SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 41 - 1942

Anfang September

[Seite: - 1 -]

In den Berichten aus Deutschland, die wir als Sonderbeilage in dieser Nummer veröffentlichen, finden wir abweichende Schilderungen in bezug auf die Einzelheiten des Alltages im Dritten Reich, aber alle Berichte bestätigen die wachsende Erkenntnis aller Schichten des Volkes, dass Hitlerdeutschland den Krieg verlieren wird.

Hitlers Armeen stehen am Nordkap und auf Kreta, am Kaukasus und an der spanischen Grenze[1], aber der Glaube an den Endsieg ist zutiefst erschüttert, und die Angst vor dem unabwendbaren Ende mit Schrecken packt die Menschen.

Dieser Stimmungsumbruch in Hitlerdeutschland beleuchtet die militärische und politische Gesamtsituation am Beginn des vierten Kriegsjahres. Die Waage der Entscheidung in diesem Zweiten Weltkrieg neigt sich definitiv zugunsten der Sache der Freiheit und der Demokratie.

Der Ausgang dieses schicksalsschweren Kampfes war keineswegs in allen Phasen der drei ersten Kriegsjahre gewiss. Die spätere Geschichtsschreibung wird uns zeigen, wie oft in dieser Zeit das Schicksal dieses Freiheitskampfes gegen die faschistische Barbarei an einem seidenen Faden hing.

Drei Fakten haben schliesslich im wesentlichen den Lauf der Dinge bestimmt. Der Entschluss Englands, nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Frühsommer 1940 allein weiterzukämpfen, der grossartige Widerstand der Sowjetunion gegen den heimtückischen Ueberfall Hitlers und der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg.

Fast drei Jahre hat Hitler den Vorteil seiner langjährigen Kriegsvorbereitung ausnutzen und in grosse militärische Erfolge ummünzen können. Fast drei Jahre haben

[Seite im Original:] - 2 -

seine demokratischen Gegner mit grossen Opfern an Gut und Blut ihre Vertrauensseligkeit gegenüber den falschen Friedensbeteuerungen Hitlers bezahlen müssen, aber nun kommt der Zeitpunkt, an dem die Gegner sich unter gleichen Bedingungen gegenüberstehen und an dem sich das Uebergewicht der militärischen und wirtschaftlichen Kraft endgültig auf die Seite der Demokratien neigt.

Am Beginn des vierten Kriegsjahres ist es noch zu früh, die Bilanz des Jahres 1942 zu ziehen. Im Osten sind die grossen Schlachten des Jahres noch nicht zu Ende. Hitler unternimmt alle Anstrengungen, ohne Rücksicht auf die Opfer an Menschen und Material, um in den wenigen noch verbleibenden Wochen vor dem russischen Winter noch einen entscheidenden Erfolg zu erreichen und Sowjetrussland für den weiteren Verlauf des Krieges als eine erstklassige Militärmacht auszuschalten. Sowjetrussland hat auch in diesem Jahr sehr schwere Opfer an fruchtbaren Gebieten, an wichtigen Industriezentren, an Rohstofflagern und an Menschen und Material bringen müssen, aber die russische Front ist intakt, und an wichtigen Abschnitten sind die Deutschen in der Defensive.

Wir können heute die Hoffnung hegen, dass sich dieses Bild - trotz möglicher weiterer örtlicher Erfolge der Hitlerarmeen - nicht mehr entscheidend ändern wird.

In diesem Fall werden drei wichtige Resultate des dritten Kriegsjahres gesichert sein. 1. Hitler wird sich in diesem Winter zum zweiten Mal einer russischen Front vom Eismeer bis zum Kaukasus gegenübersehen, und er wird im nächsten Frühjahr grosse Truppen- und Materialmengen im Osten bereithalten müssen ohne jede Aussicht auf einen entscheidenden Sieg über das russische Riesenreich. 2. Hitler wird im Herbst dieses Jahres feststellen müssen, dass das strategische Ziel der Schlacht auf den Weltmeeren nicht erreicht wurde. 3. Die Vereinigten Staaten haben die notwendige Zeitspanne gewonnen, um ihre Armee und ihre Flotte auf- und auszurüsten und ihre Riesenindustrie auf die Kriegsproduktion umzustellen.

Damit kommt der Zeitpunkt näher, an dem die Alliierten im Westen in der Lage sind, das volle Gewicht ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft in einen konzentrierten Angriff auf Hitlerdeutschland einzusetzen. Hitlerdeutschland muss dieser Offensive unter we-

[Seite im Original:] - 3 -

sentlich ungünstigeren Bedingungen begegnen als zu irgend einem früheren Zeitpunkt des Krieges.

Der russische Widerstand hat Hitler gezwungen, schon in diesem Jahr seine Reserven an Menschen und Material, an der Front und im Hinterland einzusetzen. Eine nennenswerte Steigerung dieser Anstrengungen wird selbst unter dem stärksten Terror kaum möglich sein. Auch einer Diktatur sind natürliche Grenzen in der Aufbringung von Soldaten und Arbeitskräften und in der Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft gesetzt.

Dazu kommt, dass die wachsenden Ernährungsschwierigkeiten und die Folgen der alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte und Industriegebiete den Erschöpfungsprozess eines Volkes, das nun schon fast zehn Jahre unter einer ungewöhnlichen Anspannung seiner Nervenkraft lebt, beschleunigen wird. Ihm gegenüber stehen ausgeruhte, nach den modernen Kriegserfahrungen ausgebildete Millionenarmeen und die riesigen Materialreserven Englands und Amerikas.

Eine lange und bange Zeit mussten wir unsere Hoffnung auf die Niederlage des Hitlertums auf unseren Glauben an die Unbesiegbarkeit der Ideen der Freiheit und der Zivilisation stützen, jetzt können wir sie gründen auf Fakten, auf eine militärische und wirtschaftliche Macht, die den deutschen Militarismus mit seinen eigenen Waffen zu bezwingen vermag. Täuschen wir uns dennoch nicht über die Schwere und die Langwierigkeit des vor uns liegenden Kampfes. Hitler und seine Kumpane kennen ihr Schicksal.

Verzweifelter Widerstand an den Fronten und erbarmungsloser Terror im Innern werden den Weg zur Niederlage und zum Untergang bezeichnen.

Aber das Schicksal dieses verbrecherischen Regimes wird sich erfüllen.

Unsere Hoffnung an dieser Jahreswende ist, dass diese Erkenntnis auch im deutschen Volk und vor allem in der deutschen Arbeiterschaft den Willen auslöst, durch wachsenden Widerstand aktiv den Freiheitskampf der Völker zu unterstützen und dadurch das Ende des Hitlerismus und den Sieg der Freiheit für alle Völker zu beschleunigen.


-- -- -- -- -- -- --

[Hinweis]

(Beachtet unsere Sonderbeilage: "The Third Reich during the Spring and Summer of 1942". Observations - reports - suggestions ).

[Anmerkung d. Online-Red.: LINK zur Sonderbeilage]

[Seite im Original:] - 4 -

Ueber dies[es] kürzlich erschienene und in der letzten Nummer der SM bereits zitierte Buch sprach in der Londoner SPD-Versammlung Gen. Rawitzki[2] und machte dabei folgende Ausführungen:

"Smiths Buch ist in doppelter Beziehung besonders wesentlich. Es ist der Bericht eines Augenzeugen, der bis zum [!] Ende 1941 in Deutschland geweilt hat, und geschrieben von einem sehr begabten Journalisten, der den Vorzug hat, Sozialist zu sein.

Smith hat fast seit Kriegsbeginn als Korrespondent und dann als Radio-Berichterstatter in Berlin gelebt. Nachdem er schon vorher wiederholt zu längerem Aufenthalt in Deutschland gewesen war. Während der letzten Zeit seiner Tätigkeit geriet er mit den Zensurbehörden in einen immer heftiger werdenden Streit, sodass ihm seine journalistische Tätigkeit schliesslich untersagt wurde. Am Tage der Kriegserklärung an die USA glückte es ihm dann noch, die Schweizer Grenze zu überschreiten.

In Deutschland ist er mit unzähligen Angehörigen aller Klassen der deutschen Bevölkerung in Berührung gekommen. Was [er] über das Leben und Fühlen des deutschen Arbeiters und Angestellten, die Mittelklasse und seine Berufsgenossen zu erzählen hat, trägt überall den Stempel der Glaubwürdigkeit und gewissenhaften Wiedergabe. An vielen Stellen kann die Wahrheit auch an Hand anderer Berichte nachgeprüft und festgestellt werden.

Bis zu Beginn des Krieges mit Russland waren, so erzählt Smith, die Lebensbedingungen in Deutschland durchaus erträglich. Lebensmittel, Kleidung und vieles andere kam aus den besetzten Ländern und ersetzte Lücken der deutschen Produktion. Das änderte sich mit einem Schlag Ende Juni 1941. Einmal wurde alles Verfügbare für das Heer an der Ostgrenze gebraucht, beschlagnahmt und fortgeschafft. Dann waren aber auch die besetzten Länder restlos leer gestohlen. Von dann bis zum Ende des Jahres ist dann ein weiteres ständiges Absinken in der Versorgung der Bevölkerung erkennbar gewesen. Die Wirkung auf die Stimmung der Bevölkerung hat sich stark bemerkbar gemacht, und keine noch so laute Siegesnachricht konnte daran etwas ändern.

[Seite im Original:] - 5 -

Wie stark diese Misstimmung das Anwachsen oppositioneller Strömungen beeinflusst, ist nicht exakt zu erfassen. Smith meint, man dürfe die zweifellos bemerkbare kommunistische Propaganda in Deutschland, im Augenblick jedenfalls, nicht allzu hoch einschätzen und sieht auch in dem Zwiespalt zwischen Militär und Partei keine besonders wirksame Opposition. Viel stärker aber sei der Widerstand der katholischen und bis zu einem gewissen Grade auch der protestantischen Kirche.

Die Organisation der katholischen Kirche ist die einzige, die, von der Partei abgesehen, überhaupt noch in Deutschland besteht. Auch von ihr wird allerdings aktiver Widerstand erst ausgehen, wenn eine andere Bedingung erfüllt ist, nämlich die Disziplin im Heere zu wanken beginnt. Dann wird, wie Smith meint, auch die sozialistische Arbeiterschaft in den Fabriken ein starkes Widerstandszentrum bilden. Ein militärischer Rückschlag ernsthafter Art wäre natürlich die wirksamste Grundlage einer Revolution, aber schon vorher liessen sich im Heere Oppositionskerne bilden.

Das hält Smith durchaus für möglich. Allerdings unter einer Voraussetzung: Es muss dem Soldaten ein Ziel gezeigt werden, das die Alternative bildet zu dem, was ihm als Endergebnis des Krieges heute sowohl von den Nazis als [auch] von der englisch-amerikanischen Propaganda prophezeit wird. Jede englische Propaganda, die nicht zwischen den Nazis und den Deutschen unterscheidet, sei Propaganda für die Nazis. Wenn dem deutschen Soldaten gesagt wird: Ihr seid alle gleich schuldig und euch allen ist dasselbe beschieden, dann kann kein Vernünftiger es ihm zum Vorwurf machen, wenn er zur Abwendung eines solchen Schicksals für sich und seine Familie bis zum letzten Blutstropfen für die Nationalsozialisten kämpft. Immer sei es noch besser, so wird er sagen, mit den verhassten Nazis weiterzuleben als zu unterliegen und dann den sicheren Untergang vor sich zu sehen. Das sei aber nur die negative Seite. Es müsse dem Deutschen auch gesagt werden, wofür er Revolution machen soll. Die bisher von den Alliierten aufgestellten Ziele, auch die sogenannte "Atlantic Charter", seien viel zu unbestimmt.

Nur die sofortige Verwirklichung sozialistischer Massnahmen in England selber, die den Ernst der Alliierten

[Seite im Original:] - 6 -

für die Verwirklichung einer neuen und besseren Welt beweise, könne dem deutschen Soldaten und Arbeiter den Mut geben, das Gewehr fortzuwerfen oder gegen den eigenen Vorgesetzten zu kehren. Eine Sozialisierung der Bergwerke in Wales und der grossen Industrie in England, und zwar nicht erst nach dem Kriege, sondern sofort, sei hierfür eine der ersten Voraussetzungen.

Auch in dem Frankreich nach dem Zusammenbruch sei ihm wiederholt von Franzosen aller Kreise gesagt worden: Wofür sollen wir denn weiterkämpfen, etwa um die gegenwärtigen Zustände aufrecht zu erhalten? Gebt uns etwas, für das wir kämpfen können, und wir versprechen euch, die Armeen werden aus der Erde wachsen.

Nicht anders würde es auch in Deutschland kommen.
Wir zitieren Howard Smith:

"Was ich vorschlage, ist kein Traum. Es bedeutet auch nicht allein die Schaffung kluger Propagandaschlagworte. Was ich meine, ist, dass unsere privilegierten Klassen ihre Privilegien opfern müssen. Wenn sie diese Opfer nicht bis zur letzten Yacht und dem letzten Rennpferd freiwillig bringen wollen, dann müssen sie dazu gezwungen werden. Und wenn unsere Führer sie dazu nicht zwingen wollen, dann wollen wir andere Führer haben. Das einzige, was uns heilig sein muss, ist das Leben unserer Soldaten an der Front und ihre Zukunft - und zwar der Soldaten aller Nationalitäten - in der Welt, die kommen soll, nachdem wir Hitler besiegt haben." - Wir wünschen dem Buch viele aufmerksame Leser, es ist eines der wichtigsten Neuerscheinungen.

Vor einigen Monaten wurden in Mannheim 14 deutsche Antifaschisten von den Nazis hingerichtet. Aus Gründen der Abschreckung hatten in diesem Falle die Nazis selbst für die Bekanntmachung des Tatbestandes gesorgt. Das Verbrechen dieser deutschen Freiheitskämpfer bestand in der Bemalung von Wänden mit Antinazilosungen, Verteilung von Flugblättern und der Organisierung von Betriebs-Sabotage. Die Namen dieser aktiven Hitlergegner waren seit einiger Zeit bekannt. Willi Eichlers "Europe speaks" teilt nun mit, dass es sich um 10 Sozialdemokraten und 4 Kommunisten handelte.

[Seite im Original:] - 7 -

Dies[es] Thema behandelte Hans Gottfurcht in einer von der Union einberufenen Mitglieder-Versammlung in London. Ausgehend von der Tatsache, dass das viel diskutierte deutsche Problem nur ein Teilproblem der internationalen Fragen sei, wies der Referent auf die Notwendigkeit der endgültigen Beseitigung imperialistischer deutscher Angriffslust hin. Deutsche Sozialisten begannen ihren Kampf gegen die Wurzel des Imperialismus, den Kapitalismus, nicht erst, als er im Nazismus seine gefährlichste Form annahm.

Die entwicklungsgeschichtlichen Tendenzen dürften nicht unterschätzt werden. Wir unterlagen zwischen 1918 und 1933 zu oft einer falschen Einschätzung der Werte. Masse wurde für Kraft genommen, Organisation wurde oft Selbstzweck, Kampfmüdigkeit und mangelnder Machtwillen gaben die Grundlage für viele Fehler. Die Umformung der Mentalität war nicht weitreichend genug; die Aufgabe war überschattet vom Primat der Aussenpolitik. Die fortschreitenden Krisen führten erst zur Indifferenz und schliesslich zur Feindseligkeit der Massen.

Gibt es einen revolutionären Geist in Deutschland? Unsere Antwort ist ein uneingeschränktes Ja, vorausgesetzt, dass es eine revolutionäre Situation gibt.

Wir glauben, dass ein "friedfertiger" Uebergang vom Hitler-Chaos der Zusammenbruchsperiode zur geordneten, hoffentlich sozialistischen, Demokratie unmöglich ist.

Wir glauben an die revolutionäre Situation und an das Vorhandensein potentieller Kräfte, sie auszuführen. Es mag Menschen geben, die am Kommen der Revolution zweifeln, die geistige Bereitschaft des Sozialisten zur Revolution sollte jedoch ausser Frage stehen.

Hierbei blieben die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die zur revolutionären Umgestaltung zwingen, unerörtert. Das Referat diente nur der politischen Argumentation. Deutsche Sozialisten haben bei anderer Gelegenheit ihre Entschlossenheit zur völligen Vernichtung der Nazi-Gewalten, des deutschen Militarismus und ihrer Hintermänner bekundet, ihren Willen zur Abrüstung und Wiedergutmachung zum Ausdruck gebracht. Der Hinweis hierauf genügt, es bedarf keiner Wiederholung.

[Seite im Original:] - 8 -

Die in London erscheinende "Zeitung" berichtete kürzlich über angebliche Pläne in deutschen rechtsgerichteten und militärischen Kreisen, die auf eine Umbildung der Reichsregierung unter Führung von Schacht und Papen zwecks späterer Friedensangebote hinzielten. Abgesandte des berüchtigten "Herrenklubs" hätten in diesem Sinne in der Schweiz vorgefühlt. Uns interessiert vor allem an diesem Bericht der "Zeitung" die zusätzliche Behauptung, dass auch unser Genosse Otto Braun, der bekanntlich im Kanton Tessin in grösster Zurückgezogenheit lebt, von den angeblichen Unterhändlern sondiert worden sei und "als alter politischer Routinier" eine dilatorische Antwort erteilt habe.

Einer unserer Freunde hat daraufhin Otto Braun telegraphisch benachrichtigt und um Rückäusserung gebeten. Er erhielt die eindeutige telegraphische Antwort:

"Mir ist von Umbildungsplänen der Reichsregierung nichts bekannt. Niemand hat mich irgendetwas gefragt, daher habe ich auch keinerlei Antwort erteilt.

Grüsse, Otto Braun.

Wir wissen nicht, welche Absichten mit der Hineinziehung Otto Brauns in diese Angelegenheit verfolgt wurden. Wir können unseren Parteifreunden nur raten, falls sie in diesem Zusammenhang "angezapft" werden sollten, auf dieses kategorische Dementi unseres Genossen zu verweisen, das zu bringen die "Zeitung" abgelehnt hat.

unter dessen Klängen am 10. August 1792 das Königsschloss Tuilerien gestürmt wurde, veranstalteten unsere französischen Gewerkschaftsfreunde am 9. August im Londoner Stoll-Theater eine Internationale Kundgebung.

Der unter finanzieller Mitwirkung des französischen Gewerkschaftsbundes vor fünf Jahren entstandene packende Revolutionsfilm "La Marseillaise" wurde bei dieser Gelegenheit zum ersten Male in London vorgeführt.

Zuvor wurden mehrere wichtige politische Reden gehalten, u.a. vom Vorsitzenden Henry Hauck, von Arthur Greenwood im Namen der britischen Arbeiterbewegung, vom neuen sozi-

[Seite im Original:] - 9 -

alistischen Kommissar im de Gaulleschen Nationalkomitee, André Philip, und vom Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Walter Schevenels.

Die zündende und meisterhafte Rede Philips, der die führende Rolle des französischen Proletariats im Kampfe gegen Nazismus und Faschismus hervorhob und den Anspruch der Arbeiterschaft auf eine entsprechende Rolle bei der Neugestaltung der französischen Republik nach dem Kriege betonte, machte starken Eindruck auf die zahlreichen Zuhörer, unter denen sich auch die Vertreter aller exilierten Arbeiterorganisationen befanden.

Genosse Schevenels begrüsste in seiner Rede auch ausdrücklich die anwesenden deutschen, italienischen und österreichischen Genossen.

Mitte August ist ein anderer hervorragender französischer Sozialist in London eingetroffen, Genosse Félix Gouin[3], Parteimitglied seit 40 Jahren, Abgeordneter aus der Marseiller Gegend und [!] seit 18 Jahren und zuletzt stellvertretender Vorsitzender der sozialistischen Kammerfraktion. Als solcher gehörte er zu den Mutigen, die im Juli 1940 mit Léon Blum, Marx Dormoy (und auch André Philip) gegen die Verfassungsvollmachten für Pétain-Laval stimmten und als einer der Verteidiger Léon Blums in dem nun historischen Prozess in Riom eine hervorragende Rolle spielte.

Mit der Anwesenheit Gouins und Philips hat die Bewegung de Gaulles einen neuen Charakter als Vertreterin auch des im Inneren kämpfenden französischen Proletariats angenommen.

Starke Meinungsverschiedenheiten in der deutschen politischen Emigration in Mexiko haben zu einer öffentlichen Diskussion in der amerikanischen Presse geführt. Deutsche Kommunisten, die sich um die von ihnen gegründete Zeitschrift "Freies Deutschland"[4] sammelten, bekämpfen die in Mexiko schon lange bestehende antifaschistische Flüchtlingsvereinigung "Liga für deutsche Kultur".[5]

[Seite im Original:] - 10 -

Genossinnen aus England, Frankreich, Belgien, Polen, der Tschechoslowakei, Italien, Norwegen, Oesterreich und Deutschland zeigten auf einer Veranstaltung zum dritten Jahrestag des Kriegsausbruches, dass es eine wirkliche internationale Verbundenheit europäischer Sozialisten geben kann. Die Vorsitzende, Barbara Gould, Executive Mitglied der Labour Party, gab ihrer Freude darüber Ausdruck, dass es möglich war, Sozialistinnen aus "allied" und "enemy" countries auf einer Plattform zu vereinigen. Alle Rednerinnen unterstrichen, dass der kommende Friede nur in einem sozialistischen Europa von Dauer sein kann. - Für die deutschen Genossen sprach unsere Genossin Herta Gotthelf.

Die britische Labour Party veranstaltete in der Caxton Hall in London am 2. September ein "International Protest Meeting against German Atrocities in Poland an Czechoslowakia". Sprecher waren: Herbert Morrison, Louis de Brouckère (Belgien), Adam Ciolkosz (Polen), Jan Masaryk (Tschechoslowakei), Arne Ording (Norwegen), André Philip (Frankreich), Szmul Zygielbojm[6] (Polen) (Bund), und Mary Sutherland (Grossbritannien).

Die Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien übermittelte dem Vorsitzenden der Kundgebung, Alfred J. Dobbs[7], Vorsitzender der Exekutive der Labour Party, folgendes Schreiben:



UNION OF GERMAN SOCIALISTS
ORGANISATIONS IN GREAT BRITAIN

Chairman: Hans Vogel

August 31st, 1942.

Dear Comrade,

we have the desire to associate ourselves once again wholeheartedly and fervently with the condemnation of the barbarous atrocities committed by Hitlerite Germany against the brave peoples of Poland

[Seite im Original:] - 11 -

and Czechoslovakia and of so many other European countries and with the worldwide sympathy that goes out to the victims of these unspeakable horrors.

May we draw your attention to the enclosed resolution adopted on [the] June 16th by a number of organisations of German refugees in this country, in which we have expressed our condemnation of Nazi barbarism. We wish to emphasize once more that we are most eager to see these horrors stopped by the complete defeat and destruction of Hitlerism, to see punishment meted out to the Fascist criminals and all the wrongs righted which they have done.

In associating ourselves with the protest against Hitlerite atrocities all over occupied Europe we are unable to forget the first victims of Nazi brutality: the tens of thousands of German Socialists and Trade unionists who were murdered or put into concentration camps to endless sufferings and final death.

Our determination to end once for all the power of German aggression and militarism, to remove the economic background of these forces, has no limit.

We regret that you couldn't find the possibility to admit one of our representatives as speaker on the platform. We should be grateful if you would kindly convey our attitude to your meeting.


Yours fraternally,
(signed) Hans Vogel

die kürzlich von den österreichischen und deutschen Landesgruppen der Gewerkschaften in Grossbritannien herausgegeben wurden, zeigen nicht nur ein Bild vielseitiger Arbeit und erfreulicher Entwickelung, sondern auch einen Geist wahrhafter Internationalität. Ueber die praktische und organisatorische Bedeutung dieser Zusammenarbeit zitieren wir aus dem Bericht der deutschen Landesgruppe: "Im März fand eine Konferenz der ausländischen Gewerksch[afts]gruppen statt, der im Juli eine internationale Konferenz folgte. In dem [als] Ergebnis der Beratungen bestätigten Emergency International Trade Union Council sind neben den verfügbaren Vorstandsmitgliedern des IGB, der Landeszentralen und Internationalen Berufssekretariate auch die Landesgruppen ausländischer Gewerkschafter mit beratender Stimme vertreten."[8]

[Seite im Original:] - 12 -

im September 1942

Die Zusammenkünfte der Londoner SPD finden auch im September im
Club House, 31 Broadhurst Gardens, London NW6 (Underground Station: Finchley Road)
statt und zwar an folgenden Tagen:


Freitag, den 11. September, 7.30 Uhr. Die Organisationssekretärin des "Fabian International Bureau", Mildred Bamford[9], wird in englischer Sprache über die Entstehung und die Aufgaben der Fabian Society sprechen. Gäste sind willkommen!


Sonnabend, den 26. September, 5.00 Uhr nach[mittags], Mitglieder-Versammlung. Möller Dostali[10] spricht über: "Autoritärer und demokratischer Sozialismus". Der Sonnabendnachmittag wurde als Versammlungstag gewählt, um den auswärts Wohnenden die Möglichkeit des Versammlungsbesuches zu erleichtern.




Freiwillige Beiträge für die SM spendeten:
Prof. K. sh 5/-; K.L., Llgn., 2/5; XYZ 5/-; Adam CZ 5/-; A.K., Windsor, 1/-; Leo N. 1/-; Mrs. R-y. 10/-; W.L-m. 5/-; N., Redhill, 3/-; H.V. 5/-; R.Kr. 1/-; E.Gr. 1/-; E.Sch. sh 1/-; Dr.F.S.J. 1/-; ABC £ 10.-.-; Percy L.D. 4/-; Dr.A.H. 2/-; Schn-H., Liverp., 2/-; Ing.M., B'ham, 4/-; J.J. sh 3/6; D.E.F. £ 5.-.-; G.H.I. £ 5.-.-; Alfr.M. 1/-; R.G. 2/-; R.Fr. £ 1.-.-; P.S., York, 3/-; E.L. 2/-; Sgt. H.G. 5/-; W.Kr. 1/-; W.K., Guildf., 1/6; J.L. £ 1.-.-; Pte R. 2/-; H.M., Leeds, 10/-; Wr.M. 5/-; E.Bl. 1/-; H.G. sh 1/-; E.Sch. 5/-; Li., Llang., 2/6; K.G., Bradford, 5/-; A.S. 6/-; Ilse C. 3/-; Eva u. Elisabeth 3/-; John G. 1/-; P.W. 1/-; Mrs.M. 2/-; W.K. 2/-; S.R., Oxford, 3/-; E.Sch. sh 4/-; L.Pr. 2/-; R.N. 2/-; S.Lö. 3/-; G.Gl. 5/-; K.J., South Africa-friends, £ 4.10; Dr.M., Cambr., 25/-.

Herzlichen Dank allen Spendern. Nur diese freiwilligen Spenden ermöglichen uns die Herausgabe und Versendung der SM, deren vorliegende Nummer £ 10.-.- erfordert!




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.






Editorische Anmerkungen


1 - Die unbesetzte Südzone Frankreichs wurde im November 1942 von den Deutschen besetzt.

2 - Carl Rawitzki (1879 - 1963), sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, 1933 Berufsverbot, 1939 Exil in Großbritannien, 1940 ausgebürgert. 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1952-1962 SPD-Stadtverordneter in Bochum.

3 - Felix Gouin (1884 - 1977), Januar bis Juni 1946 französischer Ministerpräsident.

4 - "Freies Deutschland", erschien 1941-1946 in Mexiko (monatlich), 1946 unter dem Titel "Neues Deutschland".

5 - Die "Liga Pro-Cultura Alemána" war eine überparteiliche Vereinigung von deutschen Emigranten und Auslandsdeutschen. Entstanden Ende 1937/Anfang 1938.

6 - Szmul Zygielbojm (1895 - 1943), polnischer Sozialist, gehörte 1939 zu den Verteidigern Warschaus, 1940 Flucht aus deutscher Gefangenschaft nach Großbritannien, Mitglied des Polnischen Nationalrats (= Exilparlament), Freitod.

7 - Alfred James Dobbs (1882 - 1945), britischer Gewerkschafter und Labour-MP, bei einem Autounfall kurz nach dem Krieg ums Leben gekommen.

8 - Im Mai 1941 hatte ein Komitee des Internationalen Gewerkschaftsbundes und der Internationalen Berufssekretariate die Aktionsfähigkeit der Gewerkschaftsinternationale durch Gründung eines Notstandsrates wieder herzustellen. Zusammensetzung siehe Text der SM!

9 - Zu Mildred Bramford konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

10 - Rudolf Möller-Dostali (1892 - 1961), Journalist und Parteifunktionär, in den 20er und Anfang der 30er Jahre KPD-Mitglied, ab 1933 Exil in der CSR, 1938 Großbritannien, 1942 SPD-Mitglied. 1946 Rückkehr nach Deutschland, journalistische Tätigkeit für SPD- und DGB-Zeitungen.



Zu den Inhaltsverzeichnissen