S O Z I A L I S T I S C H E |
M I T T E I L U N G E N |
der London-Vertretung der SPD |
No. 101/102 |
Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
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Juli-August |
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seit dem Wiedererstehen der Partei (abgehalten vom 29. Juni bis 2. Juli in der Rosenau in Nürnberg) hat in seiner sachlichen, fast nüchternen Arbeitsweise wahrhaftig nichts mit den rauschenden Festen und pompösen Aufmärschen der vergangenen "Reichsparteitage" zu tun. Es ist besonders bei Berücksichtigung der heutigen Verkehrsverhältnisse, der schwierigen Ernährungs- und Unterbringungsverhältnisse in deutschen Grosstädten eine grosse Organisationsarbeit geleistet worden. Aber im Stadtbild Nürnbergs prägt sich dieser Parteitag kaum aus, an dem 357 Delegierte und ebensoviele Gäste aus allen Westzonen und Berlin teilnehmen. Ein paar Fahnen am Bahnhof, einige Transparente, ein paar Wegweiser, die in die Rosenau geleiten, das ist alles. Der Rundhalle in der Rosenau hat man durch Stoffdrapierung den Zirkuscharakter genommen, und es ist ein überraschend grosszügiger und geeigneter Versammlungsraum geworden. - Mit besonderem Nachdruck wurde
der internationale Charakter des Parteitages
betont. Vertreter fast sämtlicher europäischer sozialistischer Parteien nahmen das Wort, und die meisten von ihnen konnten ihre herzlich gehaltenen Ausführungen in deutscher Sprache halten. Viele alte Freundschaften wurden erneuert, man sah herzliche Begrüssungsszenen zwischen Menschen, die sich Jahrzehnte nicht gesehen hatten. Waren doch z. B. Wilh. Dittmann aus Zürich, Friedrich Stampfer aus New York, de Brouckère aus Brüssel, S. Brumbach (Frankreich) und viele andere zum ersten Male seit 1933 wieder in Deutschland. Unter den deutschen Delegierten sassen der einfache Arbeiter neben dem Minister oder Regierungspräsidenten, der Hafenarbeiter aus Hamburg neben dem Ersten Bürgermeister der Stadt, Brauer, der Jugendliche neben dem alten Parteigenossen.
Es ist kein Parteitag, der sich seine Arbeit leicht macht, es ist eine Arbeitstagung und die Tagesordnung ist fast zu reichhaltig. Es wurde angekündigt, dass die Zeit, die die Begrüssungsansprachen in Anspruch genommen haben, in einer Nachtsitzung am Dienstag eingeholt werden muss.
Jedes Wort, das auf diesem Parteitag fällt, ist von der Not in Deutschland überschattet und von der Verantwortung getragen, [die] der SPD durch die 800.000 ihrer Mitglieder und die Millionen ihrer Wähler übertragen ist.
Der Parteitag nahm seinen Anfang am Sonntagmorgen mit der Darbietung der "Egmont"-Ouvertüre durch die Nürnberger Orchestergemeinschaft. Dann begrüsste der Parteivorsitzende Erich Ollenhauer die Gäste und Delegierten, vor allem auch die Mitglieder der Internationalen Kommission unter Führung von Louis de Brouckère-Brüssel, die auf der Internationalen Konferenz in Zürich im Juni den Auftrag erhalten hat, unverzüglich die Beziehungen zur deutschen Partei herzustellen. "Es ist unser aufrichtiger Wunsch" so betonte Ollenhauer, "dass die Anwesenheit so zahlreicher und prominenter Vertreter sozialdemokratischer Parteien auf unserem Parteitag der Beginn einer engeren Zusammenarbeit mit allen sozialdemokratischen Parteien ist, und dass Euch der Tag bald kommen möge, an dem die SPD wieder als vollberechtigtes Mitglied ihren Platz in der Sozialistischen Internationale einnehmen kann. Er begrüsste vor allem Vertreter der SPD im Ausland, Wilhelm Sander (London), Kurt Heinig (Stockholm), Max Cohen-Reuss (Paris), den langjährigen früheren Chefredakteur des "Vorwärts" Friedrich Stampfer, der aus New York, und Wilhelm Dittmann, der aus Zürich eingetroffen war. Er gedachte der Genossen und Genossinnen der Ostzone: "Ihr Kampf für die politische Freiheit, für die persönliche Freiheit und Sicherheit ist unser Kampf. Wir werden ihn führen unter allen Bedingungen und ohne Kompromiss, und wir werden ihn gewinnen." Weiter begründete er die Wahl des Tagungsortes Nürnberg und erinnerte an die stolze sozialdemokratische Tradition Nürnbergs, an Herm. Müller (Franken), Dr. Adolf Braun[1] und Hans Vogel, dessen Urne am gleichen Nachmittag in heimatlicher Erde beigesetzt werden soll, an den alten Josef Simon und Martin Treu, die beide am Parteitag teilnehmen.
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Im Anschluss daran wurde die Wahl des Präsidiums des Partei[tages] vollzogen, die einstimmig erfolgte. Das Präsidium setzte sich aus 6 Delegierten zusammen, und zwar zwei Vorsitzenden und vier Schriftführern. Zu Vorsitzenden wurden Erich Ollenhauer vom Parteivorstand und der Genosse Lossmann vom gastgebenden Bezirk gewählt.
Der Parteitag nahm dann auf Vorschlag Ollenhauers die Tagesordnung des Parteitages an, die gegenüber einem ursprünglichen Plan um einige Punkte erweitert wurde. In der endgültig angenommenen Fassung hatte sie das folgende Aussehen:
1. Eröffnung und Begrüssungen
2. Deutschland und Europa, Genosse Dr. Kurt Schumacher
3. Arbeitsbericht des Parteivorstandes
a) Politischer Bericht, Referent Genosse Erich Ollenhauer
b) Organisation und Kasse, Referent Genosse Alfred Nau
c) Presse und Propaganda, Referent Genosse Fritz Heine
d) Frauensekretariat, Referent Genossin Herta Gotthelf
e) Kontrollkommission, Referent Genosse Adolf Schönfelder
4. Der Aufbau der deutschen Republik, Genosse Dr. Walter Menzel
5. Die wirtschaftspolitischen Forderungen der Sozialdemokratie (Bericht über die wirtschaftspolitische Tagung), Berichterstatter Genosse Professor Dr. Erik Nölting
6. Die kulturpolitischen Forderungen der Sozialdemokratie (Bericht über die kulturpolitische Tagung), Berichterstatter Arno Hennig,
a) Die agrarpolitischen Forderungen der Sozialdemokratie (Bericht über die agrarpolitische Tagung) - Berichterstatter Genosse Herbert Kriedemann.
b) Die sozialpolitischen Forderungen der Sozialdemokratie (Bericht über die Tätigkeit des Sozialistischen Ausschusses) - Berichterstatter Genosse Dr. Paul Nevermann.
7. Sonstige Anträge
8. Wahlen
a) des Parteivorstandes,
b) der Kontrollkommission.
Nach der Konstituierung des Parteitages ergriff der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, der Genosse Hans Ziegler, das Wort zu einer Begrüssungsansprache und ging auf die wechselvolle Geschichte der Stadt Nürnberg ein. Nach ihm sprach Genosse Josef Simon über die Nürnberger Partei- und Arbeiterbewegung.
Die Reihe der ausländischen Delegations-Führer eröffnete das Mitglied des Exekutivkomitees der Labour Party und Mitglied des Unterhauses Joe Reeves als offizieller Vertreter der britischen Arbeiterpartei. Nach Worten der Würdigung der Labour Party, ihrer Geschichte und ihrer Leistung besonders in den vergangenen zwei Jahren ihrer Regierungsarbeit erklärte der Redner: "Wir in Grossbritannien wissen, dass das gemeinsame Band, das die Sozialisten der Welt vereint, alle nationalen Verschiedenheiten in einer grossen Menschheitsidee überwindet. Wir hoffen, den Tag zu erleben, an dem wir durch gemeinsame wirtschaftliche und kulturelle Errungenschaften die Zerstörungen des Krieges überwunden haben als Vorbereitung für eine neue Weltordnung, in der die Rechte des Einzelnen stärker sind als private Profitinteressen oder nationalistische Ideologien." - Und gegen Schluss seiner Ausführungen beteuerte er den Willen der englischen Sozialisten, ihre ganze Kraft daran zu setzen, jene Bedingungen zu erkämpfen, die das Recht aller sein sollten, ganz gleich, zu welcher Nation und zu welchem Volke sie gehören mögen.
Der holländische Vertreter Thomassen[2] übergab zunächst die Fahne der SAJ, die 1933 heimlich nach Holland gebracht und dort während der Naziherrschaft und des Krieges verborgen gehalten wurde, dem Parteivorstand. Genosse Thomassen sprach dann von der Furcht, die auch heute noch vielfach vor dem deutschen Nationalismus herrschte und fügte hinzu: "Ich freue mich, wenn ich wieder zu Hause bin, sagen zu können, dass Sie diese Gefahr kennen." Auch in Holland herrsche Sorge über die Zukunft des Sozialismus. Dem modernen Sozialismus werde nur dann gelingen, wie es in England gelungen sei, zur Mehrheitspartei zu werden, wenn man neue Quellen des Sozialismus finde."
Der Genosse Sanness[3], Norwegen, sprach davon, dass die deutsche Sozialdemokratie allein die tragende und führende Kraft beim Aufbau des neuen Deutschland auf neuer sozialer, politischer und menschlicher Grundlage sein könne. Auf ihr ruhe die Verantwortung und Aufgabe, das Vertrauen zu dem deutschen Volke dort wieder herzustellen, wo es durch unzählige Schandtaten, im Namen des deutschen Volkes begangen, zerrüttet wurde.
Mit der einleitenden Begrüssung der schwedischen Delegierten Björk[4] und Wallin[5] verband Erich Ollenhauer den besonderen Dank der deutschen Sozialdemokratie an alle drei skandinavischen Parteien für die praktische Hilfe, die sie der SPD in der schwersten Zeit ihrer Geschichte in jedem skandinavischen Lande gegeben haben.
Genosse Kay Björk erklärte, die schwedische Sozialdemokratie sei sehr daran interessiert, dass die Demokratie und der Sozialismus in Deutschland neue Möglichkeiten bekommen. "Wir sind der Ansicht, dass die deutsche Sozialdemokratie Unter-
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stützung von der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung haben muss."
Für Dänemark sprach H. C. Hansen, einer der führenden Repräsentanten der dänischen Widerstandsbewegung. Die Besatzungszeit habe, so sagte er, ihre Nachwirkung auch in der Beurteilung des Deutschland von heute. Aber es bestehe doch in Dänemark die Auffassung, dass es für den Wiederaufbau einer neuen friedlichen Welt unbedingt notwendig sei, den demokratischen Kräften in Deutschland und insbesondere der deutschen Sozialdemokratie Vertrauen entgegenzubringen. Der Redner teilte mit, dass die dänische sozialdemokratische Jugendorganisation zu den diesjährigen grossen Jugendtreffen auch eine Anzahl deutscher jugendlicher Sozialisten eingeladen habe.
Für Österreich sprach Genosse Franz Jonas[6] über den Kampf Österreichs gegen zwei Faschismen, den Austro-Faschismus der Heimwehr-Bewegung von 1934-1938, der dem hitlerischen Faschismus voranging. Genosse Jonas sprach dann von dem schweren Gegenwartskampf Österreichs um die Verwirklichung der ihm von den Besatzungsmächten zugesagten formellen Selbständigkeit und Unabhängigkeit und unterstrich das unbedingte Gebot einer vollkommenen Unabhängigkeit Österreichs nach allen Seiten.
Der Genosse Buchinger[7], Ungarn, kam auf die kürzliche ungarische Regierungskrise zu sprechen in einem Sinne, der den emigrierten Ministerpräsidenten Nagy[8] und seine Anhängerschaft einer scharfen Kritik unterzog, und sprach von den verheerenden Folgen einer möglichen Wiedereinsetzung des reaktionären Regimes für das ungarische Proletariat, aber auch für den kleinen ungarischen Landbesitzer.
Leon Dennen[9], Amerika, überbrachte die Grüsse der Sozialdemokratischen Föderation Amerikas und "aller fortschrittlichen Kräfte, die von der Anständigkeit und Brüderlichkeit das Heil der Welt erwarten".
Besonders ausführlich war die Begrüssungsansprache des französischen Vertreters Salomon Grumbach, nach den Worten Ollenhauers "einer der europäischen Sozialisten, die in ihrem eigenen Lande und in ihrer eigenen praktischen Arbeit die Geschichte des internationalen, vor allen Dingen des europäischen Sozialismus der letzten vierzig Jahre verkörpern". Er sprach als Vertreter des Parteivorstandes der französischen Sozialistischen Partei, der Französischen Sektion der Sozialistischen Arbeiter-Internationale und als Mitglied der Neuner-Kommission, die kürzlich in Zürich ernannt wurde, um sich mit der deutschen Sozialdemokratie zur Wiederaufnahme ständiger und organischer Beziehungen in Verbindung zu setzen. "Die Welt", so erklärte er, "erwartet die Erfüllung einer ungeheuren Mission durch die deutsche Sozialdemokratie. Sie und die sozialistischen Parteien aller Länder erwarten, dass die deutsche Sozialdemokratie diejenige Auffassung über Demokratie und Gesellschaftsordnung und über das Wesen des Einzelmenschen hat, die ihr die Möglichkeit gibt, Deutschland das neue Gesicht zu geben, welches nach den Zerstörungen durch das Hitler-Verbrechen ihm gegeben werden muss." Grumbach verlas eine ausführliche Erklärung, in der er gegen die oberflächliche Auffassung Stellung nahm, Dr. Schumacher oder die deutsche Sozialdemokratie hätten in Zürich "eine Niederlage erlitten". Davon könne gar keine Rede sein.
Nach einem zusammenfassenden Dank Erich Ollenhauers an die ausländischen Gäste nahm der 1. Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Dr. Kurt Schumacher, zu dem Thema "Deutschland und Europa" das Wort.
Deutschland und Europa.
(Die nachfolgenden Zeilen sind den Stichwort-Notizen
entnommen, die Dr. Schumacher seinem Referat zugrundelegt.)
Wir Sozialdemokraten übernehmen die Verantwortung für alles, was wir wirklich gesagt oder getan haben. Wir verantworten aber nichts, was wir nicht gesagt oder getan haben. Wir haben gesehen, [wie] Beschimpfungen, Verleumdungen und Verdächtigungen zu einem System der Zermürbungspolitik gemacht werden sollen. Wir sehen, wie diese Spielbälle national und international zwischen Kommunisten und Reaktion einander zugeworfen werden.
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In einem haben diese Deutschen Erfahrung vor den grossen Demokratien. Sie haben den Totalitarismus in Gestalt des omnipotenten Dritten Reiches und einer erfolgreichen kommunistischen Katastrophenpolitik erlebt.
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Man wirft den Deutschen jetzt vor, dass sie keine eigenen konstruktiven Pläne vortragen und keine Initiative zeigen würden. Und achselzuckend stellt man fest, dass die Deutschen jetzt "nicht einig genug" sein würden.
Wir glauben, dass gerade diese Vorwürfe nicht richtig sind. Die Deutschen haben keine Möglichkeit, Initiative zu zeigen, weil alle Positionen, von denen aus Initiative bewiesen werden könnte, von der alliierten Besatzung behauptet werden. Die Vorbedingungen der Entwicklung eigener Tätigkeit sind, wenn auch zonenmässig verschieden, durch die Alliierten geregelt. Das gilt nicht nur vom Politischen und Staatsrechtlichen, sondern gerade vom Ökonomischen und Sozialen.
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Deutschland krankt an der durch die Besatzung verhinderten politischen und sozialen Revolution.
Anstelle eines ausweg- und sinnlosen Vegetierens zu Vertrauen und zur Sinngebung des Lebens zu kommen, ist das Ziel der Diskussionen um Europa.
Die Politik des Entweder - Oder, die Schlagwortparole Ost oder West ist sinnlos, weil sie dem europäischen Wollen und Können nicht entspricht. Das zeigt sich am deutlichsten in Deutschland, wo eine solche Option die Zerreissung Deutschlands mit deutschem Willen bedeuten würde, eine Teilung der Welt quer durch Deutschland.
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Der demokratische, die Freiheit der menschlichen Persönlichkeit in sich tragende europäische Sozialismus ist eine der grossen politischen Methoden in der Welt.
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Unser Kontinent kann kein sich selbst genügendes Europa sein und darum auch keine Blockpolitik machen. Das wäre ein Unglück. Ein innerlich aufgeschlossenes, zur Zusammenarbeit bereites Europa aber ist ein Fortschritt. Die schöpferische Auseinandersetzung mit den anderen grossen Faktoren und nicht die Feindseligkeit, Ablehnung und Versteifung ist Europas Chance.
Es geht nicht um rivalisierende Ideologien, es geht um das Leben. Nun proklamieren die USA, Europa durch Kredite wirtschaftlich gesund zu machen. Die Reaktion darauf ist ganz verschieden. Die lauteste Antwort kommt von den Kreisen, die unter allen Umständen die amerikanische Initiative als eine Politik des "Okkupationsdollars" und des "Dollarimperialismus" denunzieren möchten. Dann gibt es kapitalistische Kreise, die ihr System mit dieser Hilfe halten möchten. Hier versucht man, sich genau so im eigenen Interesse an einem fremden Vorbild zu orientieren, wie es die Kommunisten auf der anderen Seite tun. Die grossmütige amerikanische Hilfe kann in den Augen der Massen durch nichts stärker blossgelegt werden als durch die Zustimmung deutscher Interessenten eines gewissen Kalibers. Schliesslich gibt es aber auch soziale und politische Strömungen, die diese Initiative ermutigen, aus Notwendigkeiten, die sowohl europäisch wie amerikanisch sind. Und in Wahrheit gibt es ja gar keine andere Wahl.
Die Verantwortung für die Millionen Hungernder und Verzweifelnder schreibt uns vor, diese Initiative nicht zu entmutigen und zu verdächtigen.
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Die Annäherung der Europäer aneinander wird als eine der wichtigsten und fruchtbarsten Voraussetzungen die Annäherung der Franzosen und der Deutschen aneinander enthalten. Kulturell und ökonomisch kann keins dieser Länder eine strukturelle Schwächung des anderen ertragen. Das Verhältnis Frankreich-Deutschland ist ein Gradmesser der lebendigen Menschlichkeit in Europa.
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Wenn man jetzt die vollendete europäische Konzentration, Einigung und Initiative als unabdingbare Voraussetzungen ansehen wollte, würde der amerikanische Plan sich selbst torpedieren. Sicher geht der Wille der wirtschaftlich weiterschauenden Kreise Europas zur Einigung in seinem wirtschaftlichen, allmählich auch in seinem politischen Aufbau. Das gilt vor allem für die demokratischen Sozialisten. Bei dem Grad des physischen Zusammenbruchs und der moralischen Verelendung einer Reihe europäischer Länder, vor allem Deutschlands, ist aber die Frage nach der Zeit auch die Frage, ob Hilfe überhaupt möglich ist. Dazu kommt noch, dass Deutschland heute unvertreten ist. Dieses Fehlen kann zuerst für Deutschland und dann für Europa fatale Konsequenzen haben.
Die von den USA gewollte enorme wirtschaftliche und moralische Leistung für die Welt ist zur gleichen Zeit auch die beste Politik der Sicherung Amerikas. Ein Projekt von so gewaltigen Ausmassen ist niemals eine vorwiegend geschäftliche Angelegenheit, sondern zeugt von echter Hilfsbereitschaft.
Eine ungeheure Erleichterung liegt darin, dass sich das amerikanische Angebot auf ganz Europa einschliesslich Russland erstreckt. Es ist eine Illustration zu der Dringlichkeit der Frage, die wir Sozialdemokraten dahin beantworten: Ja, Europa ist mit Russland möglich und ist am besten in der engen Zusammenarbeit mit Russland möglich. Aber Europa und Deutschland sind nicht russisch möglich.
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In dieser Situation hat man den bizonalen Wirtschaftsrat geschaffen. Er ist die Offenbarung der von uns schon seit zwei Jahren verkündeten Tatsache, dass die ernährungs- und wirtschaftsmässigen Bedürfnisse des deutschen Volkes im Rahmen der Länder und mit den Mitteln der Länder bewältigt werden können. Der Wirtschaftsrat gibt den Deutschen die Möglichkeit, ihre Stimme gegenüber der Welt und vor allem den USA zu erheben und sachlich notwendige Hinweise zu geben.
Wir sind uns darüber klar, dass mit der Konstruktion des Wirtschaftsrates die Frage nach der Durchsetzung seiner Gesetze, Verordnungen und Anweisungen noch nicht gelöst ist. Darüber hinaus müssen wir wissen, dass auch beim stärksten Willen,
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diese Chance zu nutzen, die Hilfe der Besatzungsmächte in zwei Formen hinzutreten muss, in der Änderung der Okkupationspolitik und in der Verstärkung, Intensivierung und Beschleunigung der Hilfe.
Die Erstarkung der Westzonen schafft den wirtschaftlichen Magnetismus mit politischen Konsequenzen. Hier wird ein grosser Kampf entschieden.
Die Anziehungskraft einer wirtschaftlich gesunden Bizone wäre ungeheuer. Der Versuch, den Überzentralismus als politisches Ideal Deutschlands anzupreisen, wäre damit gescheitert. Es gäbe dann für die anderen Zonen, vor allem für die Ostzone, nur noch den Anreiz eines Anschlusses, dem auf die Dauer auch mit den Methoden einer Okkupationsmacht nicht zu widerstehen wäre.
Aber man soll jetzt diese stärkste gestaltende Kraft in Deutschland schaffen, in einer Situation, bei der wir tatsächlich vor dem endgültigen Zusammenbrechen und Auslöschen der Arbeitskraft weiter und unentbehrlicher Kreise stehen.
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Schon einmal hat eine Währungsreform die Grundlage zu einer deutschen Gegenrevolution gelegt. Wenn jetzt die Sachbesitzer niedriger belastet werden als die Eigentümer von Noten, dann bedeutet das, sehr ungleiche Voraussetzungen für den politischen Kampf zu schaffen. Die Träger des Nationalismus und Militarismus und die Nutzniesser des Nazismus werden favorisiert.
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Lebensmittelproduzenten und die Besitzer wichtiger Realwerte haben den grössten Teil der mobilen Sachwerte und des Papiergoldes an sich gezogen. Das Resultat ist, dass die deutsche Arbeiterschaft noch niemals einen so geringen Realwert gehabt hat [wie] heute. Wollte man Schwarzhandelspreise als Masstab anlegen, betrüge dieser Lohn weniger als 1% des Nominallohnes.
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Die Massen, deren einziges Kapital ihre Arbeitskraft ist, sind in den Zwang versetzt, dieses Kapital zu zerstören.
Die Zeit nähert sich mit Riesenschritten, wo der Zusammenbruch nur noch durch allgemeine Hilfe auf der ganzen Linie aufgehalten werden kann. Das menschliche Leben muss höher als alle Sachgüter bewertet werden. Darum ist ein nächster Winter ohne Verbesserung der Ernährungslage und ohne Sicherung des Lebens durch Hausbrandversorgung so katastrophal. Es ist eine falsche Rechnung, eine industrielle Belebung ohne Erhaltung der Arbeitskraft erreichen zu wollen.
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Deutschland haftet als Ganzes für Reparationen und auch der Anspruch der Sieger ist ein gemeinsames Ganzes. In der heutigen Situation aber schliessen die Sieger einander aus.
Bei vollem Verständnis jedes in der Welt gefühlten Sicherheitsbedürfnisses liegt die Gefährdung der deutschen Wirtschaft nicht im Abbau der meist nach 1936 erst entstandenen direkten Kriegsgüterindustrien, sondern der Friedensindustrien, die eventuell auf Kriegszwecke umstellbar sind.
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Das Sozialprodukt schrumpft zusammen. Die generations- und geschlechtsmässige Zusammensetzung des deutschen Volkes würde zu seiner Erhaltung einen vitalen, freien und lebendigen Wirtschaftskörper benötigen. Der Prozess der Bröckelung und Zersetzung aber geht noch weiter.
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Wenn wir vom deutschen Gebiet reden, meinen wir Deutschland immer nur im Umfang der Weimarer Republik. Auch von diesem Deutschland sind beträchtliche Teile annektiert. Ihre Bewertung hat auch in der Berechnung der Reparationen zu erscheinen.
Da nur Amerika und Grossbritannien das Recht zur Demontage in der Bizone haben, ist ihre Demontagepolitik jetzt der Schlüssel dazu, ob Westdeutschland ein Punkt der Gesundung wird. Wir wissen nicht, ob man sich, besonders in Grossbritannien, restlos darüber klar ist, welche Konsequenzen eine aktive Demontage jetzt haben würde. Sie wäre nicht nur wirtschaftlich sehr schädigend, da solche Akte ja meist die am besten ausgerüsteten und durchrationalisierten Betriebe betreffen, von denen der Ablauf der gesamten industriellen Produktion abhängt. Sie wäre vor allen Dingen psychologisch eine Katastrophe und würde eine politische Stimmungskrise ersten Ranges auslösen, von der man nicht weiss, ob oder in welchem Grade sie überhaupt noch heilbar wäre.
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Es wird jetzt international sehr viel über den Zwang zum deutschen Export theoretisiert. Trotzdem wird [die] Bedrohung der Friedensindustrie und der Exportmöglichkeiten noch praktiziert.
Wenn man aber angesichts der angespannten Ernährungslage in Deutschland Konservenfabriken, Werke zur Erzeugung von künstlichem Fett, Kaffeeröstereien und ähnliches demontiert, dann hört jede wirtschaftliche Vernunft auf.
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Die Sozialdemokratische Partei hat das Gesetz des Handelns nicht den anderen innerpolitischen Faktoren zu überlassen und sich von den ausländischen Mächten nicht abhängig gemacht. Wenn die überraschende und sehr dilettantische bayrische Initiative zur Münchener Ministerpräsidentenkonferenz nicht ein völliges Durcheinander hinterlassen hat, so ist das in erster Linie ein Verdienst der Sozialdemokratie.
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Die Demokratisierung der Wirtschaft und der ganze Komplex der Sozialisierung ist keine Hingabe an Abstraktionen und Ideologien. Es geht um das ganz konkrete persönliche, menschliche Leben. Es geht auch nicht um Verstaatlichung. Schlechthin es geht um zwei Dinge: Eigentum und Mitbestimmung.
Wir stehen vor der einmaligen Situation, die Cliquen zu entmachten, die den Ruin Deutschlands und die Zerstörung Europas entfesselt haben. Diese Klasse ist in ihrem Denken nicht mehr korrigierbar. Man kann nur ja oder nein zu ihr sagen. Sagt man "ja", macht man sich schuldig.
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Heute kann man den Faschismus nicht durch konservative Kräfte überwinden. Man kann Sozialisierung auch nicht so vornehmen, dass man den Herren der grossen Kohle, Eisen, Stahl, Chemie, Energie, Zement und der Bodenschätze die Sozialisierungsobjekte abkauft.
Die agitatorische Behandlung des Themas durch den Grossbesitz möchte die Idee der zentralen Planung dadurch blosstellen, dass sie sie mit einer zentralistischen detaillierten Planwirtschaft gleichsetzt. Die intellektuelle Unredlichkeit geht so weit, die Kriegswirtschaft und die bürokratische Bewirtschaftung des Mangels mit dem Sozialismus gleichzusetzen.
Wir demokratischen Sozialisten wollen nicht gegen, sondern mit dem Selbsterhaltungstrieb und dem gesunden Erwerbsbetrieb unsere Wirtschaftspolitik machen. Die Konkurrenz auch sozialisierter Betriebe in der Marktwirtschaft ist möglich.
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Am härtesten sind durch diesen Mangel einer einheitlichen und geplanten grossen Wirtschaftspolitik diejenigen Kreise betroffen, die keine Machtpositionen im Produktionsprozess haben, vor allem die Vertriebenen. Sie können nur am Leben erhalten werden, wenn mit der Politik der Entindustrialisierung Schluss gemacht wird. Gerade, wenn Deutschland agrarisiert werden soll, muss es auch industrialisiert werden.
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Es kommt aber wirtschaftlich und politisch sehr viel darauf an, die jämmerlichen Verhältnisse der Flüchtlinge zu verbessern. Andernfalls erwächst hier die Politik eines fünften Standes, der sich wie ein Bleigewicht an den Kampf des vierten Standes hängen wird, und der auch ungewollt ein System der deutschen Schmutzkonkurrenz in Europa mit sich bringt.
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Die Bürokratie hat sich in Deutschland von einer sachlichen Notwendigkeit zu einem Umfang und einer Intensität entwickelt, die ihre eigenen Gesetze erzeugt und die Gesellschaft entscheidend beeinflusst.
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Die deutschen Kommunisten haben ihren Patronen erklärt, dass sie stark genug und ihre Mittel geeignet seien, den Erfolg zu verbürgen. dass man ihnen das geglaubt hat, ist der entscheidende Fehler.
Die Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und Ehrlichkeit. Die Demokratie will die Selbständigkeit der Menschen und die Objektivität. Es gibt bei den Kommunisten keine Erkenntnis, keine Wahrheit, kein Vertrauen, es gibt nur Machtstreben mit allen Mitteln. Alle geistigen und moralischen Hemmungen und Sicherungen werden herausgenommen. Auch die Prinzipien der Gegner werden bedenkenlos für eigene Zwecke verwandt. Das verkündete Agitationsziel deckt sich niemals mit den wahren Absichten. So löst sich jede Erkenntnis und jede Objektivität in Propaganda auf. Es ist nicht mehr ein Programm, sondern ein erkennbares System von Taktiken, mit dem wir uns auseinandersetzen.
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Alle Drohungen, alles Zerren an den Nerven, alle hemmungslosen Methoden wirken nicht, wenn nicht bei den Objekten dieser Attacken ein Stück Bereitschaft da ist, etwas hinzunehmen, was doch unvermeidlich ist. Wir halten alles für vermeidbar. Wir kämpfen nach unseren eigenen Gesetzen und für unsere eigenen Ziele.
Es ist der psychologische Fehler der kommunistischen SEP, einer durch die Beispiele des deutschen Nationalismus und Hitlerismus weitgehend glaubenslos gewordenen Welt die innere Hohlheit der betrügerischen Zweckpropaganda vorzuweisen. Für sie ist Demokratie die Chance, die Demokratie in dem Staate der Demokratie mit
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den Mitteln der Demokratie zu schlagen. Das Beispiel des Nazierfolges übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus.
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Die Illusionen von Deutschland als dem "privilegierten Satellitenstaate" und die ganze Propaganda im Stile des "Freien Deutschland" trägt ihre eigene Dynamik in sich, der die Kommunisten nicht Herr sein können. Bei der Konkurrenz der Ideologien fallen sie sehr zurück. Sie blicken voll Neid auf die Nazis, denen es gelungen ist, den Abfall des Ersten Weltkrieges für sich zu mobilisieren. Wenn sie jetzt als Kommunisten den Versuch machen, die sozialen und politischen Überreste des Zweiten Weltkrieges bei sich zu sammeln, dann erwecken sie Kräfte, die sie nicht in jeder Situation dirigieren können.
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Wenn der kommunistische Totalitarismus jede Kritik als entmutigend und demoralisierend, als schwächend und lähmend unterdrückt, hört der Rechtsstaat auf. Es gibt keinen Rechtsstaat ohne Rechtssicherheit für den einzelnen Menschen.
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Gerade die arbeitenden und verarmten Massen können ohne Demokratie nicht leben. Denn die Massen des deutschen Volkes erklären sich eindeutig für die Demokratie und für die Methoden der parlamentarischen Mehrheit.
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Die Ausschaltung [und] Verfolgung der Sozialdemokratischen Partei in der Ostzone ist keine parteipolitische Frage. Sie ist die nationale Frage der Deutschen schlechthin und die Frage der Weltdemokratie. Letzten Endes erlebt diese Weltdemokratie jetzt ihre Weimarer Epoche.
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Wir Sozialdemokraten haben aus der Zeit von Weimar etwas gelernt. Wir wissen, dass man den Anfängen widerstehen muss. Und wir stellen uns gegen jeden Versuch des Grossbesitzes und der Kommunisten, die Demokratie zu spalten, umzubiegen und sie letzten Endes zu vernichten.
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In der Ostzone fehlt die staatsbürgerliche Gleichheit; ohne diese staatsbürgerliche Gleichheit aber gibt es auch keine nationale Einheit. Als die SPD 1946 in der Ostzone unterdrückt wurde, konnte man in der bürgerlichen Presse dieser Zone diesen Schlag ins Gesicht der Demokratie als einen Vorzug gefeiert sehen. In den ganzen Westzonen erhob sich keine Stimme des Protestes.
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Die deutschen Parteien haben noch nicht ihre endgültige Gestalt und ihren letzten Standort gefunden.
Die CDU muss aus ihrem Charakter als improvisierte Sammelpartei zuerst in den Schmelztiegel der Parteien hinein. Die Wahlresultate sprechen schon eine deutliche Sprache.
Die Kommunisten kommen umso eher in diese Krise, als ihr Versuch, den Westen für sich politisch zu erobern, scheiterte. Die Bemühungen, als SEP in den westlichen Zonen Fuss zu fassen, haben mit einem mehr als kläglichen Resultat geendet. Sie sind völlig ergebnislos geblieben.
Die grosse Chance der SPD liegt darin, dass sie bei stählerner Festigkeit in den grossen Prinzipien, Aufnahmebereitschaft gegenüber allen neuen Erscheinungen und Strömungen der Zeit zeigt, die fortschrittlich und friedensstark sind.
Die Sozialdemokratie muss zu diesem Zweck den Kampf um die sozialistische Gestaltung in den Vordergrund stellen, denn er ist der Kampf um die Gerechtigkeit.
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Sie muss dem Volk seine Selbstachtung wiedergeben, denn nur dann kann sie es zu einem Faktor des Friedens machen. Sie muss für die Freiheit als den höchsten Wert der Menschen in Europa ohne Konzessionen kämpfen.
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Revolutionäre Politik bedeutet eine den elementaren Bedürfnissen der Zeit angemessene Politik. Revolutionär ist, die Freiheit nicht zu verlieren. Für die Menschen, die kleinen Leute in Europa, die Freiheit zu erkämpfen. Das Europa der Französischen Revolution ist von zwei Seiten bedroht. Aber es ist nicht zu Ende.
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Wenn wir den Versuch machen, unseren heutigen Kampf von den Möglichkeiten der Zukunft aus zu betrachten, dann müssen wir sehen: Keine Partei hat die Möglichkeit, alles fehlerlos richtig zu machen. Aber die geistigen Grundlagen und die Aktionsrichtung der Sozialdemokratischen Partei sind richtig und können nicht anders sein, als sie sind.
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Den zweiten Verhandlungstag, Montag, den 30. Juni, leitete Erich Ollenhauer mit der Bekanntgabe der Anwesenheit einer Reihe weiterer Genossen des Auslands, dann mit der Vorlesung von mehreren Begrüssungstelegrammen ein, so dem von Genossen Irving Brown, der in Deutschland der Vertreter der American Federation of Labor, der grossen Gewerkschaftsorganisation in Amerika, ist. Ferner lagen Grüsse vor von der Sozialistischen Partei Amerikas, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei von Rumänien und anderer Gruppen.
An diesem Tage nahm auch der sozialistische belgische Veteran Louis de Brouckère, der verspätet in Nürnberg eingetroffen war, das Wort zu einer sehr herzlichen Begrüssung. Brouckère ist der Vorsitzende der auch in diesem Bericht schon mehrfach erwähnten Kontaktkommission. Nach ihm kam die Reihe an die Vertreter der deutschen sozialdemokratischen Emigration. Wilhelm Sander überbrachte für die deutschen Sozialdemokraten in England, Holland, Frankreich, Dänemark, Schweden, der Schweiz und den Überseeländern herzliche Grüsse. Auch von zahlreichen deutschen Kriegsgefangenen in England übermittelte er Grüsse. Sie hoffen und wünschen, die SPD möge nicht nachlassen in der Forderung nach schnellerer Entlassung der Gefangenen und ihrer Wiedervereinigung mit den Angehörigen und der Heimat.
Friedrich Stampfer, der ehemalige Chefredakteur des alten "Vorwärts", der im Flugzeug aus Amerika zum Nürnberger SPD-Parteitag gekommen war, überbrachte die Grüsse der deutschen Sozialdemokraten in den Vereinigten Staaten und den führenden Männern der AFL, in denen die deutschen Sozialdemokraten der USA "zuverlässige Freunde und Helfer im Kampfe um die Wahrheit über Deutschland" gefunden hätten. "Wir haben im Ausland vielleicht noch vielmehr gespürt, welch einen furchtbaren Gegner das deutsche Volk in Adolf Hitler hatte", sagte Stampfer.
Die politische Stellung der Vereinigten Staaten zu Deutschland umriss Stampfer mit den Worten: "Es ist kein kurzer Weg von Morgenthau bis Hoover[10] und von Potsdam bis zu Marshall[11], aber es ist ein überraschender und erfreulicher Umschwung eingetreten." Dieser Umschwung sei im wesentlichen auf drei Gründe zurückzuführen, einmal auf wirtschaftliche Erwägungen, zum anderen auf die wachsende antirussische Einstellung der Amerikaner und schliesslich nicht zuletzt auf die religiöse [Einstellung] des amerikanischen Volkes.
"Es wird eine geraume Zeit dauern, bis sich dieser Umschwung auswirkt", fügte Friedrich Stampfer hinzu. "Ihnen wird es wahrscheinlich zu lange dauern. Die USA werden jedoch unbeirrt ihren Weg fortsetzen, um das deutsche Volk am Leben zu erhalten". Eine Erkenntnis gehe von Amerika rund um den Erdball: "Die Welt braucht Europa, Europa braucht Deutschland und Deutschland braucht eine starke Regierung der Sozialdemokratie."
Dann gab Franz Neumann, der Vorsitzende der Berliner Sozialdemokratie, ebenfalls als Gast, eine Erklärung seiner Berliner Freunde an den Nürnberger Parteitag ab, die die engste kameradschaftliche Verbundenheit der Berliner Sozialdemokratie mit ihren Freunden in allen anderen Teilen Deutschlands unterstrich. Dieser Erklärung folgte sofort die Abstimmung zu dem vorliegenden Antrag 8, der lautete:
"In der Erwartung einer baldigen Verwirklichung der politischen und geistigen Einheit Deutschlands und in der Erkenntnis, dass diese durch die Organisation der politischen Parteien im ganzen Gebiet am besten gesichert wird, beantragen wir hiermit, den Landesverband Berlin der SPD als Bezirksorganisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands anzuschliessen."
Der Antrag wurde ohne Diskussion einstimmig angenommen. Bei dem folgenden Eintritt in die Diskussion über die Schumacher-Rede gab Ollenhauer bekannt, dass nach der beschlossenen Geschäftsordnung jedem Redner zehn Minuten zur Verfügung stünden.
Als erster sprach Ernst Reuter, Berlin, über die führende Rolle Berlins in der deutschen Zukunft. "Es kann in Deutschland keine Stadt geben und keine politische Organisation unserer Arbeit, in der das Gefühl für die nationale Einheit unseres Landes so lebendig ist wie in unserer Stadt. Der Einheitsgedanke ist für uns in Berlin eine Frage auf Leben und Tod, ohne die wir auf die Dauer keine Existenzberechtigung haben. In den ungewöhnlichen Schwierigkeiten unserer besonderen Berliner Situation verkörpern sich die ganzen schwierigen Probleme, mit denen Deutschland als Gesamtheit noch mehr zu rechnen haben wird, wenn man erst an die Aufgabe herangeht, ein einheitliches Deutschland auch politisch durch Schaffung einer einheitlichen Regierung zustandezubringen." Er richtete scharfe Attacken gegen die
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Machenschaften der SED und erklärte dazu: "Seien Sie sich darüber im Klaren, dass das, was wir in Berlin durchzuexerzieren haben, wir in ganz Deutschland werden durchkämpfen müssen. Deutschland kann seinen Weg auf die Dauer weder in einer einseitigen Orientierung nach der einen oder anderen Seite finden, es kann ihn nur finden, wenn es als Freund aller benachbarten Mächte selbständig seinen eigenen friedlichen Weg geht, den friedlichen Weg nicht einer nationalistisch-chauvinistischen Gesinnung, sondern den friedlichen Weg einer nationalen Selbstachtung, ohne die es keine Achtung von aussen geben kann."
Der Genosse Reichardt, Wiesbaden[12], wies darauf hin, dass die SP in seinem Bezirk noch nicht voll zur SPD gehöre. Sie sei als solche nicht genehmigt, fühle sich aber trotzdem als ein Teil der Gesamtpartei[13]. Von dieser aber sei ein grösseres Verständnis "für unseren entlegenen fernen Winkel des Südwestens" zu erwarten. Er trat für eine stärkere Erweckung des Interesses an Kultur- und insbesondere Schulproblemen ein. Mit kulturpolitischen Fragen befasste sich auch eingehend Willi Eichler, Köln, Die Kulturpolitik drohe überhaupt im Rahmen der gesamten Parteipolitik zu kurz zu kommen. Die Partei müsse sich auch stärker um den Rundfunk kümmern. Bei Kulturpolitik im weiteren Sinne handele es sich um eine Neuformung [...] der geistigen Grundlagen der Partei. Er setzte sich für die Bildung einer Studienkommission ein, deren Aufgabe es zu sein habe, die Stellung der Partei zur Religion, zur Ethik, zum Materialismus und zu sehr vielen anderen -ismen einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Notwendig sei auch eine intensivere Schulung junger Funktionäre, von denen man annimmt, dass sie bildungsfähig und politisch aktiv und interessiert sind. Der Genosse Werner Jakoby[14] warnte vor einer Entpolitisierung der Verwaltung und der Wirtschaft, anknüpfend an einen Artikel von Erich Reger im "Tagesspiegel".
Gustav Klingelhöfer, Berlin, und Alfred Kubel, Braunschweig[15], widmeten sich vornehmlich einer grossen deutschen Gegenwartsnot und insbesondere den ungeheuren Gefahren eines neuen Katastrophenwinters, wobei Klingelhöfer zunächst an die Genossen im Auslande den dringenden Wunsch richtete, sie sollten sich entschliessen zurückzukehren, da man sie dringend brauche. Kubel gab die bestürzende Erklärung ab, "dass eine Sicherung des Hausbrandes, die praktisch nur von der Kohlenseite kommen kann, ebenso praktisch unerreichbar [ist]. Für eine solche Sicherung mussten wir im günstigsten Falle in fünf Monaten die Produktion von etwa einem Monat dem Hausbrande zur Verfügung stellen können, wenn man Steinkohlen- und Braunkohlenproduktion zusammenrechnet. Hierzu wäre eine ganz wesentliche Senkung des Kohlen-Export-Programms erforderlich. Wir wissen, dass wir mittelbar und unmittelbar etwa eine Million t Kohle pro Monat exportieren, dazu täglich 3,5 Mill. Kilowattstunden. Wir dürfen uns keinen Illusionen darüber hingeben, dass in der allernächsten Zeit eine wesentliche Senkung dieses Exportes sehr unwahrscheinlich ist." Andererseits sei auch eine nennenswerte Einschränkung der noch bestehenden Industriekapazität zugunsten der Hausbrandversorgung nicht mehr möglich. In Niedersachsen wisse man z. B. nicht, wie man den in der nächsten Zeit anfallenden Bedarf zum Ausdrusch der Ernte sichern solle. Ein grosser Teil der Industrie bekomme zwar die Kohle aus deutschen Kontingenten, müsse aber gegen befehlsmässige Aufträge an die Besatzungmacht liefern. Kubel nannte ein solches Verfahren 'überaus unfair'. Nur eine günstigere Entwicklung der Witterung könne verhindern, dass wir noch schlechter vorbereitet in den kommenden Winter hineingehen müssen, als wir schon in den vergangenen Winter hineingingen. Die deutsche Wirtschaft ist zusammengebrochen, die uns die materiellen Voraussetzungen zum Leben geben sollte. Wir wollen das klar sehen. Millionen krabbelnder Lebewesen, die irgendetwas tun, machen noch keinen wirtschaftlichen Organismus aus."
Genosse Karl Albrecht[16], Schleswig-Holstein, nannte den Schrei nach der Entpolitisierung das wirksamste Mittel für die politische Reaktion und auch für die antidemokratischen Kräfte, weil sich in dieser Dunkelheit am ehesten betreiben lasse, was diesen Kreisen günstig erscheint. Er erinnerte an ein Wort Kurt Schumachers, dass gewisse Spannungen auch zwischen der SPD und den Gewerkschaften so oder so ausgetragen werden müssen, "weil wir auch hier auf gewerkschaftlichem Gebiet eine sogenannte Entpolitisierung feststellen können". Das Prinzip der Neutralität bedeute hier eine grosse Gefahr.
Genosse Karl Meitmann, Hamburg, begründete den Antrag eins, den die Landesorganisation Hamburg eingebracht hat. In ihm sei bis ins einzelne festgelegt, unter welchen Voraussetzungen allein eine Zulassung der SPD in der Ostzone erfolgen könne. "Wir wünschen, dass in der deutschen Bevölkerung und in der Welt Klarheit darüber besteht, dass die Voraussetzung zur Bildung echten demokratischen Lebens und seiner Ausdrucksform, nämlich der politischen Parteien, die Gleichheit ist."
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Genosse Franz Marx[17], München, sprach davon, dass sich in Deutschland die Kräfte wieder stabilisieren, die uns die Voraussetzungen der gegenwärtigen Katastrophe geschaffen haben. Er trat für eine radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse ein, die er "die Voraussetzung für das wirkliche Funktionieren der Demokratie" nannte.
Die Genossin Jeanette Wolff[18], Berlin, nahm sich der Jugendfrage an, die die Sozialdemokratie als eine der wichtigsten Fragen in ihre Arbeit aufnehmen müsse. Es sei die Aufgabe der Sozialdemokraten, dafür zu sorgen, "dass die Quellen in Deutschland gesäubert werden, aus denen noch heute der Kampf gegen die Freiheit und auch der Kampf gegen das Judentum entströmt".
Für die besonderen Interessen der Ruhr sprach Wilhelm Nieswandt[19], Essen. Die vielgerühmte und vielzitierte Freiheit der Persönlichkeit werde leider auch in einem allzu umfassenden Masse von den Kräften in Anspruch genommen, die einstmals die Ruhr beherrscht haben, und die Militärregierungen seien nur allzu geneigt, diese Kräfte als unentbehrliche Exponenten der Wirtschaft an der Ruhr immer wieder anzuerkennen. Die SPD müsse es ablehnen, sich unter das Motto zu beugen, dass diese Herren auf Grund ihrer Fachkenntnisse unentbehrlich wären.
Genosse Otto Köth[20], Hessen, sprach über die Gefahr der Radikalisierung und erklärte in anderem Zusammenhang: "Wenn das Ausland unsere Hilferufe nicht hört, nicht hören will, so machen wir das gesamte Ausland, vor allem aber das, was uns helfen kann, darauf aufmerksam, dass wir diese Hilferufe gar nicht auszusprechen brauchten, wenn das Ausland vor 1933 auf die Warnrufe der SPD gehört hätte.
In seinem Schlusswort erklärte Dr. Kurt Schumacher, das Positive der Diskussion sei gewesen, dass die Kritik gut abgewogen war, dass sie sich gleichmässig auf die falschen Konsequenzen bezog, die auf ein Nichterkennen solcher Probleme durch die Besatzungsmächte hervorgehe, und auf die innerdeutschen Faktoren. "Für uns als Sozialdemokraten ist die erste Aufgabe, mit Energie im eigenen Lande den eigenen Gegner zu stellen." Das Positive in der Kritik lag vor allem darin, dass jedesmal [wenn] auf einem Misstand hingewiesen wurde, auch zu gleicher Zeit die Methoden der sozialdemokratischen Politik zu [seiner] Überwindung aufgezeigt wurden.
Bei den sich andeutenden Zerreissproben habe die Sozialdemokratie drei Aufgaben zu bewältigen. "Wir müssen durch die Lebendigkeit der Demokratie in unserer Partei diese Partei zu einem ungeschriebenen Stück der Verfassung der deutschen Republik machen. Zum anderen müssen wir alle Kräfte anpacken für die Erhaltung und die Steigerung des Produktionswillens - eine unpopuläre Parole, aber eine notwendige Parole. Drittens lassen wir uns von dem Gedanken der Neuordnung und des Neubaues der Wirtschaftsverfassung, vom Sozialismus als aktueller Tagesaufgabe nicht abbringen."
Schumacher ging dann im einzelnen kritisch auf die Stellung der anderen deutschen Parteien in der augenblicklichen Situation ein und stellte dazu abschliessend fest: "Nun müssen wir sehen, dass die politischen Parteien in Deutschland, die gegen die Sozialdemokratie stehen, dadurch, dass sie sich in ihrer Politik von dieser Feindschaft völlig faszinieren lassen, eine gegenrevolutionäre Rolle in der deutschen und in der europäischen Entwicklung spielen. Bei dieser Zuspitzung der Verhältnisse und bei der Empfindlichkeit der deutschen Stellung im europäischen Unglück ist heute aber eine bewusst deutsche ökonomische Potenzen vernichtende Politik, also eine antideutsche Wirtschaftspolitik, auch eine antieuropäische Wirtschaftspolitik."
Später warnte Schumacher vor der "Selbstzufriedenheit mancher gehobenen Funktionäre in der eigenen Partei". Immer wieder müsse aber alles getan werden, die Jugend zur aktiven Mitarbeit heranzuziehen. "Geben wir der Jugend nicht das Gefühl, dass sie auch als Generation besiegt ist. Nur wenn die Jugend als Generation Sieger wird, wird auch die deutsche Sozialdemokratische Partei siegen können. Sucht nach den jungen Menschen! Es gibt unter ihnen unzählige charakterlich und geistig potente Typen, die es wert sind, dass man nach ihnen sucht." Schumacher befasste sich dann mit den Verhältnissen in der Ostzone und erklärte dazu u. a. folgendes: "Man hat uns beschuldigt, als Sozialdemokratische Partei [Zonenpolitik zu machen. Es ist das ein sehr unwürdiger Vorwurf, gerade] im Munde einer Partei, die den Versuch macht, die politischen Voraussetzungen ihrer Zonenpolitik auf das ganze Deutschland auszudehnen. Die Sozialdemokratie hat stets eine Politik gemacht, als ob die Zonen nicht vorhanden wären, bei allen taktisch-praktischen Angleichungen an die Voraussetzungen des Tages. Diese Bereitschaft endigt aber da, wo die bekannten grundsätzlichen Vorbehalte gemacht werden müssen."
Dann kam der Parteitag zur Abstimmung über den Punkt 2 zur Tagesordnung, zu dem ein Vorschlag des Parteivorstandes und des Parteiausschusses für eine Entschliessung [vorlag]. Diese Entschliessung, die in der darauffolgenden Abstimmung, einstimmig angenommen wurde und die ein Kernstück der politischen Beschlüsse des Parteitages darstellt, hat folgenden Wortlaut:
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"Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bekennt sich zum demokratischen, die Freiheit der Persönlichkeit bejahenden Sozialismus als der Gesellschaftsform des neuen Europa.
Das Dritte Reich hat Europa überfallen und geplündert und schliesslich Deutschland in den Abgrund gestossen. Die Verelendung Deutschlands lässt jetzt Europa verarmen und ist ein Hindernis für die wirtschaftliche Gesundung der Welt.
Die ständig wachsenden Mangel- und Hungerkrisen einer zerbröckelnden Wirtschaft führen Deutschland zur Zerstörung und Auslöschung der menschlichen Arbeitskraft. Wenn die Arbeit nicht mehr imstande ist, das Leben zu erhalten, verliert sie ihren Sinn. Produktionsmittel dürfen nicht zerstört, sondern müssen erhalten und neu geschaffen werden.
Der Erfolg der grossangelegten Hilfsaktionen der USA für das zerrissene Europa ist in der Auswirkung von dem Tempo und der Intensität der Hilfe abhängig. Noch vor dem nächsten Winter muss auch das deutsche Volk den Glauben an eine Politik der Hilfeleistung und der Vernunft gewinnen können.
Eine erstarkende und vom Vertrauen der arbeitenden Massen getragene Wirtschaft wird die Anziehung ausüben, die über Zonengrenzen hinweg die ökonomische und politische Einheit Deutschlands zu binden geeignet ist. Enttäuschungen dagegen erzeugen Glaubenslosigkeit und damit die politische Reservearmee, die [sich aus Verzweiflung,] Aussichtslosigkeit und Unwissen[heit] [...] für Abenteuer missbrauchen lässt.
Die SPD sieht ihre Aufgabe darin, den Weg freizumachen
für die Konzentrierung der Kräfte auf die Belebung und Stärkung einer geplanten Produktion
für Überwindung der unerträglichen Unterschiede in der Lebenshaltung durch die Angleichung der Lebensbedingungen
für eine Politik der sozialen Hilfeleistung an die Benachteiligten und Bedürftigen
für den gerechten Lastenausgleich, der die Bürgen nach der Kraft der Schultern verteilt
für den Sozialismus als Träger der Demokratie und des Friedens und die Entmachtung der grosskapitalistischen Cliquen.
Die soziale Gerechtigkeit muss das tragende Prinzip des Aufbaues eines neuen Deutschland in einem neuen Europa sein."
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In der Nachmittagssitzung am Montag kam der Parteitag zum 3. Punkt der Tagesordnung, der Entgegennahme des Arbeitsberichtes des Parteivorstandes.
Als erster nahm zum politischen Bericht Genosse Erich Ollenhauer das Wort. Er wies darauf hin, dass die vorgesehenen Referate der einzelnen Genossen des geschäftsführenden Vorstandes mündliche Ergänzungen zu dem schriftlich vorliegenden Bericht des Parteivorstandes über die Arbeit der Partei im Jahre 1946 darstellen (Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1946). "Wir glauben, dass der organisatorische Stand, der sich günstig entwickelt hat, allein noch nicht ausreicht, um eine volle Aktionsfähigkeit der Partei zu erreichen." Ollenhauer sprach von der Schaffung einer Reihe von Fachausschüssen aus Vertretern der Partei aus allen Teilen Deutschlands, die auf den einzelnen Arbeitsgebieten über spezielle Erfahrung und Kenntnisse verfügen. Es sei eine der wichtigsten Aufgaben, dafür zu sorgen, dass sich die Arbeit der SPD-Fraktion in den einzelnen Länderparlamenten in den grossen Linien auf der "Grundlage unserer einheitlichen Vorstellungen als Sozialdemokratische Partei Deutschlands entwickeln".
Ollenhauer erinnerte an den Frankfurter Beschluss, neben den Organisationskörperschaften der Partei einen besonderen Arbeitsausschuss aus je zwei Vertretern der einzelnen sozialdemokratischen Länderfraktionen und aus den jeweils führenden Ministern in den Länderregierungen zu bilden. Weiter sei es Auffassung im Parteivorstand, dass man vor der dringenden Notwendigkeit stehe, die Betriebsarbeit zu aktivieren, dass man dazu kommen müsse, neben den nach Wohnbezirken gebildeten Organisationseinheiten auch besondere Betriebsgruppen der Parteimitglieder zu schaffen. Im Parteivorstand soll für alle diese Fragen ein besonderes Referat geschaffen werden. Aufgabe der Partei in den nächsten Jahren müsse es sein, auf [dem] Gebiete der politischen Funktionärsschulung wesentlich mehr als in der Vergangenheit zu tun, und auch Ollenhauer widmete sich eingehend dem Problem der jungen Generation Deutschlands und der Partei. Heute seien etwa 30.000 junge Parteigenossen in jungsozialistischen Arbeitsgemeinschaften zusammengefasst.
Über Organisation und Kasse sprach Genosse Alfred Nau. Danach betrug am 31. März 1947 die Mitgliederzahl in den Westzonen einschliesslich Berlin 782.000 - zum Parteitag 1946 in Hannover war die Zahl von einer halben Million noch nicht erreicht. Für den 30. Juni sei mit weit über 800.000 politisch in der Sozialdemokratischen Partei Organisierten zu rechnen. Interessant sei auch, dass das Anwachsen der Partei prozentual weit stärker sei als der Zugang der Bevölkerung in den Westzonen durch die grossen Menschenbewegungen der letzten Jahre.
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Die Beitragsverpflichtungen der Bezirke gegenüber dem Parteivorstand seien durch die Bestimmungen im Statut der Partei und durch Beschlüsse des Parteiausschusses festgelegt. Bis zum 20. Juni 1947 betrugen die Beitragseingänge beim Parteivorstand rund 565.000 Mark. Eine gewisse Änderung wird insofern eintreten, als mit Wirkung vom 7. Juli 1947 die Eintrittsgelder in voller Höhe bei den Bezirksverbänden und bei den Ortsvereinen bleiben, womit einem allgemeinen Wunsch Rechnung getragen werden soll. Die im Oktober 1946 gegründete Konzentration GmbH, eine Interessengemeinschaft sozialistischer Wirtschaftsunternehmungen, unterscheide sich in ihrer Struktur wesentlich von der alten Gesellschaft von vor 1933. Jene war eine Aktiengesellschaft, und die Aktionäre waren fast ausschliesslich Mitglieder des Parteivorstandes. Die neue Gesellschaft unter Leitung von Karl Storbeck[21] aber sei eine GmbH und lasse jedes Unternehmen mit gleichem Anteil gleichberechtigt teilnehmen. Die Konzentration habe nur wirtschaftliche Aufgaben. Die echten Werte unserer Druckerei- und Verlagsunternehmungen der 1933 geraubten Besitzgüter werde auf 90 Millionen Mark geschätzt.
Genosse Fritz Heine gab dann den Bericht über Presse und Propaganda. Die Freiheit der Meinungsäusserung, die erste der vier Freiheiten, sei die Vorbedingung für eine wirkungsvolle sozialdemokratische Presse- und Propagandaarbeit. "Dass es in unserem Lande ohne Souveränität, okkupiert von vier untereinander uneinigen Siegermächten, keine unbeschränkte Freiheit der Meinungsäusserung geben kann, ist verständlich und muss hingenommen werden. Mit der einen grossen Ausnahme der Ostzone haben wir jedoch, im Ganzen gesehen, heute bereits wieder einen beträchtlichen Teil dieser wesentlichen Freiheit zurückerhalten. Was heute geschrieben, gesprochen, vorgetragen und vorgeführt werden kann, ist weit mehr, als je seit 1933 möglich war." Heine sprach dann davon, dass der Versuch, einem Lande mit einer dreihundertjährigen Zeitungstradition eigene Zeitungsmethoden aufzuzwingen, beendet werden sollte. Ein solcher Versuch sei eines der Haupthindernisse dafür, "dass wir heute noch keine deutsche, sondern nur eine Zonenpresse haben." Heine beklagte den Umfang und die spärliche Erscheinungsweise der deutschen Zeitungen in den Westzonen - "ein fast klassisches Beispiel dafür, wie unwillentlich durch ein Minimum an Ersparnis ein Maximum an Schaden angerichtet werden kann". Gegenwärtig gäbe es 17 sozialdemokratische Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 2,5 Millionen Exemplaren. Es forme sich ein neuer sozialdemokratischer Zeitungstyp: An die Stelle der mehr dem Funktionär zugedachten Zeitung trete ein Blatt, das sich vor allem an die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung wende. "Wir wollen, dass die neue sozialdemokratische Presse weiter greift, in Neuland vorstösst und mithilft, Schranken der Voreingenommenheit und Ignoranz einzureissen." In der Propaganda sei man sehr rege gewesen. In den 23 wesentlichen Bezirken der Partei, also ohne Berlin, habe die Sozialdemokratie 1946 neben den üblichen monatlichen Mitgliederversammlungen 52.000 Versammlungen abgehalten, an denen rund 14 Millionen Männer und Frauen beteiligt waren.
Herta Gotthelf erstattete den Arbeitsbericht über das Frauensekretariat. Ende März 1947 habe die Partei 130.166 Frauen gezählt - 16,66% der gesamten Mitgliedschaft. Ende 1946 habe der gleiche Prozentsatz 15,4 betragen. Obwohl man einmal vor aller Öffentlichkeit feststellen könne, dass in keiner politischen oder sonstigen Organisation 130.000 Frauen organisiert seien, müsse man doch versuchen, diesen Anteil im kommenden Jahr noch wesentlich zu erhöhen. Die Genossin schlug vor, das Parteistatut dahingehend abzuändern, dass zusätzlich die Bezirke, die den Reichsdurchschnitt des prozentualen Anteils der Frauen an der Gesamtmitgliedschaft erreicht haben, ebenfalls berechtigt sind, eine Frau in den Parteiausschuss zu delegieren. Damit soll erreicht werden, dass kleine Bezirke, die niemals die Zahl von 5.000 Frauen erreichen können, ebenfalls die Möglichkeit haben, durch eine Frau im Parteiausschuss vertreten zu sein.
Im Namen der Kontrollkommission erklärte Genosse Schönfelder, Hamburg, nachdem er sich kurz über die Funktionen der Kommission geäussert hatte, dass Beschwerden über den Parteivorstand bis heute nicht eingelaufen sind. Er sprach von seinem Auftrag, nicht nur die geschäftsordnungsmässige Entlastung auf den ganzen geschäftsführenden Vorstand auszudehnen, sondern auch im Namen der Kontrollkommission und im Namen der Partei den Genossen Dank und Anerkennung auszusprechen.
Die Dienstag-Sitzung stand im Zeichen der Rede des Ministers des Innern von Rheinland-Westfalen, dem Genossen Walter Menzel, über den Aufbau der deutschen Republik. Vorher freilich wurde die Diskussion zum Arbeitsbericht des Parteivorstandes fortgesetzt. Dabei setzte sich auch der Genosse Heinrich Schroth[22], Solingen, für die Bildung neuer Betriebsgruppen und für die Schaffung von Referaten für die politische und die Schulungsarbeit als erste und wichtigste Aufgabe des Parteivorstandes ein. Er anerkannte ausdrücklich die getreue Pflichterfüllung einer ganzen Reihe alter und älterer Genossen in der Partei. Er müsse doch darauf aufmerksam machen, dass sie mit dem Gewicht ihrer Autorität junge aufkommende Kräfte manchmal erdrückten und sie einfach nicht zum Zuge kommen liessen.
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Im Namen der jungen Generation sprachen dann auch die Genossen Heinz Mehnert[23], Hannover, und Hans Hermsdorf, Hannover. Genosse Hermsdorf definierte als den obersten Grundsatz der Arbeit der Jungsozialisten nach wie vor die Schulungsarbeit und die Erziehung dieser jungen Freunde im sozialistischen Geist. Dabei läge in der Jungsozialistenarbeit die Stärke heute nicht mehr so sehr wie früher in der Stadt, sie habe vielmehr gerade in den ländlichen Gebieten einen ganz enormen Aufschwung erlebt. Dort liege noch ein gewaltiges Reservoir für die Arbeit.
Im weiteren Verlauf der Diskussion sprach dann die Genossin Anni Krahnstöver[24], Berlin, zur Frage einer stärkeren Heranziehung der Frauen zur politischen Arbeit, und der Genosse Adolf Dünnebacke[25], Berlin, der sich vor allem mit der gewerkschaftlichen Entwicklung befasste. Genosse Bergmann[26], Essen, begrüsste besonders den Plan, eigene Betriebsgruppen aufzuziehen, an dessen Verwirklichung man allerdings sehr spät herangehe. Zur Frage der Jungsozialisten forderte er, dass diese die entscheidendsten Funktionäre in der Partei und zu gleicher Zeit im Betrieb werden müssten. Die Diskussion wurde zu Ende geführt von dem Genossen Erwin Stein[27], Rheinpfalz, und Wilhelm Nieswandt, Essen. Schliesslich nahm Erich Ollenhauer noch einmal das Wort zu einigen in der Tagesordnung vorgesehenen Anträgen. Er zog das Fazit der Aussprache mit der Feststellung, die Diskussion habe gezeigt, dass der Parteitag die vom Parteivorstand und seinen Einrichtungen im vergangenen Jahr geleistete Arbeit im allgemeinen anerkannt habe. Als die beiden Hauptpunkte der Diskussion nannte er die Gewerkschaftsfrage und das Verhältnis zwischen Partei und Jugend. Ganz selbstverständlich stünde die SPD wie immer in ihrer Geschichte positiv zur Gewerkschaftsbewegung. Es sei die Auffassung der Partei, dass die Entwicklung und die Ausgestaltung einer starken Gewerkschaftsbewegung und einer aktiven Gewerkschaftspolitik für den Bestand der deutschen Demokratie und für die Entwicklung eines sozialistischen Gemeinwesens eine Lebensnotwendigkeit sei. "Wir sehen auch heute in der Gewerkschaftsbewegung den zweiten Teil der grossen Säule der deutschen Arbeiterbewegung, von deren Stärke und Einfluss unendlich viel für die Durchsetzung unserer sozialistischen Vorstellungen abhängt".
Zum anderen Punkt stellte er fest, dass auf allen Tagungen des Arbeitsausschusses der Jungsozialisten nicht die geringste Meinungsverschiedenheit darüber bestanden habe, dass die Jungsozialistengruppen von heute in der Partei in erster Linie das Ziel haben müssen, diese Jungsozialistengruppen zu Aktivgruppen der Gesamtpartei heranzubilden.
Nach der geschäftsordnungsmässigen Erledigung einer Reihe weiterer kleinerer Anträge begrüsste der Vertreter der italienischen Sozialisten Simonini dem Parteitag. Nach der schmerzlichen Trennung, die augenblicklich zu zwei sozialistischen Parteien in Italien geführt hat, werde sich hoffentlich bald doch wieder die Einigung durchsetzen.
Dann erteilte der Vorsitzende Lossmann, Nürnberg, dem Genossen Dr. Walter Menzel, das Wort zu seinem grossen innerpolitischen Referat über:
Aufbau der deutschen Republik.
Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Dr. Walter Menzel, behandelte in seinem Vortrag die künftige staatsrechtliche Gestaltung Deutschlands. Man müsse auf eine klare Abgrenzung zwischen den künftigen Ländergewalten und den späteren Reichsgewalten Wert legen. Zentrale Lenkung einschliesslich Gesetzgebung, aber dezentralisierte Verwaltung für die Länder und Selbstverwaltungskörper sei erforderlich. Die bizonalen Ämter seien die treuhänderischen Vorläufer künftiger Zentralgewalten. Die SPD trete für ein starkes Eigenleben der Länder auf den ihnen überlassenen Gebieten, insbesondere des kulturellen und sozialen Lebens, ein. In einer vernünftigen Synthese zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht sieht Menzel die beste Lösung für die Wahlen zum Reichstag und den Landtagen. Jede Länderverfassung sollte mit dem Satz anfangen, dass die Länder nur Bestandteile der deutschen Republik sein können. Staatspräsidenten in den Ländern und Einrichtung einer 2. Kammer lehne die SPD ab. Menzel bekannte sich zur gemeindlichen Selbstverwaltung als zweiter grosser Säule unseres Staatslebens. Deutschland darf nicht mehr nur als ein nationales Einzelwesen, sondern als ein Bestandteil des grossen Europa gelten. Der Krieg als Mittel der Politik muss geächtet werden. Die Forderungen nach Wohlfahrt und Humanität, die Grundsätze der Gerechtigkeit und Wahrheit dürfen nicht ungestraft vernachlässigt werden. Die Freiheit der Person, die Freiheit des Gewissens und Denkens, die Gleichheit vor dem Gesetz müssen wesentliche Bestandteile künftigen Verfassungsrechts sein. Die Staatsform der Demokratie legt die Entscheidung über das Schicksal der Nation in die Hände der Massen. Diese müssen zu solchen Entscheidungen durch eine vertiefte allgemeine Volksbildung fähig gemacht werden.
Als erster Redner in der Diskussion zu diesem Referat sprach der Genosse Karl Schmid[28], Tübingen, dessen Ausführungen besonders wirksam waren. Man solle sich keiner Täuschung darüber hingeben, dass die Zeiten des Wiener Kongresses vorbei sind, wo man noch glauben konnte, die Verfassung Deutschlands im Wege eines
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völkerrechtlichen Vertrages schaffen zu können. Nur eine von der politischen Repräsentation des deutschen Gesamtvolkes geschaffene Reichsverfassung würde das deutsche Volk als verpflichtend anerkennen. Die kommende deutsche Verfassung würde keinen Staatenbund vorsehen und sicher auch nicht den zentralistischen politischen Ausbeutungstrust, den die SEP in ihren ferngesteuerten Gehirnen ausgebrütet hat.
Auch innerhalb der SPD würde es über Einzelheiten Meinungsverschiedenheiten geben und geben müssen. "Aber klar muss für uns alle sein: Nicht die Länder sollen diese Dinge bestimmen, sondern das Gesamtvolk. 2.) Immer haben die Interessen des Ganzen den Interessen der Glieder vorauszugehen." Schmidt begrüsste die Ächtung des Krieges in den angenommenen Leitsätzen und empfahl, bei der Prüfung des richtigen Wahlrechtes, sich davor zu hüten, sich selbst mit einigen Schlagworten abzuspeisen. Sehr ausführlich befasst er sich mit dem Verhältnis der Besatzungsmächte zur Verfassungsfrage und stellt fest, dass es kaum möglich sei, unter der Taucherglocke einer absolutistischen Besatzungsverfassung einen demokratischen Rechtsstaat aufzurichten. Die Besatzungsherrschaft müsse rechtsstaatlich werden und das könne nur dadurch geschehen, dass sie für ihre Dienststellen und für ihr Verhältnis zu den deutschen Stellen Reglements erlassen, in denen all das enthalten ist, was man seit zweihundert Jahren für das wesentliche eines Rechtsgefüges, einer herrschaftlichen Organisation, ansieht.
Nach dem Genossen Görlinger, Köln, sprach der Genosse Andreas Gayk[29], Kiel, der einen gründlichen Meinungsaustausch zum modifizierten Mehrheitsrecht, das der von Schleswig-Holstein eingebrachte Antrag vorsieht, als notwendig bezeichnete. Eine Reihe von Gesichtspunkten, die sich gegen die Auffassungen von Schmid und Gayk wandten, brachte der Genosse Jakobi, Iserlohn, zum Ausdruck, nach dessen Meinung sich die schleswig-holsteinischen Verhältnisse im Augenblick nur schwer auf die Verhältnisse in anderen Ländern übertragen lassen.
Nach einem Schlusswort des Genossen Walter Menzel, der die Gesichtspunkte der Diskussion noch einmal kurz zusammenfasste und darauf erwiderte, kam man zur
Wahl des Parteivorstandes.
Parteivorstand und Parteiausschuss schlugen vor, die Zahl der besoldeten Parteivorstandsmitglieder wegen der Grösse der zu erledigen Aufgaben von fünf auf acht zu erhöhen, die der Gesamtzahl der Mitglieder des Parteivorstandes von 26 auf 30. Als Namen für den besoldeten Parteivorstand wurden vorgeschlagen, die Genossin Herta Gotthelf, die bisher das Frauensekretariat der Partei geleitet hat, und der Genosse Egon Franke, der Bezirkssekretär eines der grössten Bezirke, nämlich Hannovers. Er soll in erster Linie die Aufgabe haben, die organisatorischen Aufgaben in die Hand zu nehmen. Erich Ollenhauer erbat für Parteivorstand und Parteiausschuss die Vollmacht, den dritten Platz während der kommenden Arbeitsperiode bis zum nächsten Parteitag nach eigenem Ermessen zu benennen.
Helmut Mattis[30], Berlin, gab seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass die Vorstandskandidaten erst kurz vor der Wahl bekannt gegeben wurden. Darin soll künftig eine Besserung eintreten, damit sich die Delegierten rechtzeitig ein genaues Bild von den Kandidaten machen könnten. Auch vermisste er mehrere Vorschläge aus denen man auswählen könnte. Der Antrag 47, der jene Vollmacht für Parteivorstand und Parteiausschuss betraf, wurde gegen 61 Stimmen angenommen, deren Sprecher ebenfalls Mattis gewesen war.
Die bisherige Zusammensetzung der Kontrollkommission wurde dann bestätigt, diese setzt sich zusammen aus den Genossen:
Gustav Bratke |
Karl Seeser[33] |
|
Walter Damm[31] |
Jakob Steffan |
|
Heinrich Höcker[32] |
Fritz Ullrich[34] |
|
Georg Richter |
Christian Wittrock[35] |
|
Adolf Schönfelder |
Die Wahl des Vorstandes, deren Ergebnisse nach dem Nölting-Referat [und] seiner Diskussion festgestellt wurde, führte zu folgendem Resultat:
Anwesende Stimmberechtigte |
357 |
||
Abgegebene Stimmzettel |
344 | ||
Ungültige Stimmzettel |
3 | ||
Gültige Stimmzettel |
341 |
Davon erhielten:
Dr. Kurt Schumacher |
340 |
||||
Erich Ollenhauer, Stellv. Vorsitz. |
337 | ||||
H. Gotthelf, |
besold. |
Mitglied |
332 | ||
Fritz Heine |
" |
" |
327 | ||
Alfred Nau, |
" |
" |
327 | ||
Herbert Kriedemann[36] |
" |
" |
239 | ||
Egon Franke, |
" |
" |
221 |
Von den unbesoldeten Mitgliedern des Parteivorstandes erhielten Stimmen:
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Fritz Henseler[37] 335, Dr. Karl Schmidt[38] 335, Louise Schröder 332, Franz Neumann 331, Franz Bögler 326, Julius Losemann 324, Karl Meitmann 324, Wilhelm Kaisen 323, Dr. Victor Agartz 321, Andreas Gayk 320, Adolf Grimme 315, Willi Eichler 314, Willi Knothe 314, Valentin Baur 311, Dr. Walter Menzel 308, Ernst Gnoss 306, Lisa Albrecht 304, Emil Gross 304, Fritz Helmstetter[39] 304, Dr. Hermann Voit[40] 289, Robert Görlinger 258, Dr. E. Selbert[41] 253.
Weitere Stimmen erhielten: Marta Fuchs[42] 236, Anna Bayer 225, Dr. Hermann Brill[43] 1, Waldemar von Knoeringen 1 Stimme.
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Zu den wirtschaftlichen Folgerungen der Sozialdemokratie sprach als Berichterstatter Genosse Prof. Dr. Eric Nölting, Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen. Über die erste Phase unserer Bewegung, Begründung und Lehre, und die zweite Phase, Agitation und Werbung, hinaus, sei der Sozialismus inzwischen in seine dritte Phase eingetreten, Verwirklichung und Erfüllung. Verwirklichung der sozialistischen Idee auf wirtschaftlichem Gebiet aber bedeute Lenkungswirtschaft und Sozialisierung. "Wir wollen dreierlei: Wir wollen erstens eine Reihe von Wirtschaftszweigen durch Übergang des Eigentums in die öffentliche Hand restlos unmittelbar auf das Gemeinwohl ausrichten. Wir wollen eine weitere Reihe von Wirtschaftszweigen stärker, als es bisher der Fall war, mit gemeinwirtschaftlichen und namentlichen genossenschaftlichen Unternehmen durchsetzen und wir wollen drittens die gesamte Wirtschaft in den staatlichen Ordnungs- und Lenkungsrahmen einbauen, denn auch der Restkapitalismus ist in die allgemeine Wirtschaftspolitik einzufügen." Auch der proletarische Diktaturstaat wäre praktisch ein totalitärer Staat strengster Observanz, und man dürfte nichts propagieren, das nur von fern nach einem neuen Totalitarismus schmecke, sofern man dem Gegner nicht eine höchst wirksame und gefährliche Waffe in die Hand spielen wolle.
In der Diskussion sprachen Genossen Simon[44], Frankfurt, und Gustav Dahrendorf, Hamburg.
Nach dem Schlusswort Nöltings kam man zur Abstimmung über den Antrag 17, in dem der Unterbezirk Altena-Lüdenscheid die Durchführung einer Volksabstimmung über die Sozialisierung und die Bodenreform fordert. Der Antrag wurde gegen 11 Stimmen gemäss dem Vorschlag des Vorsitzenden des Parteivorstand überwiesen.
Zu Punkt 6 der Tagesordnung, der Kulturpolitik der Sozialdemokratie, sprach dann als Berichterstatter Genosse Hennig, Hannover. Er erinnerte an zwei Entschliessungen der vorangegangenen kulturpolitischen Tagung in Erlangen. Der eine Antrag betraf die Ausgestaltung der Kulturzentrale beim Parteivorstand. Der andere lautete:
Die auf der kulturpolitischen Tagung der SPD in Erlangen versammelten Teilnehmer sind überzeugt, dass es nötig ist, die philosophischen Grundlagen der sozialdemokratischen Bewegung neu zu studieren und zu formulieren. Sie bittet den Parteivorstand, möglichst bald eine Kommission einzusetzen, die sich dieser Aufgabe unterzieht.
Hennig führte weiter aus: Es handelt sich heute nicht darum, was vor einhundert Jahren einmal Männer gedacht und gesagt haben. Vieles davon sei unvergänglich. Aber für den Sozialismus als Wissenschaft genüge es nicht, sich allein quellenforscherisch und historisierend zu verhalten, er müsse vielmehr die Gegenwart verarbeiten. Was Karl Marx getan habe, war nichts anderes, als dass er die Philosophie, die Soziologie, die Ökonomie seiner Zeit verarbeitet habe. Wir müssen das gleiche tun. Wir müssen das ungeheure Material aufarbeiten, das in der soziologischen Forschung der letzten Jahrzehnte, in den naturwissenschaftlichen Ergebnissen eines halben Jahrhunderts, in der zeitgenössischen Philosophie vorliegt, und müssen daraus die neuen geistigen Grundlagen der Partei formulieren. Wir stossen überall, wo wir auf junge Menschen treffen, auf den Einwand, dass wir zu eng seien, dass wir im Grunde genommen auf dem Standpunkt von vor 100 Jahren stehen. Es wird hohe Zeit, dass wir uns diesem Trugschluss entgegenstellen. Wir hätten es längst gekonnt. Wir haben die Konzeption, aber wir haben noch nicht die Zeit gefunden, sie auszuarbeiten und sie zu popularisieren. Der zu berufende Kulturausschuss wird die Körperschaft sein, die auf diesem Gebiet entscheidende Schritte vorzubereiten hat, die hoffentlich dem nächsten Parteitag zur Beschlussfassung vorgelegt werden können.
In der Diskussion bat Genosse Dr. Berger[45], Niederrhein, doch nicht zu vergessen, dass sehr viele Genossen ihren Sozialismus nicht von der Bergpredigt, sondern von Karl Marx herleiten. In weiten Bezirken unseres Vaterlandes würden sehr viel mehr junge Sozialisten durch die Lehren von Karl Marx zu uns geführt als durch die Lehren der Bergpredigten. Genosse Berger verlangte ein festumrissenes Schulprogramm.
Genosse Schuldt[46], Hamburg, erinnerte an die "im wesentlich doch proletarische Tradition unserer Bewegung", die man nicht vergessen solle über all den Forderungen, die durch die heute so grundlegend veränderten Verhältnisse akut geworden sind.
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Genosse Mellies[47], Bielefeld, sagte, man müsse überall auf kulturellem Gebiet feststellen, dass die ungeheure Machtposition der Sozialdemokratie noch keineswegs zum Durchbruch gekommen sei und man müsse mit Nachdruck darauf drängen, dass auf beiden Gebieten, sowohl in der Verwaltung als auch auf kulturellem Gebiet der Einfluss der SPD so stark werde, wie es der politischen Struktur der Bevölkerung entspreche. Zu den Fragen der Kulturpolitik sprachen dann noch vor dem Schlusswort Arno Hennig, die Genossin Gertrud Greising[48], Hannover, und Reinhardt[49], Wiesbaden.
Es wurde dann die Einsetzung eines kulturpolitischen Ausschusses für die Gesamtpartei beschlossen.
Den Bericht über die agrarpolitische Kommission erstattete Herbert Kriedemann, Hannover. Die Bodenreform sei nach der Ansicht der Kommission Ausgangspunkt für die neue Agrarpolitik. "Die Gegner reden immer mit Vorliebe über Kunstdünger und Maschinen, wenn von der notwendigen Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung gesprochen wird. Wir dagegen weisen darauf hin, dass es vor allem darauf ankommt, den Menschen in eine bessere Beziehung zu dieser Arbeit zu bringen. Unserer Auffassung nach soll der Boden in das Eigentum derjenigen kommen, die ihn fast täglich bearbeiten. Darum können wir in der Bodenbesitzreform keine Kompromisse vertragen". Man wolle vor allen Dingen den Vertriebenen, die einen berechtigten Anspruch darauf haben, wieder Boden unter die Füsse geben. Das soll in der Form geschehen, die die Ernährung unseres Volkes, die landwirtschaftliche Leistung aus eigenem Boden nicht gefährdet.
Das Referat bzw. der Bericht fand in einzelnen Punkten gewisse Kritik, so durch den Genossen Franz Kaiser[50], Bremen, der darauf hinwies, dass das wichtigste Problem, das heute im agrarpolitischen Ausschuss zu lösen sei, das Problem der Ernährung sei. Es wäre endlich an der Zeit, dass der agrarpolitische Ausschuss entsprechende Vorschläge beibringe, die man den Landtagsfraktionen überweisen könne, damit Gesetze geschaffen werden könnten, die die Ernährung erfassen und verteile. In der Diskussion sprachen weiter die Genossen Magnus Bunk[51], Schwaben, August Blanke[52], Düsseldorf, und Alfred Gleisner[53], Hamm. Sie alle befassten sich des näheren mit der Stellung der Sozialdemokratie zur Landesbevölkerung und insbesondere auch den Bauern, den materiellen und psychologischen Schwierigkeiten, die hier einer sozialistischen Aufklärungsarbeit im Wege stehen und ihren Möglichkeiten. Vor dem Schlusswort Kriedemanns sprachen noch die Genossen Gebhardt[54] und Jäckel[55].
Zu den sozialpolitischen Forderungen der Sozialdemokratie (Tagesordnungspunkt 6b) sprach Genosse Dr. Paul Nevermann. Er berichtete über die Berufung eines sozialpolitischen Ausschusses durch den Parteivorstand. Dieser Ausschuss habe sich inzwischen mit den Vorarbeiten für ein sozialpolitisches Programm beschäftigen können und gerade jetzt während des Parteitages sei der Entwurf eines solchen Sozialprogramms festgelegt. Er werde den Bezirken und insbesondere ihren sozialpolitischen Ausschüssen zur Stellungnahme überwiesen werden.
Zum Thema Sozialpolitik sprach dann, mit Beifall besonders warm begrüsst, Genosse Rudolf Wissell. Er erinnerte an die erschütternde Feststellung des Sozialpolitischen Ausschusses, dass heute fast die Hälfte der Arbeiter nicht in der Lage sei, mit ihrem Arbeitsverdienst auch nur die jetzigen Hungerrationen zu bezahlen. Er unterstrich die Bedeutung der Gewerkschaften für alle Fragen der Sozialpolitik und forderte, dafür zu sorgen, dass eine einheitliche Sozialpolitik in ganz Deutschland geschaffen werde, und zwar schon während der Besatzungsperiode. In den Abstimmungen zu den Anträgen dieses Arbeitsgebietes wurden die Anträge 35 (Bezirk Hannover) und 36 (Unterbezirk Göttingen) durch den Parteitag selbst angenommen. Sie befassten sich mit Massnahmen zur tatkräftigen Hilfe für die Opfer des Faschismus.
Zu einem Antrag, der sich mit dem Flüchtlingsproblem beschäftigte, sprach Genosse Herder[56], Regensburg, selbst ein Flüchtling. Gleichberechtigung sei die Forderung seiner Schicksalsgenossen, und zwar Gleichberechtigung mit der einheimischen Bevölkerung. Auf diesem Gebiet sei ohne Zweifel schon Erhebliches geleistet worden, besonders in Bayern, und hier vor allem dank der Initiative der deutschen sozialdemokratischen Flüchtlinge auf gesetzgeberischem Gebiet, wie auf dem Gebiet der Ernährung. Genosse Herder trat auch für eine gleichmässigere Verteilung der Flüchtlinge auf die einzelnen Zonen ein, und schliesslich mit grossem Nachdruck für die Verwirklichung eines grossen, gerechten Lastenausgleiches.
Angenommen wurde ein Antrag (27), der von der Landesorganisation Hamburg eingebracht worden war und in dem [im] einzelnen die Notwendigkeit begründet war, unter allen Umständen dafür einzutreten, dass in der Verwaltung als dem Vollzugsorgan des Volkswillens nur wirklich demokratische Kräfte tätig sein sollten. Daran schloss sich eine Debatte über einen Antrag 38 [an], der dem Parteitag vorschlug, zu beschliessen, sämtliche Mitglieder [der] SPD aus den Entnazifizierungsausschüssen zurückzuziehen, da Form und Handhabung der Entnazifizierung nicht die Billigung der SPD fänden. Dazu sprach der Genosse Rühmke[57], Hildesheim, der feststellte, dass sich die Entnazifizierung in einer absoluten Krise befinde. Seine Ausführungen ergänzte in einigen Punkten Genosse Heinrich Krämer[58], Bielefeld. Die englische
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Militärregierung müsse wissen, dass eine Entnazifizierung, wie sie gegenwärtig gehandhabt werde, unmöglich sei. Sehr lebhaft befasst sich auch die Berliner Genossin Jeanette Wolff mit dieser Frage, die den Vorwurf erhob, dass die Menschen, die die Entnazifizierung durchführen, vielfach nicht das nötige Rückgrat besässen. Für den Parteivorstand sprach zum Thema die Genossin Dr. Selbert, Ollenhauer vertrat die Ansicht, dass die Annahme dieses Antrages das Problem nicht lösen würde. Die Dinge lägen einmal in den einzelnen Zonen verschieden, zweitens liessen sich Einzelfälle, wie sie in der Begründung des Antrages angeführt waren, nicht zur Grundlage einer politischen Entscheidung von allgemeiner Bedeutung machen. Bei der Abstimmung ergab sich eine Mehrheit für den Vorschlag des Parteivorstandes und des Parteiausschusses, den Antrag zur weiteren Behandlung und zur Nachprüfung dem Entnazifizierungsausschusses beim Parteivorstand zu überweisen.
Angenommen wurden dann noch eine Reihe weiterer Anträge, darunter einer, der zum Ausdruck bringt, dass die Sozialdemokratie alle Anstrengungen machen werde, um die Kriegsgefangenen so schnell wie möglich in die Heimat zurückzubringen, und ein weiterer, der eine beschleunigte Regelung und Durchführung von Ausschlussverfahren gegen Mitglieder vorsieht, die sich in irgendeiner Form schuldig gemacht haben. Paul Löbe, Berlin, richtete dann Worte des Gedenkens an die Älteren und Worte des herzlichen Dankes an die Jüngeren für ihre im letzten Jahre bewiesene politische Aktivität. Dann sprach Kurt Schumacher noch einmal ganz kurz, wobei er von der Hoffnung sprach, dass die deutsche Sozialdemokratie und das deutsche Volk nun schon näher an die Welt herangekommen seien. Dann hatte Erich Ollenhauer das Wort, der im Namen der Partei allen Beteiligten seinen Dank aussprach, und der Parteitag schloss mit dem gemeinsamen Gesang: "Auf Sozialisten, schliesst die Reihen."
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Vom vorjährigen Parteitag der SPD in Hannover ist nunmehr das Protokoll erschienen. Ferner ist dem Parteitag in Nürnberg das erstmalig nach der Wiedererstehung der SPD herausgegebene "Jahrbuch der SPD für 1946" vorgelegt worden. Beide Bücher können von der Londonvertretung der SPD, 33, Fernside Avenue, London, N.W.7 gegen Einsendung von sh 2/- pro Band bezogen werden. In Hannover bereitet der Parteivorstand den Druck mit dem vollen Wortlaut der Rede Schumachers auf dem Parteitag vor.
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An unsere Leser!
Die Herausgabe dieser "SOZIALISTISCHEN MITTEILUNGEN" verdanken wir nur der Opferbereitschaft unserer Leser! Viele Leser in Überseeländern, fast alle Leser in den Kriegsgefangenenlagern sind nicht in der Lage Geld an uns zu senden. Wir bitten alle Leser, die hierzu wirtschaftlich in der Lage sind, uns einen Extrabeitrag zu Gunsten der "SOZIALISTISCHEN MITTEILUNGEN" zu senden.
Nur durch freiwillige Spenden wird es möglich sein, auch in Zukunft diese Mitteilungsblätter herauszugeben und zu versenden! Beiträge erbeten an:
Wilhelm Sander, 33, Fernside Avenue, London, N.W.7.
VEREINIGUNG DEUTSCHER SOZIALDEMOKRATEN IN GROSS-BRITANNIEN
Freitag, d. 25. Juli 1947, abends 7.30 Uhr
im Vortragssaal 1, Broadhurst Gardens, London, N.W.6.
Vortragsabend mit Berichterstattung von der Kulturtagung
und dem Parteitag in Nürnberg
Die als Gäste den Verhandlungen des Parteitages beiwohnenden Genossen
Fritz Segall und Karl Pringsheim
werden sprechen. Gäste, von Mitgliedern der Vereinigung eingeführt, sind herzlich willkommen. Die Mitglieder werden gebeten, ihre rote Mitgliedskarte mitzubringen. Am Saaleingang können die rückständigen Beiträge an den Kassierer bezahlt werden.
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Die Letzte Ehre für Hans Vogel
Der Wunsch Hans Vogels, des langjährigen Bezirkssekretärs der fränkischen SPD, Reichstagsabgeordneten, Mitglieds des Parteivorstandes und nach dem Tod des Gen. Otto Wels Vorsitzenden der im Exil arbeitenden SPD, in fränkischer Erde begraben zu sein, ging Sonntagnachmittag in Erfüllung.
Der Vertreter der SPD in England, Wilhelm Sander (London), überbrachte zum Parteitag die Urne, die in einer ergreifenden Feierstunde auf dem Waldfriedhof im Westen Nürnbergs, unmittelbar neben der Ruhestätte Karl Grillenbergers[59], beigesetzt wurde. Nach dem Vortrag eines Streichquartetts schilderten Wilhelm Sander, Erich Ollenhauer für die Gesamtpartei und einer der engsten Freunde des Verstorbenen, Martin Treu, das Leben und die Verdienste von Hans Vogel, dem es nicht mehr vergönnt war, an der Wiedergeburt eines demokratischen Deutschlands selbst mitzuwirken. Die zahlreich anwesenden Vertreter ausländischer Bruderparteien zeigten die hohe Achtung, die er sich auch in der Emigration erworben hatte, die vielen Nürnberger Trauergäste die Liebe und Verehrung seiner fränkischen Genossen.
(Nürnberger Nachrichten vom 2. Juli 1947)
Freude, schöner Götterfunken ...
Der Stadtrat zu Nürnberg veranstaltete aus Anlass des Parteitages der SPD am 1. Juli abends im Opernhaus ein festliches Konzert.
Oberbürgermeister Hans Ziegler begrüsste mit wenigen Worten die Gäste der Stadt. Parteivorsitzender Erich Ollenhauer dankte für die Gastfreundschaft. Dann erklang eines der herrlichsten Werke, das deutsche Musik hervorgebracht hat: Beethovens Neunte Symphonie unter der Leitung von Rolf Agop. Das Städtische Orchester, der verstärkte Opernchor mit Chordirektor Helmut Kästner und die Solisten ernteten stürmischen Beifall.
"Wir haben alle das gleiche hohe Ziel!"
Auch in den vergangenen Jahren gab es in Nürnberg Parteitage. Dann war der Hauptmarkt das Ziel und die (damals noch) wundervolle Kulisse für die militärischen Aufmärsche vor den hohen und höchsten Bonzen des Regimes und den aufmerksam beobachtenden ausländischen Militärattachés.
Der ganze Wandel der Zeit kam in der Internationalen Kundgebung der SPD zum Ausdruck, der der Eröffnung des Parteitages am Sonnabendabend vorausging.
Wieder wehten die Flaggen der vertretenen Nationen, der Vereinigten Staaten, von Grossbritannien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweden usw., aber sie grüssten diesmal die friedliche Internationale der Arbeit. So konnte der Vorsitzende der SPD Nürnbergs, August Meier[60], die vielen Tausenden mit der frohen Gewissheit begrüssen, dass diesseits und jenseits der Grenzen und der Ozeane Menschen am Werke sind, die Misstrauen und Hass beseitigen. Als erster Redner sprach das Mitglied des englischen Unterhauses Joe Reeves. Er überbrachte die Grüsse der englischen Arbeiterpartei und führte weiterhin aus: "Mit grösster Aufrichtigkeit und tiefstem Ernst sage ich, dass in England keine Bitterkeit gegen das arbeitende Volk in Deutschland herrscht. Wir alle sind Kameraden, die für den Sieg des Sozialismus in der Welt arbeiten. Wir wissen, welch harte Zeiten das deutsche Volk jetzt durchmacht, wir verstehen seine Leiden um so besser, als England jetzt selbst die schwerste Periode seiner Geschichte durchmacht. Für uns alle aber leuchtet ein Licht in diesen dunklen Tagen: der Glaube an den Sozialismus." Louise Schröder, bis vor kurzem Oberbürgermeisterin von Berlin, grüsste die Versammelten von den 50.000 organisierten Sozialdemokraten und der Million sozialdemokratischer Wähler Berlins, die sehnsüchtig auf eine baldige politische und wirtschaftliche Einheit Deutschlands hoffen. Rosa Jochmann[61], Nationalrätin und Mitgl[ied] des Parteivorstandes der österreichischen Sozialdemokratie, gab als letzte Rednerin ihrer tiefen Verbundenheit mit den deutschen Sozialisten Ausdruck und überbrachte die Grüsse von mehr als 500.000 organisierten österreichischen Sozialdemokraten.
Editorische Anmerkungen 1 - Adolf Braun (1862 - 1929), Nationalökonom, später Journalist und Schriftsteller, Gründungsmitglied der österreichischen Sozialdemokratie (Hainfeld 1887), später Redakteur an sozialdemokratischen deutschen Zeitungen in Berlin, Dresden, München und Nürnberg, Autor einer Reihe von Schriften u. a. über den Arbeiterschutz, 1919-1928 SPD-Mitglied der Nationalversammlung bzw. des Reichstags. 2 - Wim Thomassen (geb. 1909), 1946-1948 Sekretär der niederländischen PvdA. 3 - "Sanness": John Sannes (geb. 1913), 1946-1950 und 1956-1960 außenpolitischer Redakteur von "Arbeiderbladet" (DNA). 4 - Kaj Aake Björk (geb. 1918), SAP-Mitglied seit 1935, Mitarbeiter in der sozialdemokratischen Presse Schwedens, 1947-1955 Internationaler Sekretär der SAP, Parlamentsabgeordneter 1965-1973, später Botschafter im diplomatischen Dienst. 5 - Emil Wallin (1881 - 1960), 1925-1949 Schatzmeister der SAP. 6 - Franz Jonas (1899 - 1974), österreichischer SPÖ-Politiker, Schriftsetzer, wegen Widerstandstätigkeit 1935/1936 inhaftiert, 1950 stellv. SPÖ-Parteivorsitzender, 1951-1965 Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien, 1953-1965 Mitglied des Nationalrats, 1965-1974 österreichischer Bundespräsident. 7 - Emanuel Buchinger, einer der Führer der ungarischen Sozialdemokratie (1947), 1931-1940 Mitglied der Exekutive der SAI. 8 - Ferenc Nagy (1903 - 1979), seit 1930 Generalsekretär der Partei der Kleinen Landwirte, 1939-1942 Abgeordneter im ungarischen Reichstag, 1946-1947 ungarischer Ministerpräsident, von den Kommunisten als Verschwörer gegen den Staat betrachtet, emigrierte 1947 in die USA. 9 - Zu Leon Dennen konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden. 10 - Herbert Hoover (1874 - 1964), republikanischer Politiker, 1929 - 1933 US-Präsident. Das sog. Hoover-Moratorium in den 30ern erlaubte der deutschen Reichsregierung unter Brüning die Stundung aller Kriegsschulden und Reparationen für 1 Jahr. 11 - George Marshall (1880 - 1959), amerikanischer General und Politiker, 1947-1949 US-Außenminister, 1951/1952 Verteidigungsminister, 1953 Friedensnobelpreis. Der nach ihm benannte Plan (1948 vom US-Kongress verabschiedet) sah ein amerikanisches Hilfsprogramm für Europa (European Recovery Program) vor. Die Marshallplanhilfe (Waren, Dienstleistungen, technische Hilfe, Kredite) wurde - erst nach sowjetischem Druck - von den Regierungen der Ostblockländer abgelehnt (Juli 1947). 12 - "Reichardt": Laut "Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 29. Juni bis 2. Juli 1947 in Nürnberg", Hamburg o. J. (1948), S. 69, handelt es sich bei o. e. Ausführungen um die Rede des Parteitagsdelegierten Kurt Reinhard aus Südbaden. Kurt Reinhard (geb. 1907), Lehrer, 1947-1948 sozialdemokratisches MdL Baden. Weitere biographische Angaben zu K.R. konnten nicht ermittelt werden. Siehe zur selben Person: Anm. 49. 13 - Die französische Besatzungsmacht hatte in ihrem Gebiet nur zögerlich die Gründung von Parteien erlaubt. Die Lizenzierung war mit bestimmten Auflagen verbunden. So durften u. a. die Parteien teilweise nicht den Begriff Deutschland im Parteinamen führen. 14 - "Jakoby": Werner Jacobi (1907 - 1970), Jurist, SPD-Mitglied, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter in der Metallindustrie, ab 1937 bis Kriegsende wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" in Haft und Konzentrationslagern. 1946-1949 SPD-Oberbürgermeister von Iserlohn, 1947-1950 MdL NRW, 1947-1950 NRW-Staatskommissar gegen Korruption und Misswirtschaft in Verwaltung und Wirtschaft, 1949-1970 SPD-MdB, 1956 ff. Hauptgeschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). 15 - Alfred Kubel (1909 - 1976), Drogist, vor 1933 ISK-Mitglied, 1937/1938 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" im Gefängnis. 1946 SPD-Ministerpräsident des Landes Braunschweig, 1946 ff. SPD-MdL Niedersachsen, ab 1946 auch verschiedene Ministerfunktionen, 1970-1976 Ministerpräsident von Niedersachsen. 16 - Karl Albrecht (1904 - 1974), Bibliothekar, ab 1923 journalistische Tätigkeit u. a. am sozialdemokratischen "Lübecker Volksboten", 1933 als Bibliothekar entlassen, dann zeitweise als Gemüsehändler tätig. Ab 1946 Kreisvorsitzender der SPD Lübeck, Senator der Hansestadt und Chefredakteur der "Lübecker Freien Presse". Später in der Stadtverwaltung. 17 - Franz Marx (1903 - 1985), Maschinenschlosser, ab 1916 gewerkschaftlich organisiert, nach dem I. Weltkrieg SPD-Mitglied, 1933-1934 KZ und Polizeigefängnis. 1945 SPD-Sekretär in seiner Geburtsstadt Köln, 1946-1949 SPD-Sekretär in München, 1946 ff. MdL Bayern, 1949-1972 SPD-MdB. 18 - Jeanette Wolff, geb. Cohen (1888 - 1976), Kindergärtnerin und Erzieherin, schon ab 1905 Sozialdemokratin und Gewerkschaftsmitglied, 1918 ff. im Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, 1919-1932 SPD-Stadtverordnete in Bocholt, nach der NS-Machtübernahme 2 Jahre Schutzhaft, danach Einsatz für verfolgte jüdische Mitbürger und illegale Parteiarbeit, 1942-1945 mit 2 Töchtern im Ghetto von Riga und im KZ Stutthof bei Danzig (ihr Mann, Hermann Wolff, wurde kurz vor Kriegsende 1945 auf dem Transport vom KZ Buchenwald nach Flossenbürg erschossen, auch 2 von 3 Töchtern überlebten die NS-Zeit nicht). Nach der Befreiung aktiver Anteil am politischen und sozialen Wiederaufbau in Berlin, Gegnerin der Fusion von KPD und SPD, 1946-1952 SPD-Stadtverordnete bzw. Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin, 1952-1961 SPD-MdB, Vorstandsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland. 19 - Wilhelm Nieswandt (1898 - 1978), Schmied, 1932-1933 SPD-Stadtverordneter in Essen, ab 1934 selbständiger Fabrikant (Stahlbaubetrieb). 1946-1970 SPD-MdL NRW, 1956-1969 Oberbürgermeister von Essen. 20 - "Köth": Otto Koeth (1904 - 1981), Sozialdemokrat aus dem SPD-Bezirk Hessen-Frankfurt, MdL Hessen 1946-1950. 21 - Karl Storbeck (1880 - 1967), Buchdrucker, 1922-1925 Geschäftsführer der sozialdemokratischen "Flensburger Volkszeitung", ab 1925 Revisor der Konzentration AG (Berlin), 1932-1933 Geschäftsführer des "Volksfreund" (Karlsruhe), 1933 und 1935 kurzfristig verhaftet. 22 - Heinrich Schroth (1902 - 1957), Kaufmann, seit 1918 SAJ- und seit 1920 SPD-Mitglied, 1933-1935 KZ. Nach 1945 führend bei der Neugründung der SPD Solingen, 1954-1957 SPD-MdL NRW. 23 - Heinz Mehnert, Delegierter aus dem SPD-Bezirk Hannover. 24 - Anni Krahnstöver, geb. Leffler (1904 - 1961), Kontoristin, seit 1924 Mitglied der SPD, 1929-1933 SPD-Bezirkssekretärin in Oppeln (Oberschlesien). Ab 1946 Frauensekretärin der SPD in Kiel, 1948-1949 SPD-Mitglied des Wirtschaftsrats in Frankfurt a. M., 1949-1953 MdB, 1948-1954 Mitglied des SPD-Parteivorstandes, 1953 Ehefrau von Wilhelm Mellies (s. d.). 25 - Adolf Dünnebacke (1891 - 1978), in der Weimarer Republik Sozialdemokrat und Funktionär des DMV. 1946-1960 SPD-Bürgermeister von Berlin-Reinickendorf, 1963-1967 MdA Berlin. 26 - Karl Bergmann (1907 - 1979), Bergmann, seit 1926 SPD-Mitglied. Ab 1946 Funktionär der IG Bergbau, 1946-1956 SPD-MdL NRW, 1949-1972 MdB. 27 - Erwin Stein, Delegierter aus dem SPD-Bezirk Pfalz. 28 - "Karl Schmid": Gemeint ist Carlo Schmid, siehe SM 87, Juni 1946, Anm. 4. 29 - Andreas Gayk (1893 - 1954), kaufmännischer Angestellter, seit 1912 SPD-Mitglied, 1919-1933 Redakteur bei der sozialdemokratischen "Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung" in Kiel, 1933-1935 Herausgeber und Redakteure von "Blick in die Zeit" (Berlin), einer Zeitschrift, die für gewisse Zeit durch die geschickte Kompilation von ausländischen Presseartikeln als "legales" Oppositionsblatt arbeiten konnte. 1946 SPD-Oberbürgermeister in Kiel, 1946-1954 MdL Schleswig-Holstein, 1948-1949 Mitglied des Parlamentarischen Rats. 30 - Helmut Mattis (1905 - 1987), Buchhändler, 1925 SPD-Mitglied, 1926-1933 Funktionär des ZdA. 1946-1951 Bürgermeister von Berlin-Steglitz, 1956-1970 Bürgermeister von Berlin-Wedding. 31 - Walter Damm (1904 - 1981), Feinmechaniker, in der Weimarer Republik SPD-Mitglied und Gewerkschaftsfunktionär. Nach Militärzeit und Gefangenschaft 1946 Landrat des Kreises Pinneberg, 1946-1968 MdL Schleswig-Holstein, 1947-1950 Minister in SH (Umsiedlung und Aufbau, Sozialwesen), 1955-1965 Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein. 32 - Heinrich Höcker (1886 - 1962), Tischler, seit 1905 SPD-Mitglied, 1932-1933 SPD-MdL Preußen, in der NS-Zeit verschiedentlich verhaftet. 1945 Bürger-, ab 1946 Oberbürgermeister von Herford, 1946-1950 SPD-MdL NRW, 1949-1961 MdB. 33 - Karl Seeser (1906 - 1981), Angestellter, in der Weimarer Republik SPD-Mitglied, angestellt bei der "Fränkischen Volkstribüne" (Bayreuth), 1933 und 1937 monatelang in Haft, Verfahren wegen Vorbereitung zu Hochverrat eingestellt, 1940-1945 Soldat. 1948 ff. SPD-Mitglied des Stadtrats von Bayreuth, 1953-1972 Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion. 34 - Fritz Ulrich (1888 - 1969), Schriftsetzer und Buchdrucker, 1911-1931 Redakteur an verschiedenen sozialdemokratischen Zeitungen Südwestdeutschlands, 1919-1933 SPD-MdL Württemberg, 1930-1933 MdR, 1933/1934 verhaftet und zeitweise im KZ Heuberg, nach dem 20. Juli 1944 erneut verhaftet, aber im selben Jahr freigelassen. 1945-1952 SPD-Innenminister in Württemberg-Baden, Mitglied des Stuttgarter Landtages, 1952-1956 Innenminister des neuen Südweststaates Baden Württemberg und MdL BW. 35 - Christian Wittrock (1892 - 1967), Angestellter, vor 1933 SPD-Stadtrat in Kassel und Mitglied des Preußischen Staatsrates, 1939-1945 KZ Sachsenhausen wegen Widerstandstätigkeit. 1946-1954 und für einige Monate 1958 SPD-MdL Hessen, 1950-1954 Vizepräsident des Hessischen Landtags. 36 - Herbert Kriedemann (1903 - 1977), nach Landwirtschaftslehre landwirtschaftlicher Beamter, später Bankangestellter und Fabrikarbeiter, daneben Universitätsstudium, seit 1925 Mitglied der SPD, ab 1930 Angestellter in der Werbeabteilung des SPD-Parteivorstandes (Berlin), nach der NS-Machtergreifung Versuche, die SPD in der Illegalität wiederaufzubauen, 1934 Flucht in die CSR, einige Monate Arbeit als Angestellter des sozialdemokratischen Exilvorstandes (Sopade), seit 1936 in den Niederlanden (Amsterdam), zuerst publizistische Tätigkeit, dann Arbeit als Gärtner, Verbindungen zu ausländischen Nachrichtendiensten und auch zur Gestapo (1936 ist er nach eigenen Angaben die Verpflichtung, als V-Mann für die Gestapo zu arbeiten, nur zum Schein und mit Wissen von Parteifreunden eingegangen), 1941 vom Volksgerichtshof wegen Spionage für den britischen Geheimdienst in den Niederlanden zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt (Urteil zur Bewährung ausgesetzt), 1943 in einem erneuten Verfahren zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt (Strafaussetzung). Ab 1945 Agrarreferent im Büro Schumacher, 1946-1950 besoldetes Mitglied des SPD-PV, 1947-1949 SPD-MdL Niedersachsen, 1947-1949 Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrates, 1949-1972 SPD-MdB. 37 - "Henseler": Fritz Henßler (1886 - 1953), Buchdrucker und Schriftsetzer, ab 1905 SPD-Mitglied, 1911-1933 Redakteur an sozialdemokratischen Zeitungen in Dortmund, während des I. Weltkrieges Soldat, 1920-1933 Vorsitzender des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, 1930-1933 MdR, während der NS-Zeit insgesamt 9 Jahre und 3 Monate in Haft bzw. KZ (acht Jahre). 1946 ff. SPD-Oberbürgermeister von Dortmund, 1946-1953 SPD-MdL NRW, 1949-1953 MdB. 38 - "Karl Schmidt": wie Anmerkung 28. 39 - "Helmstetter": Fritz Helmstädter (1904 - 1971), Steuerberater, vor 1933 SPD-Mitglied und Gausekretär im ZdA (Württemberg-Baden), 1943 Verfahren wegen "Zersetzung der Wehrkraft" (Vater kam 1945 im KZ um, der älteste Bruder 1944 in einem Strafbataillon). Nach dem Krieg SPD-Kreisvorsitzender in Stuttgart, 1946-1968 MdL zuerst Württemberg-Baden, dann Baden-Württemberg. 40 - Hermann Veit (1897 - 1973), Jurist und Rechtsanwalt, vor 1933 SPD-Mitglied. 1945-1946 SPD-Oberbürgermeister von Karlsruhe, 1946-1949 MdL Württemberg-Baden, 1946-1960 Wirtschaftsminister von Württemberg-Baden (später Baden-Württemberg), 1949-1953 SPD-MdB, 1956-1973 SPD-MdL BW. 41 - Elisabeth Selbert (1896 - 1986), Juristin und Rechtsanwältin, seit 1918 Mitglied der SPD, vor 1933 und von 1946 bis 1958 im Bezirksvorstand der SPD Kassel. 1948/49 SPD-Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1946-1958 MdL Hessen. 42 - Martha Fuchs (1892 - 1966), Kontoristin und Buchhalterin, 1927-1933 SPD-MdL Braunschweig, 1944-1945 im KZ. Mai - November 1946 Kultusministerin des Landes Braunschweig, 1947-1948 Staatskommissarin für das Flüchtlingswesen in Niedersachsen, 1947-1951 SPD-MdL Niedersachsen, 1959 ff. Oberbürgermeisterin von Braunschweig. 43 - Hermann Brill (1895 - 1959), Lehrer, später Jurist, ab 1918 USPD-, ab 1922 SPD-Mitglied, 1919-1933 MdL Thüringen, 1923-1933 thüringischer Ministerialbeamter, 1932-1933 SPD-MdR, nach 1933 mehrfach verhaftet, Mitglied der Widerstandsgruppen Neu Beginnen und Deutsche Volksfront, 1938 erneut verhaftet und später zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, ab 1943 bis Kriegsende im KZ Buchenwald. 1945 von den Amerikanern zum thüringischen Ministerpräsidenten und Innenminister ernannt, von der sowjetischen Besatzungsmacht abgesetzt, 1945-1949 Chef der hessischen Staatskanzlei, 1949-1953 SPD-MdB, ab 1948 Professuren. Vgl. Manfred Overesch: Hermann Brill in Thüringen 1895-1946. Ein Kämpfer gegen Hitler und Ulbricht, Bonn 1992. 44 - Laut gedrucktem Protokoll von 1948 sprach vor Dahrendorf kein "Simon, Frankfurt", sondern Emil Sieg, Delegierter des SPD-Bezirks Ober- und Mittelfranken. Weitere biographischen Angaben konnten nicht ermittelt werden. 45 - Paul Berger (1890 - 1971), Lehrer, 1919-1945 mit dreijähriger Unterbrechung Studienrat in Koblenz. 1945 ff. Direktor von Gymnasien in Wesel und später Oberhausen, 1946-1954 SPD-MdL NRW. 46 - "Schuldt": Johannes Schult (1884 - 1965), Lehrer, ab 1905 in der sozialistischen Jugendbewegung, 1923-1933 Schulrat in Hamburg, 1919-1933 SPD-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, 1944 im KZ. Nach 1945 Leiter des Hamburger Berufs- und Fachschulwesens. 47 - Wilhelm Mellies (1899 - 1958), Lehrer, seit 1923 SPD-Mitglied, 1925-1933 SPD-MdL Lippe, 1933 auf eigenen Wunsch aus dem Schuldienst entlassen, arbeitete während der NS-Zeit als Lebensmittelhändler, ab Oktober 1945 Landrat des Kreises Detmold, 1946 im SPD-Bezirksvorstand Ostwestfalen, 1946-1947 MdL Lippe, 1948/49 Mitglied des Wirtschaftsrats für Nordrhein-Westfalen, 1949 ff. SPD-MdB und Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, ab 1952 stellv. SPD-Vorsitzender. 48 - Gertrud Greising (1894 - 1977), 1924-1933 SPD-Stadtverordnete in Dortmund, 1925-1933 sozialdemokratische Abgeordnete des Westfälischen Provinzial-Landtages, in der Weimarer Republik Mitarbeiterin der "Westfälischen Allgemeinen Volkszeitung" und Parteireferentin. 1946-1964 SPD-Ratsmitglied in Hannover. 49 - "Reinhardt": Nach dem veröffentlichten Parteitagsprotokoll handelt es sich um Kurt Reinhard aus Neustadt (Schwarzwald). Dieser ist derselbe wie in Anm. 12. 50 - Zwar wird ein Franz Kaiser als Parteitagsdelegierter aus dem SPD-Bezirk Bremen-Nordwest im Protokoll genannt. Aber der o. e. Diskussionsbeitrag zum Referat von Herbert Kriedemann stammt lt. Protokoll von Wilhelm Kaisen (s. d.) aus Bremen. 51 - Magnus Bunk (1895 - 1958), Fleischergeselle, seit 1914 SPD- und Gewerkschaftsmitglied, 1920-1933 Bezirksleiter des Verbandes der Lebensmittel- und Getränkearbeiter Deutschlands in Augsburg, in der NS-Zeit 2x Schutzhaft zu je 5 Wochen. Nach dem Krieg Augsburger SPD-Stadtrat und ab Juli 1945 Betriebsleiter des Städtischen Schlacht- und Viehhofes, Mitglied des sozialdemokratischen Kommunalpolitischen Ausschusses für Bayern, 1948-1952 ehrenamtlicher, 1952-1956 berufsmäßiger Zweiter Bürgermeister von Augsburg, 1948-1952 Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion. 52 - August Blanke: Im gedruckten Parteitagsprotokoll als Delegierter des SPD-Bezirks Niederrhein genannt, Funktionär im DGB-Bundesvorstand. 53 - Alfred Gleisner (1908 - 1991), Bergmann, 1928-1933 bei der Kriminalpolizei (Inspektor), ab 1933 im Versicherungswesen tätig, 1938 Fabrikdirektor, 1939-1945 Kriegsteilnehmer, 1945 Mitglied der SPD, Sekretär des SPD-Unterbezirks Hamm, 1947-1950 MdL NRW, 1949-1959 SPD-MdB, dann Stadtdirektor in Unna. 54 - "Gebhardt": Josef Gebhard (geb. 1908), Kaufmann, 1926-1933 im KJ bzw. in der KPD, 1933 und 1935 wegen "politischer Unzuverlässigkeit" aus seinem Angestelltenverhältnis entlassen und arbeitslos. Nach 1945 SPD-Mitglied, auf dem Parteitag von 1947 Delegierter aus dem SPD-Bezirk Ober- und Mittelfranken. 55 - "Jäckel": Richard Jäckle (1912 - 1990), Schriftsetzer, ab 1926 Gewerkschaftsmitglied, ab 1930 Mitglied der SAJ und der SPD, 1940-1942 Soldat, wegen Krankheit als dienstuntauglich entlassen. Nach 1945 Geschäftsführer im Druckerei- und Verlagswesen, 1946 ff. Landesvorsitzender der SPD von Baden, 1947-1952 MdL Baden und SPD-Fraktionsvorsitzender, 1952-1959 nach Niederlegung fast aller politischen Ämter und Mandate Maschinensetzer in Schaffhausen (Schweiz), 1959 MdL Baden-Württemberg, 1963-1967 als Angestellter Leitender Rat im Parlamentarischen Beratungsdienst des Landtags. 56 - Ernst Herder (1891 - 1959), Justizbeamter, vor 1933 SPD-Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter in Lyck (Ostpr.) und SPD-Mitglied des ostpreußischen Provinziallandtages, 1933 aus dem Justizdienst entlassen. Ab 1946 Sekretär des SPD-Bezirks Niederbayern-Oberpfalz, später Mitglied der Kontrollkommission des PV der SPD. 57 - "Rühmke": Laut gedr. Protokoll ist gemeint: Heinrich Wilhelm Ruhnke (1891 - 1963), Verwaltungsangestellter, 1914-1918 Soldat, Mitglied des ZdA, seit 1927 der SPD, 1927-1933 leitender Direktor der Verbands-Sparkasse für die Marsfelder Kreise und Städte, 1933 entlassen, Juli 1933 - April 1936 Gefängnis und Straflager im Emsland. Nach 1945 selbständiger Kaufmann in Hildesheim, SPD-MdB 1949-1961. 58 - Heinrich Krämer (1903 - 1981), technischer Zeichner, seit 1918 Mitglied der SAJ, wenig später der SPD, nach 1933 wöchentliche Meldepflicht bei der Polizei. Nach 1945 Sekretär des SPD-Unterbezirks Dortmund. 59 - Karl Grillenberger (1848 - 1897), Schlosser, 1869 Mitglied der im selben Jahr in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands, 1874-1897 Leiter sozialdemokratischer Zeitungen und einer Genossenschaftsdruckerei in Nürnberg, auch führende Position in der Gewerkschaftsbewegung, 1881-1897 sozialdemokratischer MdR, 1892-1897 auch MdL Bayern. 60 - August Meier (1885 - 1976), Zimmerer, vor 1914 Gewerkschafts- und SPD-Mitglied, ab 1919 Geschäftsführer der Nürnberger SPD-Zeitung "Fränkische Tagespost", 1919-1933 sozialdemokratisches Mitglied des Nürnberger Stadtrats, 1933/1934 KZ Dachau. Nach 1945 Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Nürnberg und 1946-1966 Mitglied des Stadtrats, 1945-1947 Vorsitzender des SPD-Bezirks Franken, wesentliche Rolle beim Nachkriegsaufbau der Fränkischen Verlagsanstalt und der "Fränkischen Tagespost". 61 - Rosa Jochmann (1901 - 1994), Fabrikarbeiterin, seit 1916 Mitglied der Gewerkschaftsbewegung, seit 1919 der SPÖ, seit 1932 SPÖ-Frauensekretärin, 1933 Mitglied des PV der SPÖ, illegale Tätigkeit für die Revolutionären Sozialisten, 1934-1935 Gefängnisstrafe in Österreich, 1939 erneut verhaftet, 1940-1945 KZ Ravensbrück. In der Nachkriegszeit u. a. Mitglied des PV der SPÖ und Abgeordnete zum Nationalrat. |