SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This Newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 46 - 1943

Februar 1943

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Zehn Jahre Hitlerdiktatur
Kundgebung der "Union deutscher sozialistischer Organisation in Grossbritannien"

Am Vorabend des zehnten Jahrestages der Machtergreifung Hitlers, am Freitag, dem 29. Januar, veranstaltete die "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" in der Caxton Hall in London eine eindrucksvolle Kundgebung.

Unter den zahlreich erschienenen Teilnehmern der Kundgebung befanden sich auch viele Gaeste aus den Reihen der auslaendischen sozialistischen Bruderparteien. Der Vorsitzende der Kundgebung, Willi Eichler, konnte neben dem Generalsekretaer der Labour Party, J. Middleton, und Mrs. L. Middleton, Vertreter und Freunde aus den sozialistischen Parteien in der Tschechoslowakei, in Polen, in Oesterreich, in Italien, der "Poale Zion" und der Internationalen Transportarbeiter-Foederation begruessen. Die Kundgebung begann mit einer ergreifenden

Feier fuer die Opfer des Faschismus.

Willi Eichler gedachte der unuebersehbaren, ungewaehlten und unzaehlbaren Opfer und Maertyrer im Kampf gegen den Faschismus, ohne Unterschied der Nationalitaet, der Rasse, des Glaubens und der sozialen Schichten und Klassen. Wir gruessen die unbekannten Soldaten des Freiheitskampfes der Menschheit, wo immer sie kaempfen, ob an den Schlachtfronten des Krieges oder im Dunkel der Illegalitaet. Ihr Kampf und ihre Opfer verpflichten uns. Dem Sturz der Hitlerdiktatur muss etwas Positives folgen. Es muss nicht nur der Krieg, sondern auch der Frieden gewonnen werden. Es muss verhindert werden, dass der Faschis-

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mus je wieder sein Haupt erhebt. Es gibt Faschisten in allen Laendern, und mit Hitler muessen alle Quislinge stuerzen. Hitler stuerzen, den Frieden zu sichern und den Sozialismus aufzubauen, das ist eine unteilbare Aufgabe. Wir werden in dieser Aufgabe nicht erlahmen. Das geloben wir angesichts der toten und der im Kerker schmachtenden Genossen, und diese Botschaft senden wir den illegalen und legalen Kaempfern gegen den Faschismus in der ganzen Welt. Sie sollen ihre Opfer nicht vergeblich gebracht haben. - Stehend, in einer Minute des Schweigens und der inneren Sammlung, ehrte die Versammlung die Opfer und Kaempfer. - Musik und Rezitationen, dargeboten durch Dr. Friedrich Behrend, Dora Segall und Walter Hertner[1], bildeten die wuerdige kuenstlerische Einleitung und den Abschluss dieser Gedenkstunde.

Internationale Solidaritaet

Unter diesem Motto stand der zweite Teil der Kundgebung, in dem zuerst der Vorsitzende ein herzlich gehaltenes Begruessungsschreiben des Vorsitzenden der Labour Party, A.J. Dobbs, mit folgendem Wortlaut verlas:

"Dear Comrade Vogel,

I am sorry that it will not be possible for me to be with you and your friends on Friday evening but I shall be glad if you will convey to the meeting my fraternal greetings and good wishes.

We can never forget that amongst Hitler's first victims were German Trades Unionists, German socialists, and German Co-operators and that, in addition to closing their administrative offices and abolishing their press and publications, and their right of public meeting and discussion, many working-class leaders, as well as rank and file - men and women alike - suffered the terror and tortures of the Nazi Gestapo. That was the prelude to ten years of ever-widening savagery that has spread through so many countries of Europe.

As you and your comrades know, there is a spirit inherent in our British working-class movement that rejects dictatorship and strives to widen the bounds of freedom. It is for this reason that we have stood by Free Poland, Free France, and all other democracies - why we have welcomed our allies throughout the world in

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the struggle that we believe will probably determine the future of mankind more decisively than almost any other event in recorded history.

We feel deeply for all our friends who are refugees from Hitler's Nazi tyranny. We recall the common efforts in which we and so many old comrades of the past have cooperated in the days gone by. With you we seek for the defeat of Nazi domination and the downfall of everything it represents. With you we look to a new and greater Germany and the return of European civilisation to that way of life in which the elementary rights of man will be respected and the full recognition of working class claims will form the basis of the New Society.

With all good wishes,


Yours very sincerely,
(sig) A. J. Dobbs, Chairman."


Dann sprach als Vertreter der Labour Party

Rt. Hon. David. R. Grenfell, M.P.

Er verwies einleitend auf die tieferen Ursachen des Anwachsens des Faschismus und des Nationalsozialismus. Sie sind zu suchen in der Angst der internationalen Reaktion vor dem drohenden Verlust ihrer Privilegien durch die wachsende Kraft der Arbeiterbewegung. Hitlers erster Sieg in Europa war ein Sieg ueber das deutsche Volk. Grenfell erinnerte an Fritz Husemann[2], den Fuehrer der deutschen Bergarbeiter. Husemann war ein guter Deutscher, aber er wurde von den Nazis ermordet, weil er ein ebenso guter Sozialist war. Und mit ihm fielen Hunderte von guten Deutschen, weil sie gute Sozialisten waren.

Schon frueh waren Hitlers Kriegsplaene fuer die Welt erkennbar. Aber die Welt wollte nichts sehen. Sie wollte die wachsende Gefahr auch nicht sehen, als Deutschland in Italien in Spanien intervenierten. Wir haetten heute keinen Weltkrieg, wenn alle unvermeidlichen Folgen des 30. Januar fuer den Frieden der Welt rechtzeitig erkannt worden waeren.

Jetzt sind Hitlers Tage gezaehlt. Unsere erste Aufgabe ist, die Achsenmaechte voellig zu vernichten. Es gibt keinen Aufbau, ehe diese Aufgabe nicht voellig geloest ist. Wenn dieses Werk getan ist, wenn das deutsche Volk wieder zur Besinnung gekommen ist, dann wird in der Welt auch wieder Raum sein fuer das deutsche Volk.

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Wir koennen nicht aufhoeren, Sozialisten zu sein, und Sozialismus heisst internatinale Zusammenarbeit.

Die Labour Party wird sich ihrer Verpflichtung gegenueber dem internationalen Sozialismus bewusst bleiben. Sie uebermittelt der Kundgebung durch mich den Ausdruck ihrer Sympathie. Die Aufgabe des Aufbaus einer neuen Gesellschaft wird bald vor uns stehen. Wir koennen sie nur loesen als Sozialisten und durch Zusammenarbeit als internationale Sozialisten.

Als zweiter Redner sprach

Walter Schevenels, Generalsekretaer des IGB.

Der Redner ging aus von seinen persoenlichen Erlebnissen in Berlin in den Tagen von Hitlers Machtergreifung. Deutsche Arbeiter haben in den letzten Monaten von 1932 zu Hunderten und Tausenden Tag fuer Tag und Nacht fuer Nacht gekaempft gegen die Hitler-Horden, die von der Reaktion bezahlt wurden. Zu leicht wird heute vergessen, dass in diesen Kaempfen Hunderte von deutschen Arbeitern ihr Leben verloren, dass Zehntausende ihr Leben aufs Spiel setzten. Es ist wahr, dass die deutsche Arbeiterbewegung Fehler gemacht und Schwaechen gezeigt hat, aber es ist unwahr zu behaupten, dass unsere deutschen Genossen nicht gekaempft haben.

Zurueckschauend kann man heute feststellen, dass die Deutsche Republik nicht am 30. Januar 1933, sondern im Juli 1932 verloren wurde.[3] Aber damals glaubten wir alle, dass noch nicht alles verloren war. Wir suchten verzweifelt zu retten, was zu retten war. Selbst als Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, gaben wir unsere Anstrengungen nicht auf.

Anfang Februar 1933 erteilte eine internationale Konferenz Edo Fimmen und mir alle Vollmachten, jede, auch die schaerfste Aktion der deutschen Arbeiter zu unterstuetzen.[4] Aber dann kam der Reichstagsbrand. Er war Hitlers erster wirklicher Sieg, denn er erzeugte eine grosse Verwirrung unter seinen Gegnern.

Nach den Wahlen vom 5. Maerz war der Kampf endgueltig verloren. Unsere Genossen hatten ihren Glauben in den Sozialismus nicht verloren, aber ihre Hoffnung in den Erfolg einer Aktion. Dann kam die Herrschaft des Terrors, sehr blutig und ganz offen.

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Ich moechte noch ein Wort sagen fuer unsere Anti-Nazikaempfer innerhalb Deutschlands. Bevor ich Deutschland verliess, hatte ich eine Konferenz mit unseren deutschen Kollegen. Das war Ende April 1933. Eine Woche spaeter waren die meisten Teilnehmer dieser Konferenz verhaftet. Ich werde diese Konferenz nie vergessen. In dem ueberfuellten Raum gab mir der Vorsitzende die Hand und sagte: Du gehst nun zurueck in die freie Welt. Sage unseren Freunden, welche Fehler wir immer in der Vergangenheit gemacht haben moegen, wir sind ehrlich und aufrichtig in unserem Bemuehen gewesen. Sage ihnen, dass wir unserer Gesinnung treu bleiben werden und dass sie uns nicht vergessen sollen. Heute kann ich sagen, dass die Mehrheit der deutschen Arbeiter ihr Wort gehalten hat.

Heute gibt es Leute, die es fuer richtig halten, das ganze deutsche Volk so zu behandeln wie Hitler die Juden behandelt. Wir kennen die Motive dieser Propaganda. Die Reaktionaere aller Laender verfolgen mit dieser Propaganda das Ziel, die Freiheit der Arbeiter in der ganzen Welt zu zerstoeren.

Als von 1935 an die Gefahr eines Angriffskrieges Hitlers drohender wurde, aenderte die internationale Arbeiterbewegung ihre Politik und unterstuetzte die Politik der bewaffneten Abwehr der drohenden Aggression. Die deutschen Genossen selbst warnten uns vor den wachsenden Kriegsvorbereitungen Hitlers. Die illegalen Kaempfer, die ich in diesen Jahren in allen Teilen Deutschlands traf, mahnten, dass es bald zu spaet sein koennte fuer einen leicht zu gewinnenden Sieg ueber Hitler. Warum warnten die deutschen Genossen? Um Hitler zu helfen, den Krieg zu gewinnen? Sicher leitete sie die Ueberzeugung, dass sie allein zu schwach waren, Hitler zu schlagen, aber sie handelten auch fuer die Sache der internationalen Freiheit.

Am Ende des ersten Jahrzehnts der Hitlerdiktatur erfuellt uns die Hoffnung auf den entscheidenden Schlag gegen die Hitlerdiktatur. Ich moechte der Hoffnung Ausdruck geben, dass dieses Ziel nicht allein erreicht werden moege durch die militaerischen Leistungen der Alliierten, sondern dass sich die deutschen Arbeiter rechtzeitig erheben werden, um mit uns gemeinsam einen entscheidenden Sieg ueber unseren und ihren Feind zu erringen. Eine solche gemeinsame Aktion wird die Verwirklichung unserer

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Hoffnungen fuer eine internationale Zusammenarbeit wesentlich erleichtern. - Nach Walter Schevenels sprach


Louis de Brouckère, frueherer Praesident der Sozialistischen Arbeiter-Internationale.


Vor zehn Jahren versprach Hitler Deutschland und Europa ein tausendjaehriges Reich von bisher unerreichter Herrlichkeit. Heute ist Europa ruiniert und im Stadium der Aufloesung. Auf dem Kontinent herrscht die Not.

Die Lage in Deutschland selbst ist nicht ganz so schlecht [wie] in den okkupierten Laendern, aber sie ist ebenso hoffnungslos. Dort sterben die Menschen nicht am Hunger, sondern zu Millionen auf den Schlachtfeldern Europas. Deutschland sieht das unvermeidliche Schicksal des Angreifers vor sich.

Gegen Hitler stehen die vier groessten Nationen der Welt, ihre Kraft waechst von Tag zu Tag. Auch die unterdrueckten Voelker Europas schlagen zurueck.

In Belgien stirbt durchschnittlich jeden Tag ein Quisling oder ein Deutscher. Jeden Tag muessen auch mehrere Belgier ihr Leben lassen, aber der Kampf geht weiter. Die Sabotage waechst. Die Arbeitsleistung sinkt, in der Metallindustrie auf 35% ihres frueheren Standes. In der letzten Woche allein wurden acht deutsche Gueterzuege zur Entgleisung gebracht. In Deutschland arbeiten sieben Millionen auslaendischer Arbeiter. Ich hoffe, sie werden gemeinsam mit den deutschen Arbeitern ihren Anteil leisten am Sturz des Regimes von innen her.

Die erste Notwendigkeit ist, die Achsenmaechte zu zerschlagen. Aber wenn wir den Willen haben, werden wir auch die Macht besitzen, den Sieg zu unserem gemeinsamen Sieg zu machen. Wir haben das gleiche Ziel, wir haben die gleichen Ideale. Wir werden zuerst die Macht der Junker zu zerstoeren haben und nicht nur der deutschen Junker. Wir muessen die Macht der grossen Industriellen zerstoeren, aber nicht allein der deutschen. Wir muessen den deutschen Militarismus zerstoeren, aber wir koennen alle diese Ziele nur erreichen, wenn wir zusammenarbeiten. Wir muessen alle unsere Kraefte vereinigen, wie es frueher ein grosser Franzose, Anatole France[5], ausgedrueckt hat: "L'Union des travailleurs fera la paix du monde."

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Hans Vogel, Vorsitzender der "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien"


fuehrte als letzter Redner des Abendes etwa folgendes aus: "Seit zehn Jahren herrscht Hitler in Deutschland. Es ist eine Herrschaft der Grausamkeit und der Bestialitaet, wie sie die Welt zuvor nicht gekannt hat. Die Folge ist ein Hass der ganzen Welt gegen das deutsche Volk. Dieser Hass - nur zu verstaendlich und gerechtfertigt durch die Greuel des Hitlerregimes - wird von uns deutschen Sozialisten geteilt. Aber wir unterscheiden zwischen dem Hitlerregime und dem deutschen Volk und besonders den deutschen Arbeitern. Wir haben unseren Hass gegen Hitler schon zu einer Zeit bewiesen, als andere noch bereit waren, ihm ihre Referenz zu erweisen.

Die Nazigreuel datieren nicht erst vom Jahre 1939 an. Vom ersten Tag ihrer Existenz an war die Geschichte der Nazibewegung die Geschichte der Morde, der Folterungen und der Verfolgungen, der Zerstoerung des Rechts und der Kultur, der illegalen Aufruestung und der Gewaltdrohung gegen andere Laender, angefangen mit der zersetzenden Propaganda bis zur offenen Annexion.

Unsere dauernden Warnungen und Informationen ueber die drohende Kriegsgefahr wurden sehr oft beiseite geschoben als "Emigrantengeschwaetz", nur diktiert von dem Wunsch, uns durch die Opfer anderer die Rueckkehr in die Heimat zu ermoeglichen.

Wir erheben keine Vorwuerfe, aber wir moechten, dass die Erinnerung an diese Erfahrungen uns alle veranlasst zu einer aufrichtigen Selbstpruefung, damit wir wieder zu einer gemeinsamen internationalen Basis in unserem gemeinsamen Kampf fuer die Freiheit und die Wiederherstellung des Rechts und der Wahrheit kommen.

Wir deutschen Sozialisten haben nie die Greuel der Nazis verteidigt. Wir haben nie den Grundsatz aller Nationalisten anerkannt: "Right or wrong, my country". Wir haben immer fuer das Recht gekaempft, auch wenn sich dieser Kampf gegen unser eigenes Land richtete. Deshalb glauben wir auch das Recht haben, Gerechtigkeit fuer unser eigenes gequaeltes Volk, Bestrafung aller Schuldigen an den Naziverbrechen zu fordern.

Die kommende deutsche Revolution darf sich nicht be-

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gnuegen mit der Beseitigung des Hitlerregimes durch die siegreichen alliierten Armeen. Die wirklichen Verantwortlichen fuer das Hitlerregime, die Junker, die Schwerindustrie und die Finanzgewaltigen, muessen ihrer Macht beraubt werden. Die wirtschaftliche Lage der breiten Massen muss so gestaltet werden, dass sie nicht wieder durch Not und Hoffnungslosigkeit den Todfeinden ihrer Freiheit und ihrer Rechte in die Arme getrieben werden. Es ist toericht zu glauben, dass der Frieden Europas gesichert werden kann, indem man ein Volk von sechzig Millionen Menschen auf den Lebensstandard eines unentwickelten Volkes zurueckwirft.

Es wird viel gesprochen ueber den Anteil der Alliierten an der Reeducation des deutschen Volkes. Das ist eine sehr ernste Massnahme, denn das Recht auf Erziehung ist eines der elementarsten Rechte jeder Nation. Jede solcher Massnahmen von aussen wird leichter zu tragen sein, wenn sie als Uebergangsmassnahme mit einer nicht zu langen Dauer auferlegt wird. Entscheidend aber wird sein der ehrliche und aufrichtige Wille, die Naziideologie und alle mit ihr verbundenen Vorstellungen radikal zu zerstoeren. Der deutschen Jugend muss eine neue Hoffnung und eine neue Aufgabe gegeben werden, damit sie faehig wird, ihre Aufgabe in der Rekonstruktion von Europa und de Welt zu erfuellen. In diesem Sinne unterscheiden wir uns grundsaetzlich von den Auffassungen, die Deutschland fuer fuenfzig Jahre in ein Konzentrationslager verwandeln moechten und die uns angreifen wegen unseren Glaubens an die deutschen Antifaschisten in Deutschland.

Die deutsche Arbeiterklasse hat keine Zukunft, wenn sie der Spielball internationaler Besitzinteressen wird, ihre Staerke liegt ausschliesslich in Deutschland selbst. Der Sturz des Nationalsozialismus muss das Signal sein fuer eine fundamentale Ordnung der alten gesellschaftlichen Ordnung, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Unser oekonomisches und soziales System muss auf eine neue Basis gestellt werden. Das ist eine Aufgabe, die nicht allein das deutsche Volk angeht, sondern alle Voelker und die Arbeiter der ganzen Welt. Sie fordert die engste internationale Zusammenarbeit, und sie kann nicht geloest werden, wenn man die deutsche Arbeiterklasse von dieser Zusammenarbeit ausschliesst.

Schon einmal sind wir an unserer internationalen Auf-

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gabe gescheitert. Sorgen wir dafuer, dass wir die neue Chance, die vor uns liegt, fuer eine wirkliche internationale Zusammenarbeit und fuer eine Reorganisation der Welt auf sozialistischer Basis nicht versaeumen."

Die Versammlung dankte allen Rednern fuer ihre sachlich wertvollen und eindrucksvollen Ausfuehrungen mit herzlichem und anhaltendem Beifall.

Der Vorsitzende der Kundgebung dankte in einem kurzen Schlusswort der britischen Labour Party und der britischen Regierung fuer ihre Sympathie und ihre Hilfe gegenueber den deutschen Antifaschisten. - Die Kundgebung wurde beendet mit dem gemeinsamen Gesang der ersten Strophe der "Internationale".

Unter diesem Titel erscheinen die vier Reden auf der Kundgebung obiger Veranstaltung der "Union" in englischer Sprache. Parteifreunde, die diese Veroeffentlichung an englische Freunde weitergeben moechten, koennen diese Vervielfaeltigung bei uns anfordern. - Auch die vier Reden anlaesslich der Revolutionsfeier der SPD in England, koennen fuer den gleichen Zweck angefordert werden. Wir danken auch fuer die Angabe von Adressen Interessierter, denen wir diese Reden (in englischer Sprache) zustellen sollen.

sprach zur Gedaechtnis-Feier zu Ehren Edo Fimmens, die von der Transportarbeiter-Internationale am 6. Januar in der St. Mary's Church, London, veranstaltet wurde, auch ein Vertreter der deutschen Verkehrsarbeiter. Die eindrucksvolle Feierstunde wurde in der Arbeitersendung des BBC auszugsweise nach Deutschland gesendet. Ein deutscher Mitarbeiter Edo Fimmen sagte folgende Worte des Dankes: "Ich stehe hier im Namen ungezaehlter Freunde, um dem grossen Toten zu danken, im Namen Toter und Eingekerkerter und im Namen unbeugsam Kaempfender im Dunkel der Illegalitaet. Ich weiss, was es fuer Gefolterte und unter den Schlaegen der SS-Moerder Sterbende bedeutet hat, zu wissen, dass das Opfer ihres Lebens nicht vergeblich war, dass Edo Fimmen weiter im Kampf gegen die Nazi-Diktatur stand. Ich weiss, was es

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in langen schweren Jahren fuer illegale Kaempfer in deutschen Betrieben, auf deutschen Eisenbahnen und Schiffen bedeutet hat zu wissen, dass dieser ernste, starke und stets hilfsbereite Freund die verstreuten kleinen Kampfgruppen in einer erstarkenden Organisation zusammenfasste.

Zahllosen hat Edo Fimmen den Weg zum Kampf gegen die uebermaechtige Diktatur gezeigt, in den Jahren, in denen die Grossmaechte der Welt vor ihr zurueckwichen.

Er hat sie hochgerissen, als sie verzweifelt sahen, wie Spanien, wie Oesterreich, wie die Tschechoslowakei geopfert wurden. Er hat ihnen gesagt, [was] die Arbeiterschaft der Welt gerade von ihnen, den deutschen Illegalen - deren scheinbar so starke legale Organisationen einst wie ein Kartenhaus zusammengebrochen waren -, besonderes verlangt und erwartet. Er hat ihnen immer wieder gesagt, dass keine noch so heroische Einzelaktion das Nazisystem erschuettern wird, sondern nur unbeirrter, opferreicher Ausbau der Organisation illegaler Kampfgruppen.

Der Feuerkopf Edo Fimmen hat das Seine dazu getan, dass die Flamme des Befreiungskampfes in Deutschland nie ganz verlosch, als die Nacht der Diktatur alles zu ersticken drohte. Edo Fimmen, der Gewerkschafter, hat die Illegalen gelehrt, nach der Zerschlagung der Gewerkschaften neue Methoden fuer den Existenzkampf der Arbeiter zu entwickeln. Edo Fimmen, der Arbeiterfuehrer, hat ihnen gezeigt, ihren Kampf im Weltzusammenhang des Befreiungskampfes aller Unterdrueckten zu fuehren. Es ist weitgehend Edo Fimmens grosse Leistung, dass die deutsche Arbeiterbewegung nie voellig zerschlagen wurde, dass ihre besten Traditionen in den tapferen Kaempfern der illegalen Gruppen fortleben, dass Arbeiter in allen Teilen Deutschlands den Kampf wieder aufnahmen und da sein werden an dem Tag, fuer den Edo Fimmen sie lehrte sich vorzubereiten.

An diesem Tag der Befreiung werden sie, die noch nichts ahnen von unserem schweren Verlust, mit uns trauern um den grossen Wegbereiter und Wegweiser, der diesen Tag nicht mehr erleben durfte.

Und sie werden ihm durch Taten ein Denkmal setzen.

Ich spreche fuer die, die heute zum Schweigen verdammt sind.

Ich spreche nicht von meiner Trauer um einen Kameraden und Freund. Im Namen der zum Schweigen Verdammten danke ich Dir, Edo Fimmen."

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Wenige Wochen nach der Nachricht vom Tode Franz Kuenstlers erreicht uns eine neue, nicht weniger schmerzliche Trauernachricht. Max Westphal ist am 28. Dezember 1942 gestorben.[6] Wir wissen bis zur Stunde noch nichts Naeheres ueber die Ursache und die Umstaende seines Todes. Es ist in diesem Fall besonders schwer, an eine natuerliche Todesursache zu glauben, denn Max Westphal war erst 46 Jahre alt, und niemand wird sich vorstellen koennen, dass dieser gesunde, lebensfrohe Mensch so vorzeitig durch Krankheit aus dem Leben geschieden sein soll. Wir wissen nichts ueber sein Schicksal in den letzten Jahren.

Wir wissen nicht, ob die Nazis ihn seit Kriegsausbruch, den er im Gefaengnis erlebte, noch einmal freigelassen haben, oder ob sein Tod einem qualvollen Leben jahrelanger Haft und vielleicht noch aergerer Dinge ein Ende bereitet hat. Wir haben heute nur die traurige, kaum fassbare Gewissheit, dass einer der besten Repraesentanten des anderen Deutschland den Zusammenbruch der Nazityrannei nicht mehr erleben und [an] den grossen Aufgaben des Wiederaufbaus nicht mehr mitwirken wird.

In Max Westphal verliert die deutsche Sozialdemokratie einen ihrer hoffnungsvollsten Repraesentanten aus der juengeren Generation der deutschen Arbeiterschaft. In seinem Leben, in seinem Aufstieg verkoerpern sich die besten Traditionen der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung. In Hamburg als Sohn einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, schon im Elternhaus in enger Verbindung mit der Gedankenwelt der modernen Arbeiterbewegung, nimmt er unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg seinen Aufstieg vom Laufburschen zum Vertrauensmann der aufstrebenden Hamburger Sozialistischen Arbeiterjugend. Er wird ihr erster Sekretaer. Bald stellen ihn seine grossen organisatorischen und paedagogischen Faehigkeiten an die Spitze der Bewegung des Reiches. Schon im Jahre 1921 wird der 25jaehrige Vorsitzender der Arbeiterjugendorganisation Deutschlands. Er ist mehr als der organisatorische und politische Sachwalter einer Organisation von mehr als 100.000 jungen Menschen. Er ist der anerkannte Fuehrer der jungen Generation des demokratischen Sozialismus, die in der freien Luft der jungen deutschen Demokratie heranwaechst.

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Sechs Jahre spaeter, im Mai 1927, waehlt ihn der Parteitag der SPD gleichzeitig mit Hans Vogel in den Vorstand der Partei. Mit der ganzen Energie und Tatkraft, mit der grossen Gruendlichkeit und Sachlichkeit, die ihm eigen war, griff Max Westphal das neue und schwere Aufgabengebiet an, das vor ihm lag. Bald hatte auch in der Partei sein Name einen hohen Klang.

Dann kam Hitler. Ein jahrelanger Kampf, in dem Max Westphal in vorderster Reihe stand, war gegen uns entschieden. Max Westphal entschied sich fuer das Verbleiben in Deutschland. Er konnte sich nicht entschliessen, sich in diesem schweren Augenblick von den Menschen der Bewegung zu trennen.

Es ist noch nicht der Zeitpunkt gekommen, das Kapitel seines und seiner Freunde Wirken in der Zeit nach 1933 zu schreiben, aber es wird einen Ehrenplatz in der Geschichte des illegalen Kampfes der deutschen Arbeiter unter dem grausamsten Terrorregime der Neuzeit einnehmen.

Die Nachricht vom Tode Max Westphals wird auch ausserhalb Deutschlands Tausende von Sozialisten zutiefst erschuettern. Sie vor allem werden ermessen koennen, was Max Westphal in der Zukunft ueber Deutschland hinaus fuer den demokratischen Sozialismus haette bedeuten koennen. Er, der aus dem vorigen Krieg als Einarmiger zurueckkehrte, war ein leidenschaftlicher Gegner des Krieges, und jede ernsthafte, aufbauende Friedenspolitik nach diesem zweiten schrecklichen Geschehen haette auf ihn als Vorkaempfer und Garanten fuer ein friedliches Europa rechnen koennen. Sein Tod ist ein Symbol dafuer, dass die Nazis nicht nur in den okkupierten Laendern, sondern auch in Deutschland selbst die Traeger der kommenden Welt mit in den Abgrund reissen.

Schmerzerfuellt fuegen wir seinen Namen zu der endlosen Liste der Opfer unseres Kampfes gegen die Nazityrannei, die fuer alle einen gemeinsamen Titel traegt: Als Kaempfer fuer die Freiheit gestorben ... Marx Westphal war ein Kaempfer, und ein guter Kamerad und ein treuer Freund zugleich. Wir koennen sein Gedaechtnis nicht besser ehren, als dass wir weiter arbeiten und kaempfen fuer die Verwirklichung unseres gemeinsamen Ideals, dem Max Westphal sein Leben widmete.

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Die "Neue Volkszeitung", New York - deren Chefredakteur der ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gerhard Seger und deren Mitarbeiter bekannte deutsche Sozialdemokraten sind - feierte im Dezember vorigen Jahres ihr zehnjaehriges Bestehen.[7] Aus diesem Anlass vereinigten sich Anfang Dezember in New York sechshundert Gaeste zu einem Jubilaeumsdinner, das durch die Teilnahme hoher Persoenlichkeiten des amerikanischen oeffentlichen Lebens ausgezeichnet war.

An der Spitze der Liste der Ehrengaeste stand die "First Lady" des Landes, Mrs. Eleanor Roosevelt[8], die im Laufe des reichhaltigen Programms von Ansprachen selbst das Wort ergriff.

Sie gab ihrer Freude darueber Ausdruck, dass es ihr moeglich sei, an dieser Veranstaltung einer freien deutschen Zeitung teilnehmen zu koennen. Sie berichtete ueber eine Unterhaltung mit Madame Chiang Kai-Shek[9], die auf ihrer Reise nach den Vereinigten Staaten auf das staerkste beeindruckt worden sei durch die Haltung der amerikanischen Soldaten, die heute alle einig seien in dem Ziel der Befreiung der Voelker von der Tyrannei der Diktatur, obwohl vielfach noch ihre Eltern aus ganz verschiedenen Laendern und Kulturen nach Amerika einwanderten. Diese Tatsache sei eine starke Ermutigung fuer alle, die auf eine Gemeinschaft aller Voelker hoffen.

Die Fluechtlinge, die dem Grauen der totalitaeren Systeme noch entrinnen konnten, haetten die Aufgabe, dem amerikanischen Volk den Wert politischer Freiheit vor Augen zu fuehren, und wenn sie spaeter in ihre Heimatlaender zurueckkehren, dann koennten sie ihre amerikanischen Erfahrungen mit Nutzen fuer den Aufbau eines neuen Europa verwenden. Auch die amerikanische Demokratie sei nicht vollkommen, aber wir besitzen die politische Freiheit, um die Maengel zu ueberwinden. Die Demokratie braucht keine ueberheblichen Menschen, sondern Menschen, die Ehrfurcht vor dem Recht des Einzelnen wie der Gesamtheit haben. Diese Haltung ist der beste Schutz der Demokratie, die schliesslich in eine internationale Gemeinschaft aller Menschen und Voelker muenden muesse.

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Earl Harrison[10], US-Commissioner of Immigration and Naturalisation, bezeichnete die Tatsache, dass eine solche Veranstaltung einer deutschsprachigen Zeitung mitten im Kriege mit Deutschland stattfinden koenne, den Fortschritt bezeuge, den Amerika gegenueber der Hysterie des vorigen Krieges gemacht habe.

Constantin Poulus, der Pressechef der Foreign Language Division des Office of War Information[11], zollte der "Neuen Volkszeitung" die hoechste Anerkennung seiner Behoerde fuer ihren wirkungsvollen Kampf gegen die Nazi-Propaganda in den Vereinigten Staaten.

Weitere Ansprachen hielten William Shirer, der Verfasser des Buches "Berlin Diary", Adolph Held, der Vorsitzende des Jewish Labor Committee, der Dichter Fritz von Unruh, und der Praesident der Rand School, Algernon Lee.

Der Vorsitzende der Veranstaltung, Dr. George B. Shuster[12], der Praesident des Hunter College, verlas ausserdem ein Begruessungsschreiben von Thomas Mann.

Die Veranstaltung war ein voller Erfolg fuer die Sache der demokratischen Deutschen in den Vereinigten Staaten.

"... Die Stimmung ist hier wirklich gut. Ihr werdet es kaum glauben; denn Ihr werdet von der Rede des Staatsministers Hansson[13] gelesen haben, in der er jenen Befehl an die schwedische Armee bekanntgegeben hat, der alle Streitkraefte - natuerlich auch die Zivilbevoelkerung - verpflichtet, einem eindringenden Feind Widerstand zu leisten, auch wenn von irgendeiner scheinbar schwedischen Behoerde oder Kommandostelle die Aufforderung ergehen sollte, die Gegenwehr aufzugeben.[14]

Ihr werdet gedacht haben, das koenne keinen anderen Sinn haben als den, dass eine unmittelbare Gefahr fuer einen Angriff Hitlers auf Schweden vorliege. Wir glauben das nicht, ebenso wenig die schwedischen Genossen, die ich gesprochen habe. Und tatsaechlich ist es auch so, dass der Erlass des genannten Befehls von der oeffentlichen Meinung Schwedens schon seit mindestens einem Jahr gefordert wird.

Ihr muesst unseren Optimismus aber nicht falsch verstehen. Wenn auch keine akute Gefahr fuer einen Angriff auf Schweden ersichtlich vorliegt, so besteht die Gefahr

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einer Invasion doch permanent. Deshalb ist man hier aber nicht sonderlich nervoes, sondern man vertraut jetzt zum guten Teil auf die eigene militaerische Staerke und auf die Tatsache, dass sich das Kriegsglueck fuer Hitler wirklich entscheidend geaendert hat. Zum ersten Punkt noch eine kurze Bemerkung: Man darf die militaerische Kraft eines Volkes von 7½ Millionen natuerlich nicht ueberschaetzen, aber wir sind hier Zeugen einer relativ imposanten Aufruestung aller Wehrmachtsteile, und die schwedische Industrie arbeitet mit Hochdruck.

Die Stimmung des Volkes ist hier fast durchweg antinazistisch und pro-alliiert, nur in gewissen hohen Gesellschaftsschichten schaetzt man Hitler. Aber man fuerchtet ein wenig die russischen Erfolge, besonders deshalb, weil die Zukunft Finnlands so ungewiss ist, und man moechte Finnland als selbstaendigen Staaten erhalten wissen. Aber das alles aendert nichts an den Gefuehlen der Verachtung fuer die einheimischen und anderen Nazis, denen man ueberall begegnet.

Was unsere Lage als Fluechtlinge selbst betrifft, so ist zu sagen, dass heute die meisten recht gut bezahlte Arbeit haben. Die Erwerbslosen werden nach wie vor von der schwedischen Partei unterstuetzt. Zwar kann man von der Unterstuetzung, obwohl sie wegen der allgemeinen Preissteigerung schon zweimal nicht unbedeutend erhoeht worden ist, nicht gut leben; aber man lebt. Mancher verdient sich auch nebenbei etwas [da]zu.

Was die deutsche Politik betrifft - falls man von Politik wirklich sprechen kann; denn es handelt sich nur um unsere innerparteilichen Angelegenheiten, um die wir uns kuemmern - so sind wir heute am meisten mit der Frage der Vereinheitlichung der verschiedenen sozialdemokratischen bezw. sozialistischen Richtungen der Emigration beschaeftigt, und man kann sagen, dass wir gute Fortschritte machen. Im Prinzip ist die Einheit, auch mit der hiesigen SAP-Gruppe, eigentlich hergestellt. Die organisatorische Einheit wird auch Fortschritte machen.

Zu erwaehnen ist besonders noch die Arbeit unserer Gewerkschaftsgruppe[15], in der eifrige Diskussionen ueber die Moeglichkeiten der zukuenftigen Gewerkschaftsarbeit gefuehrt werden, die, wie wir glauben, auch bereits brauchbare Vorschlaege gezeitigt haben ..."

(Stockholm, Anfang 1943)

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setzt sich Prof. Harold Laski in einem Aufsatz in der neuesten Nummer der "Left News" ein, der als Ausgangspunkt fuer eine Diskussion internationaler Sozialisten in Grossbritannien gedacht ist.

"Die Stunde des Sieges", sagt Laski in diesem Aufsatz, "koennte sich als die Stunde der Gefahr erweisen, wenn die Arbeiter nicht aktionsbereit sind. Zur Zeit sind sie betrueblich gespalten. Ideologische Differenzen halten Sozialisten und Kommunisten noch immer auseinander.

Nationalen Differenzen ist es noch immer gestattet, die gemeinsamen Interessen zu ueberschatten, an denen sie alle teilhaben.

Die Dritte Internationale bleibt ein bleiches Gespenst des Aussenministeriums der Sowjetunion.

Die Zweite Internationale ist zu einer gemischten Debattiergesellschaft geworden, in der verwirrte Geister in den zornigen Erregungen der Vergangenheit nach Mitteln suchen, die kuenftige Einigkeit zu verhindern.

Die Emigration hat jene letzte Phase tragischen Versagens erreicht, in der einige ihrer Mitglieder mehr Energie darauf verwenden, einander zu hassen als darauf, die Grundlage einer gemeinsamen Politik zu formen.

Die Bruederlichkeit fehlt, die noetig ist, wenn die Arbeiter die Fruechte des Sieges gewinnen sollen. Es fehlt sogar das ernsthafte Bemuehen, sie zu formulieren. ... Es befinden sich hervorragende Sozialisten aus fremden Laendern hier unter uns. Einige von ihnen haben Posten in den provisorischen Regierungen ihrer Laender inne. Aber sie sprechen zu den Voelkern der Welt nicht mit der einen Stimme, die fuer die Zukunft so wichtig ist. Sogar die Propaganda in die feindlichen Laender, die von Sozialisten kommt, ist verworren und unsicher."

Laski erklaert, es sei Zeit, dass die Genossen in der internationalen sozialistischen Bewegung mit der Verstaendigung untereinander ernsthaft beginnen, und er stellt als Diskussionsgrundlage eine Reihe von Zielen auf, ueber die Einigkeit unter den internationalen Sozialisten erreicht werden muesse.

Diese Ziele sind:

1. Fuehlungnahme mit der Sowjetunion mit dem Ziele, die Spaltung zwischen den Internationalen zu beenden, bevor der Krieg endet.

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2. Ein Versprechen, alles zu tun, um die Sicherheit der Sowjetunion in der Zeit des Wiederaufbaus zu gewaehrleisten und freundschaftliche Beziehungen zwischen der russischen Arbeiterklasse und den Arbeitern der anderen Laendern herzustellen.

3. Ein Beschluss, soweit moeglich jeden Versuch der Sieger-Regierungen zu verhindern, Arbeiter-Revolutionen zu hemmen, insbesondere durch Verweigerung von Hilfsmassnahmen fuer sozialistische Regierungen, welche die Macht ergreifen.

4. Ein Beschluss, soweit moeglich in den befreiten Laendern die Machtergreifung von Kraeften zu verhindern, die vor der Invasion Norwegens und der Niederlande mit dem Nazismus Hand in Hand arbeiteten oder ihn foerderten.

5. Ein Beschluss, soweit moeglich die Wiederaufnahme imperialistischer Ausbeutung nach dem Krieg zu verhindern und Indien zur Selbstregierung zu helfen.

6. Die Abruestung Deutschlands und die Zerstoerung der sozialen und oekonomischen Grundlagen des deutschen Militarismus zu fordern, aber die Auferlegung eines Rachefriedens zu verhindern.

7. Rassische und religioese Gleichberechtigung aller Voelker zu fordern.

8. Bei der Anerkennung des Rechts aller Nationen auf kulturuelle Unabhaengigkeit die Wiederkehr der Anarchie souveraener Staaten zu verhueten und deshalb eine neue internationale Autoritaet zu organisieren, die die Macht hat, in Angelegenheiten gemeinsamer Bedeutung den Staaten ihr Gesetz aufzuwingen.

9. Zu ermoeglichen, dass revolutionaere Propaganda nach feindlichen Laendern getrieben wird.

10. Alles zu tun, um das spanische Volk vom Franco-Regime zu befreien.

11. Von den Regierungen der Vereinten Nationen zu fordern, dass sie den versklavten Voelkern die freie Wahl darueber gestatten, ob sie nach Hitlers Niederlage die personelle Zusammensetzung der jetzt in London befindlichen provisorischen Regierungen akzeptieren.

12. Das Verlangen nach demokratischer Erziehung in der Nachkriegswelt.

13. Schaffung der fuer die Hilfsmassnahmen nach dem Kriege notwendigen Organisation, deren Hilfe den

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Voelkern feindlicher Laender nicht vorenthalten bleiben soll.

14. Den Arbeitern der Vereinigten Staaten die Gefahr der Rueckkehr der amerikanischen Regierung zum Isolationismus vor Augen zu fuehren.

Diese Vorschlaege sollen, wie gesagt, den Beginn einer internationalen Diskussion bilden, ueber die wir in den folgenden Nummern der SM soweit moeglich berichten werden.

in Deutschland nach dem Sturz der Hitlerdiktatur war das Thema mehrerer Sitzungen und einer Mitgliederversammlung, der der "Union" angeschlossenen deutschen sozialistischen Organisationen.

Im Verlauf dieser Aussprachen waren sich alle Teilnehmer einig in der Erkenntnis, dass die bisherige Zersplitterung der deutschen Arbeiterbewegung im Hinblick auf ihre schweren und grossen Zukunftsaufgaben ueberwunden werden muss. Die sachliche und kameradschaftliche Atmosphaere, in der diese Aussprachen gefuehrt wurden, hat eine wesentliche Voraussetzung fuer ein positives Resultat weiterer Einzelberatungen ueber die Formen und Aufgaben dieser neuen, geeinten sozialistischen Partei geschaffen.

Es ist daher der Wille aller Beteiligten, ueber die bisher entwickelten allgemeinen Gedankengaenge hinaus eine programmatische Grundlage fuer die Zielsetzung und die organisatorischen Formen der kommenden deutschen sozialistischen Partei zu schaffen.

Die der Einzelberatung zu Grunde liegenden Ausfuehrungen eines Referates des Gen. Erich Ollenhauer in der Mitgliederversammlung der "Union" am 6. Dezember 1942 in London sind jetzt vervielfaeltigt worden. Sie sollen auch dazu dienen, die deutsche sozialistische Emigration in anderen Laendern ueber den Stand und den Inhalt der bisherigen Aussprache zu informieren und sie zur Mitarbeit und zur Kritik anzuregen.

Es muss unterstrichen werden, dass dieses Referat nur eine erste Zusammenfassung der wesentlichen Grundgedanken ist, die bisher in den vorbereitenden Aussprachen aufgetaucht sind.

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Viele Einzelheiten muessen noch erarbeitet werden, und nicht in allen Fragen besteht volle Uebereinstimmung.

Aus dem bisherigen Verlauf der Diskussion kann man jedoch die Hoffnung schoepfen, dass das Gemeinsame stark genug ist, um mit Erfolg den Versuch zu unternehmen, das Aktionsprogramm und die politischen und organisatorischen Grundlagen der neuen Partei zu erarbeiten und dadurch einen wichtigen Beitrag der deutschen sozialistischen Emigration zu den schweren Aufgaben der deutschen Arbeiterbewegung in der Zukunft zu leisten.

Die Grundgedanken dieses Referates sind in folgende Abschnitte gegliedert: Die Rolle der Emigration, die Aufgaben in der Uebergangszeit, die organisatorische Aufgabe in der Uebergangszeit, das Aktionsprogramm der neuen Partei, das Verhaeltnis zu den Kommunisten und die neue Sozialistische Arbeiter-Internationale.

Die monatliche Rundschau des IGB, deren Veroeffentlichung nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Jahre 1940 eingestellt wurde, wird in diesen Tagen in neuer Form wieder erscheinen, und zwar in englischer und spanischer Sprache.

Seit Ausbruch des Krieges sind die meisten internationalen Gewerkschaftsorganisationen vom europaeischen Festland nach Gross-Britannien uebersiedelt. Die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit wurde seit langem gefuehlt. Aus diesem Grunde entschied kuerzlich eine internationale Gewerkschaftskonferenz, fuer die Kriegsdauer einen provisorischen Gewerkschaftsrat einzusetzen und in seinem Namen eine monatliche Gewerkschaftsrundschau zu veroeffentlichen, die nun unter dem Titel "Gewerkschaftswelt" vom IGB, Transport House, London SW1, herausgegeben wird. Der Hauptredakteur ist Walter Schevenels, Generalsekretaer des IGB, der beigeordnete Redakteur ist Paul Tofahrn[17], Sekretaer der Internationalen Transportarbeiter-Foederation.




[Spendenaufruf]

An unsere Leser! Diese News-letter erscheinen seit Anfang des Krieges. Herstellungskosten, Material und Versand werden durch freiwillige Beitraege aufgebracht.

Geldsendungen erbeten nach 33, Fernside Ave., London, N.W.7.

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im Februar 1943

im Austrian Labour Club, 31, Broadhurst Gardens, N.W.6

Freitag, d. 5. Februar, 7.30 p.m. Mitglieder-Versammlung mit Vortraegen der Genossen Victor Schiff und Erich Ollenhauer ueber unser Verhaeltnis zu den Kommunisten und Sowjetrussland.

Freitag, d. 19. Februar, 7.30 p.m. Mitglieder-Versammlung mit Aussprache ueber die Referate der Genossen Victor Schiff und Erich Ollenhauer.

Freitag, d. 5. Maerz, 7.30 p.m. Mitglieder-Versammlung. Tagesordnung wird spaeter mitgeteilt.

Sonntag, d. 7. Maerz, nachm[ittags] ab 4 Uhr, geselliges Beisammensein im Heim 90, Fitz John's Venue. Heitere Dichtungen, Schallplattenmusik und Tanzgelegenheit. Kaffee und "home made" Fastnachtspfannkuchen. Bitte die Kaffeetassen mitzubringen. Unkostenbeitrag. Angehoerige und Freunde sind herzlich willkommen.




Fabian International Bureau

Conference on Thursday 25th February at 6 p.m.
Royal Hotel, Upper Woburn Place, London
"Quislings of the Peace"

The speakers are M. André Philip and Kingsley Martin and the Chair will be taken by Lord Faringdon[18].

We are inviting representatives of European countries to be present and to participate in the discussion. The price of admission will be 1/- to members of the Bureau and 1/6 to non-members.




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London N.W.7.
Tel.: Mill Hill 3915






Editorische Anmerkungen


1 - Walter Hertner, österreichischer Schauspieler, Mitarbeiter des Deutschen Dienstes der BBC, Produzent der Kriegsgefangenensendungen seit 1940.

2 - Fritz Husemann (1873 - 1935), Sozialdemokrat und Gewerkschafter, seit 1919 Vorsitzender des Bergarbeiterverbandes, 1924-1933 MdR, seit März 1933 mehrmals verhaftet, kurz nach seiner Einlieferung in das KZ Esterwegen "auf der Flucht erschossen".

3 - Am 20. Juli 1932 wurde die preußische Regierung (SPD, Zentrum etc.) durch eine "Notverordnung" des Reichspräsidenten abgesetzt und der kommissarischen Gewalt des Reichskanzlers Franz von Papen unterstellt. Offizielle Begründung: Die preußische Regierung hätte die politischen Unruhen nicht im notwendigen Umfang bekämpft.

4 - Im Februar 1933 wurde eine außerordentliche Tagung des Generalrats des IGB nach Zürich einberufen. Die noch bestehenden deutschen Gewerkschaften nahmen nicht daran teil. Sie lehnten auch Aktionen des IGB gegen das NS-Regime vorläufig ab, und zwar aus Furcht, die Existenz der deutschen Gewerkschaftsbewegung ganz aufs Spiel zu setzen. Im April/Mai 1933 wurde der Sitz des IGB von Berlin nach Paris verlegt. Vgl. auch Walter Schevenels: Fünfundvierzig Jahre IGB. 1901-1945, Brüssel 1956 (hektogr.).

5 - Anatole France (1844 - 1924), Schriftsteller, 1921 Nobelpreis für Literatur.

6 - Max Westphal (1895 - 1942).

7 - Die erste Nummer erschien 1932. Die "Neue Volks-Zeitung" war das Nachfolgeorgan der "New Yorker Volkszeitung" (1878-1932).

8 - Eleanor Roosevelt (1888 - 1962), von Beruf Lehrerin für englische Sprache, seit 1905 mit ihrem Vetter Franklin D. Roosevelt verheiratet, in der Politik und als Journalistin/Publizistin tätig, als Mitglied der amerikanischen Delegation Teilnahme an den Vollversammlungen der Vereinten Nationen 1946-1952, 1947-1951 Vorsitzende der UN-Kommission für Menschenrechte.

9 - Mayling Chiang bzw. Mei-ling Tschiang, geb. Soong (geb. 1897), Soziologin, heiratete 1927 den chinesischen General und Politiker Chiang Kai-shek.

10 - Earl Count Harrison (geb. 1899), amerikanischer Jurist, 1942-1944 mit dem US-Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft beauftragt.

11 - OWI war die offizielle, 1942 von Roosevelt ins Leben gerufene US-Organisation für Kriegspropaganda.

12 - George Nauman Shuster (1894 - 1977), US-Autor und Anglist, 1940-1960 Dekan am Hunter College, New York, und dessen Präsident.

13 - Per Albin Hansson (1885 - 1946), schwedischer Sozialdemokrat, Gewerkschafter und Journalist, 1920-1926 Verteidigungsminister, 1932 bis zu seinem Tod Ministerpräsident, zeitweise Vorsitzender der schwedischen Sozialdemokraten.

14 - Die Bekanntgabe dieses Befehls (zum äußersten Widerstand gegen die Invasoren) erfolgte während einer Parlamentsrede Hanssons am 19.1.1943 anlässlich der Haushaltsberatungen.

15 - Gemeint ist die Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Schweden.

16 - Englischer Titel: "Trade Union World". Erschien von Januar 1943 bis Dezember 1945 in London.

17 - Paul Tofahrn, vor dem Krieg Leiter des ITF-Büros in Paris, gehörte 1944 der Gruppe Internationaler Sozialisten in London an; 1943-1945 Mitherausgeber der "Trade Union World", des Monatsorgans der IFTU.

18 - Alexander Lord Faringdon (1902 - 1977), seit 1943 Vorstandsmitglied der Fabian Society.




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