S O Z I A L I S T I S C H E |
M I T T E I L U N G E N |
der London-Vertretung der SPD |
Issued by the London Representative of the German Social Democratic Party,
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Nr. 100 |
Juni |
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Schutz vor der Kälte und Not des Winters, Sicherung der Ernährung!
Dies sind die vordringlichsten Probleme der deutschen Politik. Das am 10. Juni 1947 veröffentlichte Berliner Abkommen über die endgültige wirtschaftliche Verschmelzung der beiden Westzonen Deutschlands mit weitreichender Kontrolle über Produktion, Preise, Finanzen, Währung, Verkehr und Ernährung soll der Lösung dieser Notprobleme dienen. Die erste Konferenz deutscher Ministerpräsidenten und Regierungschefs am 7. und 8. Juni 1947 in München beschäftigte sich mit den gleichen Fragen der deutschen Not. Auch die SPD-Tagungen vom 31. Mai bis 2. Juni in Frankfurt am Main beschäftigten sich mit den wichtigsten Forderungen der Wirtschafts-
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Der Parteivorstand beglueckwuenscht die "Sozialistischen Mitteilungen" zur Herausgabe dieser Jubilaeumsnummer.
Als die erste Nummer der "Sozialistischen Mitteilungen" erschien, durchlebten die deutschen Sozialdemokraten im Lande und in der Emigration die schwersten Stunden in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Hitlerdeutschland stand auf der Hoehe seiner Macht. Europa war in Gefahr, ebenfalls dem Ansturm der Diktatur zu erliegen. Die Sozialdemokraten in Deutschland waren gegenueber dem totalitaeren Terrorapparat machtlos, und die sozialdemokratische Emigration war in alle Winde zerstreut. Alle organisatorischen und geistigen Bande waren zerrissen.
In dieser Stunde erschienen die "Sozialistischen Mitteilungen", duerftig und aermlich, auch im aeusseren ein getreues Spiegelbild unserer damaligen Situation. Aber fuer die sozialdemokratische Emigration in England waren sie ein neues, erstes Bindeglied, ein fester Punkt, um den sich die Verstreuten und Verschlagenen wieder sammeln konnten.
In den jetzt vorliegenden hundert Nummern spiegelt sich die leidvolle und aufregende Geschichte des Kampfes um Freiheit und Frieden, so wie wir Sozialdemokraten ihn sehen und erlebten. Allein als eine Dokumentensammlung sind diese hundert Nummern von bleibendem historischen Wert. Aber sie sind mehr. Sie sind die Fahne der deutschen Sozialdemokratie im Ausland geworden, um die sich die Sozialdemokraten in allen Laendern sammelten, und sie wurden zum Sprachrohr der Partei in einer Zeit, in der es weder in Deutschland, noch in der Welt kaum eine Plattform gab, auf der deutsche Sozialdemokraten sprechen konnten.
Die Geschichte der "Sozialistischen Mitteilungen" ist auch die Geschichte des dauernden und unermuedlichen Opferns fuer eine gemeinsame Sache. Ohne die Aufopferung und Zaehigkeit von Willi Sander und ohne die finanzielle und praktische Hilfe vieler Genossen und Genossinnen in aller Welt, waeren die "Sozialistischen Mitteilungen" nicht ueber die ersten Anfangsnummern hinausgekommen. Die Sammlung von hundert Nummern ist ein schoener Beweis fuer den Wert solidarischen und kollektiven Handelns.
Heute sendet die Partei in Deutschland den "Sozialistischen Mitteilungen" ihre Glueckwuensche. Sie ist wiedererstanden. Sie steht in einem unerhoert schweren Kampf fuer Freiheit und Sozialismus. Sie unternimmt den Versuch, auf den Truemmern des Dritten Reiches eine neue, menschliche und gerechte Ordnung aufzubauen. Wir sind noch nicht ueber den Berg. Aber der Geist der Partei ist gut.
Die "Sozialistischen Mitteilungen" sind heute eine wichtige Informationsquelle ueber das Leben in Deutschland, und sie erfuellen damit unter veraenderten Umstaenden eine neue bedeutsame Aufgabe. Wir brauchen diese Stuetzpunkte im Ausland. Sie helfen uns, den geistigen und politischen Kontakt mit den im Ausland lebenden Genossen aufrechtzuerhalten und die Kenntnis ueber die Ideen und die Praxis der Parteien im Ausland zu verbreiten. Diese Aufgabe wird eine lange Zeit wichtig und notwendig sein. Wir wuenschen daher, dass die "Sozialistischen Mitteilungen" dieses Ziel erreichen unter leichteren materiellen Bedingungen, damit sie ihre Aufgabe noch besser und wirksamer erfuellen koennen als in der Vergangenheit.
Hannover, den 21. Mai 1947 |
Erich Ollenhauer, |
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[Fortsetzung von der ersten Seite]
not und der Staatsverwaltung. Und schliesslich wird der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie vom 29. Juni bis 2. Juli in Nürnberg auf die verzweifelten Fragen nach der Ueberwindung der Nöte dieser Zeit klare Antworten erteilen. Sondertagungen der SPD werden Spezialfragen behandeln, die aus Raumgründen vor dem Parteitag in verschiedene Orte verlegt werden müssen. So tagt bereits am 8. Juni in Unna die Konferenz der Flüchtlingsreferenten der SPD, am 11. und 12. Juni kommen in Bad Vilbel die Vertreter der kommunalpolitischen Ausschüsse zusammen.
Eine wirtschaftspolitische Tagung der SPD findet am 19. und 20. Juni in Bad Wildungen statt mit bedeutenden Referaten von Professor Dr. Erik Nölting[1] und Dr. Victor Agartz. Die agrarpolitische Tagung der SPD wird am 24. und 25. Juni in Offenbach a. Main stattfinden. Anschliessend wird eine kulturpolitische Tagung am 26. und 27. Juni in Erlangen durchgeführt. Vor Beginn des eigentlichen Parteitages in Nürnberg wird am 26. und 27. Juni 1947 in Fürth die grosse Reichsfrauenkonferenz der SPD tagen.
Die Fülle dieser Tagungen und die Verschiedenartigkeit der Themenstellung beweis[en], wie sehr die Sozialdemokratie heute zur führenden Partei Deutschlands geworden ist.
[...] Reichskonferenz der Jungsozialisten in Gelsenkirchen am 25. Mai 1947
Dass die deutsche Jugend indifferent sei und vor allem von Parteipolitik nichts wissen wolle, ist einer der gelaeufigsten Klagesaetze unserer Zeit. Wie alle allgemeinen Behauptungen ist auch diese richtig und falsch zugleich. Wer an der 1. Reichskonferenz der Jungsozialisten (SPD) teilgenommen hat, die, bewusst ins Herz des Industriegebietes verlegt, auf Schloss Berge in Gelsenkirchen stattfand, begegnete einer anderen Jugend, einer Parteijugend, die sich ihrer politischen Verpflichtungen nicht nur theoretisch bewusst ist, sondern ehrlichen Herzens zu Aktivitaet und Verantwortung draengt. Die Jungsozialisten sind keine selbstaendige Organisation, vielmehr die Jugendgruppe der Partei (die obere Altersgrenze ist das 35. Lebensjahr), und ihre Zahl belaeuft sich ...(durch Druckfehler unleserlich.)
Die Reichskonferenz stand unter dem Motto: "Junge Generation im Kampf fuer Sozialismus und Voelkerfrieden", und sie fuehrte denn auch am Ende zu einem "Ruf an die junge Generation der Welt", d. h. zu einer Resolution, in der die Jungsozialisten sich feierlich zu den Grundsaetzen des internationalen Sozialismus und der Voelkerverstaendigung bekennen, zugleich aber auch nachdruecklich erklaeren, dass ihr Kampf fuer dieses Ziel nur dann erfolgreich sein kann, wenn nun auch von aussen her die Verelendung unseres Volkes nicht verschlimmert, unser Arbeitspotential nicht noch mehr zerschlagen und kein politischer Missbrauch mehr mit oekonomischen Machtmitteln getrieben wird.
Delegierte aus den drei Westzonen und aus Berlin waren anwesend. Gewichtige Referate befeuerten immer wieder die Diskussion. Waldemar von Knoeringen, Muenchen, der Landesvorsitzende der SPD in Bayern, sprach ueber die "Entwicklung des Sozialismus". Dr. Klaus-Peter Schulz, Berlin, ueber "Die Kultur und unsere Zeit", Hans Hermsdorf - Hannover, ueber "Das Lebensrecht der jungen Generation", und schliesslich gab Dr. Kurt Schumacher eine glaenzende Analyse der gegenwaertigen politischen Situation, womit die Tagung auch in der Schaerfe des Wortes und in der Kraft der Argumentation ihren Hoehepunkt erreichte.
Wie ernst es den Konferenzteilnehmern war, mit den aufgeworfenen Fragen fertig zu werden, zeigte die Diskussion. Lebendig und energisch gefuehrt, stiess sie umweglos in den Kern der Dinge. Kein haltloses Geschwaetz kam auf. Wer hier sprach, wusste wohl von vornherein, dass er mit Phrasen keinen Ruhm gewinnen koenne. Den bedrohlichen Ernst und die Schwierigkeiten unserer Situation klar vor Augen, erbittert und doch nicht mutlos, stellte man sich den Tatsachen und beredete sie mit schonungsloser Offenheit. Nicht nur in der Diskussion, auch in den Referaten wurden uebrigens Dinge ausgesprochen, die einen alten Parteifunktionaer umwerfen konnten. Immer wieder wurde gesagt, dass die Jungsozialisten undoktrinaer seien, dass sie zwar in der Partei und fuer sie arbeiteten, aber sich auch zu jeder Kritik an Vergangenem und Gegenwaertigem berechtigt fuehlten. dass sie den historischen Materialismus ablehnten oder ihn nur als eine moegliche Geschichtsauffassung neben anderen gelten liessen, dass sie ueberhaupt in keinem Sinne Materialisten, sondern Idealisten seien, fuer die der Sozialismus eine sittliche Forderung sei. Selbst Karl Marx, der von einem nicht ganz gluecklich geratenen Plakat auf die Diskutierenden herabsah, musste sich die Feststellung gefallen lassen, dass auch er dem Irrtum unterworfen gewesen sei und dass die Epigonen gerade seine Irrtuemer mit Vorliebe kultiviert haetten. Nicht allein mit Marx, sondern auch mit Marx gelte es, den Sozialismus zu verwirklichen. Hier war es Dr. Schumacher, der ein daempfendes Wort sprach und vor Ueberheblichkeit warnte: Marx sei gewiss kein Weltanschauungsdogmatiker gewesen und vom Marxismus her gebe es allerdings keine komplette Soziologie und Staatsphilosophie; aber noch immer sei Marx der am wenigsten anfechtbare Methodiker der Gesellschaftslehre. Dr. Schumacher brachte auch sonst kleine Korrekturen an, etwa indem
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er sagte, dass die selbstverstaendliche nationale Haltung der SPD nicht zu einem falschen Weltbild fuehren duerfte; es sei ihm nicht entgangen, dass der Beifall dann besonders stark gewesen sei, wenn ein Redner an das Nationalgefuehl appelliert habe.
Die Abgrenzung von natuerlichem Nationalismus und internationalem Bewusstsein, die Ueberpruefung der marxistischen Ideologie, der Unterschied zum Kommunismus, der nicht nur in den Methoden, sondern im Ziele liegt, die besonderen Aufgaben der Jungsozialisten, ihr Verhaeltnis zur aelteren Generation (skeptisch, doch nicht ohne Vertrauen), die Ueberwindung der politischen Passivitaet der Jugend, die fuehlbare Schwere des Generationsproblems ueberhaupt, der physische Zerfall unseres Volkes, der Schwund der oeffentlichen Moral, die Kriegsgefangenenfrage, die Haltung der Besatzungsmaechte in unseren dringendsten Existenzfragen - all das wurde in einer Atmosphaere ernster Freimuetigkeit diskutiert.
Die Landtagswahlen in der Franzoesischen Zone am 18. Mai 1947.
Annahme der Verfassungsentwuerfe. Stimmgewinne der SPD, Verluste der CDU
Obwohl die CDU die staerkste Partei in der Franzoesischen Zone bleibt, haben die Landtagswahlen bei unterschiedlicher Wahlbeteiligung (Sued-Baden 67,8 %, Wuerttemberg-Hohenzollern 66,4 % und Rheinland-Pfalz 76,2 %) in allen drei Laendern einen Rueckgang der CDU-Stimmen gebracht. Wir bringen die Wahlergebnisse und setzen die frueheren Stimmenzahlen in Klammern.
In Suedbaden erhielten: CDU 239.285 Stimmen (256.540) = 34 (37) Abgeordnete; SPD 95.818 (77.140) = 13 (11) Abg.); DVP 60.976 (63.121) = 9 (9) Abg.; KPD 31.701 (33.633) = 4 (4) Abg.
In Wuerttemberg-Hohenzollern erhielten: CDU 204.927 (248.298) = 32 (40) Abg.; SPD 78.650 (78.838) = 12 (14) Abg.; DVP 66.985 (41.364) = 11 (7) Abg.; KPD 27.536 (27.264) = 5 (4) Abg.
In Rheinland-Pfalz erhielten: CDU 531.978 (639.949) = 47 (70) Abg.; SPD 381.846 (364.703) = 34 (41) Abg.; KPD 91.582 (97.176) = 8 (8) Abg.; LPD 66.347 (52.993) = 7 (2); Sozialer Volksbund[2]: 45.336 (55.789) = 4 (5) Abg.
Nachdem nunmehr Wahlergebnisse aus saemtlichen Zonen und Berlin vorliegen, hat eine Zeitung in Bayern eine Zusammenstellung fuer ganz Deutschland vorgenommen und die folgende Tabelle veroeffentlicht. Danach ist das Staerkeverhaeltnis der deutschen Parteien:
CDU/CSU |
SPD |
KPD |
LDP/FDP |
SED | |
US-Zone |
2.577.428 |
1.968.007 |
486.236 |
676.233 |
- |
Brit.Zone |
2.747.987 |
3.131.127 |
891.026 |
568.869 |
- |
Franz. Zone |
982.913 |
571.433 |
155.703 |
198.693 |
- |
Sowjet. Zone |
2.398.035 |
- |
- |
2.410.146 |
4.658.925 |
Berlin |
454.202 |
999.177 |
- |
192.527 |
405.992 |
Insgesamt |
9.160.565 |
6.669.744 |
1.532.965 |
4.040.468 |
5.064.017 |
Diese Zusammenstellung gibt allerdings kein richtiges Bild ueber die tatsaechlichen Kraefteverhaeltnisse der Parteien in Deutschland. Bekanntlich ist die SPD in der Ostzone nicht zugelassen, und bei den Wahlen in der Ostzone haben sicher zahlreiche Waehler ihren Protest gegen die Nichtzulassung der SPD dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie entweder nicht zur Wahl gingen (bei manchen Wahlen in der Ostzone wurden 10% ungueltiger Stimmzettel festgestellt!) oder ihre Gegnerschaft zur SEP durch die Wahl einer der buergerlichen Parteien bekundeten. Bei einer einheitlichen politischen Wahl im ganzen Reich mit international gesicherter Wahlfreiheit (wie bei den Wahlen in Berlin) und Zulassung der SPD in der Ostzone, wuerde sich zeigen, dass die SPD der entscheidende Machtfaktor der politischen Parteien in Deutschland sein wuerde.
An unsere Leser!
Die Herausgabe dieser "Sozialistischen Mitteilungen" verdanken wir nur der Opferbereitschaft unserer Leser! Zahlreiche Leser in Ueberseelaendern, in Deutschland und in den Kriegsgefangenenlagern koennen uns jedoch kein Geld senden. Alle anderen Leser bitten wir herzlich um die Sendung einer Spende an:
Wilh. Sander, 33, Fernside Avenue, London, N.W.7
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Interzonale Konferenz der SPD in Frankfurt am Main
Sonnabend, den 31. Mai, fand in Frankfurt am Main unter Vorsitz von Dr. Schumacher eine interzonale Konferenz der SPD statt, an der neben dem Parteivorstand in Hannover alle der SPD angehoerenden Minister, Staatssekretaere, Oberbuergermeister, Fraktionsvorsitzenden und die Landes- und Bezirksvorsitzenden aller Laender teilnahmen.
In einer Ansprache, die Dr. Kurt Schumacher am Sonnabend hielt, nahm der 1. Vorsitzende der SPD auch zu dem bevorstehenden Treffen der Ministerpraesidenten in Muenchen Stellung. Dr. Schumacher erklaerte, dass die Konferenz von Muenchen praktische Erfolge bringen und sich auf die Noete des Tages und ihre Ueberwindung mit allen moeglichen Mitteln beschraenken solle. Er fuegte hinzu, dass die Konferenz von Muenchen nicht autorisiert sei, eine zukuenftige gesamtdeutsche Verfassung oder das Verhaeltnis der einzelnen Laender gegenueber Gesamtdeutschland zu behandeln.
Am Sonntag sprach Dr. Kurt Schumacher auf dem Roemer-Berg in Frankfurt am Main. In seiner Rede schlug er u. a. eine Volksabstimmung in der Sowjetischen Zone unter internationaler Kontrolle vor. Die Abstimmung, so betonte Dr. Schumacher, wuerde beweisen, wie gern der Osten zum Westen wolle. In seiner Stellungnahme zu den innerdeutschen Verhaeltnissen wandte sich Dr. Schumacher vor allem gegen die Kommunisten, deren Ostsozialismus er als totalitaeren Staatskapitalismus bezeichnete.
Dr. Schumacher befasste sich dann mit der Stellung Deutschlands in der Welt und erklaerte: "Uns waere viel lieber, wenn unsere Rolle in der Welt weniger wichtig waere." Anschliessend sagte er, dass nicht nur das europaeische Gleichgewicht, sondern das Gleichgewicht der Welt auf dem Spiel stehe. Es stehe bei den Sowjets, einzusehen, dass Europa demokratisch sein muesse, wenn es Europa bleiben solle, und es stehe bei den USA, einzusehen, dass Europa sozialistisch sein muesse. Bei den Deutschen aber stehe es, die Herzen zusammenzuhalten und in allem Jammer die Linie zu halten.
Im weiteren Verlauf seiner Rede verlieh Dr. Schumacher der Hoffnung Ausdruck, dass die versprochenen Lebensmittel- und Rohstoffimporte verwirklicht werden wuerden, da Deutschland sich andernfalls nicht mehr auf den Beinen halten koenne. Die SPD setzte sich fuer die Mobilisierung aller Kraefte in Deutschland ein. Sie wolle die Vernunft der Welt, nicht ihr Mitleid.
Ein Kommuniqué zur Wirtschaftslage. In einem Kommuniqué, das auf der Parteikonferenz veroeffentlicht wurde, wird vor den Folgen einer Verschlechterung der deutschen Wirtschaftslage durch die anhaltenden Versorgungsschwierigkeiten und die Schwaechung der deutschen Produktionskraft gewarnt. In der Verlautbarung werden fuer das deutsche Volk noch groessere Verluste als bisher im kommenden Winter vorausgesagt, falls sich die Versorgungslage nicht bessern sollte. Neben der Ernaehrung sei die Versorgung mit Hausbrandkohle das vordringlichste Problem. Das Kommuniqué fordert dann, dass die deutschen Rohstoffe, insbesondere Kohle und Holz, in hoeherem Masse als bisher im eigenen Land veredelt werden muessten. Abschliessend wird betont, dass die Verantwortung fuer eine Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft und fuer ihre Eingliederung in die Weltwirtschaft bei den Besatzungsmaechten liege.
Deutschlands nationale Einheit noch ohne Fundament
"Der von der SPD bejahten Idee einer nationalen Repräsentation des gesamten deutschen Volkes durch die politischen Parteien stehen zur Zeit noch unüberwindliche Hindernisse entgegen. Der erstrebten nationalen Einheit Deutschlands fehlt das Fundament, denn die wirtschaft[liche] Einheit ist auf der Moskauer Konferenz von seiten einer grossen Siegermacht an die Bedingung geknüpft worden, dass Reparationen aus der laufenden Produktion geleistet werden. Dieselbe Macht hat die Durchführung der Gesetze und Verordnungen einer evtl. kommenden deutschen Zentralregierung von der Zustimmung der militärischen Oberbefehlshaber der einzelnen Besatzungszonen abhängig machen wollen. Damit wird die deutsche Einheit durch die Taten derjenigen Kräfte verhindert, die mit Worten am lautesten für sie eintreten. Die nationale Einheit Deutschlands ist auch so lange nicht möglich, [wie] die staatsbürgerliche Gleichheit und Rechtssicherheit nicht in allen Zonen hergestellt ist. Die SPD wird in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschland unterdrückt und verfolgt. Damit tritt zur wirtschaftlichen Zerreissung die politische Ungleichheit. Die SPD erklärt, dass die realen Grundlagen einer deutschen Einheit geschaffen werden müssen. Sie weiss sich in ihrem Kampf gegen die Zerstörung der deutschen Wirtschafts- und die totalitären Machtansprüche der kommunistischen SEP eins mit den demokratischen und verantwortungsbewussten Kräften. Sie handelt in der Erkenntnis, damit dem deutschen Volke und dem Weltfrieden zu dienen."
(Erklärung des Vorstandes der SPD über den Verlauf von Verhandlungen mit Vertretern der CDU und CSU, an denen als SPD-Vertreter Dr. Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer und Fritz Heine teilgenommen hatten)[3]
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Die neun Entschliessungen der Münchener Ministerpräsidenten-Konferenz
vom 7. und 8. Juni haben im wesentlichen nachstehende Probleme zum Gegenstand:
1. Entschliessung zur Kohlenfrage.
Um die fuer die deutsche Gesamtwirtschaft unerlaessliche Steigerung der Kohlenfoerderung herbeizufuehren, sollen alle Kraefte eingesetzt werden, damit eine ausreichende Nahrungsmittelversorgung der Bergleute und eine volle Belieferung des Punktsystems erfolgen kann. Es sollen zudem leistungsfaehige junge Arbeitskraefte fuer den Bergbau gewonnen werden. Die Kohlenausfuhr muss in den Grenzen gehalten werden, die den deutschen Lebensinteressen Rechnung tragen. Der deutschen Bevoelkerung muss im kommenden Winter ein Mindestmass an Kohle fuer die Hausbrandversorgung gewaehrleistet werden.
2. Regelung des Besatzungsrechts.
Es liegt im dringenden Interesse des demokratischen Rechtsgedankens, das Verhaeltnis zu den Besatzungsmaechten niederzulegen, wie sie sich auf Grund der Haager Landkriegsordnung und den Gesetzen der Menschlichkeit ergeben.
3. Das Ernaehrungsproblem.
Die Ernaehrungskrise in Deutschland hat ein Ausmass erreicht, das Leben und Wirtschaft an den Rand der Aufloesung gebracht hat. Zur Behebung der Hungerkrise ist vor allem eine Steigerung der einheimischen Erzeugnisse notwendig. Ferner muss durchgefuehrt werden: einwandfreie Erfassung und Verteilung der Nahrungsmittel, Heranziehung der Ueberschuesse aller deutscher Laender fuer einen einheitlichen Versorgungsstand, Ersuchen um weitere ausreichende Einfuhren, insb. an Getreide und Fett, so dass Reserven fuer zwei Monate geschaffen werden koennen und eine Fettration ausgegeben werden kann, die eine ausreichende Leistungskraft der Bevoelkerung sichert. Ferner wird erbeten: Moeglichkeiten fuer den deutschen Fischfang, verbesserte Ernaehrung fuer die Bergleute, die Arbeiter der Schwerindustrie, insbes. an Rhein und Ruhr sowie in Hamburg und Berlin, beschleunigte Durchfuehrung der Bodenreform. Die vorstehenden Forderungen sollen nicht erhoben werden, ohne mit Dank der grossen Hilfe zu gedenken, die das deutsche Volk von staatlichen und privaten Organisationen und von vielen Einzelpersoenlichkeiten des Auslandes erfahren hat und taeglich noch erfaehrt.
4. Behebung der Wirtschaftsnot.
Vorschlag an die Besatzungsmaechte: Revision des Industrieplanes unter staendiger Hinzuziehung von deutschen Sachverstaendigen, Uebertragung aller Verantwortung im Interzonenhandel auf deutsche Verwaltungsstellen, Wiederherstellung der Freizuegigkeit zwischen den Zonen (Beseitigung aller Hindernisse im Verkehr von Personen und Nachrichten), Unterstuetzung der Sofortplaene auf Foerderung der Transportmittelindustrie, Foerderung des Aussenhandels, Freigabe regelmaessiger Veroeffentlichungen ueber die Zahlenstatistik der Erzeugung der Vorraete und des Verbrauchs landwirtschaftlicher und gewerblicher Erzeugnisse, Errichtung eines statistischen Zentralbueros fuer alle vier Zonen und Berlin zwecks sofortiger Sammlung und Vorbereitung der Planungsunterlagen fuer die gesamtdeutsche wirtschaftliche Lenkung nach Wiederherstellung der Wirtschaftseinheit.
5. Grundsaetzliche Wirtschaftsfragen.
Die Besatzungsmaechte werden ersucht, folgende Voraussetzungen zur Wiedergesundung der deutschen Wirtschaft zu schaffen: Verwirklichung der Wirtschaftseinheit, ausreichende Anlaufkredite fuer die Einfuhr von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Produktionsmitteln, Zulassung zu den Weltmaerkten unter weitgehender Eigenverantwortung, Regelung der Geld- und Waehrungsfrage, Revision unsozial wirkender Steuergesetze, Belassung der fuer den friedlichen Aufbau geeigneten Industrieanlagen und der Eigenproduktion in einem fuer das Existenzminimum erforderlichen Unfang. Die Regierungschefs empfehlen bis zur Herstellung der deutschen Wirtschaftseinheit die Bildung eines Laenderausschusses aus allen deutschen Gebieten zur staendigen Unterrichtung und Beratung des Alliierten Kontrollrats.
6. Die politische Befreiung.
Die Denazifizierung ist eine Selbstreinigung des deutschen Volkes. Sie muss in allen Zonen so vorgenommen werden, dass Unterschiede zwischen den Zonen unmoeglich sind. Die Saeuberung muss rasch durchgefuehrt werden. Schnelle Aufklaerung der Mitlaeuferfaelle und restlose Erledigung ihres Verfahrens.
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7. Aufruf an die deutsche Emigration.
Es erfolgt ein herzlicher Ruf an alle Deutschen, die durch den Nationalsozialismus vertrieben wurden, in ihre Heimat zurueckzukehren. Es stehen ihnen zwar in der Heimat grosse Schwierigkeiten entgegen, es soll aber alles getan werden, um gerade ihnen ein neues Heim zu schaffen. Sie sind besonders berufen, Mittler zwischen uns und der Welt zu sein. Ein wirklicher Neubeginn unseres Lebens kann nur unter Mithilfe aller derer erfolgen, die noch ausserhalb der deutschen Grenze weilen. Sie moegen kommen und mit uns ein besseres Deutschland aufbauen.
8. Die Finanzpolitik.
Neugestaltung der Steuergesetzgebung unter Herabsetzung der seit Anfang 1946 geltenden ueberhohen Steuersaetze. Es soll dem Arbeiter und Unternehmer der Anreiz zu hoechster wirtschaftlicher Leistung gegeben werden. Die erhoehte Produktionsleistung wird die Minderbetraege an Steuereinkuenften wieder ausgleichen.
9. Die Kriegsgefangenenfrage.
Es befinden sich noch immer zweieinviertel Millionen deutscher Frauen und Maenner in Gefangenschaft. Es ist schwer, nach dem, was unter Hitler geschehen ist, an das Weltgewissen zu appellieren. Trotzdem wird um Wiederherstellung des Rechts und der Gebote der Menschlichkeit gebeten.
Anschliessend an die Verlesung der Entschliessungen formulierten die Regierungschefs eine Erklaerung, in der es heisst: "Die in Muenchen versammelten Chefs der deutschen Laenderregierungen koennen ihre Beratungen zur Steuerung der unmittelbaren Not des deutschen Volkes im kommenden Winter nicht schliessen, ohne vor der ganzen Welt das grosse Ziel der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands aufzustellen und den Willen zu friedlicher Zusammenarbeit mit allen Kraeften ausdruecklich zu bekunden. Der Neuaufbau unseres staatlichen Lebens kann aber nur auf dem Wege echter Demokratie verwirklicht werden, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewaehrleistet sind. Nur wenn sich die Massnahmen des Staats ausschl[iesslich] auf den in freien Wahlen festgestellten Willen des Volkes berufen koennen, besteht Aussicht, das hohe Ziel der friedlichen Voelkergemeinschaft, der Freiheit von Furcht und des wahren sozialen Fortschritts zu erreichen."
Internationale Sozialistentagung in Zuerich vom 6. bis 8. Juni 1947
Die Konferenz war von 19 stimmberechtigten Laendern besucht und hatte auf ihrer umfangreichen Tagesordnung auch die Bildung verschiedener Kommissionen. Bis zur naechsten Sitzung am Jahresende in Bruessel werden verschiedene Ausschuesse arbeiten. Die franzoesischen Sozialisten werden den Ausschuss leiten, der die Bedingungen zur Neubildung der Internationale prueft. Die belgischen Sozialisten leiten das Komitee, das den Kontakt mit den deutschen Sozialdemokraten halten soll. Durch einen anderen Ausschuss soll die Einigung der beiden italienischen Gruppen der Sozialisten herbeizufuehren versucht werden, und in Bulgarien soll untersucht werden, ob die sozialistische Gruppe, die an der Regierung teilnimmt, oder die in der Opposition stehende Gruppe aufgenommen werden soll. Der Internationale Bund juedischer Arbeiter[4] wurde als Beobachter aufgenommen.
Im Verlaufe der Sitzung nahm auch der Vorsitzende der SPD, Dr. Schumacher, das Wort und setzte sich fuer die Teilnahme der SPD an der internationalen Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien ein. Schumacher sprach sich entschieden gegen eine Verbindung mit der KPD aus und unterstrich den Widerstandsgeist innerhalb der SPD durch die grosse Zahl von Sozialdemokraten, die von den Nazis in die Konzentrationslager geworfen wurden. Ueber die Frage der sofortigen Zulassung der SPD zur Internationale gab es eine lebhafte, mehrstuendige Debatte. Die sozialistischen Parteien der unter Sowjeteinfluss stehenden Laender drohten, die Konferenz zu verlassen, falls die SPD zugelassen wuerde. In der Abstimmung ueber die Frage der sofortigen Aufnahme der SPD stimmten folgende 9 Laender dafuer: Grossbritannien, Frankreich, Holland, Daenemark, Norwegen, Schweden, Oesterreich, Finnland und Luxemburg. Dagegen stimmten: Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumaenien und Palaestina. Stimmenthaltung uebten: Belgien, Schweiz, Italien, Suedafrika und Griechenland. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit zur sofortigen bedingungslosen Aufnahme war also nicht erreicht. Es wurde jedoch mit 17 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) die Bildung eines neungliedrigen Verbindungsausschusses zur SPD beschlossen, der bereits nach der Konferenz erstmalig zusammentrat. In einem Kommentar de[r] Londoner BBC wurde u. a. bemerkt, die SPD brauche mit dem Ergebnis nicht unzufrieden zu sein. Es zeige sich, wie schwer der Weg zurueck in die demokratische Voelkergemeinschaft sei und dass das Problem Deutschland das Problem eines einigen Europa sei.
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Unter diesem Titel berichtet die Londoner "TRIBUNE" ueber die Konferenz in Zuerich. Wir entnehmen diesem Artikel die folgenden Stellen: "Sozialisten aus 19 Laendern ... waren einig in ihrem Wunsch nach engerer internationaler Verbindung. Sie glauben, dass die Zeit fuer eine Wiedererrichtung der Sozialistischen Internationale gekommen ist ... Doch ausser an einer Resolution fuer politische Amnestie und die Wiederherstellung des inneren Friedens in Griechenland, die einstimmig angenommen wurde, gab es nichts, [in] dem die Delegierten uebereinstimmten. Alle anderen wichtigen Probleme vor der Konferenz wurden entweder mit sehr knappen Mehrheiten oder noch oefter ueberhaupt nicht entschieden.
Die Konferenz beschaeftigte sich in der Hauptsache mit der Frage der Aufnahme bisher nicht vertretener Parteien, naemlich damit, ob solche Parteien als vollgueltige Mitglieder, als Beobachter, oder ueberhaupt nicht zugelassen werden sollten. Die erste wichtige Entscheidung betraf die spanische Bewegung, eine weitere betraf die italienische.
... Bei keiner Gelegenheit zeigten sich die paralysierenden Auswirkungen der Konflikte staerker als in der Diskussion ueber Deutschland. Schumachers Rede und seine Antworten auf die ihm gestellten Fragen beeindruckten die Mehrheit der Delegierten als die Aeusserungen eines internationalen Sozialisten und Vertreters einer bemerkenswert lebendigen starken sozialistischen Bewegung. Die Frage des Norwegers Haakon Lie 'Was wird die Auswirkung auf Deutschlands demokratische Entwicklung sein, wenn die Nachricht kommt, dass die internationale sozialistische Bewegung die einzige wirkliche demokratische Kraft in Deutschland zurueckgewiesen hat?' erfasste den Kern des Problems. Die franzoesischen Sozialisten erklaerten sich bedingungslos fuer die Zulassung der Deutschen mit einer tapferen Rede von Salomon Grumbach, dem Vertreter der elsaessischen Sozialisten, der in seinem langen Leben allen Formen des deutschen Imperialismus mutig entgegengetreten ist. Sogar der polnische Vertreter, Hochfeld, erklaerte seinen persoenlichen Respekt fuer Schumacher und grenzte sich deutlich von den kommunistischen Verleumdungen ab. Trotzdem wandte er, wie alle anderen osteuropaeischen und der palaestinensische Delegierte, sich gegen die Aufnahme der Deutschen. Das bedeutete fuenf Stimmen gegen die Aufnahme und brachte die Stimmenthaltung der Schweizer Partei, die versuchte, "neutral" zwischen ost- und westeuropaeischen Sozialisten zu stehen, und Sued-Afrikas und Griechenlands. Die beiden letzteren Parteien wohnten das erste Mal der Konferenz bei und fuehlten sich zu ungenuegend informiert, um Stellung nehmen zu koennen.
Die belgische Delegation, deren Mitglieder persoenlich fuer die Aufnahme waren, hatten das Mandat bekommen, sich der Stimme zu enthalten, da innerhalb der belgischen Partei die Frage noch nicht diskutiert worden war. Es gab infolgedessen fuenf Stimmen gegen die Aufnahme, die mit den vier Enthaltungen die Balance gegen die neun Ja-Stimmen (Gross-Britannien, Frankreich, Holland, Luxemburg, Oesterreich, die skandinavischen Laender einschliesslich Finnlands) hielten. Die Entscheidung hing an der Stimme der italienischen Partei. Nenni hatte erklaert, dass er fuer die Aufnahme stimmen wuerde, musste aber die Konferenz vor der Abstimmung verlassen und liess die italienische Delegation unter der Fuehrung seines Parteisekretaers Basso. Basso[5], dessen politische Haltung sich wenig von der der Kommunisten unterscheidet, enthielt sich der Stimme. Das entschied die Frage. - Manches von dem Schaden, der hiermit der Sache des internationalen Sozialismus in Deutschland zugefuegt wurde, kann noch von der Kontaktkommission gutgemacht werden, die nach der Abstimmung von der Konferenz eingesetzt wurde, um der deutschen Bewegung zu helfen und an die naechste Konferenz zu berichten. Dies mag den Fuehrern der deutschen sozialistischen Bewegung helfen, ihre Anhaenger davon zu ueberzeugen, dass die Nichtaufnahme nicht die endgueltige Zurueckweisung [durch] die internationale Bewegung bedeutet, und mag verhindern, dass die Enttaeuschung zusammen mit der materiellen Verzweiflung einen neuen Nationalismus herbeibringt."
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Die Konferenz in Zuerich beschloss u. a., ihre Bemuehungen zwischen den beiden in bitterem Kampf verwickelten Gruppen der spanischen Sozialisten um Vermittlung weiter fortzusetzen. Im Gegensatz hierzu beschloss sie, im Falle Italien die mit den Kommunisten zusammenarbeitende Partei Nennis als Mitglied aufzunehmen. - In Zuerich teilte Morgan Phillips mit, die Labour Party werde zum Parteitag der SPD in Nuernberg einen Vertreter entsenden. Dies ist Alderman Joseph Reeves[6], M.P. (Greenwich). Matteo Matteotti[7] hat bekannt gegeben, dass seine Partei die Genossen Mario Zagari[8], Alberto Simonini[9], Bianca Pittoni[10] und Carlo De Gregorio[11] zum Parteitag der SPD nach Nuernberg entsenden will.
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Veranstaltungen deutscher Sozialdemokraten in London
Die Maifeier der Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten in Grossbritannien, die am Sonntag, den 4. Mai, in der Londoner Denison Hall stattfand, wurde gemeinsam mit der 'Treugemeinschaft' der sudetendeutschen Genossen veranstaltet und erhielt ihre besondere Note durch die Teilnahme zahlreicher Gaeste aus deutschen Kriegsgefangenenlagern in und um London; auch Teilnehmer des Kurses in Wilton Park, die kurz zuvor aus Deutschland eingetroffen waren, erschienen. Nach einer herzlichen Begruessungsansprache Wilhelm Sanders spielte das Orchester des Kriegsgefangenenlagers No. 32 einen Satz aus der 2. Symphonie von Haydn, und dann sprachen der englische Genosse E. A. Bramall, Mitglied des Unterhauses, der sudetendeutsche Genosse Wenzel Jaksch, Vorsitzender der 'Treugemeinschaft', und der aus Deutschland gekommene Genosse Hermann Jaeckel, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Berliner Siemens-Werke. Gen. Bramall betonte in seiner deutschen Ansprache die internationale Bedeutung der Maifeier, das internationale Ideal des Sozialismus und seinen Wunsch, die deutsche Frage im internationalen Geist geloest zu sehen; Wenzel Jaksch sprach unter dem Eindruck eigener Erlebnisse von dem ermutigenden Beispiel, das die deutschen Genossen in schwerster Zeit durch ihren erfolgreichen Wahlkampf gegeben haben, und Hermann Jaeckel ueberbrachte der Versammlung die Gruesse der Berliner Sozialdemokraten. Alle Redner fanden staerksten Beifall. Nach abschliessenden Worten des sudetendeutschen Genossen De Witte stimmten die Versammelten gemeinsam die Internationale an. An den offiziellen Teil der Feier schloss sich ein geselliges Beisammensein, zu dessen musikalischer Ausgestaltung die Gaeste aus den Kriegsgefangenenlagern durch Tanzmusik, Chor- und Sologesaenge aufs eifrigste beitrugen.
Berichte aus Deutschland erstatteten auf einer Londoner Funktionaersversammlung der Vereinigung deutscher Sozialdemokraten und der Arbeiterwohlfahrt zwei zu einem Kursus in Wilton Park nach England gekommene deutsche Genossen: der Redakteur des "Hamburger Echo", Wagner[12], und der Betriebsratsvorsitzende der Berliner AEG, Boese[13]. Genosse Wagner gab eine aufschlussreiche Schilderung der politischen und wirtschaftlichen Situation in der Britischen Besatzungszone, waehrend Genosse Boese anschaulich von den Sorgen, Kaempfen und Hoffnungen der Berliner Sozialisten und Gewerkschafter berichtete.
Muenchen und Margate. In einer Funktionaerssitzung der Vereinigung Deutscher Sozialdemokraten und der Arbeiterwohlfahrt, die am 5. Juni in London stattfand, berichtete der zu Besuch in England befindliche sudetendeutsche Genosse Richard Reitzner, der in Muenchen den Posten des stellvertretenden Staatssekretaers fuer das Fluechtlingswesen in Bayern innehat, ueber die politische Lage in Bayern und ueber die Probleme auf seinem eigenen Taetigkeitsfeld. Aus dem Kreise der Sitzungsteilnehmer wurden zahlreiche Fragen ueber innerparteiliche, politische, rechtliche und kulturelle Verhaeltnisse in Bayern und Sueddeutschland gestellt, die eingehend beantwortet wurden. Die Ausfuehrungen Reitzners stellten eine wertvolle Ergaenzung zu den Berichten ueber die Britische Zone und Berlin dar, die in letzter Zeit im gleichen Kreise erstattet worden waren.
In der gleichen Sitzung berichtete Dr. Ernst Meyer ueber die Parteikonferenz der Labour Party in Margate. Eine rege Aussprache folgte dem Bericht. An der Sitzung nehmen Genossen aus Deutschland, die kurz vor ihrer Rueckreise von Wilton Park standen, teil.
Zwischen Hamburg und Zuerich. Ueber ihre Reiseeindruecke waehrend ihrer vierwoech[igen] Studienfahrten in den drei Westzonen werden am 20. Juni, abends 7.30 Uhr im Vortragssaal, Broadhurst Gardens, London NW 6, die Genossen Gerhard Luetkens und Erich Hirsch[14] berichten, waehrend Genosse Richard Loewenthal von seinen Eindruecken in Zuerich waehrend der internationalen Sozialistentagung erzaehlen wird.
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[Briefe an die Londoner Vertretung der SPD]
"Ein schoenes Zeichen der Verbundenheit" sind die Aktivitaeten der deutschen Sozialdemokraten in zahlreichen Briefen genannt worden. Aus zwei der in letzter Zeit eingegangenen Briefe moechten wir die folgenden Stellen unseren Lesern zur Kenntnis bringen: "Dear Comrade, permit me to tell you what a pleasure it was for me to attend the May Day Celebration yesterday. I have made some new friends as well as meeting old ones. I hope that I can be of assistance in showing something of British Local Government to the young men from Brondesbury Camp, and also that useful contacts can be established. I wish that members of the Labour Party could be more active in showing sympathy and help to German Democracy in its heavy task. However I will do what I can in my sphere ..."
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"... Ich weiss nicht, ob sich unter den Kriegsgefangenen, die von Euch zur Maifeier eingeladen waren und daran teilnahmen, jemand gefunden hat, der Euch seinen Dank ausgesprochen hat. Immerhin fuehle ich mich bewogen, das fuer meine Person zu tun, und es entspringt bestimmt nicht dem Gefuehl einer konventionellen Verpflichtung, sondern ich danke Euch aus ganzem Herzen fuer die Stunden der Freude und der Abwechslung in unserem verhaeltnismaessig einfoermigen und freudearmen Kriegsgefangenendasein. Gewiss ist es uns seit der Lockerung der Fraternisierungsbestimmungen moeglich, Verbindungen aufzunehmen mit weiteren Kreisen der englischen Oeffentlichkeit. Aber dieser Nachmittag bedeutete noch etwas anderes fuer uns: Man hat sich wieder einmal zu Hause fuehlen duerfen in einer grossen Gemeinschaft von Deutschen, mit denen wir gleichen Sinnes sind. Es erschien mir als ein schoenes Zeichen der Verbundenheit zwischen den Deutschen in England und den im Lande befindlichen Kriegsgefangenen, gerade den 1. Mai gemeinsam zu feiern. Vielleicht ahnt so mancher unserer Freunde gar nicht, was es fuer manchen von uns, der schon jahrelang hinter Stacheldraht sitzen muss und auf die Rueckkehr zu seinen Lieben wartet, bedeutet, einmal wieder nur mit Deutschen zusammen zu sein und sich heimisch fuehlen zu duerfen? Es ist so schoen, einmal fuer kurze Zeit unter Freunden zu sein und alles draussen lassen zu duerfen, was an Kriegsgefangenschaft, Stacheldraht und alle damit verbundenen kleinen Sorgen und Noete erinnert.
Das war es, was ich anlaesslich unserer gemeinsamen Maifeier so dankbar empfunden habe, und dafuer moechte ich Euch meinen Dank aussprechen. Sicher haben viele unter uns den gleichen Gedanken gehabt, doch ich bin weder beauftragt noch habe ich die Absicht, mich zum Sprecher aller zu machen. Und so bitte ich Euch nur, meinen ganz persoenlichen Dank entgegenzunehmen, zusammen mit der Versicherung, dass ich mich sehr freuen wuerde, wenn die so angeknuepfte Verbindung weiter unterhalten und ausgebaut werden koennte.
Euer Heinz ..."
Deutsche Kriegsgefangene an deutsche Sozialdemokraten
Zu den politischen Aktivitaeten deutscher Sozialdemokraten in Grossbritannien gehoeren bereits seit Monaten die Sendung von Schulungsmaterial und die Unterhaltung einer intensiven Korrespondenz mit deutschen Kriegsgefangenen in England und Aegypten. Aus unserer Briefmappe geben wir unseren Lesern zwei Briefauszuege der letzten Tage zur Kenntnis:
"Aegypten, 20.4.47 ... Zwei Jahre nach Kriegsschluss sind immer noch fast 90.000 deutsche Kriegsgefangene hier im Mittleren Osten, wovon der groesste Teil zur Arbeit eingesetzt ist. Obwohl wir uns darueber klar sind, dass hoehere weltpolitische Interessen der Gerechtigkeit, Vernunft und Humanitaet vorgehen, bedrueckt uns diese jahrelange Trennung von Heimat und Angehoerigen doch sehr, denn wir wissen beide in groesster Bedraengnis und in einer Situation, die uns mit banger Sorge und kaum zu baendigender Unrast erfuellt. Gerade unsere Lage, die uns eine gewisse Selbstbetrachtung und -kritik sowie einen Logenplatz in der Weltbuehne der Politik und Wirtschaft gewaehrleistet, ist es, die uns fast taeglich anhaelt, das Warum und Wieso unserer derzeitigen Situation zu ueberlegen. Wir, ich mache mich hiermit zum Sprecher der sog. jungen Generation, die wir als Juenglinge Hitler vorbehaltlos und rueckhaltlos gefolgt sind, die wir seine Lehren wie Muttermilch eingesogen haben, um wehrfaehig unter seiner Fahne durch ganz Europa, Randasien und -Afrika zu landsknechten, haben jetzt endlich die wohltuende Ruhe und den schuetzenden Abstand von einer giftigen Parteipolemik, um uns in Ruhe selbst zu besinnen und uns ein neues Weltbild aufzubauen sowie uns eine politische Basis von Erkenntnissen und Wissen zu schaffen, das uns jetzt schon befaehigt, vieles besser zu sehen als unsere hungernden und kurzsichtigen, in taeglichen Kleinkram verwickelten Genossen in der Heimat. Die Hoffnung vieler Deutscher, dass die heimkehrenden Kriegsgefangenen ein wertvoller, ja notwendiger Bestand des deutschen politischen Neubaues sein werden, soll nicht umsonst sein. Verstossen Sie uns nicht, weil wir 25-35 Jaehrigen einst Hitler fanatisch folgten, und glauben Sie nicht jenen Schwarzsehern, die in uns die Stuetzen des Widerstandes sehen; eine Jugend laesst sich nur einmal verraten, zertruemmerte Ideale flickt sie nicht und entthronte Goetter haben fuer sie keinen Nimbus mehr. Stehen Sie uns bei und helfen Sie uns, unser politisches Fundament zu stabilisieren. Warum ich Ihnen schreibe? Weil ich hoffe, dass Sie uns mit Literatur und Zeitungen versorgen koennen, in denen wir mehr ueber den sozialistischen Gedanken erfahren koennen. Aus Deutschland ist aus den bekannten materiellen Schwierigkeiten so gut wie nichts zu bekommen. Vielleicht ist es Ihnen auch moeglich, unsere Anschrift an Genossen weiterzuleiten, damit sie mit Angehoerigen unseres sozialistischen Arbeitskreises eine fruchtbringende Diskussion aufnehmen koennen. Ich waere als deren Leiter sehr dankbar und bitte Sie, fuer meinen Brief Verstaendnis zu haben. In Erwartung einer Antwort gruesse ich Sie!
Horst ... stud.jur...."
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"... Vielen herzlichen Dank fuer Ihren Brief und die nachgesandten Broschueren. Aus Ihren Ausfuehrungen entnehme ich, dass Sie an dem Schicksal unserer Heimat stark und ernsthaft interessiert sind und gern die Diskussion darueber mit einem deutschen Kriegsgefangenen in diesem Lande aufnehmen wollen.
Doch zuvor noch etwas Persoenliches. Ich bin nahezu 40 Jahre alt, habe 1928 mein Abitur an einem reaktionaeren Gymnasium in Schlesien abgelegt und anschliessend an den Universitaeten Breslau und Berlin bis zu meinem Referendarexamen im Januar 1932 studiert. Ich war schon damals ein ueberzeugter Demokrat, habe mich von allen Wehrorganisationen der damaligen Zeit und auch spaeter freigehalten und mit grossem Bedauern den Niedergang der Weimarer Republik erlebt. Irgendwelche Bindungen zur NSDAP oder einer Gliederung bin ich nicht eingegangen. Ich war lediglich Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes und der NS-Volkswohlfahrt, was nach meiner Stellung unter den obwaltenden Umstaenden nicht zu umgehen war. Ueber die Schwierigkeiten, die ich waehrend meiner Referendar- und Assessorenzeit gehabt habe, will ich Ihnen im einzelnen nicht berichten. Erwaehnen muss ich nur, dass man 1938 meine planmaessige Anstellung als Amtsgerichtsrat wegen nicht genuegender NS-Betaetigung abgelehnt hat und dass ich erst 1940, als ich bereits zum Wehrdienst eingezogen war, angestellt worden bin ...
Wir POWs, nicht nur die[, die] noch in diesem Lande sind, sondern auch die bereits repatriierten, sind der Ansicht, dass das Repatriierungsschema nicht gerechtfertigt ist. Was fuer Fehlentscheidungen bei dem political screening vorgekommen sind, werden Sie kaum fuer moeglich halten. Pgs sind als white eingestuft und bereits entlassen, waehrend politisch voellig Unbescholtene black oder grey eingestuft werden und nach dem Stande der Repatriierung noch lange auf den Heimtransport warten muessen. Eine soziale und humane Repatriierung waere m. E. nur dann gegeben, wenn Alter, Familienstand und Familienverhaeltnisse in erster Linie ausschlaggebend sein wuerden und dazu noch die Dauer der Gefangenschaft beruecksichtigt wuerde. Wie kann man in wenigen Minuten die politische Einstellung, d.h. die wahre, erforschen. Nur allzu oft muessten wir sagen: "Hier irrt der Screener!" Ich selbst kaempfe noch um meine Anerkennung als white und hoffe, durch die demnaechst erwartete Aufstufung eine Beschleunigung meiner Repatriierung herbeizufuehren. Denn, abgesehen von der Sorge um meine aus der Heimat im Osten vertriebene Familie, glaube ich, dass ich nach meiner politischen Einstellung und meinem Verhalten waehrend der Zeit des NS-Regimes fuer einen Platz in der Justiz oder Verwaltung berufen bin. Mein Bruder, der seit 24 Jahren als Zivilist in [den] USA lebt, moechte mich zwar nach dort haben, aber ich bin nicht gewillt, auszusteigen ... Fuer den Lesestoff nochmals herzlichen Dank. Ihr Walter."
Ueber einen Zwischenfall in Hamburg
bei einer der Arbeitsgemeinschaften (und nicht, wie der Nordwestdeutsche Rundfunk berichtete, beim Journalistenkongress selbst) berichtet das "HAMBURGER ECHO" folgendes: "Dr. Kurt Hiller, der über die deutsche Emigration in England sprechen sollte, beschränkte sich dabei auf die Darstellung der Haltung einer ihm befreundeten sozialistischen Emigrantengruppe und übte in einzelnen Punkten scharfe Kritik am dogmatischen Radikalmarxismus. Gegen diese Kritik wandte sich Heinz Schmidt, der Hauptschriftleiter des im Russischen Sektor Berlins arbeitenden Senders. Schmidt, der selber nach England emigriert war, bezeichnete Hillers Kritik am Marxismus als 'unsauber'. Auf diese Aeusserung hin erklärte Hiller in seinem Schlusswort: Kommunistische Emigranten in London seien es gewesen, die die Flucht von nichtkommunistischen Antinazis aus der Tschechoslowakei nach London erschwert hätten und es so verschuldeten, dass einige von ihnen der Gestapo in die Hände gefallen seien. Nach Kriegsausbruch hätten kommunistische deutsche Emigranten in London ferner etwa 70 nichtkommunistische Antinazis bei Scotland Yard als Hitleragenten denunziert. In den Tagen der Invasionsgefahr für England hätte für diese Antinazis die akute Gefahr bestanden, dass man sie nach der kommunistischen Denunziation als Angehörige der Fünften Kolonne hingerichtet hätte. Das Verhalten dieser kommunistischen Emigranten (Hiller unterschied daneben die Mexiko- und Moskaugruppe, die er ausdrücklich von seinen Angriffen ausnahm) bezeichnete der Redner als 'verbrecherisch', die Denunziation als 'Mordversuch'. Nach Schluss der offiziellen Verhandlungen sprachen Schmidt und zwei andere Vertreter der Sowjetzone erregt auf Hiller ein. Dann verliessen die drei den Raum, berieten kurze Zeit ausserhalb des Verhandlungszimmers, worauf Schmidt zurückkehrte und Hiller eine Ohrfeige versetzte. Abends erklärte Schmidt schriftlich, dass er sich wegen seines Verhaltens entschuldige."
Die nächste Nummer der "SM" wird über den Parteitag der SPD berichten.