[Beilage 1 zu SM, Nr. 79/80, 1945] |
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Die WIEDERGEBURT
der deutschen
SOZIALDEMOKRATIE
Bericht über Vorgeschichte und Verlauf der
sozialdemokratischen Parteikonferenz von
Hannover vom 5. bis 7. Oktober 1945
INHALT
1. Vorgeschichte
2. Die erste zentrale Parteikonferenz
3. Die politische Linie der Konferenz
4. Organisatorische Probleme
5. Das Verhältnis zur Vertretung des Parteivorstandes in London
6. Zusammenschluß im sozialistischen Lager
7. Das Verhältnis zu den Kommunisten
8. Die Eingliederung der politischen Emigration in die innerdeutsche Parteiarbeit
9. Aufgaben der nächsten Zukunft
10. Schlußbemerkungen
Hans Vogel an die Parteikonferenz in Hannover
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Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur und der militärischen Besetzung Deutschlands durch die Alliierten im Mai 1945 traten in allen Teilen Deutschlands die Sozialdemokraten in die Öffentlichkeit. Viele wurden von den Alliierten beim Aufbau der deutschen Verwaltung herangezogen. Der organisatorische Wiederaufbau der Partei wurde jedoch erst möglich, als die Militärregierungen der Alliierten das Verbot der politischen Betätigung für die antifaschistischen demokratischen Parteien aufhoben.
Die Freigabe der politischen Betätigung erfolgte zuerst in der Russischen Besatzungszone am 10. Juni 1945. Am 15. Juni 1945 veröffentlichte ein "Zentralausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" in Berlin einen ersten Aufruf an die Sozialdemokraten, in dem er zu Zusammenschluß und Werbung aufrief. Die Mitglieder des Zentralausschusses sind Sozialdemokraten, die vor 1933 oder in der Illegalität für die Partei tätig waren. Kurze Zeit später konnte der Zentralausschuß eine Tageszeitung, "Das Volk", veröffentlichen. Der organisatorische Aufbau der Partei in Berlin und den übrigen Bezirken der Russischen Besatzungszone machte schnelle Fortschritte, unterstützt durch die Bildung provisorischer Bezirksleitungen. Die Groß-Berliner Organisation zählte Ende September 70.000 Mitglieder.
Der Zentralausschuß ging unmittelbar nach seiner Konstituierung eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands ein. Zur Leitung der Zusammenarbeit wurde ein gemeinsamer Arbeitsausschuß gebildet, bestehend aus je fünf Vertretern beider Parteien.
Am 14. Juli 1945 bildeten die vier in der Russischen Besatzungszone zugelassenen Parteien (Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kommunistische Partei Deutschlands, Christlich-Demokratische Union und Liberal-Demokratische Partei Deutschlands) eine "Einheitsfront der anti-
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faschistisch-demokratischen Parteien". Die Leitung dieser Einheitsfront erfolgt durch einen gemeinsamen Ausschuß, der aus je 5 Vertretern der vier Parteien besteht. Die organisatorische Selbständigkeit der Sozialdemokratie wird durch die Arbeitsgemeinschaft mit der KPD und durch die Einheitsfront mit den anderen antifaschistischen Parteien nicht berührt. Der Zentralausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands unter Führung seiner Vorsitzenden Otto Grotewohl und Max Fechner bemühte sich auch, mit den Genossen der anderen Besatzungszonen und mit den Vertretern des im Jahre 1933 gewählten Vorstandes in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in London in Verbindung und zur Zusammenarbeit zu kommen, blieb aber sonst in seiner Wirksamkeit auf die Russische Besatzungszone beschränkt. In den englischen, amerikanischen und französischen Besatzungszonen erfolgte die Freigabe der politischen Betätigung und die Zulassung der politischen Parteien erst wesentlich später, im September 1945. Außerdem sind zunächst nur örtliche oder Kreisorganisationen der Parteien gestattet. Eine zentrale Zusammenfassung soll erst erfolgen, wenn die Organisationen in ihren unteren Gliederungen aufgebaut sind.
Trotzdem entwickelte sich das Organisationsleben der Sozialdemokratischen Partei in den westlichen Besatzungszonen sehr rasch. Überall fanden sich Sozialdemokraten zusammen, um die Genehmigung der Organisation durch die Militärbehörden zu beantragen. Der Aufbau der Partei wurde durch einen Erfahrungsaustausch innerhalb der einzelnen Bezirke und der provisorischen Bezirksleitungen untereinander erleichtert.
Die Parteigenossen und Organisationen der westlichen Zonen fanden in dem Gen. Dr. Kurt Schumacher einen zentralen Vertrauensmann, der durch persönliche und schriftliche Kontakte den Genossen wertvolle organisatorische und politische Hilfe leistete. Der Gen. Schumacher war schon vor 1933 einer der aktivsten jüngeren Politiker in der deutschen Sozialdemokratie. Trotz schwerster Kriegsbeschädigung - er verlor als Folge zahlrei-
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cher schwerer Verwundungen den rechten Arm - führte er in enger Verbundenheit mit Carlo Mierendorff einen unerschrockenen Kampf gegen die NSDAP. Nach der Machtergreifung wurde er verhaftet und von den Nazis zehn Jahre, von 1933 bis 1943, in Konzentrationslagern festgehalten und drangsaliert. Im Lager erwarb er sich neues Ansehen unter den antifaschistischen Lagerinsassen durch seine aufrechte und unbeugsame Haltung. 1943, nach seiner Entlassung, durfte er nicht in seine württembergische Heimat zurück, sondern erhielt Hannover als Zwangsaufenthalt zugewiesen. Durch seine Aktivität, unterstützt durch rührige junge Hannoversche Genossen, wurde Hannover im Sommer 1945 zum vorläufigen Zentrum der Partei in den westlichen Zonen. Die kurze Frist zwischen der Zulassung der Parteien in den Westzonen und dem heutigen Tage ist die Hauptursache für die unterschiedliche Entwicklung der Organisation in den Westzonen. Aus allen Bezirken liegen aber übereinstimmende Berichte vor, dass die früheren Mitglieder fast ausnahmslos in die Partei zurückkehren und dass die Position der Partei in der politisch interessierten Bevölkerung sehr günstig ist.
Die Tätigkeit der Partei in den Westzonen ist zur Zeit im wesentlichen auf organisatorischen Aufbau und mündliche Erklärung beschränkt, weil die Herausgabe von Parteizeitungen noch nicht bewilligt ist.
2. Die erste zentrale Parteikonferenz
Unmittelbar nach der Zulassung der politischen Parteien in den Westzonen vereinbarte Dr. Schumacher mit den Vertrauensleuten der Bezirke die Einberufung einer ersten zentralen Parteikonferenz für den 5., 6. und 7. Oktober nach Kloster Wennigsen, einem kleinen Ort bei Hannover. Zu der Konferenz wurden außen den Delegierten der Bezirke der Westzonen die in London lebenden Mitglieder des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei, Hans Vogel, Erich Ollenhauer und Fritz Heine und Erwin Schoettle, früher Stuttgart, eingeladen.
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Der Zentralausschuß in Berlin wurde ebenfalls von dem Stattfinden der Konferenz informiert. Die Konferenz sollte ursprünglich die Parteivertreter aus allen westlichen Zonen umfassen und in dreitägigen Beratungen alle aktuellen politischen Fragen behandeln. Im letzten Augenblick mußte auf Anordnung der Militärregierung dieser Plan geändert werden. Zugelassen wurde eine eintägige Konferenz der Delegierten aus der Britischen Besatzungszone unter Hinzuziehung der Gäste aus London. Außerdem wurden private Besprechungen Dr. Schumachers mit den anwesenden Delegierten aus den beiden anderen westlichen Zonen bewilligt. Trotz dieser technischen Erschwerungen wurde die Konferenz ein voller Erfolg.[1]
Die Besprechungen waren von Vertretern aus allen Parteibezirken der westlichen Zonen beschickt. Es waren 18 frühere Parteibezirke vertreten, außerdem waren Delegierte aus Lübeck anwesend, das früher zu dem jetzt in der Russischen Zone liegenden Bezirk Mecklenburg-Lübeck gehörte.
Jeder Bezirk konnte drei Delegierte in die Besprechungen für seine Zone senden, die meisten Bezirke waren darüber hinaus durch weitere Gastdelegierte vertreten, darunter zahlreiche Sozialdemokraten in wichtigen Positionen der neuen deutschen Verwaltung. Die Delegationen bestanden zum Teil aus Genossen, die schon früher in der Partei eine führende Rolle gespielt haben und die jetzt trotz hohem Alter unverzüglich an den Wiederaufbau der Partei gegangen waren. U.a. waren anwesend die ehemaligen Reichstagsabgeordneten Karl Schreck[2] - Bielefeld, Josef Simon - Nürnberg, Hans Lau[3] - Hannover, Henssler[4] - Dortmund, der jetzige Oberbürgermeister von Nürnberg, Martin Treu, der jetzige Bürgermeister von Bremen, Kaisen. Carl Severing - Bielefeld - war durch den plötzlichen Tod seiner Frau an der Teilnahme verhindert.
Neben den "Alten" war die mittlere Altersgruppe am stärksten vertreten, vor allem viele früher führende Funktionäre der Sozialistischen Arbeiterjugend und der Kinderfreunde, die jetzt verantwortliche Funktionen in der neuen Parteiorganisation
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innehaben. Aus London waren die Gen. Erich Ollenhauer, Fritz Heine und Erwin Schoettle erschienen. Hans Vogel war durch seine schwere Erkrankung, die am 6. Oktober zu seinem Tod führte, an der Teilnahme verhindert. Aus Berlin erschienen die Gen. Otto Grotewohl, Max Fechner und Gustav Dahrendorf.
Die Konferenz fand in einem festlich geschmückten Saal statt. Blumen, rotes Fahnentuch und ein Bild von Karl Marx füllten die Bühne. Für fast alle Teilnehmer war es das erste Mal seit mehr als 12 Jahren, dass sie sich wieder auf einer freien Konferenz in diesem Ausmaß zu freiem Meinungsaustausch trafen.
Die meisten Delegierten hatten mehr oder weniger lange Zeit während des Hitlerregimes in Gefängnissen oder Konzentrationslagern verbracht, viele sechs, acht, zehn Jahre Konzentrationslager oder Haft. In die Freude des ersten Wiedersehens mischte sich der Schmerz über die vielen, die diesen Tag nicht mehr erleben konnten, die hingerichtet, zu Tode gequält oder in der langen Zeitspanne seit 1933 eines natürlichen Todes gestorben waren.
Die Durchführung einer solchen Konferenz ist unter den heute in Deutschland bestehenden Bedingungen schon in technischer Hinsicht ein kaum lösbares Problem. Die Anreise der Delegierten, ihre Unterbringung und ihre Ernährung erfordern ein Ausmaß von Organisation und Voraussicht, von dem man sich aus Außenstehender kaum einen Begriff machen kann. Die Lösung gelang dank einer wahrhaft beispielgebenden Solidarität der Genossen in Hannover und den umliegenden Orten. Für alle Teilnehmer gab es außerdem am Abend des 6. Oktober eine besondere Begrüßungsfeier. Ein Arbeiter-Sängerchor und eine Arbeiter-Musikkapelle bestritten das Programm. Sie boten so Gutes, dass es unwahrscheinlich erschien, dass Sänger und Musiker erst vier Wochen zuvor ihre Tätigkeit wieder aufgenommen hatten. Als der Chor nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder den Sozialistenmarsch in einer öffentlichen Veranstaltung sang, da wurde manches Auge feucht.
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3. Die politische Linie der Konferenz
Die Konferenz hat keine formulierten Erklärungen beschlossen. Sie erklärte sich einverstanden mit den Grundlinien des Hauptreferates, das Dr. Schumacher sowohl auf der Konferenz der Vertreter aus der britischen Zone als auch in der Zusammenkunft mit den Delegierten aus der Amerikanischen und der Französischen Zone hielt. Dr. Schumacher sagte unter anderem:
"Die Aufgabe, vor die sich die ehrlichen demokratischen Kräfte in Deutschland gestellt sehen, ist so gewaltig, dass sie manchem als unlösbar erscheint. Die Sozialdemokraten, die während der letzten 12 Jahre trotz unerhörter Opfer und Leiden unbeirrt zu ihrer Fahne gestanden haben, dürfen vor dieser Aufgabe nicht zurückschrecken. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Nationalismus und Militarismus in Deutschland völlig tot sind. Sie sind durch den Zusammenbruch der Diktatur geschwächt. Viele von den Schuldigen tun so, als ob gar nichts geschehen sei und hoffen, dass nach einiger Zeit sich die Dinge schon zu ihren Gunsten wenden werden. Aber sie sind im Irrtum. Es ist zuviel geschehen. Die Nationalsozialisten haben Deutschland zerstört und die Welt mit einer Woge der Lüge und des Verbrechens überzogen. Es ist die Aufgabe aller ehrlichen deutschen Demokraten und besonders der Sozialdemokraten, denen, die sich schuldig gemacht haben, zum Bewußtsein zu bringen, dass ihre Verbrechen nicht ohne Sühne bleiben werden."
Dr. Schumacher sprach über die Probleme der Wiederherstellung des deutschen Wirtschaftslebens, von deren Lösung es abhänge, ob Deutschland moralisch und politisch gesunde oder sich in einen europäischen Unruheherd verwandele. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an eine Äußerung des britischen Außenministers Bevin, der erklärt habe, dass Deutschland zwar seines Kriegspotentials beraubt werden müsse, dass man aber ein Sechzig-Millionen-Volk im Herzen Europas nicht verhungern lassen könne.
Deutschland wird zwar nach Fortfall der Kriegs-
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industrien seinen landwirtschaftlichen Sektor erweitern müssen, aber auch die Landwirtschaft kann nicht leben ohne eine Industrie, deren Ausfuhrerzeugnisse allein die Möglichkeit bieten, die unentbehrlichen Rohstoffe zu beschaffen. In der internationalen Politik verfolgt die Sozialdemokratie eine Politik des kompromißlosen Friedens. Sie betrachte die Zusammenarbeit der drei großen Siegermächte als eine Voraussetzung für die Erhaltung des Friedens, den gerade Deutschland so notwendig braucht.
"Heute ist die Sozialdemokratie auf dem Wege, die stärkste politische Kraft Deutschlands zu werden. Sie wird ihre Tore weit aufmachen müssen. Denn viele, die früher abseits standen, sehen heute in uns die einzige Kraft, die einen Wiederaufstieg bewerkstelligen kann. Die Sozialdemokratie kann diese Schichten nur gewinnen, wenn sie anerkennt, dass das Bekenntnis zum Sozialismus den verschiedensten Motiven entspringen kann."
Auf der Basis dieser Gedankengänge wurden in der Diskussion auf der Konferenz und in vielen Einzelbesprechungen die zahlreichen Probleme behandelt, die sich aus der gegenwärtigen innerdeutschen Situation ergeben: Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden, Aufbau der neuen deutschen Verwaltung, Beseitigung des Nazieinflusses, Vorbereitung der demokratischen Selbstverwaltung, Fragen des Wiederaufbaus, vor allem der Ernährung, der Wohnung und der öffentlichen Erziehung.
In der Aussprache auf der Konferenz beteiligte sich auch der Gen. Erich Ollenhauer, der besonders auf die Verflechtung der deutschen Probleme mit der internationalen Situation hinwies. Die Konferenz war sich einig, dass eine programmatische Festlegung der Politik der Partei noch nicht möglich ist, sie stimmte jedoch überein, dass die Partei auf eine weitgehende Sozialisierung drängen müsse.
Die Konferenz war ein eindeutiger Hinweis für die Lebenskraft der deutschen Sozialdemokratie. Trä-
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ger der Partei sind in erster Linie die früheren Funktionäre und Mitglieder der Partei. Alte und Jüngere wetteifern in der Aufgabe, die Partei so schnell wie möglich wieder zu einer schlagkräftigen Organisation zu entwickeln. Allerdings ist der Ersatz von Mitarbeitern, die gestorben, während des Krieges gefallen sind oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befinden, ein ernstes Problem. Was heute in Deutschland wieder ersteht, ist die Sozialdemokratie mit ihrer großen Vergangenheit und mit ihrer demokratisch-sozialistischen Zielsetzung. Sie entsteht als neues Willenszentrum für die alten Mitglieder, die glücklich sind, sich heute wieder frei zur Sozialdemokratie bekennen zu können. Sie kommen in die Parteibüros mit den alten Mitgliedsbüchern, die sie zwölf Jahre hindurch vor dem Zugriff der Nazis versteckt haben. Sie bestehen darauf, dass sie die Beiträge, die sie in den zwölf Jahren nicht zahlen konnten, jetzt nachzahlen und in ihren Mitgliedsbüchern ausgewiesen erhalten, damit die erzwungene Lücke in ihrer Mitgliedschaft geschlossen wird.
Es ist aber auch gleichzeitig eine neue Partei. Eine Partei, deren Träger sich darüber klar sind, dass die Partei aus der Vergangenheit und aus den Erfahrungen unter der Diktatur zu lernen hat, um in den schweren Kämpfen der Zukunft zu bestehen. Eine Partei, die sich klar zu werden versucht, mit welchen neuen Mitteln die neuen Aufgaben gelöst werden müssen, die die Wendung in der Geschichte des deutschen Volkes den deutschen Demokraten und Sozialisten stellt. Die Zeit ist noch zu kurz, um klare und formulierte Vorstellungen zu haben, aber die Bereitschaft zu einer solchen organisatorischen und geistig-politischen Erneuerung ist da.
Das aktuellste Problem, vor dem die Partei auf organisatorischem Gebiet stand, war die Schaffung einer neuen einheitlichen Parteiorganisation für das ganze Reich. Die Konferenz setzte sich geschlossen für die Einheit Deutschlands ein und sie war sich einig darin, sobald als möglich eine einheitliche Parteiorganisation für ganz Deutsch-
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land zu schaffen. Dieser Zielsetzung stehen die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und das Fehlen einer einheitlichen Politik der Besatzungsmächte in Deutschland gegenüber.
Die Berliner Delegation unter der Führung des Gen. Grotewohl vertrat in den Besprechungen mit den Delegierten aus den Westzonen die Auffassung, dass der Berliner Zentralausschuß durch Hinzuziehung von Vertretern der Westzonen und des alten Parteivorstandes London zu einer provisorischen zentralen Leitung der Partei ausgestaltet werden sollte. Die Delegierten der Westzonen hielten den Zeitpunkt für die Schaffung einer Gesamtleitung der Partei, sei es auch nur mit provisorischem Charakter, noch nicht für gekommen. Die Besprechungen über diese Frage, die in kameradschaftlichem und parteigenössischem Geist geführt wurden, endeten mit einer von allen Beteiligten gebil[ligten] Vereinbarung, wonach, sobald [...] es die Umstände erlauben, ein Parteitag einberufen wird, der über Politik und Programm der Partei beschließen, die neue Führung der Partei wählen und den Sitz der Parteizentrale bestimmen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt und solange eine deutsche zentrale Regierung und Verwaltung nicht besteht, repräsentiert der Zentralausschuß in Berlin unter Führung des Gen. Grotewohl die Partei in der Russischen Besatzungszone, während der Genosse Dr. Schumacher in Hannover als der Vertrauensmann der Partei in den westlichen Zonen gilt. Es sollen Mittel und Wege gefunden werden, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Vertrauensleuten so eng als möglich zu gestalten.
5. Das Verhältnis zur Vertretung des Parteivorstandes in London
Der Zentralausschuß in Berlin und die Vertreter der Partei in den westlichen Zonen erkennen die Gültigkeit des Mandats des im April 1933 gewählten Parteivorstandes an. Sie akzeptieren den Standpunkt der Vertreter des Parteivorstandes, dass sie ihr Mandat dem ersten Parteitag mit
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einem Rechenschaftsbericht über ihre Tätigkeit in der Emigration zurückgeben und damit ihre Treuhänderrolle für die Partei beenden wollen. Unabhängig von der Beendigung dieses Treuhänderauftrags ist schon jetzt die Mitarbeit der Vertreter des Parteivorstands beim Wiederaufbau der Partei in Deutschland dringend erwünscht. Es wurde vereinbart, dass die Genossen Ollenhauer und Heine sobald als möglich für dauernd nach Deutschland zurückkehren. Soweit die Vertretung des Parteivorstandes in London bis zur Rückgabe ihres Mandats an die Gesamtpartei die Interessen der Partei im Ausland wahrnimmt, ist sie berechtigt, im Namen der jetzt in Deutschland wiedererstehenden Partei zu sprechen.
6. Zusammenschluß im sozialistischen Lager
An der Konferenz in Hannover nahmen als Delegierte und Gastdelegierte auch Genossen teil, die vor 1933 und in der Illegalität der Sozialistischen Arbeiter-Partei (SAP) oder dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) angehörten. Diese Tatsache illustrierte die neue Entwicklung beim Wiederaufbau der Partei. Die Erkenntnis, dass die deutschen Sozialisten den schweren Aufgaben der Zukunft nur gewachsen sein werden, wenn sie organisatorisch und politisch eine geschlossene Kampffront des freiheitlichen und demokratischen Sozialismus bilden, hat zu der erfreulichen Entwicklung geführt, die neue Sozialdemokratie zu dem gemeinsamen und einheitlichen politischen Kampfinstrument des demokratischen Sozialismus zu machen. Die Zusammenarbeit in der Illegalität und die erfolgreiche Arbeit der "Union" in London haben diesen Prozeß gefördert.
Alle Teile der wiedererstehenden Sozialdemokratie sind sich bewußt, dass die neue Partei neben der größten Geschlossenheit in der Aktion Toleranz und Duldsamkeit in ihrem inneren organisatorischen und geistigen Leben üben muß. Das berechtigt zu der Hoffnung, dass die neue Partei zum Sammelbecken aller aktiven Kräfte des demokratischen Sozialismus werden wird.
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7. Das Verhältnis zu den Kommunisten
Die Beziehungen zu den Kommunisten nahmen naturgemäß einen wichtigen Platz in den offiziellen und privaten Verhandlungen der Konferenz ein. Die allgemeine Erfahrung ist, daß in der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur in den Reihen der Sozialdemokraten eine starke, gefühlsmäßige Neigung für eine Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse durch die Schaffung einer einheitlichen Partei bestand. Die Erkenntnis, dass die Spaltung der Arbeiterklasse verhängnisvolle Folgen in der Vergangenheit gehabt hat, ist allgemein, und der Wunsch, einer neuen Zersplitterung durch die Schaffung einer Einheitspartei vorzubeugen, war überaus populär.
Der Berliner Zentralausschuß hat mit der Schaffung der Arbeitsgemeinschaft mit den Kommunisten und mit der Ankündigung der gemeinsamen Aussprachen über ideologische Differenzen, die einer organisatorischen Einigung entgegenstehen, diesem Verlangen weitgehend Rechnung getragen. Auch in den Westzonen ist es verschiedentlich örtlich und bezirklich zu den Arbeitsgemeinschaften mit den Kommunisten oder zu praktischer Zusammenarbeit in tagespolitischen Aufgaben gekommen. Aber die Entwicklung war hier nicht einheitlich. Es gibt auch Orte und Bezirke, die jede organisierte Zusammenarbeit mit den Kommunisten ablehnen. Die Haltung des kommunistischen Parteiapparates hat die Hoffnung auf Überwindung der Spaltung vorderhand weitgehend zerstört. Die parteipolitische Ausnutzung der Zusammenarbeit der Berliner Sozialdemokraten in den Westzonen durch kommunistische Flugblätter und Flüsterpropaganda, die unprovozierten Angriffe kommunistischer Flugblätter und Zeitungen auf führende Sozialdemokraten, die skrupellose Umwerbung früherer Nationalsozialisten durch Kommunisten, die unklare Haltung der Kommunisten in allen prinzipiellen Fragen sozialistischer Politik und ihre Abhängigkeit von außerdeutschen Einflüssen haben das Mißtrauen der Sozialdemokraten gegen den kommunistischen Parteiapparat von neuem verstärkt und
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neue Zweifel geweckt, ob auch nur eine taktische Zusammenarbeit mit den Kommunisten möglich ist.
Die Konferenz in Hannover hat in dieser Frage keinerlei offizielle Beschlüsse gefaßt. Als übereinstimmende Auffassung aller Beteiligten kann aber festgestellt werden: Die Frage einer organisatorischen Einigung mit der KPD steht für die Sozialdemokraten in allen Teilen Deutschlands zur Zeit nicht zur Diskussion. Die Ansichten über die Möglichkeiten einer solchen Einigung mögen auch heute noch differieren, aber Einmütigkeit besteht darüber, daß diese Frage nur auf einem Parteitag diskutiert und für die ganze Partei einheitlich und bindend entschieden werden kann. Es besteht ferner Einmütigkeit darüber, dass die Frage nur entschieden werden kann unter Berücksichtigung der Entwicklung in der internationalen Arbeiterbewegung. Die Frage der Vereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten ist keine deutsche, sondern eine internationale Frage.
In der praktischen Zusammenarbeit in den dringenden Tagesaufgaben, vor allem im kommenden Notwinter, wird im allgemeinen das Verhältnis zu den Kommunisten in der gleichen Weise gesehen wie das Verhältnis zu den anderen zugelassenen politischen Parteien. Soweit sich in dieser Arbeit eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit finden läßt, soll sie mit allen zugelassenen Parteien erfolgen. Dabei besteht die Partei auf ihrer völligen organisatorischen und politischen Unabhängigkeit und auf der loyalen Innehaltung der für die Zusammenarbeit festgelegten Grundsätze. Versuche, die Einheit nach der aus der Vergangenheit genügend bekannten Art "von unten her" gegen die Organisationsleitungen der Partei zu erzwingen, müssen nur zu einer völligen Zerstörung des unbedingt notwendigen Vertrauens führen.
Die Methoden, die bei dem Versuch angewendet werden, um das Verhältnis zu den Kommunisten zu klären oder die Aussichten für eine fruchtbare Zusammenarbeit zu prüfen, sind in den einzelnen Orten verschieden. Einheitlich ist die Partei in ihrem Willen, alles zu tun, um die Spaltung
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der Arbeiterschaft zu überwinden, einheitlich ist sie aber auch in der Überzeugung, dass eine dauerhafte und aktionsfähige Einheit nur erzielt werden kann, wenn Übereinstimmung besteht in den großen sozialistischen Zielsetzungen und wenn die Partei aufgebaut ist auf einer wahren inneren Parteidemokratie, die die Führung und die Politik der Partei ausschließlich der Kontrolle und der demokratischen Entscheidung ihrer Mitglieder unterstellt.
8. Die Eingliederung der politischen Emigration in die innerdeutsche Parteiarbeit
In der Partei gibt es keine Animosität gegen die politische Emigration. Die Genossen im Lande sind nicht in jedem Fall davon überzeugt, dass die Notwendigkeit einer Migration vorlag. Sie wünschen aber, die Genossen, die bereit sind, in der Partei wieder mitzuarbeiten, sobald als möglich wieder in Deutschland an der Arbeit zu sehen. Der Mangel an Mitarbeitern in der Partei und in der öffentlichen Verwaltung ist so groß, dass jede brauchbare und willige Kraft gebraucht wird. Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Genossen, die aus der Emigration zurückkehren, sich den veränderten Umständen und Bedingungen anzupassen bemühen. Ihre Position in der neuen Partei wird allein von den Leistungen abhängen, die sie in der neuen Partei und für die Partei nach ihrer Rückkehr vollbringen. Es ist mit den führenden Genossen der Partei im Lande vereinbart worden, die Rückkehr der politischen Emigration so zu organisieren, dass sie sobald als möglich nach ihrer Rückkehr Aufgaben übernehmen können, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechen. Selbstverständlich kann diese Regelung erst in Kraft treten, wenn die einschränkenden Bestimmungen der Regierungen der Gastländer oder der Militärregierungen der deutschen Besatzungszonen aufgehoben oder gelockert sind. Sowohl die Genossen im Lande als die Vertretung der Partei im Ausland werden sich in den nächsten Monaten bemühen, diese Voraussetzungen zu schaffen.
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9. Aufgaben der nächsten Zukunft
In zahlreichen Einzelbesprechungen wurde eine große Anzahl von praktischen Tagesaufgaben der Partei in der nächsten Zukunft beraten. Sie seien hier nur stichwortartig erwähnt: Vorbereitung der Herausgabe sozialdemokratischer Zeitungen, Rückforderung des von den Nazis geraubten Parteieigentums, Aufbau der Organisationen der Arbeiterwohlfahrt, Vorbereitung der neuen Jugend- und Kinderfreunde-Organisationen, Mitarbeit der Partei in den kommenden neuen deutschen Selbstverwaltungskörperschaften, Ausbau der örtlichen und bezirklichen Parteiorganisationen auf der Grundlage der inneren Parteidemokratie, Vorbereitung der Schulungsarbeit, Vorbereitung kommender programmatischer Erklärungen der Partei usw.
Die Konferenz von Hannover war die erste zentrale Tagung der Partei seit dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur. Sie fand statt wenige Wochen nach der Zulassung der Partei durch die Besatzungsbehörden. Sie wurde vorbereitet durch einen improvisierten Apparat. Sie arbeitete unter äußerst schwierigen technischen Bedingungen. Sie tagte in einer politischen Situation, in der das Schicksal Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung noch völlig im Dunkeln liegt. Die Partei steht vor einer nationalen Katastrophe, wie sie kein Volk der modernen Geschichte erlebt hat. Die Männer und Frauen, die in Hannover versammelt waren, sind ohne Illusionen über die Schwere der Aufgabe, die sie übernommen haben. Aber sie sind entschlossen, den Versuch zu unternehmen, eine Wiederkehr des Nationalsozialismus und seiner kapitalistischen und militaristischen Helfer für immer zu verhindern und ein neues demokratisches und soziales Deutschland aufzubauen, das seinen Platz als geachteter und anerkannter Partner in der Gemeinschaft freier Völker wieder einnehmen kann.
Sie fühlen sich gestärkt durch das Vertrauen von Millionen Männern und Frauen in Deutschland, die in die Sozialdemokratie die Hoffnung setzen, dass es mit ihr und durch sie gelingen möge, aus dem
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Elend des Zusammenbruchs in eine hellere friedliche Zukunft zu gelangen. Die deutschen Sozialdemokraten sind entschlossen, sich durch ihre Taten dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Die deutschen Sozialdemokraten wissen, dass sie in erster Linie auf sich selbst angewiesen sind und dass das neue Vertrauen, das die neue deutsche Arbeiterbewegung in der Welt braucht, durch Leistungen erworben werden muß. Dennoch kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die deutsche Arbeiterbewegung ihr Ziel nur erreichen kann, wenn sie gestützt wird durch eine internationale Politik, die die demokratischen und friedliebenden Kräfte im deutschen Volk ermutigt und stützt.
London, 21. Oktober 1945.
Hans Vogel an die Parteikonferenz in Hannover
Hans Vogel war durch seine Erkrankung an der Teilnahme an der Konferenz in Hannover verhindert. Als feststand, dass er nicht werde reisen können, richtete er am 23. September an die Teilnehmer der Konferenz im Namen des Vorstandes der Partei eine schriftliche Botschaft. Sie ist durch die Tragik der Umstände zu seiner letzten politischen Kundgebung geworden. Die Botschaft wurde von der Leitung der Konferenz vervielfältigt und allen Teilnehmern der Konferenz ausgehändigt. In der Botschaft heißt es:
"Wir übermitteln zunächst allen Genossen und Genossinnen, die auf der Konferenz anwesend sind, und den Genossen vom Lande, die sie vertreten, unsere herzlichsten Grüße, und wir wünschen Euren Beratungen einen vollen Erfolg. Wir gratulieren Euch zu Eurer tatkräftigen Initiative, die Organisation der deutschen Sozialdemokratie so schnell als möglich wieder aufzubauen. Die Nachrichten aus allen Teilen des Reiches beweisen, dass der Kern unserer Mitgliedschaft unseren sozialistischen Idealen treu geblieben ist. In dieser Standhaftigkeit liegt eine große Ermutigung und Hoffnung für die Zukunft der Partei.
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Wir haben aber auch schwere Opfer zu beklagen. Wir vereinigen uns mit Euch in dem Gedanken an alle, die als Opfer des Nationalsozialismus den Tod fanden. Viele unter Euch haben mit ihnen gemeinsam die Schrecken und Leiden in den Folterstätten des Dritten Reiches erlebt. Ihr wißt daher besser als wir und als die Welt außerhalb Deutschlands, was es bedeutet, in einer totalen Diktatur der Sache des Friedens und der Freiheit treu zu bleiben. Wir gedenken mit Euch der zahllosen Opfer, die die Kriegs- und Unterdrückungspolitik der Hitlerdiktatur von allen Völkern gefordert hat. Wir gedenken derer, die den Tod ihrer nächsten Angehörigen beklagen, deren Familien zerrissen wurden, die Hab und Gut verloren oder die jetzt als Heimatlose dem Elend der Landstraße ausgesetzt sind.
Eure Konferenz findet statt an einem schicksalsschweren Wendepunkt der Geschichte des deutschen Volkes. Die Wiedergeburt der Partei erfolgt unter völlig neuen Umständen und Bedingungen. Wir haben die Freiheit der Organisation und der demokratischen politischen Willensbildung nicht durch eigene Anstrengungen zurückgewinnen können. Der Sturz der Hitlerdiktatur ist die Folge einer überwältigenden militärischen Niederlage der deutschen Armeen. Der von der Hitlerdiktatur herbeigeführte Krieg hat die Diktatur selbst in den Abgrund gerissen. Die Erbschaft, die die Diktatur dem deutschen Volke hinterlassen hat, ist Chaos und Zerstörung im Innern und Isolierung, Mißtrauen und Haß im Ausland. Deutschland besitzt heute keine staatliche Souveränität. Seine sta[at]lichen Grenzen und sein gesamtes innerstaatliches Leben werden durch die Entscheidungen der Alliierten bestimmt.
Es wird in hohem Maße von den eigenen Anstrengungen des deutschen Volkes abhängen, ob und wann es ihm gelingt, seine Selbstverwaltung und seine Selbstbestimmung zurückzugewinnen und wieder als ein geachteter und vertrauenswürdiger Partner in die Gemeinschaft der Völker zurückzukehren.
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Wir glauben, dass es vor allem die Aufgabe einer erneuerten deutschen Sozialdemokratie sein muß, die Mehrheit des deutschen Volkes für eine Politik zu gewinnen, die aufrichtig bestrebt ist, Deutschland von nazistischen und militaristischen Einflüssen zu reinigen, an der Wiedergutmachung der durch den Hitlerkrieg angerichteten Schäden mitzuhelfen und Deutschland zu einem demokratischen und friedlichen Gemeinwesen zu entwickeln.
Wir sehen für das deutsche Volk keinen anderen Weg in eine hellere und lebenswerte Zukunft, als eine klare und eindeutige Friedenspolitik nach außen und eine aktive demokratische und soziale Politik im Innern. Es ist allerdings unsere feste Überzeugung, dass der Aufbau eines solchen friedlichen und demokratischen Deutschlands nur gelingen kann, wenn es als staatliche und wirtschaftliche Einheit weiter besteht, und wenn es sobald als möglich wieder in das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben Europas eingegliedert wird.
Wir werden diese Politik der Verständigung und des Friedens gegenüber einem deutschen Nationalismus zu vertreten und zu verteidigen haben. Wir glauben, dass die Partei jedem Versuch entgegentreten muß, der das Ziel verfolgt, das deutsche Schicksal durch andere als durch friedliche Mittel zu korrigieren. Wir sehen in einem neuen Krieg kein geeignetes oder erlaubtes Mittel, die Folgen der Niederlage der Hitlerdiktatur zu beseitigen.
Die Partei sollte nach unserer Auffassung ihre Bereitschaft erklären, die volle Verantwortung für eine Politik des friedlichen Wiederaufbaus Deutschlands und Europas zu übernehmen und im Sinne dieser Politik mit den Besatzungsbehörden zusammen zu arbeiten. Die Partei kann aber diese Verantwortung nur tragen, wenn die Alliierten den durch uns repräsentierten demokratischen Kräften des deutschen Volkes Vertauen entgegenbringen und wenn sie dem deutschen Volke die innere und äußere Souveränität im Rahmen der für alle freien Völker gezogenen Grenzen zurückgeben.
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Es ist heute noch zu früh, über das Programm der neuen Partei im einzelnen zu sprechen. Wir stehen nicht nur vor einer völlig neuen Lage im zerstörten Deutschland, wir stehen auch vor einer grundlegend geänderten Machtverteilung in der internationalen Politik. Außerdem befinden wir uns mitten in einer tiefgehenden geistigen Krise der europäischen Zivilisation, mit der sich vor allem der freiheitlich-demokratische Sozialismus in allen Ländern auseinandersetzen muß. Wir dürfen daher über der Arbeit für den Aufbau der Organisation, als dem unerläßlich notwendigen Instrument unserer Politik, die notwendige geistige Klärung nicht vergessen. Wir brauchen die volle innere Bereitschaft und Aufgeschlossenheit der neuen Partei und ihrer Führung für die geistigen und politischen Probleme der Gegenwart, damit die neue deutsche Arbeiterbewegung den Anschluß an das geistige Ringen unserer Zeit wieder gewinnt und an der Klärung und Lösung ihrer Probleme mitarbeiten kann.
Schon in diesem frühen Stadium der neuen Entwicklung sollte jedoch die Partei den Versuch machen, das Sammelbecken für die Menschen aus allen Schichten des Volkes zu werden, die der Freiheit und der Würde jedes einzelnen Menschen auf allen Lebensgebieten zu ihrem Recht verhelfen und sie vor Willkür und Gesetzlosigkeit schützen wollen. Im gleichen Geist sollten wir uns bemühen, im sozialistischen Lager alle Kräfte zusammenzuführen, die auf dem Boden des freiheitlich-demokratischen Sozialismus stehen. Wir sind überzeugt, dass eine solche Einigung heute bei gutem Willen auf allen Seiten schnell herbeigeführt werden kann. -
Das zukünftige Verhältnis der Partei zu den Kommunisten kann nicht auf örtlicher oder bezirklicher Basis entschieden werden. Eine fruchtbare Lösung dieses Problems setzt die Klärung einer Reihe für uns lebenswichtiger Fragen voraus, die nur im Rahmen der Gesamtpartei zu einem späteren Zeitpunkt herbeigeführt werden kann. Sie muß außerdem im Zusammenhang mit der Entwicklung in der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung gesehen werden.
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Wir wünschen, dass unsere Genossen in den nichtrussisch besetzten Gebieten des Reiches jeden Versuch machen, um mit den Genossen der Berliner Parteiorganisation in einen ständigen und freundschaftlichen Kontakt zu kommen. Es muß unser aller Ziel sein, eine einheitliche Parteiorganisation für das ganze Reichsgebiet auf der Basis einer gemeinsamen Beschlußfassung zu schaffen. In diesem Sinne bitten wir, alle Beschlüsse hinsichtlich der Organisation und der Führung der Partei in den nichtrussisch besetzten Gebieten als Provisorium zu betrachten.
Es ist unsere Hoffnung, dass Eure Konferenz ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Entwicklung einer neuen auf der Grundlage der inneren Parteidemokratie aufgebauten Parteiorganisation sein wird. Politik und Führung der Partei können nach unserer Auffassung erst endgültig gestimmt werden, wenn eine durch demokratische Wahlen der Mitgliedschaft berufene Vertretung der Gesamtpartei darüber beschließen kann.
Wir haben den Versuch gemacht, in diesem Brief einen Beitrag zu Euren Diskussionen zu liefern. Wir haben es getan als Vertreter der Partei, die seit 1933 im Ausland versucht haben, für die Leistungen und die Auffassungen der Partei zu werben und für die Genossen im Lande zu sprechen, die durch die Diktatur mundtot gemacht worden waren. Unsere Mission geht mit der Rückkehr der Partei in die Legalität ihrem Ende entgegen. Wir hoffen, dass wir bald die Möglichkeit haben werden, unseren Genossen im Lande Rechenschaft abzulegen und ihnen unser Mandat zurückzugeben. Es ist unser dringlichster Wunsch, dann wieder in den Reihen der Parteigenossen in Deutschland mit Euch allen gemeinsam für die gemeinsame Sache wirken zu können."
SPD London. 33, Fernside Avenue, London, N.W.7.