SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This Newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 50 - 1943

Juni 1943

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Der einzige Kontinent, auf dem die Militaermaechte des Faschismus ausserhalb Europas und Asiens Fuss fassen konnten, ist nach der Kapitulation der Achsen-Heere in Tunesien befreit. Das lange Kapitel des Kampfes um Afrika und den Suez-Kanal hat seinen fuer die Alliierten triumphalen Abschluss gefunden. Die "unbesieglichen" Heere Hitlers und seiner Verbuendeten haben nach dem Debakel von Stalingrad die zweite schwere Niederlage erlitten, und abermals haben Hunderttausende ihrer Soldaten den Weg in die Gefangenschaft angetreten, diesmal nicht elend und verzweifelt, sondern froehlich und zufrieden.[1]

Der Kampf um Afrika ist beendet. Der Kampf ums Mittelmeer, der das Vorspiel zum Kampf um Europa ist, hat, zunaechst in der Luft, begonnen. Wo und wann der Stoss auf den Kontinent erfolgen wird, von dessen Befreiung vom Tyrannenjoch die Freiheit und Zukunft der Welt abhaengt, ist eine Frage, die heute von jedem gestellt, aber nur von den Tatsachen beantwortet werden kann. Hitlers Verteidigungs-System war auf die Atlantik-Kueste eingestellt, jetzt ist die gesamt Suedkueste und Suedostkueste Europas bedroht und man hat den Eindruck, dass die britischen und amerikanischen Stabschefs[2], die in Washington mit Roosevelt und Churchill berieten, weniger die Aufgabe hatten, eine Moeglichkeit zum Angriff zu finden, als unter den vorhandenen Moeglichkeiten die beste - oder die besten - auszuwaehlen. - Bis die Beschluesse von Washington in die Tat umgesetzt werden, werden wir eine Zeit hoechster Bereitschaft durchleben: Bereitschaft zum Sieg auf der Seite der Alliierten, Bereitschaft zu verzweifelter Abwehr und Gegenwehr auf Seiten Hitlers und seiner Verbuendeten.

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Alle Anzeichen sprechen dafuer, dass Hitler zum dritten Male eine Offensive im Osten unternehmen will. Heute wie damals duerfte er an einen Flankenstoss durch die Tuerkei denken, nachdem die Frontalangriffe gegen Leningrad, Moskau und Stalingrad fuer seine Armeen so opferreich und erfolglos endeten. Aber heute ist die Tuerkei weit besser geruestet als vor einem Jahre, und waehrend damals noch das Afrikakorps und die italienischen Divisionen dicht vor Alexandrien standen, befinden sie sich nun irgendwo in britischen und amerikanischen Gefangenenlagern.

Sicher hofft Hitler auch diesmal wieder auf eine japanische Aktion. Aber so bedrohlich die Macht und Stellung der Japaner im Fernen Osten ist, so gross die Gefahr ist, in der sich China befindet, so unbefriedigend die Lage Indiens und so verstaendlich die Bedenken, die man in [den] USA und Australien gegen eine moegliche Unterschaetzung des fernoestlichen Feindes hat, - so wenig entscheidende Hilfe kann unter den jetzigen Umstaenden Japan noch seinem europaeischen Bundesgenossen bringen, selbst wenn es dazu die Absicht haette. Hitlers Truppen sind zu entfernt und schon zu verbraucht, um noch eine ernsthafte Aussicht auf eine Vereinigung mit den "gelben" Waffenbruedern irgendwo in Asien zu haben.

Nach der Eroeffnung der amerikanischen Offensive auf den Alëuten und den Andeutungen, die in Washington fielen und die erneut eine aktivere Mitarbeit der Sowjetunion im Fernen Osten erhoffen lassen, scheint es eher, dass auch Japan bald in die Rolle der "belagerten Festung" geraten wird. - Es bedarf keiner besonderen Begruendung, dass wir als deutsche und europaeische Sozialisten unsere Aufmerksamkeit vor allem auf dieses Feld der Entscheidungen richten. Wir haben oft betont, dass es sich dabei nicht um militaerische Entscheidungen allein handelt; und die Entwicklungen der letzten Wochen haben diese Voraussage bestaetigt. Die politischen Experimente in Nordafrika haben bewiesen, dass es unmoeglich ist, die politischen Fronten innerhalb der europaeischen Nationen zu ignorieren, dass es gefaehrlich ist, sich mit den Maechten der Reaktion "verstaendigen" zu wollen, und dass es unwirksam ist, ein "nationales" Regime einsetzen zu wollen, dessen politische Basis und dessen anti-faschistische und soziale Tendenz unklar ist.

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Die Einigung zwischen Giraud und de Gaulle, die jetzt endlich in greifbare Naehe gerueckt ist, wird ein bedeutsamer Schritt zur Klaerung sein, wenn sie die Ausschaltung der Vichy-Elemente und die Herstellung einer festen Verbindung mit den oppositionellen Massen in Frankreich bringt. Sie wird, wenn sie das erreicht, wegweisend fuer die Politik sein, die zur Befreiung auch der anderen Laender Europas einzuschlagen ist. Denn Befreiung ist es, was sie erwarten, und nicht soziale Reaktion oder nationalistische Demagogie, die zu neuen inner-europaeischen Kriegen fuehren muesste. Deshalb haben die Zwischenfaelle, die zum Abbruch der Beziehungen zwischen der Sowjet-Regierung und der polnischen Exilregierung und zur Suspendierung der tschechisch-polnischen Foederations-Verhandlungen fuehrten, mit Recht Besorgnis und Aufmerksamkeit erweckt.[3] Die unerfreulichen Zwischenfaelle waren nicht nur ein neues Geschenk fuer Goebbels' Propaganda; sie sind ein deutlicher Hinweis auf Probleme in Ost-Europa, die nicht ungeloest und unwidersprochen bleiben duerfen, wenn nicht vergewaltigte Minderheiten, willkuerliche Grenzen, Expansions-Gelueste und nationale Vernetzung wieder zum Naehrboden eines neuen europaeischen Krieges werden sollen.

Wir glauben, die traurigen Vorkommnisse werden den westlichen Demokratien deutlicher noch als bisher die grosse Aufgabe zeigen, die ihrer harrt; wir hoffen und glauben vor allem, dass sie ein Signal fuer die internationale Arbeiterbewegung sein werden. Deshalb sind alle Schritte zu begruessen, die Hindernisse auf dem Wege zur Einigung beiseite raeumen.

Die Aufloesung der Komintern[4] koennte ein erster Schritt auf diesem Weg sein. Sie kann die furchtbaren Wunden nicht vergessen machen, die der europaeischen Arbeiterbewegung durch die Spaltung geschlagen wurden; sie kann auch die Haltung nicht vergessen lassen, die die Kommunisten zum Krieg gegen Hitler einnahmen. Aber sie kann dazu beitragen, dass sich diese Dinge nicht wiederholen. - Auf der bevorstehenden Pfingst-Konferenz der Labour Party wird unsere britische Bruderpartei als erste Gelegenheit haben, zu der neuen Situation Stellung zu nehmen. Die Beschluesse, die sie fassen wird, werden von grosser Bedeutung sein. Und da neben vielen Fragen der Innenpolitik auch die grossen Fragen der internationalen

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Die durch Harold Laski in den "Left News" angeregte Debatte, über deren Verlauf wir in den SM berichteten, hat in der Mai-Nummer ihren Abschluss gefunden.

Berl Locker, Vorstandsmitglied der palästinensischen Arbeiterpartei, erklärt in einem Rückblick auf die Entwicklung der Sozialistischen Internationale nach dem Kriege, dass sie bis zur Machtergreifung Hitlers in Deutschland darauf hinarbeitete, eine koordinierte Politik der Arbeiterparteien zur Stärkung des Völkerbundes und zur friedlichen Lösung der Differenzen zwischen den Staaten herbeizuführen und fügt hinzu: "Das hätte nicht ohne die loyale Mitarbeit der sozialistischen Parteien in den bedeutendsten Ländern erreicht werden können, einschliesslich - wie man gerechterweise betonen muss - der deutschen Sozialdemokratie, deren Kampf für die Erfüllung der Versailler Verpflichtungen unter Bedingungen geführt wurde, die nicht weniger schwierig waren als die für die internationale Versöhnungspolitik, die von den Parteien der Siegernationen vertreten wurde." Locker sagt weiter: "Diese Situation ging zu Ende, als in einem der entscheidenden Länder, nämlich Deutschland, die Arbeiterbewegung aus dem Felde geschlagen wurde und nicht mehr fähig war, die Politik ihres Landes irgendwie zu beeinflussen, womit sie aufhörte, ein wirksamer Partner einer gemeinsamen Politik zu sein. Hier liegt wahrscheinlich eine der Quellen für die Zweifel und Bedenken hinsichtlich der Versuche, die Internationale heute wiederzubeleben, obwohl kaum jemand leugnen wird, dass es erwünscht und sogar unbedingt notwendig ist. Wenn der Glaube bestände, dass die deutschen sozialistischen Führer im Exil fähig sind, in irgendeinem Mass den Lauf des Krieges und die Haltung des deutschen Volkes zu beeinflussen, würde die umgekehrte 'Rassen-Theorie', die aufs ganze deutsche Volk angewandt wird, kein Echo in den Reihen der alliierten Arbeiterbewegung gefunden haben. Leider fehlt dieser Glaube, und niemand wird leugnen, dass dieser Zweifel verständlich ist."

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Locker wendet sich jedoch gegen die Folgerungen, die von den "Rasse-Theoretikern" gezogen werden. "Wenn alle, die es angeht, an die Probleme nicht mit Aufwallung, sondern realistisch herangehen würden, dann sollte es sich nicht als unmöglich erweisen, eine gemeinsame Sprache für alle zu finden, einschliesslich der deutschen Sozialisten." Und er sagt weiter: "Das andere Deutschland existiert. Seine Macht ist heute sicher gering. Aber wenn wir, wie ich es tue, an seine Aufrichtigkeit glauben, dann scheint es klar, dass wir alles tun sollten, um seine Hände zu stärken. Es kann die Aufgabe nicht allein erfüllen, aber es kann einen Anteil daran haben, der mit der Zeit wachsen kann, wenn sie eine gerechte Chance hat ..." Locker weist gleichzeitig die deutschen Sozialisten und Gewerkschafter darauf hin, dass das Schlagwort von der Wiedererziehung Deutschlands" nicht ein blosser Ausdruck von Kriegspsychose und Racheleidenschaft ist, sondern auch ein Ausdruck für die Notwendigkeit, die vom Hitlerismus vergiftete deutsche Jugend wieder normal zu machen und eine wahre Freundschaft zwischen einem neuen Deutschland und der Welt zu ermöglichen. "Ich bin mir bewusst", sagt Berl Locker, "dass das deutsche Problem nicht die einzige Schwierigkeit auf dem Wege zu internationaler Aktionseinheit darstellt. Aber das deutsche Problem kann den Prüfstein für die Fähigkeit der internationalen Arbeiterbewegung bilden, aus diesem Sturm als führende Kraft in der Nachkriegswelt hervorzugehen."

Der österreichische Sozialist Julius Braunthal, der Redakteur des "International Socialist Forum", schreibt u.a.: "Als die Exekutive der Sozialistischen Arbeiter-Internationale zum letzten Male im Februar 1940 zusammentrat, betrachtete sie die Vorbereitung einer sozialistischen Charter für den kommenden Frieden als Selbstverständlichkeit. Nicht der leiseste Widerspruch deutete darauf hin, dass ein gemeinsames Ziel für die internationale Arbeiterbewegung fehle. Die Exekutive der Internationale stellte nicht einen Augenblick die Möglichkeit in Frage, eine Einigung über eine Erklärung internationaler sozialistischer Friedensziele zu erreichen, und betraute demgemäss eine Kommission mit dem Entwurf dieses Dokuments, das der nächsten Exekutiv-Sitzung unterbreitet werden sollte. Aber diese Erwartung blieb unerfüllt, nicht weil die Bemühungen um

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eine gemeinsame Erklärung misslangen, sondern weil der Präsident der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, der in der gleichen Sitzung der Exekutive gewählt worden war, das ernannte Komitee oder die Exekutive einzuberufen unterliess. Selbstverständlich erklärte er die Sozialistische Arbeiter-Internationale nicht für aufgelöst; aber tatsächlich machte er ihrer Existenz ein Ende." Braunthal weist darauf hin, dass für diese Entwicklung ideologische Gründe verantwortlich sind. "Unter dem Eindruck der schrecklichen Leiden Hollands, Belgiens und Frankreichs nach ihrer Eroberung durch Hitler lieferten sich einige bedeutende Sozialisten mehrerer Länder immer mehr der steigenden Flut nationalen Hasses aus. Sie ersetzten schrittweise die Grundprinzipien des internationalen Sozialismus durch nationale und sogar imperialistische Gedanken. Für diese Sozialisten ist der Feind nicht nur der Hitlerismus, sondern ebenso die deutsche Arbeiterklasse. Es gibt prominente Sozialisten in einigen Ländern, die auch den letzten Rest der internationalen sozialistischen Vorstellungswelt ausgetilgt zu haben scheinen. Wir bemerken das erstaunliche Schauspiel eines Wettlaufs zwischen Sozialisten und Konservativen in nationalistischen Aspirationen, - eines Wettlaufs, den die Sozialisten zu gewinnen scheinen.

Wenn Sozialisten zu Nationalisten werden und mit imperialistischen Bestrebungen und nationalem Hass wetteifern, wie kann es da ein gemeinsames Ziel für eine internationale Arbeiterbewegung geben? Ausser dem gemeinsamen Ziele, die Niederlage der Achsenmächte zu wünschen, gibt es kein gemeinsames Ziel für polnische und ukrainische, tschechische und sudetendeutsche, polnische und tschechische, litauische und polnische Sozialisten. Und wie kann man ein gemeinsames Ziel für deutsche Sozialisten und jene finden, die diesen Krieg nicht als Krieg gegen Deutschlands herrschende Klasse, sondern auch gegen Deutschlands Arbeiterklasse betrachten, mit dem Ziele, sie durch Aufteilung und Entindustrialisierung Deutschlands zu zerstören? Wenn das der Geisteszustand einer Anzahl verantwortlicher Sozialisten ist, dann erscheint der Weiterbestand der Sozialistischen Arbeiter-Internationale tatsächlich

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unvorstellbar. Aber ich weiss nicht, ob auch die Massen der europäischen Arbeiterbewegung bereit sind, den kostbarsten Schatz ihres sozialistischen Glaubens aufzugeben."

Harold Laski stellt in seinem Schlusswort zur Debatte fest, dass über folgende Punkte Einmütigkeit herrscht: 1. dass eine einzige und allumfassende Internationale nötig ist und dass Diskussionen zu diesem Zwecke noch vor Ende der Feindseligkeiten beginnen sollten; 2. dass die jetzigen Arrangements zwischen der britischen Labour Party und den ausländischen sozialistischen Parteien in Grossbritannien unbefriedigend sind; 3. dass die Möglichkeit geprüft werden soll, eine Körperschaft zu bilden, die wenigstens die Punkte zu formulieren hätte, mit denen sich die Sozialistische Internationale nach Kriegsende zu beschäftigen haben wird.

Laski sagt weiter, diese Körperschaft könnte aus Genossen gebildet werden, deren Platz in der internationalen sozialistischen Bewegung über jeden Disput erhaben ist wie de Brouckère und Huysmans, Albarda und Félix Gouin. Die Körperschaft könnte Kontakt mit den Genossen in den besetzten Ländern herstellen und ihnen neuen Mut geben. Es wäre eine grosse Zeitersparnis, wenn diese Körperschaft die Agenda für die Nachkriegszeit bereits im voraus diskutieren könnte, und wenn die Beratungen veröffentlicht würden, wäre eine höchst bedeutsame Arbeit. Unter den Hauptpunkten, die zu erörtern wären, erwähnt Laski das Nationalitätenproblem, "von dem es leider klar ist, dass viele sogenannte Sozialisten noch immer viel Erziehung brauchen" und die durch die anglo-amerikanische Politik in Nordafrika, Spanien und Italien aufgeworfenen Probleme der Zusammenarbeit der Westmächte mit Faschisten oder Halb-Faschisten.

Laski weist dann erneut auf die Wichtigkeit hin, eine wahre Einigkeit mit der Sowjetunion herzustellen, um der Spaltung der Arbeiterklasse nach dem Kriege vorzubeugen. Das zweite wichtige Problem, von dem Laski spricht, sind die künftigen Beziehungen zu den deutschen Sozialisten und zu Nachkriegsdeutschland. "Es hat keinen Zweck, unsere Augen vor der Tatsache zu verschliessen, dass ein Teil der Sozialisten der Vereinten

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Nationen es nicht nur ablehnt, die von Churchill und Stalin gemachte Unterscheidung zwischen Nazis und Deutschen selbst zu machen, sondern sogar die historischen Tatsachen zu missachten versuchen, indem sie deutsche Sozialisten so behandeln, als wären sie bewusste Instrumente des deutschen Imperialismus. Es gibt sogar Leute, die schamlos genug sind zu behaupten, dies wäre schon seit vielen Jahren der Fall gewesen, obwohl sie niemals ihre Entdeckung ihren eigenen Genossen berichteten, noch die Deutschen dieses Verbrechens bei den vielen internationalen Konferenzen, den[en]} sie in den Jahren zwischen den Kriegen beiwohnten, beschuldigten. Wenn diese Leute von den Regierungen der Vereinten Nationen als authentische Stimmen des Sozialismus akzeptiert werden, dann wird Hitlers Niederlage die deutsche Frage nicht lösen, sondern sie nur in eine neue Phase bringen, die in einem neuen Kriege enden wird." Laski erklärt, man müsste die deutschen Sozialisten im Kampfe gegen eine Aufteilung Deutschlands, gegen die Bildung eines bayrisch-österreichischen Habsburger-Staates und ähnliche Pläne unterstützen. "Wenige Leute können soviel dazu tun, Deutschland die Sitten eines guten Nachbarn zu lehren wie die deutschen Sozialisten. Aber wenn wir unsere guten Genossen als Halb-Menschen behandeln, dürfen wir nicht überrascht sein, wenn sie sich als unwirksame Lehrer erweisen."

Zum Schluss erörtert Laski die Frage, wie die neue Körperschaft gebildet werden solle. Er schlägt vor, dass die drei letzten Präsidenten der sozialistischen Arbeiter-Internationale, Albarda, de Brouckère und Huysmans, sie einberufen sollten. Jede sozialistische Partei in London, ob britisch oder ausländisch, sollte zwei Delegierte ernennen, und zusammen sollten sie eine Kommission bilden, um die Probleme, die vor uns liegen, zu studieren. Ein Sekretariat und Subkommissionen wären zu bilden. Aber die Beschlüsse müssten von der Gesamtkörperschaft genehmigt werden. Sollten die Ex-Präsidenten der Internationale die Einberufung der Körperschaft auf britischem Boden für zu delikat halten, sollte der Vorsitzende der Labour Party die Einberufung vornehmen.

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Der Londoner Vertreter des französischen Sozialistischen Aktionskomitees Félix Gouin hat das Programm der Französischen Sozialistischen Partei bekanntgegeben, die diesen Namen wieder anzunehmen beschlossen hat.

Einleitend wird darauf hingewiesen, dass die Sozialisten sich berechtigt fühlen, Lösungen für die Krise eines Regimes vorzuschlagen, das sie seit 25 Jahren kritisierten und dessen Ende der Krieg besiegelt, aber nicht herbeigeführt hat. Auch wird darauf hingewiesen, dass schon jetzt inmitten des Krieges das Nachdenken über den Frieden notwendig ist, über seine politischen wie über seine sozialen Aspekte.

Das sozialistische Aktionskomitee, das Ende 1940 von Kämpfern der alten Sozialistischen Partei Frankreichs gegründet wurde, setzt sich die Aufgabe, alle Sozialisten, die Gegner der "Kollaboration" sind, zusammenzufassen im Entschlusse, für nationale Unabhängigkeit zu kämpfen; die Wiederbelebung der Sozialistischen Partei vorzubereiten, die, ohne alte Doktrinen und das alte Ideal der vollen Emanzipation der Arbeiterklasse aufzugeben, in ihren Methoden der neuen revolutionären Situation Rechnung tragen muss, vor allem den drei Tatsachen: Krise, Krieg und Faschismus, die auf der kapitalistischen Entwicklung beruhen; Kontakt mit allen Widerstandsorganisationen herzustellen, die für Frankreichs Befreiung arbeiten; die Londoner französische Regierung zu unterstützen; von dieser Regierung Anerkennung der nationalen oder internationalen Lösungen zu erlangen, die sich durch den Bankrott des kapitalistischen Systems als notwendig erweisen.

An politischen Massnahmen wird gefordert: Anerkennung der auf allgemeinem Wahlrecht begründeten Republik, Wiederherstellung aller bürgerlichen Freiheiten, Bildung einer Regierung, die sich in Übereinstimmung mit den republikanischen Widerstandsbewegungen befindet, Ernennung eines politischen Nationalrats durch die Regierung, dessen Aufgabe es sein wird, namens Frankreichs und seiner Kolonien den Friedensverhandlungen zu folgen und die allgemeinen Wahlen der verfassung-

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gebenden Versammlung vorzubereiten, bei denen auch Frauen das Stimmrecht haben sollen. Weiter wird gefordert, alle des Verrats und der Mitarbeit mit dem Feinde Schuldigen vor Gericht zu stellen, die Vichy-Regierung für illegal zu erklären, sofort zur republikanischen Gesetzgebung, die bis zum 25. Juni 1940 in Kraft war, zurückzukehren, und die politischen und administrativen Massnahmen der Vichy-Regierung zu annullieren oder zu revidieren sowie die durch diese Massnahmen betroffenen Personen wieder in ihre Ämter einzusetzen. Das neue Regime soll jede Mitarbeit von Personen zurückweisen, die in der Pétain-Regierung mitgearbeitet haben oder auf diplomatischem Gebiete für sie gearbeitet haben. Weiter wird die Kontrolle des Journalistenberufs und die staatliche Regelung der Finanzquellen der Presse gefordert sowie Unterdrückung von Verleumdungen. Das Kolonialstatut ist in Richtung auf Emanzipierung der Eingeborenen weiterzuentwickeln. Hilfsmassnahmen für deportierte und rekrutierte Elsass-Lothringer und ein Dekret werden gefordert, das den Opfern der Widerstandsbewegung und ihren Familien dieselben Rechte gewährt werden wie ehemaligen Frontkämpfern und ihren Familien.

An wirtschaftlichen und sozialen Massnahmen werden gefordert: die Einsetzung eines nationalen Wirtschaftsrates, der den sozialen und nicht mehr privaten Charakter der Wirtschaft in die Tat umsetzen soll. Die Regierung soll die völlige Beseitigung der Trusts aus dem nationalen und kolonialen Leben durchführen und Konkurrenz und Profit schrittweise abschaffen. Infolgedessen soll die Kriegswirtschaft demobilisiert und auf Friedensproduktion umgestellt werden, die wichtigen öffentlichen Arbeiten sofort wieder aufgenommen und erweitert werden, das Land wieder mit den nötigsten Lebensmitteln versorgt werden, Kredit und Banken, Versicherungen und Schlüsselindustrien sowie der Aussenhandel nationalisiert werden, ein Oberster Rat der nationalisierten Industrien geschaffen werden, die von der Vichy-Regierung gewährten Kredite genau nachgeprüft werden, und alle seit dem Waffenstillstand von der deutschen Regierung oder deutschen Gesellschaften oder Individuen erworbenen Aktien und Obligationen aller

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Art sollen dem französischen Staate übergeben werden. Zur Organisation der Landwirtschaft sollen nationale Ämter eingesetzt werden. Die Freiheit der Gewerkschaften ist wiederherzustellen, ein Nationalrat der Arbeit zu schaffen, die Sozialgesetzgebung der Zeit vor 1939 wiederherzustellen und zu verbessern.

An Finanzmassnahmen werden gefordert: der Schutz der Ersparnisse; Neuregelung der Steuern nach sozialen Gesichtspunkten; Unterdrückung des Steuerbetrugs, Einführung einer Sondersteuer auf übermässige Dividenden.

Zur Aussenpolitik wird gefordert: eine feierliche Versicherung, den Weltfrieden durch eine solide internationale Organisation zu festigen, die einen Überstaat bilden soll, dem die Nationen einen Teil ihrer Souveränität anvertrauen werden und der unter anderem die Verteilung der Rohstoffe, die Auswanderung, das Transportwesen, die Arbeitsbedingungen, Hygiene, öffentliche Arbeiten, Währungs- und Geldwesen zu regeln hat. Diese internationale Organisation, die auch die grossen internationalen Monopole ersetzen soll, soll eine eigene unabhängige Regierung haben, mit einem Budget und Steuern.

Schliesslich werden Justizmassnahmen gegen die an Niederlage und Kapitulation und an Gesetzesbrüchen des Vichy-Regimes Schuldigen gefordert.

Unter diesem Titel erscheint heute im Selbstverlag der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter eine kleine Schrift, die eine Fuelle von Material über Widerstandsregungen in Deutschland, ueber die Leiden der von Hitler unterdrueckten deutschen Freiheitskaempfer, ueber die Terror-Justiz des 3. Reiches enthaelt (Preis sh 1/-). Allen, die vorurteilsfrei an die Beurteilung der Frage herangehen wollen, ob und in welchem Umfang innere Widerstandsregungen in Deutschland als Bundesgenossen im gemeinsamen Kampf angesehen werden koennen, empfehlen wir diese Vervielfaeltigung[5]. Bestellungen sind an die Landesgruppe (Hans Gottfurcht, 20, East Heath Road, Flat 3, London, NW3) zu richten. Die Redaktion der "Sozialistischen Mitteilungen" ist bereit, Bestellungen weiterzuleiten.

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Mitglieder aus einer Reihe von Laendern haben in Stockholm einen Arbeitskreis gebildet, die im Winter 1942/1943 Erfahrungen austauschten und die Probleme des Wiederaufbaus nach dem Kriege besprachen[6]. Diese Genossen kamen aus freien und okkupierten, kriegfuehrenden und neutralen, halbfaschistischen und faschistischen Laendern. Diese Genossen fuehlten sich verbunden durch ihre demokratische Ueberzeugung und sozialistische Zielsetzung und waren erfuellt von vom Bewusstsein der grossen Mission der internationalen Arbeiterbewegung bei der Gestaltung des neuen Friedens. Als Ergebnis der Beratungen wurde eine Diskussionsgrundlage veroeffentlicht, die jedoch nicht von Parteien oder Organisationen, sondern nur unter persoenlicher Verantwortung jenes Stockholmer Kreises verbreitet wird.

Man wird dem "Sozialdemokrat" - der in seiner Anfang Mai erschienenen Nummer einen ausfuehrlichen Auszug bringt - zustimmen koennen, wenn er darueber sagt: "...Das Programm, das sie so erarbeitet haben, ist gewiss nicht das letzte Wort des demokratischen Sozialismus: Aber dass Norweger und Schweden, Tschechen, Polen und Ungarn, Franzosen und Deutsche das Verstaendnis und den Mut gefunden haben, ein ernstes Wort gemeinsam auszusprechen - was in London, unter an sich guenstigeren Voraussetzungen noch nicht geschehen ist - gibt dem Manifest eine Bedeutung, die nicht unterschaetzt werden soll, wenn auch die Verfasser nur als Personen, nicht als Wortfuehrer ihrer Bewegungen, sprechen."

Die Stockholmer Diskussionsgrundlage erklaert den Sieg der Vereinten Nationen ueber Hitlerdeutschland und seine Verbuendeten als die Voraussetzung fuer einen gerechten und dauernden Frieden. Da der militaerische Sieg nicht genuegt, werden die politischen, wirtschaftlichen und internationalen Ziele formuliert. Der Idee eines Rachefriedens wird eine Absage erteilt. Grenzziehungen sind auch unfaehig, das Problem der nationalen Minderheiten zu loesen. Es wird das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und der Schutz der Minderheiten gefordert. Weitere Kapitel sind der Bestrafung der Kriegsverbrecher, der Entwaffnung und Abruestung, der Foerderung einer "starken internationalen Rechtsorganisation", der Verstaendigung mit der Sowjetunnion, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Demokratisierung Deutschlands und der internationalen Arbeiter-Einheit gewidmet.

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wurde in diesem Jahre zum ersten Male seit 10 Jahren von allen sozialdemokratischen Fluechtlingsgruppen gemeinsam begangen. 600 Personen fuellten den Saal. Den Vorsitz fuehrte der schwedische Genosse Walter Aman von der Stockholmer Arbetarkommun[7]. Als Vertreter der SPD sprach Gen. Hahnewald, der in seiner Ansprache u.a. sagte:

"...Denn das darf keinen Augenblick vergessen werden: Auch das deutsche Volk ist unterjocht, auch Deutschland, das andere Deutschland, ist ein okkupiertes Land, erobert durch Gewalt und Terror. Der Ungeist von Potsdam hat den Geist von Weimar geknebelt - nicht fuer alle Zeiten, ja nicht einmal fuer tausend Jahre ... Als Sozialdemokraten sind wir in die Emigration gegangen, auf Schleichwegen ueber die Grenze. Und als die gleichen Sozialdemokraten werden wir eines Tages zurueckkehren, getreu unseren sozialistischen Idealen, getreu unserer demokratischen Ueberzeugung, als Gegner jeder Diktatur, unter welchem Vorzeichen sie immer auch auftritt. Wir wissen nicht, welche Kraefte sich erheben werden, wenn eines Tages das unterirdische Deutschland aufsteht. Vielleicht werden es zunaechst chaotische Kraefte sein - wir wissen es nicht. Aber das wissen wir, dass wir in kommenden innenpolitischen Auseinandersetzungen fuer unsere Ueberzeugung einstehen werden. Wir glauben an den Sieg des Sozialismus, und wir glauben an den Sieg der Demokratie, nicht nur als politisches, sondern auch als soziales und ethisches Prinzip, als moralisches Gesetz auch fuer die Beziehungen von Mensch zu Mensch. Grundideen der Menschheit werden nicht dadurch falsch, dass sie zeitweise von Millionen von Menschen, vielleicht von ganzen Generationen entstellt, vergessen oder verleugnet werden ...

Als Vertreter der deutschen Sozialdemokratie in der Emigration sende ich unsere Gruesse den schweigend Wartenden, den unsagbar Leidenden, den getreuen Gesinnungsfreunden, die den Tag herbeisehnen, da sie wieder ihre Stimme erheben koennen. Wir wissen aus vielen Verbindungen und Verknuepfungen, dass sie heute an uns denken, dass sie in erzwungenem Schweigen es uns zur Pflicht, zur Ehrenpflicht machen, dass wir aussprechen, was sie fuehlen, denken und hoffen."

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In einer von dem ruehrigen International Bureau der Fabian Society veranstalteten Vortragsreihe ueber Wiederaufbauprobleme (die wir in der letzten Nummer der "SM" angekuendet hatten) behandelte der Voelkerbundskommissar Sir Herbert Emerson am 24. Mai das Problem
"Re-establishment of Displaced Peoples". Nach einer groben Schaetzung sind etwa 12 - 15 Millionen Menschen gezwungen worden, ihre Heimat zu verlassen: politische Fluechtlinge, Opfer rassistischer und religioeser Verfolgung durch Kampfhandlungen Vertriebene, zur Arbeit nach dem [!] 3. Reich Gebrachte, davon ein Teil "freiwillig", die Mehrheit unter Zwang, von Hitler Umgesiedelte und schliesslich Kriegsgefangene. Sofort nach Beendigung der Feindseligkeiten wird ein grosser Teil der Gefluechteten spontan in die Heimat zurueckwandern, wie etwa Fluechtlinge aus den vom Feinde besetzten Gebieten, oder auslaendische Arbeiter in Deutschland, die einen nicht allzu weiten Heimweg haben. Andere werden durch organisierte Aktion zurueckgebracht werden muessen, wobei Sir Herbert den Kriegsgefangenen die Prioritaet zuerkennt.

Auch die politischen Fluechtlinge werden in ihrer uebergrossen Mehrheit zurueckkehren wollen, wenn es die politischen Verhaeltnisse ihrer Heimat halbwegs erlauben. Von denen, die nicht heimkehren koennen oder wollen, wird ein Teil von den Gastlaendern absorbiert werden koennen, wieviele, wird von der wirtschaftlichen Entwicklung abhaengen. Fuer den Rest muessen neue Heimstaetten gefunden werden. Hier ergebe sich die grosse Schwierigkeit, dass die meisten Aufnahmelaender agrarische Massensiedlungen ablehnen. Die Einzelansiedlung einer Familie kostet 400 bis 1000 Pfund. Fuer Massenkolonisierung komme nur Palaestina in Betracht, hier gebe es allerdings oekonomische und politische Schwierigkeiten. Sir Herbert ist ueberzeugt, dass in internationaler Aktion durch Kombination der drei Methoden: Heimkehr, Absorption und Neusiedlung das Problem geloest werden kann.


[Veroeffentlichungshinweis]


LABOUR AND EUROPE (The Need for a Socialist Strategy) - unter diesem Titel erschien soeben die neueste 6d Schrift der International Authority Group of the Fabian International Bureau (chairman: Doreen Warriner).[8]

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Die von Rauschning im Exil veroeffentlichten Buecher enthalten, so kritisch man Einzelheiten gegenueberstehen mag, manches, das zum Verstaendnis des grausigen Naziphaenomens beitraegt und dem man zustimmen kann, auch wenn man nicht R[auschning]s politische Ideen billigt.

Anders steht es um sein letztes Buch, die "Makers of Destruction". Es ist kein gutes Buch, nicht einmal gute politische Reportage. - Viele der Gestalten, die uns R[auschning] in diesem Buche vorfuehrt, gehoeren so voellig der Vergangenheit an, dass es sich nicht der Muehe lohnt, sich mit ihnen zu beschaeftigen. Aber interessant wird es dort, wo R[auschning] sich mit den fuehrenden Persoenlichkeiten des Hitlerregimes befasst und sich aus dem Speziellen zu allgemeinen Werturteilen emporschwingt.

Die Charakterisierung der alten preussischen Offiziere, die vor "Korrektheit" geradezu strotzen, die es aus Korrektheit nicht ueber sich gewinnen [!] konnten, das Naziregime zu stuerzen, und deren maennlichfeste, aufrechte Haltung durch "markige" Aussprueche im Stile patriotischer Schulbuecher illustriert wird, kann man nur mit Heiterkeit lesen. Der "strong spirit of independence", den R[auschning] nicht genug ruehmen kann, steht nach R[auschning] mit der passiven Haltung der Generale anlaesslich der Ermordung Schleichers nicht in Widerspruch. Der "sense of correctness", der es nicht gestattete, ein aus Blut und Verbrechen erwachsenes Regime zu beseitigen, das Deutschland schaendete und entehrte, liess es aber zu, dass man die Jugend aus dem Heere ausstiess. - Aber noch viel erstaunlichere Dinge erfahren wir aus diesem Buche.

Da ist zunaechst Goering, der angebliche Beschuetzer der Juden. Dieser morphinistische Bluthund mit der verlogenen jovialen volkstuemlichen Schnoddrigkeit erfreut sich der besonders nachsichtigen Beurteilung R[auschnings]. "There is certainly no perverse lust at the back of his cruelty and brutality." - Den Hoehepunkt dieses Buches aber bilden die mit besonderer Liebe behandelten Gestalten von Papen und Hess. Papen, nach R[auschning] ein "Konservativer im besten Sinne des Wortes", ist ein Opfer seiner unbegrenzten, fanatischen Vaterlandsliebe geworden. Der elegante Aristokrat, den R[auschning] in seinem Buche nicht genug bewundern kann, macht alles im Dritten Reiche mit, weil Hitler

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sich Deutschlands Wiederaufstieg zur Aufgabe gesetzt hatte. Der edle "misguided patriot" watet unbeirrt und unerschuetterlich durch alle Suempfe politischer Niedertracht und nazistischer Erbaermlichkeit, getrieben "nicht etwa durch persoenlichen Ehrgeiz, sondern durch seine auf einer inneren Stimme beruhenden Ueberzeugung, dass er Deutschland die einzige politische Gestalt geben muesse, die imstande sei, es zu retten".

Rudolf Hess, nach R[auschning] uebrigens ebenso wie Papen ein ausgesprochener Anglophiler, soll alle Eigenschaften besitzen, die geeignet sind, allgemeine Achtung fuer ihn einzufloessen ("inspired universal respect for him"). Dass Hass dirigierend hinter allen gegen die politischen Gegner des Nazisystems, vor allem gegen die Sozialisten und Juden gerichteten Peinigungen und Verfolgungen stand, scheint R[auschning] nicht zu stoeren. "Personal he was a man of integrity", versichert uns R[auschning]. - Diejenigen, die am Tage des Judenpogroms im Nov[ember] 1938 in Deutschland waren, als eine Flut von Peinigungen und Verfolgungen ueber Zehntausende unschuldiger Menschen in Deutschland hereinbrach - eine innerdeutsche Generalprobe der einige Jahre spaeter ins Gigantische gesteigerten Massenmorde ausserhalb Deutschlands -, die ermordet oder in die elendste Gefangenschaft verschleppt, deren Haeuser zerstoert und ausgeraubt wurden, werden nicht vergessen, wie wenige Stunden spaeter die Stimme dieses "universal respected" Mannes am Radio ertoente, klar, erbarmungslos und furchtbar, aufreizend und zum Morde hetzend gegen die "Teufel auf Erden", die wehrlosen und vor ihren Peinigern zitternden Juden.

Wenn man das Buch gelesen hat, fragt man sich: Weshalb heisst es eigentlich "Makers of Destruction"? Diese Papen, Hess usw., die eigentlich von reinstem Idealismus strotzen, sind doch nur "misguided", irregeleitete Patrioten, denen man nur einen kleinen Ruck zu geben braucht, um sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Und dieser zarte Wink an bestimmte Kreise im anglo-amerikanischen Lager scheint die Quintessenz des Buches Hermann Rauschnings zu sein und der Grund, weshalb man nicht genug vor ihm warnen kann, zumal Rauschning in gewissen Kreisen Englands und Amerikas noch als Autoritaet auf dem Gebiete des Nazitums und aller mit ihm verknuepften Probleme gilt.

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Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Aufsehen erregenden Artikels, den die Aprilnummer der amerikanischen Monatsschrift "The American Mercury"[9] an erster Stelle bringt und der auch von einer anderen, ebenfalls weit verbreiteten Monatsschrift der Vereinigten Staaten "The Reader's Digest"[10] uebernommen wird. Der Verfasser nennt seinen Artikel: "Our Government's Plan for Post-war Germany". Er schreibt jedoch, dass diese Plaene "are still in a state of formulation". Da jedoch bereits kuenftige 'Gauleiter' einer kommenden Militaerregierung der United-Nations-Besatzungsarmee und "Civil Affairs Officers" in der US-Militaerschule in Charlotteville, Virginia, ausgebildet werden, ist mit der ernsten Verfolgung der Plaene durch sehr einflussreiche amerikanische Kreise zu rechnen.

Diese Plaene sehen neben einer totalen Abruestung auch eine "drastic decentralization of the country as a single powerful industrial and political unit" vor.

Es wird unterschieden zwischen Deutschland als Staat und als Volk, und es wird als absolut notwendig hingestellt, im voraus eine Verstaendigung zwischen den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Sowjet-Russland herbeizufuehren.

In einem besonderen Kapitel wird die sofortige Festnahme und Bestrafung aller Kriegsverbrecher gefordert. Man wendet sich gegen die Anregung Russlands, die gefangenen Kriegsverbrecher bereits waehrend des Krieges zu verurteilen, um Repressalien an Geiseln und Kriegsgefangenen zu verhindern. - Obwohl die deutsche Armee "as rapidly as possible" demobilisiert werden soll, werden doch Bedenken geaeussert, weil allzu rasch demobilisierte Soldaten einer besiegten Nation "are considered ripe for revolution". "That is the one thing the American planners feel must be avoided in Germany." Ein grosser Teil dieser Soldaten soll deshalb als Arbeiterbataillone zum Aufbau der durch den Krieg zerstoerten Gebiete Europas Verwendung finden. Um ein Chaos und Revolutionen zu vermeiden, werden ferner Vorschlaege ueber Massnahmen zur Versorgung Deutschlands mit Lebens- und Heilmitteln gemacht, wobei der Bevoelkerung deutlich gezeigt werden soll, dass diese Hilfe von den United Nations kommt.

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Im fuenften Kapitel des Artikels wird die wichtigste - sicher auch die umstrittenste - Forderung gestellt: die Aufgabe der Einheit Deutschlands. "There is a definite feeling among the American planners that Germany as a political and economic unit, even to the point of breaking up the country into separate states or regions." An anderer Stelle wird nochmals betont, dass Deutschland dezentralisiert werden und als machtvolle wirtschaftliche und politische Einheit aufgeloest und besonders von preussischem Einfluss getrennt werden muesse.

Als Teil dieser Dezentralisierung Deutschlands sollen politische Parteien verboten werden "whose policies are based on extreme nationalism".

Die Wirtschaft soll kontrolliert werden, und ein geregelter Aussenhandel in beschraenktem Umfange zugelassen werden. Um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern, soll an der Stabilisierung der Waehrung gearbeitet werden.

In der "international educational commission" sollen verantwortliche Deutsche vertreten sein, und die Umerziehung, die Vermittlung der historischen Wahrheit, soll auch den Erwachsenen zuteil werden. "It is no use teaching the children the truth in the schools and having it nullified in the homes." Dieser Aufgabe sollen auch Radio und die Presse unterstellt werden. Man hofft, dass sich auch die christlichen Kirchen der Aufgaben unterziehen, eine Friedenspolitik und eine internationale Zusammenarbeit mit der uebrigen Welt zu foerdern.

"This is a blueprint of the American plan for a defeated Germany as it is shaping up in the minds of the official planners in Washington." Die Debatte ueber das "deutsche Problem" und die "Nachkriegsgestaltung" hat damit neue Nahrung erhalten.




(Fortsetzung von Seite 3)
Zusammenarbeit nach dem Kriege zur Debatte stehen, richten sich unsere Augen erwartungsvoll auf die Tagung der staerksten und einflussreichsten sozialistischen Partei Europas, die von der Unterdrueckung durch den Faschismus verschont blieb und die deshalb mehr als irgend eine andere dazu beitragen kann, dass die Probleme der Zukunft im Sinne der Freiheit und des Friedens geloest werden.

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In den letzten Wochen haben die internationale sozialistische Arbeiterbewegung und die deutsche sozialdemokratische Emigration neue schwere Verluste erlitten.

Beatrice Webb, Gattin und engste Mitarbeiterin von Sidney Webb, die bedeutende Schriftstellerin, die nicht nur die englische Geschichte und Arbeiterbewegung beeinflusste, sondern zu einer grossen Gestalt des internationalen sozialistischen Schrifttums wurde, verstarb am 30. April.

Szmul Zygielboym, der Fuehrer der polnischen juedischen Arbeiter, dessen tragisches Schicksal Hannen Swaffer im "Daily Herald" (vom 18. Mai) und dessen Selbstopferung fuer die Sache seiner juedischen Genossen von Stanley Baron in aufruettelnden Worten im "News Chronicle" (vom 1. Juni) geschildert werden, verschied am 17. Mai.

Dr. Emil Strauss[11], der sudetendeutsche Arbeiterfuehrer, sozialdemokratische Parlamentarier und Redakteur in Prag, musste den gleichen Leidensweg [wie] Robert Danneberg gehen und starb den Maertyrertod in einen Konzentrationslager.

Gunnar Lundberg[12], der schwedische Sozialdemokrat, dessen Persoenlichkeit und Wissen um die Arbeiterbewegung vieler Laender ihn auch zum Freund der deutschen Sozialdemokratie werden liess, fand einen fruehen Tod.

Der Raum dieses schmalen Mitteilungsblattes reicht nicht aus, Bedeutung und Leistung dieses grossen Toten der Sozialistischen Internationale zu messen. Wir koennen an dieser Stelle nur den schweren Verlust anzeigen, den auch wir empfinden, und muessen eine gerechte Wuerdigung dieser Persoenlichkeiten durch die deutsche Arbeiterbewegung einer spaeteren Zeit ueberlassen.

Julius Lederer, dessen 75. Geburtstag wir in London im vergangenen Jahre gemeinsam feiern konnten, ist am 21. Mai in Manchester gestorben. Sein Ende war ruhig und schmerzlos, ein starker Lebenswille erhielt ihn noch die letzten Monate seines Lebens.

Max Baruth[13] ist am 12. Mai ploetzlich einem Herzschlag erlegen. Schon in der Heimat litt er an Herzerkrankungen, Aufregungen der Naziverfolgungen, seine abenteuerliche Flucht von Prag ueber Polen und Riga haben sicher seinen Zustand wesentlich verschaerft.

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im Juni - Juli 1943

im Austrian Labour Club, 31 Broadhurst Gds, N.W.6.


Freitag, d. 18. Juni, 7.30 p.m., puenktlicher Beginn!
Gemeinsame Versammlung mit unseren Genossen aus dem Lande, die zur Wochenendtagung der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter (am 19. und 20. Juni im Austrian Labour Club) nach London kommen. Einen informatorischen Vortrag ueber die politische Lage und die Neugestaltung Deutschlands in einem Nachkriegs-Europa wird Gen. Hans Vogel halten. Gaeste sind herzlich willkommen.


Sonnabend, d. 3. Juli, 7.00 p.m. (Tag und Zeit beachten!)
Vortrag des Gen. Franz Schleiter[14] (Redakteur am Economist) ueber Waehrungsprobleme. Der Redner wird eines der wichtigsten oekonomischen Nachkriegsprobleme, den Keynes-Plan ueber eine Welt-Clearing-Union[15], das amerikanische Gutachten ueber einen internationalen Stabilisierungsfonds usw. behandeln. Gaeste sind herzlich willkommen.




Quittung ueber freiwillige Beitraege fuer die "SM".
Na sh 4/9; JL, Manch., £ 1.-.-; E.T. £ 2.-.-; Gl. 10/-; O.P.Q. £ 8.10.-; R.A. 10/-; O.Bl. 5/-; W.Lb. 10/-; R. u. St. £ 1.-.-; Mr. W. 10/-; R.M.D. 2/-; H.L. 1/-; R.N. 2/-; Ge 3/-; W. & Ch.Kr. 2/6; F.D. £ 3.-.-; Cz. 9/-; W.M., Cobhl, 10/-; W.Ko. 2/6; W.S. 6/-; E.Schn. 10/-; Miss RJ 2/6; A.K. 4/9; Dr. E.W. 5/-; Pte O.Sch. 1/-; W.E. 5/-; E.W. York 2/-; K.B. 2/6; H.G. -/6; Miss A. 10/-; P.Sch. 5/-; E.Br. £ 1.-.-; Dr. H.C.Fl. £ 3.-.-; Mary £ 1.-.-; I.K. 2/6; J.Ki. 5/-; C.W., Glouc., 5/-; W.Sch. £ 5.-.-; P.S.I 13/-; W. & ChKr. 4/-; Dr.A.H. 4/-; Miss D.W. £ 10.-.-; Manfred 1/-; A.Un. 2/6; Pte R. 2/-; H.K. £ 10.-.-; Gg. Sch. 10/-; Miss L. 10/-; Sud.G. 1/-; H.M., Leeds, 10/-; Ad.B. 1/-; H.D. 5/-; Tr.W. 2/-.

Wir danken allen Lesern und Freunden fuer ihre materielle Hilfe und alle freundlichen und ermutigenden Zuschriften.




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London N.W.7.






Editorische Anmerkungen


1 - Die "Heeresgruppe Afrika" hatte am 12. und 13.5.1943 kapituliert.

2 - Die Beratungen fanden vom 12.bis25. Mai 1943 statt.

3 - Dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der SU und der polnischen Exilregierung (26.4.1943) war u. a. das Gesuch der Exilregierung an das Internationale Rote Kreuz vorausgegangen, die Leichenfunde in Katyn zu untersuchen. - Die tschechoslowakisch-polnischen Verhandlungen zur Bildung eines gemeinsamen Staatenbundes waren schon seit 1940/41 geführt worden. Sie wurden von der CSR-Exilregierung mit dem Hinweis auf den polnisch-sowjetischen Konflikt abgebrochen.

4 - Die Kommunistische Internationale wurde am 15.5.1943 durch Stalin für aufgelöst erklärt.

5 - Trade Union Centre for German Workers in Great Britain (Hrsg.): The "Other Germany" - Facts and Figures. A collection of facts compiled by Willi Derkow on behalf of the executive committee of the Trade Union Centre for German Workers in Great Britain, London 1943.

6 - Vgl. u. a. Ernst Paul: Die "Kleine Internationale" in Stockholm, Bielefeld o. J. [1960]. Klaus Misgeld: Die "Internationale Gruppe demokratischer Sozialisten" in Stockholm 1942-1945. Zur sozialistischen Friedensdiskussion während des Zweiten Weltkrieges, Bonn 1976.

7 - "Aman": Valter Aaman (geb. 1905), 1941-1945 Vorsitzender der Stockholmer Arbetarkommun (= sozialdemokratische Parteiorganisation der Stadt Stockholm), 1945-1960 Vorsitzender der schwedischen Angestelltengewerkschaft.

8 - The International Authority Group of the Fabian International Bureau (Hrsg.): Labour and Europe. The need for a socialist strategy, London o. J. [1943].

9 - "The American mercury", 1924-1940 in New York erschienen.

10 - "Reader's Digest", erscheint seit 1922 in den USA.

11 - Emil Strauss (1889 - 1942) war Ende 1942 in einem Vernichtungslager in Polen ermordet worden. Strauss war Historiker der deutsch-böhmischen Arbeiterbewegung.

12 - Zu Gunnar Lundberg konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

13 - Max Baruth (1880 - 1943), Kaufmann, seit 1902 Mitglied der SPD, ab 1933 im Exil (CSR), ab 1940 in Großbritannien.

14 - Franz Schleiter (geb. 1899), Gewerkschafter und sozialdemokratischer Journalist, 1920 USPD, dann bis 1928 KPD, seit 1931 SPD-Mitglied, ab 1935 Exil in Großbritannien

15 - John Maynard Keynes (1883 - 1946), britischer Nationalökonom, seit 1941 an den Planungen einer internationalen wirtschaftlichen Neuordnung maßgeblich beteiligt.




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