[Beilage 1 zu SM, Nr. 88/89, 1946]

Arbeiterwohlfahrt Gross-Britannien
33, Fernside Avenue
London N.W.7.



Juli, 1946

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Seitdem wir unseren letzten Arbeitsbericht gaben, ist es uns gelungen, weitere Paketsendungen an AW Gruppen in Deutschland zu schicken. Ausserdem hatten wir die Moeglichkeit, Vitamintabletten und andere Medikamente nach Deutschland zu schicken. Wir haben nun auch die Verbindung mit dem Hauptausschuss fuer Arbeiterwohlfahrt in Hannover aufgenommen und hoffen, dass in Zukunft unsere Zusammenarbeit sich immer enger gestalten wird, so dass wir - soweit es in unseren Kraeften steht - dort helfen koennen, wo Hilfe am allernotwendigsten ist. Alle Berichte aus Deutschland bestaetigen, dass die materielle Not immer noch im Anwachsen ist, dass es ausser an Lebensmitteln an allen lebensnotwendigen Dingen des taeglichen Lebens fehlt. Aus diesem Grund bitten wir alle unsere Mitarbeiter und Freunde, noch mehr [als] bisher sich an unseren Sammelaktionen zu beteiligen. Wir brauchen nicht nur Kleidungsstuecke, Schuhe usw., sondern auch Naeh- und Stopfgarn, Flickmaterial, Lederflecke fuer Schuhreparaturen. Unsere Kleidersammelstelle ist wie bisher bei Herta Gottfurcht, 20, East Heath Road, London N.W.3.

In den letzten Wochen sind unsere Unkosten fuer Porto, Reparaturmaterialien, Medikamente usw. sehr angewachsen, und Geldspenden sind mehr denn je notwendig fuer unsere Arbeit. Jenny Fliess, 33, Green Lane, London N.W.4, hat im Auftrag der AW eine Sammelaktion unter den nicht politischen deutschen Emigranten eingeleitet, die bereits gute Erfolge gehabt hat. Weitere Adressen von Deutschen in England, an die ein solcher Appell geschickt werden soll, bitten wir an Jenny Fliess zu schicken, an deren Adresse auch Schecks für die AW gesandt werden koennen.

Unsere Freunde in Amerika sind sehr rege mit den Sammelaktionen fuer Sendungen an die Arbeiterwohlfahrt in Deutschland, die ueber die Cralog geleitet werden. Es bestehen auch schon gute direkte Beziehungen mit einer Anzahl von AW Ortsgruppen in Deutschland selbst. An den Sammlungen fuer die AW beteiligt sich eine Reihe von amerikanischen Arbeiterhilfsorganisationen (Workmen's Benefit Fund, Worker's Sport League u.a.). Auch einige der AFofL angeschlossenen Gruppen haben angefangen, sich an diesen Sammlungen zu beteiligen, und unsere AW Freunde in Amerika hoffen, dass diese Hilfsaktion recht bald in einem grossen Rahmen unter den amerikanischen Gewerkschaftlern durchgefuehrt werden kann.

Seit Mitte Mai gibt es wieder einen Hauptausschuss fuer Arbeiterwohlfahrt. Vorsitzender ist Robert Goerlinger, Geschaeftsfuehrerin ist Genossin Lotte Lemke, die bereits vor 1933 dieses Amt innehatte. Die Adresse ist: Hannover, Friedrichstrasse 15. Die Genossin Lemke bittet alle Genossen, die im Ausland Hilfsaktionen fuer die AW in Deutschland in die Wege leiten und die aktiv fuer die AW im Ausland wirken wollen, sich direkt mit ihr in Verbindung zu setzen, so dass - soweit das moeglich ist - Hilfe jeweils dorthin geleitet werden kann, wo sie augenblicklich am dringendsten gebraucht wird. - Es bestehen in Deutschland in fast allen Bezirken wieder AW Ausschuesse, und eine Reihe groesserer und kleinerer Staedte hat bereits wieder ihre eigenen AW Ortsausschuesse. Wie geben nachstehend eine Liste der AW Bezirksadressen, soweit sie uns bisher bekannt sind:

1. Bezirk Braunschweig:

Hedwig Boockmann, Braunschweig,
Fallerslebertor 3-4, Allg.O.K.

2. Oestliches Westfalen:

Frieda Nadig,
Bielefeld, Arndtstr. 8, III

3. Hannover:

Hans Gissmann, Hannover
Friedrichstr. 2

6. Oberrhein:

Robert Goerlinger, Koeln-Suelz,
Grafenwerterstr. 8

7. Westliches Westfalen:

Minna Sattler, Dortmund,
Schliepstr. 3

8. Hamburg:

Max Engel, Hamburg 36,
Gr. Theaterstr. 44

9. Schleswig-Holstein:

Frau Voelker, Kiel,
Bergstr. 11

10. Niederrhein:

Ernst Gnoss, Duesseldorf,
Wallstr. 10

11. Bremen-Wasserkante:

Emil Schleiff, Bremen,
An der Weide 4

12. Hessen-Kassel:

Anna Zinke

13, Hessen-Frankfurt:

J. Bruentink, Gutleutstr. 75

14. Oberbayern:

Bleimeyer, Muenchen

15. Unterfranken:

Thomaszewski, Wuerzburg,
Huettenstr. 13

Ortsadressen der Arbeiterwohlfahrt:

Hamburg:

Peter Hass, Hamburg, Grosse Theaterstrasse 40

Kiel:

Frau Schmidt, Kiel, Kirchenweg 18

Lübeck:

Herrn Wolfradt, Lübeck, Gaertnerstrasse 44

Mannheim:

Fritz Ripp, Mannheim, Kronprinzenstr. 58

Koeln:

Hans Dohrenbusch, Koeln, Nonnenwerthstr. 23

Helmstedt:

Franz Baumgart, Helmstedt, Ostendorf 21

Herford:

Hermann Tielking, Herford, Arbeitsamt

Minden:

Willi Michel, Vinkestr. 9, Minden i. Westf.

Paderborn:

Karl Denker, Paderborn, Jahnplatz 8

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Waehrend des Parteitages in Hannover berichteten in einer Sonderbesprechung Vertreter der AW in den einzelnen Bezirken ueber ihre Arbeit. Trotz grosser Schwierigkeiten, die nicht nur materieller Art sind, sondern zuweilen auch dadurch entstehen, dass die Vertreter der Militaerbehoerden zwar damit vertraut sind, dass kirchliche Verbaende ihre Wohlfahrtsorganisationen haben, aber es nicht immer begreifen koennen, dass eine Wohlfahrtsorganisation getragen sein kann vom Willen einer politsch bewussten Arbeiterschaft, ist die Aktivitaet und Opferwilligkeit, mit der unsere Genossen an ihre ungeheuerlich schwere Arbeit gehen, bewunderungswuerdig. Obwohl die Not im allgemeinen unvorstellbar gross ist, so ist die Not der aus Ostdeutschland und dem Sudetenland vertriebenen Menschen und der zurueckgekehrten Kriegsgefangenen noch um einige Grade unertraeglicher. Lotte Lemke schreibt darueber: "In der Provinz Schleswig-Holstein ist das Fluechtlingselend ganz besonders gross; ich hatte Pfingsten ein kleines Fuersorgerinnentreffen in Luebeck und habe erschreckende Berichte ueber die Not der Fluechtlinge in Schleswig-Holstein erhalten ... es fehlt am Noetigsten, vor allen Dingen aber an Naehgarn, Stopfgarn, Naeh- und Stopfnadeln, an Stoff zum Flicken und selbstverständlich an jeder Art von Bekleidungsstuecken fuer Kinder, aber auch - und das ist ein ganz ernstes Problem - fuer zurueckgekommene Maenner. Du hast das ja alles selbst hier erlebt, aber in den letzten Wochen hat sich das Strassenbild noch wieder sehr veraendert; auf den Strassen, den Bahnhoefen und in den Lokalen sieht man in erschreckendem Umfang Maenner, die in Fetzen und Lumpen stecken ..."


In einem Bericht aus Duesseldorf heisst es: "Eine grosse Sorge bereiten uns die Ostfluechtlinge. Ein und ein halb Millionen sind auf dem Weg zu uns. Viele alte Freunde befinden sich unter ihnen, die alles zuruecklassen mussten, was ihnen jemals lieb und teuer gewesen ist. Viele von ihnen sind durch unverantwortliche Elemente unterwegs vollkommen ausgeraubt. Sie kommen nicht selten ohne Schuhe und in duennen Sommerkleidern bei uns an. Gross ist auch das Kinderelend. Ein besonders erschuetterndes Beispiel:


Mit einem Transport kamen 30 kleine Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, deren Eltern erschlagen, an Seuchen gestorben oder sonst wie umgekommen waren. Sie waren ohne Kleidung, denn was sie auf dem Leibe trugen, waren nur Lumpen. Sie waren verlaust, mir Kraetze behaftet und mit Ausschlag, dazu in jaemmerlicher koerperlicher Verfassung. Unsere AW hat sich dieser Kinderchen angenommen, sie gebadet und gespeist. Aber als Aufenthalt konnten wir ihnen nur einen Bunker bieten, der 17 m unter der Erde liegt. Zwar ist er mit hygienischen Einrichtungen versehen und im Gegensatz zu anderen Bunkern auch trocken und geheizt, aber diese Kinder brauchten helle, luftige Raeume und weisse Bettchen statt der notduerftigen Schlafgelegenheiten in uebereinanderstehenden Luftschutzbetten, in denen Nacht fuer Nacht Fluechtlinge kampieren muessen, immer wieder andere, in langem, endlosen Zuge.

Ungemein haeufig sind die Faelle, wo Muetter mit drei, vier, fuenf oder mehr Kindern, die auf dem langen beschwerlichen Reiseweg diese Kinder mit aller muetterlichen Sorge betreuten, die jeden Bissen sich vom Munde nahmen, damit die Kinder nicht zugrundegingen, bei uns angekommen, zusammenbrachen und uns nicht selten unter den Haenden starben.

Wir brauchen Waisenhaeuser fuer diese Kinder, wir brauchen Pflegeeltern, wir brauchen Kleidung, Betten, Nahrung - und wir haben nichts."

In der letzten Sitzung der AWA London wurden Berichte über die Aktivitäten des letzten Halbjahres erstattet und neue Arbeiten für die kommenden Monate eingeleitet. Die Kassiererin Martha Ollenhauer berichtete, dass an Einnahmen zu verzeichnen seien: Weihnachtsmesse und Weihnachtskarte £ 175, Sammellisten und Spenden £ 142, Februar- und Maiveranstaltung £ 36, Tellersammlungen und div. £ 35, insgesamt £ 388. Und dass die bisherigen Ausgaben betragen: für Liebesgaben nach Deutschland £ 51, Transport und Verpackung von Kleiderpaketen nach Deutschland £ 42, Reparaturmaterial für Kleiderpakete £ 42, Vitamine [und] Arzneimittel £ 25, Veranstaltungen, Saalmieten usw. £ 16, für Literatur, Zeitschriften, Zeitungsversand usw. £ 6.--, Vervielfältigungen, Propaganda, Porto usw. £ 8, an andere Relief-Organisationen £ 45, insgesamt £ 235. Einige Aktionen (K[äthe]-Kollwitz-Karten & Markenverkauf, Bittbriefe an deutsche Freunde usw) laufen und bringen in Kürze weitere Mittel, die gemeinsam mit dem gegenwärtigen Kassenbestand dringend für wichtige Hilfszwecke benötigt werden. Schecks koennen auf den Namen der Vorsitzenden der Londoner AW, Jenny Fliess, Green Lane, London, N.W.4. eingeschickt werden. Kleidungsstücke werden, wie Nelly Janovsky in der Sitzung berichtete, dringend benötigt und sind an folgende Adresse zu senden: Herta Gottfurcht, 20 East Heath Rd, London, N.W.3. Gen. Putzrath berichtete über die Bücheraktion. Deutschsprachige Bücher werden dringend benötigt und an folgende Adresse erbeten: Paul Heide, 6, Thornfield Road Shepherds Bush, London, W.12. In Verbindung mitA "SAVE EUROPE NOW" soll die praktische Hilfsarbeit in Zukunft eine Steigerung erfahren.



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