 1994 mit zunächst 8%, ein Jahr später soll dann der volle Mehrwertsteuersatz von 17,5% erhoben werden. Hinzu kam die Einführung einer Versicherungssteuer in Höhe von 1% der Vertragssumme.
Der neue Finanzminister Kenneth Clarke hat in seinem budget-statement Ende November 1993 weitere Steuer- und Gebührenanhebungen angekündigt: so soll eine Straßengebühr von 5 [[sterling]] pro Jahr einführt werden, Benzin und Diesel werden mit 3p pro Liter, die Zigarettenschachtel und Sekt mit 11p bzw 4p belastet. Im Oktober 1994 wird eine Flughafensteuer von 5 [[sterling]] pro Passagier aus Europa und 10 [[sterling]] pro Passagier von außerhalb Europas eingeführt. Die Freibeträge bei der Einkommenssteuer für Ehepaare werden ab 1995, die Beihilfen für in Not geratene Hausbesitzer werden 1995/96 gekürzt. Die Arbeitslosenzahlungen werden von 12 auf 6 Monate gesenkt, und die Arbeitslosenunterstützung soll in eine Beihilfe für Arbeitsplatzsuchende umgewandelt werden. Zum Ausgleich für die 8 bzw 17,5 prozentige Anhebung der Energierechnung gewährt die Regierung bedürftigen Haushalten Hilfen in Höhe von 6 bis 7 [[sterling]] pro Woche ab 1994 und 7,5 [[sterling]] pro Woche ab November 1995.
Mit diesen Maßnahmen hofft die Regierung, die staatliche Kreditaufnahme in diesem Fiskaljahr auf 38 Mrd [[sterling]] oder 5,5% des BSP zu beschränken und bis zum Ende des Jahrzehnts auf 2 Mrd [[sterling]] herunterzufahren. Hier dürften allerdings Zweifel angebracht sein. Die strukturellen Risiken der Staatsfinanzierung sind mit diesem Paket keineswegs ausgeschaltet.
Tories als die Steuererhöhungspartei
Nichts hat die Konservative Partei in letzter Zeit mehr geschockt, als die Antwort des Staatsministers im Finanzministerium Stephen Dorell auf eine Parlamentsanfrage, der Durchschnittsbürger Großbritanniens habe noch nie soviel Steuern ans Finanzamt abführen müssen wie zur Zeit. In den 14 Jahren Tory Regierung stiegen bei einer Durchschnittsfamilie die Einkommenssteuer und die Sozialabgaben von 20,9% auf 21,9%, die indirekten Steuern von 11,3% auf 13,1%. Dagegen sank die Steuerbelastung von Alleinlebenden von 42,5% auf 41,4%. Ganz besonders sind die unteren Einkommensbezieher, und davon wieder die mit Familie, von den gestiegenen Steuerlasten betroffen.
Doch die konservative Regierung ist entschlossen, weiter an der Steuerschraube zu drehen. Im Haushaltsjahr 1994/95 sind bereits Steueranhebungen von 8,4 Mrd [[sterling]] (=1,25% des BSP) vorgesehen, weitere 8 Mrd [[sterling]] an Extrasteuern werden ab dem Haushaltsjahr 1996/97 erhoben.
Der lapidare Kommentar von Finanzminister Kenneth Clarke zu den Zahlen aus seinem eigenen Ministerium: die Öffentlichkeit möge sich doch nicht so aufregen, unter einer Labour Regierung hätten die Bürger mit erheblich stärkeren Steueranhebungen zu rechnen; eine Behauptung, die schwer zu widerlegen ist, da Labour nun einmal nicht in Whitehall regiert. Tatsache ist jedoch, daß Premierminister John Major vor der Wahl im April 1992 versprochen hatte, daß eine konservative Regierung Jahr für Jahr die Steuern senken würde, was nachweislich falsch ist. Inwieweit Majors "Read my lips"-Desaster vom Wahlvolk wie in den USA abgestraft wird, bleibt abzuwarten. Die oppositionelle Labour Party bleibt der Öffentlichkeit allerdings bislang eine stringente Wirtschaft- und Finanzpolitik schuldig.
Undeutliche Labour-Positionen
Die Diskussion über den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs der Labour Party ist umstritten: sie wirkt für viele Labour-Anhänger zu sehr der Angebotspolitik der Konservativen nachempfunden, während die Wähler der Mitte und die überwiegende Zahl der Kommentatoren in den Medien klare Konturen vermissen. Tatsächlich bleiben die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen undeutlich.
Wie die Regierung hat auch die Führung der Labour Party den Wechselkurs des Pfundes im EWS bis zum bitteren Ende verteidigt. Nach dem Ausscheiden Großbritannines aus dem EWS im September 1992 war eine Bewertung dieses doch bedeutsamen Vorganges und eine Einschätzung des zukünftigen geldpolitischen Kurses durch die Labour Party ausgeblieben. Während sich die Regierung Schritt für Schritt aus dem Projekt einer einheitlichen europäischen Währung verabschiedet, weiß man bei der Labour Party nicht, woran man ist.
Die Labour Führung mußte auf ihrem letztjährigen Parteitag in Brighton ein wirtschafts-, sozial- und finanzpolitisches Programm akzeptieren, das de facto ein Einschwenken auf die tradierte Labour Politik mit Forderungen nach Mindestlohn, Beschäftigungsprogrammen, Staatseigentum in bestimmten "strategischen Sektoren" der Wirtschaft, wie dem Eisenbahnsystem, beinhaltete. Gleichwohl konnte die Forderung des mächtigen GMB Vorsitzenden John Edmonds nach einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme um weitere 10 Milliarden Pfund als eine aus der Luft gegriffene Ziffer abfewiesen werden. Bei einer Nettokreditaufnahme von ca 50 Mrd [[sterling]] in 1993 eine in der Tat kühne Forderung, sie zeigt jedoch den schwierigen Weg, den die Labour Party in der Wirtschafts- und Finanzpolitik noch vor sich hat.
Is Britain setting the agenda for Europe?
Die Frage, ob Europa eine Thatcher-Revolution bevorsteht, ist nicht so leicht zu beantworten. Die gesamtwirtschaftliche Bilanz des Thatcher-Jahrzehnts ist wenig beeindruckend: die Wachstumsraten der Wirtschaft blieben hinter den europäischen Mitbewerbern weiter zurück, zwei Millionen Industriearbeitsplätze gingen für immer verloren, der Erfolg bei der Inflationsbekämpfung blieb zwiespältig, die Steuerbelastung ist höher als am Ende der Labour-Regierungszeit, die Ausgaben des Staates erklommen immer neue Rekordhöhen und liegen höher als je zuvor, das Haushaltsdefizit pro Kopf ist deutlich höher als im europäischen Durchschnitt.
Dieser gesamtwirtschaftlich wenig befriedigenden Bilanz stehen Erfolge bei der Schaffung eines positiven Investitionsklimas gegenüber, die sich in der beeindruckenden Zahl ausländischer Unternehmensgründungen in Großbritannien niederschlagen. Dieser Erfolg der Thatcher-Revolution ist zwischenzeitlich bei allen - Regierung wie Opposition, Gewerkschaften wie Unternehmensverbänden - unbestitten. Deregulierung und Privatisierung, die weder inner- noch außerhalb Großbritanniens ernsthaft mehr infragegestellt werden, auch wenn über ideologisch motivierte Übertreibungen sicherlich mit Recht gestritten werden kann, haben ganz wesentlich zu diesem Ergebnis beigetragen. So ist Großbritannien in den achtziger Jahren nicht nur ein Paradies für ausländische Investoren in Europa geworden, sondern auch ein Experimentierfeld unterschiedlicher Unternehmenskulturen, woraus sich durch die Überlegenheit der einen gegenüber der anderen spill-over Effekte ergeben, die auf lange Frist die produktive Basis des Landes insgesamt positiv beeinflussen werden. Dies ist freilich noch Zukunftsmusik, doch in diesem Punkt zumindest hat Premierminister John Major recht mit seiner Bemerkung "Britain is setting the agenda for Europe".
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