Nr. 25 - 1941

Ende April

Sozialistische Mitteilungen

News for German Socialists in England

This newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

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Maifeier der
"Union deutscher sozialistischer Organisationen in Grossbritannien"

Donnerstag, den 1. Mai 1941, nachmittags 5.30 Uhr
in der
Conway Hall, Red Lion Square, London WC1
(nahe U-Bahnhof Holborn).

Programm:

Ansprache, Rezitationen, Musik auf Schallplatten und
Uebertragung der Arbeitersendung des Londoner Rundfunkes in deutscher Sprache
(Maifeier für deutsche Arbeiter, 7.00 - 7.30).

Es wird ein Unkostenbeitrag von 6 d erhoben.
Unseren ausserhalb Londons wohnenden Freunden empfehlen wir, die von [der] BBC veranstaltete Maifeier nachm. 7.00 zu hören. Die Londoner Freunde erwarten wir in unserer Veranstaltung. Eintrittskarten sind bereits erhältlich.


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Die South Hammersmith Divisional Labour Party
ladet unsere deutschen Genossen und Freunde zur Teilnahme an ihrer Maifeier herzlichst ein.
Diese wird

Sonntag, den 4. Mai, nachm. 3 Uhr in
Ravenscourt Park, Hammersmith, London -W-6
(U-Bahn, District Line, Ravenscourt Park Station)
abgehalten.

Zur Maifeier werden sprechen:Dr. Edith Summerskill,[1] MP, Louis Lévy - Frankreich, Drzewieski[2] - Polen, Hasvoll[3] - Norwegen und J. Belina - Tschechoslowakei.

Wir bitten unsere Genossen und Freunde, der freundlichen Einladung unserer englischen Genossen Folge zu leisten.

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Nach einem dramatischen Vorspiel, dessen Höhepunkte der Selbstmord des ungarischen Ministerpräsidenten Teleki[4] und der Sturz des jugoslawischen Prinzregenten Paul[5] waren, hat Hitlers Angriff auf Serbien und Griechenland eingesetzt. Oft angekündigt, oft vertagt, hat die Hilfsaktion für die in Albanien und Afrika hart bedrängten Italiener begonnen. Da der Umsturz in Belgrad zu spät kam, um noch eine wirksame Mobilisierung der Kräfte Jugoslawiens gegen die Nazis zu ermöglichen und da die Neutralitätserklärung der neugebildeten Regierung von Hitler natürlich nicht respektiert wurde, da ausserdem nach Telekis Tode auch Ungarn sich am Angriff beteiligte, war Jugoslawiens Rebellion mehr ein Opfer als ein Widerstand: ein blutiges Opfer freilich, das auch den Angreifer nicht bilig zu stehen kam.

Während Jugoslawien überrannt werden konnte, stellte Griechenland, das nun die volle Wucht des italienischen und deutschen und sogar noch des bulgarischen Angriffs zu ertragen hatte, ein schweres Hindernis für Hitlers Vormarsch dar. Nur die ungeheure Ueberlegenheit über das kleine Heer der Griechen und über die britische Hilfsarmee, die im Augenblick des Hitlerangriffs zu ihm stiess, kann den Diktatoren auch hier den Sieg bringen, den Mussolinis Armee ein halbes Jahr lang vergeblich angestrebt hat und dabei schmähliche Niederlagen erleben musste.

Die Tatsache, dass Hitlers Armee von Bulgarien her nach Albanien und Griechenland durchbrechen konnte, liess von Anfang an keine Illusionen zu. Nur eine gemeinsame Abwehrfront der Serben, Griechen und Türken hätte eine wirkliche Gefahr für Hitlers Angreiferheer werden können. Der Durchbruch nach zwei Richtungen verhinderte die Bildung dieser Front. Die Haltung der Sowjetunion und der Staatsstreich im Irak, der wie ein Werk faschistischer Agenten aussieht und die Entsendung britischer Truppen zur Folge hatte, hat die Türkei bisher zum Zögern veranlasst.[6] - Die Gefahren, die Hitlers Vorstoss an der Ostfront heraufbeschwört, sind eine neue harte Lehre für alle, die sich abermals zu optimistischer Unterschätzung der Pläne Hitlers und der Brutalität seiner Kriegsmaschine und zu Illusionen über den Charakter dieses Krieges verleiten liessen. Die Rolle, die Moskau im Balkan-Konflikt gespielt hat, so gefährlich für die Zukunft der Sowjetunion sie ist, hat ihre Fortsetzung im Pakt der

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Sowjetregierung mit Japan[7] gefunden, und es hat keinen Sinn, das internationale Zusammenspiel der Diktaturen gegen die Demokratie nicht zur Kenntnis nehmen [zu] wollen. Je eher es erkannt wird, desto eher wird der internationale Abwehrwille der Demokratien wirksam werden und die demokratischen Gegenkräfte in den von den Diktaturen bedrohten und unterworfenen Völkern entfesseln.

Der immer enger werdende Bund des britischen Reiches und der Vereinigten Staaten von Amerika kann das Vorbild dieser Sammlung zur Abwehr und Gegenoffensive werden. Mit Recht ist gesagt worden, dass die Entscheidungsschlacht nicht im Balkan und nicht in Afrika, sondern im Atlantik geschlagen wird, wo es darum geht, die Verbindung zwischen Amerika und England trotz aller Opfer, die Hitlers U-Boote und Bomber fordern, aufrechtzuerhalten und zu festigen.

Der Beschluss Roosevelts, die amerikanische Schiffahrt nach dem von den Engländern besetzten Island und in das - nach der britischen Eroberung von Eritrea, Somaliland und Abessinien - von den Italienern gesäuberte Rote Meer auszudehnen, hat einen neuen wichtigen Schritt auf dem Wege des gemeinsamen Kampfes bedeutet.

Der Drang nach Osten hat Hitler dazu gebracht, sein Dogma vom Einfrontenkrieg aufzugeben und seine Armeen auf die Schauplätze der Niederlagen Mussolinis zu senden: in die Berge des Balkan, wo der Vorstoss nach Kleinasien vorbereitet werden soll, und in die Wüste Libyens, wo der Angriff gegen Aegypten und den Suezkanal gerichtet ist.

Nach Osten - über den Atlantik - wird aber auch Amerikas Hilfe für England und seine Truppen im Vorderen Orient dringen. Nach Osten - über die Nordsee - wird die britische Luftflotte immer wieder ihre Angriffe auf die Zentren der deutschen Kriegsindustrie richten. Nach Osten - gegen Japan - wird das chinesische Volk seinen Abwehrkampf führen.

Hitler ist sich offenbar selbst darüber klar, dass Erfolge im Orient ihm nicht den entscheidenden Sieg bringen können. Er müsste die Welt erobern, um das britische Weltreich zu erledigen, - oder er müsste die Schlacht im Atlantik gewinnen, um das Herz des Weltreiches, Grossbritannien, lahmzulegen. Darum der Druck auf die Vichy-Regierung, die schon der Kampagne in Libyen Vorschub leistete, indem sie deutsche Truppentransporte durch französische Gewässer und wohl auch Häfen zuliess, und die Hitler zu weiteren Konzessionen bringen will, darum das Werben um Spanien, das den Weg nach Gibraltar und Portugal freigeben soll.

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So gefährlich Illusionen angesichts des Ernstes der Lage sind und so gefasst man auf neue Opfer und Gefahren sein muss, so berechtigt und nötig sind Hoffnung und Entschlossenheit - und jener Mut zum Widerstand und zum Ausharren, den das englische Volk in diesen Tagen der Prüfung so beispielhaft zeigt.

deren Gründung wir in der letzten Nummer der SM verkündeten und [über] die von einem grossen Teil der englischen Tages- und Wochenpresse berichtet wurde, hat sich nun konstituiert. Die Exekutive der Union besteht ausser dem Vorsitzenden aus je einem Vertreter der der Union angeschlossenen Organisationen und dem ständigen Vertreter der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter.

Im Arbeitsausschuss sitzen ausser der Exekutive je 2 weitere Vertreter der angeschlossenen Organisationen.

Der Arbeitsausschuss hat ebenfalls seine Arbeit aufgenommen und in seiner ersten Sitzung ein umfangreiches Arbeitsprogramm beraten. Die bisherigen Beratungen der Exekutive und des Arbeitsausschusses lassen eine erfolgversprechende Zusammenarbeit erwarten.

Bereits Anfang Mai wird die erste Nummer eines monatlich erscheinenden Bulletins in englischer Sprache herausgegeben, das an die englische Presse, an englische Organisationen und politische Persönlichkeiten gehen soll.

in Grossbritannien wurde nun ebenfalls im Einvernehmen mit dem IGB und dem TUC gegründet. Vorsitzender ist Gen. Johann Svitanics, ein erfahrener Wiener Gewerkschafter.


[Hinweis]

SPD-Mitgliedskarten und Beitragsleistung
Richtlinien für die Ausstellung von Mitgliedsakten und über die künftige Beitragsleistung sind noch in Bearbeitung. Die hierzu erforderlichen Fragebogen gehen allen Genossen sofort nach der Fertigstellung zu und wir bitten bereits heute um baldige Ausfüllung und Rücksendung. Die Fragen nach "Tribunal" und "Internierung" sollen besonders genau beantwortet werden.

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Wir sind in der Lage, einen Auszug aus einem Bericht aus Deutschland zu bringen, der nach langer Unterbrechung des Kontaktes mit sozialdemokratischen Vertrauensleuten im Dritten Reiche in unsere Hände gelangte und das Datum des 21. März trägt.

Ueber die allgemeine Stimmung im Dritten Reich sagt der Bericht: "Die Menschen sind stumpf. Hauptgespräch bildet die Lebensmittelration. Wohl hören viele die deutschsprachigen Sendungen des Londoner Rundfunkes, aber man spricht nicht darüber. Nach wie vor hat jeder Angst vor dem anderen, und der kleine Nazi-Funktionär ist in den Wohnhäusern der grosse Mann. Das System geniesst fast nur noch bei der Jugend und den Nazi-Funktionären wirkliche Sympathien, aber man kann auch nicht von einer eigentlichen Oppositionsstimmung sprechen. Tagesgespräch sind die zusätzlich ausgeteilten oder vorübergehend gekürzten Lebensmittelrationen, die Löhne, die schwer erhältlichen Kleidungsstücke usw. Die Lebensmittelversorgung ist seit der Besetzung ausgedehnter Gebiete eher besser geworden. Von einer Hungersnot kann man keineswegs sprechen. Wer Geld hat und bereit ist, Phantasiesummen für Lebensmittel zu zahlen, bekommt alles, was er haben will. Wer kein Geld hat, weiss das und fühlt sich entsprechend verärgert.

Was sich in diesen Jahren an Nervosität aufgespeichert hat, entlädt sich nicht in politischer Opposition, sondern in persönlichen Reibereien. In den Luftschutzkellern und wo sonst viele Menschen zusammengepfercht sind, haut man sich um die geringste Kleinigkeit. Die politische Indolenz [ver]hindert übrigens nicht, dass in Autobus und Stadtbahn ganz offen auf die Zustände geschimpft wird. Von einem Siegestaumel konnte selbst unmittelbar nach den Eroberungen nicht die Rede sein, der Ausgang des Krieges wird vielmehr recht skeptisch beurteilt."

Ueber das öffentliche Leben heisst es in dem Bericht: "Im öffentlichen Leben macht sich immer mehr das Fehlen des Intelligenz-Nachwuchses bemerkbar. Gerade katastrophal ist die Lage im medizinischen Fach. Zu den jüngeren, im Dritten Reich geschulten Aerzten hat niemand Zutrauen, und sie sind wirklich in der Regel Nichtskönner. Die alten Aerzte haben so viel zu tun, dass sie überanstrengt und ausserstande sind, neue Patienten anzunehmen.

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Eine Fürsorge gibt es praktisch überhaupt nicht mehr und vorbeugende Fürsorge, wie sie in der Republik gepflegt wurde, schon gar nicht. Die Einzigen, die ihre Notleidenden nach wie vor, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln, zu betreuen versuchen, sind die Juden.

Die Not zeigt sich nicht auf den Strassen, gegen Bettler wird nach wie vor aufs strengste eingeschritten, aber hinter den Kulissen verkommen viele Menschen, und erst in Zukunft wird sich zeigen, was an der Gesundheit des Volkes gesündigt worden ist.

Aus der deutschen Jugend hat Hitler das gemacht, was er aus ihr machen wollte. Die Heilslehren der Propaganda-Redner und -schreiber werden kritiklos hingenommen, geistige Probleme existieren nicht, ein sturer Landsknechtstrieb ist die einzige Form jugendlicher Gemeinschaft. Auch in Studentenkreisen ist von neuen geistigen Strömungen nicht das mindeste zu bemerken."

Von der Wirkung der Luft-Bombardements sagt der Bericht, dass sie "psychologisch und materiell sehr gross" ist. "Man ist sich klar darüber, was es bedeutet, wenn die Engländer auf so grosse Entfernungen bombardieren." Folgende Einzelheiten werden berichtet: "In Berlin schwer getroffen Chemische Versuchsanstalt Dahlem, eine Flugzeugfabrik und das gesamte Fabrikgelände neben dem Kraftwerk Klingenberg. Neue Versuchsanstalt in Nauen; in Siemensstadt ist eine Bombe in einen Luftschutzkeller geschlagen. In Hamburg ist im inneren Stadtbild keine besondere Wirkung zu sehen, im Hafengebiet und in Harburg ist sie jedoch sehr gross. In Bremen sind ganze Strassenzüge zertrümmert. In Hannover sind besonders die Continental und die Oeltanks schwer getroffen. Man bemüht sich überall, rasch auszubessern und wieder aufzubauen. Sämtliche Maurer ohne Altersbegrenzung nach oben sind mobilisiert." - Zum Schluss wird von einem Gespräch mit einem früheren sozialdemokratischen Politiker berichtet, der noch in Deutschland lebt. "Er hält das Regime für ausserordentlich schwer zu erschüttern, meint, dass Deutschland wirtschaftlich sehr stark eingedeckt sei, glaubt jedoch nicht an einen Sieg. Es herrscht noch immer Zusammenhalt in sozialdemokratischen Kreisen, es gibt überall noch Gruppen und Zirkel, die abwarten.

Auf die eigentliche Jugend sei nicht zu rechnen, nur auf die Leute von dreissig aufwärts."

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14.000 German and Austrian refugees are interned at Camp de Gurs in South France, near the Spanish border. Half of the internees are refugees from Nazi oppression who lived in France, Belgium, Luxemburg or Holland before the invasion of these countries, which compelled them to seek shelter in South France. The other internees are German Jews from the Saar territory and South Germany who have been expelled by the Nazis and handed over to the Vichy authorities. While the age of the first mentioned internees is from 35 to 65, the interned Jews from South Germany are mostly old aged people. Among 1000 male internees 150 are older than 60 years. The oldest male internee who died recently was 99 years, the oldest interned woman is 100 years. There are about 400 children, 12 of them not yet a year old. The mortality of the older internees is very high. About 12 internees die every day. Many internees were ill or mutilated when they entered the camp, many others fell ill during internment as a result of the conditions prevailing in this camp.

We received a report from a refugee who was interned at Gurs. He says that the camp does not offer the minimum conditions necessary for human health. The camp is situated 20 kilometres from the nearest railway station, and surrounded by small villages not able to deliver sufficient provision. The camp consists of huts, 20 or 25 of them forming an "ilot". The huts are situated on both sides of a road of about 2 kilometres. Most of the huts have no chimneys. The camp is on a spot where wind and rain are very frequent. The soil is wet all the time, and mud invades the huts which can never be kept clean by the internees. All the huts are wooden ones, and many of them are damaged by rain and storm. There is only poor light in the huts, and even that is switched out at 8.00 p.m. every day.

60 persons and even more live in each hut, and they sleep on straw bags. There are only a few huts with beds of a very primitive type. The lavatories are very bad, and there is no opportunity of washing hands after their use. There is hardly any soap available in the camp. There was none at all before an interned German chemist started a soap "factory" in the camp, but he is not able to produce sufficient quantities. It is not possible to take a bath

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in the camp, and there is a permanent shortage of water.

Every "ilot" has a kitchen. The fuel is wood. The stoves are rather primitive. In these circumstances the food cannot be cooked properly and it looses much of its value during the process of cooking. The daily ration is for each interned man: 330 grams of bread, 60 grams of meat, 10 grams of fat, 30 grams of vegetables and of coffee. The interned women have a slightly better bread ration. For internees who have some money it is possible to buy some additional food in the canteen where the prices are very high and ever increasing.

There are two "hospitals" in the camp. The wards are mostly not properly heated, there is no X-ray apparatus, only a poor equipment and hardly any provision for sterilisation of instruments. The women's Hospital consists of two huts for 60-70 patients each. There is no equipment for gynaecological treatment, and very few instruments. The pharmacy lacks the most essential articles. Only three French doctors are working in the camp, and they could not do their work unless a number of interned doctors would assist. Many epidemic diseases spread easily among the internees. It was necessary to confine the patients to special huts, but it is impossible to treat them properly.

About the worst thing is the official muddle concerning the administration of the camp and the treatment of the internees. In many cases, visitors who wanted to see interned relatives and had received a permit were not admitted to the camp. If they are admitted they often have to remain outside buildings, and the interviews take place in rain and storm. The procedure of release is extremely slow and not clear to anybody, which may be the result of influence exerted by the Nazi authorities.

The London papers recently published the news of incidents at the camp Vernet-les-Bains, where 150 internees were killed by the guards. We are told by refugees from France that the internees at Vernet-les-Bains are German refugees from Nazi oppression, regarded, for unknown reasons, as "dangerous" by the Vichy authorities.

They will now be transferred to North Africa where they must work for the construction of a railway in the desert.

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"Nach Verlauf eines Monats zeigt sich, dass die beabsichtigte Eroberung Finnlands durch die Rote Armee Stalins keine so leichte Aufgabe war, wie man es sich im Kreml vorgestellt haben dürfte ... Wie immer der Ausgang des finnischen Krieges sein mag, schon heute lässt sich sagen, dass er ein empfindlicher Verlust für jene Propaganda ist, welche die Rote Armee als unüberwindlich und Stalins Politik als die einer weisen Neutralität hinstellte."

(SM, No. 1, Anfang Januar [19]40)

"Es sind Fälscher, die von einem 'imperialistischen' Kriege Englands und Frankreichs, getreu den Weisungen Goebbels' und Molotows, erzählen. Nach diesen ersten sechs Monaten des Krieges ist es sonnenklar, dass weder England noch Frankreich irgendein Land erobern wollen und dass die 'Imperialisten' auf der anderen Seite stehen ... Es wäre eine Illusion zu glauben, dass der Krieg auf Finnland und die Nordsee beschränkt bleiben wird. dass mit Finnland die gesamte skandinavische Demokratie bedroht ist, ... dass ein dauernder Druck des Dritten Reichs auf den Balkan und besonders auf Rumänien ausgeübt wird ... und dass die australischen und neuseeländischen Hilfstruppen im Vorderen Orient stehen, das alles zeigt, dass sich das mögliche Schlachtfeld vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer und bis zum Suezkanal erstreckt ..."

(SM, No. 5, 1. März 1940)

"Da der Ueberfall auf Finnland nur eine Etappe des Krieges war, hat die Friedensoffensive Hitlers und Stalins weiterreichende Bedeutung ... Die Friedensfanfaren der Diktatoren deuten neue Gefahren an. Zu diesen Gefahren gehört auch die Lage in Skandinavien, das nach einer Beendigung des finnischen Krieges einem noch stärkeren Druck Nazi-Deutschlands ausgesetzt werden könnte, nachdem es die Möglichkeit eines Eingreifens der Alliierten im Norden verhindert hat."

(SM, No. 6, 15. März 1940)

"Es wäre irrig zu glauben, dass Hitlers Ansehen in Deutschland durch die Brutalität und Hinterlist, mit der

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er zwei nordische Völker vergewaltigt hat, gesunken ist. Sein Ansehen in Deutschland beruht nicht auf seiner Moral, sondern einzig und allein auf dem Mass seiner Erfolge, und wie jeder neue Erfolg, gleich wie er errungen wurde, seine Anhänger neu begeistert und seine Gegner neu entmutigt, so würde gewiss sein erster deutlicher Misserfolg der Beginn seines Untergangs sein ... In gewisser Weise ist die Tragödie, die sich in Skandinavien ereignet, die Folge der skandinavischen Neutralität, die Finnland zum Aufgeben seiner Bollwerke gegen die Moskauer Angriffslust zwang. Es hat sich erneut erwiesen, dass Neutralität im heutigen Europa keine Rettung vor dem Angreifer, sondern eine Lockung für ihn ist, und die Lage, in der sich Holland, Belgien, Luxemburg, Rumänien und die Schweiz befinden, rückt die Gefahr deutlich vor Augen."

(SM, No. 8, 18. April 1940)

"Leider ist durch das Verhalten eines Teiles der Flüchtlinge, die Verbindungen mit pazifistischen und kommunistischen Organisationen aufrechterhalten und sich an ihrer Propaganda beteiligen, die Frage der Flüchtlinge mit jener der britischen Hitler-Agenten und der ausländischen Spione verquickt worden, und in der Pressekampagne, die stellenweise bis zur Forderung ging, alle Deutschen und Oesterreicher in Gr.-Br. zu internieren, war die Folge."

(SM, No. 9, 2. Mai 1940)

"Die Flamme des Krieges ist aufgelodert, der Wahnsinn des Hitlerismus hat zu seinem brutalsten Ausbruch geführt: Noch während um Norwegen gekämpft wurde, ist der neue Schlag gegen Holland und Belgien geschehen und damit der direkte Zusammenstoss mit der französischen und britischen Armee ... Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass diesmal die franz. Nordgrenze besser befestigt ist als 1914 und dass auch Belgiens militärische Vorbereitungen stärker waren, auf der anderen Seite freilich steht die Tatsache, dass die Nazi-Offensive nicht nur frontal geführt wird, sondern mit einer Zersetzungs- und Verratsoffensive von innen her ... Die Erkenntnis der Tatsache, dass es in diesem Kriege keine Neutralität in Europa gibt, dass es ... ein Welteroberungskrieg des Nazifaschismus ist, gegen den die Demokratien den Kampf ihres Lebens führen ..."

(SM, No. 10, 15. Mai 1940)

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"Es sieht so aus, als werde für eine Weile England mit seinen Dominions den Kampf allein führen müssen, und wenn jemals in der Geschichte das englische Weltreich keine imperialistische, sondern eine moralische Sendung hatte, so in dieser Stunde."

(SM, No. 12, 20. Juni 1940)

"Stellung zu den Internierungsmassnahmen zu nehmen, haben wir der englischen öffentlichen Meinung überlassen, und die Entwickelung dürfte beweisen, dass diese Haltung richtig war." (SM, No. 13/14, 25. Juli 1940). "Wenn in den ersten Tagen auch manche überstürzten Massnahmen ergriffen wurden, so sehen wir jetzt, wie der Sinn für Vernunft und Gerechtigkeit, der in diesem Lande lebendig ist, sich immer überzeugender dokumentiert und dass, je ernster der Kampf wird, umso grösser das Bewusstsein wird, dass hier für die Sache der Menschheit gekämpft wird."

(SM, No. 17, 1. Sept[ember 1940])

"Noch immer ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass der 'Angriff auf die britischen Inseln' nicht die Formen eines abenteuerlichen Invasionsversuchs annehmen wird, dessen Gefahren für den Angreifer offensichtlich sind, sondern sich auf den Versuch beschränken wird, die Schiffahrt lahmzulegen und damit Grossbritannien ernsten Versorgungsschwierigkeiten auszusetzen ... Die Ueberrennung Hollands, Belgiens und Frankreichs hat Hitler neben dem territorialen Gewinn und dem Zugang zum Ozean auch Probleme der schwierigsten Art eingebracht ... Der Bund Hitlers mit Komplizen wie Stalin und Mussolini birgt in sich Konfliktmöglichkeiten, die jederzeit akut werden können, und die Lage im Balkan ist alles andere als stabil ... Mussolini musste den Kampf gegen das Empire in Afrika aufnehmen ... Aber es fragt sich, ob nicht der Angreifer im afrikanischen Wüstenkrieg unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen wird ... Man scheint im Dritten Reich mit bösen Vorahnungen auf die USA zu blicken, und es spricht viel dafür, dass nach der Katastrophe der Neutralitätspolitik in Europa die Einsicht in Amerika wächst, dass ein langes Zuschauen bei diesem Weltkonflikt kurzsichtig und selbstmörderisch wäre."

(SM, No. 15/16, 15. August 1940)

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"Tag für Tag und Nacht für Nacht greift die 'Luftwaffe' Hitlers die britischen Inseln an, und allnächtlich dringen die Angreifer im Schutze der Dunkelheit nach London vor, um ihre Bomben auf die Häuser und Strassen der Stadt abzuwerfen ... Wir sind Zeugen einer der Entscheidungsschlachten der Geschichte geworden. Hält die Verteidigung Englands stand, ... dann kann der Wendepunkt des Krieges erreicht sein ... Aber bleiben wir uns bewusst, dass von dem Ausgange des Kampfes um Grossbritannien der Ausgang dieses Weltkrieges entscheidend abhängt."

(SM, No. 18, 1. Oktober 1940)

"Die Wende des Krieges ... hat ihre Bedeutung vor allem darin, dass sich aus dem Einfrontenkrieg ein Kampf entwickelt hat, der gleichzeitig an zwei Fronten geführt wird ... Während Hitlers Armee am Aermelkanal steht, über den sie nicht setzen konnte, stehen Mussolinis Armeen an den jenseitigen Küsten des Mittelmeeres und in Abessinien und sind zum Rückzug gezwungen, und es ist nicht zu sehen, wie sie, wenn ihre Niederlage vollkommen wird, den Rückzug werden finden können."

(SM, No. 21, 1. Januar 1941)

"Und die 'Klugen' im Kreml müssen nun sehen, wie sich der Krieg, den sie mit einer 'genialen' Wendung nach Westen abgelenkt zu haben glaubten, nach Osten zu wälzen beginnt und wie die 'gesicherte' Sowjetunion zwischen zwei Feuer zu geraten droht."

(SM, No. 20, 1. Dez[ember] 1940).

"Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wie lange es dauern wird, bis Amerikas Hilfe sich entscheidend gelten machen wird, und niemand kann sagen, welche Schläge Hitler in dieser Zeit gegen England und seine Schiffahrt zu führen versuchen wird. Aber das britische Volk weiss, was von ihm, seiner Arbeit, seinem Mut und seinen Opfern abhängt, und es soll wissen, dass es überall in der Welt Verbündete hat im Kampfe gegen die Diktatur und für einen Frieden, der Dauer verspricht und Freiheit und Fortschritt der Völker verbürgt, den Frieden, den wir deutschen Hitler-Gegner erhoffen."

(SM, No. 22, 1. Februar 1941)

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des Dritten Reiches vermittelt jedem Leser das soeben im Verlag Victor Gollancz, London, erschienene Tagebuch des verstorbenen amerikanischen Gesandten Dodd während seiner Berliner Amtszeit von Anfang Juni 1933 bis Ende September 1938.(Ambassador Dodd's Diary, 1933-1938).[8]

Auf den 452 Seiten des Buches wird Wichtiges und Unwichtiges, Neues und bereits Bekanntes von dem Triumvirat Hitler-Göring-Goebbels und den anderen "führenden" Nazis der Regierungs- und Parteiclique berichtet, vertrauliche Gespräche mit Männern der Finanz und Wirtschaft, Wissenschaft und bürgerlichen Gesellschaft werden berichtet, alles höchst interessant und besonders für uns deutsche Sozialisten sehr lesenswert. - Auch für die Vorgeschichte des Krieges - nicht nur an der diplomatischen Front! - enthält das Buch wichtigstes Material. Bereits am 1. Sept. [19]34, also 5 Jahre vor Kriegsausbruch, wird z.B. berichtet, dass ein amerikanischer Professor bei seinem Besuch westdeutscher Städte von 4 oder 5 neuen unterirdischen Flugzeugschuppen gehört hatte, deren schwere Flugzeuge kriegsfertig waren und eine Menge von Giftgasen in 2-3 Stunden über Paris oder London [ab]werfen konnten. Immer findet man in dem Buche Aufzeichnungen, die von der zielbewussten Aufrüstung der Nazis berichten und stellt mit Besorgnis die Frage, ob die ganze Gefahr dieser Berichte rechtzeitig in den Kabinetten der demokratischen Länder erkannt wurde ...

Nach einer Aeusserung Mr. Patersons[9], der im Auftrage des Home Office in Kanada war, sind bereits 1000 Internierte aus Kanada nach England zurückgeschickt worden. Weitere 1000, die amerikanische Affidavits haben, sollen von Kanada direkt nach den Vereinigten Staaten auswandern können. (Nach bisher unbestätigten Meldungen aus Australien soll auch für die in Australien Internierten ein ähnliches Arrangement getroffen sein.)

Eine Reihe von Internierten in Kanada, die dort ansässige Verwandte haben, haben die Erlaubnis erhalten, sich gleichfalls in Kanada niederzulassen und sind aus den Lagern entlassen worden.




[Hinweis]

Unsere Geldsammlung für die Internierten geht weiter !

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über die wir in unserer letzten Nummer berichteten, ist nun durch eine Erklärung des Kriegsministeriums beendet worden, die klarstellte, dass die österreichischen Pioniere nicht gegen ihren Willen in eine besondere Formation eingereiht werden sollen. - In der "London Information" der österreichischen Sozialisten wird gegen das "Austria Office" der Vorwurf erhoben, dass es den englischen Behörden die Idee zur Bildung einer monarchistischen österreichischen Armee geben wollte, dass aber vier Fünftel der Oesterreicher im Pionierkorps diesen Plan ablehnten. "Es hat sich gezeigt, dass die Oesterreicher gerade das Gegenteil von dem wünschen, was das 'Austria Office' vorgibt ... Die österreichische Sache vertreten wir ... Wir kämpfen für ein wirklich freies Oesterreich", schreiben unsere österreichischen Genossen.

Nach Miss Allen, der Leiterin des Tribunal-Departments, Dr. Betty Morgan, der Leiterin des Londoner Büros, und deren Sekretärin Miss Anderson hat auch Mrs. Jefferies, die Leiterin der Londoner Hospitality-Abteilung, ihren Abschied genommen. Das Londoner Büro wird von Miss Verschoyle (Leiterin des Emigrations-Departements) und Mrs. Rita Spurr weitergeführt.[10]

Die Trustees haben endgültig entschieden, dass die Gruppen das London Office am 10. Mai zu verlassen haben und sich selbständig als autonome Körperschaften etablieren sollen, die gewisse Sektionen der Flüchtlinge vertreten, im Namen ihrer Mitglieder beim Trust vorstellig werden und Vorschläge machen können und vom Trust zu Rate gezogen werden können. Gleichzeitig sollen die Ausgaben für die Gruppenarbeit drastisch gekürzt werden.

sind in Portugal, wie wir von dort erfahren, durch neue Polizeimassnahmen bedroht. Viele von ihnen sind zur Polizei bestellt und aufgefordert worden, das Land binnen 30 Tagen zu verlassen. Ueber die Leiden der in Südfrankreich Internierten bringen wir einen Originalbericht in englischer Sprache auf Seite 7 und 8 dieser Ausgabe.

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"Europe Under Hitler" (The Royal Institute of International Affairs, Oxford), "Germany's New Order" (By Duncan Wilson, Oxford), und "Hitler's New Order" (By Paul Einzig, Macmillan) sind die Titel der neuesten englischen Publikationen über die militärische und wirtschaftl. Tätigkeit Nazi-Deutschlands in den direkt oder indirekt beherrschten Ländern.[11]

Alle Versuche, in den Reden und Artikeln führender Nazis einen klaren Plan für die künftige wirtschaftliche Neuordnung Europas nach dem Kriege zu entdecken, sind ergebnislos, weil dieser Plan in Einzelheiten nicht existiert. Die kriegswirtschaftliche Organisation der europäischen Länder unter deutscher Herrschaft ist dagegen eine Tatsache, die sich selbst bei den spärlichen Nachrichten aus Deutschland grob verfolgen und beschreiben lässt. Die Pläne, die gegenwärtig von deutschen Militärwirtschaftsführern, von Banken und industriellen Konzernen in die Tat umgesetzt werden, sind das Ergebnis der wehr-wirtschaftlichen Entwickelung Deutschlands seit 1933. Wie in allen Kriegen handelte es sich zunächst darum, die direkte Kriegsbeute an Nahrungsmitteln und Rohstoffen nach Deutschland zu bringen oder dem zivilen Konsum zu entziehen. Die Kriegskontributionen sind gleichfalls eine alte Praxis aller Eroberer genau so wie die zwangsweise Verschickung von Arbeitern. Die Organisation einer funktionierenden modernen europäischen Kriegswirtschaft, die auch die "Neutralen Länder" des Kontinents zu erfassen versucht, ist Selbstgenügsamkeit in Nahrungsmitteln und Kriegsmaterial für die Dauer des Krieges. Durch die Annexion Polens, Elsass-Lothringens und Luxemburgs hat das III. Reich fast alle grossen Industriegebiete des Kontinents unter deutsche Verwaltung gebracht. Moderne Industriezentren ausserhalb der neuen Reichsgrenzen sind nur noch in Holland, Belgien, der Lyonzone in Frankreich und in Norditalien zu finden, wenn man Grossbritannien und Sowjet-Russland ausser Acht lässt. Deutschland mit den annektierten Gebieten umfasst rund 43% der Gesamtzahl der europäischen Industriearbeiter, aber nur 19% der landwirtschaftlichen Arbeiter.

Diese Tatsache veranlasst die oben genannten Publikationen zu dem Schluss, dass das III. Reich beabsichtige, alle europäischen Länder ausserhalb Deutschlands zu reinen Agrikulturländern zu reduzieren und die Industrialisierung der

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alten Agrikulturländer zu verhindern.

Das ist ein gefährlicher Trugschluss. In Wirklichkeit versucht die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, die landwirtschaftliche Produktion Europas so zu entwickeln, dass der europäische Kontinent für die Dauer des Krieges selbstgenügsam ist. Verringerung der Viehzucht in Dänemark und Holland zugunsten vermehrten Getreides, Hackfrucht- und Oelsaatenanbau ist nichts anderes als eine Reorganisation. Die Reorganisation der Landwirtschaft in Südost-Europa ist nicht möglich ohne Industrialisierung, weil moderne Landwirtschaft nicht ohne Maschinen und andere industrielle Hilfsmittel möglich ist. [Die] Erfahrung hat gezeigt, dass diese Entwickelung nicht möglich ist ohne eine bodenständige Industrie. Die Industrie der besetzten Länder wird augenblicklich zu einem grossen Teil mit deutschen Aufträgen beschäftigt, und zahlreiche Berichte sprechen von Ausbauplänen der Industrie in Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien und Frankreich. Neue Industrien sind gleichfalls im Aufbau in verschiedenen Balkanländern.

Das Ziel ist eine allgemeine Steigerung der gesamten Produktion für den Krieg, die eine weitreichende Reorganisation der europäischen Wirtschaft und der europäischen Arbeitsteilung notwendig macht.

Nach der Vorkriegserfahrung im III. Reich ist diese Entwickelung gleichbedeutend mit der völligen Entrechtung der Arbeiter, die in grenzenlose Ausbeutung der Arbeiter ausartet. Die deutsche Industrie hat in dieser Kriegswirtschaft ein unbedingtes Monopol, während wirtschaftliche Zwangsorganisationen alle Gebiete fest mit dem Reich verknüpfen sollen.

Die bisherigen militärischen Erfolge der Nazitruppen haben die kapitalistische Expansion der deutschen Industrie zunächst ungeheuer beschleunigt.

Deutsche Banken und deutsche Konzerne kontrollieren bereits den gesamten Osten und Teile Südost-Europas. In West-Europa dringt deutsche Kontrolle vor mit Hilfe von Kartellen und Syndikaten. Die Arbeiter der beherrschten Nationen werden heute direkt oder indirekt von deutschem Kapital ausgebeutet, das langsam die verschiedenen nationalen Kapitale verdrängt, aufsaugt oder amalgamiert.

Erst der vollständige militärische Zusammenbruch Deutschlands kann diesen Prozess abbrechen und den Weg für eine wirkliche Neuordnung Europas frei machen.

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Der politische Verleger Victor Gollancz[12], der sozialistische Theoretiker Harold Laski[13] und die linken Schriftsteller John Strachey[14] und George Orwell[15], alle einst Anhänger und Propagandisten der "Volksfront" in England, sind die Autoren des Buches "The Betrayal of the Left" (Der Verrat der Linken), das kürzlich im Gollancz-Verlag erschien mit dem Untertitel "Eine Prüfung und Zurückweisung der kommunistischen Politik von Oktober 1939 bis Januar 1941"[16].

Denn die Zeugen, die hier über die Doktrinen und Methoden des kommunistischen "Defätismus" aussagen, sind Männer, die nicht im Verdacht stehen, gegen die Kommunisten voreingenommen zu sein, die im Gegenteil fast alle noch heute der Ansicht sind, dass die Kommunisten [an] den sozialistischen Charakter und an die Richtigkeit ihrer "Linie" glauben und dass sie nicht einsehen, Helfer Hitlers geworden zu sein. Die Autoren dieses Buches aber haben es eingesehen, und darum haben sie die Kapitel geschrieben, die in diesem Buche gesammelt sind.

Viele Seiten des Buches sind der Untersuchung der Frage gewidmet, ob der Leninsche "Defätismus" logisch und historisch auf die heutige Situation anwendbar sei, was verneint werden muss, da erstens Lenin selbst den Defätismus gegen die reaktionärste Macht, die damals der Zarismus war und die heute also der Hitlerismus wäre, gerichtet wissen wollte, da zweitens dieser Krieg offensichtlich kein "imperialistischer" ist und da drittens ein zu einem "Brest-Litowsk"[17] gezwungenes England nicht die leiseste Hoffnung hätte, sich so halten zu können wie Russland 1917, dessen Gegner noch immer den Hauptkrieg weiterzuführen hatte und das über ein Territorium verfügte, das die feindliche Armee unter den gegebenen Umständen unmöglich besetzen konnte. Es gehört viel Nachsicht dazu, unter diesen Umständen anzunehmen, dass die führenden Kommunisten ernstlich an den "revolutionären Defätismus" glauben und nicht einfach nur ihre Rolle als Agenten der Moskauer Aussenpolitik und damit des Paktes mit Hitler spielen.

Die Autoren des Buches aber (die auch die Geschichte des kontinentalen Sozialismus meist nur aus kommunistisch[en] Darstellungen zu kennen scheinen) bringen - mit Ausnahme von Orwell wie es scheint - diese Nachsicht auf. Umso wichtiger ist ihr Zeugnis. - Sie weisen darauf hin, dass

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Harry Pollit, der Generalsekretär der engl. KP, nach Ausbruch des Krieges in seinem später widerrufenen Aufruf klar ausgesprochen hat, dass es ein "Verrat" wäre, in diesem Kampfe beiseite zu stehen und nur revolutionär klingende Phrasen beizusteuern, und dass die Kommunisten diesen Verrat nicht nur dauernd begangen haben, sondern noch mit jeder neuen Phase des Krieges gesteigert haben.

Sie haben die beiden Führer der britischen Internationalen Brigade in Spanien, Wintringham[18] und Slater[19], aus der Partei ausgestossen, als sie sich im Augenblick der grössten Invasionsgefahr der "Home Guard" zur Verfügung stellten, sie haben erbittert gegen die Lieferung amerikanischer Zerstörer an England agitiert, sie haben die Luftangriffe auf London zu einer Kampagne für Arbeitsniederlegung und Kapitulation ausgenützt und sie haben die demagogische "People's Convention" vom Stapel gelassen, deren defätistischer Charakter und deren heuchlerische Propaganda in diesem Buch eindeutig enthüllt werden.[20] - Die Verfasser haben noch während dieser Ereignisse mit den Kommunisten in Kontakt gestanden - und deren Argumente mitangehört. Erst hiess es, der Pakt mit Stalin werde Hitler am Angriff auf Polen oder mindestens am Vormarsch im Südosten hindern, was durch die Tatsachen widerlegt ist. Dann hiess es, der - von den Kommunisten mit Genugtuung aufgenommene - Zusammenbruch Frankreichs werde eine revolutionäre Erhebung in Frankreich und damit ein Eingreifen Moskaus zur Folge haben. Nichts dergleichen geschah. Schliesslich blieb nichts mehr als die Behauptung, dass zwischen der Hitler-Regierung und der Churchill-Regierung gar kein Unterschied sei, und es wird auch der Ausspruch eines führenden Kommunisten angeführt, dass ihm die "Gangster" des Faschismus lieber seien als die "Heuchler" der Demokratie. Die deutschen Sozialisten wissen darüber seit dem Artikel Ulbrichts in der "Welt" Bescheid, und es ist ein Verdienst dieses Buches, dass es den vollen Wortlaut jenes Schandartikels, der Hilferding und die illegalen Kämpfer in Deutschland als "Agenten des britischen Imperialismus" der Hitler-Regierung denunzierte, dem englischen Publikum vermittelt. Es beweist auch durch eine Fülle von Zitaten aus dem "Daily Worker", dass die britischen Kommunisten, derselben Linie treu, immer nur den britischen "Imperialismus", nie aber den Hitlers attackiert und sogar jede Nazi-Invasion mit Wohlwollen be-

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handelt und als Notwehr gegen den britischen Imperialismus entschuldigt haben.

"Ich bemerke", schreibt Gollancz, "die Gefahr, die selbst in einer milden, verständigen Zustimmung zu dem Satze, dass der Zweck die Mittel heilige, liegt, und bis in welchen Abgrund Menschen sinken können, wenn sie erst einmal von der Wahrheit abweichen." Und er hat dem Buch einen Epilog über politische Moral angefügt, der ein Bekenntnis seiner "Volksfront"-Erfahrungen und eine Warnung vor der kommunistischen Politik der unbedingten Lüge ist.

Diese Politik kann keinen Erfolg haben, ausser dem, Hitler Hilfsdienst zu leisten. Orwell schreibt: "Eine Bewegung, welche die Massen des englischen Volkes an sich ziehen kann, muss entweder einen Sozialismus hervorbringen, der mehr oder weniger im Einklang mit ihrer Geschichte steht, oder sie werden von aussen besiegt werden. Wer den Glauben an die Demokratie unterminiert, wer sie von dem moralischen Kodex abzubringen versucht, den sie von den protestantischen Jahrhunderten und der Französischen Revolution übernommen haben, bereitet nicht den Weg für sich selbst, obwohl er den für Hitler bereiten kann, - wie wir [es] so oft in Europa sich haben wiederholen sehen."

Gollancz entwirft deshalb ein Aktionsprogramm der Linken, das - in Uebereinstimmung mit der Labour Party - Unterstützung des Krieges gegen Hitler bei gleichzeitiger sozialer Umgestaltung Englands fordert, das gegen die Propaganda eines neuen Versailles und für die Anerkennung der ausländischen Anti-Faschisten als Bundesgenossen im Kampfe eintritt.

wurde am 5. April im Friends House in London von der Frauensektion der Labour Party im Verein mit einer Gruppe internationaler sozialdemokratischer Frauen abgehalten.

Den Vorsitz führte Miss Mary Sutherland, Chief Women's Officer der Labour Party. In ihrer Rede erinnerte sie an vergangene internationale Frauen-Kundgebungen, prangerte die Verbrechen des Faschismus an, brandmarkte die Schuld der "Befriedungspolitiker" und legte dar, wie sehr die Unterstützung des Krieges gegen den Faschismus im Interesse der Arbeiterschaft und der sozialistischen Frauen liegt.

Die folgenden Rednerinnen (aus Frankreich, Oesterreich, Belgien, Italien, Tschechoslowakei, Polen und Deutschland),

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die sowohl in englischer Sprache als auch in der ihrer Heimat sprachen und von Melodien von Arbeiterliedern ihres Landes begleitet wurden, wiesen auf die Leiden ihrer Heimat unter der Herrschaft der Diktatur hin, erinnerten an die illegalen Kämpfer und an das Ziel dieses Krieges: die demokratische Zusammenarbeit der Völker. Von unseren Genossinnen sprach Herta Gotthelf.

ist unter Leitung von Manfred Fürst[21], Kurt Hellmann[22] und Ludwig Roth[23] als Theater of German Freemen[24] gegründet worden, dessen künstlerischem Beirat u.a. Franz Werfel, Zuckmayer[25], Fritz v. Unruh[26] und Ferd. Bruckner[27] angehören. Es ist der dritte Versuch dieser Art. Diesmal soll sich aber das Theater auf eine Besucher-Organisation stützen, deren Aufbau S. Aufhäuser, ehemaliger sozialdemokratischer Reichstagsabg., besorgt. Als erste Aufführung ist, eine von dem sozialistischen Regisseur Berthold Viertel[28] geleitete Inszenierung des Koloman Wallisch-Dramas[29] vom Genossen Robert Grötzsch in Aussicht genommen.

Der Prager Advokat Dr. E. Schwelb[30], 17, Laleham Avenue, London, NW7, wurde mit Entscheidung des Präsidiums des tschechoslowakischen Feld-Obergerichtes in die Verteidigerliste eingetragen und ist demnach zur Vertretung vor tschechoslowakischen militärischen Gerichten und Behörden berechtigt.


[Hinweise]

Freiwillige Beiträge für die SM leisteten: Prof. VK 5/-; B., Cumberl., sh 2/-; Miss L. 2/6; Montague Str. 10/-; H.G. 1/-; Czech St.C. 10/-; K.J. (South Afrika) 20/-; Ja. 1/3; Loe. 2/6; TUM 10/-; J. u. L. £ 10.-; Ko. 3/-; Fr.S. -/8; Gr., Bristol, 2/6; O.W., N.Y., (3 Dollar) 13/3; Pionier B. 5/-; L. u. G., Cantherb. Hall, 1/-; NM, London, 5/-; John 1/-; J., Bl. House, 1/-; W.K., Epsom, 2/6; W.Kr. 1/-; Ti, Redhill, 1/-; E.Bl. 2/-; A.Bi. 1/-; Tr.L. 2/-.
Besten Dank allen Spendern!

Alte Nummern der SM (bes. Nr. 1 u. 19), des "Neuen Vorwärts" und der "Deutschland-Berichte" werden von uns gesammelt.




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.






Editorische Anmerkungen


1 - Edith Summerskill (1901 - 1980), britische Ärztin und Sozialpolitikerin, Frauenrechtlerin, Labour-MP 1938-1955.

2 - Stefan Drzewieski, d. i. Bernard Mandelbaum (1888 - 1953), polnischer Sozialdemokrat und Gewerkschafter, ab 1939 Exil in Frankreich, ab 1940 in Großbritannien, 1940-1945 Repräsentant des Polish Social Information Bureau, 1947-1949 bei der UNESCO.

3 - Berthold Hasvoll, norwegischer Journalist, Vertreter von "Norsk Tidend" in London.

4 - Paul Teleki von Szék (1879 - 1941), 1939-1941 ungarischer Ministerpräsident.

5 - Prinz Paul von Jugoslawien (1893 - 1976) war seit 1934 Prinzregent; im März 1941, nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt, wurde er durch einen Militärputsch entmachtet. Die neue jugoslawische Regierung unterzeichnete am 5. April einen Freundschafts- und Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion. Am folgenden Tag begann der Feldzug NS-Deutschlands gegen Jugoslawien und Griechenland.

6 - Am 1. April 1941 hatte ein Staatsstreich im Irak eine achsenfreundliche Regierung an die Macht gebracht, die sich allerdings nur zwei Monate gegen britische Truppen halten konnte.

7 - Am 13.4.1941 Abschluss eines Neutralitätspaktes zwischen Jugoslawien und der UdSSR.

8 - William Edward Dodd (1869 - 1940), amerikanischer Historiker und Diplomat. W. E. Dodd: Ambassador Dodd's Diary. 1933-1938, London 1941.

9 - Alexander Paterson (1884 - 1947), 1922-1947 Direktor von Zuchthäusern, 1940-1941 Sonderbeauftragter des Innenministeriums für Internierte in Kanada, 1941 Direktor des CRTF.

10 - Zu Mrs. Jefferies, Miss Verschoyle und Rita Spurr konnten keine biographischen Angaben ermittelt werden.

11 - The Royal Institute of International Affairs (Hrsg.): Europe under Hitler. In Prospect and in Practice, London u. a. 1941. - Das "Institute" war 1920 gegründet worden, um das wissenschaftliche Studium internationaler Fragen zu fördern.
Duncan Wilson: Germany's "New Order", Oxford 1941. Duncan Wilson (1875 - 1945), war britischer Wirtschaftsexperte.
Paul Einzig: Hitler's "New Order" in Europe, London 1941. Paul Einzig (geb. 1897), war ein aus Ungarn stammender britischer Finanzexperte und Publizist.

12 - Victor Gollancz (1893 - 1967), englischer sozialistischer Publizist, Verleger und Philanthrop, Anti-Vansittartist, 1941 Mitbegründer des National Committee for Rescue from Nazi Terror. 1960 Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Der von Gollancz u. a. gegründete Left Book Club (1936) wurde zu einem Zentrum für die Verbreitung linkssozialistischer Ideen in Großbritannien.

13 - Harold Laski (1893 - 1950), britischer sozialistischer Theoretiker und Politikwissenschaftler, im Vorstand der Fabian Society, 1936-1949 Mitglied des Executive Committee der Labour Party.

14 - John Strachey (1901 - 1963), sozialistischer Publizist, Labour-MP 1929-1931; im II. Weltkrieg Dienst bei der Royal Airforce. 1945-1963 Labour-MP, 1946-1951 Minister (Landwirtschaft, Ernährung und Krieg) in den beiden Kabinetten Clement Attlees.

15 - George Orwell, eigentlich Eric Blair (1903 - 1950), englischer Schriftsteller ("Die Farm der Tiere", "1984"), Teilnehmer am Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite.

16 - Victor Gollancz, John Strachey, George Orwell, Harold Laski (Herausgeber und Mitarbeiter): The Betrayal of the Left. An Examination and Refutation of Communist Policy from October 1939 to January 1941: With Suggestions for an Alternative and an Epilogue on Political Morality, London 1941.

17 - Anspielung auf den im März 1918 in Brest-Litowsk zwischen Russland und Deutschland geschlossenen Frieden, der Russland zahlreiche Opfer (Gebietsverluste etc.) abverlangte.

18 - Thomas (Tom) Henry Wintringham (1898 - 1949), linker Journalist.

19 - Humphrey (Hugh) Slater, Journalist, trat nach seiner Home-Guard-Zeit in die reguläre Armee ein, aus der er wegen Invalidität 1944 als Major ausschied. Gründete 1945 die Zeitschrift "Polemic".

20 - Die Propagandakampagne für Volksfront und Freundschaft mit der Sowjetunion war im Juli 1940 von den britischen Kommunisten gestartet worden.

21 - Manfred Fürst (1895 - 1973), Schauspieler, ab 1933 Exil in Frankreich, 1939 Großbritannien, 1940 USA, dort kleine Rollen und Tätigkeit als Theateragent. 1955 nach Deutschland zurückgekehrt.

22 - "Hellmann": Kurt Hellmer [bis 1922 Kurt Ehrlich genannt] (1909 - 1975), Dramaturg und Journalist, ab 1935 Exil in Österreich, ab 1938 in den USA.

23 - Ludwig Roth, Schauspieler und Regisseur, ab 1938 Mitarbeiter an deutschsprachigen Rundfunksendungen in den USA.

24 - Das Projekt eines "freien deutschen Theaters" in New York zerschlug sich aus finanziellen Gründen. Vgl. Eike Middell u.a.: Exil in den USA, Frankfurt a. M. 1980, S. 355 ff.

25 - Carl Zuckmayer (1896 - 1977), Schriftsteller, ab 1933 Exil in Österreich, 1938 Schweiz, 1939 USA, im selben Jahr ausgebürgert. Ab 1951 in der Schweiz wohnhaft.

26 - Fritz von Unruh (1885 - 1970), Schriftsteller, Pazifist, seit 1932 in Italien, 1935 Frankreich, 1939 ausgebürgert, 1940 USA. 1952-1955 in der Bundesrepublik wohnhaft.

27 - Ferdinand Bruckner, früher Theodor Tagger (1891 - 1958), Autor und Dramaturg, ab 1933 Exil in Frankreich, seit 1936 in den USA. 1951 Rückkehr nach Deutschland (Westberlin).

28 - Berthold Viertel (1885 - 1953), Autor und Regisseur, 1933-1945 als Exilant zeitweise in Österreich, Frankreich, USA, Großbritannien, 1941 ausgebürgert.

29 - Koloman Wallisch (1889 - 1934), seit 1919 Funktionär der österreichischen Sozialdemokratie, 1934 führend am Schutzbund-Aufstand gegen das Dollfuß-Regime beteiligt, hingerichtet.

30 - Egon Schwelb (1899 - 1979), in Prag geb. Jurist, ab 1939 Exil in Großbritannien, bis 1942 juristischer Berater der sudetendeutschen Treuegemeinschaft (s. d.), 1945-1947 Mitarbeit bei der UN-Kommission für Kriegsverbrechen und bei Voruntersuchungen für die Nürnberger Kriegsprozesse, später bei der UNO für Menschenrechtsfragen und 1963-1973 als Berater im UN-Generalsekretariat tätig.



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