[Beilage 2 zu SM, Nr. 53/54, 1943]

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NAZI - DEUTSCHLAND 1943


Berichte neutraler Beobachter




Der schwedische Journalist Gunnar T. Pihl[1], der wegen seines Berichts über die Evakuierung Berlins am 20. August 1943 von den Nazis aus Deutschland ausgewiesen wurde, hat in einer Serie von Berichten im "Daily Telegraph" (Anfang Oktober 1943) ein Bild von der Lage in Deutschland entworfen, das aus mehreren Gründen Beachtung verdient.

Pihl war ein Jahr länger in Deutschland als die amerikanischen Korrespondenten, die vor einiger Zeit ihre Bücher über Deutschland veröffentlichten (wie z. B.: Howard K. Smith "Last Train from Berlin", Louis P. Lochner "What about Germany" usw.), und er war bis zuletzt nicht interniert, sondern so frei in seinen Beobachtungen, wie es für einen neutralen Berichterstatter im Nazi-Reiche möglich ist. Als Neutraler sah er die Situation, soweit möglich, unbeeinflusst von Wunsch-Vorstellungen über Sieg oder Niederlage, Standhalten oder Zusammenbruch. Und da er Nicht-Sozialist ist, kann man auch seine Urteile über Stärke und Zukunft der Opposition in Deutschland als "neutrale" Urteile werten.


Die Wirkung der RAF-Angriffe auf Deutschlands Kriegsindustrie
hat nach Pihls Beobachtungen zu einem Absinken der deutschen Kriegsproduktion um 15 bis 10% gegenüber dem im Jahre 1941 erzielten Höchststand geführt. Andere interessante Beobachtungen sind, dass die deutsche Armee in Russland im Winter 1941 fast zusammenbrach und dass nur der Bau besonderer Lokomotiven, die Arbeitszeit und Metall sparten, die Situation rettete.
Im Winter 1942 litt die deutsche Armee im Osten an Tank-Mangel, und nur das frühe Einsetzen des Tauwetters in der Ukraine verschaffte eine Atempause, in welcher die Tigertanks in Linz und Wiener-Neustadt, in Pilsen und Kattowitz (also fern den Luftangriffen) in Mengen gebaut wurden, und ihr Erscheinen ermöglichte 1943 der deutschen Armee in Russland einen Rückzug, der noch nicht zum Zusammenbruch führte. Pihl berichtet über


die Massnahmen der Nazis zum Schutz der Industrie
gegen Luftangriffe. In erster Linie ist der Versuch gemacht worden, Kriegsindustrien vom Westen nach dem Osten zu transferieren. Die Heinkel-Werke wurden z.B. von Kassel nach Wien verlegt, die IG-Farben-Fabrik für synthetisches Benzin wanderte nach Gleiwitz. Aber die Ruhrindustrie, die an die örtlichen Bodenschätze gebunden ist, konnte kaum evakuiert werden. So erfolgte der Versuch, sie soweit als möglich unsichtbar oder unverwundbar zu machen: Seit Monaten werden unterirdische Werkstätten gebaut, meist ausserhalb der Städte, und in einzelnen Fällen, wie bei den Leuna-Werken in Mitteldeutschland, wird allabendlich künstlicher Nebel über die Fabriken gebreitet. Auch die Errichtung von Fabrikgebäuden aus Holz und Glas ist unternommen worden, da sie angeblich den Bomben besser standhalten als metallene Konstruktionen und leichter zu reparieren sind. Der Mangel an Arbeitern verzögert diese Reparaturen sehr, und an einen Wiederaufbau zerstörter Wohnhäuser ist nicht zu denken. Als einzige wirksame Abwehr gegen die RAF-Angriffe bezeichnet Pihl die deutschen Jagdflugzeuge, die nur durch schwerere Bewaffnung der RAF-Bomber zu schlagen wären.


Ueber die Bevölkerung in Berlin
schreibt Pihl: "Berlin ist stets eine nervöse, mürrische, launische Stadt, und seine Bewohner ertragen die Bombardierung nicht so gut wie die West-Deutschen, vielleicht weil sie weniger daran gewöhnt sind. Man sieht in Berlin nichts von dem heiteren burschikosen Humor der Londoner von 1940, keine komischen Aufschriften an den Geschäften und in den Strassen am Tage nach dem Luftangriff. Die Berliner sind düster und apathisch, aber nicht rebellisch. Sie murren in den Luftschutzkellern unaufhörlich, und manchmal dringt das Murren auch ins Freie." Pihl erzählt, wie Goebbels am 2. März den zerstörten Prager Platz besichtigte, und nachdem eine Stimme gerufen hatte: "Wir danken unserem Führer" alle in den Ruf einfielen, bis Goebbels die Flucht ergriff. "Aber Berichte über Aufruhr oder Unruhen in Berlin sind Unsinn. Nur einen Aufruhr wird es in Deutschland geben: den letzten."

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Ueber die Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung
die durch die Evakuierung verursacht wird, bei den Evakuierten ebenso wie bei denen, die sie aufnehmen müssen, berichtet Pihl ebenfalls. Er weist dann auf die Spannungen zwischen Reichswehr[2] und Nazi-Partei hin. Die Partei, so berichtet er, wollte bei Kriegsausbruch allen Ruhm für sich in Anspruch nehmen. Hitler gab den Generalen zwar reichlich Marschallstäbe, aber auch die Marschälle waren von Hitlers Launen abhängig, dessen Genie alle Siege zugeschrieben wurden. Jetzt, nach den militärischen Katastrophen, wächst der Einfluss der Generale und "Hitler hat ostentativ Himmler als Innenminister zur Schau gestellt, - eine offizielle Warnung an die Armee und das Volk, dass ein deutscher Badoglio nur über die Leiche des letzten Nazi zur Macht kommen könnte".


Eine "Badoglio-Entwicklung" als Ende des Dritten Reiches
hält Pihl für unwahrscheinlich. Die deutschen Generale sind keine Politiker und haben keine Führer-Qualitäten. Sie sind ausserdem gegenwärtig vollkommen mit Fragen der Disziplin und der militärischen Schwierigkeiten beschäftigt. Von den deutschen Soldaten sagt Pihl, dass sie sich in 4 Kriegsjahren gründlich verändert haben. "Die Männer, die ich nach Polen und Frankreich marschieren sah, sahen wie gut trainierte Fussballer aus. Sie waren die Creme der Hitler-Jugend, die dazu erzogen war, für den Führer zu sterben. Heute sind 60% dieser Knaben begraben, die meisten davon in Russland, und andere sind als Dauer-Invaliden heimgekehrt. Man sieht sie überall in den Strassen Berlins, ohne Beine, ohne Arme und blind. Ihre Plätze an der Front wurden mit jedem besetzt, der ein Gewehr tragen kann: Knaben unter 20 und Männer über 50. Aber selbst die Jungen sehen alt aus. Ihre langen hageren Gesichter erzählen Furchtbares vom russischen Winter, was sie selbst zu erzählen nicht intelligent genug sind. Sie halten aus, weil die Disziplin sie daran hindert, peinliche Fragen an ihre Vorgesetzten zu richten. Aber alle Urlauber, die ich traf, sagten dasselbe: "Alles, nur nicht nach Russland zurück."


Die ursprüngliche deutsche Armee,
berichtet Pihl, war praktisch noch intakt, als Brauchitsch im Herbst 1941 entlassen wurde. Er wollte sie vor dem tödlichen Schlag bewahren, den sie erlebte, als Hitler die Winter-Offensive gegen Moskau befahl, ohne seine Soldaten mit der nötigen Kleidung und Ausrüstung zu versehen. Von diesem Schlag hat sich die Armee nie mehr erholt. "Deutschland ist nie zuvor und nie seitdem der Niederlage so nahe gewesen, nicht nur wegen der Katastrophen im Felde, sondern auch wegen der steigenden Woge der Rebellion unter den Offizieren des Generalstabes gegen die Einmischung des Führers in militärische Probleme."

Pihl berichtet, er habe aus guter Quelle gehört, dass Weihnachten 1941 eine Gruppe von Generalstabsoffizieren ein Attentat auf Hitler versuchte. Hitler entliess einen seiner Generale nach dem anderen, weil sie an seinen dilettantischen strategischen Plänen Kritik übten, darunter Halder[3] und Bock[4], von dem Pihl die Anekdote berichtet, dass er auf die Frage des berühmten Dirigenten Furtwängler[5], warum Hitler denn einen so fähigen Feldmarschall wie ihn entlassen habe, die Antwort gab: "Ach, Herr Furtwängler, wenn der Führer Mundharmonika spielen könnte, müssten auch Sie sich nach einer anderen Stellung umsehen." Stalingrad bezeichnete das Ende einer Epoche: Halder kehrte zurück und führte mit Manstein[6] den grossen Rückzug durch.


Die Stärke der Hitlerschen Armeen
veranschlagt Pihl im "Daily Telegraph" folgendermassen: 4 Millionen Mann Infanterie, 320.000 Mann Panzertruppen, 1 Million Luftwaffe, 1 Million Artillerie und Reserve, 2 Millionen Todt-Organisation, ausserdem 300.000 Rumänen, 250.000 Kroaten und Slowaken und 400.000 Finnen. Die Verluste in den vier Kriegsjahren schätzt Pihl auf 3 Millionen, das Ergebnis der "totalen Mobilisierung" Anfang 1943 auf 2 und einhalb [!] Millionen, sodass die deutschen Truppen allein noch immer annähernd 8 Millionen Mann stark sind. Aber wenn auch die Elite-Truppen noch immer ausgezeichnet sind, sind die gewöhnlichen Truppen zweitklassig, und die totale Mobilisierung hat Leute an die Front gebracht, die früher entweder aus Gesundheitsgründen abgelehnt wurden oder sich drei Jahre lang gedrückt hatten.

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Ueber das Benzin-Versorgungsproblem
schreibt Pihl, dass bis Ende 1941 die deutsche Armee jährlich 12 Millionen Tonnen verbrauchte und seitdem der Verbrauch auf 9 Millionen herabgesetzt wurde. Davon werden 3 Millionen von der IG-Farben synthetisch hergestellt, 1 und ein halb [!] Millionen aus Galizien, 4 und einhalb [!] Millionen aus Rumänien importiert. Die Reserve ist jetzt auf 3 Millionen zusammengeschmolzen.

Von der Luftwaffe berichtet Pihl die schon bekannte Tatsache, dass sie sich immer mehr auf Jagdflugzeuge umgestellt hat, von der Flotte, dass die grossen Schiffe auf Hitlers Befehl nicht ausfahren, um eine Wiederholung der "Spee"- und "Bismarck"-Versenkungen zu vermeiden, während gleichzeitig die auf den U-Boot-Krieg gesetzten Hoffnungen seit der Landung in Nordafrika schwinden. Pihl berichtet weiter


über den wirtschaftlichen Zustand Deutschlands.
Danach sind 90% aller deutschen Einkommen von mehr als 30.000 Mark im Jahre konfisziert und die Aktien von 80 an der Börse notierten Gesellschaften der Regierung für Kriegszwecke "geliehen" worden. Auch 98% der Fonds der Versicherungsgesellschaften und bis zu 90% der Bank-Guthaben sind der Regierung zur Verfügung gestellt worden, wofür die Versicherungen und Banken wertlose Gutscheine der Regierung erhielten.

Auch die meisten grossen Industrie-Unternehmen sind "bolschewisiert" worden: Die Regierung kaufte die Aktien auf oder setzte ihre Kontrolleure in den Aufsichtsrat. Die gesamte Produktion ist auf Kriegsbedarf umgestellt, ebenso die Landwirtschaft. Die Unzufriedenheit der Grossindustriellen und Grossgrundbesitzer mit dieser Kontrolle könnte nach Pihls Meinung zu ihrer Koalition unter Hinzuziehung der Generale zur Bildung eines "rechten Flügels" im Gegensatz zu der "radikal sozialistischen Masse des deutschen Volkes" führen.


Die Einkünfte der Bevölkerung in Deutschland
sind nach Pihls Beobachtungen sehr gering. In der Kleinstadt Hameln verdienen nur 12% über 3.000 Mark im Jahre und 34,7 % weniger als 1.000 Mark jährlich. Auf dem Lande ist es noch ärger. Aber trotzdem gibt es viel Geld in Deutschland, weil die Leute nichts kaufen können. In den Berliner Läden kann man nichts kaufen "ausser Lebensmitteln und den allernötigsten Kleidungsstücken."

Trotz aller Regierungs-Aufrufe weigern sich die meisten, ihr Geld auf die Sparkasse zu tragen. Aus Misstrauen gegen die Nazi-Versprechen ziehen sie es vor, die Banknoten zu hamstern, die dann bei Luftangriffen oft genug vernichtet werden.

Die Nazis haben die Ausplünderung auf den ganzen europäischen Kontinent ausgedehnt, der - mit Ausnahme Schwedens, der Schweiz und der Türkei - heute ein "einziges grosses Armenhaus" geworden ist. Weitaus am interessantesten scheint uns, was Pihl über


die innerpolitische Situation Deutschlands
berichtet. Nach seiner Darstellung wird Deutschland praktisch von Himmler und Bormann[7], dem Nachfolger von Hess, regiert. "Diese beiden Männer sind die einzigen in Deutschland, die Hitler stürzen könnten, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie es tun werden, - ausser im alleräussersten Falle. Mit Himmler und Bormann verglichen, sind alle anderen Nazi-Führer unbedeutend, von denen Ribbentrop der unpopulärste und Goering der unzuverlässigste ist. Es ist ein verbreitetes Gerücht in Berlin, dass er bereits über die Schweiz und die Familie v. Rosen[8] in Schweden mit den Alliierten in Fühlung getreten ist und nach Möglichkeit aus diesem Kriege als grosse Nummer herauskommen möchte." Pihl meint, Goering könnte sich für die Alliierten als ein "Badoglio" nützlich erweisen, aber in diesem Falle rät er, ihn sobald wie möglich wieder fallen zu lassen. "Er ist ein genauso grosser Gangster wie die anderen, aber geniesst eine gewisse Popularität." Pihl weist darauf hin, dass es Hitlers Politik sei, die Nazi-Führer gegeneinander auszuspielen, sodass keiner von ihnen mächtig genug werden kann, um die Stellung Hitlers zu gefährden.

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Eine organisierte Opposition gegen die Nazis
besteht in Deutschland nach Pihl Ansicht nicht. Aber es existiert eine Opposition, "die sehr dicht unter der Oberfläche brodelt und den Siedepunkt sofort erreichen wird, wenn die militärische Niederlage zum Zusammenbruch der Moral in der Heimat und an der Front führt. Aber Tatsache ist, dass ein Widerstand gegen den Nazismus in dem von der Gestapo kontrollierten Deutschland eine physische Unmöglichkeit ist. Dennoch gibt es Millionen von Menschen in Deutschland, die auf den Augenblick warten, in dem sie ihren Hass gegen die Nazi-Partei entladen können."
Pihl bespricht dann


die möglichen Widerstandsgruppen im Dritten Reich.
Die Armee, sagt er, stelle die einzige wirkliche Gefahr für das Nazi-Regime dar, einfach aus dem Grunde, dass sie organisiert ist. Aber ihre politische Schwäche liegt in der preussischen Gehorsams-Tradition der Offiziere, und er glaubt, die Armee werde sich nicht erheben, bevor die Niederlage oder der Zusammenbruch der Heimatfront eintritt. Pihl weist dann auf die Haltung einiger katholischer Bischöfe und auf die - bei der Masse des Volkes unpopulären - Monarchisten hin, die äusserst aktiv sind und um die Unterstützung der ostpreussischen Grossgrundbesitzer und der westdeutschen Industriellen für den Hohenzollern-Prinzen Louis Ferdinand[9] werben.

Ihren Erfolg hält Pihl für zweifelhaft, ebenso den der Kommunisten, die bis vor zwei Jahren viel Anhang in Deutschland hatten, der aber inzwischen fast geschwunden ist. Als Gründe dafür gibt Pihl an:

"Erstens ist die Bolschewisierung des deutschen Nazi-Staates - durch totale Mobilisierung und Staatskontrolle der Industrie - so weit gegangen, dass dem deutschen Volk klar wurde, dass Kommunismus den Verlust alles dessen bedeutet, was sie für angenehm und bequem halten. Zweitens haben deutsche Soldaten von der Ostfront derartige Berichte von Trostlosigkeit und Armut in Russland heimgebracht, dass die Vorstellung eines russisch-kommunistischen Staates der Mehrheit der Deutschen abschreckend erscheint."

Und Pihl fährt fort: "Aussichtsreichere Oppositionelle sind


die Sozialdemokraten und Arbeiter,
die ein parlamentarisches System nach englisch-amerikanischem Muster wünschen und Gewerkschaften und ein richtiges demokratisches Leben, wie es die Angelsachsen auffassen." Und Pihl fügt hinzu: "Ich schätze, dass über 50% des deutschen Volkes heute heimlich im Herzen zu dieser Partei gehören, die ich, wenn ihr die Alliierten helfen, als schliessliche Nachfolger der Nazis in der Macht betrachte."
Am Ende wagt Phil einen


Blick in die nächste Zukunft.
Militärisch gibt es für Deutschland nur noch die Fortsetzung der "elastischen Defensive". Im Osten bereitet man den Rückzug auf die Linie an der polnischen und rumänischen Grenze, am Bug und am Dnjepr, vor. Den Balkan hofft man halten zu können. "Die grösste Furcht der Hitlergenerale ist nicht, dass die Rote Armee sie im Felde zerbricht - sie hoffen auf einen Ermüdungskrieg an der Ostfront -, sondern dass die Heimatfront zusammenbricht. Sie ist mit Sieges-Verheissungen nicht mehr aufzumuntern, aber mit Androhungen dessen, was die Niederlage zur Folge haben würde.

"Die 13 Millionen ausländischer Arbeiter in Deutschland und die weiteren Millionen Kriegsgefangenen erinnern sie ständig an den Hass der besetzten Länder." Pihl sagt: "Wahrscheinlich wird die Heimatfront zusammenbrechen, wenn die militärischen Niederlagen einen Umfang annehmen, der die Arbeiter erkennen lässt, dass keine ihrer Bemühungen die Niederlage abwenden kann. Wahrscheinlich wird die Macht der Gestapo zusammenbrechen, wenn die militärischen Anforderungen an ihren Personalbestand ihren Fanatismus so geschwächt haben, dass grosse Teile von ihr zum Volke übergehen werden, - ein Vorgang, der bereits in grösserem Umfang begonnen hat, als irgend jemand ausserhalb Deutschlands zu träumen wagt."

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Die Hoffnungen der Nazis
sind [auf] ein militärisches Wunder oder die Erreichung eines "diplomatischen Sieges", z.B. einen Separatfrieden mit Russland, [gerichtet].
Pihl glaubt nicht, dass Deutschland schon im Winter 1943 zusammenbrechen wird, sondern dass der Zusammenbruch im Herbst oder Winter nächsten Jahres erfolgen wird, wenn nicht ein Riss im Lager der Alliierten erfolgt.


Ueber Deutschlands politische Zukunft
sagt Pihl: "Nach meiner Ansicht wird die politische Geschichte des Vierten Reiches am wahrscheinlichsten folgende sein: Zunächst eine Uebergangszeit militärischer Diktatur, denn das dem Zusammenbruch des Nazismus folgende Regime muss die Macht haben, die zur Unterdrückung von Anarchie und zur Herstellung von Ordnung nötig ist.

Zweitens ein parlamentarisches Zweiparteien-System nach amerikanischem Muster, nach Grundlinien, die von den Alliierten entworfen werden, mit Unterstützung aufgeklärter deutscher Emigranten wie Heinrich Brüning und Joseph Wirth.[10]

Drittens allgemeine Wahlen nach normalem demokratischen Muster. Es ist meine feste Ueberzeugung, dass der Plan in Deutschland durchführbar ist, unter der einzigen Voraussetzung, dass die Alliierten dafür sorgen, dass die für seinen Erfolg nötigen wirtschaftlichen Bedingungen vorhanden sind."


. - o O o - .

In einer gleichzeitig im Londoner "Daily Express" erscheinenden Schilderung der Zustände in Deutschland aus der Feder eines anderen schwedischen Korrespondenten, Arvid Fredbork[11] finden sich ebenfalls bemerkenswerte Urteile, die wachsende Kriegsmüdigkeit, Sabotage, Materialmangel, zunehmende Desorganisation und mehr Hinrichtungen von Opponenten aller Klassen bestätigen.

Arvid Fredborg schildert, wie die Opposition gegen das Regime durch alle Schichten geht, bis in Himmlers Aemter hinein. Bereits im herbst 1942 wurde die Zahl der illegal in Deutschland lebenden Menschen auf 150.000 geschätzt. Seither wächst sie. Mit den Pässen der ausländischen Arbeiter, gefälschten Papieren und mit Lebensmitteln wird ein umfassender Schleichhandel betrieben.


Ueber die innenpolitischen Kräfteverhältnisse
und die einzelnen Oppositionsgruppen sagt Fredborg: "Die Sozialdemokraten bilden weiter eine starke Gruppe in der Klasse der Industriearbeiter. Obwohl die Nazis die alte Sozialdemokratie geköpft haben, sind die Millionen ihrer Anhänger nicht verschwunden. Heute umfassen sie noch einen bemerkenswerten Sektor unter den älteren Arbeitern und jüngeren Beamten. Sie stützen sich auf Reste der alten Gewerkschaftsbewegung, welche sich in gewissen Teilen der Arbeitsfront fest etabliert haben."

Für die Kommunisten sei ein fruchtbarer Boden vorhanden, aber sie hätten ihre Stärke noch nicht gezeigt. Aus liberalen Mittelschichten und Intelligenzkreisen gingen gefährliche Opponenten des Regimes hervor, doch fehle ihnen ein konkretes Programm. Die Monarchisten seien noch immer zahlreich, aber ohne zugkräftigen Thronbewerber.

Die katholische Kirche erfreue sich mutiger Wortführer, wie Bischof von Galen, und einer unerschütterten Basis. Neben der Kirche, glaubt Fredborg, werde auch die Hochfinanz das Regime überleben. Er schildert sie wohlorganisiert, im Besitze eines guten internen Nachrichten-Dienstes und vieler Verbindungen.

Die Armeekreise seien mächtig, doch uneinig und als Instrument politischen Eingreifens wenig geeignet. Nur eine grosse Krise könne sie auf die Szene bringen. Allgemein sei die Opposition dem Regime technisch hoffnungslos unterlegen. Im Zuge äusserer Ereignisse oder bei einem Bruch in der Nazipartei werde jedoch ihre Stunde kommen.


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Editorische Anmerkungen


1 - Zu Gunnar T. Pihl konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

2 - Gemeint ist die Wehrmacht.

3 - Franz Halder (1884 - 1972), 1938-1942 Generalstabschef des Heeres. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet, überlebte den Krieg in einem Konzentrationslager.

4 - Fedor von Bock (1880 - 1945), 1940 Generalfeldmarschall, im Juli 1942 Befehlshaber der Heeresgruppe Süd (in der Sowjetunion), abgelöst, als seine Operationen ins Stocken gerieten.

5 - Wilhelm Furtwängler (1886 - 1954), deutscher Dirigent von Weltruf. Während der NS-Zeit Aushängeschild der NS-Kulturpolitik.

6 - Erich von Manstein (1887 - 1973), 1939 Generalstabschef der Heeresgruppe Süd, Juli 1942 Generalfeldmarschall; es gelang ihm, die nach dem Debakel von Stalingrad zurückflutenden deutschen Streitkräfte neu zu organisieren.

7 - Martin Bormann (1900 - 1945), 1933-1941 Stabsleiter beim "Stellvertreter des Führers" Rudolf Hess, dann Leiter der NSDAP-Kanzlei und Sekretär Hitlers.

8 - Um welche "von Rosen" es sich handelt, lässt sich nicht feststellen. In dt. Nachschlage-werken werden noch folgende schwedische Personen erwähnt, wobei eine Beziehung dieser Personen nach Deutschland nicht nachgewiesen werden kann: a) Eric von Rosen (geb. 1879), schwedischer Völkerkundler und Forschungsreisender, b) Georg von Rosen (1843-1923), schwedischer Maler.

9 - Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1909 - 1967).

10 - Joseph Wirth (1879 - 1956), deutscher Zentrumspolitiker, 1919-1933 Mitglied der Nationalversammlung und des Reichstags, 1921-1922 Reichskanzler und in der gesamten Weimarer Republik verschiedene Ministerfunktionen, ab 1933 im Exil (Schweiz). 1948 Rückkehr nach Deutschland, gründete 1953 den Bund der Deutschen, der gegen eine Westintegration der Bundesrepublik Deutschland und für die Neutralisierung Gesamtdeutschlands eintrat.

11 - Zu Arvid Fredborg konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.




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