[Beilage 1 zu SM, Nr. 32, 1941]

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The Struggle of German Social Democrats against Hitler




Klar im Erkennen

Klar im Ziel





Der Kampf der deutschen Sozialdemokratie
gegen das HITLER-REGIME



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In diesen Tagen, da die Welt von einem Kriege erschuettert wird, dessen Dauer, Schwere und Entwicklung noch nicht vorauszusehen ist und an dessen Anfang der raeuberische Ueberfall Hitlers auf Polen nach dem Abschluss eines Paktes zwischen Hitler und Stalin stand, in diesen Tagen eines beginnenden Weltsturmes, dessen erste Wirbel so viele Gemueter in Verwirrung gebracht haben, koennen wir deutsche Sozialdemokraten mit klarer Entschlossenheit die Konsequenzen aus einer klaren Politik ziehen.

Wir haben keine Illusionen gehabt wie die, welche an Hitlers Friedensbeteuerungen auf innen- oder aussenpolitischem Gebiete glaubten. Wir haben vom ersten Tage an erkannt, dass Hitler den Krieg bedeutet und haben uns durch keines seiner Ablenkungsmanoever taeuschen und daran hindern lassen, die Welt zu warnen. Wir haben auch nicht die Illusionen derer geteilt, die aus Hitlers angeblicher Todfeindschaft gegen den Bolschewismus und aus der angeblichen Todfeindschaft der Sowjetunion gegen das Dritte Reich die Folgerung zogen, dass man die Hitler-Barbarei als Bollwerk gegen die bolschewistische Barbarei oder die bolschewistische Diktatur als Rettung vor der hitleristischen unterstuetzen oder sich einer von beiden unterordnen solle.

Mit einem Schlage sind jetzt die Illusionen zerstoert worden. Aller Glaube an die Moeglichkeit, Hitler, wenn auch unter Opfern, zum Frieden zu bewegen, hat sich als irrig erwiesen, und es hat sich gezeigt, dass auch der Weg der Zugestaendnisse zu keinem anderen Ziel fuehrte als dem, welchem Hitlers "Dynamik" mit innerer Notwendigkeit zustrebte: zum neuen Weltkrieg. Und alle Hoffnungen und Lockungen, die sich an die behauptete Vormachtstellung der Sowjetunion im Kampfe gegen den Faschismus und fuer die Befreiung der deutschen Arbeiterklasse knuepften, sind durch den von Molotow mit

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Ribbentrop geschlossenen Nichtangriffspakt und das Zusammenwirken der Roten Armee mit der Hitler-Armee bei der Niederwerfung Polens, das als erster Staat sich mit Waffengewalt einem Angriff des Dritten Reiches widersetzte, wie mit Keulenschlaegen zunichte gemacht worden.

Als Hitler 1933 in Deutschland zur Macht kam, hat unsere Partei vor einer schicksalsschweren Entscheidung gestanden. Es ging um die Frage, ob der Versuch gemacht werden sollte, im Rahmen der nationalsozialistischen Diktatur als halblegale Arbeiterpartei weiterzubestehen oder den klaren Trennungsstrich gegenueber dem totalen Terror- und Kriegssystem zu ziehen und den schweren, aber klaren Weg in die Illegalitaet und die Emigration anzutreten. Unser unvergesslicher Parteifuehrer Otto Wels hat damals, in der ersten Sitzung des unter Hitlers Regierung gewaehlten Reichstages, der trotz allen Terrors noch immer die deutsche Sozialdemokratie als Repraesentantin von 7 Millionen Waehlerstimmen und als zweitstaerkste deutsche Partei sah, im Angesicht Hitlers die denkwuerdigen Worte gesprochen: "Wir sind wehrlos, aber nicht ehrlos." Er hatte diese Worte durch den Entschluss, jede Mitarbeit im totalen Staat der Hitlerbarbarei abzulehnen, den Sitz der Partei ins demokratische Ausland und das Kampffeld in die Illegalitaet zu verlegen, wahr gemacht. "Wehrlos, aber nicht ehrlos", mit diesem Leitsatz hat die Partei ihren Kampf gegen das Hitler-Regime nach dessen Machtantritt zu organisieren begonnen. Wehrhaft und ehrenhaft wird sie nach dem siegreichen Ende dieses Kampfes wieder in Deutschland zu wirken beginnen.

Wie viele Versuchungen sind im Laufe dieser letzten sechs Jahre an uns herantreten, von dem mit klarer Erkenntnis beschrittenen Wege des Kampfes gegen die Hitlerdiktatur und fuer ein demokratisches und soziales Deutschland abzuweichen. Wie viele Versuchungen, im Kampfe zu erlahmen, der uns immer neue Enttaeuschungen zu bringen schien, und wie viel Lockungen, uns einer anderen Diktatur, der Diktatur Moskaus, dienstbar zu machen, deren Fuehrung angeblich Gewaehr fuer einen radikalen Kampf gegen die Nazi-Diktatur bot und deren Pro-

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pagandisten uns sogar eine "demokratische" Volksfront mit den Kommunisten vorspiegelten. Alle Berichte aus Deutschland stimmen darin ueberein, dass der Pakt zwischen Hitler und Stalin eine grenzenlose Verwirrung unter den ehemaligen kommunistischen Arbeitern in Deutschland angerichtet hat. Haette die Sozialdemokratie der Verlockungen jener Gruppen, die selbst in der illegalen Arbeit in Deutschland eine Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit den Kommunisten forderten, nicht widerstanden, waeren wertvolle Kaempfer der Gestapo zum Opfer gefallen, und die ideologische Verwirrung haette auch Kreise der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterschaft erfasst. Manch einer in den Reihen der Partei mochte wankend werden, die Partei aber blieb fest, weil die Fuehrung fest blieb, weil die Erkenntnis unseres Weges klar und der Wille zum Ziel sicher blieb.

Jetzt, da das letzte entscheidende Kapitel des Kampfes gegen Hitler begonnen hat, jetzt, da die gesamte demokratische Welt die furchtbare Gefahr erkannt hat, die wir von Anfang an im Hitler-Regime erblickten, jetzt, da der Schein einer grundsaetzlichen Gegnerschaft der Hitlerischen und Stalinschen Diktatur jaeh zerstoert ist, koennen wir uns auf die Erkenntnisse und Entscheidungen berufen, die unsere Partei im Laufe der letzten sechs Jahre verkuendet und befolgt hat.

Wir haben die Kriegsgefahr erkannt !

Wir haben den Lockungen Moskaus widerstanden !

Wir haben der Hitler-Diktatur den Kampf angesagt !

Und wir werden ihn fuehren bis zu ihrem Untergang !

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Wir haben die Kriegsgefahr erkannt!

1933:
Beim Anbruch des Systems

"Deutschland ist auf gefaehrlichem Wege. Der faschistische Machtstaat fuehrt zur Politik des tollen Hundes. Diese Politik stellt eine stete Bedrohung des deutschen Volkes dar, aber nicht nur des deutschen Volkes! Die Rueckkehr Deutschlands zu einem veralteten Staatstyp, das Wiederaufleben des Kriegsgeistes, die militaerische Verseuchung der Jugend, die Unterordnung aller Lebensaeusserungen des Volkes unter den Machtzweck des totalen Staates fuehrt zu einer fortgesetzten Bedrohung des Friedens fuer ganz Europa!"

("Volk in Ketten", 1933)[1]

1934:
Nach der Blutnacht vom 30. Juni

"Das Entscheidende ist: Die Reichswehr ist heute wieder Traeger und Kern des deutschen Machtstaates. Mit dieser Regelung wird die deutsche Aussenpolitik ihre Aktivitaet wieder aufnehmen ... Jetzt wird die Sache ernst. Die auf die potentielle Vorbereitung des Krieges gerichtete deutsche Machtpolitik hat sich eine schwere Belastung vom Halse geschafft. Sie kann freier als zuvor manoevrieren und sie hat dabei nicht einmal an augenblicklicher, militaerischer effektiver Kraft eingebuesst. Man muss sich mit allem Ernst die Bedeutung dieses neuen Buendnisses zwischen Hitler und der Reichswehr vor Augen fuehren. Nach innen gesehen bedeutet der 30. Juni den Sieg der Armee, nach aussen gesehen eine Konsolidierung des aktivistischen Nationalismus."[2]

("Deutschland-Berichte", Juli 1934)

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1935:
Die allgemeine Wehrpflicht

"Die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland - das ist ein Alarmschuss ueber die Welt. Allgemeine Wehrpflicht in Deutschland - das ist die Vermaehlung des Geistes des Kaiserreichs mit dem revancheluesternen Geist des Hitlerreiches. Sie ist das Symbol fuer die seit zwei Jahren angesammelte Kriegskraft des Dritten Reiches, fuer den finsteren Geist der Bejahung des Krieges, der Eroberung, der Revanche, der das Wesen des Hitlersystems ausmacht. Sie ist die letzte und aeusserste Unterwerfung des deutschen Volkes unter den Willen eines Diktators, der heute oder morgen den Massen der deutschen Jugend befehlen kann: sterbt fuer meinen Machttraum. - Am Ende dieses Weges steht der Krieg. Die Ereignisse haben bestaetigt, was wir vor einem Jahre vorausgesehen haben. Illusionen um Illusionen sind verflogen. Es ist an der Zeit, dass die Voelker selbst der Wahrheit ins Gesicht sehen, wenn es die Staatsmaenner nicht wollen."[3]

("Neuer Vorwaerts", Nr. 93)

Nach Stresa

"Nun erheben sich in Deutschland Stimmen der Wut und der Verblueffung, nun ertoent das Stichwort 'Neue Kriegsschuldluege'. Dies System, das mit Gewalt das Volk niederhaelt, ist die Verkoerperung der wildesten alldeutschen Tendenzen, die Anbetung der nackten Gewalt. Sein Wirken ist eine einzige Bereitstellung aller Kraefte des Volkes fuer den Krieg. Militaermacht und Krieg sind die obersten Lebensziele der Maenner des Systems, vor denen alles versinkt. Dies System - das ist der Krieg!"

"Aber eine ungeheure Warnung ist erteilt, eine Warnung vor allem an das deutsche Volk: Mit diesem System geht es einem neuen Kriege, und in einem neuen Kriege einer neuen Niederlage entgegen. Neue Niederlage bedeutet den Untergang, Rettung liegt nur im Sturz des System."[4]

("Neuer Vorwaerts", Nr. 97)

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1936:
Nach der Rheinlandbesetzung

"Wo freiwillig geschlossene Vertraege unter nichtigen Vorwaenden gebrochen werden, gibt es kein Recht, keine Ordnung und keinen Frieden. Neue Paktvorschlaege, die von dem Vertragsbrecher ausgehen, muessen dem schaerfsten Misstrauen begegnen.

Hitler saet Hass gegen Deutschland. Furchtbar wird diese Saat eines Tages aufgehen. Hitler spekuliert auf die Furcht der Voelker vor einem neuen Kriege und spielt Hasard mit dem Frieden. Eines Tages wird er das Spiel verlieren, und das deutsche Volk wird es mit seinem Blute bezahlen muessen."[5]

("Neuer Vorwaerts", Nr. 144)

1937:
Nach Edens Rede vom 19. Januar

"Auch Hitler weiss heute, woran er mit England ist. Der englische Aussenminister hat eindeutig Stellung genommen gegen den militaerischen Nationalismus des braunen Systems, der den Frieden Europas und die Wohlfahrt der Voelker bedroht. Er hat der deutschen Regierung erklaert, dass sie auf internationale Zusammenarbeit, auf Eingliederung in die Friedenswirtschaft der Welt nur rechnen kann, wenn sie sich von diesem militaristischen Nationalismus abwendet.

Das heisst, dass das deutsche Volk einen Ausweg aus der Blockade, die das braune System ueber Deutschland verhaengt hat, nur damit finden kann, wenn alles das faellt, was das Wesen des Hitlersystems ausmacht."

("Neuer Vorwaerts", Nr. 189)

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1938:
Nach der Annexion Oesterreichs

"Eine wichtige Ausgangsstellung ist fuer den neudeutschen Imperialismus gewonnen. Es ist das innere Gesetz dieses Imperialismus, dass mit seinen Erfolgen seine Ziele wachsen. Diese Eroberung Oesterreichs angesichts einer in Entsetzen und Furcht erstarrten Welt ist nach der Rheinlandbesetzung der zweite grosse Erfolg Hitlers. Es ist an der Zeit, sich voellig darueber klar zu werden, was geschehen ist: Das Dritte Reich hat seine Hegemonie ueber Mittel- und Suedosteuropa errichtet."[6]

("Neuer Vorwaerts", Nr. 248)

Wir haben den Lockungen Moskaus widerstanden.

Zu den "Trotzkisten"-Prozessen

"Welche politischen Auseinandersetzungen, welche Entscheidungen ueber den Kurs der Sowjetpolitik liegen diesen Abschlachtungen zugrunde? Seit Monaten ist die Politik Sowjetrusslands nicht mehr klar definiert. Die offizielle Begruendung der Erschiessung der Generale lautet: Sie waeren des landesverraeterischen Einvernehmens mit Hitlerdeutschland, dazu der Spionage, schuldig gewesen, sie haetten Stalin ermorden, ein deutschfreundliches Regime an seine Stelle setzen wollen. Das ist die allgemeine Beschuldigung, die gegen alle Trotzkisten erhoben wird, - und an die angesichts der letzten Prozesse kein Mensch in Europa zu glauben geneigt ist. Im Prozess gegen Pjatakow[7] und Genossen sagten Radek[8] und Sokolnikow[9] aus, sie haetten mit deutschen und japanischen diplomatischen Vertretern ueber die Bedeutung einer deutsch-sowjetischen Annaeherung verhandelt und haetten russische Konzessionen fuer den Fall des Sieges der Verschwoerung ueber Stalin zugesagt. Welcher Politik sollten diese Zweckaussagen dienen?

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Alsbald nach diesem Prozess, der am 30. Januar 1937 zu Ende ging, tauchten in der westeuropaeischen Presse Geruechte auf, dass die Sowjetregierung eine Neuorientierung ihrer Politik erwaege, Es wurde hingewiesen auf die Beziehungen, die seit Rapallo zwischen Reichswehr und Roter Armee bestanden haben, auf wirtschaftliche und weltpolitische Zusammenhaenge, auf Tendenzen in der Roten Armee. Die Frage bleibt: Sind Fuehlungnahmen erfolgt, durch wen, und wieweit war Stalin informiert?

Es ist eine Wiederbelebung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Hitlerdeutschland und Sowjetrussland erfolgt, die jedenfalls der Hitlerschen Aufruestung nutzt. Wer verantwortet sie? Ist das auch nur Verrat und Sabotage, oder entspricht es dem amtlichen Kurs?

Seit Monaten ist die russische Aussenpolitik in den grossen europaeischen Fragen in eine auffallende Inaktivitaet verfallen, wie sich zuletzt noch bei den Verhandlungen ueber den Almería-Fall gezeigt hat, die geradezu im Rahmen des Viererpaktes gefuehrt worden sind.[10] Diese Inaktivitaet traf auffaellig zusammen mit krampfhafter propagandistischer Aktivitaet der Komintern. Ist es Ablenkung durch innere Machtkaempfe, oder ist es Unsicherheit des Kurses, [die] zu dieser Inaktivitaet gefuehrt hat?

Welche Garantien der Stetigkeit der Politik sind bei einer Diktatur gegeben, in der die Willkuer weniger entscheidet und in der alles vom zufaelligen Ausgang persoenlicher Machtkaempfe abhaengen kann?"

("Neuer Vorwaerts", Nr. 210)[11]

Zum Spanienkrieg

"Die Spaltung des Proletariats in eine sozialistische und eine kommunistische Partei ist zweifellos durch historische und philosophische Wurzeln mit jener Teilung verbunden, in dem Sinne, dass der Kommunismus den Umsturz des Bestehenden als die vornehmste Aufgabe ansieht, waehrend der Sozialismus in der blossen gewaltsamen Beseitigung des Alten keine Gewaehr dafuer sieht, dass nicht Machtgier der einen und Knechtsinn der anderen auf

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den Truemmern des Zerstoerten neue Herrschaftsverhaeltnisse aufrichten.

Seit der Spaltung ist der Faschismus ueber Italien, Deutschland, Oesterreich hergefallen und wuetet in Spanien. Hat die kommunistische Partei in irgend einem dieser Laender staerkeren und wirksameren Widerstand geleistet als die sozialistische? Nein. In den beiden Staaten, wo die kommunistische Bewegung sehr schwar war, in Oesterreich und in Spanien, war und ist der Widerstand am staerksten.

Betrachten wir aber nicht die Opfer, sondern die revolutionaere Wirksamkeit, fragen wir uns in welchem Lande die kommunistische Partei die buergerlichen Regierungen erschuettert hat, so ist festzustellen, dass die Laender mit den staerksten und lautesten kommunistischen Parteien, Italien und Deutschland, am gruendlichsten dem Faschismus verfallen sind. In beiden Laendern hat der Kommunismus die Vorteile der Gewalt gepredigt, ohne selbst Gewalt zu ueben, bis das veraengstigte Buergertum seine Verteidigung der faschistischen Gewalt uebertrug. Waere der Kommunismus nicht da gewesen, so haette man ihn erfinden muessen, soweit er nicht ausreichte, hat man die Ergaenzung erfunden. Er ist dem Faschismus unentbehrlich, so unentbehrlich, dass er in Spanien importieren musste, wo er vor der italienisch-deutschen Invasion ein Schattendasein fuehrte."

("Neuer Vorwaerts", Nr. 213)[12]

Zu den Russenpakt-Verhandlungen

Die dunkle und verhaengnisvolle Rolle, die die russische Aussenpolitik in den Nachkriegsjahren gepielt hat, sollte die deutsche Opposition davor bewahren, ihr Schicksal heute und in Zukunft der deutschen Demokratie morgen auf Gedeih und Verderb mit Sowjetrussland zu verknuepfen. Wir haben 1925 den deutschen Kommunisten die verderbliche Unsinnigkeit der Parole "Buendnis mit Sowjetrussland" entgegen[ge]halten und haben aufgezeigt, dass nach dem Abschluss des Locarnopaktes das naechste Problem des europaeischen Friedens lauten wuerde: 'Eintritt Sowjetrusslands in den Voelkerbund'. Aber die

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russische Politik hat diesen Eintritt niemals in Auge gefasst, solange die Demokratie in Deutschland lebte. Bei aller Kritik, die man an der Haltung der westlichen Demokratien gegenueber der deutschen Republik ueben muss, darf man eines nicht uebersehen: Es war die russische Politik, die den Sieg der Gegenrevolution und des Revanchewillens auf das staerkste beguenstigt hat. Als es zu spaet war, als die grosse Chance des Friedens in Europa mit dem Sturz der Weimarer Republik vorbei war, ist Sowjetrussland in den Voelkerbund eingetreten - nicht aus Liebe zur Demokratie, sondern aus eigener aussenpolitischer Not.

Wir sollen in Sowjetrussland den Lehrmeister sehen? Wir sollen eine deutsche Planwirtschaft mit der sowjetrussischen Planwirtschaft verbinden, obwohl und gerade die sowjetrussische Planwirtschaft gezeigt hat, wie antihumanitaer und wie barbarisch eine Planwirtschaft ist, die nicht auf freiheitlichen Prinzipien aufgebaut ist? Niemand weiss, wie nach dem Sturze des Hitlersystems die Bedingungen fuer die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Voelker sein werden und ob nicht das Beharren auf starren planwirtschaftlichen Ideen dann nur zu neuer autarker Absperrung und zur Bildung neuer Militaerstaaten fuehren wird.

Wir lassen uns durch die aussenpolitische Konstellation von heute keineswegs in der klaren Erkenntnis dieser Dinge beirren, noch viel weniger lassen wir uns abhalten, sie klar auszusprechen, wenn die ganz- oder halbkommunistische Propaganda aus der aussenpolitischen Konstellation Nutzen zu ziehen sucht. Unter der Parole 'Buendnis mit Sowjetrussland' ein neues Volksfrontprogramm, weil die Grossmaechte England und Russland ueber einen Beistandspakt beraten? Aber nein. Die Partisanen Sowjetrusslands sind nicht die 'deutsche Opposition', noch laesst sich die deutsche Opposition unter dem Vorwand eines Buendnisses zum Partisanen Sowjetrusslands machen."

("Neuer Vorwaerts", Nr. 309)[13]

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Wir haben der Hitler-Diktatur den Kampf angesagt !

Aus der Reichstagsrede von Otto Wels am 23. Maerz 1933:

"Freiheit und Leben kann man uns nehmen,
die Ehre nicht."

"Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafuer mit Steinen beworfen worden. Unsere Leistungen fuer den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, fuer die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen.

Wir haben gleiches Recht fuer alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen, Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fuersten und Baronen, sondern auch Maennern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Fuehrung des Staates offensteht.

Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurueckzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch blosse Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhoeren, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren. Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsaetzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsaetzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermaechtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstoerbar sind, zu vernichten ... Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus den neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schoepfen. Wir gruessen die Verfolgten und Bedraengten. Wir gruessen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht, sind uns Buergen einer helleren Zukunft."

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Zerbrecht die Ketten !

Der Aufruf, mit dem unser Kampf begann.

"Brutaler Terror verhindert in Deutschland jede politische Taetigkeit. Wir erheben uns gegen die Tyrannei und rufen zum Kampf fuer die Freiheit.

Wir taeuschen uns nicht ueber die Schwere der Niederlage, die wir erlitten haben, nicht ueber die Schaerfe des bevorstehenden Kampfes. Aber wenn man uns zumutet, die Niederlage hinzunehmen oder auf den Kampf zu verzichten, so antworten wir: 'Niemals!'

Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein.

Der Brand im Reichstag bot der Regierung Hitler-Goering die erwuenschte Gelegenheit, dem Volke eine beginnende kommunistische Revolution vorzutaeuschen, an die in jenem Augenblick kein Mensch dachte. Wider besseres Wissen beschuldigte sie die Sozialdemokratische Partei der Teilnahme an der Brandstiftung. Mit solchen Luegen entfachte sie am Vorabend der Wahl den Paniksturm gegen den Marxismus. Sie verbot die Arbeiterpresse, vernichtete die Wahlfreiheit, sie bewaffnete die braunen Horden und stattete sie mit Polizeigewalt aus.

Die vom Reichspraesidenten, dem Reichskanzler und den Ministern beschworene Verfassung wurde als ein blosser Fetzen Papier behandelt und in hundert Stuecke zerrissen.

Alle kommunistischen Abgeordneten und zahlreiche sozialdemokratische wurden mit Gewalt an der Ausuebung ihres Mandats gehindert. Dem terrorisierten Rumpfparlament wurde ein Ermaechtigungsgesetz vorgelegt, dem nur die Sozialdemokraten ihre Zustimmung versagten. Mit ihm wurde die Grundlage jeder gesicherten Staatsordnung beseitigt. Deutschland hat seitdem aufgehoert, ein Rechtsstaat zu sein.

Das Recht der regierenden Partei, ihre Gegner zu toeten, wurde oeffentlich proklamiert. Ungezaehlte, die keine andere Schuld tragen als die, Marxisten zu sein, fielen ihm zum Opfer. Maenner und Frauen wurden in SA-

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Kasernen nackt ausgezogen und blutig gepeitscht, Zehntausende in die Gefaengnisse und Konzentrationslager verschleppt. Frauen und Kinder wurden fuer fluechtige Maenner als Geiseln genommen. Judenhatzen wurden veranstaltet, wie sie seit dem Mittelalter nicht mehr erlebt worden sind. Gelehrte von Weltruf wurden davongejagt, Buecher auf den Scheiterhaufen geworfen und verbrannt. Es war ein Versinken in Schande. Sie aber nannten es - 'nationale Erhebung'.

Dieses System kann nur solange existieren, als es ihm gelingt, die Wahrheit zu unterdruecken. Denn es lebt allein von der Luege.

Der Welt die Wahrheit zu sagen und dieser Wahrheit auch den Weg nach Deutschland zu oeffnen, ist unsere Aufgabe.

Wir fordern Wiederherstellung des Rechts, Strafgericht ueber die Verbrecher, Wiedergutmachung des veruebten Unrechts.

Wir sind uns aber auch dessen bewusst, dass die Freiheit des Volkes in Zukunft nur gesichert werden kann durch den schaerfsten unerbitterlichsten [ ! ] Kampf gegen die Feinde dieser Freiheit.

Wir wollen eine starke, wahrhafte Volksherrschaft, die kaempfende Demokratie, die mit starker Hand alle Anhaenger der Despotie und alle Gewaltorganisationen gegen die Freiheit unterdrueckt.

Wir wollen die Sicherung des Rechts und der Freiheit fuer den Einzelnen.

Wir wollen zur Sicherung der Lebensgrundlagen fuer alle Deutschen eine Eingliederung der deutschen in die europaeische Wirtschaft.

Wir wollen nicht den Krieg - wir wollen den Frieden."

("Neuer Vorwaerts", Nr. 1, 1933)

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Der Aufruf unserer Partei bei Ausbruch des Krieges.

An das deutsche Volk.

Mit einem verbrecherischen Angriff Hitlers hat der Krieg begonnen.

In diesem geschichtlichen Augenblick wendet sich der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk und die ganze Welt. Es ist die letzte Koerperschaft, die noch von der sozialdemokratischen Massenorganisation in Deutschland selbst gewaehlt worden ist. Es spricht fuer die Partei und darueber hinaus fuer jene Teile des deutschen Volkes, die den Krieg und die Diktatur verabscheuen und deren Ziel es ist, in Frieden und Freiheit zu leben.

Die ganze Wucht der Schuld fuer das ungeheure Verbrechen an dem Frieden und an der Menschheit ruht auf Hitler und seinem System. Die Vernichtung der Freiheit und die Zerstoerung des Weltfriedens waren von Anfang an der Inhalt der nationalsozialistischen Politik. Der Sturz Hitlers ist deshalb das Ziel, fuer das wir kaempfen werden gemeinsam mit allen demokratischen Kraeften in Europa.

Hitler und der neue deutsche Militarismus sind eins. Die Niederlage und die endgueltige Ueberwindung dieses Militarismus sind die Voraussetzungen fuer den Frieden und die Neuorganisation Europas.

Als verbuendete Kraft an der Seite aller Gegner Hitlers, die fuer die Freiheit und die Kultur Europas kaempfen, werden wir im Kriege in diesem Sinne wirken.

Wir fuehren diesen Kampf fuer das deutsche Volk und das grosse Ziel der Sicherung der Freiheit, des Friedens und der Demokratie in Europa.

Wir rufen dem deutschen Volke zu:

Erkaempft Eure Freiheit! Stuerzt Hitler!

Der Sturz des Systems verkuerzt den Krieg, bewahrt Millionen vor dem Tode, rettet das Volk.

Die Politik Hitlers ist nicht die Vollstreckerin nationaler Notwendigkeiten. Sie ist ein Rueckfall in den Aberglauben, dass Zukunft und Wohlfahrt eines Volkes von der Eroberung von Territorien abhaengen.

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Ein Frieden, der die Gewaltakte Hitlers wieder gutmacht, dem totalitaeren System ein Ende setzt und dem deutschen Volke wie allen vergewaltigten Voelkern Recht und Freiheit wiedergibt, ist das Ziel unserer Politik.

Die Schuldigen schlagen, um dann den friedlichen Wiederaufbau Europas zu beginnen, ist geschichtliches Gebot: in diesem Sinne kaempfen wir:

Fuer Frieden, Freiheit und Brot!

Paris, 1. September 1939.


Der Vorstand der
Sozialdemokratischen Partei Deutschland
Die Vorsitzenden


Otto Wels

Hans Vogel


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Die Stimme unserer Freunde in USA

In der "Neuen Volkszeitung"[14], New York, veroeffentlichten unsere Parteigenossen den obigen Aufruf des Vorstandes der SPD im vollen Wortlaut, den die "German Labor Delegation" mit folgenden Worten unterstreicht:

"Wir unterrichten hiermit die amerikanische Oeffentlichkeit von diesem Aufruf. Da wir wissen, dass der ueberwaeltigende Teil der oeffentlichen Meinung Amerikas zwischen den deutschen Anhaengern der totalitaeren Hitler-Stalin-Parteien auf der einen und den demokratischen Kraeften der ersten deutschen Republik auf der anderen Seite sorgfaeltig unterscheidet, haben wir es unternommen, zu der Niederlage Hitlers und des National-Sozialismus hier beizutragen, wo immer das moeglich ist.


German Labor Delegation:

Albert Grzesinski, Praesident; Dr. Rudolf Katz, Exekutivsekretaer; Max Brauer; Dr. Alfred Braunthal; Prof. Alfred Kaehler[15]; Gerhart H. Seger; Wilhelm Sollmann; Hedwig Wachenheim."

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Die freien Gewerkschaften an der Seite der SPD

Die in Grossbritannien lebenden Mitglieder der frueheren freien deutschen Gewerkschaften erneuern ihr Geloebnis, tatkraeftig mitzuwirken in dem entscheidenden Kampf zur Vernichtung des Nationalsozialismus.

In treuer Verbundenheit mit denen, die zur Emigration gezwungen wurden, stehen die Kader, die vorbestimmt sind, an dem Wiederaufbau eines freien Deutschlands mitzuwirken.

Dieser vom Nationalsozialismus sinnlos entfesselte Krieg ist kein Kampf der Voelker gegeneinander.

Es ist ein Kampf

der Gesinnung gegen die Gesinnungslosigkeit,
der Menschlichkeit gegen das Untermenschtum,
der Gerechtigkeit gegen das Weltverbrechen,
der Freiheit gegen die Knechtschaft.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, auf welcher Seite wir Kaempfer fuer ein freies Deutschland stehen.

Die kommunistischen Fuehrer haben sich durch den deutsch-russischen Vertragsabschluss und die Beteiligung an dem feigen Ueberfall auf Polen zu Handlangern des Nationalsozialismus erniedrigt, sie haben damit ihren Platz gewaehlt an der Seite der Moerder der Freiheit. Sie verdienen keine andere Wertung und keine andere Behandlung.

Die Kaempfer fuer die deutsche Freiheit stehen bereit, ihren Platz einzunehmen in den Reihen aller Freiheitskaempfer.

Vorwaerts fuer ein freies Europa, fuer ein freies Deutschland.
Die Vernichtung Hitlers sichert den Frieden der Welt.

London, den 25. September 1939.

Die Londoner Vertretung
der freien Arbeiter-, Angestell-
ten- und Beamtengewerkschaften
(ADGB - AFA - ADB )




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.




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[Hinweis]

Der

N E U E

V O R W A E R T S



ist die einzige deutschsprachige sozialdemo-

kratische Wochenzeitung. Er erscheint auch

waehrend des Krieges regelmaessig und ist fuer

jeden politisch interessierten Menschen als

Informationsquelle unentbehrlich.




Verlag Neuer Vorwaerts

30, Rue des Ecoles, Paris 5e. - France.







Editorische Anmerkungen


1 - Max Klinger (d. i. Curt Geyer, s. d.): Volk in Ketten. Deutschlands Weg ins Chaos, Karlsbad 1934, S. 104.

2 - Der Aufruf bezieht sich auf die sog. Röhm-Affäre. Der SA-Stabschef Ernst Röhm (1887 - 1934) hatte auf eine "zweite Revolution" und gegen die Reichswehrführung auf staatliche Befugnisse für das Millionenheer der SA gedrängt. Unter dem Vorwand der Verschwörung wurden zwischen 30.6. und 2.7.1934 zahlreiche hohe SA-Führer, darunter Röhm, ermordet.

3 - Die allgemeine Wehrpflicht war am 16.3.1935 entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrags eingeführt worden.

4 - Bezieht sich auf die Konferenz in Stresa (April 1935) auf der Frankreich, Italien und Großbritannien Einvernehmen erzielten, sich mit allen geeigneten Mitteln jeder einseitigen Aufkündigung von Verträgen zu widersetzen.

5 - Die Besetzung begann am 7.3.1936.

6 - Der sog. Anschluss erfolgte am 13.3.1938.

7 - Grigorij Pjatakow (1890 - 1937), 1930 stellvertretender Minister für Schwerindustrie, 1937 als Trotzkist hingerichtet.

8 - Karl Radek (1885 - 1939), enger Mitarbeiter Lenins, lange Jahre Mitglied des Exekutivkomitees der Komintern und des ZK der KPdSU, 1936 verhaftet und in einem Prozess zu 10 Jahren Straflager verurteilt; kam im Lager um.

9 - Grigorij Sokolnikow (1888 - 1939), 1921-1926 Finanzminister, 1929-1932 sowjetischer Botschafter in Großbritannien, 1936 verhaftet und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, 1939 erschossen.

10 - Im Juni 1937 hatte deutsche Marine die Stadt Almeria auf Verlangen Francos beschossen.
"Viererpakt" = (nicht ratifizierter) Vertrag zwischen Italien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien vom Juli 1933 betr. u. a. gemeinsame Konsultationen und Nichtanwendung von Gewalt.

11 - Vom 20.1.1937.

12 - Vom 11.7.1937.

13 - Vom 21.5.1939.

14 - Am 9.9.1939.

15 - Alfred Kähler (geb. 1900), deutscher Wirtschaftswissenschaftler, ab 1933 Exil in den USA.



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