SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 40 - 1942

1. August

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In diesen Tagen sind es 25 Jahre, dass das vierte, entscheidende Jahr des Ersten Weltkrieges begann. Und noch vier Wochen trennen uns vom Beginn des vierten Jahres dieses Krieges. Wo steht Deutschland heute? Ist es in der gleichen Lage wie in jenen schwülen Tagen des Hochsommers 1917?

Fast alle Berichte sprechen von einer Verschlechterung der Stimmung in Deutschland, die in einem offenbaren Gegensatz zu der Stimmung im Heer steht. Es gibt ausserordentlich viele und verschiedene Gründe für diesen Stimmungsniedergang in Deutschland.

Einer der wesentlichsten Gründe ist die auf allen Gebieten verlangte Steigerung der Leistungen.

Die leichten Siege des ersten Kriegsjahres sind lange vorbei. Der Widerstand Englands und Russlands, die Niederlage im vergangenen Winter und die beginnende Rüstungsflut Amerikas haben an die Stelle der selbstzufriedenen Siegessicherheit, die ihren Höhepunkt im Sommer 1940 erreichte, die wachsende Sorge und den Zwang zur Steigerung der Rüstungsproduktion gebracht. Das wird auf viele Weise versucht: durch Heranziehung weiterer Arbeitskräfte, durch Einschränkung des zivilen Bedarfs, durch Rationalisierung, durch Arbeitszeitverlängerung und durch verstärkten Druck auf die überfallenen Gebiete.

Besondere Anstrengungen werden gemacht, um die Zahl der Arbeitenden zu steigern. Das ist, wenigstens auf dem Papier, gelungen. (Mai 1941: 23 Millionen, Februar 1942: 24 Millionen Beschäftigte). Diese Steigerung dürfte jedoch vor allem durch statistische Manipulation erreicht sein.

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Hauptquellen für weitere Arbeitskräfte
bilden die Kriegsgefangenen, von denen zur Zeit wahrscheinlich 2,5 Millionen beschäftigt sind, die ausländischen Arbeiter, deren Zahl mit 2,1 Millionen wahrscheinlich zu niedrig angegeben wird und die verstärkte Heranziehung von Frauen. Wie weit die Suche nach Rüstungsarbeitern geht, zeigen die Berichte über die Rüstungsproduktion in Konzentrationslagern und Zuchthäusern.

Die Einschränkung der zivilen Produktion
und des zivilen Verbrauchs wird auf mannigfache Art betrieben: Betriebe werden stillgelegt oder auf Kriegsbedarf umgestellt, eine Reihe von Bedarfsartikeln wird nicht mehr hergestellt, neue Rationierungsvorschriften erlassen und weitere Arbeiterkategorien in kriegswichtige Industrien überführt.

Reorganisation und Rationalisierungsmassnahmen,
über die wir bereits kurz in der vorigen Nummer der SM berichteten, stehen im Vordergrund. Arbeits- und menschensparende Massnahmen werden mit verstärkter Rücksichtslosigkeit durchgeführt, Betriebe und Produktion zusammengelegt. Reorganisationsmassnahmen in fast allen Teilen der Kriegswirtschafts-Organisation sollen Doppelarbeit vermindern, die Inflation der Bürokratie stoppen und den Umfang des Formularwesens, der statistischen Erhebungen und der Zuständigkeiten herabsetzen.

Verlängerung der Arbeitszeit
Ueberall dort, wo dadurch nicht ein Absinken der Gesamtleistung zu befürchten ist, sind Urlaubsstreichungen weitere Mittel der erzwungenen Leistungssteigerung. Fast alle diese Massnahmen wirken sich selbstverständlich in einer weiteren Anspannung der Kräfte des Einzelnen aus. Lebensgewohnheiten müssen aufgegeben werden, grössere Leistungen erzielt und weitere Opfer gebracht werden. Das wirkt sich zwangsläufig auf die Stimmung [aus].

Die verschlechterte Lebensmittellage
drückt ebenfalls die Stimmung herab, schafft eine nervöse Ueberreiztheit, häufige Streitigkeiten aus nichtigen Anlässen usw., die in fast allen Berichten als charakteristische Symptome mitgeteilt werden. Die vor Kriegsausbruch gesammelten Vorräte dürften im Laufe des

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vorigen Jahres zum grossen Teil verbraucht worden sein, sodass man vorwiegend auf die Ernte angewiesen ist. Das zwingt dazu, mehr zu erzeugen und weniger zu verbrauchen. Eines der wichtigsten Hemmnisse für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ist jedoch wiederum der Mangel an Arbeitskräften, der zu weiteren Zwangsmassnahmen für die Beschaffung von Kräften und dadurch zu gesteigerter Unzufriedenheit geführt hat.

Die Aussichten für die neue Ernte
und für die Sicherung der Lebensmittelversorgung sind trotz aller Zwangsmassnahmen ungünstig. Die Entlassung Darrés und die damit verbundenen Massnahmen sind sichtbare Zeichen für die Schwierigkeiten. Grosse Sorgen macht auch die Viehhaltung. Insbesondere ist [es] das Schweineproblem, das - etwa zur gleichen Zeit wie im vorigen Krieg - den für die Fett- und Fleischbeschaffung Verantwortlichen die grösste Sorge macht. Die Gesamtverschlechterung der Lebensmittelsituation hat

einschneidende Folgen für jeden Einzelnen.
Seit der grossen Kürzung der Rationen im März dieses Jahres sind weitere Aenderungen in der Verteilung erfolgt. Sowohl in der Quantität wie in der Qualität sind Verschlechterungen unbestreitbar. Das Brot ist dunkler geworden (Gerstenmehl-Beimischung); das Gebäck seltener und das Restaurant-Essen noch eintöniger. Die Fettknappheit wird als besonders drückend empfunden. Fett jeglicher Art ist ein Luxusartikel. Keine Milch für Erwachsene, wenig Milch für Kinder, gekürzte Fleischrationen. Vielfach sind die bewilligten Rationen nur auf dem Papier. Ausweichmöglichkeiten durch Kauf von Geflügel, Obst usw. sind sehr stark vermindert und existieren für den durchschnittlichen Arbeiter sowieso nicht.

Unruhe und Unzufriedenheit
wurden gesteigert durch die starke Kartoffel- und Gemüseknappheit, die für Monate ausserordentlich fühlbar war. Nicht viel besser steht es um die anderen Bedürfnisse des täglichen Lebens. Bekannt ist die ausserordentliche Knappheit an Kleidung und Wäsche. Die Zahl der noch käuflichen Luxusartikel ist höchst beschränkt und sinkt ständig.

In dem soeben im Londoner Verlag "The Cress[e]t Press" erschienenen Buch "The last Train from Berlin" wird

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die Situation seit dem Ueberfall auf Russland
von Howard K. Smith[1], der Berlin als Korrespondent des New Yorker Columbia-Rundfunks am 6. Dezember 1941 verlassen hat, dahin zusammengefasst: "... Die Qualität der Waren verschlechtert sich automatisch ganz augenfällig seit dem ersten Tag des russischen Feldzuges. Bald wurden auch Mengen eingeschränkt. Zwei Monate nach Beginn des Russenkrieges schien diese doppelte Entwicklung nach unten immer schneller zu werden ...

Die meisten Lebensmittel wurden in Abständen schlechter und knapper. Aber das deutsche Hauptnahrungsmittel, die Grundlage der deutschen Ernährung, die Kartoffel, verschwand eines Tages im Frühherbst 1941 mit besorgniserregender Plötzlichkeit. Das war der schwerste Schlag ... Die Kartoffeln waren die letzte und zuverlässigste Reserve, auf die das Ernährungsministerium immer wieder zurückgreifen konnte, wenn alles andere versagte, davon würde es immer genug geben. Aber eines Tages geschah das Unerwartete und es gab nicht eine einzige Kartoffel in Berlin ...

Als ich Deutschland verliess (Dezember 1941) konnte ich zum ersten Mal mit gutem Gewissen melden, dass das deutsche Volk unterernährt ist ... Die Gesichter waren fahl, ungesund, käsig, rote Ringe lagen um die müden, ausdruckslosen Augen ... Dieser Winter (1941/42) hat seit vielen Wintern die schwerste Erkältungsepidemie gebracht, und die Aerzte prophezeien, dass es mit jedem Jahr schlimmer werden und vermutlich bedrohliche Formen annehmen wird, wenn nicht für Nahrung und Kleidung gesorgt werden kann, besonders für Schuhe ..."

Die militärischen Forderungen an die Heimatfront
und die direkten Kriegswirkungen sind das dritte Hauptmotiv neben dem Zwang zur Leistungssteigerung und der Verschlechterung der Lebensmittellage, die die Unzufriedenheit und die Unruhe im Dritten Reiche steigern.

Der Russlandfeldzug kostet unerhörte Opfer, über deren Höhe bis Kriegsende keine wahrheitsgetreuen Angaben zu erhalten sein werden. Der "Economist" nennt 4 Millionen als Verluste (Tote, Verwundete, Gefangene). Aus Einzelberichten kleinerer Orte geht hervor, dass da und dort die Verluste jetzt schon die des vorigen Krieges weit übersteigen.

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Effekt auf die öffentliche Moral
In einem Bericht wird ein Gespräch mit einem Militärarzt wiedergegeben, der die Zahl allein der in Russland Erfrorenen, die keinerlei Schussverletzungen aufwiesen, auf ca. 300.000 beziffert. Obwohl die Bevölkerung keine Gesamtübersicht hat, wirken sich die Verluste an der Front doch in stärkster Weise auf die Stimmung des Einzelnen aus. In einem bemerkenswerten Bericht im Daily Telegraph wird dieser Punkt besonders hervorgehoben. Die Hinterbliebenen sehen, so heisst es, den Krieg nur vom Standpunkt ihres persönlichen Kummers. Die betreffenden Frauen sind wie betäubt, und der Berichterstatter erblickt in diesem persönlichen Kummer einen Faktor, der auf die Dauer einen bedeutenden Effekt auf die Moral haben wird. Die Verluste zwingen das Regime auf der anderen Seite natürlich, möglichst viele Waffenfähige zu mobilisieren und dadurch die oben geschilderte Stimmung noch weiter herabzudrücken.

Auskämmung der Betriebe und Büros
(Nazizeitungen berichten, dass bis zu 60% der Beamten eingezogen seien) und die Einberufung der Sechzehnjährigen sowie Frontverwendung von Teilnehmern am vorigen Weltkrieg sind die sichtbarsten Auswirkungen.

Die sich steigernde Aktivität der RAF,
die auch bisher verschonte Gebiete angreift, schmälert das Sicherheitsgefühl und drückt ebenfalls auf die Stimmung. Nach allen Berichten geht von den Bombenangriffen eine sehr hohe demoralisierende Wirkung aus, umso stärker, als sich diese Aktivität der RAF sichtbar und stetig steigert und die Bevölkerung im Gegensatz zu denen der [!] Alliierten des Glaubens war, der Krieg werde die Heimat verschonen. Der verspätete Beginn der deutschen Offensive und ihre bisher relativ begrenzten Erfolge, die wachsende Gewissheit, dass der Krieg auch in diesem Jahr nicht zu Ende gehen wird und dass also ein weiterer Winter bevorsteht, der fühlbar wachsende Widerstand der Alliierten, der immer stärker werdenden Offensivgeist trägt und schliesslich die wachsende Opposition in den unterdrückten Ländern tragen weiter zur Untergrabung der Moral bei. Die Folgen sind ebenso vielfältig wie die Ursachen. Der Zwang zur Leistungssteigerung wird in zahlreichen Fällen mit der bewussten Verlangsamung des Arbeitstempos und anderer Mittel der Gegenwehr erwidert.

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Die Mittel der Gegenwehr
sind mannigfaltiger Art. Es liegt eine Reihe von Berichten vor, in denen deutsche Arbeiter ihre ausländischen Kollegen dazu angehalten haben, langsamer zu arbeiten, in denen sie ihnen zur Flucht verhalfen usw.

Die Steigerung der Lebensmittelknappheit wird mit einem unerhörten Aufschwung des "Sachwerte"-Tausch-, des Schieber- und Hamsterwesens beantwortet. (Die Fälle, in denen Lebensmittelkarten gefälscht, Schwarzschlachtungen vorgenommen und ähnliche aus dem letzten Krieg bekannten Methoden angewandt werden, um die persönliche Situation zu verbessern, sind Legion, obwohl die Kontrolle schärfer und die Strafe härter ist.) Die militärischen Einwirkungen finden ihr Echo in raffinierten Versuchen der Drückebergerei, in Bestechungen und anderen Mitteln. Die verschlechterte Kriegslage führt zu vermehrten Versuchen, die Wahrheit über die Lage durch ausländische Quellen zu erfahren.

Bewusste, politische Gegnerschaft gegen das Regime
macht sich neben dieser allgemeinen Unruhe ebenfalls immer fühlbarer. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Nachrichten über Verurteilungen von Oppositionellen häufiger werden. Den Urteilen gegen die 14 Mannheimer Illegalen folgte die Nachricht über die Vorgänge in Hamburg und dieser die Verurteilung von politischen Opponenten in Berlin und Frankfurt a/M. Es mehren sich auch die Sabotage-Akte in Deutschland, darunter auch Nachrichten aus nationalsozialistischen Quellen selbst. Himmler musste vor einigen Tagen eine Belohnung von 20.000 RM aussetzen, um der Aufklärung gewisser geheimnisvoller Grossbrände in Berlin auf die Spur zu kommen.

Der bereits erwähnte Bericht der Londoner Zeitung gibt den Eindruck wieder, dass

Enttäuschung und Furcht in Deutschland
weitverbreitet sind. Deutschland ist enttäuscht, heisst es, weil trotz militärischer Erfolge der Sieg weiter entfernt scheint denn je. Deutschland ist in Furcht vor den Dingen, die da kommen. Es gibt wenig Leute, die heute noch an einen Sieg der Achsenmächte glauben. Man hofft günstigenfalls auf einen Kompromiss, und nur diese Hoffnung hält den Kampfgeist aufrecht.

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Millionen sind jedoch überzeugt, dass ein Sieg der Alliierten nicht verhindert werden kann.

Diese Stimmungsverschlechterung ist den Regierenden selbstverständlich sehr früh bekannt geworden. Es hat sie veranlasst, ihre Propaganda für die Heimat bereits seit einiger Zeit umzustellen. Goebbels verfolgt seit Monaten in seinen Artikeln die Linie, dem deutschen Volke die Folgen einer Niederlage auszumalen. Abwechselnd werden die bolschewistische Gefahr, die Vergeltungsmassnahmen der unterdrückten Völker und die angeblichen Pläne der anglo-amerikanischen Demokratien als Schreckmittel an die Wand gemalt. Bei dieser Stimmungsmache wird vor keinem Mittel zurückgeschreckt, und das Buch des Amerikaners Kaufmann[2], der die Kastrierung der männlichen Bevölkerung Deutschlands fordert, wird dabei ebenso benutzt wie Lord Vansittarts "Black Record". In der gleichen Linie der Schwarzmalerei liegen auch die Reden von Gauleitern wie Uiberreither[3] und Holz.[4]

Und Hand in Hand damit geht selbstverständlich die Verstärkung des Terrors, angefangen von den Drohungen in der bekannten Hitlerrede bis zu dem jetzt in Libyen aufgefundenen Rundschreiben, das die SS als Bürgerkriegstruppe in empfehlende Erinnerung bringt.

Kein Zweifel, die Stimmung im Dritten Reich ist schlecht. Aber man soll sich keiner Illusion hingeben: Diese Stimmungsverschlechterung ist nicht Ausdruck eines vorrevolutionären Stadiums. Wir haben, im Gegensatz zu vielen Nach-dem-Munde-Rednern, seit Kriegsbeginn die Ueberzeugung vertreten und ausgesprochen, dass entscheidende militärische Niederlagen die Voraussetzung für den Zusammenbruch und für die Schaffung einer revolutionären Situation sind. Wer weiss, was es heisst, in einer Diktatur zu leben und zu wirken, und noch dazu in einer zu allem entschlossenen Diktatur, die einen Kampf auf Leben und Tod führt, der wird unserer Meinung beistimmen müssen.




[Hinweis]

International Solidarity Fund (Germ. Dept.)

Neue Adresse: Transport House, Smith Square,
London, SW1, 6th Floor, Room 047

Sprechstunden des Gen. W. Sander im Room 047,
dienstags nachm[ittags] 3-5 Uhr und
freitags vorm[ittags] 11-1 Uhr.

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Die Zeichen mehren sich, wonach das Dritte Reich eine schwere Transportkrise zu überwinden hat. Die Vernachlässigung der Eisenbahnen zu Gunsten der Autobahnen beginnt sich zu rächen. Von 1933 bis [19]38 sank

der Gesamtbestand an Waggons aller Art
von 632.000 auf 594.000. Dieser Laderaummangel konnte nicht durch Neubauten ausgeglichen werden. Er ist im Gegenteil durch die Kriegswirtschaft und die kriegsbedingten Verkehrsanforderungen ganz bedeutend gestiegen. Seit längerer Zeit wird versucht, den Laderaummangel durch "Leihen" französischer, belgischer usw. Wagen zu beheben. Da damit kein dauernder Erfolg erzielt werden konnte, ist neuerdings die Grenze der Tragfähigkeit für Güterwagen auf Strecken, wo es der Oberbau zulässt, um zwei Tonnen erhöht worden. Diese gefährliche Ueberlastung ist zugelassen im innerdeutschen Verkehr sowie den angegliederten Ostgebieten, des Generalgouvernements, Elsass, Lothringen und Luxemburg, ferner nach Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, der Schweiz, Italien, der Slowakei und einer Reihe von Durchgangsstrecken des Protektorats. Die belgischen und französischen Wagen, die bisher nicht überladen werden durften, dürfen jetzt mit einer Tonne überladen werden. Reichsbahngüterwagen, die für eine Ueberladung nicht geeignet sind, werden durch ein liegendes weisses Kreuz hinter der Anschrift [!] der Tragfähigkeit kenntlich gemacht. - Ueber diese technischen Massnahmen hinaus will der neue Staatssekretär Ganzenmueller[5] nach einer Rede vom 28.VI.1942 in München, die Umlaufgeschwindigkeit des Wagenparkes auch durch

"Ueberbordwerfen der Dienstvorschriften"
erhöhen. Die Betriebsunfälle sind von 3.817 im Jahre 1938 auf 6.251 im Jahre 1941, also um 64% gestiegen. Sie werden nach dieser in der Geschichte der Eisenbahnen einmaligen Erklärung Ganzenmuellers sprunghaft ansteigen.

Der Zustand des Lokomotivparkes
ist noch ungünstiger. Von dessen Leistungsfähigkeit hängt in hohem Masse der gesamte Zugbetrieb ab. Hier macht sich die Verwendung von Ersatzmetallen und fettarmen Oel am fühlbarsten bemerkbar. Der Reparaturstand ist bereits

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derart gestiegen, dass selbst in den Reichsbahn-Ausbesserungswerken nur noch Schnellreparaturen ausgeführt werden. Die regelmässig zu erfolgende Gesamtüberholung der einzelnen Lokomotive gehört somit auch der Vergangenheit an. Nach Erklärungen des Staatssekretärs Landfried[6] fehlen der deutschen Reichsbahn zur Erledigung des Transportanfalles 15.000 Lokomotiven. Das ist bei einem Gesamtbestand von 26.000 Maschinen als katastrophal zu bezeichnen.

Nun sind zwar im Rahmen des zweiten "Vierjahres-Plans" für die Ausrüstung der Reichsbahn 3,5 Milliarden RM vorgesehen. Aber die Lokomotiv- und Waggonfabriken sind derart mit Rüstungsaufträgen gefüttert, dass die rechtzeitige Herstellung der vorgesehenen 6.000 Lokomotiven, 10.000 Personen- und 112.000 Güterwagen auf erhebliche Schwierigkeiten stossen dürfte. Ganz abgesehen von dem sich immer stärker fühlbar machenden Mangel an Spezialarbeitern.

Die Schienen- und Weichenanlagen der Reichsbahn,
der Oberbau also, unterliegt einem gleichen Abnutzungsprozess. Unter normalen Verhältnissen müssen pro Jahr mindestens 6% der Gesamtanlage erneuert oder ausgewechselt werden. Um wieviel mehr müsste dies heute geschehen, wo nicht nur die Zugfolge eine immer dichtere wird, sondern auch der Reibungswiderstand pro Achse durch Heraufsetzung der Ladegewichtsgrenze im durchschnittlich 1/2 Tonne erhöht wurde. In den letzten acht Jahren aber ist das Oberbauprogramm nie ganz erfüllt worden. Der Erneuerungssatz wurde sogar auf 3% herabgedrückt. Obwohl der Oberbau der deutschen Reichsbahn zu den stärksten Europas zählt, kann diese Vernachlässigung nicht ohne Folgen für die Betriebssicherheit und Geschwindigkeit bleiben. Durch das "Ueberbordwerfen der Dienstvorschriften" ist

der letzte Schutz für das Personal
der Reichsbahn gefallen. Der Personalbestand beträgt z. Zt. etwa 1.250.000 Mann, gegenüber einer Normalbelegschaft in den alten Reichsgrenzen von 700.000 Mann. Da die Altersgrenze auf 70 Jahre heraufgesetzt wurde, dürften etwa 150.000 Pensionäre und Altrentner wieder in Dienst gestellt sein. Die Zahl der beschäftigten Frauen kann man mit 50.000 schätzen, so dass im jetzigen Verkehrsbereich der Reichsbahn, der sich über halb Europa erstreckt, rund 350.000 Arbeitskräfte aus den besetz-

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ten Gebieten beschäftigt werden. In diesem Zusammenhang sei auf die besondere Sabotageanfälligkeit des Eisenbahnbetriebes hingewiesen, die nicht zur Erhöhung der Betriebssicherheit und damit Abschwächung der Transportkrise beiträgt. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch

der Altersaufbau des Reichsbahnpersonals.
1933 waren 3/4 aller Beamten über 40 Jahre alt. Die Hälfte der Beamten hatte das 46. Lebensjahr überschritten. Bei den Arbeitern waren 12% bis 30 Jahre, 38% von 30 - 40 Jahre und 50% über 40 - 65 Jahre alt.

Dieser Altersaufbau hat sich nicht gebessert, sondern nach Erhöhung der Altersgrenze noch verschärft. Es ist klar, dass ein so überalterter Personalkörper den Anstrengungen einer 12-stündigen Arbeitszeit und einer 16-stündigen Dienstschicht auf die Dauer nicht gewachsen ist, dass nachteilige Rückwirkungen auf den Gesundheitszustand und damit auch auf die Erledigung der Transportgeschäfte unvermeidlich sind.

Was bleibt angesichts dieser Tatsachen anderes übrig als der Versuch, die Engpässe im Transport durch organisatorische Massnahmen zu überwinden. So wurden ab 2. Juni bis auf weiteres alle zivilen Verfrachtungen gesperrt. Die Reichsbahn soll noch vor Beginn der Erntetransporte alle für den Winterfeldzug in Russland nötigen Transporte durchführen. Sie wird, dem

Zwang der Bedingungen des totalen Krieges
folgend, mit Masseneinsatz von Betriebsmitteln und Personal operieren müssen. Damit wird die Flüssigkeit des Verkehrsstromes aufgehoben. Zwar kann durch schärfste Wagenkontrolle, Bereitstellung ausreichender Be- und Entladekräfte, dauernde Beaufsichtigung der Zugabfertigung, ständige Ueberwachung der Zugbildung, restlose Ausnützung aller Fahrplanlücken, rechtzeitige Vormeldung von Verspätungen, Beseitigung aller Betriebspausen, der Nacht- und Sonntagsruhe dieser für Wirtschaft und Gesellschaft bedrohliche Zustand noch für einige Zeit gemildert, nie aber behoben werden. Das Transportwesen ist das schwächste Glied in Hitlers Kriegsmaschine, die Errichtung einer zweiten Front auf dem Kontinent könnte sehr bald erweisen, dass die deutsche Transportmaschine diese Zerreissprobe nicht bestehen kann.

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ist in den letzten Monaten stark gestiegen. Die früheren Mitglieder der SFIO, unserer französischen Bruderpartei, haben zahlreiche illegale Organisationen aufgebaut, und der Kontakt unter ihren Anhängern durch Verbreitung illegaler periodischer Veröffentlichungen ist gut. Es hat sich auch eine neue illegale Parteileitung konstituiert, die kürzlich ihre Arbeiten für die Leitung der illegalen sozialistischen Bewegung aufgenommen hat und die sowohl mit den Gruppen in den besetzten wie in den unbesetzten Gebieten Fühlung hat.

Im Januar 1942 hat das "Committee for Socialist Action"[7] eine Entschliessung angenommen, die sich mit der ökonomischen Zukunft Frankreichs beschäftigt und weitgehende sozialistische Forderungen zur Entmachtung der "zweihundert Familien"[8] aufstellt. Es wird auf die verhängnisvolle Rolle der herrschenden kapitalistischen Schicht bei der Untergrabung der Demokratie vor dem Kriegsausbruch und auf die Zusammenarbeit dieser Schicht mit den Nazis hingewiesen und daraus die Notwendigkeit abgeleitet, im Interesse der nationalen Zukunft des Landes wie der Befreiung der Massen des französischen Volkes von der Vorherrschaft dieser wirtschaftlich mächtigen Oberschicht eine gründliche Revision der wirtschaftlichen Ordnung im Interesse der Allgemeinheit durchzuführen. - In einer Entschliessung vom 3. Juli dieses Jahres wird die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der de Gaulle-Bewegung zum Ausdruck gebracht, die zwei Hauptpunkten dienen soll: erstens der Befreiung des Landes von seinen ausländischen Unterdrückern und ihren Helfern, der Vichy-Regierung, und zweitens der Wiederherstellung eines neuen demokratischen Regimes im befreiten Frankreich.

ist Ende Juli in London eingetroffen. Philip[9] war einer der Leiter der französischen Widerstandsbewegung. Er ist jetzt in das französische National-Komitee des General de Gaulle als Kommissar für Innere Angelegenheiten und für die [!] Arbeit eingetreten. In der Londoner BBC hat er zu den Arbeitern in Deutschland gesprochen.

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In dem von Willi Eichler herausgegebenen Rundbriefen "Europe speaks"[10] werden interessante Einzelheiten über die zunehmende Aktivität der italienischen Sozialisten veröffentlicht. Die italienischen Sozialisten veranstalteten in der Zeit vom 1. bis 7. April eine Antikriegswoche, die sehr gute Resultate hatte.

Der Erfolg dieser Aktion hat bewiesen, dass die Italienische Sozialistische Partei wieder zu einem wichtigen Faktor in der italienischen Innenpolitik geworden ist, nachdem viele Jahre hindurch nichts von ihrer Existenz zu bemerken war. Ihre Gruppen sind mutig und diszipliniert, und ihre Parolen entsprechen den wirklichen Vorstellungen und Hoffnungen des italienischen Volkes.

Die Arbeit dieser neuen Bewegung wird erleichtert durch die Tatsache, dass heute die unzufriedenen und defätistischen Elemente die Mehrheit des italienischen Volkes darstellen. Die Bewegung findet auch die Unterstützung in anderen bürgerlichen antifaschistischen Kreisen, die sich mehr und mehr zu der Ueberzeugung durchringen, dass der Sturz des Regimes nicht allein zu erwarten ist von der militärischen Niederlage oder von sogenannten Antifaschisten unter den Monarchisten, den Militärs oder dem Klerus, sondern dass in erster Linie die Erhebung der Massen des Volkes selbst entscheidend sein wird. - Das Propagandamaterial für die sozialistische Aktion mit den Parolen: "Nieder mit dem Krieg, nieder mit dem Faschismus" wurde in verschiedenen Städten gedruckt und in fast allen Grosstädten weit verbreitet. Die Reaktion der Faschisten auf diese Aktivität war sehr gereizt, aber wirkungslos. Es erfolgten viele Verhaftungen unter den Arbeitern, vor allem unter den aus der Zeit vor dem Faschismus bekannten Mitgliedern der Sozialistischen Partei; die Ueberwachung der Züge und der Bahnhöfe, die nächtlichen Streifen in den Arbeitervierteln wurden verstärkt.

Ein weiteres direktes Resultat dieser Konferenz waren neue Bestimmungen zur Ueberwachung der Post, der Grenzkontrolle und die Konferenz Mussolinis mit den Präfekten. Besonders kritisch ist die Lage für das Regime in Triest, wo man ganz offen gegen den Faschismus sprechen hört.

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fordert immer neue Blutopfer, und fast täglich erschüttern neue Meldungen von Nazigrausamkeiten die Menschheit. Ein kürzlich von der Regierung der Tschechoslowakei in London herausgegebenes Memorandum berichtet über die Widerstandsbewegung in der Tschechoslowakei und die mannigfaltigen Methoden des dortigen Besatzungsregimes, den Widerstand der Tschechen zu brechen. Allein zehn lange Spalten nennen die Namen von 213 erschossenen, 159 erhängten und fast 100 sonstigen Opfern Heydrichs allein für die Zeit vom 28. September bis 29. November 1941.

Das Nazregime in Prag gibt bisher selbst zu, als "Repressalie" für die Schüsse auf Heydrich etwa 1.300 Bürger der Tschechoslowakei gemordet zu haben. Die etwa 260 erschossenen Männer der beiden Orte Lidice und Lezaky[11] sind in diese Ziffer nicht eingerechnet. Flüchtlingen, denen in letzter Zeit die Flucht aus Prag gelang, berichten von sechs- bis zehn tausend tschechischen Bürgern, die durch die Nazis ihr Leben verloren haben.

In Prag stellten kürzlich in einer Veranstaltung der tschechischen Journalisten-Vereinigung tschechische Quislinge die Forderung, die in der CSR lebenden Angehörigen von den in England lebenden Regierungsmitgliedern Benes, Feierabend[12], Necas, Sramek, Ripka usw. zu verhaften und als Geiseln zu behandeln, und bestätigten dadurch aufs neue, dass der Faschismus nicht nur eine deutsche, sondern eine internationale Erscheinung ist.

hat sich im Juni in der Landeshauptstadt La Paz nach einer grossen Kundgebung gebildet, die auch von Regierungsvertretern und Repräsentanten verschiedener Länder Freier Europäer besucht war. In einem für die Radiouebertragung nach Deutschland bestimmten Aufruf protestieren die Unterzeichner gegen die Eroberungspolitik Hitlers und bekennen sich für den Kampf der Alliierten, den sie mit allen Mitteln unterstützen. Der Aufruf wurde von folgenden Sozialdemokraten unterzeichnet: Ernst Schumacher, Arthur Gross, Karl Schulze, Martin Deutsch, Heinr[ich] Wüstefeld, Hans Schuermann und Arthur Simmerl.[13]

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In seiner sensationellen Rede einige Monate vor Kriegsausbruch hat der Führer der Isolationisten, Oberst Lindbergh, seine Zuhörer aufgerüttelt mit der aufsehenerregenden Andeutung, dass wohl sobald keine neuen Wahlen mehr ausgeschrieben würden. Er unterstellte der Regierung Roosevelt die Absicht, den Krieg und die durch ihn notwendigen Vollmachten dazu missbrauchen zu wollen, das Funktionieren der Demokratie zum Stillstand zu bringen. Die Tatsachen geben eine harte Antwort auf diese durch nichts gerechtfertigten Verdächtigungen. Im kommenden November erst sind die Wahlen fällig. Doch werfen sie schon seit Wochen ihre Schatten voraus - und zwar in einer Weise, an der die Freunde Lindberghs wenig Freude haben werden. Obwohl 1942 kein grosses Wahljahr ist, weil keine Präsidentenwahl fällig ist und nur ausser dem Repräsentantenhaus ein Drittel des Senats zur Wahl steht, ist schon seit Wochen eine wachsende systematische Wahlbewegung im Gange.

Diesmal sind es die fortschrittlichen Kräfte, die sich zuerst regen. Sie sind sich bewusst geworden, welchen Einfluss sie in einer gut funktionierenden Demokratie ausüben könnten, wenn sie ihn nur systematisch organisieren. Das haben sie getan. In einer fortschrittlichen Organisation, die sich aus sozialistischen und liberalen Elementen zusammensetzt, der "UNION FOR DEMOCRATIC ACTION", haben sie den Plan entworfen, durch eine gründliche Untersuchung festzustellen, was die vergangene Leistung aller zur Wiederwahl oder zur Neuwahl stehenden Kandidaten war. Auf Grund dieser Feststellung wird den Wählern empfohlen, wie sie ihr Votum gebrauchen sollen. Die Richtlinie ist: Alle Isolationisten, alle Kandidaten, die erst seit Pearl Harbour die Politik Roosevelts unterstützen, ebenso auszuschalten wie alle diejenigen, die sich einer fortschrittlichen Arbeiterpolitik in den Weg gestellt haben.

Die UNION FOR DEMOCRATIC ACTION hat schon vor Monaten ein Büro in Washington errichtet und ist nun mit einer Publikation und Blosstellung der reaktionären Kandidaten an die Oeffentlichkeit getreten. Die Schrift wird in Hunderttausenden von Exemplaren im Lande verlangt. Alle versteckten Faschisten sind in Aufregung geraten.

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Inzwischen hat sich eine zweite Organisation für denselben Zweck gebildet, die "VOTE FOR FREEDOM"-Vereinigung mit einer Reihe prominenter Politiker an der Spitze. Diese Organisation hat bereits in den Wahlkampf im Staate New York eingegriffen, indem sie gegen die beiden offiziellen Parteikandidaten im Staate für den Posten des Gouverneurs Stellung nahmen. Demokraten sowohl wie Republikaner im Staate haben Kandidaten benannt, in die die fortschrittlichen Elemente kein Vertrauen haben. "VOTE FOR FREEDOM" proklamiert als ihren Kandidaten den republikanischen Präsidentschaftskandidaten des Jahres 1940, Wendell Willkie, der sich sofort nach seiner Niederlage in loyaler Weise für Roosevelts Aussenpolitik mit aller Energie einsetzte.

Das Interesse der Oeffentlichkeit ist in diesen Zwischenwahlen so aufgerüttelt wie noch selten. Und die Stellung der Arbeiterschaft kann in dieser Situation von ganz besonderer Bedeutung sein. Es ist daher beklagenswert, dass sich - beim Fehlen einer sozialistischen Partei von Einfluss - die beiden starken Gewerkschaftsgruppen, die A.F. of L. und die CIO mit zusammen 10 - 12 Millionen Mitgliedern, noch immer getrennt gegenüberstehen.

Der Einfluss der Arbeiter in der Kriegspolitik und in den zahlreichen neugeschaffenen Kriegsgesellschaften und -Behörden kommt dadurch nicht entsprechend zum Ausdruck. Nirgends ist die Arbeiterschaft ihrer Bedeutung entsprechend vertreten. Die Regierung schreckt zurück, einen CIO-Mann zu berufen, der dann von der AFL desavouiert würde oder vice versa. Die Spaltung der USA-Gewerkschaften ist ein Faktor, der die fortschrittlichen Elemente der Welt angeht. Ihr Einfluss in den verschiedenen USA-Kriegsbehörden könnte eine Vorbereitung ihrer Mitwirkung am kommenden Frieden werden. Abwesenheit der USA-Arbeiter vom Friedenstisch würde den reaktionären Elementen mehr Einfluss einräumen als ihnen rechtlich zukommt und müsste die British Labour Vertretung schwächen. Wir haben gelernt, dass strategisch die Welt eine Einheit bildet. Ereignisse überzeugten uns, dass die Welt auch politisch nicht getrennt werden kann. Eine Ueberwindung der Spaltung innerhalb der amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung liegt daher im Interesse des Fortschritts in der ganzen Welt.

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Die Lage der Flüchtlinge in Frankreich hat sich seit unserer letzten Uebersicht in keiner Weise verbessert. Im Gegenteil. Die grosse Lebensmittel-Knappheit besteht fort und wirkt sich besonders stark auf die Flüchtlinge aus, die weder Geld genug besitzen, um die sündhaften Preise auf dem Schwarzen Markt zu bezahlen, noch die ländliche Verwandte haben, die so vielen Franzosen ihr Los erleichtern helfen.

Schwieriger ist die rechtliche Situation geworden,
wenn das Wort "Recht" überhaupt noch einen Sinn hat in Bezug auf Flüchtlinge in Frankreich. Die Razzien gegen Juden und Fremde gehen weiter, Entlassungen aus den Lagern werden mehr als wettgemacht durch Neu-Internierungen, und die Gefahr der völligen Gleichschaltung Vichy-Frankreichs mit dem besetzten Gebiet hat neue und wohl nicht unbegründete Unruhe in die verbliebenen Reste der politischen Emigration gebracht. Ausweisungen aus den Grosstädten nehmen ihren Fortgang und verschliessen dadurch die wenigen Chancen auf Arbeit und Ausreise weiter.

Auslieferung politischer Flüchtlinge
sind auch in den letzten Monaten vorgenommen worden, und es ist sicher, dass weitere bekannte politische Flüchtlinge in Auslieferungslagern "bereitgestellt" werden. Ein sozialistischer Flüchtling, seit Mitte 1940 im Besitz des USA-Visums für Gefährdete, ist nach vielen fruchtlosen Bemühungen, das Land zu verlassen, in dem Augenblick verhaftet und ins Lager zurückgebracht worden, in dem er - im Besitz aller notwendigen Papiere, der Visen und der Ausreiseerlaubnis - das rettungsverheissende Schiff bestieg. Im besetzten Gebiet, in Paris, ist im Juni d. J. der ehemalige Redakteur des sozialdemokratischen "Nahetal Boten", P. J. Füllenbach[14], von der Gestapo entdeckt und wegen "Hochverrat" zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Die Arbeit der Hilfskomitees in Südfrankreich
wird weiter erschwert. Ein amerikanisches Komitee in Marseille, das sich grosse Verdienste auch um die Rettung

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zahlreicher politischer Flüchtlinge erworben hatte, wurde durch eine Haussuchung überrascht, bei der die Polizei die Leitung, Angestellte, Besucher, Akten und Geld mitnahm. (Monate zuvor war bereits der Präsident dieses Komitees, ein Amerikaner, der unter grossen Schwierigkeiten und Gefahren diese Institution für mehr als 1½ Jahre mit viel Mut und Selbstaufopferung geleitet hatte, landesverwiesen worden.) Diese Haussuchung und Festnahme brachte beträchtliche Unruhe in den Kreis der Betreuten und führte zu vorübergehender Stillegung der Tätigkeit.

Ausreisen noch möglich!
Trotz aller wachsenden Schwierigkeiten der Ausreise gelingt es auch jetzt noch einigen Glücklichen, das Land zu verlassen. Einige USA-Visen, nach vielen Untersuchungen bewilligt, einige Mexiko-Visen und da und dort die Einreiseerlaubnis in ein anderes Land ermöglichen diese spärlichen Ausreisen. Aber da sind heute wirklich Ausnahmefälle geworden. Ein Bericht aus [den] USA bestätigt es:

"An sich ist es jetzt, auch für die berufsmässigen Visumbeschaffungs-Organisationen, sehr schwer und fast unmöglich geworden, überhaupt noch Visen vom State Department bewilligt zu erhalten ... Das Interesse und Mitgefühl an den relativ "paar" Flüchtlingen ist angesichts der katastrophalen Grösse des übrigen menschlichen Unglücks in allen Erdteilen leider jetzt fast völlig verschwunden ..."

Für die Mehrzahl der in Frankreich verbliebenen Emigranten, und das gilt auch besonders für unsere engeren Freunde, ist es inzwischen klar geworden, dass aus all den zahllosen Plänen und Projekten für die Ausreise nichts mehr werden wird und dass sie bis zum Kriegsende - günstigenfalls - im "unbesetzten" Frankreich verbleiben müssen.

"Existenzbasis" in Südfrankreich
Es werden von innen und aussen Anstrengungen gemacht, angesichts dieser Situation eine Existenzbasis für diese Freunde zu schaffen, die ihnen das Ueberleben dieser schwierigen Periode ermöglicht. Das wird nicht leicht sein. Allein in der letzten Zeit sind vier von unseren engeren Freunden in Südfrankreich gestorben:

Martin Dosmar[15], der ehemalige Leiter der freigewerkschaft-

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lichen Bürobedarfszentrale; Hans Kamm, ehemals Redakteur der Illustrierten Reichsbanner-Zeitung[16]; Heinrich Jaschkowitz, früherer Ortsgruppenvorsitzender der SPD in Oberschlesien, und Genosse Waldau. Sie haben mit Ausnahme von Martin Dosmar, der als Schwerkranker aus dem besetzten Paris nach dem Süden floh, ihre letzten drei Lebensjahre fast ununterbrochen in Internierungslagern zugebracht, und Hans Kamm, der sich als Freiwilliger der Spanischen Republik zur Verfügung stellte, hat dort mehr als ein Jahr in einem GPU-Gefängnis verbringen müssen anstelle der Generalstabsarbeit, für die er vorgesehen war.

Unsere Freunde in Frankreich sind nicht in der Lage, sich aus Eigenem über Wasser zu halten. Hilfe für sie von aussen heisst in erster Linie Geld, und das ist knapp.

über die wir bereits berichteten, ist mit allen Kräften fortgeführt worden. Sie kann freilich angesichts der grossen Zahl der Bedürftigen und der kleinen Zahl der Zahlungsfähigen nur einen bescheidenen Beitrag erbringen, der aber doch finanziell und moralisch von Bedeutung ist.

Grosse Anstrengungen machen unsere Schweizer Freunde, wie überhaupt die Schweiz einen bemerkenswerten Beitrag zur Linderung des allgemeinen Elends beisteuert.

(Das kleine Land bringt trotz der eigenen steigenden Not monatlich über 200.000 Schweizer Franken für die kriegsbeschädigten Kinder aller Länder auf.) Unsere Schweizer Freunde haben zahlreiche "Paten" geworben, die sich zur regelmässigen Absendung von Lebensmittelpaketen oder zur Geldhergabe für je einen oder mehrere Flüchtlinge bereiterklärt haben und die auch zum Teil in persönlich-brieflichem Kontakt mit ihren Schützlingen stehen.

Darüber hinaus erhält eine grössere Anzahl von sozialistischen Flüchtlingen Bar-Unterstützungen, die [sich] je nach dem Fall zwischen 200 und 1.500 frcs. monatlich (ca. 1 £ bis 8 £) bewegen und letzthin erhöht worden sind.

Mit Hilfe von Schweizer Sozialisten ist im Vorjahr eine Farm in Südfrankreich eingerichtet worden, die einigen Freunden Heim und Lebensunterhalt bietet.

In einem Bericht darüber heisst es: "Wir sind jetzt drei Familien auf der Farm. 14 Hektar und 4 Stück Grossvieh stehen zur Verfügung. Die Feldbestellung

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war sehr schwierig, weil die Vorarbeit des Herbstes fehlte. Aber wir haben die Bestellung im wesentlichen durchführen können. Leider stellten sich Schwierigkeiten ein, die nicht voraus zu sehen waren.

Es ist fast unmöglich, die Leute aus dem Lager zu bekommen, für die eigentlich das Werk begonnen wurde. Man lässt die Leute nicht frei, obwohl sie nicht nur ihre eigene Lage verbessern würden, sondern mithelfen könnten, brachliegendes Land zu kultivieren und die Ernährungslage zu verbessern. Auch die Material- und Saatgutbeschaffung ist sehr schwierig. Letzteres haben wir mit Hilfe vieler Freunde fast lösen können. Auch die Behörden sind in dieser Hinsicht sehr entgegen gekommen. Vielleicht ändert sich die Situation, wenn einmal Erfahrungen des ersten Jahres vorliegen. Wir arbeiten schwer, von Sonnenaufgang bis -untergang, aber man hat eine Aufgabe vor sich, und das befriedigt. Bis jetzt hatten wir Glück mit dem Wetter und hoffen deshalb, die in uns gesetzten Erwartungen erfüllen zu können und einen lebensfähigen Betrieb zu schaffen ..."

Die Schweizer sind daran, zusammen mit französischen Freunden, in allernächster Zeit einen grösseren Bauernhof zu pachten, der es hoffentlich gestatten wird, ca. 30 - 40 Leute unterzubringen. Die Frage ist, ob es gelingt, die noch im Lager befindlichen Farm-Anwärter zu befreien.

Unsere Freunde in Marseille haben aus sich heraus und mit Hilfe von Komitees ein Kollektiv zustande gebracht, in dem in Heimarbeit Handtaschen aus Raffia[bast] fabriziert werden. Auch dieses Kollektiv hilft einem begrenzten Kreis von Leuten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In einem anderen südfranzösischen Ort hat sich ein Bast-Kollektiv gebildet, das Bastartikel: Schuhe, Taschen etc. herstellt. Vierzig sozialistische Flüchtlinge leben davon. Sie stellen sehr schöne Sachen her, und unsere Freunde aus der Schweiz hoffen, in nächster Zeit weitere ähnliche Produktivgruppen finanzieren zu können: "Es handelt sich jeweils nur um die erste Hilfe", so heisst es in dem Bericht aus der Schweiz. "Nachher strampeln sich die Leute schon selbst weiter; es handelt sich ja meistens um besonders wertvolle Menschen."

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So wird in verschiedenen Formen und mit relativ geringen Mitteln versucht, eine wenn auch kärgliche Existenzbasis zu schaffen. Vergessen wir aber nicht: Es ist nur ein kleinerer Teil der Flüchtlinge, dem auf diese Weise geholfen werden kann. Sehr viele sitzen in den Lagern, von ihren Familien und Freunden getrennt, ausgemergelt und krank, und viele sind voll verzweifelter Hoffnungslosigkeit.

(Der vorstehende Bericht, aus zahlreichen Briefen und Einzelberichten zusammengestellt, war fertiggestellt, als uns ein Originalbericht eines führenden Funktionärs des Schweizerischen Arbeiter-Hilfswerks in Zürich zuging, dem wir einige Stellen über den Kranken- und Ernährungszustand in Internierungslagern in Südfrankreich entnehmen.)

"Ich habe fünf der grössten Lager besucht, in allen gibt es offizielle Hungeroedem-Baracken, in denen diejenigen liegen, die hoffnungslos dem Hungertode preisgegeben sind und deren Zustand bereits soweit vorgeschritten ist, dass nicht einmal mehr eine Zusatzration an sie verschwendet wird (Zusatzrationen werden nicht von der Lagerleitung, sondern von den ausländischen Hilfsorganisationen bewilligt), weil sie doch umsonst wäre.

Im März d. J. war die offizielle Zahl dieser Todgeweihten ca. 1.500 in sämtlichen Lagern. Dazu kommen die von Hungeroedem Bedrohten, die wahrscheinlich in Bälde wie ihre Kameraden auf den primitiven Schragen ohne Leintücher, ohne Leibwäsche, mit tiefen, fliessenden, eitrigen Wunden ihrem Ende entgegenhungern.

In die Kategorie der Hungerkranken werden nur die Personen gerechnet, deren Kilogewicht weniger beträgt als ein Drittel der Körperlänge in Zentimetern. Ein Mann von 180 cm Grösse gilt also erst als bedroht, wenn er weniger als 60 kg wiegt. Mindergewichtige unter dieser Norm von 10, 20 und mehr Kilogramm sind sehr häufig. Mindestens 1/3 aller Lagerinsassen, das sind rund 7.000, gehören nach Feststellung französischer Aerzte in diese Kategorie.

Im Lager Gurs, das bei weitem nicht das schrecklichste ist, bestand im März die Nahrung schon seit Wochen aus folgenden Nahrungsmitteln.

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Frühstück: ca 3/4 Liter café national, ohne Zucker und Milch, 250 gr Brot als Tagesration, von der jedoch 5% vom Proviantmeister widerrechtlich zurückbehalten und für 150 bis 200 ffrcs. per Kilo an reichere Internierte verkauft werden. Mittag- und Abendessen: ca 3/4 Liter Mixed pickles, d.h. Pfefferfrüchte in Essig eingelegt, die so scharf sind, dass wir beim Versuchen sie sofort wieder ausgespuckt haben.

Kinder von 2 Jahren an, ebenso alle Kranken und Alten erhalten dasselbe. Kinder hatten von dem scharfen Zeug Brandblasen an Lippen und Zunge; sie weinten, als sie das Nachtessen sahen. Dieses Regime dauerte bei unserem Besuch schon die 3. Woche, vorher hatte es monatelang weisse Rüben gegeben. Es werden 100 Gramm pro Person gerechnet. Aber es wird mit dem Kübel, in dem es transportiert wird, gewogen; aller Abfall gehört dazu. Es gab an jenem Tage Eingeweide. Sie wurden mit allem Schmutz geliefert. Nach Säuberung blieben pro Person ca. 30 gr Darmwände und Sehnen als Fleischzulage zu den Mixed pickles.

Die hygienischen und alle anderen Einrichtungen entsprechen diesen Ernährungsverhältnissen. In Recebedou bei Toulouse ist ein besonderes Lager für die Chronisch-Kranken eingerichtet, obwohl jedes Lager seine infirmerie und hopitaux hat, ([von denen] die meistens ohne eigentliche Betten, ohne Bettwäsche, ohne Verbandsstoffe etc. sind). Ein weiteres Speziallager ist La Guiche, wo die tuberkulös Gewordenen hinkommen. Sie vegetieren hier ihrem Tode entgegen, ohne bessere Kost oder Pflege, nur haben sie Feldbetten als Lager und nicht die elenden Drahtpritschen mit fauligen Strohsäcken wie in anderen Lagern für Internierte ..."




dem grössten Flüchtlingsheim des Czech Refugee Trust Fund in London, steht wegen anderer Verwendung des Gebäudes im September bevor. Ursprünglich für die Unterbringung der Studenten der London School for Economics[17] gedacht, diente der riesige 6-stöckige, aus zwei Flügeln bestehende Bau seit dem Frühjahr 1940 dem Fund zur Unterbringung [von] bis zu 350 Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei, tschechoslowakischen als auch österreichischen und deutschen Staatsbürgern.

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Die einzelnen nationalen und politischen Sektoren der Residenten führten dort ein reges kulturelles Leben. Gegenwärtig sind natürlich die meisten Bewohner dieses Heims in das Wirtschaftsleben des Landes eingegliedert, wovon viele - ohne Unterschied der Nation - wichtige Kriegsarbeit verrichten.

Die Auflösung der Canterbury Hall als Flüchtlingsheim bedeutet für viele Flüchtlinge eine wesentliche Erschwerung ihrer Lebensverhältnisse, und es ist zu hoffen, dass der Czech Refugee Trust Fund durch entsprechende Hilfe für die Uebergangszeit und bei der Durchführung neuer Projekte diesen Notstand abstellen hilft.

In den letzten Versammlungen der in London lebenden SPD-Mitglieder hat eine eingehende Aussprache über die Aufgaben der in London lebenden Parteimitglieder stattgefunden. Das Resultat dieser Aussprache waren folgende einstimmig gefassten Beschlüsse:

1. Zur Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten der in London lebenden, registrierten Mitglieder der SPD wird ein Ausschuss gewählt, der aus dem Vorsitzenden und sechs Beisitzern besteht.

2. Die Wahl dieses Ausschusses erfolgt durch eine schriftliche Abstimmung, an der alle in London wohnenden SPD-Mitglieder teilnehmen können, die durch Einsendung des grünen Fragebogens registriert sind.

3. An den Beratungen des Ausschusses werden regelmässig ein Vertreter des Partei-Vorstandes und der Gen. Hans Gottfurcht als Vorsitzender der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Grossbritannien teilnehmen.

4. Wenn sich die sachliche Notwendigkeit ergibt, werden gemeinsame Sitzungen des P-V und des Londoner Ausschusses stattfinden. Die Anregung zu solchen gemeinsamen Beratungen kann sowohl vom Partei-Vorstand als auch vom Londoner Ausschuss gegeben werden.

In Ausführung dieser Beschlüsse fand Ende Juli eine schriftliche Abstimmung statt, an der sich über 75% der Abstimmungsberechtigten beteiligten. Gewählt wurden als Vorsitzender: Wilhelm Sander, als Beisitzer: Victor Schiff, Herta Gotthelf, Heinrich Sorg[18], Kurt Weckel, Fritz Segall und Lothar Gunther[19].

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Unter dieser Ueberschrift heisst es in der jetzt im Wortlaut vorliegenden Erklärung, die das Sozialistische Aktionskomitee in Frankreich Anfang Juli angenommen hat: "... Europa und die Welt von morgen können nur existieren, wenn der kommende Frieden jeden Missbrauch der Macht, jede Unterdrückung und jede territoriale Ungerechtigkeit ausschliesst. - Die französischen Sozialisten sind stolz darauf, sagen zu können, dass sie von der Zeit des Friedensschlusses in Versailles bis 1939 diesen Ruf immer wieder gegen die Kriegshetzer erhoben haben, die zuerst unerbittlich waren gegenüber der Deutschen Republik, dann aber bereit waren, Hitler alles zu geben. In dieser Periode haben die französischen Sozialisten einen scharfen Kampf geführt gegen die Verdächtigung einiger ihrer Mitglieder als Kriegstreiber. Die Erhaltung des Friedens, und dies allein, war das Ziel der französischen Sozialistischen Partei, als sie die Politik des Widerstandes gegen die Aggression beschloss. Wenn diese Politik befolgt worden wäre, wenn die franz[ösische] und englische Bourgeoisie die Anwendung und sogar das Prinzip der kollektiven Sicherheit nicht sabotiert hätten (Abessinien 1935, Rheinlandbesetzung 1936, Besetzung Oesterreichs 1938 und der Tschechoslowakei 1939), hätte Frankreich seine Alliierten und sein Prestige nicht verloren, dann hätte es den Hitlerismus nicht gestärkt, und es hätte jeden Versuch der Aggression durch das Hitlerregime im Keim erstickt. ... Heute müssen wir die verständliche Tatsache anerkennen, dass in den besetzten Ländern die öffentliche Meinung weniger und weniger zwischen Nazis und Deutschen, zwischen dem deutschen Volk und seinen Beherrschern unterscheidet. Es ist nichtsdestoweniger unsere Aufgabe, mit Besonnenheit die Probleme des Friedens zu studieren."

Die Erklärung schliesst mit den Worten: "... Das sind die Vorschläge für die Gegenwart und die Zukunft, die im Frühjahr 1942 die Sozialistische Partei (die französische Sektion der SAI), während ihre Führer sich im Gefängnis befinden und viele ihrer Mitglieder durch die Deutschen oder durch die Franzosen ebenfalls im Gefängnis gehalten werden, den arbeitenden Massen der ganzen Welt unterbreiten."

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im August 1942

Die Freitagabend-Veranstaltungen der Londoner SPD finden auch im August jeden zweiten Freitag im Club House, 31 Broadhurst Gardens, London NW6, statt. Beginn: 7 Uhr (da die doppelte Sommerzeit am 8. August endet).

Freitag, den 14. August

Freitag, den 28. August

(Themen und Referenten werden durch
besondere Nachricht mitgeteilt.)




Das French Trade Union Centre hat uns eingeladen, die

Feier zum 150. Jahrestag der "MARSEILLAISE"
Sonntag, d[en] 9. August, nach[mittags] 2,30 Uhr, im Stoll Theatre, London WC1, Kingsway, zu besuchen. Eintritt sh 2/6. Es wird der Film "LA MARSEILLAISE"[20] gezeigt. Als Redner sind bedeutende Vertreter von Free France, USA, USSR und Arthur Greenwood für Gross-Britannien und Walter Schevenels für den IGB angekündigt.




Die deutsche Arbeiterbewegung und das deutsche Problem

Mit diesem Thema wird sich Sonntag, d[en] 16. August, vorm[ittags] 10 Uhr, im Club House, 31 Broadhurst Gardens, London, NW6, eine allgemeine Mitgliederversammlung beschäftigen, an der alle Mitglieder aller der "Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien" angeschlossenen Organisationen teilnehmen können. Die Versammlung soll einer allgemeinen, klärenden Aussprache über Vorstellungen deutscher Sozialisten und Gewerkschafter über die Zukunft Deutschlands dienen. Referent: H. Gottfurcht.




Eine internationale Sozialistische Frauen-Kundgebung findet am
Sonnabend, d[en] 29. August, nachm[ittags] 3,15 [Uhr],

im Mary Ward Settlement, Tavistock Place, London WC1 (5 Minuten von Tube Station Russel Square oder Euston) statt. Den Vorsitz der Konferenz wird Genossin Barbara Gould, Exekutiv-Mitglied der Labour Party, führen. Genossinnen aus neun verschiedenen Ländern werden sprechen. Eintritt 6 d. Starker Besuch erwünscht!




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.






Editorische Anmerkungen


1 - Howard Kingsbury Smith (geb. 1914), amerikanischer Zeitungs- und Rundfunkjournalist. Ein Jahr später erschien das Buch auch bei The Book Club: Last Train from Berlin, London 1943. Deutsche Ausgabe: Feind schreibt mit. Ein amerikanischer Korrespondent erlebt Nazi-Deutschland, Berlin 1982.

2 - Laut "Meldungen aus dem Reich 1938-1945", Registerband, hieß der Erwähnte Theodore Nathan Kaufmann, nach Band 8 "Meldungen" (S. 2827) hieß das genannte Buch "Deutschland muss sterben". Nach W. Röder ("Die deutschen sozialistischen Exilgruppen..., S. 146) hieß die Originalausgabe: Germany Must Perish, Newark 1941. Nach Bernd Stöver (Volksgemeinschaft im Dritten Reich. Die Konsensbereitschaft der Deutschen aus der Sicht sozialistischer Exilberichte, Düsseldorf 1993, S. 224), der sich auf einen anderen Autor (Wolfgang Benz) stützt, lautet der Name des amerikanischen Autors in Wirklichkeit: Theodore Newman Kaufman. Kaufman(n)s Buch hatte keine große Auflage.

3 - Siegfried Uiberreither (1908 - 1971), SA-Gruppenführer und NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter der Steiermark, starb in Bolivien.

4 - Karl Holz (1895 - 1945), seit 1934 stellvertretender NSDAP-Gauleiter, 1942-1944 Gauleiter in Franken, 1945 Selbstmord.

5 - Albert Ganzenmüller, Teilnehmer am Hitler-Putsch 1923, Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium seit Juni 1942.

6 - Friedrich Walter Landfried (geb. 1884), 1933 Staatssekretär im Preußischen Finanzministerium, 1939 Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium.

7 - = Comité d' Action Socialiste (CAS), um 1940 in Frankreich entstanden, zielte u.a. auch auf die Erneuerung der SFIO.

8 - Entmachtung der zweihundert Familien = eine sozialistische Forderung aus der Vorkriegszeit. Gemeint sind jene Familien, die in Wirtschaft, Industrie und Handel "das Sagen hatten".

9 - André Philip (1902 - 1970), Jurist und Nationalökonom (1926 Professor), vom Christentum und von den Fabian-Theoretikern beeinflusster Sozialist, in der Vorkriegszeit aktives Mitglied des "Comité de vigilance des intellectuels antifascistes", nach 1936 SFIO-Abgeordneter der Nationalversammlung, ab 1940 in der Résistance, 1942 nach London, später auch Nordafrika. Nach 1944 SFIO-Abgeordneter des französischen Parlaments, 1946-1947 Finanzminister, 1948 Wirtschaftsminister, Mitglied des Parteivorstandes der SFIO, von der er sich in den 50er Jahren trennte, 1960-1962 im Führungsgremium der Parti Socialiste Unifié (PSU), danach Austritt aus dieser neuen Partei.

10 - "Europe Speaks", erschien von März 1942 bis November 1945 unregelmäßig in Welwyn Garden City (ab 1945 in London), hrsg. von Willi Eichler (später Werner Hansen), beide ISK.

11 - Am 24. Juli 1942 wurden alle 33 erwachsenen Einwohner (auch die Frauen) des Dorfweilers Lezáky bei Pardubitz von den Deutschen erschossen, weil der Ort Fallschirmagenten der CSR-Exilregierung Unterschlupf gewährt hatte.

12 - Ladislav Feierabend (1891 - 1968), Finanzminister in der CSR-Exilregierung in London.

13 - Arthur Groß (geb. 1903), sozialdemokratischer Parteifunktionär, seit 1933 im Exil in der CSR, Sopade-Grenzsekretär, 1934 ausgebürgert, 1938 nach Bolivien.

14 - Peter-Josef Füllenbach (1899 - 1968), sozialdemokratischer Parteifunktionär und Journalist, ab 1933 Exil in Frankreich, Mitarbeiter von Willi Münzenberg, 1936-1937 Mitglied der PCF, 1939 interniert, ab 1940 Gestapo-Haft, 1942 verurteilt.
Der "Nahetal-Bote" (Oberstein) erschien als sozialdemokratische Tageszeitung 1920-1933.

15 - Martin Dosmar (geb. 1875), 1938 ausgebürgert.

16 - Die "Illustrierte Reichsbanner-Zeitung" (ab 1929 "Illustrierte Republikanische Zeitung") erschien 1924-1926 in Magdeburg, 1926-1933 in Berlin und wurde vom Bundesvorstand des Reichsbanners herausgegeben.

17 - Die LSE wurde 1895 von den Fabiern Beatrix und Sidney Webb gegründet, seit 1900 in die Universität London eingegliedert.

18 - Heinrich Sorg (1898 - 1963), Funktionär des sozialdemokratischen Arbeiterturn- und Sportbundes (ATUS), in der Kampfleitung der Eisernen Front, 1933-1939 Exil in der CSR, 1939 ausgebürgert, 1939-1946 Großbritannien. Rückkehr nach Deutschland, Mitinitiator des Deutschen Sport-Bundes.

19 - Lothar Gunther (geb. 1892), Staatsanwalt, Oberregierungsrat und Rechtsanwalt, seit 1920 SPD-Mitglied, ab 1933 Exil in der Schweiz und Frankreich, ab 1940 Großbritannien.

20 - Zum Film "La Marseillaise" von 1937 konnten keine Angaben ermittelt werden.



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